Nanna hat geschrieben:ganimed hat geschrieben:Wie wahrscheinlich kann es da sein, dass dies alles wirklich nur blauer Dunst ist? Dass vier Fünftel der Menschheit einfach nur an Wahnvorstellungen leidet?
Dawkins hat der Welt keinen Gefallen getan, indem er religiöse Vorstellungen als "Wahn" klassifiziert hat. [...] der Begriff Wahn führt hier analytisch zu nichts (darf ich mir die wortreiche Erklärung hier sparen und mich darauf beschränken, festzustellen, dass Wahn eine Krankheit ist und Religion keine?). Ich behaupte sogar, dass er zur Verwirrung führt, weil die meisten Menschen nicht in der Lage sind, die impliziten Annahmen zu sehen und zu neutralisieren, die durch den Wahn-Begriff in die Diskussion schwappen, und, das ist mein zentraler Kritikpunkt, mal wieder weder erklärt noch gerechtfertigt werden. Ergo: Vorsicht mit diesem Begriff, außer du willst mal absichtlich polemisch schreiben.
Wobei wiederum möglicherweise verkehrte Annahmen von dir zugrunde liegen. Ich sehe den Begriff "Wahn" sowohl hilfreich, als auch seine Konnotationen als "Verrücktheit" als gewollt an. Ob
strenger Glaube im engeren Sinne eine pathologische Wahnvorstellung ist, ist nicht einmal geklärt und zunächst ebenso plausibel wie andere Faktoren. Dawkins liefert in seinem Buch durchaus Erklärungen warum er den Begriff verwendet; in etwa so: Wenn Menschen trotz besserer (und
bekannter) Information, die hinreichend abgesichert ist, dennoch an einen
bestimmten Schöpfergott glauben wollen, dann ist es dem Befund des Wahns nicht unähnlich.
Dawkins hat dabei mehrfach darauf hingewiesen, dass es ihm um gesellschaftlich anerkannte Formen des strenge Glaubens geht, und nicht um Gläubige mit diffusen Vorstellungen, die sich im Grunde nicht sonderlich mit der Thematik beschäftigen; somit ihr Wissen-Glaubenssystem auf systematisch unvollständiger Information beruht. In dem Fall wäre der Begriff Wahn (Delusion) wirklich unzutreffend. Bei Priestern und ähnlichen Berufsgruppen geht Dawkins, wie auch Dennett in der Tat von Wahn, Täuschung oder kognitiven Bewältigungsmechanismen aus (z.B. kognitive Dissonanz). Außerdem sind die "gewöhnliche Mitläufer-Gläubigen" seit jeher auch bei Hitchens gar kein Gegenstand. Das ist ein Popanz, den die Kritiker aufgebaut haben, um aus der Kritik an der "Glaubens-Elite" einen angeblichen Angriff auf das (christliche) Abendland und seine Werte zu konstruieren.
Der Begriff Wahn ist mit all seiner Überspitzung deshalb notwendig, weil in aller Deutlichkeit auf den Tisch kommen muss, dass bestimmte Annahmen und ihre grausigen Konsequenzen eben in der heutigen Welt keines Falls "normal" und "vernünftig" sind. Es sei auch auf den kulturgeschichtlichen Begriff des
Wahnsinns hingewiesen. Es ist beispielsweise nicht vertretbar, dass Menschen der Idee eines für sie reservierten Jenseits anhängen, dabei aber beispielsweise zugriff auf Atomwaffen haben und sich gegebenenfalls aufgrund ihrer Wahnvorstellungen einbilden, diese einsetzen zu können (oder zu müssen). Da sind gleich mehrere Herde, wo solche Denkmuster nicht vollkommen von der Hand zu weisen sind und eventuell kommt mit der nächsten Wahl in den USA ein weiterer hinzu. Es ist ebenso problematisch, wenn Kindern eine medizinische Versorgung verwehrt wird, weil angeblich der Glaube schon alles richten wird. Oder denken wir an die Verstümmlung von Genitalien aufgrund religiöser Lehren und so fort. Diese Dinge lassen sich sehr wohl als vollkommen Wahnsinnig und geistesgestört bezeichnen und nötig das möglichst effektiv (laut, polemisch, militant) deutlich zu machen, damit ganz klar wird, dass es kein akzeptiertes oder gedecktes Verhalten ist (siehe Wahnsinn).
Der Rezipient ist hierbei nicht der Verrückte und Geistesgestörte, sondern die große Masse dazwischen, die bestimmte Verhaltensweisen aufgrund langer Tradition als "Grundrauschen" niemals reflektiert hat, aber bei entsprechend drastischer Darstellung den Wahn dieser Mitmenschen bemerken wird. Es geht dabei nicht darum, dass "laute Atheisten" oder irgendeine weltanschauliche Gruppierung dabei Sympathiepunkte sammeln. Natürlich kommt das manchem Anhänger einer solchen Weltanschauung nicht zupass, weshalb es viele Kritiker "in eigenen Reihen" für Dawkins et al gibt.
Nanna hat geschrieben: Aber frag mal auf der Straße, wieviele Leute glauben, dass sie mit Wassersparen "was für die Umwelt" tun und wunder dich nicht, wieviele davon gut verdienende, akedemisch gebildete Grünenwähler sind. Fehlschlüsse und Aberglaube sind recht normal. Das hat nichts damit zu tun, dass die Leute zu dumm sind, sondern dass sie nicht nachdenken!
Eine weitere irrtümliche Annahme deinerseits. Vor geraumer Zeit war das sparen von Wasser ein wichtiges Anliegen und es gab entsprechende Kampagnen. Die Leute wurden, richtig oder nicht, darauf hingewiesen auch mal die Spar-Taste zu betätigen oder sich Ziegelsteine in das Spülwasserbecken zu legen. Die meisten Leute haben das "abgespeichert" und zu einer Gewohnheit werden lassen. Probleme von Stadtwerken und derartiges sind dagegen Randnotizen gewesen und haben sich offenbar nicht hinreichend durchgesetzt, um "falsche" Angewohnheiten zu ersetzen. Wer denkt sich schon: so, jetzt lasse ich den Wasserhahn mal extra laufen, weil das stand mal was in der Randspalte der Zeitung. Bei Informationen die im Widerspruch stehen, siegt außerdem die Gewohnheit dank
kognitiver Dissonanz.
Nanna hat geschrieben:Es ist nunmal sehr energiesparend ("bequem"), "funktionierende" Gedankenkonstrukte nicht anzutasten und Religion funktioniert ja schließlich seit Jahrtausenden. Ich spitze es mal zu: Evolutionär gesehen ist der "Umstieg" von Religion auf Vernunft mit großen Energieanstrengungen verbunden und macht daher nur begrenzt Sinn, weshalb viele Menschen entweder gar nicht oder nur partikular (etwa für den Job, aber nicht für den Sonntag) umsteigen. Die Angst vor bestimmten Attributen der Vernunft (Gefühlskälte, Egoismus der Moderne, Relativismus ohne Orientierungsmöglichkeit etc.), zum Teil auch das wieder nur abergläubische Zuschreibungen, ist so groß, dass die Energiebilanz nicht positiv erscheint: Es lohnt sich für den Organismus nicht und wird daher zur Not emotional verdrängt.
Gewohnheiten können keine Jahrtausende alt sein. Sie werden nur immer durch Indoktrination an die nächste Generation weitergegeben, weshalb Religionen sich so entwickelt haben, möglichst frühzeitig den kindlichen Verstand zu verseuchen. Es werden in der Frühphase der Entwicklung bereits Hintertürchen eingebaut, die natürlich menschliche Schwächen und Ängste optimal ausnutzen. Es ist kein Zufall, dass Götter häufig Vater und Mutterfiguren sind und systematisch das menschliche Verlangen nach Wärmen und Anerkennung aufsaugen. Wenn Kinder älter werden und sich von ihren leiblichen Eltern emanzipieren, bleibt der imaginäre Vater immer mittels Telepathie (Gebet) erreichbar. Deshalb sind streng gläubige Menschen
infantile Wahnsinnige, dem Wortsinn nach geistig zurückgebliebene. Diese Schwächen werden dann von Organisationen systematisch ausgebeutet, die sich Kirchen nennen, wobei sie wiederum auf altbekannte Taschenspieler-Tricks zurückgreifen, wie synästhetische Rituale, die wiederum auf angeborene Eigenschaften des Menschen zugeschnitten sind, zum Beispiel das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dies wird systematisch durch identitätsstiftende Symbole, gemeinsamer Gesang, gemeinsames rituelles Speisen usw. verstärkt.
Nanna hat geschrieben:ganimed hat geschrieben:Ich finde, der Glaube an eine unbestimmte höhere Macht ist insofern wirklich nicht so unplausibel, wie man als Naturalist manchmal zu denken gewohnt ist.
Nein, der Glaube als solcher muss ja auch plausibel erklärt werden können, sonst hätten wir als Naturalisten ein ernsthaftes Problem mit unseren Prämissen. Sofern wir von einer naturalistischen Welt ausgehen und auch den Glauben als natürliches System betrachten, müssen wir eine plausible Erklärung vorlegen können. Und ich denke, dass wir an der sehr nah dran sind.
Menschen glauben an alles mögliche: richtig. Aber das Ausnutzen menschlicher Eigenschaften zum Vorteil einer Organisation (Kirchen etc.) mittels vorgefertigtem Glaubenssystem ist nicht entschuldbar oder plausibel. Schließlich könnten Menschen den Gott/Götter beliebig ausmalen oder an einen beliebigen Gott aus der Geschichte glauben. Das tun sie aber nicht, wie es "natürlich" wäre, sondern sie werden mittels Erziehung und sehr weltlich und offensichtlichen Gründen dazu gebracht, bestimmte Dinge zu glauben die dann systematisch ausgenutzt werden.
Am Ende kann mir kein Priester erzählen er wüsste wirklich was sein Gott will. Es ist verdächtig, wenn solche Leute ein unüberprüfbares Herrschaftswissen einsetzen um bestimmte, für ihre Organisation dienliche, Ziele zu verfolgen. Die Standard-Reaktion muss sein, hier entweder wohlwollend Wahnsinn zu unterstellen oder böswillig Betrug.