Nanna hat geschrieben:Du kannst das ethische Sein, also ethische Praxis, natürlich naturwissenschaftlich untersuchen, etwa, indem du aufdeckst, wie und wann das Gehirn bestimmte Situationen ethisch so und so bewertet. Was du aber nicht kannst, ist aus den ermittelten Standards, die das Gehirn anwendet, schließen, dass diese ein ethisch wünschbares Ideal darstellen. Ich habe in einem anderen Thread gestern schonmal Sokrates zitiert, der sagte "Es ist besser Unrecht zu leiden, als Unrecht zu tun!". Sokrates war konsequent und akzeptierte sogar sein Todesurteil, weil er lieber das Unrecht der falschen Verurteilung hinnahm, als sich gegen das Recht zu stellen und sich der Verurteilung zu entziehen und damit selbst Unrecht zu tun.
Es hätten wohl die wenigsten Moralphilosophen Sokrates übelgenommen, hätte er sich der Urteilsvollstreckung durch Flucht entzogen. Aus naturwissenschaftlicher/neurologischer Sicht macht Sokrates' Verhalten einfach keinen Sinn, der naturwissenschaftlich veranlagte Ethiker würde wohl nicht behaupten, dass Sokrates ethischer gehandelt hat als das, was der "evolutionäre Durchschnitt", wie ich es mal tituliere, von ihm verlangt hätte (nämlich in etwa "Hau ab, aber bring zumindest keine Wache um.")
Trotzdem muss ich sagen, dass ich Sokrates an der Stelle tatsächlich ein ethisch einwandfreies, wenn auch unter realpolitischer Sicht dummes, Verhalten attestieren würde. Diese Ansicht ist nicht effektiv letztbegründbar, es ist eine Vernunftwahrheit, die man - auch das habe ich an anderer Stelle bereits angeführt - axiomatisch akzeptieren und für selbstevident halten muss. Ich würde sogar soweit gehen zu sagen, dass gewisse Axiome für Ethik notwendig sind. Leitete man alle ethischen Maximen aus naturwissenschaftlichen Betrachtungen ab, also aus dem Sein, würde man sich nicht nur mit dem zufriedengeben, was man zufällig gerade vorfindet, man würde auch die Ethik als solche geradezu abschaffen, würde ich meinen.
Das sehe ich ähnlich. Humes Gesetz oder der naturalistische Fehlschluss, der nicht identisch mit ihm aber sehr ähnlich ist, ist nicht so ohne weiteres überwindbar.
Dennoch spielt bei der Beantwortung der Frage "Abtreibung, ja oder nein?", "Sterbehilfe, ja oder nein?" es eine ganz elementare Rolle, ob man ein wissenschaftlich-naturalistisches Weltbild besitzt oder nicht.
Man sollte sich zumindest bewußt darüber werden, dass da Abhängigkeiten gegeben sind.
Und die Frage: "Gibt es einen angeborenen Sinn für Ethik/Moral?" ist eine, die am ehesten die Verhaltensforschung, vergleichende Verhaltensforschung und die Hirnforschung in Erfahrung bringen kann. Dass es diesen angeborenen Ethikinstinkt gibt, halte ich eigentlich schon für gut belegt. Damit kann auch schon bestimmt werden, wieso Ethik für Menschen überhaupt ein Thema ist.