Nanna hat geschrieben:Ich denke, die Dominanz von Schmidt-Salomon (oder einfach nur "MSS", wie er hier häufig betitelt wird) ist einfach dadurch zu erklären, dass er optisch irgendwie sympathisch rüberkommt und sich konzeptionell sehr simpel hält.
Stimmt, er ist ein lockerer Typ, der sicher im Dialog mit irgendeinem verkniffenen Bischof (vor Publikum) punkten kann. Auch Dawkins hat ja einen schönen, trockenen Humor.
Nanna hat geschrieben:Das ist vom intellektuellen Standpunkt her natürlich eine Schwäche, für das Zusammengehörigkeitsgefühl einer "Szene" ist Unterkomplexität in der Rhetorik dagegen eine zwingende Voraussetzung.
Absolut, man braucht Frontschweine, Kettenhunde und Generalsekretäre, siehe Kardinal Meisner.
Nanna hat geschrieben:Es gibt keine Demo, wo jemand ernsthaft einen philosophischen kapitalismuskritischen Text rezitieren würde, "Wir zahlen nicht für eure Krise!" muss da als Parole ausreichen. Mit Abstufungen ist das hier dasselbe.
Sehe ich sofort ein. Problematisch wird es da, wo MSS selbst und Anhänger glauben, er hätte mit seinem Buch philosophisch den großen Wurf gelandet und nicht einen Reißer geschrieben. (Wie Dawkins das mit dem „Gotteswahn“ durchaus gelungen ist. Das Buch ist auch nicht gut, aber es wirkt.
Vielleicht wird es ein wenig überschätzt, aber ganz sicher darf man sagen, dass es nicht folgenlos geblieben ist.) Aus Diskussionen an anderer Stelle als hier weiß ich aber, dass einige Anhänger genau das meinen und wenn ich MSSs Website begucke, dann bin ich mir nicht sicher, ob er das nicht selbst meint.
Dass Du das mit kritischer Distanz zu sehen vermagst, nehme ich Dir gerne ab, dass so ein frecher Angriff auf die eigenen Helden etwas kränkend ist, kenne ich mit meinem integralen Arsch aus eigener Erfahrung, aber auch in unserem Laden ist Emanzipation bitter nötig.
Nanna hat geschrieben:Ich fand MSS am Anfang meiner Auseinandersetzung mit dem Naturalismus auch ganz sympathisch, aber nach der Lektüre von "Jenseits von Gut und Böse" war ich dann doch sehr ernüchtert ob der grassierenden Substanzlosigkeit seiner Aussagen, die sich krass mit den Erlösungsversprechen biss, die vor der Veröffentlichung des Buches gemacht wurden.
Es freut mich, dass Du das so sehen kannst, denn das ist eigentlich die Haltung, die tatsächlich lagerübergreifend ist, eine eigenständige Meinung zu haben, die auch eine kritische Sicht auf den eigenen Laden beinhaltet.
Nanna hat geschrieben: Dawkins ist eigentlich schuld, dass ich hier bin, weil ich in einer Bahnhofsbuchhandlung mal über den Gotteswahn gestolpert bin und darüber auf die Brights.
Bei mir war es auch ne Bahnhofsbuchhandlung und als Kampfschrift muss ich sagen, gar nicht übel.
Nanna hat geschrieben:Ich fand das Buch zwar anfangs ehrlich gesagt gut geschrieben, habe mir dann aber nach einer Weile wegen eines eher diffusen Unwohlseins, das ich immer bei der Lektüre populärwissenschaftlicher Bücher verspüre, ein etwas substanzielleres Buch über Religionskritik angeschafft und bin mittlerweile auch auf sehr deutliche Distanz zu Dawkins gegangen, den ich auf einer gefährlichen schiefen Ebene direkt in die komplette Verbohrtheit sehe.
Ich kann das gut nachvollziehen, was Du meinst und danke Dir, für die offenen Worte.
Nanna hat geschrieben:Das bringt mich übrigens wieder zu einer nun schon monatelang herumliegenden Idee: Wir brauchen eine knowledge-base über den Naturalismus! Habermas' Position zum Naturalismus kannte ich z.B. nicht, es wäre super, wenn solche Verknüpfungen an andere philosophische Persönlichkeiten und Strömungen irgendwo dokumentiert würden, auch, damit sich mal herausschält, welche Arten von Moraltheorien etc. in der Nähe des Naturalismus zu verorten sind (siehe meinen vorhergehenden Beitrag).
Ich finde Habermas‘ „Zwischen Naturalismus und Religion“ (dort findet sich auch die Positionierung „sanfter Naturalismus“) ungeheuer lesenswert, aber Habermas zu lesen ist immer eine Sache für sich. Wenn man dann mal habermasisch gelernt hat ist der Altmeister immer eine Fundgrube.
Speziell zum Thema Religion findet sich hier viel, wenngleich viel, was bei vielen Brights Kopfschütteln auslösen muss, schafft man es aber sich die Argumente von Habermas durchzulesen, dann glaube ich, dass die immerhin diskussionswürdig sind.
Sehr viele naturwissenschaftlich Angehauchte mögen Tugendhadt, ich habe ihn allerdings nie gelesen. Ansonsten frag mal Agent, der Mann hat wirklich Format, schließlich habe ich mich von ihm (anderswo) zum Kompatibilisten umkrempeln lassen.
Dennett ist natürlich einer von euch und allgemein respektiert, hier ein interessanter link zu Thomas Metzinger, der Dennett würdigt:
http://www.youtube.com/watch?v=EmgULy6gpMIAls Integraler muss ich natürlich Ken Wilber empfehlen, ob der so wirklich Bright-kompatibel ist, weiß ich nicht. Was Du von ihm lernen kannst ist die Geschichte mit der Struktur (wer, wo, wie und warum abzuholen ist), bei allem was Hierarchien angeht, ist Wilber klasse, seine Holon-Theorie (eine durchgängige Theorie von der Quarks bis zur Erleuchtung) , für einige sein Herzstück muss ich zurückweisen, ich habe die lange erbittert verteidigt, aber ich finde sie heute falsch.
Einer der Stars momentan ist Robert Brandom mit seinem Buch von 1994 „Making it Explicit“ („Expressive Vernunft“). Kleiner Haken: Wer Habermas unlesbar findet, hat Brandom noch nicht gelesen. Wie er zu bewerten ist steht noch aus, aber Dennett hält große Stücke auf ihn.
Für mich ist eine der großen Schriften, nebenbei ein atheistischer Klassiker par excellence, Freuds „Das Unbehagen in der Kultur“. Nicht sehr lang, dafür umso gehaltvoller (wenngleich ich mit dem großen psychoanalytischen Erben Otto Kernberg der Meinung bin, dass ausgerechnet Freuds extrem kritische Bewertung der Religion falsch ist).
Ich finde ein Buch wichtig, was ebenfalls umstritten ist. Peter Sloterdijk empfiehlt den Autor immer wieder mit Nachdruck und hat ihn auch schon mehrfach zu Gast im „philosophsichen Quartett“ gehabt, ich rede von Gunnar Heinsohn und seinem Buch „Söhne und Weltmacht“. Heinsohn, dem man alles nachsagen kann, aber nicht, dass er ein geringes Selbstbewusstsein hat, legt das Augenmerk auf den Faktor Demographie und das daraus resultierende Phänomen des „youth bulge“. Das Buch steht stark in der Gefahr missinterpretiert zu werden, meistens ist die Kritik der Ansatz sei monokausal, ich kann diese Kritik nicht teilen, Heinsohn differenziert m.E. ausreichend und die Lektüre ist in jedem Fall anregend. Das Resümee ist für mich, dass allein schon der Faktor Demographie ungeheuer stark ist, die Thematik dahinter brisant, Heinsohn ist nur ungeheuer düster. Ich mag das, muss man aber nicht mögen.
Ich denke die Liste bzw. Vernetzung lässt sich ausbauen.