Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 17:20

@Teh Asphyx

Ich habe nirgends gesagt, dass ich Zufall für unmöglich / unlogisch hielte. Wie gesagt nehmen wir hier nur for the sake of argument einen Determinismus an.

Klar kann es eingegrenzte Zufälle geben, aber das hatten wir doch eigentlich schon. Und ich nehme auch nicht an, dass Zufall nicht in einem Akteur entstehen kann, das Problem für mich besteht nur darin, einsehen zu können, inwiefern das Freiheit herstellt, (wenn der Zufall einfach so entsteht). Ich meine, dass Kontrolle notwendiger Bestandteil von Freiheit ist, etwas, das unkontrollierbar einfach so zufällig entsteht, kann keine Freiheit herstellen. Bzw. ich hätte halt gerne mal erklärt, wie das gehen könnte, wie man sich das vorstellen kann.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 5. Jan 2012, 17:23

AgentProvocateur hat geschrieben:Wie erwähnt, halte ich folgende Fähigkeiten für notwendige Bedingungen für Willensfreiheit: Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit. Ich glaube nicht, dass Dein kleines Programm die hat.


Hat es aber. Nicht in dem großen Umfang wie ein Mensch, sondern weitaus simpler, aber wenn es diese Fähigkeit nicht hätte, wäre es nicht in der Lage ein Ergebnis aus einer Eingabe abzuliefern.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe nirgends gesagt, dass ich Zufall für unmöglich / unlogisch hielte. Wie gesagt nehmen wir hier nur for the sake of argument einen Determinismus an.


Ja, aber Du machst den Fehler die Freiheit dann mit dem Satz vom zureichenden Grunde als a priori zu definieren, obwohl die Freiheit eigentlich a priori sein müsste.

AgentProvocateur hat geschrieben:Klar kann es eingegrenzte Zufälle geben, aber das hatten wir doch eigentlich schon. Und ich nehme auch nicht an, dass Zufall nicht in einem Akteur entstehen kann, das Problem für mich besteht nur darin, einsehen zu können, inwiefern das Freiheit herstellt, (wenn der Zufall einfach so entsteht). Ich meine, dass Kontrolle notwendiger Bestandteil von Freiheit ist, etwas, das unkontrollierbar einfach so zufällig entsteht, kann keine Freiheit herstellen. Bzw. ich hätte halt gerne mal erklärt, wie das gehen könnte, wie man sich das vorstellen kann.


Okay.
Wenn der Zufall im Akteur entsteht, dann gehört der Zufall zum Akteur. Dadurch falsifiziert sich schonmal Deine Schlussfolgerung, dass der Akteur nicht selbst entscheiden würde, wenn der Zufall entscheiden, denn der Zufall ist im Akteur und nicht außerhalb.
Die Kontrolle habe ich doch in zunehmenden Maße, je mehr Einsicht in die Notwendigkeit ich habe.

Ich poste nachher noch mal ein paar Texte zu dem Thema, die ich gerade gefunden habe und sehr spannend finde.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 17:45

Teh Asphyx hat geschrieben:Er meinte eben genau, dass man zum Beispiel aus dem Satz vom zureichenden Grund nicht hinter den Satz selbst zurück schließen kann, genauso wenig kann die klassische Physik die Quantenphysik erklären.

Ich fand das mit dem zureichenden Grund recht abstrakt aber meinetwegen sei es mal so richtig. Dann würde ich diese Schlußfolgerung aber immer noch stark in Zweifel ziehen. Wieso kann die klassische Physik in Bezug auf Qantenphysik ebenso wenig wie der Satz in Bezug auf sich selbst? Ich fürchte, so richtig viel klarer ist mir Heideggers Gedankenwelt also nicht geworden.

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich bin natürlich für den harten Akteur, weil ich denke, dass je komplexer die Einsicht einer Entität in Notwendigkeiten sein kann (ob das eine Maschine oder ein klassisches Lebewesen ist, sei dahingestellt), diese Entität weniger determiniert und mehr determinierend wird (dürfte sich im Allgemeinen mit Bewusstsein als Emergenz decken lassen).

Ich verstehe deine Haltung fast ebenso wenig wie die Heideggers, muss ich sagen. Harter Akteur, dafür bin ich auch. Aber deine Begründung verstehe ich noch nicht. Was hat die Härte des Akteurs mit Komplexität oder Einsicht zu tun? Ein harter Akteur ist imstande, eine Ursachenkette zu beginnen. Wie er das macht, ist mir laut Definition völlig egal. Zufall wäre eine Möglichkeit. Aber Einsicht? Wie soll das denn gehen?

Teh Asphyx hat geschrieben:„Neu“ muss nicht bedeuten, dass der Akteur keine bestehenden Parameter verwenden darf.

Doch, das muss es bedeuten. Die "neuen" Ursachen sind nur dann "neu", wenn es keinen einzigen kausalen Abhängigkeitsfaden zu bestehenden Parametern gibt.

Ich bin ja selber wirklich ein harter Determinist, der trotz Quantenphysik nicht an die Existenz von Zufall glaubt. Mich interessiert, wie das von dir gemeint ist, wenn du vom Improvisieren auf der Gitarre sprichst. Du glaubst wirklich, dass Quantenvorgänge in deinem Gehirn echten Zufall erzeugen und dein Gehirn dann diese Zufälle unter Beachtung musikalischer Regeln in eine nicht vorherbestimmte Improvisation umwandelt? Nach meinem Schema macht dich das zu einem Libertarianer, oder irre ich mich? Deine Entscheidungen, welche Noten du genau improvisierst sind (wenigstens teilweise) frei, weil echt zufällig, und du behauptest mit dem Zufall, dass der gesamte Vorgang nicht determiniert ist.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 17:51

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Wie erwähnt, halte ich folgende Fähigkeiten für notwendige Bedingungen für Willensfreiheit: Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit. Ich glaube nicht, dass Dein kleines Programm die hat.

Hat es aber. Nicht in dem großen Umfang wie ein Mensch, sondern weitaus simpler, aber wenn es diese Fähigkeit nicht hätte, wäre es nicht in der Lage ein Ergebnis aus einer Eingabe abzuliefern.

Aha? Gut, nehmen wir das einfach mal an, for the sake of argument. Nun addieren wir noch einen echten Zufallsgenerator und schon haben wir einen harten Akteur. Und nun? Worauf soll das hinauslaufen, was soll damit gezeigt werden, was ist der Zweck dieser Übung?

Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn der Zufall im Akteur entsteht, dann gehört der Zufall zum Akteur. Dadurch falsifiziert sich schonmal Deine Schlussfolgerung, dass der Akteur nicht selbst entscheiden würde, wenn der Zufall entscheiden, denn der Zufall ist im Akteur und nicht außerhalb.

Mein Einwand war aber der, dass Zufall nicht aktiv kontrolliert werden kann. Das hat Zufall so an sich.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 17:56

AgentProvocateur hat geschrieben:two-stage model of free will ... Erfüllt das Deine Anforderungen einen harten Akteur?

Ja, genau. Das wäre für mich sogar schon ein rationaler, harter Akteur.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun addieren wir noch einen echten Zufallsgenerator und schon haben wir einen harten Akteur. Und nun? Worauf soll das hinauslaufen, was soll damit gezeigt werden, was ist der Zweck dieser Übung?

Wie subtrahieren den Zufallsgenerator ganz schnell wieder (weil wir doch im Determinismus sind und ich will dort zumindest gerne bleiben). Und nun haben wir einen weichen Akteur, der laut deines Freiheitsbegriffes genauso frei ist wie ein Mensch. Das aber ist absurd. Was genau daran liegt, dass dein Freiheitsbegriff nicht stimmen kann.

Mehr wollte ich eigentlich erstmal nicht. :)

Ach doch: ich wollte doch wieder meinen Freiheitsbegriff nehmen, dass nur harte Akteure frei sind. Harte gibt es aber ohne Zufall im Determinismus nicht. Also bin ich inkompatibilistisch. Ihr endlich auch?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Do 5. Jan 2012, 18:07

AgentProvocateur hat geschrieben:Aha? Gut, nehmen wir das einfach mal an, for the sake of argument. Nun addieren wir noch einen echten Zufallsgenerator und schon haben wir einen harten Akteur. Und nun? Worauf soll das hinauslaufen, was soll damit gezeigt werden, was ist der Zweck dieser Übung?


Ich weiß nicht, was der Zweck ist, dass Du hier den Zufallsgenerator addierst. Wieso fragst Du mich das?
Ich wollte lediglich sagen, dass es bis auf die Komplexität keinen signifikanten Unterschied zwischen der Reflexionsfähigkeit eines Computers und eines Menschen gibt.

AgentProvocateur hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Wenn der Zufall im Akteur entsteht, dann gehört der Zufall zum Akteur. Dadurch falsifiziert sich schonmal Deine Schlussfolgerung, dass der Akteur nicht selbst entscheiden würde, wenn der Zufall entscheiden, denn der Zufall ist im Akteur und nicht außerhalb.

Mein Einwand war aber der, dass Zufall nicht aktiv kontrolliert werden kann. Das hat Zufall so an sich.


Und da der Zufall ja zum Akteur gehört und nicht den Akteur kontrolliert (der Zufall ist hier nämlich auch keine eigenständige Entität), sondern die Aktion des Akteurs selbst ist, ist der Akteur ja gerade frei, wenn der Zufall nicht durch irgendwas anderes kontrolliert wird.

ganimed hat geschrieben:Ich fand das mit dem zureichenden Grund recht abstrakt aber meinetwegen sei es mal so richtig. Dann würde ich diese Schlußfolgerung aber immer noch stark in Zweifel ziehen. Wieso kann die klassische Physik in Bezug auf Qantenphysik ebenso wenig wie der Satz in Bezug auf sich selbst? Ich fürchte, so richtig viel klarer ist mir Heideggers Gedankenwelt also nicht geworden.


Ich meinte der Satz kann nichts über sich selbst hinaus begründen. Die klassische Physik spielt sich auf eine bestimmten Ebene ab, die in sich zwar schlüssig ist, aber eben auch nicht über sich selbst hinaus, wo zum Beispiel die Quantenphysik ansiedelt.

ganimed hat geschrieben:Ich verstehe deine Haltung fast ebenso wenig wie die Heideggers, muss ich sagen. Harter Akteur, dafür bin ich auch. Aber deine Begründung verstehe ich noch nicht. Was hat die Härte des Akteurs mit Komplexität oder Einsicht zu tun? Ein harter Akteur ist imstande, eine Ursachenkette zu beginnen. Wie er das macht, ist mir laut Definition völlig egal. Zufall wäre eine Möglichkeit. Aber Einsicht? Wie soll das denn gehen?


Was soll ein Zufallsgenerator machen, wenn er keine Parameter hat? Wie soll man sich einen solchen Zufallsgenerator überhaupt vorstellen? Das ist, als wenn Du einfach einen Prozessor an einen Stromkreis anschließt und erwartet, dadurch würde irgendwas passieren. Einsicht wäre in diesem Fall, dass ein Programm da ist, das der Computer versteht, dieses Programm ist die Notwendigkeit, dann erst ist der Computer zum Beispiel frei, eine Zahl zwischen 1 und 6 zu generieren, ohne diese Einsicht wäre es ihm nicht möglich, er wäre in jeder Hinsicht ein lebloser Gegenstand.

ganimed hat geschrieben:Doch, das muss es bedeuten. Die "neuen" Ursachen sind nur dann "neu", wenn es keinen einzigen kausalen Abhängigkeitsfaden zu bestehenden Parametern gibt.


Ich spreche nicht von Kausalität, sondern von Konditionalität.

ganimed hat geschrieben:Ich bin ja selber wirklich ein harter Determinist, der trotz Quantenphysik nicht an die Existenz von Zufall glaubt. Mich interessiert, wie das von dir gemeint ist, wenn du vom Improvisieren auf der Gitarre sprichst. Du glaubst wirklich, dass Quantenvorgänge in deinem Gehirn echten Zufall erzeugen und dein Gehirn dann diese Zufälle unter Beachtung musikalischer Regeln in eine nicht vorherbestimmte Improvisation umwandelt?


Mir scheint das auf jeden Fall nahe liegender, aber wenn mir jemand tatsächlich plausible kausale Gründe zeigen kann, bin ich bereit, das anzunehmen. Beides ist für mich grundsätzlich möglich und denkbar, den Zufall halte ich für wahrscheinlicher.
Wenn Du nicht an die Existenz von Zufall glaubst, wie erklärst Du dann das Funktionieren eines Zufallsgenerators?

ganimed hat geschrieben:Nach meinem Schema macht dich das zu einem Libertarianer, oder irre ich mich?


Jein, ich stehe der Position vielleicht näher, allerdings ist mein Freiheitsbegriff hier doch auch ein wenig anders.

ganimed hat geschrieben:Deine Entscheidungen, welche Noten du genau improvisierst sind (wenigstens teilweise) frei, weil echt zufällig, und du behauptest mit dem Zufall, dass der gesamte Vorgang nicht determiniert ist.


Nein, so ganz stimmt das nicht. Es kann auch innerhalb der Vorganges determiniert sein, aber es gibt darin auch Freiheiten. Das ist ja das Dialektische.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 18:12

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:two-stage model of free will ... Erfüllt das Deine Anforderungen einen harten Akteur?

Ja, genau. Das wäre für mich sogar schon ein rationaler, harter Akteur.

Ach, echt?

Aber Du hast oben dies geschrieben:
ganimed hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:„Neu“ muss nicht bedeuten, dass der Akteur keine bestehenden Parameter verwenden darf.

Doch, das muss es bedeuten. Die "neuen" Ursachen sind nur dann "neu", wenn es keinen einzigen kausalen Abhängigkeitsfaden zu bestehenden Parametern gibt.

Dieses wird vom two-stage-model nicht erfüllt. Der Vorschlagsgenerator erzeugt nicht zusammenhanglos völlig beliebige Vorschläge, sondern auf die Situation zumindest halbwegs angepasste, also von dieser abhängige. (Ansonsten wäre das sehr ungünstig für die Lebenswartung des betreffenden Wesens, dann gäbe es nur tote harte Akteure).

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nun addieren wir noch einen echten Zufallsgenerator und schon haben wir einen harten Akteur. Und nun? Worauf soll das hinauslaufen, was soll damit gezeigt werden, was ist der Zweck dieser Übung?

Wie subtrahieren den Zufallsgenerator ganz schnell wieder (weil wir doch im Determinismus sind und ich will dort zumindest gerne bleiben). Und nun haben wir einen weichen Akteur, der laut deines Freiheitsbegriffes genauso frei ist wie ein Mensch. Das aber ist absurd. Was genau daran liegt, dass dein Freiheitsbegriff nicht stimmen kann.

Mehr wollte ich eigentlich erstmal nicht. :)

Nein, das Programm, selbst wenn ich zugestehen würde, dass es Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, ist nicht genauso frei wie ein Mensch, weil es nicht hinreichende Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, sondern um zig Größenordnungen weniger. Mein Freiheitsbegriff ist ein gradueller, z.B. ein kleines Kind hat weniger Willensfreiheit als ein normaler Erwachsener.

Dein Argument zieht überhaupt nicht. Wie gesagt: wir können aus Deinem Programm auch einen harten Akteur machen, es gibt keinen guten Grund, warum wir nicht auch diesen Fall mal kurz betrachten. Dann wendet sich das Argument ja wohl genauso gegen Dich wie gegen mich. Oder etwa nicht?

ganimed hat geschrieben:Ach doch: ich wollte doch wieder meinen Freiheitsbegriff nehmen, dass nur harte Akteure frei sind. Harte gibt es aber ohne Zufall im Determinismus nicht. Also bin ich inkompatibilistisch. Ihr endlich auch?

Nein, mein Problem ist nach wie vor, dass mir nicht so recht einleuchten will, wie Zufall Freiheit herstellen kann. Auch im two-stage-model leuchtet mir das nicht ein.

Wie oben schon mal gesagt: es könnte theoretisch zwei Welten geben, A und B, A determiniert und B indeterminiert, in denen aber dennoch alles exakt identisch ablaufen würde. In A halt determiniert und in B zufällig. Also P1 aus A trifft immer dieselben Entscheidungen wie P2 aus B und beide handeln immer exakt gleich. Dennoch aber wäre nach Deiner Ansicht P1 unfrei und P2 frei.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 18:27

AgentProvocateur hat geschrieben:Dieses wird vom two-stage-model nicht erfüllt. Der Vorschlagsgenerator erzeugt nicht zusammenhanglos völlig beliebige Vorschläge, sondern auf die Situation zumindest halbwegs angepasste, also von dieser abhängige.

Was ist nochmal ein indeterministischer Generator? Was ist das indeterministische an ihm? Ich als Programmierer wüsste keine andere Implementierung als einen Zufallsgenerator, dessen Ergebnisse ich irgendwie mit einem Plausibilitätsfilter bearbeitet, so dass der Generator insgesamt nur "gute" Möglichkeiten liefert. Aber ok, wenn der indeterministische Generator so nicht funktioniert sondern wenn du darauf bestehst, dass er "gleichzeitig" indeterministisch und doch kausal abhängig ist, dann ist das Gesamtkunstwerk also doch kein harter Akteur. Mein Fehler.

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, das Programm, selbst wenn ich zugestehen würde, dass es Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, ist nicht genauso frei wie ein Mensch, weil es nicht hinreichende Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, sondern um zig Größenordnungen weniger. Mein Freiheitsbegriff ist ein gradueller, z.B. ein kleines Kind hat weniger Willensfreiheit als ein normaler Erwachsener.

Aber demnach hätte das Programm also Willensfreiheit, wenn auch nur ein ganz ganz ganz kleines bisschen? Oder ab welchem Schwellwert stürzt bei dir die graduelle Freiheit auf 0?
Ich fände einen Freiheitswert > 0 für das Programm immernoch absurd. Du nicht?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, mein Problem ist nach wie vor, dass mir nicht so recht einleuchten will, wie Zufall Freiheit herstellen kann.

Zufall kann kausale Unabhängigkeit herstellen. Kausale Unabhängigkeit ist laut meines Freiheitsbegriffes genau Freiheit. Dir will die Herstellung von Freiheit durch Zufall genau deshalb nicht einleuchten, weil du meinen Freiheitsbegriff nicht teilst. Ich schlage deshalb vor, bei der Frage zu bleiben, wieso mein und nicht dein Freiheitsbegriff der bessere ist.

Deinen Freiheitsbegriff finde ich schlechter, weil Programme plötzlich, wenn auch nur wenig, Freiheit haben.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 18:27

Teh Asphyx hat geschrieben:Ich wollte lediglich sagen, dass es bis auf die Komplexität keinen signifikanten Unterschied zwischen der Reflexionsfähigkeit eines Computers und eines Menschen gibt.

Aber das gilt dann ebenso für Deine Auffassung, das hat also nichts speziell mit meiner Auffassung zu tun, oder?

Teh Asphyx hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Einwand war aber der, dass Zufall nicht aktiv kontrolliert werden kann. Das hat Zufall so an sich.

Und da der Zufall ja zum Akteur gehört und nicht den Akteur kontrolliert (der Zufall ist hier nämlich auch keine eigenständige Entität), sondern die Aktion des Akteurs selbst ist, ist der Akteur ja gerade frei, wenn der Zufall nicht durch irgendwas anderes kontrolliert wird.

Also, um das mal festzuhalten: frei ist man Deiner Auffassung nach genau dann, wenn irgendwo eine neue Kausalkette entsteht, oder anders gesagt: wenn es hypothetisch möglich ist, dass die bestenden Kausalketten mal so und so verlaufen können. Ist das soweit korrekt? Warum die Kausalketten aber mal diesen und mal diesen Weg einschlagen, ist Deiner Ansicht nach unwichtig, spielt keine Rolle. Richtig?

Wenn ja: wieso spielt es dabei für eine Rolle, dass der Zufall im Akteur angesiedelt ist? Wieso kann der nicht extern erfolgen? Dann würden die Kausalketten doch ganz genauso geteilt, oder etwa nicht? Und für den dahinterliegenden Entscheidungsprozess machte das keinen Unterschied, oder? Wenn doch: welchen? Wofür würdest Du den Akteur als verantwortlich ansehen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für seine determiniert erfolgende Abwägung und Entscheidung und darauf folgende Handlung? Oder muss auch im Entscheidungsprozess noch ein Zufallselement hinzukommen, um Verantwortlichkeit zu gewährleisten? Wenn ja: wo und wie?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 18:41

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Dieses wird vom two-stage-model nicht erfüllt. Der Vorschlagsgenerator erzeugt nicht zusammenhanglos völlig beliebige Vorschläge, sondern auf die Situation zumindest halbwegs angepasste, also von dieser abhängige.

Was ist nochmal ein indeterministischer Generator? Was ist das indeterministische an ihm? Ich als Programmierer wüsste keine andere Implementierung als einen Zufallsgenerator, dessen Ergebnisse ich irgendwie mit einem Plausibilitätsfilter bearbeitet, so dass der Generator insgesamt nur "gute" Möglichkeiten liefert. Aber ok, wenn der indeterministische Generator so nicht funktioniert sondern wenn du darauf bestehst, dass er "gleichzeitig" indeterministisch und doch kausal abhängig ist, dann ist das Gesamtkunstwerk also doch kein harter Akteur. Mein Fehler.

Öhm, vielleicht haben wir immer noch einen Dissens darüber, was indeterminiert und was kausal bedeutet?

Bleiben wir beim Programmierbeispiel. Nehmen wir mal an, ich würde einen Zufallsgenerator entwickeln, der in einen Schachcomputer (SC) eingebaut werden soll. Der Schachcomputer berechnet nun determiniert gleichwertige Züge, der Zufallsgenerator wird dahintergeschaltet, um aus diesen zufällig einen auszuwählen. Zufällig = indeterminiert. Aber das bedeutet nun nicht auch "beliebig", denn der Zufallsgenerator kann keine andere Ausgabe machen als die vorgegebenen Möglichkeiten. Also kausal, mit Einschränkungen. Aus der Eingabe A, B, C und D kann A, B, C oder D erfolgen. Aber nicht E, F oder G.

Oder? Wie definierst Du das, was verstehst Du darunter?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, das Programm, selbst wenn ich zugestehen würde, dass es Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, ist nicht genauso frei wie ein Mensch, weil es nicht hinreichende Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit hat, sondern um zig Größenordnungen weniger. Mein Freiheitsbegriff ist ein gradueller, z.B. ein kleines Kind hat weniger Willensfreiheit als ein normaler Erwachsener.

Aber demnach hätte das Programm also Willensfreiheit, wenn auch nur ein ganz ganz ganz kleines bisschen? Oder ab welchem Schwellwert stürzt bei dir die graduelle Freiheit auf 0?
Ich fände einen Freiheitswert > 0 für das Programm immernoch absurd. Du nicht?

Wie gesagt: alles, was Du meinst, hier gegen mich verwenden zu können, kann ich ganz genauso gegen Dich verwenden. Mir ist egal, das Du das nicht tun willst, Du das künstlich einschränken willst, ist aber dennoch so. Weicher Akteur + Zufallsgenerator = harter Akteur. Was immer Dir daran absurd erscheinen mag: das gilt gleichermaßen für uns beide. Das Sorites-Argument geht mir übrigens ein bisschen auf den Keks. Es stimmt zwar, dass ich keine exakte Grenze angeben kann, wann jemand frei ist und wann nicht, aber dennoch sehe ich darin kein Argument. Keines, das ich nicht ungebraucht an Dich zurückgeben könnte. Oder?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, mein Problem ist nach wie vor, dass mir nicht so recht einleuchten will, wie Zufall Freiheit herstellen kann.

Zufall kann kausale Unabhängigkeit herstellen. Kausale Unabhängigkeit ist laut meines Freiheitsbegriffes genau Freiheit. Dir will die Herstellung von Freiheit durch Zufall genau deshalb nicht einleuchten, weil du meinen Freiheitsbegriff nicht teilst. Ich schlage deshalb vor, bei der Frage zu bleiben, wieso mein und nicht dein Freiheitsbegriff der bessere ist.

Deinen Freiheitsbegriff finde ich schlechter, weil Programme plötzlich, wenn auch nur wenig, Freiheit haben.

Aber nach Deinem auch. *schulterzuck*
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 19:18

AgentProvocateur hat geschrieben:Zufällig = indeterminiert. Aber das bedeutet nun nicht auch "beliebig"

Stimmt. Aber kausal unabhängig heißt ebenfalls nicht beliebig.
Aus der Eingabe A,B,C oder D folgt A,B,C oder D. Das ist absolut nicht beliebig. Aber wenn das per Zufallsgenerator passiert, dann ist es kausal unabhängig.
"Wieso kam C heraus? Genau deshalb, weil der Zufallsgenerator das auswählte."
Man mag die Eingabemenge als zweite Ursache definieren. Dann könnte man fragen: "wieso kam nicht F heraus? Weil die Eingabemenge des Zufallsgenerators F nicht enthielt." Die erste Ursachenkette der C-Wahl fängt jedoch neu an und ist kausal unabhängig.
Es wäre also schon so, dass nur ein einziger Zufallsgenerator für teilweise kausale Unabhängigkeit sorgte und damit für einen harten Akteur.

AgentProvocateur hat geschrieben:Weicher Akteur + Zufallsgenerator = harter Akteur.

Dem stimme ich zu. Im Determinismus gibt es aber gerade keinen Zufallsgenerator und damit keinen harten Akteur. Damit bleibt es doch dabei, dass nach meinem Freiheitsbegriff (wo nur harte Akteure frei sind) es im Determinismus keine Freiheit gibt. Stimmts?
Und nach deinem Freiheitsbegriff haben weiche Akteure (Programme, Menschen und Rehe) alle einen freien Willen, nur in unterschiedlichem Maße. Stimmts?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 19:47

ganimed hat geschrieben:Die erste Ursachenkette der C-Wahl fängt jedoch neu an und ist kausal unabhängig.

(Ich sehe das zwar begrifflich anders: wenn aus A nur B oder C folgen kann, dann sind mE B und C kausal abhängig von A. Aber das ist hier egal, das ist nur eine Begriffs-/Definitionssache.)

ganimed hat geschrieben:Es wäre also schon so, dass nur ein einziger Zufallsgenerator für teilweise kausale Unabhängigkeit sorgte und damit für einen harten Akteur.

Du nimmst also Deinen Einwand von oben gegen Teh Asphyx zurück: "Die "neuen" Ursachen sind nur dann "neu", wenn es keinen einzigen kausalen Abhängigkeitsfaden zu bestehenden Parametern gibt." Richtig? Wenn nicht, dann bin ich jetzt sehr verwirrt, dann weiß ich nicht, was Du eigentlich vertrittst. Mal so und mal so.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Weicher Akteur + Zufallsgenerator = harter Akteur.
Dem stimme ich zu. Im Determinismus gibt es aber gerade keinen Zufallsgenerator und damit keinen harten Akteur. Damit bleibt es doch dabei, dass nach meinem Freiheitsbegriff (wo nur harte Akteure frei sind) es im Determinismus keine Freiheit gibt. Stimmts?

Ja, legt man Deine mir seltsam erscheinende Prämisse und den Determinismus zugrunde, dann stimmt das.

ganimed hat geschrieben:Und nach deinem Freiheitsbegriff haben weiche Akteure (Programme, Menschen und Rehe) alle einen freien Willen, nur in unterschiedlichem Maße. Stimmts?

Stimmt. (Mein Freiheitsbegriff hängt, wie gesagt, von der bestehenden Erkenntnis- und Reflexionsfähigkeit ab. Wenn wir die Rehe und Programmen zusprechen, dann wären die demnach auch - graduell - frei). Aber im Indeterminismus gibt es harte Akteure und dort gilt dann das Gleiche für Deine Ansicht. Dann wären auch Programme, Menschen und Rehe in Deinem Sinne frei. Alles, was zufällig erfolgte, wäre frei. Wir können uns auch eine gemischte Welt vorstellen, in der Menschen determiniert wären und Rehe und Programme mit Zufallsgeneratoren nicht. Dann wären die Rehe und die Programme frei und die Menschen nicht.

Und dieses gilt, glaube ich, in Deiner Ansicht auch: jemand, der nicht rational handeln kann, weil er ununterbrochen unter dem Tourette-Syndrom leidet, wäre Deiner Ansicht nach komplett frei, wenn seine Zuckungen und Äußerungen nur rein zufällig / indeterminiert erfolgten.

Mal abgesehen davon, dass mir das nicht einleuchten will: mir geht es hier vor allem um rationale Entscheidungen und Handlungen. Nach Deiner Auffassung wären die entweder total unfrei, weil die ja von nichts abhängen dürften (und es kann keine rationalen Entscheidungen / Handlungen geben, die von nichts abhängen) oder aber, weil Du nun ziemlich zurückgerudert bist: sie wären zumindest weniger frei als der hypothetische völlig indeterminierte und nicht lebensfähige Tourette-Mensch, der keinerlei Einflüssen unterliegt. Stimmt's?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 5. Jan 2012, 20:16

Ich muss zugeben, mein lieber AgentProvocateur, du bringst mich ganz schön ins Schwitzen. Das finde ich sehr spannend. Und natürlich schwitzig.

AgentProvocateur hat geschrieben:Du nimmst also Deinen Einwand von oben gegen Teh Asphyx zurück: "Die "neuen" Ursachen sind nur dann "neu", wenn es keinen einzigen kausalen Abhängigkeitsfaden zu bestehenden Parametern gibt." Richtig?

Richtig. Ich habe falsch gelegen. Man kann einen Zufallsgenerator durch Abhängigkeiten zähmen und der Beliebigkeit entreißen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber im Indeterminismus gibt es harte Akteure und dort gilt dann das Gleiche für Deine Ansicht. Dann wären auch Programme, Menschen und Rehe in Deinem Sinne frei.

Richtig.

AgentProvocateur hat geschrieben:jemand, der nicht rational handeln kann, weil er ununterbrochen unter dem Tourette-Syndrom leidet, wäre Deiner Ansicht nach komplett frei, wenn seine Zuckungen und Äußerungen nur rein zufällig / indeterminiert erfolgten.

Die Handlung, also das Zucken, wäre komplett akausal. Das ist aber nicht der Wille des Patienten (nehme ich mal an). Freier Wille ist schon noch was anderes. Und komplett frei wäre der Wille natürlich nur, wenn er komplett akausal wäre. Das wäre dann die absolute Unberechenbarkeit.

AgentProvocateur hat geschrieben:mir geht es hier vor allem um rationale Entscheidungen und Handlungen

Wieso kommt da eigentlich nicht das Wort "frei" vor? Ich finde das, nur nebenbei bemerkt, wiedermal sprachlich verräterisch. Du meinst bei deinem Freiheitsbegriff nicht wirklich "frei" und "unabhängig", sondern "rational" und "vernünftig".

AgentProvocateur hat geschrieben:Nach Deiner Auffassung wären die entweder total unfrei, weil die ja von nichts abhängen dürften (und es kann keine rationalen Entscheidungen / Handlungen geben, die von nichts abhängen) oder aber, weil Du nun ziemlich zurückgerudert bist: sie wären zumindest weniger frei als der hypothetische völlig indeterminierte Tourette-Mensch, der keinerlei Einflüssen unterliegt.

Ja, letzteres, weil ich zurückgerudert bin. Der Tourette-Mensch kann mehr machen, er kann zucken wenn das vernünftig ist UND er kann zucken, wenn es unvernünftig ist. Letzteres kann dein vernünftiger Mensch nicht. Also hat der Tourette-Mensch recht, wenn er sagt: "ich bin mal so frei und zucke, auch wenns nicht vernünftig ist. Zuck".

Und jetzt drehe ich dein Argument mal um. Gesetzt den Fall, dass Person A vernünftig ist und Person B mit Zufallsgenerator rumläuft (meinetwegen Tourette). Und beide täten einen ganzen Tag lang genau dasselbe. Nur mal angenommen. Zufällig würde Person B dann zucken, wenn Zucken auch die einzig richtige Bewegung ist (mit den Schultern bei Nichtwissen zum Beispiel). Beide Personen würden sich genau gleich verhalten und du würdest dennoch behaupten, dass Person A freier ist, weil all seine Entscheidungen auf vernünftigen Überlegungen beruhten, während B meistens nur einfach mal so was machte.
Jeder normale Mensch würde das aber doch nicht "freier" nennen, sondern lediglich sagen: Person A ist vernünftiger und rationaler. Jeder normale Mensch definiert Freiheit über die Anzahl der Möglichkeiten und nicht über die genaue Beschaffenheit der Fesseln.
Und wenn man zurückspult und diesen Tag wieder und wieder ablaufen lässt, dann verhält sich A immer genau gleich, jeden Tag. Und B eben nicht. Der oben beschriebene Tag war ein seltener Spezialfall, wo B zufällig dasselbe tat wie A. An den meisten anderen Tagen macht B andere Sachen. Jeder normale Mensch würde dann doch nach etwa 100 Tagesdurchläufen staunen, welche Handlungsmöglichkeiten B doch hat, aus wievielen Optionen er scheinbar wählen kann, wie breit gefächert seine Wahlmöglichkeiten sind. Mit einem Wort, wie viel freier B doch ist. Ganz ehrlich, ich kapiere nicht, wieso du A freier nennst, der sich bei jeder Tagwiederholung völlig sklavisch immer gleich verhält.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 21:39

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:jemand, der nicht rational handeln kann, weil er ununterbrochen unter dem Tourette-Syndrom leidet, wäre Deiner Ansicht nach komplett frei, wenn seine Zuckungen und Äußerungen nur rein zufällig / indeterminiert erfolgten.

Die Handlung, also das Zucken, wäre komplett akausal. Das ist aber nicht der Wille des Patienten (nehme ich mal an). Freier Wille ist schon noch was anderes. Und komplett frei wäre der Wille natürlich nur, wenn er komplett akausal wäre. Das wäre dann die absolute Unberechenbarkeit.

Ja, allerdings, höchstwahrscheinlich wäre das nicht der Wille des Patienten, das stimmt. Aber das hattest Du bisher auch nicht gefordert, Deine Forderung an einen freien Willen besteht bisher nur darin, dass der zufällig / nicht determiniert sein solle. Und mehr nicht. Es war bisher keine Rede von einer zusätzlichen Übereinstimmung mit den Absichten und Zielen. Genau genommen kannst Du diese Forderung auch gar nicht erheben: wenn etwas abhängig von Absichten und Zielen ist, dann ist es doch wohl Deiner Voraussetzung nach nicht frei, weil abhängig. Oder etwa nicht? Ich finde das mal wieder verwirrend.

Was ist denn nun ein freier Wille Deiner Meinung nach? Wenn der total akausal wäre, also von nichts abhinge und gleichzeitig von den Wünschen, Einstellungen und Zielen der Person abhinge? Merkst Du nicht, dass das ein Widerspruch in sich ist, dass Du etwas per se Unmögliches forderst? Was daher gar nichts mit Determinismus zu tun hat, sondern immer unmöglich ist. Weil nichts gleichzeitig unabhängig und abhängig sein kann.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:mir geht es hier vor allem um rationale Entscheidungen und Handlungen

Wieso kommt da eigentlich nicht das Wort "frei" vor? Ich finde das, nur nebenbei bemerkt, wiedermal sprachlich verräterisch. Du meinst bei deinem Freiheitsbegriff nicht wirklich "frei" und "unabhängig", sondern "rational" und "vernünftig".

Nun, die Sache ist wohl schlicht die: die Fähigkeit zu rationalem und vernünftigem Entscheiden und Handeln ist für mich Freiheit, (woraus aber nicht folgt, dass man immer rational und vernünftig handeln solle oder dass nur solche Entscheidungen und Handlungen frei seien). Allerdings sind für mich "frei" und "unabhängig" keine Synonyme. Genauer gesagt: sie wären für mich nur dann Synonyme, wenn unter "unabhängig" nicht "unabhängig von allem" verstanden wird. Denn "unabhängig von allem" bedeutet logischerweise auch: unabhängig von mir, meinen Einstellungen, meinen Ansichten, meinen Wünschen, Zielen etc. pp. Und ein Wille, Entscheidungen und Handlungen, die von mir unabhängig wären, würden mich nicht frei, sondern unfrei machen. Freiheit bedeutet für mich: Unabhängigkeit von äußeren und inneren Zwängen. Aber nicht: 'Unabhängigkeit von allem'. Das ist mein Problem hier, weil Du anscheinend eben das darunter verstehst, was mir aber nicht einleuchten will.

ganimed hat geschrieben:Der Tourette-Mensch kann mehr machen, er kann zucken wenn das vernünftig ist UND er kann zucken, wenn es unvernünftig ist. Letzteres kann dein vernünftiger Mensch nicht. Also hat der Tourette-Mensch recht, wenn er sagt: "ich bin mal so frei und zucke, auch wenns nicht vernünftig ist. Zuck".

Wieso kann ein vernünftiger Mensch das nicht? Und warum überhaupt sollte er das machen? Um sich zu beweisen, dass er frei ist? Oder einfach so, ohne Grund, weil grundloses Handeln Freiheit bedeutet? Verstehe ich nicht, fände ich unvernünftig und besonders wichtig finde ich eine solche Freiheit auch nicht, ich finde die eher hinderlich. Ich habe keinen Bock, den ganzen Tag sinnlos zucken zu müssen, nur um frei zu sein. Das würde mich - nach meinem Verständnis von Freiheit - unfrei machen, müsste ich das tun.

Der Tourette-Mensch ist meiner Ansicht nach unfreier, (als ein Vergleichsmensch, der in allen Fähigkeiten und Eigenschaften exakt gleich ist, mit dem einzigen Unterschied, dass er kein Tourette-Syndrom hat), weil er weniger Kontrolle hat, (und, unbescheiden, wie ich bin, meine ich, dass die meisten anderen Menschen das auch so sehen würden). Spielt meiner Ansicht nach keine Rolle, ob seine Zuckungen determiniert oder indeterminiert erfolgten. Wieso sollte es auch? Nach Deiner Ansicht müsste jemand mit dem Tourette-Syndrom, der determiniert zuckt, unfreier sein, als jemand mit Tourette-Syndrom, der indeterminiert zuckt. Wieso aber, bitteschön, dafür muss es doch einen Grund geben?

Außerdem ist es mE auch falsch, hier zu sagen. "der Tourette-Mensch kann mehr machen." Er kann es eben nicht machen, er hat ja keinen Einfluss, keine Kontrolle über seine Zuckungen, diese stoßen ihm nur zu, er kann nichts dagegen tun, er zuckt einfach, egal, ob er will oder nicht. Was bei Deinem Verständnis von Freiheit wohl keine Rolle spielt, oder? Ich meine aber, das sollte es, ich meine auch, dass, wenn es das nicht tut, das wenig Anerkennung finden wird. In meinem Verständnis von Freiheit spielt die Determiniert- oder Indeterminiertheit der Zuckungen keine Rolle, es spielt nur eine Rolle, ob die kontrolliert werden können oder nicht.

ganimed hat geschrieben:Und jetzt drehe ich dein Argument mal um. Gesetzt den Fall, dass Person A vernünftig ist und Person B mit Zufallsgenerator rumläuft (meinetwegen Tourette). Und beide täten einen ganzen Tag lang genau dasselbe. Nur mal angenommen. Zufällig würde Person B dann zucken, wenn Zucken auch die einzig richtige Bewegung ist (mit den Schultern bei Nichtwissen zum Beispiel). Beide Personen würden sich genau gleich verhalten und du würdest dennoch behaupten, dass Person A freier ist, weil all seine Entscheidungen auf vernünftigen Überlegungen beruhten, während B meistens nur einfach mal so was machte.

Stimmt, zumindest, wenn ich die Hintergründe und die beiden schon länger kennen würde, dann würde ich das denken.

ganimed hat geschrieben:Jeder normale Mensch würde das aber doch nicht "freier" nennen, sondern lediglich sagen: Person A ist vernünftiger und rationaler. Jeder normale Mensch definiert Freiheit über die Anzahl der Möglichkeiten und nicht über die genaue Beschaffenheit der Fesseln.

Naja, ich weiß nicht. Ich tue das jedenfalls nicht und dennoch halte ich mich für völlig normal.

Nehmen wir mal an, ich konstruierte einen Computer, dem ich eine unzählige Menge von Sprachfetzen einprogrammieren würde, die dann per Zufallsgenerator abgespielt würden. Und dann sage ich einem Menschen: "da drüben steht ein Computer, der ist allwissend, den kannst Du fragen, was immer Du willst: der hat immer die richtige Antwort". Und dann geht er hin, stellt Fragen und der Computer spielt programmgemäß irgendwas ab. Später kommt der Mensch zu mir und sagt: "Du spinnst, der hat eine Scheiße gelabert, das ist unglaublich. Das ist eine taube Nuss, sonst nix". Gut, ich suche mir neue Menschen, tausende, hunderttausende, und eines Tages stimmen alle zufällig vom Computer abgespielten Sprachfetzen zufällig mit den Kommunikationsversuchen des heutigen Menschen überein. Und der ist absolut begeistert und überzeugt davon, dass der Computer ein Genie ist und ihn völlig versteht. Ich erkläre ihm die Sache, aber er glaubt mir nicht, hält mich für einen Lügner.

Und nun? Der Computer hatte vielleicht eine sehr viel größere Anzahl der Möglichkeiten als ich, ich habe mir sehr viel Mühe gegeben, alles nur Mögliche zusammenzukopieren. Und zufällig / indeterminiert waren seine abgespielten Soundfetzen auch, (ich habe einen echten / indeterminierten Zufallsgenerator eingebaut). War er also freier als ich, der ich determiniert bin?

ganimed hat geschrieben:Und wenn man zurückspult und diesen Tag wieder und wieder ablaufen lässt, dann verhält sich A immer genau gleich, jeden Tag. Und B eben nicht. Der oben beschriebene Tag war ein seltener Spezialfall, wo B zufällig dasselbe tat wie A. An den meisten anderen Tagen macht B andere Sachen. Jeder normale Mensch würde dann doch nach etwa 100 Tagesdurchläufen staunen, welche Handlungsmöglichkeiten B doch hat, aus wievielen Optionen er scheinbar wählen kann, wie breit gefächert seine Wahlmöglichkeiten sind. Mit einem Wort, wie viel freier B doch ist. Ganz ehrlich, ich kapiere nicht, wieso du A freier nennst, der sich bei jeder Tagwiederholung völlig sklavisch immer gleich verhält.

Ah, okay, an dieser Stelle haben wir nun tatsächlich völlig entgegengesetzte Intuitionen. Wenn sich jemand in exakt derselben Situation, also exakt denselben inneren und äußeren Umständen, immer exakt gleich verhielte, dann würde ich deswegen nicht für unfrei halten. Ich mein', wenn Du das von Dir hier untergeschobene "sklavisch" mal näher erläutern würdest, dann könnte ich vielleicht Deine Intuition besser verstehen. Ich verstehe Dein Gedankenexperiment doch richtig: jemand, nennen wir ihn X, wird über einen bestimmten Zeitraum betrachtet. Wir können alles sehen, alle inneren und äußeren Umstände. Nun spulen wir die Zeit zig-mal zurück, X und alles andere ist jedesmal wieder exakt identisch, also X weiß natürlich dann nicht, dass wir die Zeit zurückgedreht haben, für ihn beginnt die Situation jedesmal gleichermaßen von neuem. Wieso wäre X dann unfrei und sklavisch? Diese Intuition, die Du da wohl hast, fehlt mir anscheinend. Mein Problem an der Stelle wäre, verstehen zu können, wieso sich B immer anders verhielte. Dafür muss es doch einen Grund, eine Ursache geben. Ich meine, dass Du den / die nennen musst, damit ich mir das überhaupt vorstellen kann. Voraussetzungsgemäß ist ja alles immer gleich und wenn alles immer gleich ist, wie kann es dann immer anders sein? Oder es ist voraussetzungsgemäß immer alles gleich, außer Zufällen, die an irgend einer Stelle passieren. Und Du bist mir jetzt schuldig, mir das nachvollziehbar zu erläutern.

Noch 'ne Frage: würdest Du A für nicht verantwortlich halten, aber B für verantwortlich? Wenn ja: wieso?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon Dissidenkt » Do 5. Jan 2012, 22:56

AgentProvocateur hat geschrieben:@Dissidenkt: wessen Standpunkt greifst Du an, auf wen oder was beziehst Du Dich? Hast Du mal ein paar Links zu Leuten, die das vertreten, was Du angreifst?

Ich führe diese Diskussion nicht zum ersten Mal, ich habe schon einiges von verschiedenen Seiten darüber gelesen, aber bisher ist mir noch nie jemand untergekommen, der eine absolute Freiheit in Deinem Sinne vertreten würde. Es gibt zwar zugegebenermaßen einige Leute, die diesen Standpunkt ebenso wie Du angreifen, z.B. MSS (und diverse andere), aber wenn es niemanden gibt, der ihn vertritt, an wen wendet sich das dann, was soll das, was will man damit erreichen?


Was ich hier immer wieder zu erklären versuche, aber niemand wirklich nachvollziehen kann, ist der Fakt, dass es keine "Freiheit" im absoluten Sinne und auch kein "freies" Irgendwas gibt. Nichts ist absolut frei. Dennoch werden beide Termini hier fortwährend falsch verwendet, nämlich so, als gebe es einen "freien Willen" oder etwas dergleichen. Wer das Wort "frei" verwendet muss konkretisieren von welchem Einfluss das entsprechende Objekt angeblich frei sein soll. Von der Schwerkraft? Von der Physik? Der "freie" Wille ist frei von hormonellen, genetischen oder gesellschaftlichem Einfluss, oder was?

Du selbst gehörst auch dazu, obwohl du schon weitestgehend verstanden hast, dass es keine absolute Freiheit gibt, benutzt du - wie die meisten anderen hier auch - den Begriff so, als gäbe es eine absolute Freiheit. Du stehst quasi kurz vor der Schwelle zur Erkenntnis, drehst dich aber auf ihr im Kreis, weil die letzte Akzeptanz der Tatsache - dass es keine Freiheit gibt - noch nicht durchgedrungen ist.

Beispiel (von dir): "Es stimmt zwar, dass ich keine exakte Grenze angeben kann, wann jemand frei ist und wann nicht, aber dennoch sehe ich darin kein Argument."

Der Satz ist unsinnig, weil niemand (in dem absoluten Sinne, in dem du es hier verwendest) "frei" sein kann. Er ergäbe nur dann Sinn, wenn du das "frei" konkretisiert, also eingeschränkt hättest.
Versuch also mal diesen Satz so zu formulieren, dass er Sinn ergibt, indem du das "frei" konkretisierst.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Do 5. Jan 2012, 23:10

Dissidenkt hat geschrieben:Was ich hier immer wieder zu erklären versuche, aber niemand wirklich nachvollziehen kann, ist der Fakt, dass es keine "Freiheit" im absoluten Sinne und auch kein "freies" Irgendwas gibt. Nichts ist absolut frei.

Niemand hat dergleichen hier behauptet. Du kämpfst gegen Windmühlen, Strohmänner, Chimären, Pappkameraden. So wie z.B. MSS das auch tut.

Es gibt kaum etwas, das unwitziger wäre.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 6. Jan 2012, 00:09

So, zwei ganz interessante Texte zu dem Thema, die ich heute gefunden und jetzt endlich auch gelesen habe:

[url]http://alltagundphilosophie.com/2011/04/06/„kompatibilismus“-bei-ernst-tugendhat-–-akzeptiert-den-„mythos-des-sisyphos“/[/url]
http://www.michael-funken.de/information-philosophie/philosophie/stamerbeckermann.html

AgentProvocateur hat geschrieben:
Teh Asphyx hat geschrieben:Ich wollte lediglich sagen, dass es bis auf die Komplexität keinen signifikanten Unterschied zwischen der Reflexionsfähigkeit eines Computers und eines Menschen gibt.

Aber das gilt dann ebenso für Deine Auffassung, das hat also nichts speziell mit meiner Auffassung zu tun, oder?


Ja, ich habe nicht den Anspruch, dass Freiheit absolut sein muss, es gibt auch bei mir Abstufungen. Ich kann mir einen absoluten Freiheitsbegriff theoretisch denken, halte ihn aber in der Praxis nicht für anwendbar. Den absoluten Begriff brauche ich nur um die Eigenschaften von Freiheit denken zu können, die dann mehr oder weniger stark irgendwo vertreten sein können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Also, um das mal festzuhalten: frei ist man Deiner Auffassung nach genau dann, wenn irgendwo eine neue Kausalkette entsteht, oder anders gesagt: wenn es hypothetisch möglich ist, dass die bestenden Kausalketten mal so und so verlaufen können. Ist das soweit korrekt?


Im Rahmen sinnvoller Möglichkeiten, ja. Ich erwarte da nichts, das einfach mal eben alle Naturgesetze verändert.
Um das mit meinem Schachspielmodell, das ich hier schon mal hatte, zu sagen (das finde ich am geeignetsten): Frei bin ich dann, wenn ich Bauer A2 auf A3 aber genauso gut Bauer B2 auf B3 bewegen kann. Ich erwarte nicht, dass ich den Bauern beliebig platzieren können muss (also die Spielregeln verletzen), aber ich sollte mehrere Möglichkeiten zur Auswahl haben innerhalb vorgegebener Regeln und diese dann auch ohne weiteren Grund, als dass ich es einfach entscheide, durchführen können. Je nachdem, welchen Zug ich mache, verändert sich der weitere Ablauf des Spiels. Meine Freiheit kann sich aber auch dadurch erweitern, dass ich die Spielregeln verändern kann (ich entscheide also andere sinnvolle neue Regeln). Das wäre dann mehr Freiheit. Das kann zum Beispiel der Schachcomputer nicht, allerdings liegt das daran, dass seine Programmierung beschränkt ist. Ein Mensch kann leicht eine „Programmerweiterung“ erfahren, indem er einfach nur einen gesprochenen sprachlichen Input bekommt (das liegt letztendlich daran, dass das menschliche Gehirn weitaus komplexer ist als ein Computer und eben mit gesprochener Sprache sinnvoll etwas anfangen kann, auch das macht den Menschen freier als einen bisher möglichen Computer).

Deinen Computer, der nur zufällig irgendwelche Wörter ausspucken kann, deren Sinn er aber nicht versteht, halte ich nicht für frei, weil das, was er ausspuckt nicht sinnvoll ist und deswegen auch keinen Effekt hat (bzw. ist der so minimal, dass er zu vernachlässigen ist, die Freiheit ist also äußerst gering). In dem Maße wie er die Sprache, die er ausspuckt verstehen kann, ist er freier. Nur ist es für meinen Freiheitsbegriff weiterhin wichtig, dass er zwar die Bedingungen kennt, um einen sinnvollen Satz zu bilden, das Resultat allerdings nicht determiniert ist, sondern offen bis zu dem Zeitpunkt, wo es manifest ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Warum die Kausalketten aber mal diesen und mal diesen Weg einschlagen, ist Deiner Ansicht nach unwichtig, spielt keine Rolle. Richtig?


Es muss von einem Akteur ausgehen, damit der Akteur als frei zu bezeichnen ist. Das wäre noch die Bedingung. Dieser kontingente Akt muss also wirklich dem Akteur entspringen.
Eine Kausalkette aus dem Nichts heraus halte ich eher für unwahrscheinlich. Das Problem ist nämlich, dass ein ausreichend komplexes Feld da sein muss, in dem der Zufall stattfindet (was eben das Gehirn eines Lebewesens sein könnte, was dann beim Menschen besonders komplex ist), damit der Zufall auch sinnvolle Resultate erzeugen kann. Ein Zufall aus dem Nichts würde also auch genauso schnell wieder ins Nichts verschwinden, keine Auswirkungen haben, nicht messbar und nicht wahrnehmbar sein (könnte auch ein Grund sein, warum die ganzen Quantenzufälle die materielle Welt nicht merklich verändern, obwohl da einiges am Brodeln sein müsste).

AgentProvocateur hat geschrieben:Wofür würdest Du den Akteur als verantwortlich ansehen: für das Ergebnis des Zufallsgenerators oder für seine determiniert erfolgende Abwägung und Entscheidung und darauf folgende Handlung?


Das ist noch mal ein anderes Ding. Verantwortung resultiert für mich nicht aus Freiheit, sondern daraus, dass eine (Herrschafts-)Instanz sich anmaßt außerhalb der Welt zu stehen und Menschen für ihr tun zur Rechenschaft ziehen kann, nach den Maßstäben, die diese Instanz setzt. Ob diese Instanz das jetzt über irgendeine Freiheit begründet (was genau genommen einfach nur bedeutet, dass sie die Freiheit einschränken möchte, nur die Ergebnisse zu produzieren, die die Herrschaft stützen) ist gar nicht so wichtig, denn eigentlich begründet sie in Wirklichkeit tautologisch aus sich selbst heraus. Bezeichnend ist ja, dass selbst ein Gerhard Roth in seiner schlimmsten Zeit der absurden Schlussfolgerungen immer noch einen Weg gefunden hat, über seine „Erkenntnisse“ zu dem Schluss zu kommen, dass so ein Herrschaftsapparat mit Gewaltmonopol sinnvoll ist. Er solle nur nicht mehr von „Schuld“ sprechen. Zu diesem Apparat zählt natürlich nicht nur das Strafrechtssystem, sondern auch Erziehung, diverse Institutionen, Bürokratie und herrschende Ideologie im Allgemeinen. Darüber, was Roth in Bezug auf Erziehung vorgeschlagen hat, muss ich Dir ja nichts erzählen.
Für mich ist hier also die Frage interessant, inwieweit die ganze Diskussion eigentlich such mit Herrschaftslegitimation verknüpft ist, denn es scheint mir letztlich immer darum zu gehen, dass geklärt werden soll, wie man Menschen möglichst dazu kriegt, regelkonform zu agieren. Selbst unser Chef-Antimoralist Michael-Schmidt-Salomon schafft es nicht, sich da wirklich rauszuwinden.
In der Hinsicht fand ich auch Huisken beeindruckend, der das knallhart von der Seite aus angegriffen hat, dass er geguckt hat, worauf das eigentlich hinzielt.

Das Problem ist jetzt also für mich folgendes: Verantwortung stammt ja tatsächlich aus der Juristik. Es bedeutet also eben nicht, dass ich mit den natürlichen Konsequenzen einer Handlung leben muss (oder andere), sondern dass ich mit den Konsequenzen, die mir das positive Recht irgendeiner Herrschaft vorschreibt, leben muss. Und dafür sehe ich keine Rechtfertigung, in keinem Fall. Selbst wenn ich jetzt einfach den kompatibilistischen und nicht-dialektischen Freiheitsbegriff annehme, dann sehe ich dafür immer noch keine Rechtfertigung. Das Paradox ist ja, dass die Juristik mir zwar Verantwortung unterstellt, letztendlich aber dann ja doch nach ganz eigenen Maßstäben selbst die Verantwortung für mich übernimmt, auch die Verantwortung, über mich richten zu dürfen. Bin ich wirklich verantwortlich in dem Sinne, dass ich meine Handlungen reflektieren kann, dann ist so eine Instanz einfach überflüssig, denn dann würde ich mich ja verantwortlich verhalten.
Der Witz ist ja, dass die Justiz vor allem unfreie Menschen belangt und nicht freie Menschen. Nämlich unfreie Menschen, die sich selbst einfach das Recht nehmen, sich mehr Freiheit zuzugestehen, als für sie in der Klassengesellschaft vorgesehen ist.
Und falls irgendwer noch mal behaupten möchte, wir würden nicht in einer Klassengesellschaft leben, der soll mir folgende Frage plausibel beantworten (nur so für den Fall):
Warum darf jemand, der nie einen Finger gerührt hat, aber zufällig in gute materielle Verhältnisse hineingeboren ist, sich einfach zum Beispiel einen Ferrari nehmen, ein anderer, der sein Leben lang Einsatz gezeigt hat und den Wohlstand der Gesellschaft durch Arbeit gesteigert hat, dem würde das Gewaltmonopol dafür strafen, wenn er es sich einfach nimmt?
Das raffinierte ist ja gerade, dass die Klassengesellschaft nicht als solche festgeschrieben ist, sondern durch die vermeintliche gesetzliche Gleichbehandlung gerade aufrecht erhalten wird.
Zu dem Thema könnte ich noch so viel mehr sagen, aber das sprengt hier echt den Rahmen. Wollte das nur eben wegen der Verantwortlichkeit so weit loswerden.

@ Dissidenkt

Ich sage ja gerade, dass Freiheit in der Praxis nicht absolut sein kann. Gegen wen kämpft Du hier eigentlich genau?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 6. Jan 2012, 09:33

@ Teh Ashyx:

Meine Motivation zu diskutieren ziehe ich zu einem guten Teil aus dem Wunsch neue Erkenntnisse zu gewinnen.
Ich steige aus Diskussionen eigentlich nie aus, wenn gute Gegenargumente kommen (das wäre irgendwie auch der dämlichste Moment), eher, wenn ich das Gefühl habe, dass man von Thema völlig abgekommen (woran ich zugegeben nicht immer unschuldig bin, ich habe selbst einen etwas assoziativen Schreibstil) und der Gaul totgeritten ist oder die Standpunkte unünberbrückbar sind.
Tatsächlich habe ich aber keinen einzigen Punkt gefunden, der mich (bei der neuerlichen Willensfreiheitsdiskusssion) ins Grübeln gebracht hat, was aber daran liegen kann, dass ich diese Position bis vor noch nicht allzu langer Zeit selbst halbwegs leidenschaftlich vertreten habe und mir das meiste also noch aus meinem eigenen Denken bekannt ist, wofür von Euch niemand etwas kann.

Ich sehe das Problem auch darin, dass von Eurer Seite eigentlich kaum wirkliche Argumente oder die gewünschten Definitionen kommen (die Agent reichlich zu bieten hat), aber Du hast ja die Möglichkeit, das mit Agent weiterzudiskutieren, der ist bei dem Thema ohnehin bewanderter als ich es bin.
Und wenn tatsächlich ein völlig neuer Aspekt kommt und ich die notwendige Zeit habe, bin ich wieder dabei. Ich sehe nur leider im Moment rein gar nichts, was für den Inkompatibilismus spricht.

Mit der Variante die in Richtung harter Determinismus geht hatte ich noch nie was am Hut, von Beginn an fand ich diesen ganzen Neurodeterminismuskram völlig absurd. Eher wäre ich also ein moderater Libertarier gewesen, aber mit der (aus meiner heutigen Sicht, falschen) Intention (durch den Libertarismus) die Willensfreiheit zu verteidigen (- wohl auch Stamers Intention, auf den ich mich auch berufen habe) . Ich dachte, der Kompatibilismus sei so ein klammheimlicher Versuch die Willensfreiheit auszuhebeln, er erschien mir auf jeden Fall als zu spröde und zu wenig und so habe ich mich stark gegen die Möglichkeit gewehrt, dass der freie Wille und der Determinismus irgendwie zusammenpassen könnten.

Warum ich die Fronten gewechselt habe, habe ich versucht genau darzustellen, natürlich ein wenig mit der Hoffnung verbunden, dass der eine oder andere sich darin wiedererkennen möge, was aber offensichtlich nicht der Fall war.

Nun habe ich eigentlich alles gesagt und mein Pulver verschossen und könnte mich nur endlos wiederholen.

Meine letzte Bastion war übrigens, dass ich schon anerkennen konnte/musste, dass der Kompatibilismus in dem skizzierten Gedankenexperiment zwar recht hat, aber darauf bestanden habe, dass die Welt ja tatsächlich nicht so (also vollkommen determiniert) konzipiert ist, was ich übrigens in der Tat bis heute glaube.
Von diesem Teilerfolg (von dem ich zuerst dachte, es sei einer) ausgehend, wusste ich aber wieder nicht, was ich damit anfangen sollte, denn im Grunde habe ich mir damit ein wenig (echten) Zufall erkämpft, der eine deterministische Welt durchzieht.
Schön und gut, wenn es so ist, aber warum der Zufall dann die Freiheit noch ein wenig vergrößert, dafür hatte ich dann auf einmal, genau wie ihr, keine Argumente…

(Was die anderen Threads angeht, antworte ich Dir dort, oder werde zumindest begründen, warum ich nicht geantwortet habe.)
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 6. Jan 2012, 16:39

AgentProvocateur hat geschrieben:Was ist denn nun ein freier Wille Deiner Meinung nach? Wenn der total akausal wäre, also von nichts abhinge und gleichzeitig von den Wünschen, Einstellungen und Zielen der Person abhinge? Merkst Du nicht, dass das ein Widerspruch in sich ist, dass Du etwas per se Unmögliches forderst?

Dein Schwitzbeispiel mit der Eingabe A,B,C, und D liefert mir hier die Antwort. Da ist doch beides kombiniert. Akausalität durch den Zufallsgenerator und Berücksichtigung von Wünschen, Einstellungen und Zielen der Person durch eine eingrenzende Eingangsmenge. Dies ist sicher nicht unmöglicher als ein Zufallsgenerator. Und es wäre dann auch keine totale Freiheit, aber wenigstens eine partielle. Könnte Person B, wenn der immer gleiche Tag abgespult wird, auswählen zwischen vier verschiedenen Alternativen, wäre sie für meine Begriffe deutlich freier als A, der jeden Tag immer das gleiche macht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Allerdings sind für mich "frei" und "unabhängig" keine Synonyme. Genauer gesagt: sie wären für mich nur dann Synonyme, wenn unter "unabhängig" nicht "unabhängig von allem" verstanden wird.

Gut, also mit dem Zufallsgenerator, der aus vernünftigen Möglichkeiten A,B,C und D auswählt, wären die Begriffe "frei" und "unabhängig" dann doch ein Synonym für dich?

Dein Sprachverständnis finde ich dennoch recht merkwürdig. Wenn einem Tombolagewinner gesagt wird, er hätte die freie Wahl zwischen 10 verschiedenen Preisen. Dann wäre für dich diese Wahl nur dann frei, wenn der Gewinner die Preise sehen kann. Sind sie alle eingepackt, dann wäre es für dich unfrei, weil der Gewinner ja nicht nach seinen Kriterien wählen könnte. Und genau dieses Festmachen des Freiheitsbegriffes an technischen Feinheiten finde ich total entgegen meiner eigenen Intuition. Bei meiner freien Wahl kommt es nur darauf an, dass man aus mehr als einem Preis auswählt, egal wie gut die gewählten Preise dem Gewinner danach gefallen.

Zu klären wäre diese Frage, wer hat die intuitivere Intuition, wohl wirklich nur, wenn wir eine Umfrage machen könnten um festzustellen, ob deine oder meine Intuition gebräuchlicher ist. Nach allem was ich über die Welt zu wissen glaube, kann ich mir nicht vorstellen bei einem solchen Test zu verlieren. Deinen Freiheitsbegriff halte ich eher für technisch und verklausuliert als für intuitiv.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 6. Jan 2012, 16:50

Vollbreit hat geschrieben:Ich sehe das Problem auch darin, dass von Eurer Seite eigentlich kaum wirkliche Argumente oder die gewünschten Definitionen kommen ... aber warum der Zufall dann die Freiheit noch ein wenig vergrößert, dafür hatte ich dann auf einmal, genau wie ihr, keine Argumente…

Es ist eine Sache, sehr ausführlich zu diskutieren und irgendwann an einen Punkt zu kommen, wo es nicht mehr so recht weitergeht, die Argumente sich wiederholen, der Diskurs sich im Kreis dreht. Eine andere Sache ist es, an diesem Punkt der anderen Seite dann dieses Zeugnis auszuschreiben. Die von dir hier (und von AgentProvocateur) geäußerte Wahrnehmung, dass von unserer Seite keine Argumente kämen, bestimmte Definitionen fehlten oder ähnliches, das finde ich schon eigenartig. Zugegeben, jetzt seid ihr schon zwei, die so merkwürdig reden. Die Wahrscheinlichkeit, dass da was dran ist, wäre damit gestiegen. Ich glaube aber immer noch, ihr seid nur zufällig zwei Zeitgenossen, die so eine Diskussion eher einseitig erleben, offenbar viele Dinge überlesen oder falsch einordnen und hinterher zu einem entsprechend verdrehten Fazit gelangen. Schade eigentlich.
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