Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Mi 14. Dez 2011, 15:01

Vollbreit hat geschrieben:Ich sagte ja auch nicht, dass Determiniertheit Begründung bedeutet, sondern dass Freiheit (des Willens) bedeutet, nach eigenen guten Gründen zu entscheiden.


Nein, wir sprechen von freiem Willen im Zusammenhang mit Determinismus, da spielt es keine Rolle, ob ich den Eindruck habe, nach eigenen guten Gründen zu handeln. Spinoza hat schon gesagt, dass selbst ein vollkommen den Naturgesetzen unterworfener Gegenstand wie ein Stein, hätte er ein Bewusstsein, er glauben würde, er wäre frei. Aber es geht hier nicht um die Sicht auf sich selbst, sondern darum, ob es möglich ist, dass der Wille tatsächlich frei ist, wenn alles determiniert ist und das ist er per Definition nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, der Drang kommt, weil der Magen leer ist, das Blut unterzuckert, irgednwelche Rezeptorten feuern, das ist die eine Sache.
Die andere ist, ob ich diesem Drang nachgeben will, das muss ich nämlich nicht.
Wenn ich das will, tue ich das, wenn nicht, dann lasse ich es. Gemäß den Gründen, die ich gerade dafür habe.


Nein, wenn alles determiniert ist, dann letztendlich nicht gemäß den Gründen, sondern gemäß der Bestimmung.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, sie wäre vorbestimmt, aber warum denn nicht frei?
Wenn Freiheit heißt, dass ich gute Gründe für meine Entscheidung habe und mit diesen in Einklang bin, dann bin ich frei essen zu wollen, oder es zu lassen. Ob das schon beim Urknall determiniert war, braucht mich nicht zu jucken.


Doch, genau das muss Dich jucken um diese konkrete Frage zu klären. Wenn alles determiniert ist, geht es nicht um Gründe, sondern eben darum, dass Du nicht frei bist, essen zu wollen oder es zu lassen. Ansonsten sprechen wir nicht von Determinierung.

Vollbreit hat geschrieben:Keinesfalls. Da es keine einheitliche Definition von freiem Willen gibt, bist Du ja frei Dir eine auszusuchen, wie die anderen Diskutanten auch.


Schon, aber man sollte nicht die Definition wechseln, so wie es gerade passt. Wenn der freie Wille als Legitimierung für bestimmte juristische Verfahren benutzt wird, dann muss man ganz streng darauf achten, dass eine klare einheitliche Definition verwendet wird, um die Frage zu klären, ob die Begründung zu halten ist oder nicht.
Und entgegen Deiner Behauptung, ich käme vom Thema ab, tu ich das eben nicht, weil es bei dieser Streitfrage eben genau um solche Dinge letztendlich geht. Warum sollte es sonst so wichtig sein, dass dieser Begriff unbedingt erhalten bleibt?

Vollbreit hat geschrieben:Bedeutet Autonomie des Willens denn, dass er völlig frei von äußeren Umständen ist?
Und wie sollte das gehen?
Das Szenario hier sagt doch das genaue Gegenteil, dass der Wille maximal eingebunden ist in äußere Umstände. Hat mit Solipsismus also nichts zu tun.


Es geht nicht darum, ob das praktisch machbar ist, da Autonomie erstmal eine theoretische Idee bleibt. In der Theorie kann man eben durchaus von einem freien Willen in diesem Sinne von Autonomie sprechen, nur muss es dann wahrscheinlich in der Praxis verworfen werden. Aber hier geht es ja nur um Theorie.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Dez 2011, 15:40

Teh Asphyx hat geschrieben:Aber es geht hier nicht um die Sicht auf sich selbst, sondern darum, ob es möglich ist, dass der Wille tatsächlich frei ist, wenn alles determiniert ist und das ist er per Definition nicht.

Vorsicht. "Wille" ist eine Substantivierung, so wie "Entscheidung" und "Handlung" auch. All dies sind keine eigenen Entitäten für sich. Und daher ergeben die Fragen schlicht keinen Sinn, ob der Wille, die Entscheidung, die Handlung an sich frei, im Sinne von: "unabhängig von allem" sein kann. Denn dann nimmt man implizit doch eine solche unabhängige Entität an.

Man kann allerdings fragen, ob jemand frei in seinem Wollen, seinen Entscheidungen, seinen Handlungen sein kann. Und dann erscheint der Gegensatz zu Determinismus nicht mehr so zwingend, denn die einzige Alternative zu Determinismus ist Zufall. Und wie Zufall - der nicht kontrollierbar ist - persönliche Freiheit herstellen könnte, ist mehr als unklar. Aber eben das müsste der Inkompatibilist zeigen. Meiner Ansicht nach ist das Gegenteil von Freiheit Zwang und nicht Determinismus.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es geht nicht darum, ob das praktisch machbar ist, da Autonomie erstmal eine theoretische Idee bleibt. In der Theorie kann man eben durchaus von einem freien Willen in diesem Sinne von Autonomie sprechen, nur muss es dann wahrscheinlich in der Praxis verworfen werden.

Muss begründet verworfen werden oder gemäß der Bestimmung? Und falls Letzteres: wie können wir zweifelsfrei feststellen, wie die Bestimmung ist, damit wir danach handeln können und nicht aus Versehen mal dagegen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Mi 14. Dez 2011, 16:16

Zunächst: Was ist hier mit "total determiniert" gemeint?

Ala Laplace-dämon können wir das direkt abhaken. Auf Quantenebene ist das mit Sicherheit nicht so. Auf Organebene wie einem gehirn ist das an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so, daß wir es nicht deterministisch festlegen können, dafür greifen da zu viele komplexe Vorgänge ineinander. Was nicht bedeutet das es total chaotisch wäre. Wahrscheinlichkeiten berechnen können wir alle mal.

Falls damit gemeint ist, daß es determiniert im sinne von "nur natürliche Vorgänge", kein "spukhafter freier Wille" von "irgend wo außerhalb", sondern das Lebewesen immer im Rahmen ihrer Physikalischen Möglichkeiten basierend auf Situation (innerer wie äußerer) und Erfahrung Entscheidungen treffen und handeln (und das Resultat dann Bewerten und in weitere Handlungen einfließen lassen), kann ich damit leben.

Philosophisch wie Biologisch gibt es keinen "Freien Willen" der außerhalb der natürlichen Welt. Ich empfehle dazu:
A. R. Cashmore (2009) PNAS: The Lucretian swerve: The biological basis of human behavior and the criminal justice system.
http://www.pnas.org/content/early/2010/ ... 7.full.pdf
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 14. Dez 2011, 17:23

Ja, das sehe ich auch so. Wenn man von freiem Willen redet, dann muss man doch auf das pikanteste Wort achten: "frei". Frei wovon? Von Trieben? Erinnerungen? Von Naturgesetzen? Von Kausalität? Mir fällt keine meiner Entscheidungen ein, die ohne diese Möglichkeiten stattfand. mat-in, ich denke nicht, dass man mit den Quanten und vermeindlicher Unberechenbarkeit argumentieren kann, unberechenbar heisst, dass man es NOCH nicht hinbekommen hat. Die Unschärferelation fällt mir da ein, ich habe gegen sie auch schon in einem anderen Thema argumentiert: Ist es rational davon auszugehen, dass ein Elektron an mehreren Stellen gleichzeitig ist, nur, weil man an mehreren Stellen die gleiche Aufenthaltswahrscheinlichkeit misst? Ist es rational zu sagen, dass schrödingers Katze als sowohl lebendig als auch als tot zu betrachten? Nein, das denke ich nicht, es bedeutet nur, dass man keine konkrete Aussage treffen kann, außer, dass einer der beiden Zustände immer wahrscheinlicher ist als der andere und die Wahrscheinlichkeiten und Messungen nicht genau genug sind.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Dez 2011, 19:41

Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, wir sprechen von freiem Willen im Zusammenhang mit Determinismus, da spielt es keine Rolle, ob ich den Eindruck habe, nach eigenen guten Gründen zu handeln.


Ja, natürlich sprechen wir davon, aber warum sollte es keine Rolle spielen, dass Du nach Gründen handelst? Erklär mir doch einfach, was Du unter freiem Willen verstehst.

Teh Asphyx hat geschrieben:Spinoza hat schon gesagt, dass selbst ein vollkommen den Naturgesetzen unterworfener Gegenstand wie ein Stein, hätte er ein Bewusstsein, er glauben würde, er wäre frei. Aber es geht hier nicht um die Sicht auf sich selbst, sondern darum, ob es möglich ist, dass der Wille tatsächlich frei ist, wenn alles determiniert ist und das ist er per Definition nicht.


Es ist eigentlich nicht so schwer, wenngleich ich zugebe, dass das etwas kontraintuitiv ist und ich mich auch lange Zeit gegen die Einsicht gewehrt habe.
Um das Verhältnis von Determinimus und freiem Willen zu klären, bedarf es der Klärung von Determinismus und Freiheit. Den Determinismus hatten wir maximal hochgedreht, das hat ganz einfach den Sinn, dass nach dieser Überlegungen auch für alle schwächeren Formen des Determinismus gilt, was für diese allerstärkste gilt.
Bleibt der Begriff der Freiheit übrig. Mein Angebot, Freiheit des Willens sei, gemäß eigener Überlegungen zu entscheiden, ist nur ein Angebot, Du kannst es verwerfen und ein beliebiges anderes vorschlagen. Du musst mir einfach nur sagen, was Du unter Freiheit verstehst.


Teh Asphyx hat geschrieben:Nein, wenn alles determiniert ist, dann letztendlich nicht gemäß den Gründen, sondern gemäß der Bestimmung.


Ja, aber das ändert nichts daran, dass ich mich nach Gründen entscheiden kann.
Wenn Du mit den Gründen nicht einverstanden bist, wie gesagt, jede andere Definition ist mir recht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Doch, genau das muss Dich jucken um diese konkrete Frage zu klären. Wenn alles determiniert ist, geht es nicht um Gründe, sondern eben darum, dass Du nicht frei bist, essen zu wollen oder es zu lassen. Ansonsten sprechen wir nicht von Determinierung.


Ja, ich bin ja determiniert, total sogar. Aber ich kann mich dennoch frei entscheiden, wenn Freiheit bedeutet, nach eigenen Gründen und Überlegungen zu wollen, zu entscheiden, zu handeln.
Wenn Freiheit das nicht bedeutet, was bedeutet Freiheit dann?

Teh Asphyx hat geschrieben:Schon, aber man sollte nicht die Definition wechseln, so wie es gerade passt.


In dem Fall ist das völlig legitim, wir suchen ja den besten Begriff für die Freiheit des Willens.

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn der freie Wille als Legitimierung für bestimmte juristische Verfahren benutzt wird, dann muss man ganz streng darauf achten, dass eine klare einheitliche Definition verwendet wird, um die Frage zu klären, ob die Begründung zu halten ist oder nicht.


Das ist im Fall der Juristerei ja auch gegeben. Wenn jemand nicht unter Drogen, psychotisch, schwer dement oder ein debil ist, also verstehen kann, was er getan hat, geht man davon aus, dass der schuldfähig ist. Wer nicht verstehen kann, was er getan hat, der wird auch nicht bestraft.
Vielleicht muss man die Gesellschaft vor ihm schützen, aber Strafe im eigentlichen Sinne ist das nicht.

Teh Asphyx hat geschrieben:Und entgegen Deiner Behauptung, ich käme vom Thema ab, tu ich das eben nicht, weil es bei dieser Streitfrage eben genau um solche Dinge letztendlich geht. Warum sollte es sonst so wichtig sein, dass dieser Begriff unbedingt erhalten bleibt?


Ich gehe ja auch drauf ein.

Teh Asphyx hat geschrieben:Es geht nicht darum, ob das praktisch machbar ist, da Autonomie erstmal eine theoretische Idee bleibt. In der Theorie kann man eben durchaus von einem freien Willen in diesem Sinne von Autonomie sprechen, nur muss es dann wahrscheinlich in der Praxis verworfen werden. Aber hier geht es ja nur um Theorie.


Das wäre doch blödsinnig, wenn man sich auf eine Theorie stützt, die in der Praxis nichts hält.
Tatsächlich hält sie aber doch. Manche können halt verstehen, was sie getan haben, die sind dann schuldfähig, andere können das nicht verstehen, die sind nicht schuldfähig. Das ist eher die Frage nach dem Ich, als nach dem Willen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Dez 2011, 19:50

Darth Nefarius hat geschrieben:Wenn man von freiem Willen redet, dann muss man doch auf das pikanteste Wort achten: "frei". Frei wovon? Von Trieben? Erinnerungen? Von Naturgesetzen? Von Kausalität?

Nach kompatibilistischer Ansicht: frei von Zwängen, frei zu reflektierten, begründeteten (und nicht lediglich triebgesteuerten) Entscheidungen

Nach inkompatibilistischer Ansicht: weiß nicht, das müsste ein Inkompatibilist mal explizit darlegen, d.h. er sollte mal eine positive (und logisch mögliche) Darlegung dessen, was er eigentlich genau unter 'Freiheit' versteht, leisten. Ist reiner Zufall (eine echt zufällige Entscheidung) seiner Ansicht nach schon Freiheit? Oder was sonst? Wenn nicht nur Zufall: was muss hinzukommen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Dez 2011, 19:56

mat-in hat geschrieben:Zunächst: Was ist hier mit "total determiniert" gemeint?


Dass die Naturgesetze gelten und es überall mit rechten Dingen zugeht.

mat-in hat geschrieben:Ala Laplace-dämon können wir das direkt abhaken.


Da musst Du genau aufpassen, was der Dämon besagt und was nicht.
Der Laplacesche Dämon ist nicht möglich, das stimmt, aber das besagt, dass unsere (oder irgendeine: Dämon, Gott, Supercomputer…) Erkenntnisfähigkeit Grenzen hat, es besagt nicht, dass die Welt nicht determiniert sein könnte.

mat-in hat geschrieben:Auf Quantenebene ist das mit Sicherheit nicht so.


Das ist nicht ganz richtig, soweit ich weiß. Es ist wohl richtig, dass die Mehrzahl der Forscher heute davon ausgeht, dass bestimmte Dinge im All probabilistisch ablaufen, es gibt aber auch welche, die an das hier glauben:
http://de.wikipedia.org/wiki/Verborgene_Variablen

mat-in hat geschrieben:Auf Organebene wie einem gehirn ist das an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so, daß wir es nicht deterministisch festlegen können, dafür greifen da zu viele komplexe Vorgänge ineinander.


Du meinst Hirnprozesse sind esoterischer Natur und widersprechen den Naturgesetzen?
Meinst Du mit Sicherheit nicht. Was Du meinst, ist, dass wir die unübersehbare Vielfalt nicht berechnen können, das sind wieder die Grenzen unserer Einsicht, nicht die Grenzen den Determinismus.

mat-in hat geschrieben:Was nicht bedeutet das es total chaotisch wäre. Wahrscheinlichkeiten berechnen können wir alle mal.


Sicher.

mat-in hat geschrieben:Falls damit gemeint ist, daß es determiniert im sinne von "nur natürliche Vorgänge", kein "spukhafter freier Wille" von "irgend wo außerhalb", sondern das Lebewesen immer im Rahmen ihrer Physikalischen Möglichkeiten basierend auf Situation (innerer wie äußerer) und Erfahrung Entscheidungen treffen und handeln (und das Resultat dann Bewerten und in weitere Handlungen einfließen lassen), kann ich damit leben.


Das ist damit gemeint.

mat-in hat geschrieben:Philosophisch wie Biologisch gibt es keinen "Freien Willen" der außerhalb der natürlichen Welt. Ich empfehle dazu:
A. R. Cashmore (2009) PNAS: The Lucretian swerve: The biological basis of human behavior and the criminal justice system.
http://www.pnas.org/content/early/2010/ ... 7.full.pdf


Also, ich habe mir abgewöhnt zu behaupten, dass es etwas nicht gibt, weil jemand mal einen Text darüber geschrieben hat, aber das ist vermutlich Geschmackssache.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Myron » Mi 14. Dez 2011, 22:28

Vollbreit hat geschrieben:Völlig richtig, die Grundintuition des Willensfreiheit ist: "Ich könnte auch anders."


Für die Kompatibilisten bedeutet der Satz "Ich hätte anders handeln können, als ich es getan habe" einfach "Ich hätte anders gehandelt, wenn ich es gewollt hätte (und mich nichts davon abgehalten hätte)".

Vollbreit hat geschrieben:Die Abwesenheit von Zwang, ist ein Kriterium für Freiheit.


Für die Kompatibilisten besteht Freiheit als Handlungsfreiheit in dem Vermögen oder der Fähigkeit, das zu tun, was man tun will oder möchte, was die Abwesenheit von (äußeren und inneren) Zwängen oder Hindernissen voraussetzt, die einen daran hindern, das zu tun, was man tun will oder möchte.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Myron » Mi 14. Dez 2011, 22:47

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach inkompatibilistischer Ansicht: weiß nicht, das müsste ein Inkompatibilist mal explizit darlegen, d.h. er sollte mal eine positive (und logisch mögliche) Darlegung dessen, was er eigentlich genau unter 'Freiheit' versteht, leisten. Ist reiner Zufall (eine echt zufällige Entscheidung) seiner Ansicht nach schon Freiheit? Oder was sonst? Wenn nicht nur Zufall: was muss hinzukommen?


Zufallsbestimmtes Entscheiden, Wählen oder Handeln ist kein freies, selbstbestimmtes Entscheiden, Wählen und Handeln. Es gibt einen inkompatibilistischen Begriff absoluter Willensfreiheit, der im Englischen als "libertarian free will" bezeichnet wird:

"[E]ach of us, when we act, is a prime mover unmoved. In doing what we do, we cause certain events to happen, and nothing—or no one—causes us to cause those events to happen."

"Wenn wir handeln, ist jeder von uns ein unbewegter Erstbeweger. Indem wir tun, was wir tun, bewirken wir den Eintritt bestimmter Ereignisse, und nichts – oder niemand – bewirkt, dass wir den Eintritt jener Ereignisse bewirken."

[© meine Übers.]

(Chisholm, Roderick M. On Metaphysics. Minneapolis, MN: University of Minnesota Press, 1989. p. 12)

Ein mit dieser Art von Willensfreiheit ausgestatteter Akteur würde als "unbeeinflusster Beeinflusser" seine Entscheidungen und Wahlen absolut selbstbestimmt in einem kausalen Vakuum treffen, und seine gesamte Vergangenheit, ja die Vergangenheit der gesamten Welt würde ihn dabei in keinerlei Weise zu bestimmten Entscheidungen oder Wahlen prädisponieren. Ein solcher Akteur würde seinen Willen und seine Wünsche sozusagen aus dem Nichts heraus erfinden und gestalten.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Mi 14. Dez 2011, 22:51

Vollbreit hat geschrieben:Auf Organebene wie einem gehirn ist das an mit Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit so, daß wir es nicht deterministisch festlegen können, dafür greifen da zu viele komplexe Vorgänge ineinander.

Du meinst Hirnprozesse sind esoterischer Natur und widersprechen den Naturgesetzen?
Meinst Du mit Sicherheit nicht. Was Du meinst, ist, dass wir die unübersehbare Vielfalt nicht berechnen können, das sind wieder die Grenzen unserer Einsicht, nicht die Grenzen den Determinismus.[/quote]
Nein, meine ich nicht, sonst hätte ich nen anderen Job ;) ich bin mir recht sicher, daß die Details auch noch eine ganze Weile unberechenbar bleiben, vielleicht sogar "für immer", da zusätzlich zur komplexität jedes Gehirn im Feinbau anders ist und sich von Tag zu Tag ändert.

[q
Vollbreit hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Philosophisch wie Biologisch gibt es keinen "Freien Willen" der außerhalb der natürlichen Welt.

Also, ich habe mir abgewöhnt zu behaupten, dass es etwas nicht gibt, weil jemand mal einen Text darüber geschrieben hat, aber das ist vermutlich Geschmackssache.

Der Zusammenhang ist hier eher umgekehrt, ich behaupte das mal frech - alles andere wäre auch nicht naturalistisch - und der kleine Text den jemand anderes gut ausformuliert hat hilft, daß ich hier selbst keine Aufsätze dazu verfassen muß :)
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Dez 2011, 23:26

Myron hat geschrieben:Zufallsbestimmtes Entscheiden, Wählen oder Handeln ist kein freies, selbstbestimmtes Entscheiden, Wählen und Handeln.

Richtig.

Myron hat geschrieben:Es gibt einen inkompatibilistischen Begriff absoluter Willensfreiheit, der im Englischen als "libertarian free will" bezeichnet wird: [...]
Ein mit dieser Art von Willensfreiheit ausgestatteter Akteur würde als "unbeeinflusster Beeinflusser" seine Entscheidungen und Wahlen absolut selbstbestimmt in einem kausalen Vakuum treffen, und seine gesamte Vergangenheit, ja die Vergangenheit der gesamten Welt würde ihn dabei in keinerlei Weise zu bestimmten Entscheidungen oder Wahlen prädisponieren. Ein solcher Akteur würde seinen Willen und seine Wünsche sozusagen aus dem Nichts heraus erfinden und gestalten.

Also doch wohl völlig zufällig?

Oder was soll hier das Dritte sein neben determiniert und (echt) zufällig? Meiner Ansicht nach gilt hier: tertium non datur.

Entweder hängen Entscheidungen von etwas ab oder sie hängen nicht von etwas ab, (oder eine Mischung daraus, teils so und teils so). Und hängen sie von nichts ab, (bzw. derjenige Teil, der von nichts abhängt), muss dann echt zufällig sein, eine andere Möglichkeit gibt es doch gar nicht. Oder? Welche? Und wenn sie echt zufällig sind, dann: siehe oben.

Das ist die Crux des Inkompatibilisten, da kommt er nicht heraus, ich wüsste zumindest nicht wie. Es reicht jedenfalls nicht, einen "unbeeinflussten Beeinflusser" zu proklamieren, das löst das grundlegende Zufallsproblem nicht.

Also, zusamengefasst: der Inkompatibilist sagt, Determinismus würde Freiheit ausschließen und er sagt, Zufall (= nicht-[Determinismus]) würde Freiheit ebenfalls ausschließen. Woraus folgt, dass der Freiheitsbegriff des Inkompatibilisten leer ist, logisch unmöglich. Was an sich noch kein Problem ist, der Inkompatibilist könnte hier dennoch einen Punkt machen, wenn dieser sein Freiheitsbegriff der landläufige (zumindest weit verbreitete) wäre, denn dann könnte er den widerlegen.

Allerdings stellen sich folgende zwei Fragen dabei:

1. Stimmt das denn auch? (Ich glaube nicht, ich meine, das muss der Inkompatibilist zeigen, das kann er nicht einfach unbegründet voraussetzen)
2. Warum, wenn dem so wäre, wenn also, anders als ich meine, das tatsächlich der landläufige Freiheitsbegriff wäre, wenn also Freiheit per se logisch unmöglich wäre, wieso redet der Inkompatibilist dann eigentlich über Determinismus oder über neurowissenschaftliche Erkenntnisse? Diese spielten dann doch überhaupt keine Rolle, wären nur ein red herring; denn etwas, das per se logisch unmöglich ist, ist immer logisch unmöglich. Ganz egal, ob und wieweit unsere Welt determiniert ist oder was auch immer egal welche Wissenschaftler herausfinden.

Und last but not least stellt sich noch eine wichtige Frage:

3. Wie, bitteschön, bekommt der harte Determinist folgende zwei Aussagen auf einen Nenner:

a) Menschen können in einer determinierten Welt nicht überlegt, begründet und rational handeln, alles läuft einfach so ab, wie es abläuft, determiniert, ohne Einflussmöglichkeit, Menschen sind dann nur so eine Art Homunkulus, reine unbeteiligte Zuschauer in einem für sie unbeinflussbaren Geschehen, so wie jemand, der einen Film anschaut
b) wegen a) darf man keinem etwas übel nehmen, was er tut, es gibt dann keine Schuld und keine Verantwortung mehr (weil alle Menschen machtlos sind, keinen Einfluss auf was auch immer haben) und wir müssen folglich das Strafrecht ändern

Das passt nicht zusammen. Entweder gilt a), dann ist der Appell in b) hinfällig. Oder a) gilt nicht, aber dann ist b) ebenfalls hinfällig, weil b) auf a) beruht.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Dez 2011, 23:44

Myron hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Völlig richtig, die Grundintuition des Willensfreiheit ist: "Ich könnte auch anders."

Für die Kompatibilisten bedeutet der Satz "Ich hätte anders handeln können, als ich es getan habe" einfach "Ich hätte anders gehandelt, wenn ich es gewollt hätte (und mich nichts davon abgehalten hätte)".

Stimmt. Wie auch sonst? Was bedeutet es für den Inkompatibilisten? "Ich hätte völlig zufällig, ohne jeden Grund, in derselben Situation auch das tun können, was ich gar nicht wollte"? Oder wie sonst?

Myron hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Abwesenheit von Zwang, ist ein Kriterium für Freiheit.

Für die Kompatibilisten besteht Freiheit als Handlungsfreiheit in dem Vermögen oder der Fähigkeit, das zu tun, was man tun will oder möchte, was die Abwesenheit von (äußeren und inneren) Zwängen oder Hindernissen voraussetzt, die einen daran hindern, das zu tun, was man tun will oder möchte.

Nicht ganz. Das ist nur der negative Teil der Freiheit aus Sicht des Kompatibilisten, (Freiheit von Zwang), hinzu kommen muss noch ein positiver Teil, eine "Freiheit zu". Nämlich die (hinreichende) Fähigkeit, reflektiert nach (als gut/richtig bewerteten) Gründen entscheiden zu können. (Diese Fähigkeit muss nicht immer ausgeübt werden, sie muss lediglich als Disposition vorhanden sein, d.h. auch spontane Entscheidungen können nach Ansicht der Kompatibilisten in ihrem Sinne frei sein).
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 01:22

mat-in hat geschrieben:Nein, meine ich nicht, sonst hätte ich nen anderen Job ;) ich bin mir recht sicher, daß die Details auch noch eine ganze Weile unberechenbar bleiben, vielleicht sogar "für immer", da zusätzlich zur komplexität jedes Gehirn im Feinbau anders ist und sich von Tag zu Tag ändert.


Da bin ich bei Dir.
Aber dennoch wirst Du vermutlich nicht bestreiten, dass die Vorgänge im Hirn, sich nicht außerhalb des Rahmems der Naturgesetez abspielen?

mat-in hat geschrieben:Der Zusammenhang ist hier eher umgekehrt, ich behaupte das mal frech - alles andere wäre auch nicht naturalistisch - und der kleine Text den jemand anderes gut ausformuliert hat hilft, daß ich hier selbst keine Aufsätze dazu verfassen muß :)


Ich habe zugegeben jetzt nicht den ganzen Text gelesen, weil ich schon die Einleitung absurd fand. Es geht erfahrungsgemäß schrecklich in die Hose, wenn sich Biologen in Philosophie versuchen und immer wieder Descartes rauszukramen und gar den Vitalismus zu beschwören … huh – das tut heute einfach kein Philosoph mehr.

Dennoch ist es wahr, dass kein Individuum etwas für seine Gene und seine Umwelt kann und es läuft am Ende auf eine Glaubensfrage hinaus, inwieweit das zum gültigen Argument wird.
Grob argumentiert ist das fragwürdig, weil damit allen Menschen die Willensfreiheit pauschal abgesprochen wird und das mündet in ein halbes Dutzend Widersprüche.
Ein recht offensichtlicher ist der: Unsere Gesellschaft setzt mit Grundgesetz, Rechtssprechung usw. voraus. Wie kommt es eigentlich, dass das so gut funktioniert, wenn diese Voraussetzung fehlerhaft ist?
Und dann: Wozu betreibt man eigentlich Hirnforschung. Doch wohl, um zu überzeugen. Wie kann man jemanden überzeugen, bei dem einfach nur ein Programm abläuft, der wäre gar nicht zu überzeugen.
Ein nächster Widerspruch liegt darin mit dem Anspruch auf eine gefühlte Überlegenheit zu betonen, man selbst sie irgendwie ein weniger schlauer als die anderen, da man wisse, dass man in Wirklichkeit gar nicht als Ich existiert.
Auch der Konstruktivismus, auf dessen Basis die Hirnforschung betrieben wird, hat so eigenartige Selbstwidersprüche. Da wird uns erzählt, dass es im Grunde keine Realität gibt, weil unser Hirn nichts anderes tut als Wahrnehmungslöcher zu stopfen, Märchen zu erfinden und ohnehin nur im Modus des Selbstgesprächs unterwegs ist, aber für die Daten die als Grundlage der Hirnfoscher dienen, beansprucht man Objektivität.

Wie auch immer, wenn man die Geschichte weniger grob angeht, dann kann ich dem schon etwas abgewinnen, ich habe mal ein Radiodiskussion mit Eugen Drewermann gehört, der da wirklich kenntnissreich, einfühlsam und virtuos argumentiert hat und Faktoren wie die Gene, die Lebensgeschichte, auch aus psychoanalytischer Sicht usw. mitbetrachtet hat und das war beeindruckend.
Es gibt eine ähnliche Kontroverse innerhalb der Psychoanalyse, wo man sich die Frage stellte, wie man Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen begegnen sollte, aufnehmend, mit Verständnis und mit viel Liebe, oder eher strukturierend, konfrontativ.
Ich will hier nicht mit den Details langweilen, am Ende geht es doch darum, dass man auf die Ichkräfte bauen muss und dem anderen zutrauen muss, seine Probleme irgendwann in Eigenregie zu lösen.

Es ist ein sehr grober Grundfehler, den man oft in den Konzepten der Hirnforscher findet, hochpathologische Zustände – wie man sie bspw. bei Menschen findet, die über keinerlei Affektkontrolle verfügen – so zu behandeln, als seien sie ein Abbild des Normalmenschen und eben nicht eine hochpathologische und sehr seltene Ausnahme. Singer und Roth haben das Anfangs exzessiv betrieben. Kurz und gut, da gibt es einiges was schief ist, aber von den Vorlieben mal abgesehen, können wir das ja vielleicht hier im Thread klären, ob es einen freien Willen gibt, was in definiert und was es bedeutet und was es auch nicht bedeutet, wenn es ihn (nicht) gibt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Do 15. Dez 2011, 15:48

AgentProvocateur hat geschrieben:
Darth Nefarius hat geschrieben:Wenn man von freiem Willen redet, dann muss man doch auf das pikanteste Wort achten: "frei". Frei wovon? Von Trieben? Erinnerungen? Von Naturgesetzen? Von Kausalität?

Nach kompatibilistischer Ansicht: frei von Zwängen, frei zu reflektierten, begründeteten (und nicht lediglich triebgesteuerten) Entscheidungen

Nach inkompatibilistischer Ansicht: weiß nicht, das müsste ein Inkompatibilist mal explizit darlegen, d.h. er sollte mal eine positive (und logisch mögliche) Darlegung dessen, was er eigentlich genau unter 'Freiheit' versteht, leisten. Ist reiner Zufall (eine echt zufällige Entscheidung) seiner Ansicht nach schon Freiheit? Oder was sonst? Wenn nicht nur Zufall: was muss hinzukommen?

Welche Zwänge meinst du? Nur, weil man vielleicht frei von den einen ist, heisst das nicht, dass man nicht den anderen unterliegt. Deine Entscheidungen (und auch meine) werden immer triebgesteuert sein, wir wägen unter Motiven ab, diese resuliteren aus Trieben. Das Abwägen ist wiederum detreminiert von der Verteilung und Priorität der Triebe. Ich gleube nicht an den Zufall, der Kausalität wegen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 15:59

Darth Nefarius hat geschrieben:Welche Zwänge meinst du? Nur, weil man vielleicht frei von den einen ist, heisst das nicht, dass man nicht den anderen unterliegt. Deine Entscheidungen (und auch meine) werden immer triebgesteuert sein, wir wägen unter Motiven ab, diese resuliteren aus Trieben. Das Abwägen ist wiederum detreminiert von der Verteilung und Priorität der Triebe. Ich gleube nicht an den Zufall, der Kausalität wegen.


Du sagst es ja selbst, wir wägen ab.
Das tun wir nicht allein – durchaus auch – triebbestimmt, sondern eben auch rational.
Und hier folgen wir unseren eigenen Vorstellungen, dass die wiederum eine Mischung aus triebhaften Bedürfnissen, verinnerlichten elterlichen Normen und den sozialen Grenzen unserer Gesellschaft und einem mehr oder weniger großen ichhaften Rest darstellen, ist dabei kein Problem.

Wir jonglieren mit diesen Bausteinen und entscheiden dann, wie wir wollen, sofern wir unsere Sinne beisammen haben und nicht ausschließlich triebgesteuert sind.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Do 15. Dez 2011, 16:14

Ich habe deutlich geschrieben, dass das Abwägen auch determiniert ist, wir können nicht jonglieren. Du stellst es dir zu einfach vor, wenn du dir da das "ES" in unserem Kopf vorstellst, das sagt" Ich will essen/Sex....", der Begriff "Trieb" ist im biologischen Sinne das, was wir in einen Coctail von Hormonen und ein bestimmtes Signalmuster hineininterpretieren, da werden auch Erinnerungen/Beobachtungen analysiert, um die Triebe möglichst schadfrei auszuleben (was auch ein Trieb ist: Möglichst sich selbst erhalten, also sich möglichst wenig schaden). Die Triebe SIND rational, sie wurden sehr lange selektiert und ermöglichen uns bestmögliche Überlebenschancen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon mat-in » Do 15. Dez 2011, 17:01

Vollbreit hat geschrieben:Aber dennoch wirst Du vermutlich nicht bestreiten, dass die Vorgänge im Hirn, sich nicht außerhalb des Rahmems der Naturgesetez abspielen?

Mal dahingestellt, ob es fest betonierte Gesetze gibt, aber es findet sicherlich nicht außerhalb der physikalisch/chemisch/biologischen Realität statt, nein. :lachtot:

Vollbreit hat geschrieben:... immer wieder Descartes rauszukramen und gar den Vitalismus zu beschwören … huh – das tut heute einfach kein Philosoph mehr.

Darum geht es ja, daß es vollkommen absurd und überholt ist. Es scheint nur eben bei den Leuten nicht angekommen zu sein.


Vollbreit hat geschrieben:Grob argumentiert ist das fragwürdig, weil damit allen Menschen die Willensfreiheit pauschal abgesprochen wird und das mündet in ein halbes Dutzend Widersprüche.

Aber welche Willensfreiheit denn dann? Freiheit von Zwängen, ok. Aber Willensfreiheit außerhalb der Naturgesetze, außerhalb von Genen, Umwelt, ... das kann es so nicht geben, es sei denn man will doch irgend wie mit neuen Lack noch mal Descartes verkaufen.

Vollbreit hat geschrieben:Unsere Gesellschaft setzt mit Grundgesetz, Rechtssprechung usw. voraus. Wie kommt es eigentlich, dass das so gut funktioniert, wenn diese Voraussetzung fehlerhaft ist?
Es funktioniert eben nicht. Ich dachte eigentlich es wäre unustritten, daß man mit dem Wegsperren oder Töten von Menschen nicht erreicht, das die sich besser verhalten oder das andere abgeschreckt werden. Die USA sind das Land mit der höchsten Mordrate, und obwohl die Anwendung der Todesstrafe in den letzten jahren zurückgefahren wird, sinkt sie derzeit ein wenig. Bei Sexualverbrechern in Deutschland ist die Rückfallquote 80%. Eine Studie des Justizvollzug Zürich mit 300 Teilnehmern zeigt das sich durch Therapie die Rückfallquote um 50% senken läßt (waren glaube ich nicht ausschließlich Sexualverbrecher)... um mal so ein par Fakten hin zu werfen. Unser Justizsystem funktioniert so gut wie gar nicht, wenn es drum geht den Täter zu ändern. Warum? Weil es auf einem 200 Jahre alten menschenbild aufbaut...

Vollbreit hat geschrieben:Wie kann man jemanden überzeugen, bei dem einfach nur ein Programm abläuft, der wäre gar nicht zu überzeugen.
Dir ist schon bewußt, daß auch computer entscheidungen treffen können? Ich habe sogar gehört, daß es Programme gibt, die unterschiedliche Dinge machen, je nach dem, was man ihnen so an Eingaben liefert :lachtot:

Vollbreit hat geschrieben:Das tun wir nicht allein – durchaus auch – triebbestimmt, sondern eben auch rational.

Ah! von da her weht der Wind. Freier Wille bedeutet also "sich über seine Triebe erheben und rational abwägen"? Aber was tun wir denn beim "abwägen" anderes als das Produkt von Umwelt, genen, erfahrung zu sein und darauf basierend eine entscheidung zu treffen? Und verschätz dich mal nicht, unser "emotions System" ist tief drin in der entscheidungsfindung, auch bei "rationalen" Entscheidungen.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 17:08

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich habe deutlich geschrieben, dass das Abwägen auch determiniert ist, wir können nicht jonglieren. Du stellst es dir zu einfach vor, wenn du dir da das "ES" in unserem Kopf vorstellst, das sagt" Ich will essen/Sex....", der Begriff "Trieb" ist im biologischen Sinne das, was wir in einen Coctail von Hormonen und ein bestimmtes Signalmuster hineininterpretieren, da werden auch Erinnerungen/Beobachtungen analysiert, um die Triebe möglichst schadfrei auszuleben (was auch ein Trieb ist: Möglichst sich selbst erhalten, also sich möglichst wenig schaden). Die Triebe SIND rational, sie wurden sehr lange selektiert und ermöglichen uns bestmögliche Überlebenschancen.


Du wirfst hier manches durcheinander.

Es stimmt nicht, dass Triebe rational sind. Triebe, um genauer zu sein, Affekte, sind uns angeboren, sind ein Teil des biologischen Motivations- und Kommunikationssystems höherer Säugetiere dar.
„Rational“ sind sie in dem Sinne, dass wir ihnen einen Sinn für das evolutionäre Spiel unterstellen können, sie sind es nicht, in dem Sinne, dass jedes Lebewesen, das über Triebe (und deren Grundbaustein: Affekte) verfügt ein rationales Wesen sein muss.

Du differenzierst ja auch richtigerweise selbst: Einerseits sind da die angeborenen Triebe, andererseits sind wir bestrebt, sie „schadfrei auszuleben“. Dies ist der rationale Akt, zu dem wir erst in der Lage sind, wenn wir eine Idee davon haben, was gesellschaftlich erwünscht und nicht erwünscht ist (sonst macht der Begriff des Schadens keinen Sinn).
Diese Idee zu haben ist ein rationaler Akt und ein Resultat von Erziehung.

Bis sich aus dem, was uns erziehungsmäßig mitgegeben wurde, dann ein Ich konstituiert, das seine eigenen Bedürfnisse und die Versuche sie in befriedigender und gesellschaftskonformer Wiese zu leben koordinieren kann, ist es noch mal ein Stück hin, aber auch wenn dieses Projekt fehlschlagen kann, heißt das nicht, dass es nicht einigen gelingt zu einem differenzierten Wollen, wie Du es angedeutet hast, durchzudringen.

Das Problem Deiner Position noch mal aus einer anderen Perspektive: Wenn alles Trieb sein soll, verliert der Begriff jede Trennschärfe und ob ich dann „Triebtäter“ oder ein psychisch hochdifferenziertes Individuum bin, das eigene und andere Bedürfnisse und Denkansätze erkennt und respektiert, fällt bei diesem inflationären Gebrauch unter den Tisch.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 15. Dez 2011, 17:35

mat-in hat geschrieben:Darum geht es ja, daß es vollkommen absurd und überholt ist. Es scheint nur eben bei den Leuten nicht angekommen zu sein.


Das ist so ein beliebtes Spiel, gegen Positionen zu sein, die niemand vertritt.
Sag‘ mir doch bitte mal konkret, wer von den Philosophen, denen die Nachhilfe ja gelten soll, überhaupt Cartesianer ist. Ich kenne keinen einzigen.

mat-in hat geschrieben:Aber Willensfreiheit außerhalb der Naturgesetze, außerhalb von Genen, Umwelt, ... das kann es so nicht geben, es sei denn man will doch irgend wie mit neuen Lack noch mal Descartes verkaufen.


Niemand der Kompatibilisten ist Cartesianer und niemand außer harten Liberterianern, die man ebenso mit der Lupe suchen muss, vertritt überhaupt diese Auffassung.
Und die ünbrigen Inkompatibilisten haben sich längst auf die Bedingungen geeignigt, dass die Naturgesetze gelten, das Spiel also stets im Rahmen derselbe stattfindet.

mat-in hat geschrieben:Es funktioniert eben nicht. Ich dachte eigentlich es wäre unustritten, daß man mit dem Wegsperren oder Töten von Menschen nicht erreicht, das die sich besser verhalten oder das andere abgeschreckt werden.


Wer tot ist, für den hat sich die Frage erledigt, ansonsten geht der Vorwurf eher zurück ins Lager der Hirnforscher. Wer wirklich nicht anders kann, bei dem nützt Strafe nichts, aber kann denn wirklich niemand anders, als er tut?

Gesetzt jemand will eine Bank überfallen. Zufällig hält im Moment der beabsichtigten Tat ein Mannschaftswagen der Polizei vor der Bank. Wer jetzt die Nummer durchzieht, dem darf man unterstellen, dass er nicht anders kann. Wer abwartet und sein Vorhaben überdenkt, der kann offensichtlich auch anders.

mat-in hat geschrieben:Die USA sind das Land mit der höchsten Mordrate, und obwohl die Anwendung der Todesstrafe in den letzten jahren zurückgefahren wird, sinkt sie derzeit ein wenig. Bei Sexualverbrechern in Deutschland ist die Rückfallquote 80%.


Für die USA stimmt das wohl, bei den Sexusalstraftaten ist mein Kenntnisstand, dass ihre Rückfallquoten außerordentlich gering sind, geringer als bei Ladendiebstahl.
Eine Ausnahme sind schwere Serientäter aus dem Spektrum der Soziopathen, auf die müssten wir gesondert eingehen.

mat-in hat geschrieben:Eine Studie des Justizvollzug Zürich mit 300 Teilnehmern zeigt das sich durch Therapie die Rückfallquote um 50% senken läßt (waren glaube ich nicht ausschließlich Sexualverbrecher)... um mal so ein par Fakten hin zu werfen. Unser Justizsystem funktioniert so gut wie gar nicht, wenn es drum geht den Täter zu ändern. Warum? Weil es auf einem 200 Jahre alten menschenbild aufbaut...


Ich bin da im Grunde bei Dir und weit entfernt davon, dass Strafe Therapie ersetzt, aber im Grunde ist das ein Sonderthema. Doch auch Therapie, wo sie nicht nur Dressur ist, setzt ja auf Einsicht und die Fähigkeit zur (inneren) Kontrolle (ich kann auch anders).

mat-in hat geschrieben:Dir ist schon bewußt, daß auch computer entscheidungen treffen können? Ich habe sogar gehört, daß es Programme gibt, die unterschiedliche Dinge machen, je nach dem, was man ihnen so an Eingaben liefert :lachtot:


Was ist denn daran so lustig?
Entscheidungen treffen kann jede Lichtschranke, aber es gibt einen Unterschied zwischen reiner Reaktion auf einen Reiz und dem Verstehen, dieses Vorganges, der einen in die Lage versetzt eine Metaposition einzunehmen (die nichts mit Metaphysik zu tun hat). Es geht darum, dass man einmal Hunger hat und ist, reizgesteuert, einer erhöhten Appentenz unwissend folgend, bei anderen Mal hat man nicht nur das Gefühl, sondern auch einen Begriff davon, dass man „Hunger“ hat und einen Einfluss darauf, man kann die Reizerfüllung aufschieben.

mat-in hat geschrieben:Ah! von da her weht der Wind. Freier Wille bedeutet also "sich über seine Triebe erheben und rational abwägen"?


Nicht total, das geht oft nicht, aber man kann sie in gewissen Grenzen kontrollieren.
Ich bin ja nicht gezwungen jeden Triev zu befriedigen der mich gerade überfällt.

mat-in hat geschrieben:Aber was tun wir denn beim "abwägen" anderes als das Produkt von Umwelt, genen, erfahrung zu sein und darauf basierend eine entscheidung zu treffen?


Eigentlich nicht, aber um die Fähigkeit diese Entscheidung zu treffen geht es ja.

mat-in hat geschrieben: Und verschätz dich mal nicht, unser "emotions System" ist tief drin in der entscheidungsfindung, auch bei "rationalen" Entscheidungen.


Da ist was dran, inwieweit, darüber wird derzeit noch gestritten.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Darth Nefarius » Do 15. Dez 2011, 19:43

Vollbreit hat geschrieben:Es stimmt nicht, dass Triebe rational sind. Triebe, um genauer zu sein, Affekte, sind uns angeboren, sind ein Teil des biologischen Motivations- und Kommunikationssystems höherer Säugetiere dar.
„Rational“ sind sie in dem Sinne, dass wir ihnen einen Sinn für das evolutionäre Spiel unterstellen können, sie sind es nicht, in dem Sinne, dass jedes Lebewesen, das über Triebe (und deren Grundbaustein: Affekte) verfügt ein rationales Wesen sein muss.

Du differenzierst ja auch richtigerweise selbst: Einerseits sind da die angeborenen Triebe, andererseits sind wir bestrebt, sie „schadfrei auszuleben“. Dies ist der rationale Akt, zu dem wir erst in der Lage sind, wenn wir eine Idee davon haben, was gesellschaftlich erwünscht und nicht erwünscht ist (sonst macht der Begriff des Schadens keinen Sinn).
Diese Idee zu haben ist ein rationaler Akt und ein Resultat von Erziehung.

Bis sich aus dem, was uns erziehungsmäßig mitgegeben wurde, dann ein Ich konstituiert, das seine eigenen Bedürfnisse und die Versuche sie in befriedigender und gesellschaftskonformer Wiese zu leben koordinieren kann, ist es noch mal ein Stück hin, aber auch wenn dieses Projekt fehlschlagen kann, heißt das nicht, dass es nicht einigen gelingt zu einem differenzierten Wollen, wie Du es angedeutet hast, durchzudringen.

Das Problem Deiner Position noch mal aus einer anderen Perspektive: Wenn alles Trieb sein soll, verliert der Begriff jede Trennschärfe und ob ich dann „Triebtäter“ oder ein psychisch hochdifferenziertes Individuum bin, das eigene und andere Bedürfnisse und Denkansätze erkennt und respektiert, fällt bei diesem inflationären Gebrauch unter den Tisch.

Doch, du gibst doch selbst zu, dass sie rational sind, und jedes Wesen ist aus eben der biologischen Sicht rational, wenn es seinen Trieben folgt. Das hat natürlich nichts mit Denkleistung zu tun, aber das "Programm" funktioniert und abgesehen davon ist der Begriff unpassend und missverständlich, denn man könnte leicht in Versuchung kommen, mit dem Rationalismus zu argumentieren, der alles andere als "rational" ist.
Lies nochmal genauer: Ich schreibe, dass die Bestrebung, Schaden zu vermeiden auch ein Trieb ist, oder denkst du, dass ein Vogel nicht die Bestrebung hat, nicht gegen das nächste Gebäude zu fliegen? Die Triebe haben unterschiedliche Prioritäten und über allen steht eben dieser, ich werde lieber vor einem Dinosauriere weglaufen, als mich vor seiner Nase zu paaren, soetwas setzt sich durch, das ist ein Trieb. Die Erziehung, welcher Art sie auch ist, leitet sich aus unserer Kultur ab, diese von Ihrer Vorgängerkultur, usw.. Die basieren letztlich auf unseren Trieben, wenn im 18. Jh. die Töchter erzogen wurde, keusch zu leben bis zur Heirat, dann entsprach das der Überlebensstrategie der Monogamie, die Schwangerschaft war eine Investition und brauchte eine gesicherte Umgebung. Sobald die äußeren Umstände diese Erziehungen überflüssig und schädlich machen, fallen sie weg, denn sie stehen der Auslebung der Triebe im weg.
Zum letzten Punkt: Ja, es ist letztlich eine falsche Terminologie, "triebgesteuert" sind wir alle, aber neuerdings verwendet man auch den Begriff "triebgestört", was bedeutet, dass die Triebe in falschen Prioritäten vorliegen können, also dann schädlich sind. Es gibt viele falsche Verwendungen, "Sextäter" könnte auch einfach nur bedeute, dass derjenige den sexuellen Akt ausführt, "Genfood" bedeutet eigentlich nur, dass die Nahrung aus organischem Material herggestellt wurde, das möglicherweise noch DNA-Fragmente des ursprünglichen Lebewesens enthält.
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