Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon chulinn » Do 17. Nov 2011, 08:43

Christian Felber von Attac-Österreich hat ein Buch geschrieben "Die Gemeinwohl-Ökonomie: Das Wirtschaftsmodell der Zukunft".
Darin möchte er zwar die Marktwirtschaft erhalten, aber das Anreizsystem vom Gewinnstreben zum Gemeinwohlstreben 'umpolen'.

Der erste Teil des Buches ist sehr klar und logisch geschrieben, hier wird begründet warum eine gemeinwohlorientierte
Wirtschaftssystem mehr Sinn macht als der aktuelle Kapitalismus. Schwierig wird es erwartungsgemäß wie man das Gemeinwohl
denn objektiv messen soll. Er schlägt einen Konvent als Lösung vor der mit entsprechend Zeit einen ersten Ansatz entwirft.
Mir schwebt da eher der Ansatz von Sam Harris aus "The Moral Landscape" vor bei dem über die Neurowissenschaft zusammen
mit der Moralphilosophie versucht wird das Gemeinwohl wissenschaftlich fundiert zu ergründen.

Völlig aus der Luft gegriffen sind die Ansätze jedenfalls nicht, es gibt ja heute bereits gemeinnützige GmbHs, Genossenschaften u.ä.
Auch Leute wie z.B. Ulrich Wickert fordern eine stärkere Werteorientierung in der Wirtschaft (von der Occupy-Bewegung ganz zu schweigen).

Hier gibt es einen kurzen Artikel im Spiegel zu dem Buch:
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-81015416.html
Es scheinen wirklich einige Esoteriker und Ultra-Ökos da mitzumischen, das merkt man manchen seiner Ideen zum Gemeinwohl an.
(Am Ende des Buches dankt er noch schnell Pachamama, Gaia und was weiß ich noch wem.)

Ich halte die Idee an sich für sehr sinnvoll. Und falls jetzt das Gegenargument kommt dass die Gesamtwirtschaft zusammenbricht wenn man so einen Unfug umsetzen wollte:
Man könnte auch eine Mischform realisieren, also gezielt Anreize für gemeinwohlorientiertes Wirtschaften setzen und später nachprüfen ob sich diese bewährt haben.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Do 17. Nov 2011, 10:16

Das Problem dabei ist, dass schon wieder die Marktwirtschaft erhalten werden soll, die ja funktionieren würde, wenn sich die Menschen, die die Elite darin bilden, sich nur besser verhalten würden.
Man kann so auch für eine Monarchie argumentieren, eine Monarchie mit einem guten König ist eine tolle Monarchie. Aber wer garantiert das?
Mich macht es ja schon stutzig, wenn Ulrich Wickert erwähnt wird. Er gehört zu den Leuten, wo man, wenn die etwas sagen, grundsätzlich erstmal von dem Gegenteil ausgehen sollte (auf jeden Fall sollte man gut hinterfragen).

Moral soll also jetzt mal wieder die Lösung sein? Ich frage mich nur wie …
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon chulinn » Do 17. Nov 2011, 12:40

Teh Asphyx hat geschrieben:Moral soll also jetzt mal wieder die Lösung sein? Ich frage mich nur wie …


Der Ansatz ist doch eindeutig beschrieben: Wenn man eine Methode findet wie man die Auswirkungen auf das Gemeinwohl messen kann, dann ist die Einführung einer Gemeinwohl-Ökonomie nur konsequent.

Gemeinwohl-Ökonomie ist dabei ganz ähnlich wie Demokratie zu sehen: Sicher nicht perfekt, aber es darf auch jeder gerne was Besseres erfinden. Was wäre denn Deine präferierte Wirtschaftsform? Irgendwas ohne Marktwirtschaft?
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Do 17. Nov 2011, 16:39

chulinn hat geschrieben:
Teh Asphyx: Moral soll also jetzt mal wieder die Lösung sein? Ich frage mich nur wie …


Der Ansatz ist doch eindeutig beschrieben: Wenn man eine Methode findet wie man die Auswirkungen auf das Gemeinwohl messen kann, dann ist die Einführung einer Gemeinwohl-Ökonomie nur konsequent.


„Wenn …“, damit hat sich das eigentlich schon erledigt. Wie will man etwas so abstraktes wie Gemeinwohl überhaupt feststellen? Nach welchen Kriterien? Das hört sich für mich schwer nach Totalitarismus an, der alle Menschen zu ihrem Glück zwingen will.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon mat-in » Do 17. Nov 2011, 17:49

Weil? Du keine Lust hast drüber nachzudenken?
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 18. Nov 2011, 11:27

mat-in hat geschrieben:Weil? Du keine Lust hast drüber nachzudenken?

Ich? Ähm, nein, weil ich mir im klaren darüber bin, dass bisher jeder Versuch, ein Gemeinwohl zu definieren in eine Form des Totalitarismus ausgeartet ist (siehe auch Karl Popper - Die offene Gesellschaft und ihre Feinde).

Das Einzige, was meine Ansicht nach sinnvoll ist, ist zu ermöglichen, dass jeder Menschen (und auch Gruppen) die Möglichkeit hat(haben), sein(ihr) Wohl selbst herbeizuführen.
Daran scheitert aber jede Marktwirtschaft, da es erstens jenseits der Idealvorstellung von einer Selbstregulierung durch Angebot und Nachfrage noch viele andere Faktoren gibt, die da einfließen (dass in Ländern der dritten Welt eine sehr hohe Nachfrage nach Nahrungsmitteln besteht, ist für die Marktwirtschaft irrelevant, weil dort die Kaufkraft fehlt – und das, obwohl die Menschen dort genug gegen zu bieten hätten) und zweitens daran, dass die Idee herrscht, dass getauscht werden müsse, das heißt, das für jede Leistung eine Gegenleistung in irgendeiner Form erfolgen müsse. Ich meine, dass diese Idee einer falschen Vorstellung der Natur entstammt, nämlich der Idee, es gäbe so etwas wie eine Harmonie und alles wäre perfekt aufeinander abgestimmt (geht dann auch oft mit der Idee einher, dass es in der Natur irgendeine Zweckmäßigkeit oder ein „Design“ gäbe).
Es ist quatsch, das aufrecht erhalten zu wollen, mit der Begründung, dass es funktionieren könnte, wenn irgendwas halt so und so wäre.

Meine Idee geht eher in die Richtung, herauszufinden, wo die Schwächen im popperschen Gesellschaftsmodell sind, an dem sich viele westliche Demokratien zumindest formell orientieren, bei der Analyse marxistische Neulesungen aus der Ecke Louis Althusser usw. in Betracht zu ziehen (wo es nicht um Kommunismus als ideale Gesellschaftsform geht, sondern Marx’ Spätwerke als Methode zur Analyse von Ideologie benutzt werden, Althusser hatte sonst ein auf Gaston Bachelard aufgebautes ähnliches Modell wie Poppers offene Gesellschaft) und andere Formen von Hierarchien zu untersuchen, ob und wie sie sich auch auf Gesellschaftsmodelle anwenden lassen (zum Beispiel das Rhizom).
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon chulinn » Fr 18. Nov 2011, 12:05

Teh Asphyx hat geschrieben:Ähm, nein, weil ich mir im klaren darüber bin, dass bisher jeder Versuch, ein Gemeinwohl zu definieren in eine Form des Totalitarismus ausgeartet ist

Kennst Du Bhutan? Die sind noch nicht in den Totalitarismus abgerutscht und ich denke sie können das vermeiden. Ich bin mir völlig im Klaren das die meisten "Versuche" sich nach einem vermeintlichen Gemeinwohl auszurichten grandios gescheitert sind bzw. billige Feigenblätter für die Errichtung einer Diktatur waren. Insofern ist die Skepsis mehr als berechtigt. Mir geht es aber nicht um eine große Revolution zur schlagartigen Änderung der Gesellschaft. Man sollte jetzt sich überlegen wie man einzelne Aspekte zur Förderung des Gemeinwohls umsetzen könnte. Und vor allem nach der Umsetzung muss man auch genau prüfen ob die Maßnahmen auch gefruchtet haben.

Teh Asphyx hat geschrieben:
Das Einzige, was meine Ansicht nach sinnvoll ist, ist zu ermöglichen, dass jeder Menschen (und auch Gruppen) die Möglichkeit hat(haben), sein(ihr) Wohl selbst herbeizuführen.

Und was ist wenn es sich bei der Gruppe um die Bevölkerung eines Landes handelt? Dann gibt es mehr Meinungsverschiedenheiten, also die Abstimmung wird wesentlich komplexer, aber das Prinzip bleibt das Gleiche.

Gibt es bei dem von Dir bevorzugten Ansatz auch konkrete Beispiele oder Ansätze u.ä. was zu tun ist? Ich will ja nicht drängeln, aber so wie es zur Zeit aussieht wird es wohl nicht reichen in ein oder zwei Jahren eine große Währungsreform durchzuführen und alle sind wieder glücklich.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 18. Nov 2011, 15:28

chulinn hat geschrieben:Kennst Du Bhutan? Die sind noch nicht in den Totalitarismus abgerutscht und ich denke sie können das vermeiden. Ich bin mir völlig im Klaren das die meisten "Versuche" sich nach einem vermeintlichen Gemeinwohl auszurichten grandios gescheitert sind bzw. billige Feigenblätter für die Errichtung einer Diktatur waren. Insofern ist die Skepsis mehr als berechtigt. Mir geht es aber nicht um eine große Revolution zur schlagartigen Änderung der Gesellschaft. Man sollte jetzt sich überlegen wie man einzelne Aspekte zur Förderung des Gemeinwohls umsetzen könnte. Und vor allem nach der Umsetzung muss man auch genau prüfen ob die Maßnahmen auch gefruchtet haben.


Mein Kenntnisstand über Bhutan ist, dass es seit 2008 offiziell eine konstitutionelle Monarchie nach britischem Vorbild sein soll, aber viel mehr weiß ich nicht.
Ich finde halt einfach Gemeinwohl unmöglich zu definieren, da es immer auf etwas totalitäres hinausläuft, selbst wenn man das Gemeinwohl darüber definiert, dass man sagt, dass jeder Mensch nach Glück strebt. Da müsste man erstmal wirklich jeden gefragt haben und ich allein kenne schon einige, die nicht nach Glück streben und das auch ablehnen. Die würde man also schon dadurch versuchen, zu ihrem Glück zu zwingen.

chulinn hat geschrieben:Und was ist wenn es sich bei der Gruppe um die Bevölkerung eines Landes handelt? Dann gibt es mehr Meinungsverschiedenheiten, also die Abstimmung wird wesentlich komplexer, aber das Prinzip bleibt das Gleiche.


Da denke ich, könnte das Rhizom-Modell Sinn machen, nämlich indem man Gruppenzugehörigkeiten nicht als Trennungen sieht, sondern da Überschneidungen akzeptiert.
Als Beispiel:
Ich lebe in Aachen, was in der jetzigen Hierarchie gesehen zur Städteregion Aachen gehört, übergeordnet zum Regierungsbezirk Köln, da übergeordnet das Land Nordrhein-Westfalen, was wieder Teil von Deutschland ist und Deutschland Teil der Europäischen Union. Allerdings gibt es hier auch ein Projekt, das sich Euregio nennt, wo Aachen zusammen mit einem Teil von Belgien und einem Teil der Niederlande als eigenständige Region gesehen wird (so ungefähr das, was früher das Herzogtum Limburg war).
Also habe ich hier sowohl Einflüsse der deutschen Kultur als aber auch mehrere regionale Kulturen, außerdem spielen hier die belgische, niederländische und aufgrund der Geschichte natürlich auch französische Kultur eine sehr große Rolle. So gesehen spielen hier nicht nur deutsche oder nordrhein-westfälische Interessen eine Rolle, sondern halt auch limburgische, belgische, niederländische und französische (und noch sehr viele mehr, aber das würde das Beispiel zu kompliziert machen).
Man müsste also überlegen, wie es möglich wäre, dass solche Mehrfachinteressen Berücksichtigung finden können. In Deutschland gibt es noch verhältnismäßig viel regionale Toleranz, in Frankreich ist der Zentralismus so stark, dass regionale Identitäten teilweise völlig zerstört wurden und andere sehr gelitten haben.
Oftmals wird gesagt, dass es in eine Demokratie die Sezession ausschließt, da frage ich mich aber, warum ausgerechnet die jetzigen Nationalstaaten so toll geeignet sein sollen. Ich denke, weniger Zentralismus und mehr übergreifende Verständigung wären sicherlich hilfreich.

chulinn hat geschrieben:Gibt es bei dem von Dir bevorzugten Ansatz auch konkrete Beispiele oder Ansätze u.ä. was zu tun ist? Ich will ja nicht drängeln, aber so wie es zur Zeit aussieht wird es wohl nicht reichen in ein oder zwei Jahren eine große Währungsreform durchzuführen und alle sind wieder glücklich.


Da gebe ich Dir recht. Aber ich finde es bedenklich, zu früh mit neuen Modellen rauszukommen. Momentan ist eher Analyse und Kritik (im philosophischen Sinne) bei mir angesagt und ich muss frei nach Lacan noch „versuchen […], [mir] ein wenig diesen ganzen Lärm aus dem Hirn zu spülen.“
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Nanna » Fr 18. Nov 2011, 20:35

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich finde halt einfach Gemeinwohl unmöglich zu definieren, da es immer auf etwas totalitäres hinausläuft, ...

Mal davon abgesehen, dass "totalitär" natürlich gleich signalisiert, dass es um etwas ganz ganz Böses geht - warum ist die (sowieso nur partielle!) Ausrichtung einer Gesellschaft an kollektiven Interessen gleich nochmal normativ verwerflich? Freiheit ist gut, Anpassung ist schlecht, Hierarchien sind vom Teufel... ist das nicht eine unheimlich simplifizierende und utopisierende Prämisse?
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 18. Nov 2011, 22:33

Nanna hat geschrieben:Mal davon abgesehen, dass "totalitär" natürlich gleich signalisiert, dass es um etwas ganz ganz Böses geht - warum ist die (sowieso nur partielle!) Ausrichtung einer Gesellschaft an kollektiven Interessen gleich nochmal normativ verwerflich? Freiheit ist gut, Anpassung ist schlecht, Hierarchien sind vom Teufel... ist das nicht eine unheimlich simplifizierende und utopisierende Prämisse?

Du simplifizierst gerade und zwar enorm! Ich habe nie gesagt, dass Anpassung schlecht ist, ohne den natürlichen Drang, sich seiner Umgebung anzupassen, würde der Mensch wohl kognitiv kaum über den Stand eines Babys hinauswachsen. Lies bitte genau, was ich schreibe und wenn was unklar ist, frage nach, aber unterstelle mir nicht irgendeinen Mist, weil Du von dem einen auf das andere schließt. Zumal ich hier wesentlich mehr geschrieben habe, was auch klarmachen dürfte, in welche Richtung meine Aussagen gehen sollen.
Es ist deswegen verwerflich, weil es kein gemeinsames Interesse aller gibt, also sollte man dafür sorgen, dass jeder so gut wie möglich seine individuellen Interessen verfolgen kann, ohne dass andere dabei beeinträchtigt sind, ihre Interessen verfolgen zu können.
Außerdem braucht eine offene Gesellschaft Utopien, um sich bewegen zu können, ist auch bei Karl Popper, Hans Albert und anderen nachzulesen.
Nenne Du doch mal ein paar Gründe, warum die etablierten Hierarchien gut sein sollen, anstatt mir einfach nur vorzuwerfen, dass ich was daran auszusetzen habe. Das ist nämlich absolut kein Argument.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Lumen » Fr 18. Nov 2011, 22:55

Ich würde soweit gehen und behaupten, es sei das eigentlich Ziel der Politik dem Gemeinwohl zu dienen. Nur fängt der Trick dann erst an. Denn das Fördern von Partikularinteressen kann dem Gemeinwohl dienen. Daher verstehe ich darunter das Finden eines Optimums, dass sich zwischen den Extrempolen Egoismus und Kommunismus (im historisch unbelasteten Sinne) befinden müßte. Ich glaube das die Annäherung oder Wegbewegung um das Optimum mittels gesundem Menschenverstand erfassbar ist. Als erste Größen dient die Anzahl der Menschen und ihr jeweiliges Wohlbefinden. Dann fangen die Fragen an: wie schlecht oder gut darf es wenigen Menschen im Vergleich zur Mehrheit gehen? Ein paar halbwegs messbare Parameter gibt es, zum Beispiel Gesundheit (ist durch Krankeiten und Symptome halbwegs quantifierzierbar und läßt sich halbweges qualitativ einschätzen).

Im Grunde können Paare von gesellschaftlichen Situationen verglichen werden, und die "bessere" kann ermittelt werden. Man kann damit sicher, wie Harris (anscheined) vorschlägt, eine Art Landschaft oder "Heatmap" generieren. Zum Beispiel wird es viele Fälle geben, wo die meisten Befragten klar eine Situation vorziehen würden. Andere werden 50/50 ausfallen, aber man hat haufenweise andere Daten die sich korellieren lassen (Beispiel: wäre es Wünschenswert im Stehen pinkeln zu dürfen? Man hat eine Idee warum 50% von der Idee nicht so angetan wäre.)

Kurzum, praktisch ist es nicht zu errechnen, da es sich um ein sog. "Wicket Problem" handelt. Aber solche Probleme haben durchaus bessere oder schlechtere Lösungen (im Hinblick auf das Kriterium wie sich das Wohl durch die Implementierung einer Lösung verschieben würde). Diese Art der Probleme werden durch fortlaufende Iterationsschleifen "gelöst", was sich —siehe da!— ungefähr im demokratischen Betrieb wiederfindet. Und im Grunde kennt das jeder, sonst müsste man Fragen wann die Politiker "fertig" sind mit der Herstellung von Regeln und Gesetzen. Es sieht zwar manchmal so aus, aber ich Glaube nicht, dass die Masse an Arbeit durch genuin extern veränderte Bedingungen entsteht, sondern durch den mehr oder weniger vernünftig durchgeführten iterativen Prozess.

Die Iterationsschleife ist nur leider zu langsam und die politisch Tätigen scheinen sich bisweilen nicht bewußt zu sein, was sie da machen. Gerade auch deswegen finde ich die aktuelle Regierung verheerend. Der Schritt zum Atomausstieg war vollzogen und es gab bereits einen Konsens. Diese Stufe zurückzudrehen, dann aber wieder überhastet an die eigentliche Iteration zu springen hat bei mir gezeigt, dass diese Regierung im wahrsten Sinne unfähig ist. Das Verteilen von "Wohl" auf Hoteliers, wie am Anfang war da schon ein Hinweis des Versagens.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Nanna » Sa 19. Nov 2011, 02:32

Teh Asphyx hat geschrieben:Du simplifizierst gerade und zwar enorm!

Ja freilich, nur war es bei mir eine Polemik. ;-)

Teh Asphyx hat geschrieben:Es ist deswegen verwerflich, weil es kein gemeinsames Interesse aller gibt, also sollte man dafür sorgen, dass jeder so gut wie möglich seine individuellen Interessen verfolgen kann, ohne dass andere dabei beeinträchtigt sind, ihre Interessen verfolgen zu können.

Jedesmal, wenn ich zusammen mit anderen Leuten in die S-Bahn (kollektives Verkehrsmittel) steige, um durch ein paar Stadtviertel, Dörfer und Felder (öffentlicher Raum, kollektives Interesse an Nahrungsmitteln, sauberem Trinkwasser und schadstofffreier Luft) zur Uni (kollektive Bildungsinstitution, da mit Uniklinik verbunden auch kollektive Gesundheitsinstitution) zu fahren, sehe ich alle drei Meter irgendein anderes Beispiel für gemeinsame Interessen. Diese zu verleugnen wäre ungefähr so konsistent wie zu behaupten, mein Nachbar und ich würden nicht dieselbe Luft atmen und nicht dasselbe Leitungswasser trinken. Falls mein Nachbar ein nihilistischer depressiver Punk ist und sich einen Dreck um Dreck im Wasser schert, ändert das nichts an der Tatsache, dass unsere Zivilisation im Großen und Ganzen auf der Wahrung kollektiver Interessen angewiesen ist.
Dein "andere Interessen dürfen nicht verletzt werden"-Disclaimer klingt in dem Zusammenhang übrigens gut, ist aber auch ein Gummiparagraph, denn wer entscheidet denn bei Interessenkollision, welches Interesse vorzugehen hat (schau mal z.B. in den Organspende-Thread, da siehst du ganz gute Beispiele für kollidierende Interessen (Gandalf/stine betrachten schon eine simple Frage nach der Spendebereitschaft als Eingriff in die Privatsphäre, der Rest sieht die Interessen der Organbewerber verletzt, wenn nichtmal minimaler Entscheidungsdruck aufgebaut werden darf))? Im schlimmsten Fall müssen sich alle permanent zurückhalten, weil irgendeine Minderheit sich auf bizarre Weise in ihren Rechten verletzt sieht. Ein Beispiel wäre die Forderung marginaler Religionsgruppen nach einem eigenen Religionsunterricht an den Schulen, aber es gäbe auch andere Beispiele, falls du ein Schulsystemargument wegen deiner erziehungstechnischen Einstellung nicht gelten lassen willst.

Jetzt aber nochmal ans zentrale Problem, das Spannungsverhältnis zwischen kollektiven und individuellen Interessen. Ich habe das Beispiel des Straßenverkehrs hier schon öfter gebracht, weil es so wunderbar verständlich ist und einfach ausnahmslos jeder es mit eigener Anschauung verbinden kann:
Es ist empirisch bewiesen (!), dass Straßenverkehr flüssiger fließt, wenn alle Fahrzeuge annähernd dieselbe Geschwindigkeit fahren. Alle Verkehrsteilnehmer kommen dann im Durchschnitt schneller ans Ziel und ich denke, wir dürfen für die übergroße Mehrheit der Teilnehmer annehmen, dass schnell von A nach B kommen als ihr Interesse definiert werden darf. Einzelne Teilnehmer haben es aber besonders eilig und überholen permanent, wechseln Spuren, schneiden andere Fahrzeuge. Dieses Fahrverhalten sorgt im Verkehrsfluss für Störungen, die sich aufschaukeln, weshalb die durchschnittliche Fahrzeit für alle andern Fahrer steigt!
Ich formuliere es nochmal anders, dass es wirklich klar ist:
Individualinteresse: So schnell wie möglich von A nach B kommen (niedrigmöglichste Fahrzeit).
Kollektivinteresse: Alle kommen so schnell wie möglich von A nach B (niedrigmöglichste durchschnittliche Fahrzeit).
Ergebnis, wenn jeder ausschließlich sein Indivualinteresse verfolgt: niedrigmöglichste Fahrzeit für einige wenige Teilnehmer, erhöhte durchschnittliche Fahrzeit für alle Teilnehmer PLUS höheres Unfallrisiko für alle.
Ergebnis, wenn jeder ausschließlich dem Kollektivinteresse folgt: niedrigmöglichste durchschnittliche Fahrzeit, aber keine Möglichkeit mehr, die tatsächliche Rekordzeit zu erreichen (und wenn man im Rettungswagen liegt, ist das mehr als nur ein kleines Befindlichkeitsproblem)
Ergo: Es gibt bezogen auf die Geschwindigkeit eines in seiner Kapazität beschränkten Verkehrsystems einen Konflikt zwischen kollektivem und individuellem Interesse, der logisch nicht auflösbar ist (wie die meisten Dilemmata). Es gibt selbstverständlich vernünftige Hybridlösungen (z.B. Vorfahrtsrecht für Blaulichtträger und Überholspuren), diese lösen aber nicht das eigentliche Problem, nämlich dass eben jeder Egoist dem anonymen Körper des Kollektivs schadet (Staus werden in der Mehrheit der Fälle durch Fahrfehler ausgelöst, viele davon sind idiotische Drängelversuche, der Schaden dadurch lässt sich sogar sehr grob in volkswirtschaftlichen Verlusten beziffern, ich rede hier also ganz sicher nicht über ein akademisches Phantomproblem).

Ähnliche Beispiele wären Schwarzfahrer und zahlende Fahrgäste (Geld sparen ist Individualinteresse, fahrende Züge sind das kollektive Interesse) und eigentlich generell alle kollektiven Ressourcen, die sich vergleichsweise einfach auf Kosten der ehrlich zahlenden Mehrheit mitnutzen lassen. Philosophisch und vor allem emotional wohl sogar noch deutlich sensibler sind Fragen der kollektiven Sicherheit, wenn es also in Form von Polizei und Militär um ganz offene Gewaltanwendung des Staates geht, aber im Grunde geht es um logisch ähnlich strukturierte Konflikte.

Natürlich kannst du behaupten, dass vielleicht gar nicht alle mit der Bahn fahren wollen, der Einsiedler von der Alphütte z.B. nicht, wobei der trotzdem Steuern zahlt, die indirekt die Bahn mitfinanzieren. Das wäre dann radikale Habermas'sche Diskurstheorie: Wenn du nicht alle gefragt hast, kannst du keine allgemeinen Standards definieren. Ok, das wäre dann vom akademisch-theoretischen Standpunkt tatsächlich korrekt, für die lebenpraktische Umsetzung aber völlig irrelevant. Und ja, ich habe sehr wohl verstanden, dass deine Rhizom-Ideen in die Richtung noch stärkerer gesellschaftlicher Ausdifferenzierung und Pluralisierung gehen, aber das funktioniert halt nunmal nur in Bezug auf Bedürfnisse, bei denen Ressourcen nicht fair geteilt werden müssen. Das von dir vielgelobte Internet ist da natürlich ein dankbarer Kandidat, weil mit geringsten Ressourcen mehr Räume und Handlungsmöglichkeiten erzeugt werden können, als annähernd aufbrauchbar. Das relativiert sich aber, wenn ich neben dem Rechner meinen ans öffentliche Gasnetz angeschlossenen Heizkörper aufdrehe.
Überall da, wo es potentielle Ressourcenkonflikte gibt und das ist halt nunmal nicht nur in Subsaharaafrika, sondern praktisch überall, wo irgendwelche Menschen auf diesem endlichen Planeten herumlaufen, muss es eine kollektive Lösung geben, die fast immer der Maximalbefriedigung individueller Interessen diametral entgegenläuft. Nicht alle, aber viele gesellschaftliche Konfliktlinien drehen sich um daraus resultierende Verteilungskonflikte oder sind irgendwie mit diesen verbunden. Das kann man nicht wegabstrahieren.

Teh Asphyx hat geschrieben:Außerdem braucht eine offene Gesellschaft Utopien, um sich bewegen zu können, ist auch bei Karl Popper, Hans Albert und anderen nachzulesen.

Ich schätze die Herren, aber gerade der große Kritizist Albert wäre wohl wenig begeistert, wenn ich irgendwas glauben würde, nur weil er es gesagt hat.
Utopien sind ein aus der jakobinischen Ära stammendes Surrogat für religiöse Heilslehren, die die Erlösung aus der Zukunft in eine nahe Gegenwart verlegt haben. Sie sind grundlegendes Rüstzeug jedes Totalitarismus, den die Welt in den letzten 200 Jahren gesehen hat. Gut möglich, dass Popper und Albert gute Gründe hatten, Utopien positiver zu bewerten, aber Utopien sind ein gerngenutztes Instrument zur Gleichschaltung, was deinen ganzen Bestrebungen völlig zuwiderläuft. Ich bin auch ehrlich gesagt ziemlich irritiert, dass ausgerechnet jemand, der den Diskurs von Ideologie wegbringen möchte, so vehement Utopien verteidigt.
Ich persönlich bevorzuge eine Gesellschaft, die aus Vernunft und Pragmatismus heraus Wege des respektvollen Zusammenlebens und einen modus operandi findet, der kollektive Interessen so implementiert, dass möglichst große persönliche Freiräume erhalten bleiben. Aber ich leugne nicht aus utopischen Hoffnungen heraus, dass jeder dabei Kompromisse machen müssen wird und dass es manche dabei mehr trifft als andere.

Teh Asphyx hat geschrieben:Nenne Du doch mal ein paar Gründe, warum die etablierten Hierarchien gut sein sollen, anstatt mir einfach nur vorzuwerfen, dass ich was daran auszusetzen habe. Das ist nämlich absolut kein Argument.

Ich studiere Politikwissenschaft, da gewöhnt man es sich an, Gesellschaftsentwürfe kaltherzig zu zerlegen. Der Vorteil der bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftssysteme ist dabei, dass sie sich in der Realität beobachten lassen und damit zumindest gewisse Aussagen über ihre tatsächliche Realitäts- und Leistungsfähigkeit machen kann. Man akzeptiert auch irgendwann, dass normative Reinheit häufig überbewertet wird, weil es verflucht schwierig ist, überhaupt realisierbare Gesellschaftsentwürfe zu entwickeln und dass sich Ungerechtigkeiten dabei nur reduzieren, aber nicht abschaffen lassen; und selbst für die Reduktion braucht man häufig gute Randbedingungen, anderswo sorgen Ungerechtigkeiten/Ungleichheiten für Dynamiken, die letztlich allen nützen. Das zu negieren wäre ein moralistischer Fehlschluss. Es gibt keinen brutaleren Feuertest als die Wirklichkeit, wenn ein Modell gut sein soll, muss es da früher oder später durch, also warum nicht früher mit der Kritik beginnen?

Ich kann dir gerne sagen, was an "etablierten Hierarchien" so alles vorteilhaft sein könnte, wenn du mir sagst, was du damit meinst. Ich sehe nämlich ehrlich gesagt gar nicht, inwiefern unsere Gesellschaft nicht längst ein Rhizom ist. Es gibt unheimlich viele Machtpole (Regierung(en), Konzernvorstände, NGOs und Bürgerbewegungen, religiöse Würdenträger, große Medienhäuser, gut vernetzte Lokalpolitiker usw.), die alle irgendwie miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen. Wäre es anders, dann wäre Deutschland eine feudale Pyramide, in der Angela Merkel gnadenlos bis in die kleinste Hütte durchregieren könnte. Stattdessen muss sie auch erstmal Mehrheiten organisieren, Lobbies befriedigen, die Bürger überzeugen (oder einschläfern, je nachdem...), sich mit der Presse gutstellen, die Opposition vorführen, die Auswirkungen auf die Außenpolitik beachten... wenn du mal für einen Augenblick nicht ihre offizielle Amtsbezeichnung im Fokus hast, wo ist da de facto eine klare Hierarchie? Ich sehe eher ein Netzwerk sich gegenseitig beeinflussender Pole unterschiedlicher Wirkmacht - ein durchaus rhizomähnliches Gebilde. Ich verteidige gar nicht so sehr "etablierte Hierarchien", es ist mehr so, dass ich mir nicht sicher bin, ob dein Feindbild stimmig ist.

Dazu kommt noch etwas anderes: Hierarchie im Rhizom-Modell ist nicht Hierarchie im Sinne von Herrschaftshierarchie, wie sie, sagen wir mal, Max Weber definiert. Das eigentliche Rhizom-Modell beschreibt, wie ein Korpus an Wissen nach Relevanzkriterien sortiert werden kann. Es ist aber keineswegs so, dass z.B. die Wikipedia-Hauptseite an ihre verlinkten Seiten Weisungen geben kann und diese sich daraufhin verändern. Die Seiten sind unabhängig, interagieren nichteinmal tatsächlich miteinander, sie sind nur eingeordnet. Herrschaft im Weber'schen Sinne verlangt allerdings Disziplin (ich will's grad nicht nachsehen, ist ungefähr als sich jederzeit erfüllende Erwartung von Gehorsam definiert) von den untergebenen Organen. Das ist der Unterschied: Ein Rhizomknoten kann trotz großer Bedeutung keinen Gehorsam von anderen Knoten verlangen, ein hierarchisch übergeordneter Befehlshaber kann dies sehr wohl. In einer rhizomartigen Gesellschaft könnte man (s.o.) analog behaupten, dass Einflussnahme der Knoten aufeinander geschieht, dass also größere Knoten die kleineren zu einem bestimmten Maß zum Gehorsam veranlassen können. Das ist zwar ein nettes Modell, wie schon gesagt unserer Gesellschaft auch viel angemessener als eine Baum- oder Pyramidenhierarchie, es euphemisiert aber irgendwo auch wieder nur den Begriff "Hierarchie", denn Machtunterschiede werden, solange es Menschen mit ungleichen Ausgangsbedigungen gibt, immer existieren. Die Abschaffung von Hierarchie (in meinen Augen nichtmal unter allen Umständen wünschenswert) ist kein realisierbares Projekt! Genausowenig schafft das Rhizommodell Hierarchien ab, es stellt sie lediglich anders dar oder entzerrt sie an manchen Stellen (was ja durchaus begrüßenswert sein kann, keine Frage!). Du steckst zu viel Erwartung in dieses Modell, wahrscheinlich ist es das, was ich etwas Widerspruch provozierend finde.

Teh Asphyx hat geschrieben:Lies bitte genau, was ich schreibe und wenn was unklar ist, frage nach, aber unterstelle mir nicht irgendeinen Mist, weil Du von dem einen auf das andere schließt.

Zur Kommunikation gehören immer zwei, als schreib auch bitte genau, was ich lesen soll und wenn etwas unklar ist, formuliere es neu, so dass ich nicht nachfragen muss oder irgendwelchen Mist unterstelle. Aussagen in der Richtung von "ich bin gegen xyz, weil es totalitär ist" sind mangels klarer Begriffsdefinition und unklarer Herleitung nunmal gute Kandidaten für Widerspruch. Außerdem hatte ich dich schon hier und da gebeten, etwas mehr Zusammenhänge zu erläutern.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 19. Nov 2011, 12:05

Ah, so gefällt mir das schon besser. Danke für die ausführlichere Antwort auf meine Punkte, auf die ich gerne eingehen will. Ich glaube, wir sind da gar nicht so verschiedener Ansicht, wie es den Anschein gehabt haben mag und klar, ich weiß, dass ich mich hier auch teilweise etwas knapp geäußert habe. Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht so recht, welches Wissen ich als selbstverständlich erachten kann und welches nicht. Deswegen sind ja auch solche Diskussionen wichtig und ich nehme es Dir auch nicht übel, mich missverstanden zu haben, genauso wie ich annehme, dass Du es mir nicht übel nimmst, mich hier und da zu knapp zu artikulieren (das schließe ich jedenfalls daraus, dass Du mir jetzt ausführlicher geantwortet hast).

Die Passagen, auf die ich mich beziehe, zitiere ich teilweise aus Platzgründe verkürzt.

Nanna hat geschrieben:Jedesmal, wenn ich zusammen mit anderen Leuten in die S-Bahn (kollektives Verkehrsmittel) steige, […] dass unsere Zivilisation im Großen und Ganzen auf der Wahrung kollektiver Interessen angewiesen ist.


Klar gibt es diese kollektiven Interessen (wobei es ja ein paar Leute gibt, die behaupten, sich nur von Licht ernähren zu können, aber na ja …), die sind sogar äußerst trivial, aber sobald es darum geht, welche Art von Nahrung, da streiten sich schon wieder die Gemüter. Richard David Precht scheint ja zum Beispiel der Ansicht zu sein, dass weniger Vielfalt bei der Nahrung dem Gemeinwohl dient und verwechselt dabei auch noch Freiheit und Vielfalt und will damit begründen, warum zu viel Freiheit nicht gut ist. Das peinliche Video, das auch noch durch Zwangsgeld finanziert ist, gibt es hier: http://www.youtube.com/watch?v=bY6s23aX5rY
Klar, er ist DDR-Fan und da hatte man solche Ansichten, aber die Gefahr ist halt immer wieder da, dass wenn das Allgemeinwohl in seiner Definition über die wenigen trivialen Dinge wie Nahrung, Luft und Wasser hinausgeht, eben totalitäre Ausmaße annimmt. Und um die paar trivialen Dinge festzustellen, muss ich keine Studien durchführen.
Bei Gesundheit und Bildung sehe ich schon nicht mehr ein kollektives Interesse. Klar möchte ich mich in meinem Körper wohl fühlen (was manchen Menschen aber von Geburt an mehr oder weniger verwehrt ist), allerdings möchte ich, wenn ich krank bin, auch das Recht haben, krank zu sein, allerdings bin ich dann ständig damit konfrontiert, möglichst schnell wieder funktionieren zu sollen und – als ob das nicht schon genug wäre – ich soll das auch noch selbst so wollen. Zur Bildung komme ich gleich noch.

Nanna hat geschrieben:Dein "andere Interessen dürfen nicht verletzt werden"-Disclaimer klingt in dem Zusammenhang übrigens gut, ist aber auch ein Gummiparagraph, denn wer entscheidet denn bei Interessenkollision, welches Interesse vorzugehen hat (schau mal z.B. in den Organspende-Thread, da siehst du ganz gute Beispiele für kollidierende Interessen (Gandalf/stine betrachten schon eine simple Frage nach der Spendebereitschaft als Eingriff in die Privatsphäre, der Rest sieht die Interessen der Organbewerber verletzt, wenn nichtmal minimaler Entscheidungsdruck aufgebaut werden darf))?


Auch wenn ich finde, dass die gewaltfreie Kommunikation hier gute Dienste leisten könnte, so sehe ich auch das Problem, dass das eben ein Idealfall ist, der nicht der Realität entspricht. Und das Erlernen von gewaltfreier Kommunikation erzwingen zu wollen, ist natürlich Humbug, weil es der Sache zuwider läuft (Gewaltfreiheit durch Gewalt erzwingen zu wollen kann meiner Ansicht nach nur schief gehen).
Die Frage nach der Spendebereitschaft ist ein Eingriff in die Privatsphäre, das ist zwar richtig, aber dem muss man sich, wenn man mit anderen Menschen zusammen lebt, auch stellen. Es gibt kein Zusammenleben ohne Eingriffe in die Privatsphäre. Selbst wenn man andere Menschen meidet, gibt es andere Dinge, die auch in die Privatsphäre eingreifen. Aber ich kann mir vorstellen, dass es einigen lieber ist, so was mit einem ihm/ihr nahestehenden Menschen zu besprechen als mit einem anonymen Bürokraten.

Nanna hat geschrieben:Im schlimmsten Fall müssen sich alle permanent zurückhalten, weil irgendeine Minderheit sich auf bizarre Weise in ihren Rechten verletzt sieht. Ein Beispiel wäre die Forderung marginaler Religionsgruppen nach einem eigenen Religionsunterricht an den Schulen, aber es gäbe auch andere Beispiele, falls du ein Schulsystemargument wegen deiner erziehungstechnischen Einstellung nicht gelten lassen willst.


Ich denke, dass Zurückhaltung eh nur dann Sinn ergibt, wenn es auch wirklich irgendwen betrifft. Wenn eine marginale Religionsgruppe irgendwas will, wird das wohl eher nicht das ganze Land betreffen (es sei denn, die sind sehr breit verteilt, da würde es aber im Sinne der „Gruppe“ sein, sich dann einen Ort zu suchen, wo sie beisammen ist).
Ich habe nichts gegen ein öffentliche Bildungssystem, ich habe nur etwas gegen ein Zwangssystem, wie es das in Deutschland gibt. In anderen EU-Ländern und in den USA wird das ganze lockerer gehandhabt und es gibt sehr gute Erfahrungen mit Homeschoolern (die sich auch organisieren und gemeinsame Unternehmungen machen etc.). Ich denke schon, dass man als Gesellschaft auch in der Verantwortung steht, allen Mitmenschen den Zugang zu Bildung anzubieten, wobei ich den Zugang nicht nur auf Bildung beschränken würde, sondern auch auf Nahrung, Wasser, Wärme und Mittel zum kreativen Ausdruck ausdehnen (im Gegensatz zu der Piratenpartei, die nur zu den fertigen Produkte einen freien Zugang legen will, aber der Punkt wäre eher ein eigenes Thema wert), was bedingungslos zur Verfügung stehen sollte – ein monetäres bedingungsloses Grundeinkommen finde ich hingegen nicht sinnvoll – und nein, ich weiß nicht, wie man das realisieren kann, aber ich schlage es für eine ernsthafte Überprüfung vor. Denn wenn man darauf setzt, dass man sich das ganze „verdienen“ muss und dabei auch noch sagt, dass eine grundlegende Versorgung aller Menschen mit diesen Dingen gar nicht möglich sei, dann ist diese Gerechtigkeit am Markt letztendlich nur eine Farce, da in Wirklichkeit Auslese betrieben wird, dem Einzelnen aber selbst die Schuld für sein Schicksal gegeben und das noch per staatlicher Gewalt legitimiert. Dann verlange ich, dass wenigstens mit offenen Karten gespielt wird und die Leute, denen es besser geht, zugeben, dass es nicht gerecht ist und dass sie Glück gehabt haben, aber sie sollen nicht behaupten, wir würden in den besten aller Zeiten leben, nur weil sie in den besten aller Zeiten für sich selbst leben. Wenn ich nämlich eines gar nicht abkann, dann ist das Heuchelei.
Aber da erwähntest Du auch woanders was von ehrlicher Autorität und versteckter Autorität (die als scheinbare Freiheit verkauft wird), ich meine, so in etwa konnte ich dem zustimmen, denn mit einer offenen Autorität kann man wenigstens arbeiten. Wenn man aber, was ja eben momentan in vielen Diskussionen über die Krise auch der Fall ist, von falschen Prämissen ausgeht, kommt man nur durch sehr viel Glück auf das richtige Ergebnis (Ayn Rands Lieblingsmantra: „Überprüft stets eure Prämissen!“ – ja, ich befasse mich sowohl mit Marxismus, als auch mit der gegenteiligen Seite, immerhin habe ich bei ihr auch brauchbare Aussagen gefunden, aber ebenso viele dumme – ich finde aber, man sollte Ayn Rand als Politikinteressierter allein deshalb gelesen haben, weil sie in den USA sehr einflussreich ist und man vieles dadurch besser versteht – abwertende Sekundärliteratur, die ihr meistens die Worte im Mund verdreht, jedenfalls im deutschsprachigen Raum, hilft da eher wenig).

Zum Straßenverkehr (das Zitieren des Beitrages lasse ich hier mal aus):
Wenn jemand den Drang hat, schneller zu fahren, muss es nicht unbedingt Egoismus sein, manchmal kann es auch den Grund haben, dass jemand spät dran ist, weil ihn andere Umstände daran gehindert haben, früher loszukommen. Wollte ich angemerkt haben, da „Egoist“ oftmals abfällig gebraucht wird und ich das in dem Zusammenhang nicht unbedingt immer passend finde.
Ich finde in dem Zusammenhang interessant, dass es zur Zeit Experimente gibt, wo auf Verkehrsregeln verzichtet wird bis auf das Gebot zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Ich bin sehr gespannt, wie die Ergebnisse sein werden. Es gibt allerdings schon Fälle, wo der Verkehr ohne Regeln (bis auf die sogar für die meisten Leute selbstverständliche Rücksichtnahme) tatsächlich im Großen und Ganzen besser lief. Ich hatte da mal ein Beispiel, das müsste ich aber erst wieder suchen. Wenn Interesse besteht, mache ich das gerne.
Vielleicht ist die Lösung hier aber auch nicht im Verkehr selbst zu finden, sondern bei den Ursachen dafür, dass es viele Menschen nötig haben, sich so sehr zu beeilen, dass sie ständig ihr Leben und das von anderen gefährden. Das Problem ist nämlich oft, dass solche Dinge zu sehr als in sich geschlossenes System betrachtet werden und andere Faktoren deshalb unberücksichtigt bleiben.

Nanna hat geschrieben:Ähnliche Beispiele wären Schwarzfahrer und zahlende Fahrgäste […] aber im Grunde geht es um logisch ähnlich strukturierte Konflikte.


Geht es beim Schwarzfahren nur um Geld sparen oder nicht auch oftmals um haben oder nicht haben? Ich denke, dass das auch wieder einen sehr großen Unterschied macht, weil es um ganz andere Bedürfnisse geht.

Nanna hat geschrieben:Natürlich kannst du behaupten, dass vielleicht gar nicht alle mit der Bahn fahren wollen, der Einsiedler von der Alphütte z.B. nicht, wobei der trotzdem Steuern zahlt, die indirekt die Bahn mitfinanzieren. Das wäre dann radikale Habermas'sche Diskurstheorie: Wenn du nicht alle gefragt hast, kannst du keine allgemeinen Standards definieren. Ok, das wäre dann vom akademisch-theoretischen Standpunkt tatsächlich korrekt, für die lebenpraktische Umsetzung aber völlig irrelevant.


Ich denke dennoch, dass in der Gesellschaft genug Interesse besteht, das bestehen von öffentlichen Verkehrsmitteln aufrecht zu erhalten, sodass Zwangsgelder dafür nicht nötig wären. Von daher ist Habermas hier für mich fehl am Platze (auch sonst, ihm kann ich wirklich gar nichts abgewinnen bisher).

Nanna hat geschrieben:Das von dir vielgelobte Internet ist da natürlich ein dankbarer Kandidat, weil mit geringsten Ressourcen mehr Räume und Handlungsmöglichkeiten erzeugt werden können, als annähernd aufbrauchbar. Das relativiert sich aber, wenn ich neben dem Rechner meinen ans öffentliche Gasnetz angeschlossenen Heizkörper aufdrehe.


So viel lobe ich das Internet nicht, ich bin da auch sehr kritisch. Ich sehe lediglich, dass es neue Möglichkeiten bietet und somit auf jeden Fall ein Potential besitzt. Weiter würde ich aber auch gar nicht gehen (um das Missverständnis auch mal auszuräumen). ;-)

Nanna hat geschrieben:Überall da, wo es potentielle Ressourcenkonflikte gibt und das ist halt nunmal nicht nur in Subsaharaafrika, […] Das kann man nicht wegabstrahieren.


Dem stimme ich zu.

Nanna hat geschrieben:Ich schätze die Herren, […] dass jeder dabei Kompromisse machen müssen wird und dass es manche dabei mehr trifft als andere.


Vielleicht haben wir eine andere Definition von Utopien. Jedenfalls würde ich niemals positiv von irgendwas sprechen, was mit Jakobinern zu tun hat. Ich dachte dabei an eine Idealvorstellung einer Gesellschaft, an der man sich orientiert, wenn man versucht, sich dieser anzunähern. Mir würde es schwer fallen, das Elend, das nunmal faktisch auf dieser Welt besteht und auch die Unannehmlichkeiten, die ich ertragen muss, auf die ich keinen Einfluss habe, zu ertragen, wenn ich nicht die Vorstellung hätte, dass es zumindest in der Zukunft besser werden könnte, noch schöner, wenn ich einen kleinen Teil dazu beitragen kann. An Revolutionen und gewaltsamen Umsturz denke ich da nicht, obwohl ich schon manchmal Lust dazu hätte. Aber Ideologie-Abbau kann eben nur langsam geschehen. Was ich einfach nur zynisch finde, ist dass einige behaupten, wir würden in einer ideologiefreien Zeit leben, weil wir gerade mal angefangen haben, uns auf eine offene Gesellschaft hinzubewegen. Bis eine Gesellschaft frei von Ideologie sein kann, braucht es – wenn das überhaupt möglich ist – sehr viel Zeit und viel Geduld. Insofern ist meine „Utopie“ einfach, dass das mal möglich sein könnte.

Nanna hat geschrieben:Ich studiere Politikwissenschaft, da gewöhnt man es sich an, Gesellschaftsentwürfe kaltherzig zu zerlegen.


Aber Du bist doch in der Lage, eine anständige Diskussion mit Argumenten, die auch Inhalt besitzen und nicht nur Form, zu führen. Ich habe ja bisher gar keinen Entwurf, ich bin auch eher dabei kaltherzig mit den jetzigen Gesellschaften zerlegend umzugehen. Wobei ich dabei vor allem versuche rauszufinden, wo Faktoren – wie bei dem Verkehrsbeispiel – eine Rolle spielen, die nicht bedacht werden und Selbstbetrug und Heuchelei aufzudecken, um die richtigen Prämissen für Schlussfolgerungen zu bekommen.

Nanna hat geschrieben:Der Vorteil der bestehenden Herrschafts- und Gesellschaftssysteme ist dabei, […] muss es da früher oder später durch, also warum nicht früher mit der Kritik beginnen?


Aus dem Grund lehne ich Gesellschaftsentwürfe auch grundsätzlich ab, weil mich viel mehr die Kritik (was ich eher im philosophischen Sinne meine) des Bestehenden interessiert. Was soll ich also mit einem Vorschlag machen, der sagt, Marktwirtschaft sei schon in Ordnung, wir müssen nur mit ein bisschen mehr moralisieren fürs Allgemeinwohl sorgen. Warum nicht die Marktwirtschaft in Frage stellen (damit meine ich exakt das: in Frage stellen, nicht schon gleich ablehnen)? Als wäre die irgendein heiliges unantastbares Gut. So kann man nicht wissenschaftlich arbeiten. Genauso wie man keine Evolutionstheorie entwickeln kann, wenn man den göttlichen Schöpfungsmythos als wahr und als unantastbares Gut annimmt.

Nanna hat geschrieben:Ich kann dir gerne sagen, was an "etablierten Hierarchien" so alles vorteilhaft sein könnte, wenn du mir sagst, was du damit meinst.


Ich meine damit Dinge wie ein Gewaltmonopol in der Hand des Staates (auch wenn der Staat weitaus abstrakter geworden ist, als zu L’état-c’est-moi-Zeiten), Steuern, die juristisch gesehen den Tatbestand einer räuberischen Erpressung ausmachen. Die Legitimation finde ich ein wenig schwach, weil ich nicht wirklich die Wahl habe. Es gibt keinen alternativen Ort auf der Erde, wo man hingehen könnte und selbst wenn, müsste man erstmal die Mittel haben. Ich bin also einfach dadurch, dass ich existiere, dem Staat (nicht der Gesellschaft oder einer Gesellschaft, da es ja nicht einfach DIE Gesellschaft gibt) verpflichtet und habe diesbezüglich keine Wahl. Dass ich alle vier Jahre irgendwo ein Kreuz machen darf, hilft mir da nicht viel.

Nanna hat geschrieben:Ich sehe nämlich ehrlich gesagt gar nicht, inwiefern unsere Gesellschaft nicht längst ein Rhizom ist. […] Ich verteidige gar nicht so sehr "etablierte Hierarchien", es ist mehr so, dass ich mir nicht sicher bin, ob dein Feindbild stimmig ist.


Es gibt immer noch Staatsgrenzen und da wenig übergreifendes, wobei ich auch sagen muss, dass in dieser Hinsicht Deutschland sehr viel Toleranz zeigt, sodass Projekte wie die Euregio überhaupt möglich sind. Frag mal Frankreich und Spanien zum Baskenland als Euregio, da wirst Du Zentralismus pur als Reaktion erleben. Ich versuche das Ganze immer möglichst global zu sehen, da inzwischen definitiv alle Gesellschaften miteinander im Zusammenhang stehen. Deswegen nerven mich auch Forderungen in der Richtung, dass die EU weg soll usw. Ich bin klarer EU-Befürworter, sehe allerdings die Richtung, die da momentan eingeschlagen wird auch als bedenklich an. Die Frage ist für mich dann eher, was man besser machen kann. Genauso Globalisierung. Ich würde nicht sagen, dass sie nicht aufzuhalten wäre, aber es wäre falsch, zu versuchen, sie aufzuhalten, richtiger wäre, zu sehen, was man daraus macht. Momentan sehe im Zuge der Globalisierung ich eine Verstärkung der Idee der Nationalstaaten, die ich bedenklich finde. Eben genau hier finde ich das Rhizom-Modell interessant. Denn die Hierarchien, die ich bedenklich finde, sind eben diese nationalstaatlichen Trennungen, die trotz übergeordneter Staatenbündisse immer noch bleiben. Grenzübergreifende Europa-Regionen sehe ich als Chance zur Veränderung an und als etwas, was mehr bewirken kann, als eine bestimmte Partei im Nationalstaat zu wählen.

Nanna hat geschrieben:Genausowenig schafft das Rhizommodell Hierarchien ab, es stellt sie lediglich anders dar oder entzerrt sie an manchen Stellen (was ja durchaus begrüßenswert sein kann, keine Frage!). Du steckst zu viel Erwartung in dieses Modell, wahrscheinlich ist es das, was ich etwas Widerspruch provozierend finde.


Ich denke nicht, dass es Hierarchien komplett aufheben würde, aber durchaus verändern und ich denke schon, dass es vielen Menschen einen erweiterten Handlungsspielraum geben würde. Das Rhizom ist für mich auch nicht die Lösung, sondern eine interessante Möglichkeit, die mehr Beachtung finden sollte, gerade in Anbetracht dessen, dass es in der EU starke Staaten gibt, die eine sehr zentralistische Position vertreten (allen voran Frankreich, mein größtes Sorgenkind in der EU zur Zeit).

Nanna hat geschrieben:Außerdem hatte ich dich schon hier und da gebeten, etwas mehr Zusammenhänge zu erläutern.


Das habe ich in dem Occupy-Thema auch noch vor, wobei ich jetzt hier das eine oder andere wohl schon beantwortet habe.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Gandalf » Sa 19. Nov 2011, 13:43

Teh Asphyx hat geschrieben:Richard David Precht scheint ja zum Beispiel der Ansicht zu sein, dass weniger Vielfalt bei der Nahrung dem Gemeinwohl dient und verwechselt dabei auch noch Freiheit und Vielfalt und will damit begründen, warum zu viel Freiheit nicht gut ist. Das peinliche Video, das auch noch durch Zwangsgeld finanziert ist, gibt es hier: http://www.youtube.com/watch?v=bY6s23aX5rY
Klar, er ist DDR-Fan und da hatte man solche Ansichten, aber die Gefahr ist halt immer wieder da, dass wenn das Allgemeinwohl in seiner Definition über die wenigen trivialen Dinge wie Nahrung, Luft und Wasser hinausgeht, eben totalitäre Ausmaße annimmt.


Stimmt, peinliches Video. Das ist die "creme" unserer heuteigen Philosophen? Er versteht nicht, dass die vielen (verschieden bunt verpackten) Suppen nur deshalb angeboten, werden, weil sie wohl Abnehmer finden, die auf (freie) Unterscheidungen wert legen - und das evolutionär betrachtet Sinn macht. Nicht die Nachfrage macht den Wohlstand einer Gemeisnchaft aus, sondern die Vielzahl und die Qualität der 'Angebote'!

Wenn Du zum Feiheitsbegriff Popper erwähnst, solltes Du allerding im selben Atemzug allerdings mehr noch Hayek nennen. Daher verstehe ich u.a. z.B. auch folgende Aussagen von Dir nicht:
Teh Asphyx hat geschrieben:(dass in Ländern der dritten Welt eine sehr hohe Nachfrage nach Nahrungsmitteln besteht, ist für die Marktwirtschaft irrelevant, weil dort die Kaufkraft fehlt – und das, obwohl die Menschen dort genug gegen zu bieten hätten)

- Was ein Widerspruch ist. Denn kann ich etwas bieten, habe ich immer Kaufkraft. Es ist doch nur die Frage, wie und durch was die Kaufkraft durch äußere Umstände, die die beiden Vertragsparteien nicht zu verantworten haben 'entwertet' wird, so dass sie ihre Kraft verliert!? (und was man tun kann, diese "Effizienzverluste" zu minimieren)
Teh Asphyx hat geschrieben:und zweitens daran, dass die Idee herrscht, dass getauscht werden müsse, das heißt, das für jede Leistung eine Gegenleistung in irgendeiner Form erfolgen müsse.

ja gut, wir kennen Betrug, Raubrittertum, Mafia und Feudalsystem, etc. bei dem das so ist. - Wie sollten wir demnach dieses System nennen, das Du vorschlägst, bei dem die einen das Tauschgut abnehmen (konsumieren) und die anderes das Tauschgut ohne Gegenleistung anbieten (erarbeiten)?

Hier ein sher guterArtikel von einem 'politischen Soziologen' (Michael Zöller, Uni Bayreuth), von dem sich die heutigen Ökonomen einiges abschneiden können (wobei ich dennoch der Meinung bin, dass der "aktuelle Neoliberalismus" sein Schärflein zur "Ursache" mit beigetragen hat, da er das Zwangsgeldsystem nicht hinterfragt)
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d ... 24932.html
(Auszug:)....Von einer Entlastung der Allgemeinheit durch individuelle Vorsorge, also von einer Wettbewerbsgesellschaft, in der Freiheit und Selbstverantwortung anerkannt sind, kann keine Rede mehr sein. Nicht Globalisierung oder Neoliberalismus haben uns in diese Lage gebracht, sondern der Versuch, Logik und Moral des Kapitalismus außer Kraft zu setzen. Dass dies auf Dauer nicht gelingen kann, ist ein geringer Trost.


(Im übrigen: Gehört dieser Thread hier zum "Wissenschaftsbereich" ?)
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 19. Nov 2011, 14:15

Gandalf hat geschrieben:- Was ein Widerspruch ist. Denn kann ich etwas bieten, habe ich immer Kaufkraft. Es ist doch nur die Frage, wie und durch was die Kaufkraft durch äußere Umstände, die die beiden Vertragsparteien nicht zu verantworten haben 'entwertet' wird, so dass sie ihre Kraft verliert!? (und was man tun kann, diese "Effizienzverluste" zu minimieren)


Nein, nicht wenn man die Leute in der dritten Welt ihre Rohstoffe auch abknüpfen kann, ohne ihnen dazu etwas zurück zu geben. Das ist mein Problem bei Hayek und auch bei sonstigen Liberalen, dass da immer von einer idealen Handelssituation ausgegangen wird und alles andere dabei ausgeblendet.

Gandalf hat geschrieben:ja gut, wir kennen Betrug, Raubrittertum, Mafia und Feudalsystem, etc. bei dem das so ist. - Wie sollten wir demnach dieses System nennen, das Du vorschlägst, bei dem die einen das Tauschgut abnehmen (konsumieren) und die anderes das Tauschgut ohne Gegenleistung anbieten (erarbeiten)?


Es geht mir nicht um Tauschgut, sondern um existenznotwendige Ressourcen. Ich habe nie gesagt, dass die einen das erarbeiten und die anderen das konsumieren sollen. Aber selbst wenn, wo ist das Problem? Was ist daran so schlimm, wenn nicht jeder einen gleichwertigen Beitrag leistet und trotzdem alle versorgt sind, solange keiner gezwungen wird, zu arbeiten? Wie willst Du überhaupt messen, welches Gut welchen Wert hat? Ich hatte auch mal gedacht, dass Angebot und Nachfrage das von alleine regeln würden, aber das ist nicht richtig, viele andere Faktoren spielen eine Rolle und Angebot und Nachfrage können manipuliert werden. Und ich weiß, dass es keinen realen Versuch eines reinen Kapitalismus gab, aber man kann auch so absehen, dass es nicht zu dem gewünschten Ziel führen würde.

Gandalf hat geschrieben:Hier ein sher guterArtikel von einem 'politischen Soziologen' (Michael Zöller, Uni Bayreuth), von dem sich die heutigen Ökonomen einiges abschneiden können (wobei ich dennoch der Meinung bin, dass der "aktuelle Neoliberalismus" sein Schärflein zur "Ursache" mit beigetragen hat, da er das Zwangsgeldsystem nicht hinterfragt)
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/d ... 24932.html
(Auszug:)....Von einer Entlastung der Allgemeinheit durch individuelle Vorsorge, also von einer Wettbewerbsgesellschaft, in der Freiheit und Selbstverantwortung anerkannt sind, kann keine Rede mehr sein. Nicht Globalisierung oder Neoliberalismus haben uns in diese Lage gebracht, sondern der Versuch, Logik und Moral des Kapitalismus außer Kraft zu setzen. Dass dies auf Dauer nicht gelingen kann, ist ein geringer Trost.


Gut, dass das mal jemand in so einem Rahmen sagt, ich kenne solche Statements sonst nur von eher unbekannten Leuten wie Oliver Heuler auf http://www.voluntarist.de/ (die Seite kann ich auch empfehlen, auch wenn er da einigen Irrtümern unterliegt, ist es gut, sich mal mit diesen libertären Gedanken zu befassen).
Das Problem ist nur, dass selbst, wenn man jetzt einen Reset machen würde und jeder mit den gleichen Startbedingungen in einer rein kapitalistischen Gesellschaft leben würde, spätestens über die Vererbung von Eigentum (Kapital) sich ganz schnell wieder eine Aristokratie bilden würde, weil eben durch das Erbe Menschen an Eigentum kommen, das sie nicht „verdient“ haben, sondern nur haben durch das Glück, in der richtigen Familie geboren zu sein. Und dieses Eigentum bedeutet Macht. Für dieses Erbschaftsproblem habe ich bisher von keinem Befürworter des Kapitalismus eine sinnvolle Lösung gehört.

PS:
China ist ein wunderbares Beispiel, dass eine autoritäre Marktwirtschaft noch viel viel effizienter sein kann, als die viel gepriesene „freiheitliche“ Marktwirtschaft, das sollte zu denken geben (wobei ich keinesfalls für das chinesische System bin, aber es beweist so schön, dass Marktwirtschaft und Freiheit keine Synonyme sind).
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Gandalf » Mo 21. Nov 2011, 20:10

Teh Asphyx hat geschrieben: Das ist mein Problem bei Hayek und auch bei sonstigen Liberalen, dass da immer von einer idealen Handelssituation ausgegangen wird und alles andere dabei ausgeblendet.

Diese "Idealvorstellung" kannst Du jedenfalls nicht von den Liberalen übernommen haben, da sie wissen, das die Zukunft ungewiss ist und es 'nie' ein Ideal geben kann, sondern nur den 'Versuch' einer bestmöglichen Adaption (die zudem immmer wieder neu auf den Prüfstand muss). Es geht nicht darum "die beste Ideologie" durchzusetzen, sondern um 'Wachsamkeit' und darum "wie man seine Werkzeuge scharf hält"
So ist bezüglich der "3. Welt" zu fragen: Was ist die Ursache, dass das so ist (wenn das stimmt, was Du behauptest)
Teh Asphyx hat geschrieben:
Gandalf hat geschrieben:ja gut, wir kennen Betrug, Raubrittertum, Mafia und Feudalsystem, etc. bei dem das so ist. - Wie sollten wir demnach dieses System nennen, das Du vorschlägst, bei dem die einen das Tauschgut abnehmen (konsumieren) und die anderes das Tauschgut ohne Gegenleistung anbieten (erarbeiten)?


Es geht mir nicht um Tauschgut, sondern um existenznotwendige Ressourcen. Ich habe nie gesagt, dass die einen das erarbeiten und die anderen das konsumieren sollen. Aber selbst wenn, wo ist das Problem? Was ist daran so schlimm, wenn nicht jeder einen gleichwertigen Beitrag leistet und trotzdem alle versorgt sind, solange keiner gezwungen wird, zu arbeiten?


Also doch Mafia, Knechtschaft und Betrug: Das Problem ist, das auch diejenigen die arbeiten ebenfalls das Recht haben (müssen) nicht für 'andere arbeiten zu wollen'! Das geht nur in einer Phantasiewelt gut (vorzugsweise in einschlägig bekannten sozialistischen Takka-Tuka-Ländern") Alle anderen Gemeinschaften benötigen eine gehörige Portion Totalitarismus und/oder Betrug, um die arbeitsfähigen zum arbeiten zu bewegen

Teh Asphyx hat geschrieben: Wie willst Du überhaupt messen, welches Gut welchen Wert hat?

Das ist doch eine Grundaussage der (libertären) österreichischen Konjunkturtheorie, die von allen anderen volkswirtschaftlichen Lehren de "Mainstreams" bestritten wird: Niemand kann das! Und weil das niemand kann, - bildet sich die Wertrelation bei jedem Tausch neu und individuell. Ein Apfel ist genauso wie zB. ein Computer jedem Menschen etwas 'anderes wert'. Das wissen Du und ich - aber die meisten Nobelpreisträger der Wirtschaftswissenschaften ...nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich hatte auch mal gedacht, dass Angebot und Nachfrage das von alleine regeln würden, aber das ist nicht richtig, viele andere Faktoren spielen eine Rolle und Angebot und Nachfrage können manipuliert werden. Und ich weiß, dass es keinen realen Versuch eines reinen Kapitalismus gab, aber man kann auch so absehen, dass es nicht zu dem gewünschten Ziel führen würde.

Angebot und Nachfrage werden sogar massiv (von staatlichen Institutionen) manipuliert - deshalb haben wir ja auch aktuell "die Krise". Die heftigen Marktreaktionen sind keine Bösartigkeiten von irgendwelchen radikalen Kapitalisten, sondern die 'natürliche (Ausgleichs-)Reaktion' (zumindest der Versuch dessen) eines hoch manipulierten Marktes!


Teh Asphyx hat geschrieben:Das Problem ist nur, dass selbst, wenn man jetzt einen Reset machen würde und jeder mit den gleichen Startbedingungen in einer rein kapitalistischen Gesellschaft leben würde, spätestens über die Vererbung von Eigentum (Kapital) sich ganz schnell wieder eine Aristokratie bilden würde, weil eben durch das Erbe Menschen an Eigentum kommen, das sie nicht „verdient“ haben, sondern nur haben durch das Glück, in der richtigen Familie geboren zu sein. Und dieses Eigentum bedeutet Macht. Für dieses Erbschaftsproblem habe ich bisher von keinem Befürworter des Kapitalismus eine sinnvolle Lösung gehört.

Möglicherweise gibt es auch hier nicht 'die' Lösung. Denn niemand anders wie die Libertären streiten so heftig darüber, da ja verschiedene Freiheitsrechte beim Erbrecht konträr aufeinandertreffen. Da man es mit hoher Wahrscheinlichkeit also nur falsch machen kann, sollte man jederzeit offen für Korrekturen sein.

Teh Asphyx hat geschrieben:China ist ein wunderbares Beispiel, dass eine autoritäre Marktwirtschaft noch viel viel effizienter sein kann, als die viel gepriesene „freiheitliche“ Marktwirtschaft, das sollte zu denken geben (wobei ich keinesfalls für das chinesische System bin, aber es beweist so schön, dass Marktwirtschaft und Freiheit keine Synonyme sind).


Merkantilismus ist ein schlechtes Beispiel. Auf kurze Sicht kann ich immer duch räuberische Ausbeutung und staatliche Lenkung von Ressourcen Vorteile erlangen. Das dies scheitern wird, ist schon jetzt abzusehen. (Was sollen denn die Chinesen mit ihrem Exportüberschuss anfangen?)
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon chulinn » Di 22. Nov 2011, 11:12

Gandalf hat geschrieben:
(Im übrigen: Gehört dieser Thread hier zum "Wissenschaftsbereich" ?)


Nachdem die Wirtschaftswissenschaft den Anspruch erhebt eine Wissenschaft zu sein, dachte ich dass der Thread hier richtig aufgehoben ist. Oder meinst Du wir gleiten zu sehr ins Philosophische ab?

Nannas Beiträge sind wie immer sehr anregend. Wobei ich nicht unbedingt ein Dilemma zwischen Individualinteresse und Kollektivinteresse sehe, aber das gehört eher in den Thread "Wissenschaftliche Verifikation östlicher Philosophien".
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 25. Nov 2011, 22:20

Gandalf hat geschrieben:Diese "Idealvorstellung" kannst Du jedenfalls nicht von den Liberalen übernommen haben, da sie wissen, das die Zukunft ungewiss ist und es 'nie' ein Ideal geben kann, sondern nur den 'Versuch' einer bestmöglichen Adaption (die zudem immmer wieder neu auf den Prüfstand muss). Es geht nicht darum "die beste Ideologie" durchzusetzen, sondern um 'Wachsamkeit' und darum "wie man seine Werkzeuge scharf hält"
So ist bezüglich der "3. Welt" zu fragen: Was ist die Ursache, dass das so ist (wenn das stimmt, was Du behauptest)


Es gibt eben nicht eine Ursache. Daher finde ich es sehr praktisch, dass Althusser den Begriff der Überdeterminierung in die soziologische/politische Diskussion geholt hat. Diese Beziehungen bleiben aber unabhängig vom politischen System, solange sie nicht bewusst überwunden werden, was manchmal zunächst sehr radikales Vorgehen fordert, scheint mir (dafür will ich nicht meine Hand ins Feuer legen).

Gandalf hat geschrieben:Also doch Mafia, Knechtschaft und Betrug: Das Problem ist, das auch diejenigen die arbeiten ebenfalls das Recht haben (müssen) nicht für 'andere arbeiten zu wollen'! Das geht nur in einer Phantasiewelt gut (vorzugsweise in einschlägig bekannten sozialistischen Takka-Tuka-Ländern") Alle anderen Gemeinschaften benötigen eine gehörige Portion Totalitarismus und/oder Betrug, um die arbeitsfähigen zum arbeiten zu bewegen


Nicht unbedingt. Erstmal ist tatsächlich viel weniger Arbeit notwendig als momentan kapitalistisch gefordert wird (wobei das auch nachlässt, da der Kapitalismus immer weniger auf Arbeiter angewiesen ist, was ja an sich auch gut ist) und wenn jeder nur einen Bruchteil an Arbeit verrichten müsste, von dem, was er jetzt tut (oder keine Repressionen mehr zu befürchten hat, wenn er sich dem Arbeiten in der Form verweigert), dann muss da gar nicht viel Motivation aufgebaut werden.
Ich halte die Idee der Arbeit für tückisch. Mir scheint, dass die bürgerliche Revolution eigentlich erst dieses Übel mit sich gebracht hat, weil das Bürgertum damals – anders als der Adel – eben aufgrund der Arbeit meinte, gesellschaftliche Privilegien zu verdienen. Daraus hat sich etwas ganz merkwürdiges entwickelt, nämlich die exzentrische Idee, man müsse arbeiten, um seine Existenz zu rechtfertigen und das nicht gerade wenig.

Gandalf hat geschrieben:Angebot und Nachfrage werden sogar massiv (von staatlichen Institutionen) manipuliert - deshalb haben wir ja auch aktuell "die Krise". Die heftigen Marktreaktionen sind keine Bösartigkeiten von irgendwelchen radikalen Kapitalisten, sondern die 'natürliche (Ausgleichs-)Reaktion' (zumindest der Versuch dessen) eines hoch manipulierten Marktes!


Das ist mir klar. Andererseits bin ich aber sicher, dass der Kapitalismus ohne solche Manipulationen nicht aufrecht zu erhalten wäre (sondern sich transformieren müsste, vergesellschaftlicht werden – nicht verstaatlicht!), das würde ich aber auch begrüßen (weiß nicht, wie das bei Hayek und so ist), dass der Markt über sich hinaus wächst. Da habe ich auch schon einen Artikel in meinem Weblog drüber verfasst (den ich aber noch mal überarbeiten will): http://raq.triguel.com/kapital

Gandalf hat geschrieben:Möglicherweise gibt es auch hier nicht 'die' Lösung. Denn niemand anders wie die Libertären streiten so heftig darüber, da ja verschiedene Freiheitsrechte beim Erbrecht konträr aufeinandertreffen. Da man es mit hoher Wahrscheinlichkeit also nur falsch machen kann, sollte man jederzeit offen für Korrekturen sein.


Ich hätte da einen Vorschlag zu, den möchte ich aber nicht hier und auch nicht öffentlich besprechen (hat aber mit meiner Beziehungstheorie zu tun, die ich in dem Thread zu den „Feinden der Vernunft“ erwähnt habe).

Gandalf hat geschrieben:Merkantilismus ist ein schlechtes Beispiel. Auf kurze Sicht kann ich immer duch räuberische Ausbeutung und staatliche Lenkung von Ressourcen Vorteile erlangen. Das dies scheitern wird, ist schon jetzt abzusehen. (Was sollen denn die Chinesen mit ihrem Exportüberschuss anfangen?)


Ich weiß nicht, ich würde die Chinesen da lieber nicht unterschätzen, ich denke schon, dass die das schon ganz gut im Auge haben. Ohne da relativieren zu wollen, muss ich da zu bedenken geben, dass solche Gewaltexzesse wie bei der Kulturrevolution im Maoismus durchaus in Bezug auf manch „falsches Bewusstsein“ eine befreiende Wirkung haben kann, das sollte man bei aller Verurteilung dieser Verbrechen nicht missachten. Man sollte in Betracht ziehen, dass die Chinesen eventuell irgendwas gemerkt haben, von dem man im Westen keine Ahnung hat, weil man immer noch zu sehr dabei ist, sich immer wieder selbst die gleichen Lügen zu erzählen (Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte etc.) – was nicht heißt, dass diese Begriffe Lügen bleiben müssen, aber dass sie es momentan sind, darüber dürften wir uns ja einig sein.
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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon stine » Sa 26. Nov 2011, 14:13

Teh Asphyx hat geschrieben:Daraus hat sich etwas ganz merkwürdiges entwickelt, nämlich die exzentrische Idee, man müsse arbeiten, um seine Existenz zu rechtfertigen und das nicht gerade wenig.

Die Arbeit ist nicht die Rechtfertigung für die Existenz, sondern Existenzgrundlage. Das macht einen erheblichen Unterschied. Für seine Existenz braucht sich niemand rechtfertigen, wohl aber müsste er sich dafür rechtfertigen, wenn er andere für sich arbeiten ließe, um sich selbst auf die faule Haut zu legen.

Teh Asphyx hat geschrieben:...die gleichen Lügen zu erzählen (Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit, Menschenrechte etc.)
In vielen Ländern der Erde sind das heute keine Lügen mehr. Wir sollten sorgsam darauf achten, dass es so bleibt, denn eine Selbstverständlichkeit ist das nicht.

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Re: Gemeinwohl-Ökonomie als dritter Weg

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 26. Nov 2011, 17:15

stine hat geschrieben:Die Arbeit ist nicht die Rechtfertigung für die Existenz, sondern Existenzgrundlage. Das macht einen erheblichen Unterschied. Für seine Existenz braucht sich niemand rechtfertigen, wohl aber müsste er sich dafür rechtfertigen, wenn er andere für sich arbeiten ließe, um sich selbst auf die faule Haut zu legen.


Okay, wenn man das Pflücken eines Apfels vom Baum und das Atmen als Arbeit bezeichnet, dann ganz bestimmt … ansonsten ist das Blödsinn, weil ich hier gar nicht die Wahl habe.
Erklär mir mal, warum es existentiell notwendig sein soll, 8 Stunden am Tag zu arbeiten (bei dem, was hier so Arbeit genannt wird).

stine hat geschrieben:In vielen Ländern der Erde sind das heute keine Lügen mehr. Wir sollten sorgsam darauf achten, dass es so bleibt, denn eine Selbstverständlichkeit ist das nicht.

Entweder machst Du gerade Witze oder … nein, Du machst Witze, da bin ich sicher. :-)
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