ganimed hat geschrieben: Menschen sind sozusagen nicht wegen sondern trotz des Glaubens böse.
Ich würde der Vollständigkeit halber auch sagen: Menschen sind sozusagen auch nicht wegen, sondern Trotz des Glaubens gut.
@mat-in:
Ich denke, dass Religion sogar viel mehr mit einem natürlichen Element als mit einem Tötungswerkzeug vergleichbar ist. Wasser ist ein Naturphänomen, hinter dem keine Intention steckt, bei einer Landmine ist die Intention dagegen sehr klar. Auch bei bestimmten religiösen oder polit-religiösen Ideologien sind die Intentionen sehr klar, das gilt umso mehr, je dogmatischer, fundamentalistischer, exklusiver und gewaltverherrlichender diese Ideologien sind. Wir reden aber hier über Religion als Sammelkategorie aller dieser Ideologien und da ist es eben nicht fair, die schlimmsten Beispiele herauszupicken und deren schlimmste Merkmale als konstituierend für alle Einheiten in der Gesamtmenge zu bezeichnen.
Deine Analogie würde besser greifen, wenn du nicht Religion als Oberkategorie mit der Landmine als Spezialkategorie von Waffen, die wiederum eine Untergruppe von Werkzeugen sind, vergleichen würdest. Es ist eher sinnvoll, Religion mit einem Werkzeugkasten zu vergleichen, in dem es bestimmte Werkzeuge gibt. Die meisten wie Hämmer und Sägen sind für konstruktives Arbeiten gedacht, lassen sich aber im Extremfall auch zur Gewaltanwendung zweckentfremden. Das ist das Gefahrenpotential, das jeder Religion oder Ideologie innewohnt, weil durch deren bloße Existenz in den Köpfen mancher Menschen zwangsweise eine ingroup-outgroup-Definition entsteht und durch verschiedene, gar konkurrierende Weltanschauungen die Gesellschaft immer in Subgruppen unterteilt wird, was zwangsläufig Konfliktpotential erzeugt. Solange es aber keine ernsthaften anderen Probleme gibt (Ressourcenmangel, Arbeitslosigkeit, massive Eigentumsungleichheit etc.), werden diese Werkzeuge aber wohl im weitesten Sinne konstruktiv verwendet werden.
Es gibt, wie eben Landminen im Speziellen und Waffen im Allgemeinen, aber auch eine Minderheit dieser Werkzeuge, die fast ausschließlich der Destruktion gewidmet sind. Bezogen auf Religion wären das fundamentalistische, exklusive, gewaltverherrlichende Kulte, wie man sie in extremen Ausformungen z.B. bei Evangelikalen, Islamisten, radikalen Hindu, Satanisten u.ä. findet, analog im polit-religiösen Bereich vor allem der Faschismus (der Kommunismus weniger, weil er die Verfolgung des "Anderen" nicht derart impliziert).
Lumen hat geschrieben:Wer spricht denn von Abschaffung der Religion? Warum wird bei Kritk an einer Ideologie unterstellt, man wolle direkt Verbote erwirken? (Antwort: weil Kritik an Religion bei manchen eine Grenzüberschreitung darstellt, die dann feindseelig und Ad Hominem beantwortet wird, es dann auf einmal folgerichtig um Bücherverkäufe [Geiz] oder Hass geht — sorry Leute, aber das bestätigt eher „Vorurteile”).
Nun sollte eine Diskussion nicht darin bestehen, dass du anderen Fragen stellst und sie gleich selbst beantwortest. Das konterkariert den Sinn einer Frage irgendwie.
Kritik an Religion ist keine Grenzüberschreitung - die Unterstellung an ca. sechs von sieben Milliarden Menschen, dass sie bewusst oder unbewusst Handlungen primär an einem irrationalen Extremismus orientieren, schon. Bei genauerer Betrachtung erscheint mir dein statement übrigens auch ziemlich ad hominem zu sein.
So fundamental, wie du Religion kritisierst, erinnerst du tatsächlich ganz stark an jemanden, der etwas ausmerzen möchte. Daher meine Bezugnahme auf ein Verbot, welches ja auch als gesellschaftliches Tabu formuliert werden könnte und nicht gleich als juristisch bindend. Die Frage ist, wenn es dir nicht um eine Abschaffung bzw. gesellschaftliche Ächtung von Religion geht, was im weitesten Sinne auf dasselbe hinausläuft, wofür plädierst du dann hier? Möchtest du, dass festgestellt wird, dass Religionen Gefahrenpotential haben? Bitte, das ist bereits geschehen!
Die Diskussion dreht sich leider nun schon seit mehreren Seiten darum, dass du Extremismen ankreidest, die niemand (!) hier verteidigt hat, dass du aber gleichzeitig auch eine, um es in deinen bzw. Hitchens' Worten zu sagen, "totale" Sippenhaft gegenüber jenen aussprichst, die sich zwar auf gleiche oder ähnliche Quellen berufen, daraus aber für ihr persönliches Leben stark unterschiedliche Schlüsse gezogen haben. Ich denke, dass ich auch für stine, ganimed und musicman spreche, wenn ich sage, dass wir lediglich Toleranz gegenüber jenen fordern, die ihrem Glauben nachgehen, ohne anderen zu schaden. Natürlich gehört es zu einem gesunden demokratischen Diskurs dazu, auch diese Leute mit Problemen zu konfrontieren, die mit ihrer Weltanschauung verknüpft sind. Mehrmals habe ich schon betont, dass ich auch von gemäßigten Gläubigen eine klare Distanzierung von Religionsverbrechen erwarte. Daraus kann aber weder eine permanente Bringschuld von Gelegenheitsreligiösen noch ein Recht auf genauso harte Behandlung wie von Fundamentalisten abgeleitet werden. Es geht ausschließlich darum, dass du deutlicher zwischen verschiedenen Ausprägungen von Religion und Religiosität differenzieren solltest - im Mindesten aus formalen diskursorischen Gründen, aber auch aus humanen Überlegungen (Stichwort "Fairness") heraus.
Christopher Hitchens, God is not Great, s. 300 hat geschrieben:Selbst wenn sie bescheiden ist, muss die Religion zugeben, dass sie eine „totale“ Lösung vorschlägt, in der Glauben zu einem gewissen Grad blind sein muss und in der alle Aspekte des privaten und öffentlichen Lebens einer andauernden höheren Kontrolle unterworfen werden müssen.
Also das ist ja wohl intellektuel ärmlich.
- Dass Glaube zu einem gewissen Grad auf blindem Vertrauen und nicht auf absolutem Wissen basiert, ist trivial. Was will Hitchens damit aussagen oder beweisen? Dass er die Definition von "Glaube" verstanden hat?
- Dass
alle Aspekte des privaten und öffentlichen Lebens einer "andauernden höheren Kontrolle unterworfen werden müssen", solange Religiöse daran beteiligt sind, ist doch Unfug. Wer argumentiert denn hier bitteschön "total"? Hitchens nimmt sich mal wieder eines dieser Landminen-Kult-Beispiele (s.o.) heraus und leitet daraus ab was er will. Es gibt so viele Bekenntnisse von Religiösen zu den Freiheitsrechten und zur Notwendigkeit einer effektiven Gewaltenteilung und sogar der verbohrte Vatikan hat sich mittlerweile mit der Idee angefreundet, dass die Demokratie, also die Kontrolle durch das Volk und nicht durch Gott, legitim und anderen Herrschaftsformen überlegen sein könnte. Natürlich wird es viele Religiöse geben, die annehmen, dass es eine göttliche Überwachung des Geschehens gibt, aber es lässt sich nie und nimmer ein gültiger Beweis führen, dass dies allgemeingültig ist. Warum differenzieren, wenn maximaler Reduktionismus so viel bequemer ist? Bloß blöd, dass das ein zentrales Kennzeichen von Fundamentalismus ist, Herr Hitchens.
Lumen hat geschrieben:Dieser Satz fasst eigentlich zusammen, was praktisch alle Gläubigen der Monotheismen für wahr halten, egal wie modern und angepasst oder fundamental und rückwärtsgewandt sie sind.
Wow. Ich würde mir NIE im Leben anmaßen, zu behaupten, dass ich auch nur annähernd feststellen könnte, was andere Menschen, selbst Individuen, die ich gut kenne, für wahr halten.
Lumen hat geschrieben:Es ist die implikation, die eine mehr oder minder aktive Gottheit frei Haus mitliefert. Sobald „da oben” einer sitzt, der uns quasi beobachtet und es eine göttliche Erwartung an die Menschen gibt, sich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten, wird ein himmlichen Big Brother angenommen, ein übernatürlichen Überwacher. Rest ist dann „bonus” den man den strenger Gläubigen anlasten kann.
Es gibt jede Menge Leute, die der Meinung sind, dass es Gott gibt, dass er ihre kleinen Alltagsverfehlungen aber schon nicht so ernst nehmen wird, dass er schon Verständnis für die "Schwäche des Fleisches" haben wird. In deiner Projektion sind alle, die auch nur hauchdünn religiös sind, sofort Fundamentalisten, die ihr Verhalten konstant und konsequent damit abgleichen, was irgendein Gott von ihnen wollen könnte. Dafür hat kaum ein Religiöser die Energie, das Wissen oder überhaupt nur Lust dazu. Sind doch auch nur Menschen. Klar, ein extremistischer Evangelikaler oder Taliban wird versuchen, diesem Anspruch gerecht zu werden. Aber ein Gelegenheitsgläubiger? Der hofft einfach nur, dass ein Stoßgebet ihm bei der anstehenden Abschlussprüfung hilft und falls nicht, war halt gerade Engelfunkloch. Ich denke, dass viele Gläubige das viel entspannter sehen als du. Ich gewinne eher den Eindruck, dass es weder für dich noch für Hitchens vorstellbar ist, dass nicht alle Menschen Religion mit derselben analytischen Schärfe und Konsequenz betrachten, wie du und er selbst. Dadurch, dass sie das aber eben nicht tun, leiten sie völlig andere Handlungsmaximen ab, als du und Hitchens durch eure versuchte Extrapolation eures Wissens über Religion annehmt. Deshalb geht das, was ihr euch dazu zusammenreimt, realiter auch völlig ins Leere, so gut es in einem bestimmten theoretischen Rahmen ja auch hergeleitet sein mag.
Lumen hat geschrieben:Die Annahme eines blinden Glaubens ist also ohne negative Implikation?
Negativ, aber je nach Ausmaß vernachlässigbar. Drei Gramm Koakin im Wasserversorgungsnetz einer Stadt machen auch nicht die gesamte Stadtbevölkerung zu Abhängigen.
Lumen hat geschrieben:Die Annahme, dass Menschen bestimmte Texte, Ansichten, Niederschriften, Offenbarungen, Zitate, Personen (etc.) als unfehlbar, unveränderbar, ewig, absolut und so fort ansehen ist also nicht so schlimm, solange nicht in den falschen Händen? Lass uns darauf einigen, dass ich hier nicht zustimmen werde.
Damit kann ich leben. Und ja, es ist nicht so schlimm. Es ist zwar schade, dass manche Menschen gutes Verhalten gegenüber dem Nachbarn durch selektives Lesen heiliger Schriften und arbiträre Interpretation der herausgepickten Stellen begründen, aber solange sie sich dann gegenüber dem Nachbarn tatsächlich annehmbar verhalten, soll's mir recht und billig sein.
Lumen hat geschrieben:Menschen die blinden Glauben kategorisch ablehnen sind davon nicht betroffen, was sie freilich nicht daran hindert einer anderen Ideologie nachzulaufen.
Danke. Mit diesem einen Satz hast du deine vorhergehende wortreiche Elaboration völlig in den Wind geschossen. Außerdem muss der Mensch, der nicht gewisse Dinge blind als wahr annimmt, erst noch geboren werden - und nach der Geburt müssen gewisse vertrauensbildende Schritte der kindlichen Entwicklung konsequent vermieden werden. Könnte ja sein, dass kleine Fratz sowas wie Urvertrauen zu seiner Mutter aufbaut. Das wäre ja blinder Glaube! Teufelszeug! Moment... jetzt kommt hier was durcheinander, oder?
Lumen hat geschrieben:Ich fasse also eure Position zusammen: solange die Neo-Nazis Jugendheime betreuen und „Seelsorge” betreiben und ihre Ideologie „moderat” ist, sodass sie niemanden angreifen, ist die Sache für euch in Ordnung und unkritisch. Ihre Ideologie ist dann auch in Ordnung, immerhin glauben sie ja nicht alles was in „Mein Kampf” steht und haben es eventuell nichtmal gelesen und sowieso keine Ahnung von Rassenlehre.
Ich weiß nicht, ob Faschismus und "moderate Ideologie" kompatibel sind. Faschismus würde ich eher als eines der "Landminenwerkzeuge" (s.o.) bezeichnen, die per definitionem nicht harmlos sind.
Wenn derjenige aber beispielsweise aber nur ein etwas engstirniger, heimatliebender und dem Fremden sehr reserviert begegnender Zeitgenosse ist, dann muss ich denjenigen tatsächlich vielleicht einfach sein lassen wie er ist, was nicht ausschließt, dass ich ihn durchaus mal in einer Diskussion herausfordere. Diese Diskussion würde ich dann aber nicht mit Hitler, Auschwitz und Co. beginnen. Ich würde eher erstmal vorsichtig versuchen, die Anfälligkeit desjenigen für das Abdriften in die extreme Ecke zu sondieren. Und falls er dann anfängt den Völkermord im Dritten Reich zu relativieren, nur um im selben Satz die Bombardierung von Dresden plakativ als Kriegsverbrechen herauszuarbeiten, dann gibt's rhetorisch ein paar auf's Maul, keine Sorge. Nur eben erst dann und nicht einfach mal präventiv.
Übrigens, was die Jugendheime angeht, sehe ich Erziehung, die eine bestimmte ideologische Vermittlung verfolgt (religiöse Kindererziehung, Jugendfreizeiten von kirchlichen oder politischen Trägern) grundsätzlich mit großen Magenschmerzen - und in dem Fall auch, wenn es nur um leichte Dosen einer Ideologie geht. Bei der Prägung von jungen Menschen muss man verdammt vorsichtig sein.
Lumen hat geschrieben:Okay, habe ich verstanden, somit habe ich mit meiner „simplen” und „hasserfüllten” Meinungen nichts mehr hinzuzufügen, mit der ich ohnehin nur gierige und bücherverkaufende Demogagogen unterstütze. ;)
Ich werfe dir ganz sicher keine simple Meinung vor. Du hast dir eine Menge Gedanken gemacht und sicher komplexes Wissen über Religion angeeignet. Deine Ausführungen sind detailreich und auch geprägt von analytischer Schärfe. Bedauerlich ist, dass diese Analyse trotzdem einseitig bleibt. Und ja, es klingt auch hier und große Wut auf bestimmte Aspekte von Religion durch, die bei dir leider einen so zentralen Teil deiner Wahrnehmung ausmachen, dass es schwierig ist, dich zu erreichen. Sowas kann schon leicht mal "hasserfüllt" wirken.
Das ist eine ziemlich, sagen wir mal, herausfordernde Grundlage für eine Diskussion, vor allem dann, wenn man tatsächlich Meinungen weiterentwickeln will und nicht nur ein unverbindlicher Meinungsaustausch à la "ich erzähle dir meine Meinung und du erzählst mir deine Meinung" stattfinden soll.