Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 4. Feb 2012, 15:47

Ah, da habe ich Dich dann wohl ziemlich missverstanden.
Franz von Liszt hat geschrieben:Liszt wollte die bis dahin herrschenden Straftheorien Immanuel Kants und Georg Wilhelm Friedrich Hegels überwinden. Er versuchte, die Straftat durch Erforschung der Ursachen des Verhaltens des Straftäters zu erklären. Seine Straftheorie war ausschließlich vom Zweckdenken beherrscht, d.h. der Strafvollzug diente nicht der Vergeltung (Karl Binding), sondern der zweckgerichteten Spezialprävention, weshalb Liszt als Vater der spezialpräventiven Straftheorie mit ihren Strafzwecken Sicherung, Besserung und Abschreckung gilt („Marburger Programm“).

Seine kriminalpolitischen Forderungen lauteten deshalb: Verbesserung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse und ein auf konkrete Resozialisierung des Täters ausgestalteter Strafvollzug. In diesem Sinne propagierte er eine Differenzierung der Spezialprävention nach Tätertypen:

  • Gelegenheitstäter sollten eine Bewährungsstrafe als Denkzettel erhalten,
  • verbesserliche Hangtäter eine (längere) Freiheitsstrafe, die von Maßnahmen der Resozialisierung begleitet sein sollte,
  • unverbesserliche Hangtäter sollten dauerhaft verwahrt werden.
1889 war er Mitbegründer der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung. Seine kriminalpolitischen Gedanken fanden in den Strafrechtsreformen des 20. Jahrhunderts Berücksichtigung: Abschaffung kurzer Freiheitsstrafen, Strafaussetzung zur Bewährung, Maßregeln der Besserung und Sicherung, resozialisierender Strafvollzug, besondere Maßnahmen gegenüber dem jugendlichen Straftäter.

Was genau hältst Du hier auf einer falschen Vorstellung des Menschen basierend und inwiefern meinst Du, dass sich was ändern müsse? Was ist eine richtige Vorstellung des Menschen, wie funktionieren Gehirne? Deine Vorschläge oben sind doch auch nichts anderes als die hier zitierten, oder?

Geht es Dir um Bewährungsstrafen, (die Du für unwirksam hältst?), oder um was sonst?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 8. Feb 2012, 20:38

AgentProvocateur hat geschrieben:Das, was Du unter "anders handeln können" verstehst, musst Du nachvollziehbar darlegen können.

Wir haben als Mensch die Illusion, über einen freien Willen zu verfügen. Wir erleben eine Entscheidung als offen, solange wir sie nicht getroffen haben. Und wir haben beim Treffen der Entscheidung subjektiv das Gefühl, wirklich zu entscheiden und nicht nur eine sich aus unkontrollierbaren Faktoren ergebende Rechnung zu prozessieren.

Es fühlt sich so an, als hätten wir auch anders entscheiden können. Jetzt behauptest du, dass eine andere Entscheidung aber logisch unmöglich ist und daher der Freiheitsbegriff leer ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das kann nicht lediglich ein "es hätte auch anders kommen können" sein, es muss mehr sein als das. Und ich möchte einfach mal wissen, was dieses "mehr" sein soll / sein könnte. Meiner Ansicht nach bezieht sich das auf gar nichts, ist ein leerer Begriff, logisch unmöglich.


Und genau dabei stimme ich dir zu. Wir sind uns also einig, dass die oben beschriebene Illusion, dieses Gefühl, selber eine Entscheidung zu treffen, in Wirklichkeit falsch ist. In einer Situation S1 können wir uns immer nur für eine Sache entscheiden.

Wieso willst du nun, dass ich eine theoretische Welt beschreibe, in der ich mich aber doch anders entscheiden kann? Wieso soll ich den leeren Begriff füllen? Was folgerst du daraus, dass ich das nicht kann?

AgentProvocateur hat geschrieben:Völlig egal, ob eine Welt kausal determiniert ist oder nicht. Vielleich irre ich mich ja, aber das können wir nur feststellen, wenn Du mal hinreichend dargestellt hast, was Du damit eigentlich meinst.


Um welche Feststellung geht es dir eigentlich? Wir sind uns doch beide einig, dass es einen freien Willen (im Sinne meiner Definition) nicht gibt. Und laut meiner Definition liegt das genau daran, dass unsere Welt deterministisch ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:ich möchte, dass sie ihre Behauptung ("Determinismus und [Willens]-Freiheit sind unvereinbar") begründen, denn die ist keineswegs einfach so aus sich heraus plausibel.


Ich habe eher den Eindruck, dass du eine andere Begründung haben möchtest, nämlich die, wieso ich Willensfreiheit so definiere wie ich es tue. Und es ist eben doch sehr plausibel aus der Definition meiner Freiheit heraus, wieso diese Freiheit im Determinismus nicht möglich ist. Meine Freiheit definiert sich durch Unabhängigkeit von kausalen Faktoren, und genau die kausale Unabhängigkeit ist in einer deterministischen Welt (laut Definition) nicht gegeben. Mir scheint deshalb, du klopfst auf der falschen Stelle herum. Deine Frage ist nicht: wieso ist meine Freiheit im Determinismus nicht möglich? Sondern deine Frage wäre: wieso definierst du Freiheit so?

Und da waren wir ja auch bereits bei einer Antwort. Weil ich diese Freiheit genau als Illusion beim Entscheiden empfinde. Insofern ist diese Art Freiheit exakt die intuitive Vorstellung von Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Sie können meiner bisherigen Erfahrung nach nicht darstellen, was "kausale Freiheit" (oder "echte / einzige / wahre" Freiheit) bedeuten soll. Du darfst Dich gerne darüber beschweren, dass ich das einfach so behaupte

Ich finde auch, dass ich allen Grund für diese Beschwerde habe. Ich kann nämlich nicht glauben, dass du nicht dieselbe Illusion teilst und deshalb es sich auch für dich so anfühlt, als hättest du bei einer Entscheidung eine echte Wahl und also echte Auswahlalternativen. Deine Leugnung, dass mein Freiheitsbegriff diesem Empfinden entspricht und daher intuitiv der gemeinte Freiheitsbegriff ist, erscheint mir daher als künstliche, also eben nicht intuitive Strategie.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dabei wäre das interessant gewesen, um Deinen Freiheitsbegriff man auf den Prüfstand zu stellen, mal zu schauen, ob andere dem zustimmen würden: Dein Tombola-Beispiel, jemand, der akausal eine ihm unbekannte Option wählt, sei frei, jemand, der nach seinen Gründen - also kausal - eine bestimmte Option auswählt, sei unfrei.

Wenn jemand ohne weitere Information aus 10 gleich aussehenden Päckchen eines auswählt, dann halte ich das intuitiv für eine freie Wahl. Du hälst das für eine unfreie Wahl, da der Wähler zu wenig Informationen hatte. Ich möchte mit dir wetten, dass bei einer Umfrage die meisten Menschen mir zustimmen würden und die Wahl als "frei und uninformiert" bezeichnen würden. Und nur wenige würden die merkwürdige Aussage machen, die Wahl sei "unfrei weil uninformiert" gewesen. Aber gut, das ist jetzt sicher kein Argument und kann wohl nur als Dokument dafür dienen, wie sicher ich mir in diesem Punkt nun einmal bin. Oder sollten wir ernsthaft versuchen, eine Umfrage durchzuführen?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und übrigens: wenn jemand in Deinem Sinne frei wäre, nämlich dass er grundlos und für ihn unkontrollierbar etwas Zufälliges getan hätte, dann würde man ihn nicht als schuldig ansehen. Denn dann würde ein Vorwurf und eine Strafe keinen Sinn ergeben, könnte keinen Einfluss auf ihn oder andere, die ebenfalls unkontrollierbar handeln, haben.

Ein ungenügendes Argument. Denn deine Wenn-Annahme ist ja eben leer, wie wir beide zu wissen glauben. In meinem Sinne kann niemand frei sein. Alles was aus dieser leeren Wenn-Annahme an logischen Inkonsistenzen folgen mag, ist daher irrelevant.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und nochwas: Deine Weigerung, zu überlegen und zu beantworten, was wäre, wenn unsere Welt indeterminiert wäre, wenn also der Steuerhinterzieher in meinem Beispiel 999mal die Steuer hinterzieht und einmal nicht, ob er dann in Deinem Sinne schuldig wäre oder nicht und wenn nicht, was noch hinzukommen müsste, kannst Du nicht einfach mit der Annahme, unsere Welt sei determiniert, abbügeln. Natürlich wäre das in einer determinierten Welt unmöglich, die Frage wäre aber: was wäre, wenn dem so wäre? Als Gedankenexperiment?

Wozu soll dieses Gedankenexperiment genau dienen? Was wäre dein Argument?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und, last but not least: Deinen Einwand mit dem rosa Elefanten kenne ich so: "Um sagen zu dürfen, dass es keinen 'Gott' gibt, muss ich keineswegs darlegen, was ich hier mit 'Gott' meine, ich kann die Behauptung dennoch aufstellen".

Stimmt. Um sagen zu dürfen, dass es keinen Gott gibt, muss ich tatsächlich darlegen, was ich mit Gott meine. Und das tue ich ja auch immer und immer wieder: ich meine mit Gott die Unabhängigkeit von kausalen Faktoren. Du fragst daraufhin immer nur, wie denn (als Gedankenexperiment) eine Welt aussähe, in der es doch einen Gott gibt (also Indeterminismus). Aber was ist das für eine Argumentationslinie? Die erläutere mal bitte. Zumal wir ja beide der Ansicht sind, dass es keinen Gott gibt (die Welt deterministisch ist und eine Unabhängigkeit von kausalen Faktoren nicht vorliegt).

AgentProvocateur hat geschrieben:Oder, wenn Du es so meinst: "in unserer Welt gibt es keine rosa Elefanten, also dürfen wir niemandem Schuld zuweisen" - dann kann ich nur sagen: das eine folgt schlicht nicht aus dem anderen. Sollte also begründet / plausibel gemacht werden.

Begründen kann ich es. Zum plausibel machen gehören jedoch zwei. Und du spielst da offensichtlich nicht mit. Dass ich dir das also bisher nicht plausibel machen konnte, führe ich persönlich eher auf deine Sturheit als auf die Schwachheit meiner Argumente zurück.
Meine Begründung kann ich aber gerne noch einmal, der Vollständigkeit halber, liefern: Jemandem, der nicht anders konnte und keine Wahl hatte, kann ich keine Schuld geben. In einer deterministischen Welt konnte jemand aber in Situation S1 genau nicht anders. Ergo: keine Schuldzuweisung möglich.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 10. Feb 2012, 01:01

ganimed hat geschrieben:Wir haben als Mensch die Illusion, über einen freien Willen zu verfügen. Wir erleben eine Entscheidung als offen, solange wir sie nicht getroffen haben. Und wir haben beim Treffen der Entscheidung subjektiv das Gefühl, wirklich zu entscheiden und nicht nur eine sich aus unkontrollierbaren Faktoren ergebende Rechnung zu prozessieren.

Es fühlt sich so an, als hätten wir auch anders entscheiden können.

Ja, und das ist nicht nur eine Illusion, (von was denn überhaupt eine Illusion?), sondern das ist tatsächlich so. Solange wir nicht entscheiden haben, ist die Entscheidung für uns offen, d.h. wir kennen sie noch nicht. Wir prozessieren eine Rechnung, die sowohl aus unkontrollierbaren Faktoren als auch aus kontrollierbaren Faktoren besteht. Oder nicht? Möchtest Du hier etwa behaupten, dass alle Faktoren gleichermaßen für uns unkontrollierbar wären? Ob der sprichwörtliche Sack in China umfällt oder ich hier einen Beitrag schreibe - beides gleichermaßen außerhalb meiner Kontrolle? Sowas kann man mE ernsthaft nur vertreten, wenn man an einen Homunkulus im Gehirn glaubt, den man mit sich gleich setzt. Aber ich glaube nicht daran, ich bin nicht so ein Homunkulus. Ich halte gar nichts von unnötigen Reifikationen.

ganimed hat geschrieben:Jetzt behauptest du, dass eine andere Entscheidung aber logisch unmöglich ist und daher der Freiheitsbegriff leer ist.

Es fühlt sich so an, als ob wir anders entscheiden könnten, wenn wir anders entscheiden wollten. Und das können wir, meine ich. Es fühlt sich aber, (zumindest für mich), nicht so an, als würde ich mich auch für das entscheiden können, was ich gar nicht will.

Logisch unmöglich ist, dass, falls sich jemand für A entscheidet, er sich gleichzeitig für Nicht-[A] entscheidet. Das kann er nicht. Man kann in dem Sinne nicht anders entscheiden, als man letztlich entscheidet. Und, wie gesagt, das hat nada, rien, niente mit Determinismus zu tun. Nur mit Logik. Man kann nicht jetzt etwas anders machen, als es jetzt ist. Man kann nur etwas anders machen, als es sein könnte oder wäre, wenn man nicht eingriffe.

ganimed hat geschrieben:Wir sind uns also einig, dass die oben beschriebene Illusion, dieses Gefühl, selber eine Entscheidung zu treffen, in Wirklichkeit falsch ist. In einer Situation S1 können wir uns immer nur für eine Sache entscheiden.

Nein, wir sind uns überhaupt nicht einig. Weder dabei, dass wir einer Illusion unterliegen, (was genau soll eine Illusion von was sein, was also glauben wir Deiner Ansicht nach fälschlich?), noch dabei, dass unser Gefühl, selber eine Entscheidung treffen zu können, trüge. Denn das trügt meiner Ansicht nach nicht, de fakto ist es meiner Ansicht nach offensichtlich der Fall, dass wir Entscheidungen treffen. In jeder Situation S1 entscheiden wir uns aber letztlich für die Sache S. Es ist logisch unmöglich, dass wir uns für S entscheiden und uns nicht für S entscheiden. Nun verlangst Du aber, so wie ich das verstehe, eben dieses. Und das würdest Du dann "Willensfreiheit" nennen. Nur leider ergibt das 1. keinen Sinn und 2. ist das deswegen keine Illusion, weil doch wohl niemand ernsthaft annimmt, er könne die Logik außer Kraft setzen.

ganimed hat geschrieben:Wieso willst du nun, dass ich eine theoretische Welt beschreibe, in der ich mich aber doch anders entscheiden kann? Wieso soll ich den leeren Begriff füllen? Was folgerst du daraus, dass ich das nicht kann?

Es gibt zwei Möglichkeiten:

- entweder behauptest Du, dass Determinismus Freiheit ausschließt und aber Freiheit im Indeterminismus möglich/denkbar wäre (dann solltest Du erläutern können, wie)
- oder Du behauptest, dass Freiheit niemals möglich wäre, weder in einer determinierten noch in einer indeterminierten Welt (aber das müsste nun mal geklärt werden, in dem Falle müssten wir Deinen Freiheitsbegriff näher betrachten. Außerdem sähe es dann so aus, als ob der Determinismus ein red herring, also ein Ablenkungsmanöver, wäre. Wenn etwas immer logisch unmöglich ist, dann brauchen wir nicht mehr über Determinismus zu reden.)

ganimed hat geschrieben:Ich habe eher den Eindruck, dass du eine andere Begründung haben möchtest, nämlich die, wieso ich Willensfreiheit so definiere wie ich es tue. Und es ist eben doch sehr plausibel aus der Definition meiner Freiheit heraus, wieso diese Freiheit im Determinismus nicht möglich ist. Meine Freiheit definiert sich durch Unabhängigkeit von kausalen Faktoren, und genau die kausale Unabhängigkeit ist in einer deterministischen Welt (laut Definition) nicht gegeben. Mir scheint deshalb, du klopfst auf der falschen Stelle herum. Deine Frage ist nicht: wieso ist meine Freiheit im Determinismus nicht möglich? Sondern deine Frage wäre: wieso definierst du Freiheit so?

Nein, wenn Du so definierst: "Freiheit ist Akausalität" dann ist diese Definition falsch, weil nicht mehrheitsfähig, nicht akzeptabel, nicht anerkannt. Denn dann wäre der Roboter mit dem eingebauten Akausalitäts-Modul deswegen frei oder der Mensch mit dem Tourette-Syndrom - falls dieses akausal aufträte - wäre ebenfalls frei. Nur wird das niemand anderes so sehen - damit stehst Du ziemlich alleine da. Und da nutzt Dir Deine übliche Behauptung, das könne ja nicht sein, weil unsere Welt determiniert sei und es daher in unserer Welt keine akausalen Ereignisse geben könne, gar nichts. Denn in einer hypothetischen Welt, in der es akausale Ereignisse gäbe, wäre das dennoch so.

Wenn Du aber nicht so definieren willst: "Freiheit ist Akausalität" (und das sei schon sowohl notwendige als auch hinreichende Bedingung für Freiheit), dann bist Du bisher schlicht Deine vertretene Definition schuldig geblieben. Und unglücklicherweise ist diese Defintion in diesem Zusammenhang auch Unsinn, denn es geht ja hier um Entscheidungen und Handlungen. Wenn ein Tourette-Mensch zufällig zuckt oder was äußert, dann liegen dem weder Entscheidungen zugrunde, noch sind das Handlungen. Man nennt das (unabsichtliches) Verhalten.

ganimed hat geschrieben:Ich kann nämlich nicht glauben, dass du nicht dieselbe Illusion teilst und deshalb es sich auch für dich so anfühlt, als hättest du bei einer Entscheidung eine echte Wahl und also echte Auswahlalternativen. Deine Leugnung, dass mein Freiheitsbegriff diesem Empfinden entspricht und daher intuitiv der gemeinte Freiheitsbegriff ist, erscheint mir daher als künstliche, also eben nicht intuitive Strategie.

Zu meinen Intuitionen unten.

Du musst darstellen, was eine 'echte Wahl' und was 'echte Auswahlalternativen' sind. Der Roboter und der Tourette-Mensch von oben: haben die eine 'echte Wahl' und 'echte Auswahlalternativen'? Wenn nicht: was muss noch hinzukommen?

ganimed hat geschrieben:Wenn jemand ohne weitere Information aus 10 gleich aussehenden Päckchen eines auswählt, dann halte ich das intuitiv für eine freie Wahl. Du hälst das für eine unfreie Wahl, da der Wähler zu wenig Informationen hatte. Ich möchte mit dir wetten, dass bei einer Umfrage die meisten Menschen mir zustimmen würden und die Wahl als "frei und uninformiert" bezeichnen würden. Und nur wenige würden die merkwürdige Aussage machen, die Wahl sei "unfrei weil uninformiert" gewesen.

Fragen:

1. gibt es denn in Deiner Sicht auch Wahlen, die frei und informiert sind? Wenn ja: wie? Wenn nicht: hat das was mit Determinismus zu tun und wenn ja: was?
2. würdest Du jemanden, der immer frei in Deinem Sinne aber völlig uninformiert handelt als verantwortlich und somit als schuldfähig ansehen? Und wenn nicht: warum nicht, was müsste noch hinzukommen?

ganimed hat geschrieben:Meine Begründung kann ich aber gerne noch einmal, der Vollständigkeit halber, liefern: Jemandem, der nicht anders konnte und keine Wahl hatte, kann ich keine Schuld geben. In einer deterministischen Welt konnte jemand aber in Situation S1 genau nicht anders. Ergo: keine Schuldzuweisung möglich.

Erstens vermischst Du hier zwei Dinge: einmal eine kausale Unmöglichkeit und einmal eine normative Möglichkeit = einen normativen Appell. Mit "keine Schuldzuweisung möglich" meinst Du doch hier wohl, es sei in einem bestimmten Falle nicht rechtens, nicht gerechtfertigt, Schuld zuzuweisen, nicht? Aber das ist ziemlich absurd, denn dabei behauptest Du a) implizit, dass wir unterschiedliche Möglichkeiten zu handeln hätten, (jemandem Schuld zuzuweisen oder das nicht zu tun); und auf der anderen Seite aber behauptest Du, dass wir keine Handlungsoptionen, keine Wahl hätten. Wie passt das zusammen? Meiner Ansicht nach gar nicht, das ist ist höchst inkonsequent. Wenn wir die Möglichkeit haben, nach vernünftigen Gründen zu handeln, dann sind wir meiner Ansicht nach frei. Und dann auch berechtigt, Verantwortlichkeit und Schuld zuzuweisen. Und wenn nicht, wenn wir das nicht können, dann geht dein Appell völlig ins Leere. Dann können wir ja nichts machen, dann weisen wir eben Verantwortung und Schuld zu oder nicht, so wie es eben kommt, kommt es. Ohne Einflussmöglichkeit unsererseits, Dein Appell nutzt also nichts. So oder so ist er ein performativer Selbstwiderspruch, bzw. eine Äußerung, die sich in nichts von der Plapperei eines Papageis oder eines abgespielten Tonbandes unterscheidet.

Und außerdem kommt es hier darauf an, was man unter "er konnte nicht anders" versteht. Ich verstehe darunter: "er konnte nicht anders, weil es nicht an ihm lag, die andere Option zu wählen, er sie auch nicht hätte wählen können, wenn er sie hätte wählen wollen, (Beispiel: ein Nichtschwimmer kann keinen Ertrinkenden retten)." Was Du darunter verstehst, ist mir aber immer noch nicht klar geworden. Das liegt aber nicht daran, dass ich mich stur stelle, ich meine, das liegt daran, dass Du das nicht erklären kannst. Weil Du da etwas verlangst, was logisch unmöglich ist. Und daher nichts mit Determinismus zu tun hat.

Wenn jemand akausal und völlig uninformiert entschiede, also rein zufällig und diese Entscheidung ohne Nachzudenken ob der möglichen Folgen in die Tat umsetzen würde und derart (fast) immer handeln würde, dann wäre dieser Mensch nicht schuldfähig, dann wäre es nicht in Ordnung, ihm Schuld für seine Handlungen zuzuweisen. Denn anscheinend könnte er dann nicht anders, als irrational zu handeln, er hätte dann keine Kontrolle über seine Handlungen und Vorwürfe liefen ins Leere. Auch wenn der in Deinem Sinne dann frei wäre: verantwortlich wäre er nicht. Es erscheint mir völlig absurd, ihm dennoch Verantwortung zuweisen zu wollen, ich verstehe also nicht, was Freiheit in Deinem Sinne mit Verantwortung (und somit auch Schuld) zu tun haben könnte. Aber ich verstehe ja eh nicht, wofür Freiheit in Deinem Sinne relevant wäre. Ich möchte nicht in Deinem Sinne frei sein, ich möchte lieber die Kontrolle über meine Entscheidungen und Handlunegn haben und somit ein verantwortlicher Mensch sein.

Meine Intution bezüglich meiner Entscheidungen und Handlungen sieht übrigens so aus: ich meine, ich kann Sachverhalte erkennen, Optionen generieren, abschätzen und mich dann für eine Option entscheiden. und das nenne ich eine Wahl und ich nenne es sogar eine "echte Wahl". Mir ist absolut unklar, wie die Wahl noch echter sein könnte. (Wiewohl ich dabei nicht behaupten will, dass ich alles zu 100% wissen und abschätzen kann, das kann ich ganz sicher nicht.) Ich habe aber niemals das Gefühl, ich könne aukausal oder indetermiert entscheiden und handeln und ich kann auch wirklich nicht nachvollziehen, dass jemand dieses Gefühl hat. Und also unerliege ich keiner Illusion bezüglich meiner Entscheidungen und Handlungen, ich nehme nichts fälschlich an.

Wie sieht Deine Intuition bezüglich Deiner Entscheidungen und Handlungen aus? Beinhaltet die tatsächlich explizit irgendwie Akausalität / Determinismus? Falls ja: dann könnte ich das nicht nachvollziehen. Meine Intuitionen beinhalten weder das eine noch das andere.

Es gibt ja übrigens noch die Möglichkeit, dass zwar Du einer Illusion bezüglich Deiner Entscheidungen / Handlungen unterliegst, ich aber bezüglich meiner nicht. Weil wir evtl. unterschiedliche Intuitionen haben.

Nochmal ein bisschen zusammenfass:

- Du weigerst Dich bisher, Deine notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Freiheit in Deinem Sinne explizit darzustellen
- Du weigerst Dich, Deinen Freiheitsbegriff in einem Gedankenexperiment einer indeterminierten Welt darzustellen, also darzustellen, inwiefern Indetrminismus eine wesentliche / notwendige Bedingung für Deinen Freiheitsbegriff wäre, wie Indeterminismus Freiheit in Deinem Sinne herstellen könnte, inwiefern also Deine Behauptung, Determinismus und Freiheit seien sich auschließende Gegensätze, Hand und Fuß hat, nachvollziehbar und plausibel ist
- Du bist einfach nur zufrieden mit dem Dogma: "Freiheit und Determinismus schließen sich aus" und verlangst, dass andere das unbegründet anerkennen sollen - aber das geht nicht, denn genau diese Prämisse erkennt ein Kompatibilist nicht an
- dabei berufst Du Dich schlicht auf Deine Intuitionen, die Du aber bisher auch noch nicht explizit dargestellt hast - was aber gut wäre, um die mit den Intuitionen von anderen vergleichen zu können
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 14. Feb 2012, 19:42

AgentProvocateur hat geschrieben:Nochmal ein bisschen zusammenfass:

- Du weigerst Dich bisher, Deine notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Freiheit in Deinem Sinne explizit darzustellen

Zum bestimmt 10.ten Male stelle ich sie doch dar. Sicher wirst du eines Tages müde, diese falsche Behauptung, ich würde meine Freiheitsbedingungen nicht darstellen, zu wiederholen. Also: ich halte eine Wahl nur dann für frei, wenn sie nicht vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist (deren Ursachenketten zudem irgendwann außerhalb des Entscheiders führen, also letztlich externe Faktoren sind). Wenn ich mich also nur deshalb für E entscheide, weil es die Ursache X gibt, dann ist das keine freie Wahl, sondern lediglich eine Prozessierung der Ursache-Wirkung-Beziehung von X nach E.

AgentProvocateur hat geschrieben:- Du weigerst Dich, Deinen Freiheitsbegriff in einem Gedankenexperiment einer indeterminierten Welt darzustellen, also darzustellen, inwiefern Indetrminismus eine wesentliche / notwendige Bedingung für Deinen Freiheitsbegriff wäre, wie Indeterminismus Freiheit in Deinem Sinne herstellen könnte, inwiefern also Deine Behauptung, Determinismus und Freiheit seien sich auschließende Gegensätze, Hand und Fuß hat, nachvollziehbar und plausibel ist

Du willst offenbar darauf hinaus, dass ich meinen Beweis per Umkehrschluss antreten soll (oder sogar muss). Wenn ich also behaupte, A und B seien unvereinbar, dann reicht es angeblich zu zeigen, dass (Gegenteil von A) und B vereinbar sind. Das würde dich überzeugen? Wieso kann es denn nicht sein, dass auch im Indeterminismus kein freier Wille möglich ist? Deine Logik hat da einen Fehler. Ich kann plausibel machen (habe ich ja oben), dass wesentliche Eigenschaften von A nicht mit einem intuitiven Freiheitsbegriff vereinbar sind (100% Abhängigkeit ist intuitiv als nicht frei definierbar). Das ist mein "Beweis". Wenn ich jetzt zeigen würde, dass Freier Wille im Indeterminismus möglich ist, hätte ich nur gezeigt, dass Indeterminismus eine hinreichende Eigenschaft der Welt ist. Ich hätte aber noch nicht gezeigt, das sie eine notwendige Eigenschaft ist und damit Determinismus und Freier Wille inkompatibel wären.

AgentProvocateur hat geschrieben:- Du bist einfach nur zufrieden mit dem Dogma: "Freiheit und Determinismus schließen sich aus" und verlangst, dass andere das unbegründet anerkennen sollen - aber das geht nicht, denn genau diese Prämisse erkennt ein Kompatibilist nicht an

Es ist keine Prämisse und kein Dogma, denn es ist eben doch begründet, wie oben gerade wieder geschehen. Du alter Ignorant. :) Und du erkennst an meiner Behauptung lediglich nicht die Bezeichnung "freier Wille" an. Du erkennst aber doch durchaus an, dass aufgrund des Determinismus wir keine kausal unabhängige Wahl haben. Soweit ich sehe, stimmst du meiner Position eigentlich zu, stößt dich aber am Wording.

AgentProvocateur hat geschrieben:- dabei berufst Du Dich schlicht auf Deine Intuitionen, die Du aber bisher auch noch nicht explizit dargestellt hast - was aber gut wäre, um die mit den Intuitionen von anderen vergleichen zu können

Nach meiner Intuition ist totale Abhängigkeit und ein totales Festgelegtsein keine Freiheit. Ich kann das mit deiner Intuition vergleichen. Deiner Intuition nach ist eine Wahl dann frei, wenn sie total festgelegt, zu 100% abhängig von kausalen Faktoren, aber vernünftig und informiert war.
Meiner Intuition nach nenne ich eine vernünftige Wahl einfach erstmal nur "vernünftig". Es widerspricht meiner sprachlichen Intuition, "vernünftig" mit "frei" gleichzusetzen. Ein Gefängnis kann schließlich auch vernünftig sein, aber frei nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:oder Du behauptest, dass Freiheit niemals möglich wäre, weder in einer determinierten noch in einer indeterminierten Welt (aber das müsste nun mal geklärt werden, in dem Falle müssten wir Deinen Freiheitsbegriff näher betrachten. Außerdem sähe es dann so aus, als ob der Determinismus ein red herring, also ein Ablenkungsmanöver, wäre. Wenn etwas immer logisch unmöglich ist, dann brauchen wir nicht mehr über Determinismus zu reden.)

Da ist was dran. Ich behaupte tatsächlich, dass ein freier Wille in beiden Welten nicht möglich ist (im Determinismus ist er nicht frei und im Indeterminismus ist es kein Wille). Insofern brauchen wir also tatsächlich nicht über Determinismus reden. Aber die Gründe sind jeweils unterschiedlich. Wenn mich jemand fragt, wieso denn der freie Wille nicht existiert, muss ich doch über Determinismus reden, denn ich benötige die Kausalabhängigkeit als Begründung für meine Behauptung. Und für den indeterministischen Fall gibt es eine ganz andere Begründung. Ein red hering ist der Determinismus also durchaus nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Fragen:

1. gibt es denn in Deiner Sicht auch Wahlen, die frei und informiert sind? Wenn ja: wie? Wenn nicht: hat das was mit Determinismus zu tun und wenn ja: was?

Es gibt meiner Ansicht nach keine freien Wahlen, egal ob sie informiert sind oder nicht. Wenn sie nicht informiert sind, treffe ich sie aus anderen Gründen. Wenn sie informiert sind, werden diese Information zu einem Teil der Gründe. In jedem Falle entscheide ich nur aufgrund von Gründen, die letztlich, folgt man den Ursachenketten, nicht von mir gesteuert wurden. Diese kausale Abhängigkeit ist es, was das mit dem Determinismus zu tun hat.

AgentProvocateur hat geschrieben:2. würdest Du jemanden, der immer frei in Deinem Sinne aber völlig uninformiert handelt als verantwortlich und somit als schuldfähig ansehen? Und wenn nicht: warum nicht, was müsste noch hinzukommen?

In meinem Sinne frei? Was soll damit gemeint sein? In meinem Sinne frei gibt es ja nicht. Der Rest der Frage erübrigt sich dadurch wohl.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das ist ziemlich absurd, denn dabei behauptest Du a) implizit, dass wir unterschiedliche Möglichkeiten zu handeln hätten, (jemandem Schuld zuzuweisen oder das nicht zu tun); und auf der anderen Seite aber behauptest Du, dass wir keine Handlungsoptionen, keine Wahl hätten. Wie passt das zusammen?

Ist es denn wirklich so schwer zu verstehen? Letztes Mal als du mit diesem angeblichen, logischen Widerspruch kamst, habe ich dargelegt, dass man zwar in Situation S1 keine andere Wahl als H1 hat, aber man muss ja nicht in Situation S1 bleiben. Durch den Wechsel in andere Situationen hat man also doch Handlungsoptionen. Und diese meine Erklärungen sollen nun alle umsonst gewesen sein? Du kommst jetzt wieder mit diesem Argument? Also nochmal: ja, wir haben unterschiedliche Möglichkeiten zu handeln. Und auf der anderen Seite behaupte ich keineswegs, dass wir keine Handlungsoptionen haben. Wir haben sie. Nur können wir sie nicht frei wählen. Wir geraten aufgrund kausaler Faktoren einfach in andere Situationen und dort gibt es dann neue Optionen. Wir haben also einen Willen, ja, und wir haben eine Wahl, ja, aber beide sind nicht frei. Und Schuld gäbe ich nur jemandem, der seine Handlung frei gewählt hat.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Bunte Kuh » Mi 15. Feb 2012, 02:01

Also: ich halte eine Wahl nur dann für frei, wenn sie nicht vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist (deren Ursachenketten zudem irgendwann außerhalb des Entscheiders führen, also letztlich externe Faktoren sind). Wenn ich mich also nur deshalb für E entscheide, weil es die Ursache X gibt, dann ist das keine freie Wahl (...)


Dann basiert dieser Freiheitsbegriff zwingend auf einer akausalität, in diesem Fall also einer Beliebigkeit und verunmöglicht jede Handlungstheorie, da es prinzipiell keine verlässlichen, erkennbaren Tat-Folgezusammenhänge geben kann. Aus rein praktischen Gründen spricht nichts für eine solche Annahme.

Wir können allerdings Handlungen und in zunehmenden Maße auch Entscheidungsfindungs- und Motivationsprozesse rekonstruieren, sei es auf historischer Folie oder im Rahmen humanwissenschaftlicher Modelle. Diese Rekonstruktionen sind stets kausal determiniert. Dies spricht ebenfalls dagegen und geht über rein praktische Unmöglichkeiten hinaus.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 15. Feb 2012, 02:09

ganimed hat geschrieben:Also: ich halte eine Wahl nur dann für frei, wenn sie nicht vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist (deren Ursachenketten zudem irgendwann außerhalb des Entscheiders führen, also letztlich externe Faktoren sind). Wenn ich mich also nur deshalb für E entscheide, weil es die Ursache X gibt, dann ist das keine freie Wahl, sondern lediglich eine Prozessierung der Ursache-Wirkung-Beziehung von X nach E.

Ich nicht. warum Du? Was ist Dein Grund dafür, was Dein Argument, wie willst Du das plausibel machen? Oder bleibt es lediglich bei dem: "isso, weil ich es so sehe"?

Wie könnte eine akausale Wahl, (was doch wohl bedeutet "völlig zufällig"), frei sein? Bzw. wie könnte jemand für eine völlig zufällige Wahl - was bedeutet, dass die außerhalb seiner Kontrolle lag - verantwortlich sein? Du meinst vielleicht, das sei sei per se selbstverständlich, bedürfe also keiner weiteren Begründung, aber leider halte ich das für per unverständlich und unplausibel.

Was ist nun eine "freie Wahl" Deiner Ansicht nach?

Wenn sie:

1. zu 100% akausal erfolgt?
2. oder zu NICHT-[100%-kausal] erfolgt?
3. oder: 1 oder 2 und hinzukommen muss noch: [...] <- dies muss von Dir ausgefüllt werden

Falls nur 2, und nicht mehr als 2: dann wäre der oben erwähnte Roboter mit eingebautem akausalem Zufälligkeitsmodul frei, wäre freier als Du und ich. Oder der Mensch mit Tourette-Syndrom, falls dieses akausal aufträte, wäre frei (freier).

Aber: niemand anderes als Du würde das so sehen, davon bin ich überzeugt. Damit stündest Du völlig alleine auf weiter Flur. Also musst Du Dir etwas anderes überlegen. Du müsstest genauer definieren, was eine "freie Wahl" und was "Willensfreiheit" in Deinem Sinne sein soll. Es reicht schlicht nicht, wenn Du immer und immer wieder behauptest, auf jeden Fall sei eine freie Wahl/Willensfreiheit mit Determinismus unvereinbar. Denn eben das ist, was ich anzweifle, wofür ich mindestens ein Argument sehen möchte!

ganimed hat geschrieben:Wieso kann es denn nicht sein, dass auch im Indeterminismus kein freier Wille möglich ist?

Ja, stimmt, das kann schon sein. Es gibt diese Auffassung. Allerdings konntest Du mE bisher nicht plausibel machen, dass Determinismus und Willensfreiheit sich auschließen.

Du hast dafür kein einziges Argument gebracht, Du hast das bisher nur als Dogma verkündet!

Du musst mal explizit die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für Willensfreiheit in Deinem Sinne auflisten!!!!

ganimed hat geschrieben:Nach meiner Intuition ist totale Abhängigkeit und ein totales Festgelegtsein keine Freiheit. Ich kann das mit deiner Intuition vergleichen. Deiner Intuition nach ist eine Wahl dann frei, wenn sie total festgelegt, zu 100% abhängig von kausalen Faktoren, aber vernünftig und informiert war.
Meiner Intuition nach nenne ich eine vernünftige Wahl einfach erstmal nur "vernünftig". Es widerspricht meiner sprachlichen Intuition, "vernünftig" mit "frei" gleichzusetzen. Ein Gefängnis kann schließlich auch vernünftig sein, aber frei nicht.

Wir haben dann wohl unterschiedliche Intuitionen. Wenn eine Entscheidung und Handlung wesentlich von mir abhängt, dann nenne ich sie meine Entscheidung und Handlung, für die ich geradestehe, weil ich sie als die meinigen ansehe.

Keinen Hauch einer Ahnung, inwiefern die "freier" sein könnten als insofern, als ich sie erzeuge.

Du willst hoffentlich nicht auf völlig ursachenlose und somit völlig beliebige Entscheidungen und Handlungen hinaus. Gäbe es sowas, dann wären das sicher nicht meine Entscheidungen und Handlungen, damit könnte ich mich nicht identifizieren. Ist mir dabei völlig egal, ob Du die "frei" nennen würdest oder nicht, ich würde sie nicht so nennen, denn das könnten weder meine Entscheidungen, noch meine Handlungen sein. Damit etwas meine Entscheidungen und Handlungen sein können, müssen sie notwendigerweise von mir abhängen, von meinen Überlegungen, Bewertungen etc.

(Dazu ist es aber nicht notwendig, dass die Entscheidung und darauffolgende Handlung "vernünftig" (bzw. wohlüberlegt) sein muss. Auch eine Entscheidung und Handlung "aus dem Bauch heraus" ist meine Entscheidung und Handlung.)

Aber gut, in Deinem Sinne sind also nun Entscheidungen und Handlungen, die von mir abhängen, deswegen nicht frei, weil sie überhaupt von etwas abhängen. Ich halte das zwar für völlig absurd, aber das wäre erst mal nur eine Definitionssache. Die Fragen für mich hier wären:

1. wieso könnte ich nicht für meine Entscheidungen und Handlungen verantwortlich sein, falls die von mir abhängen, auf meinem Mist gewachsen sind?
2. und wieso, bitteschön. könnte ich im Umkehrschluss dür Entscheidungen und Handlungen, die nicht von mir abhingen, die mir also rein zufällig nur zustießen, die also außerhalb meiner Kontrolle lägen - wieso könnte ich dafür verantwortlich sein?

Beides halte ich für völlig absurd, ist mir absolut unklar, wie man sowas behaupten kann. Dafür muss es doch einen Grund geben, mindestens - und sei es auch nur so klein - ein einziges Mini-Argument. Aber wo ist das? Bisher kam keines, kam nur: "sehe ich so und deswegen ist es auch so".

ganimed hat geschrieben:Ich behaupte tatsächlich, dass ein freier Wille in beiden Welten nicht möglich ist (im Determinismus ist er nicht frei und im Indeterminismus ist es kein Wille). Insofern brauchen wir also tatsächlich nicht über Determinismus reden. Aber die Gründe sind jeweils unterschiedlich. Wenn mich jemand fragt, wieso denn der freie Wille nicht existiert, muss ich doch über Determinismus reden, denn ich benötige die Kausalabhängigkeit als Begründung für meine Behauptung. Und für den indeterministischen Fall gibt es eine ganz andere Begründung. Ein red hering ist der Determinismus also durchaus nicht.

Mag sein, aber wenn so, dann benötigst Du dennoch mindestens ein Argument, warum Determinismus und Willensfreiheit sich auschließen. Du magst das vielleicht selber nicht sehen, aber alles, was Du bisher vorgebgeracht hast, ist die schlichte Behauptung, dem sei einfach nun mal so, weil Du das sagst und Dir das irgendwie richtig vorkommt. Aber das ist leider kein Argument. Dass Zufall und Willensfreiheit sich ausschließen, bzw. dass Zufall Willensfreiheit nicht herstellen kann, keine notwendige Bedingung für Willensfreiheit ist: darüber haben wir keinen Dissens. Fehlt also nur noch das Argument, wieso Determinismus Willensfreiheit ausschlösse. Irgendwas muss es doch da geben! Ein kleines, klitzekleines Argument!

Ich weiß, dass ich Dich damit nerve und ich weiß auch, dass Du fest davon überzeugt bist, schon gute Argumente gebracht zu haben. Aber, nein, das hast Du wirklich nicht. Eigentlich ist es doch nicht so schwer, man muss sich ja nicht alle Argumente aus den Rippen schneiden, man muss nicht das Rad neu erfinden. Man kann auch auf bestehende Argumente zurückgreifen, zum Beispiel diese hier in der SEP.

Aber, klar, was interessiert Dich, was andere sagen. Du hast einfach recht und brauchst kein Argument. Tief in Dir drinnen weißt Du, das Du recht hast. Aber womit eigentlich, das sagst Du auch nicht. "Es gibt keine Willensfreiheit"! Aber solange Du nicht explizit sagst, was Du damit eigentlich meinst, hast Du har nichts gesagt. Nicht mehr als "es gibt keine sdfuiehjklöfhreuitg". Das mag zwar sein oder nicht, aber das kann niemand beurteilen.

ganimed hat geschrieben:Also nochmal: ja, wir haben unterschiedliche Möglichkeiten zu handeln. Und auf der anderen Seite behaupte ich keineswegs, dass wir keine Handlungsoptionen haben. Wir haben sie. Nur können wir sie nicht frei wählen. Wir geraten aufgrund kausaler Faktoren einfach in andere Situationen und dort gibt es dann neue Optionen. Wir haben also einen Willen, ja, und wir haben eine Wahl, ja, aber beide sind nicht frei. Und Schuld gäbe ich nur jemandem, der seine Handlung frei gewählt hat.

Aber Dein "frei gewählt" ist ein leerer Begriff, ist ohne Bedeutung. Du kannst nicht erklären, was Du damit meinst, Du gibst aber zu, dass "frei gewählt" in jeder logisch möglichen Welt unmöglich ist. Selbst ein hypothetischer allmächtiger Gott könnte nicht in Deinem Sinne "frei wählen".

Du redest einfach nur Unsinn. Du sagst "freie Wahl", Du sagst "Willensfreiheit", aber Du kannst nicht erklären, was Du damit meinst.

Aber ich kann es: Deiner Ansicht nach müssen für eine freie Wahl und für Willensfreiheit folgende zwei Bedingungen erfüllt sein:

1. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit muss völlig akausal sein
2. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit müssen von einem selber abhängen, dürfen also nicht völlig akausal sein

Und, Entschuldigung, aber das ist so einfach nur unplausibler Unsinn. Oder aber Du kannst das herleiten und begründen und plausibel machen.

(Oder aber: ein ganz kleines bisschen Akausalität reicht schon aus, um eine Entscheidung/Handlung frei zu machen. Es wäre halt schon sehr schön, wenn Du das mal explizit darlegen würdest. Nichts daran ist so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst - Du musst Dich erklären.)

Und überhaupt: wem Du Schuld gibst oder nicht, ist doch dann völlig irrelevant, wenn Du keine Kontrolle über diese Zuweisung hast. Dann tust Du es eben, weil das unerkennbare und von Dir unbeeinflussbare Schicksal es so bestimmt hat. Und andere tun es anders. Und zwar ebenfalls wegen des unerkennbaren Schicksals, dem wir dann nun mal unterliegen, einfach so halt.

Dieser Punkt von mir ist noch lange nicht beantwortet: Du meinst offensichtlich, Du habest recht und daraus folge eine moralische Forderung an andere, ("niemand kann etwas für das, was er tut, also darf keiner den anderen für schuldig halten"). Aber da wird es völlig absurd. Entweder kann niemand etwas für das, was er tut, dann geht Deine moralische Forderung völlig ins Leere oder aber die anderen können Deine Argumente berücksichtigen und danach handeln. Aber dann hätten sie einen freien Willen in meinem Sinne und dann könnten sie auch verantwortlich und schuldig sein.
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Mir ist absolut unverständlich, wieso Du nicht einsehen willst, dass Du mindestens ein Argument für Deine Ansicht bringen musst, dass sich Willensfreiheit und Determinismus ausschließen.

Wenn Du das aber nur per definitionem behaupten willst, dann fragt sich dennoch, wie Du von dort auf Schuld kommst.

Auch für die Aussage "in einer determinierten Welt kann es keine berechtigte Schuldzuweisung geben" braucht es mindestens ein Argument. Zusätzlich aber muss in diesem Falle dargelegt werden, wie man in einer determinierten Welt von "Berechtigung" reden kann. Bzw. wie man in dem Falle von anderen mit Geltungsanspruch verlangen kann, unberechtigte Handlungen zu unterlassen. Für mich sieht das immer noch aus wie ein dicker, fetter logischer performativer Widerspruch.

"Niemand kann etwas dafür, was er tut, also darf niemand andere für schuldig halten, wenn er es dennoch tut, ist er schuld daran" -diese Aussage ist in sich widersprüchlich, sie hebt sich selber auf. Verstehe nicht, dass Du das nicht sehen kannst.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 17. Feb 2012, 10:56

Bunte Kuh hat geschrieben:Dann basiert dieser Freiheitsbegriff zwingend auf einer akausalität, in diesem Fall also einer Beliebigkeit und verunmöglicht jede Handlungstheorie, da es prinzipiell keine verlässlichen, erkennbaren Tat-Folgezusammenhänge geben kann. Aus rein praktischen Gründen spricht nichts für eine solche Annahme.

Mein Freiheitsbegriff ist keine Annahme, sondern beschreibt nur das was wir Menschen erleben. Ich sollte meine Position besser formulieren. Ich versuche es mal so. Wir erleben alle die Triebfeder hinter den meisten unserer bewussten Entscheidungen als einen freien Willen. Das Postulat, dass es diesen freien Willen in dieser Form gibt, stammt also aus dieser Wahrnehmung und Selbstbeobachtung. Meine Position ist nun, dass dies eine Illusion ist, da es für die Freiheit des Willens einer Akausalität bedürfte, die es nicht gibt, und weil es für einen eigenen Willen einer Rationalität bedürfte, die es wiederum in einer akausalen Welt nicht gäbe. Es kann logischerweise einen freien Willen, wie wir ihn erleben, gar nicht geben.

Bunte Kuh hat geschrieben:Wir können allerdings Handlungen und in zunehmenden Maße auch Entscheidungsfindungs- und Motivationsprozesse rekonstruieren, sei es auf historischer Folie oder im Rahmen humanwissenschaftlicher Modelle. Diese Rekonstruktionen sind stets kausal determiniert. Dies spricht ebenfalls dagegen und geht über rein praktische Unmöglichkeiten hinaus.

Genau. Sowohl die Logik als auch konkrete Forschungsergebnisse bestätigen alle, dass es keinen freien Willen (im Sinne unserer Wahrnehmung) gibt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Fr 17. Feb 2012, 22:10

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Also: ich halte eine Wahl nur dann für frei, wenn sie nicht vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist

Ich nicht. warum Du? Was ist Dein Grund dafür, was Dein Argument, wie willst Du das plausibel machen?

Du hälst eine Wahl für frei, wenn sie vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist? Eine "totale Abhängigkeit" ist für dich ein Hort der Freiheit? Du hast, wie hundertmal festgestellt, einen aus meiner Sicht merkwürdigen Sprachgebrauch. Deiner Meinung nach hätte man sich also sämtliche Unabhängigkeitskriege in der Menschheitsgeschichte sparen können, weil man ja auch so bereits frei war? Die meisten Amerikaner, die ich nicht kenne, damals um 1770 waren da aber irgendwie anderer Meinung. Unabhängigkeit ist eine notwendige Voraussetzung für Freiheit, die ihr Kompatibilisten offenbar bereit seid, über Bord zu werfen, nur um den Begriff des freien Willens zu erhalten. Das erklär mal Thomas Jefferson.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was ist nun eine "freie Wahl" Deiner Ansicht nach?

Eine notwendige Eigenschaft einer freien Wahl wäre für mich die Akausalität. Eine weitere notwendige Eigenschaft ist aber das gewollt sein (in diesem Punkt stimmen wir sicher überein). Beides ist nicht zu vereinbaren. Das Ding, was mir mein Selbsterleben beim Entscheiden vorgaukelt, ist demnach logisch unmöglich und eine Illusion. Meiner Ansicht nach gibt es keine freie Wahl.

AgentProvocateur hat geschrieben:1. wieso könnte ich nicht für meine Entscheidungen und Handlungen verantwortlich sein, falls die von mir abhängen, auf meinem Mist gewachsen sind?

Und du erinnerst dich wirklich nicht daran, dass wir an diesem Punkt auch bereits ein paar Mal waren und ich an dieser Stelle immer einen Unterschied mache zwischen Verantwortung (eine Entscheidung kann mir zugeordnet werden, es war meine Entscheidung, also bin ich auch verantwortlich) und zwischen Schuld (meine Entscheidung war frei, ich hätte auch anders entscheiden können, ich habe also Schuld, bin Ursache dieser Entscheidung). Meine Antwort auf deine Frage ist also, wenig überraschend für Leute mit Gedächtnis, dass man durchaus für seine Entscheidungen verantwortlich ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mag sein, aber wenn so, dann benötigst Du dennoch mindestens ein Argument, warum Determinismus und Willensfreiheit sich auschließen.

Dieses Argument benötige ich aber nur bei Leuten, die "schwarz" sagen wenn sie "weiß" meinen. Wenn du also tatsächliche "abhängig" sagst und "frei" meinst, dann muss ich dir gegenüber genau genommen erklären, wieso ich die Begriffe anders gebrauche. Du fragst aber hoffentlich nicht ernsthaft nach einer Rechtfertigung für mein Sprachempfinden und ich muss hoffentlich nicht wirklich herauskramen, ob ich im Internet irgendeine Begründung oder historische Entwicklung für die deutschen Wörter Freiheit und Abhängigkeit finde?

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich weiß, dass ich Dich damit nerve und ich weiß auch, dass Du fest davon überzeugt bist, schon gute Argumente gebracht zu haben. Aber, nein, das hast Du wirklich nicht.

Wenn das so wäre, säßen wir aber zumindest im selben Boot. Auch du würdest Schwierigkeiten bekommen, wenn es meine Taktik wäre, für deine Behauptungen schlüssige Begründungen zu verlangen. Denn auch deine Definition von freiem Willen fußt ja, wenn ich es recht verstehe, auf deinem Empfinden, auf intuitive Annahmen und insbesondere auf Sprache. Oder irre ich mich?

AgentProvocateur hat geschrieben:1. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit muss völlig akausal sein
2. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit müssen von einem selber abhängen, dürfen also nicht völlig akausal sein

Und, Entschuldigung, aber das ist so einfach nur unplausibler Unsinn. Oder aber Du kannst das herleiten und begründen und plausibel machen.

Dann stelle doch mal bitte dar, was an meinen Aussagen nicht plausibel ist. Argumentiere doch mal bitte statt immer nur zu behaupten, dass ich keine Begründung liefere. Wie wäre es, wenn du stattdessen darlegst, was an den Sätzen aus welchem Grund nicht stimmt. Oder zeig mal auf, was an meinen Begründungen unplausibel oder unlogisch ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Oder aber: ein ganz kleines bisschen Akausalität reicht schon aus, um eine Entscheidung/Handlung frei zu machen. Es wäre halt schon sehr schön, wenn Du das mal explizit darlegen würdest. Nichts daran ist so selbstverständlich, wie Du zu meinen scheinst

Du klingst da recht unlogisch. Wenn ich die Aussage treffe, dass der Wille genau deshalb nicht frei ist, weil er völlig kausal abhängig ist, dann ist es folgerichtig und logisch zu sagen, dass man für ein wenig Freiheit wenigstens eine teilweise Unabhängigkeit benötigt. Willst du diesen einfachen Zusammenhang wirklich leugnen und mir dann zudem noch unterstellen, ich hätte ihn noch nie dargelegt? Dann wärst du ein Argument- und Begründungsleugner.

AgentProvocateur hat geschrieben:Und überhaupt: wem Du Schuld gibst oder nicht, ist doch dann völlig irrelevant, wenn Du keine Kontrolle über diese Zuweisung hast. Dann tust Du es eben, weil das unerkennbare und von Dir unbeeinflussbare Schicksal es so bestimmt hat. Und andere tun es anders.

Dass du nun zum x.ten Male mit diesem Argument kommst, verdichtet bei mir den Verdacht, dass du doch relativ lernresistent bist. Klingelt da nichts bei dir, wenn ich nun zum x.ten Male mein Gegenargument liefere: ich habe durchaus eine Kontrolle und ich kann durchaus beeinflussen (nur nicht frei und unabhängig von kausalen Vorgaben). Ich bin sicher, dass du das aber noch eines Tages begreifen können wirst. Ich begreife es ja auch, da kann es nicht allzu schwer sein. Wenn mich jemand mit Argumenten überzeugt, dass Schuldzuweisung richtig ist, dann ist genau das der kausale Faktor, weshalb ich hinfort Schuld zuweisen würde. Ohne diesen kausalen Faktor geht es aber nicht. Du hast also die Kontrolle und die Möglichkeit, mich zu beeinflussen. Nutze sie doch mal.

AgentProvocateur hat geschrieben:Entweder kann niemand etwas für das, was er tut, dann geht Deine moralische Forderung völlig ins Leere oder aber die anderen können Deine Argumente berücksichtigen und danach handeln. Aber dann hätten sie einen freien Willen in meinem Sinne und dann könnten sie auch verantwortlich und schuldig sein.

Dein entweder-oder-Ansatz klingt erstmal gut. Es stimmt, ich vertrete den Oder-Zweig und behaupte, dass andere meine Argumente berücksichtigen und danach handeln können. Und das bedeutet tatsächlich, dass sie in deinem Sinne einen freien Willen haben (weil sie rational meinen Argumenten folgen). Aber der Fehler in deinem Argument ist natürlich, dass du nicht zwischen meinem und deinem Sinne hin und her springen darfst. In MEINEM Sinn ist dieser Wille eben nicht frei und deshalb zwar Verantwortung zuweisbar aber keine Schuld. Was meinen Sinn und meine Position angeht, hast du mit deinem Argument also keinen Widerspruch dargestellt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Auch für die Aussage "in einer determinierten Welt kann es keine berechtigte Schuldzuweisung geben" braucht es mindestens ein Argument. Zusätzlich aber muss in diesem Falle dargelegt werden, wie man in einer determinierten Welt von "Berechtigung" reden kann. Bzw. wie man in dem Falle von anderen mit Geltungsanspruch verlangen kann, unberechtigte Handlungen zu unterlassen. Für mich sieht das immer noch aus wie ein dicker, fetter logischer performativer Widerspruch.

Wenn es für dich ein Widerspruch ist, in einer determinierten Welt von "Berechtigung" zu reden, was, so überlege ich gerade, wirst du dann wohl für eine Vorstellung von meiner determinierten Welt und dem Begriff "Brechtigung" haben. Wieso soll man, nur weil man total abhängig von kausalen Faktoren ist, keine Forderungen mehr aufstellen dürfen? Sobald ich Gründe habe, muss ich ja sogar diese Forderungen aufstellen. Wieso sollen Begriffe wie Recht und Berechtigung ihren Sinn verlieren? Wenn ich beispielsweise die Forderung aufstelle, dass jeder Mensch in 2 Metern Höhe herunterfallen soll, weil die Kausalität und die Gravitation dies gebieten, dann siehst du darin ebenfalls einen Widerspruch? Du scheinst wirklich bei dem Wort "deterministisch" reflexhaft an Roboter, Willenlosigkeit und Kontrollverlust zu denken. Das aber wäre ein echter Fehler. Soweit es mich betrifft, bleibt in einer solchen Welt alles so wie es ist, nur das Wort "frei" wird gestrichen und das Wort "Schuld". Die Worte Wille, Kontrolle, Verantwortung, Beeinflussung behalten ihre Bedeutung.

AgentProvocateur hat geschrieben:"Niemand kann etwas dafür, was er tut, also darf niemand andere für schuldig halten, wenn er es dennoch tut, ist er schuld daran" -diese Aussage ist in sich widersprüchlich

Das stimmt. Volltreffer. Wenn du jetzt noch darlegen könntest, dass ich diese Aussage jemals getätigt hätte. Meine Aussage ist hingegen wohl eher, dass niemand etwas dafür kann, was er tut und also niemand andere für schuldig halten darf. Wenn er es dennoch tut, dann macht er einen Fehler, an dem er aber nicht schuld ist. Ich warte also weiter darauf, dass du mir mal einen logischen Widerspruch nachweist. Das wäre nämlich wirklich mal spannend und lehrreich. Bisher habe ich jedoch den Eindruck, dass meine Position die sprachlich intuitivere ist und keine Widersprüche enthält.

Dann greife ich mal deine Position an und versuche, dir denselben Gefallen zu tun wie du mir, und deine Position einer kleine Feuerprobe zu unterziehen.

1) Bei deinem freien Willen sehe ich den weniger intuitiven Sprachgebrauch. Lege mal bitte dar, wieso totale Abhängigkeit bei dir als frei bezeichnet wird. Für mich ist das ein Widerspruch.

2) Und ich sehe es als falsch an, in einer deterministischen Welt der menschlichen Fähigkeit, Gedanken zu reflektieren, eine besondere Bedeutung zuzumessen bzw. sie als wesentliches Freiheitsmerkmal zu definieren. Wenn die Welt deterministisch ist, ist die Reflektion ebenso wie jeder andere Vorgang im Gehirn doch determiniert, also kausal abhängig. Wieso sollte dadurch mehr Freiheit entstehen als beispielsweise durch in der Nase bohren beim Entscheiden. Es gibt keinen Grund, es sei denn, du glaubst eben doch daran, dass man durch Reflektion (oder andere Schleifen) aus der determinierten Vorgabe entkommt und abweichen kann. Das aber scheint mir Unsinn zu sein. Dem Determinismus, der kausalen Vorgabe, entkommt man nicht eben mal durch eine "besondere" Tätigkeit.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Feb 2012, 22:39

ganimed hat geschrieben:Du hälst eine Wahl für frei, wenn sie vollständig abhängig von kausalen Faktoren ist? Eine "totale Abhängigkeit" ist für dich ein Hort der Freiheit? Du hast, wie hundertmal festgestellt, einen aus meiner Sicht merkwürdigen Sprachgebrauch.

Doch, klar ist Unabhängigkeit auch für mich eine notwendige Bedingung für Freiheit. Nämlich Unabhängigkeit von Fremdbestimmung. Aber das bedeutet doch nicht Unabhängigkeit von kausalen Faktoren!

Freiheit ist für mich letztlich gleichbedeutend mit Selbstbestimmung. D.h. Freiheit von Fremdbestimmung und Zwang und zusätzlich der hinreichenden Fähigkeit, von seiner Freiheit auch Gebrauch zu machen, (d.h. man muss fähig sein, Sachverhalte zu durchschauen, seine Ziele festlegen, hinterfragen und anerkennen zu können und sein Verhalten darauf ausrichten zu können).

ganimed hat geschrieben:Eine notwendige Eigenschaft einer freien Wahl wäre für mich die Akausalität. Eine weitere notwendige Eigenschaft ist aber das gewollt sein (in diesem Punkt stimmen wir sicher überein). Beides ist nicht zu vereinbaren. Das Ding, was mir mein Selbsterleben beim Entscheiden vorgaukelt, ist demnach logisch unmöglich und eine Illusion. Meiner Ansicht nach gibt es keine freie Wahl.

Für mich ist Akausalität keine notwendige Bedingung einer freien Wahl und mir ist immer noch unklar, wieso sie es sein sollte.

Und mein Selbsterleben beim Entscheiden beinhaltet keine Akausalität. Vielleicht liegt unser Dissens ja tatsächlich an unserem unterschiedlichen Selbsterleben? Was genau erlebst Du, wenn Du eine Entscheidung triffst?

ganimed hat geschrieben:Und du erinnerst dich wirklich nicht daran, dass wir an diesem Punkt auch bereits ein paar Mal waren und ich an dieser Stelle immer einen Unterschied mache zwischen Verantwortung (eine Entscheidung kann mir zugeordnet werden, es war meine Entscheidung, also bin ich auch verantwortlich) und zwischen Schuld (meine Entscheidung war frei, ich hätte auch anders entscheiden können, ich habe also Schuld, bin Ursache dieser Entscheidung). Meine Antwort auf deine Frage ist also, wenig überraschend für Leute mit Gedächtnis, dass man durchaus für seine Entscheidungen verantwortlich ist.

Nun gut, unser Dissens an der Stelle ist dann unsere unterschiedliche Auffassung über den Begriff "Schuld": ich verstehe darunter einen Teilbereich von Verantwortung und nichts mehr. Beispiel: wenn ich Dir hier antworte, bin ich verantwortlich dafür, was ich schreibe. Wenn ich Dich absichtlich beleidige / kränke, dann bin ich daran schuld, (und Du darfst mir das dann berechtigt vorwerfen). (Und umgekehrt.)

Mir ist absolut unklar, was "Schuld" in Deinem Sinne bedeuten könnte. Wenn man dazu eine Fähigkeit benötigte, die per se logisch ausgeschlossen ist?

Ich meine übrigens, dass mein Schuldbegriff mit dem juristischen Schuldbegriffes übereinstimmt.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mag sein, aber wenn so, dann benötigst Du dennoch mindestens ein Argument, warum Determinismus und Willensfreiheit sich auschließen.

Dieses Argument benötige ich aber nur bei Leuten, die "schwarz" sagen wenn sie "weiß" meinen. Wenn du also tatsächliche "abhängig" sagst und "frei" meinst, dann muss ich dir gegenüber genau genommen erklären, wieso ich die Begriffe anders gebrauche.

Wenn eine Entscheidung oder Handlung von mir (kausal) abhängig ist, dann erscheint es mir völlig absurd, die deswegen als "unfrei" zu bezeichnen.

ganimed hat geschrieben:Du fragst aber hoffentlich nicht ernsthaft nach einer Rechtfertigung für mein Sprachempfinden und ich muss hoffentlich nicht wirklich herauskramen, ob ich im Internet irgendeine Begründung oder historische Entwicklung für die deutschen Wörter Freiheit und Abhängigkeit finde?

Du fragst nach einer Möglichkeit, wie Du Deine Auffassung, dass Kausalität und Willensfreiheit Gegensätze seien, begründen kannst? Ich habe dazu schon öfter mal Links gegeben, wie gesagt, kannst Du in der SEP, der IEP oder der REP gucken. Und auch wie gesagt: klar bedeutet Freiheit soviel wie "Unabhängigkeit", dagegen will ich nichts sagen. Nur: es bedeutet nun mal nicht "Unabhängigkeit von Kausalität"! Das ist eine petitio principii von Dir, die dazu noch unplausibel ist. Denn demnach könnte eine Entscheidung oder eine Handlung dann nicht mehr frei sein, wenn sie kausal von mir (meinen Überlegungen, Einstellungen, Meinungen, Bewertungen etc.) abhängen würde.

Aber: das ist die eine Sache, das mag auch meinetwegen eine reine Definitonssache sein, (wiewohl mir absolut unklar ist, wieso man so definieren wollte). Die andere Frage aber ist die nach der Verantwortlichkeit und Schuld - und da ist es nicht mehr nur eine reine Definitionssache. Denn - so behaupte ich - es ist weithin unbestritten, dass jemandem, der akausal, also grundlos, entscheidet und handelt, (und nicht anders kann als so), keine Verantwortung und demnach auch keine Schuld zugewiesen werden darf.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich weiß, dass ich Dich damit nerve und ich weiß auch, dass Du fest davon überzeugt bist, schon gute Argumente gebracht zu haben. Aber, nein, das hast Du wirklich nicht.

Wenn das so wäre, säßen wir aber zumindest im selben Boot. Auch du würdest Schwierigkeiten bekommen, wenn es meine Taktik wäre, für deine Behauptungen schlüssige Begründungen zu verlangen. Denn auch deine Definition von freiem Willen fußt ja, wenn ich es recht verstehe, auf deinem Empfinden, auf intuitive Annahmen und insbesondere auf Sprache. Oder irre ich mich?

Nein, dabei irrst Du nicht. Es geht darum, die anderen mit ihnen plausibel erscheinenden Axiomen zu überzeugen. Unser beider Argumente basieren auf Sprache, darauf, wie man Begriffe versteht und wie man sie verstehen könnte. Und auch darauf, wie die meisten sie verstehen. (Denn keiner von uns beiden hat die Deutungshoheit über Begriffe.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:1. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit muss völlig akausal sein
2. eine freie Wahl und damit Willensfreiheit müssen von einem selber abhängen, dürfen also nicht völlig akausal sein

Und, Entschuldigung, aber das ist so einfach nur unplausibler Unsinn. Oder aber Du kannst das herleiten und begründen und plausibel machen.

Dann stelle doch mal bitte dar, was an meinen Aussagen nicht plausibel ist. Argumentiere doch mal bitte statt immer nur zu behaupten, dass ich keine Begründung liefere. Wie wäre es, wenn du stattdessen darlegst, was an den Sätzen aus welchem Grund nicht stimmt. Oder zeig mal auf, was an meinen Begründungen unplausibel oder unlogisch ist.

Ja, das habe ich mehrfach versucht. Nochmal zusammenfass:

1. Wenn Du mit Kausalität argumentierst, die angeblich Willensfreiheit auschlösse, dann solltest Du zeigen können, wie Akausalität Willensfreiheit herstellen könne
2. Wenn Akausalität schon notwendige und auch hinreichende Bedingung für Willensfreiheit und Schuldzuweisung in Deinem Sinne sein sollte, dann wäre der Roboter mit Zufallsmodul und der Tourette-Mensch willensfrei - angenommen, der Zufall wäre echt
3. Wenn Willensfreiheit (und Schuld) aber in jeder logisch möglichen Welt (egal, ob kausal determiniert oder nicht) logisch unmöglich ist, dann ist er leer, beinhaltet nichts
4. Dann müsstest Du zumindest zeigen können, dass diesen per se unlogischen Begriff auch andere vertreten
5. Falls Dir aber 4. nicht gelingt, dann redest Du nur über Deine eigenen Befindlichkeiten, dann fragt sich, was das für andere für einen Belang haben sollte

ganimed hat geschrieben:Wenn ich die Aussage treffe, dass der Wille genau deshalb nicht frei ist, weil er völlig kausal abhängig ist, dann ist es folgerichtig und logisch zu sagen, dass man für ein wenig Freiheit wenigstens eine teilweise Unabhängigkeit benötigt.

Dann bitte mal darstellen, wie Akausalität Willensfreiheit und Verantwortung herstellen könnte.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Und überhaupt: wem Du Schuld gibst oder nicht, ist doch dann völlig irrelevant, wenn Du keine Kontrolle über diese Zuweisung hast. Dann tust Du es eben, weil das unerkennbare und von Dir unbeeinflussbare Schicksal es so bestimmt hat. Und andere tun es anders.

Dass du nun zum x.ten Male mit diesem Argument kommst, verdichtet bei mir den Verdacht, dass du doch relativ lernresistent bist. Klingelt da nichts bei dir, wenn ich nun zum x.ten Male mein Gegenargument liefere: ich habe durchaus eine Kontrolle und ich kann durchaus beeinflussen (nur nicht frei und unabhängig von kausalen Vorgaben). Ich bin sicher, dass du das aber noch eines Tages begreifen können wirst. Ich begreife es ja auch, da kann es nicht allzu schwer sein. Wenn mich jemand mit Argumenten überzeugt, dass Schuldzuweisung richtig ist, dann ist genau das der kausale Faktor, weshalb ich hinfort Schuld zuweisen würde. Ohne diesen kausalen Faktor geht es aber nicht. Du hast also die Kontrolle und die Möglichkeit, mich zu beeinflussen. Nutze sie doch mal.

Nun, die Sache ist ja die: ich meine, dass es für Freiheit völlig ausreicht, Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu haben. Sich von Argumenten leiten zu lassen. Was kausal erfolgt, wie auch sonst? Gut, da wir hierbei einen Konsens haben, dass das möglich ist, (sorry, ich habe tatsächlich nicht immer alles im Hinterkopf, was jeder bisher so gesagt hat), dann frage ich mich eben, was noch hinzukommen muss, um von Willensfreiheit zu reden und Schuldzuweisung für gerechtfertigt zu halten. Das kann ja nicht ledicglich Akausalität sein (Roboter, Tourette-Mensch) es muss mehr als Akasaulität sein. Aber was?

ganimed hat geschrieben:Du scheinst wirklich bei dem Wort "deterministisch" reflexhaft an Roboter, Willenlosigkeit und Kontrollverlust zu denken. Das aber wäre ein echter Fehler. Soweit es mich betrifft, bleibt in einer solchen Welt alles so wie es ist, nur das Wort "frei" wird gestrichen und das Wort "Schuld". Die Worte Wille, Kontrolle, Verantwortung, Beeinflussung behalten ihre Bedeutung.

Ja, sorry, ich führe da gerade parallel noch eine andere Diskussion zu dem Thema, mag sein, dass ich da was verwechselt habe, (weil der andere gerade ausgiebig mit dem Roboter argumentiert). Ich hoffe, ich kann mir Deine Position im Folgenden besser merken.

Meine Position ist ja die: ich meine nicht, dass Determinismus und Willensfreiheit sich ausschließende Gegensätze seien. Ich meine sogar, dass (zumindest ein gewisser) Determinismus notwendig für Willensfreiheit (und für Verantwortungs- und Schuldzuschreibung) ist. Denn Indeterminismus bedeutet meiner Ansicht nach unweigerlich Kontrollverlust.

ganimed hat geschrieben:Dann greife ich mal deine Position an und versuche, dir denselben Gefallen zu tun wie du mir, und deine Position einer kleine Feuerprobe zu unterziehen.

1) Bei deinem freien Willen sehe ich den weniger intuitiven Sprachgebrauch. Lege mal bitte dar, wieso totale Abhängigkeit bei dir als frei bezeichnet wird. Für mich ist das ein Widerspruch.

Ich unterscheide, wie gesagt, zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Du unterscheidest nur zwischen Kausalität und Akausalität. Mir erscheint - (natürlich, sonst würde ich das nicht vertreten) - mein Ansatz plausibler und auch intuitiv richtiger zu sein.

ganimed hat geschrieben:2) Und ich sehe es als falsch an, in einer deterministischen Welt der menschlichen Fähigkeit, Gedanken zu reflektieren, eine besondere Bedeutung zuzumessen bzw. sie als wesentliches Freiheitsmerkmal zu definieren. Wenn die Welt deterministisch ist, ist die Reflektion ebenso wie jeder andere Vorgang im Gehirn doch determiniert, also kausal abhängig. Wieso sollte dadurch mehr Freiheit entstehen als beispielsweise durch in der Nase bohren beim Entscheiden. Es gibt keinen Grund, es sei denn, du glaubst eben doch daran, dass man durch Reflektion (oder andere Schleifen) aus der determinierten Vorgabe entkommt und abweichen kann. Das aber scheint mir Unsinn zu sein. Dem Determinismus, der kausalen Vorgabe, entkommt man nicht eben mal durch eine "besondere" Tätigkeit.

Natürlich ist in einer determinierten Welt alles kausal abhängig: mein in-der-Nase-bohren, meine Überlegungen, meine Reflexionen, meine Einstellungen, meine Entscheidungen, meine Handlungen. Das hat eine determinierte Welt nun mal so an sich, das folgt aus der Definition von "Determinismus".

Ich meine nicht!, dass man dem Determinismus entkommen könnte, ich verstehe bloß nicht, wieso Du hier schon wieder Dein Axiom, dass sich Freiheit und Determinnismus ausschlösse, hineinsteckst! Aber eben das ist doch der strittige Punkt zwischen uns! Das erkenne ich nicht an, bitte nimm das zur Kenntnis!

Wenn Du mir zeigen könntest, wie Indeterminismus (für mich oder andere nachvollziehbar) mehr Freiheit herstellen könnte als Determinismus, dann würde ich von meiner Position abrücken und Dir zustimmen, Deine Position einnehmen. Ich gehe doch gar nicht davon aus, dass man dem Determinismus irgendwie "entkommen" müsse, um frei zu sein, mein Problem ist doch vielmehr, dass ich einfach nicht verstehen kann, wieso Du dieser Meinung bist! Weil ich a) anscheinend Dein Selbsterleben bei einer Entscheidung nicht teile und b) mir absolut unklar ist, wie Indeterminismus irgendwie Freiheit herstellen könnte. Ich verbinde Indeterminismus mit Zufall und Zufall mit fehlender Kontrolle und fehlende Kontrolle mit weniger Freiheit.

Nochmal kurz zum Unterschied von in-der-Nase-bohren und Reflexion: beides ist natürlich in einer determinierten Welt gleichermaßen determiniert. Aber meiner Ansicht nach wäre jemand, der die ganz oben im ersten Absatz beschriebenen Fähigkeiten hat, freier, als jemand, der sie nicht hat und nur den ganzen Tag in der Nase bohren kann, sonst nichts.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » So 19. Feb 2012, 23:01

ganimed hat geschrieben:Mein Freiheitsbegriff ist keine Annahme, sondern beschreibt nur das was wir Menschen erleben. Ich sollte meine Position besser formulieren. Ich versuche es mal so. Wir erleben alle die Triebfeder hinter den meisten unserer bewussten Entscheidungen als einen freien Willen. Das Postulat, dass es diesen freien Willen in dieser Form gibt, stammt also aus dieser Wahrnehmung und Selbstbeobachtung. Meine Position ist nun, dass dies eine Illusion ist, da es für die Freiheit des Willens einer Akausalität bedürfte, die es nicht gibt, und weil es für einen eigenen Willen einer Rationalität bedürfte, die es wiederum in einer akausalen Welt nicht gäbe. Es kann logischerweise einen freien Willen, wie wir ihn erleben, gar nicht geben. [...] Genau. Sowohl die Logik als auch konkrete Forschungsergebnisse bestätigen alle, dass es keinen freien Willen (im Sinne unserer Wahrnehmung) gibt.

Ich möchte auch dazu noch etwas sagen.

Ich finde das absolut übergriffig. Rede nur von Dir, wenn Du von Dir redest, aber rede nicht von "wir Menschen". Deine Selbstbeobachtung und Selbstwahrnehmung ist nicht die der anderen Leute, es ist schlicht intellektuell unredlich, wenn Du das hier dennoch behauptest.

Wenn Du aufgrund Deiner Wahrnehmung und Selbstbeobachtung zu dem Schluss kommst, dass Deine Wahrnehmung und Selbstbeobachtung eine Illusion sei, dann folgt daraus nur, dass eben Deine Wahrnehmung und Selbstbeobachtung eine Illusion ist. Aber es folgt nicht mehr als das!

Damit mehr als das folgen würde, müsstest Du empirische Untersuchungen darüber anstellen bzw. solche zitieren können, was andere Leute wahrnehmen, wie sie sich selber sehen und was sie unter bestimmten Begriffen verstehen.

Mich nerven Deine Aussagen oben unsäglich, weil ich die für einen unlauteren Trick halte. Ist so, als wenn ich sagte: "bekanntlich haben Eskimos nur 4 Backenzähne". Was zwar nicht stimmt, was mir aber viele Leute unbesehen abnehmen würden, nur weil ich "bekanntlich" gesagt hätte.

Ich verweise mal wieder auf diese empirische Untersuchung: Is Incompatibilism Intuitive?, aus der hervorgeht, dass Deine Intuitionen keineswegs so allgemein verbreitet sind, wie Du wohl annimmst, im Gegenteil sogar.

Was genau ist denn nun Deine Intuition bei einer Entscheidung? Das zumindest solltest Du doch mal darlegen können. Bevor Du das unberechtigt auf andere Leute hochrechnest.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Di 21. Feb 2012, 23:14

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich verweise mal wieder auf diese empirische Untersuchung: Is Incompatibilism Intuitive?, aus der hervorgeht, dass Deine Intuitionen keineswegs so allgemein verbreitet sind, wie Du wohl annimmst, im Gegenteil sogar.

Ich habe lange gesucht und finde in dem verlinkten Text keine Angabe, wie viele Leute befragt wurden. Und wie viele Leute rausgenommen werden mussten, weil die Antwort auf Kontrollfragen nahelegte, dass sie nicht alles verstanden hatten. Diese absoluten Zahlen fände ich spannend.
Ich schließe mich inhaltlich übrigens der Kritik an, auf die im Artikel eingegangen wird. Ich glaube keineswegs, dass das Konzept des Determinismus intuitiv ist. Im Gegenteil behaupte ich ja gerade, dass wir (alle Menschen) eine Illusion von Nichtdeterminismus erleben und deshalb beispielsweise der Dualismus intuitiver ist. Meine Vermutung ist, dass dies auch genau das Problem der Befragung ist. Es ist nicht intuitiv, anzunehmen, dass Jill in einem deterministischen Universum lebt und ihre Entscheidung bei jeder Neuaufführung immer gleich ausfällt. Und weil dies so wenig intuitiv ist und so abstrakt erscheint, gelingt es ungeübten Menschen nicht immer, die eigentlich intuitive Implikation zu verstehen, dass nämlich bei immer gleicher Wahl diese Wahl keinen Freiheitsgrad enthält. Man müsste dieselbe Befragung mal bei Personen durchführen, die sich eben doch schon philosophisch mit dem Konzept des Determinismus vertraut gemacht haben, damit die eine Intuition (ohne Freiheitsgrad ist die Wahl unfrei) nicht von der anderen Intuition (Determinismus kenne ich nicht so genau und kann mir so schnell nicht vorstellen, was der bedeutet) überlagert wird.

AgentProvocateur hat geschrieben:Freiheit ist für mich letztlich gleichbedeutend mit Selbstbestimmung. D.h. Freiheit von Fremdbestimmung und Zwang

Was würdest du also in der Befragung sagen: wenn die Entscheidung, das gefundene Geld zu behalten, einzig und allein davon abhängt, in welcher der beiden Familien man groß wurde, ist das dann noch Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung? Es geht doch nicht mehr um die Entscheidung A (nehme ich das Geld oder liefere ich es ab). Sondern der Determinismus, wie er hier verklausuliert wird, bedeutet doch genau, dass diese Entscheidung A zu 100% abhängt von der Entscheidung B (soll das Kind in der einen oder der anderen Familie aufwachsen). Und diese Entscheidung B wurde sicherlich nicht vom Kind getroffen, stellt also eine Fremdbestimmung dar, oder?

AgentProvocateur hat geschrieben:ich verstehe darunter einen Teilbereich von Verantwortung und nichts mehr. Beispiel: wenn ich Dir hier antworte, bin ich verantwortlich dafür, was ich schreibe. Wenn ich Dich absichtlich beleidige / kränke, dann bin ich daran schuld, (und Du darfst mir das dann berechtigt vorwerfen). (Und umgekehrt.)

Das verstehe ich nicht ganz. Schuld und Verantwortung sind für dich Synonyme? Oder was ist genau der Unterschied für dich? Oder um im Beispiel zu bleiben: bist du deiner Ansicht nach auch daran schuld, dass du mir schreibst? Und bist du verantwortlich dafür, dass du mich beleidigst und kränkst? Und gibt es Beispiele, wo ich schuld aber nicht verantwortlich bin bzw. wo ich verantwortlich aber nicht schuld bin?

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist absolut unklar, was "Schuld" in Deinem Sinne bedeuten könnte.

Ich schließe mich da der Formulierung an, die ich eben auch wieder in dem von dir verlinkten Artikel fand. Schuld ist moralische Verantwortung. Und füge hinzu, dass diese moralische Verantwortung vorraussetzt, dass die Entscheidung zur Tat frei war und unter denselben Umständen auch anders hätte ausfallen können.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine übrigens, dass mein Schuldbegriff mit dem juristischen Schuldbegriffes übereinstimmt.

Das meine ich auch. Weswegen ich Leuten wie Wolf Singer zustimme, die eine Bedeutungsreform in der Justiz für nötig und eine logische Konsequenz hielten.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn eine Entscheidung oder Handlung von mir (kausal) abhängig ist, dann erscheint es mir völlig absurd, die deswegen als "unfrei" zu bezeichnen.

Wenn eine Entscheidung von dir abhängt UND du wiederum von kausalen Faktoren abhängst (weil im Determinismus ja alles von etwas abhängt), und du selber das Element der Selbstbestimmung als wesentlich für eine freie Entscheidung ansiehst, dann halte ich es wiederum für absurd, dass du das absurd findest. Wenn du dir das Bild von den Ursachenketten nur zu Ende überlegst, du einsiehst, dass jeder kausale Faktor in dir letztlich (also über eine Kette weiterverfolgt) nach außerhalb von dir führt (zum Beispiel auf Entscheidung zurückführt, in welcher Familie ein Kind großgezogen wird), dann steht dein Freiheitsbegriff in direktem Widerspruch zum Determinismus.

AgentProvocateur hat geschrieben:klar bedeutet Freiheit soviel wie "Unabhängigkeit", dagegen will ich nichts sagen. Nur: es bedeutet nun mal nicht "Unabhängigkeit von Kausalität"! Das ist eine petitio principii von Dir, die dazu noch unplausibel ist. Denn demnach könnte eine Entscheidung oder eine Handlung dann nicht mehr frei sein, wenn sie kausal von mir (meinen Überlegungen, Einstellungen, Meinungen, Bewertungen etc.) abhängen würde.

Deine Überlegungen, Einstellungen, Meinungen, Bewertungen etc. hängen doch selber wieder von irgendwelchen Dingen ab. Also nix "petitio principii". Du selbst forderst Selbstbestimmung und bekommst sie genau deshalb nicht, weil es diese Abhängikeit von Kausalität gibt. Echte Selbstbestimmung ist demnach nur durch Akausalität zu erreichen.

AgentProvocateur hat geschrieben:1. Wenn Du mit Kausalität argumentierst, die angeblich Willensfreiheit auschlösse, dann solltest Du zeigen können, wie Akausalität Willensfreiheit herstellen könne

Wie gesagt, ich glaube hier irrst du. Es ist so als würde ich behaupten, dass man mit blau kein buntes Bild malen kann. Und du würdest dann sagen: "dann solltest du zeigen können, wie man mit rot ein buntes Bild malen kann". Aber ich sage doch die ganze Zeit, mit rot kann man es auch nicht und es gibt diese dritte Möglichkeit, dass man mit BEIDEN Farben nicht zum Ziel kommt. Wieso unterstellst du, dass wenn Willensfreiheit mit Determinismus nicht geht, es dann aber mit Indeterminismus gehen müsse?

AgentProvocateur hat geschrieben:2. Wenn Akausalität schon notwendige und auch hinreichende Bedingung für Willensfreiheit und Schuldzuweisung in Deinem Sinne sein sollte, dann wäre der Roboter mit Zufallsmodul und der Tourette-Mensch willensfrei - angenommen, der Zufall wäre echt

Folgefehler: deine Wenn-Bedingung stimmt bereits nicht. Akausalität ist lediglich notwendig aber eben nicht hinreichend.

AgentProvocateur hat geschrieben:3. Wenn Willensfreiheit (und Schuld) aber in jeder logisch möglichen Welt (egal, ob kausal determiniert oder nicht) logisch unmöglich ist, dann ist er leer, beinhaltet nichts

Naiver Unsinn. Der Begriff beinhaltet natürlich etwas. Er beschreibt zum Beispiel die Illusion, die wir haben. Willst du wirklich argumentieren, dass ich deshalb unrecht habe, weil es die Begriffe Willensfreiheit (und Schuld) in der deutschen Sprache nun einmal gibt und sie dann doch nicht leer sein können und folglich existieren müssen? Also bitte.

AgentProvocateur hat geschrieben:4. Dann müsstest Du zumindest zeigen können, dass diesen per se unlogischen Begriff auch andere vertreten

Wir sind uns sicher einig, dass ich nicht der einzige Inkompatibilist auf der Welt bin.

AgentProvocateur hat geschrieben:5. Falls Dir aber 4. nicht gelingt, dann redest Du nur über Deine eigenen Befindlichkeiten, dann fragt sich, was das für andere für einen Belang haben sollte

Für dich habe ich den Belang ja explizit dargestellt. Auch deine Forderung nach Selbstbestimmung ist inkompatibel mit Determinismus.

Wenn die Punkte 1 bis 5 also wirklich alles sind, was dir als Kritik an meiner Position einfällt, dann kann ich heute nacht gut schlafen.

AgentProvocateur hat geschrieben:ich meine, dass es für Freiheit völlig ausreicht, Kontrolle über die eigenen Entscheidungen und Handlungen zu haben. Sich von Argumenten leiten zu lassen.

Lustig finde ich, wie du es indirekt als Freiheit bezeichnest, wenn man von Argumenten geleitet wird. Das hört sich zumindest nach meinem Sprachgebrauch eher wieder wie Fremdbestimmung an, also ich werde bestimmt von fremden Argumenten. Das wäre auch mal eine Befragung wert, ob deine Ansicht intuitiv ist in der breiten Bevölkerung: "Wenn man sich immer nur von Argumenten leiten lässt, ist man dann noch frei?" Für mich jedenfalls wäre hier Gängelung als Begriff passsender als Freiheit.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine sogar, dass (zumindest ein gewisser) Determinismus notwendig für Willensfreiheit (und für Verantwortungs- und Schuldzuschreibung) ist.

Das meine ich übrigens auch. Determinismus ist notwendig (deshalb gibt es keinen freien Willen im Indeterminismus). Ich meine nur außerdem auch, dass Indeterminismus notwendig ist (deshalb gibt es keinen freien Willen im Determinismus). Oder kürzer formuliert: Willensfreiheit ist logisch unmöglich. So weit auseinander sind wir also auch wieder nicht. Du musst nur noch erklären, wieso Fred und Barney (aus dem Beispiel des Artikels mit dem gefundenen Geldbörsen) sich angeblich frei entscheiden, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von der Adoptionsentscheidung anderer abhängt.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 22. Feb 2012, 02:55

ganimed hat geschrieben:Im Gegenteil behaupte ich ja gerade, dass wir (alle Menschen) eine Illusion von Nichtdeterminismus erleben und deshalb beispielsweise der Dualismus intuitiver ist.

Ich nicht. *schulterzuck*

Mir würde es schon sehr viel helfen, wenn Du es schaffen würdest, Deine Intuition darob mal genau zu beschreiben.
ganimed hat geschrieben:Man müsste dieselbe Befragung mal bei Personen durchführen, die sich eben doch schon philosophisch mit dem Konzept des Determinismus vertraut gemacht haben, damit die eine Intuition (ohne Freiheitsgrad ist die Wahl unfrei) nicht von der anderen Intuition (Determinismus kenne ich nicht so genau und kann mir so schnell nicht vorstellen, was der bedeutet) überlagert wird.

Nein, der "Witz" dieser Befragung ist gerade, dass die landläufigen (philosophisch unverbildeten) Intuitionen bezüglich der Begriffe "Willensfreiheit" und "Schuld" ermittelt werden sollen.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Freiheit ist für mich letztlich gleichbedeutend mit Selbstbestimmung. D.h. Freiheit von Fremdbestimmung und Zwang

Was würdest du also in der Befragung sagen: wenn die Entscheidung, das gefundene Geld zu behalten, einzig und allein davon abhängt, in welcher der beiden Familien man groß wurde, ist das dann noch Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung?

Nein, es hängt selbstverständlich (im Einzelfalle!) nicht davon ab, in welcher Familie man groß geworden ist, welche Erziehung man hatte, in welchem sozialen Umfeld man gelebt hat. Denn, würde es das, könnte man ja logischerweise vom Umfeld auf die künftigen Aktionen eines bestimmten Einzelnen schließen. Statistisch hängt es aber schon davon ab, d.h. es gibt selbstverständlich auch Einflüsse des Umfeldes auf einen.

Niemand kann sich selber aus dem Nichts erschaffen, das ist logisch unmöglich und das glaubt wohl auch niemand.

Aber: wenn das ("sich selber komplett und ohne weitere Einflüsse aus dem Nichts erschaffen können") die notwendige Bedingung für Willensfreiheit in Deinem Sinne sein sollte, dann sage das doch bitte mal explizit. Dann hätten wir doch mal einen Ansatzpunkt.

ganimed hat geschrieben:Schuld und Verantwortung sind für dich Synonyme? Oder was ist genau der Unterschied für dich?

Nein, das sind keine Synonyme, sondern Schuld ist, wie gesagt, für mich ein Teilbereich von Verantwortung, eine Untermenge. Für Schuld muss noch ein Normverstoß hinzukommen, d.h. Schuld ist etwas, was von anderen als negativ beurteilt wird. Und "Teilbereich" deswegen, weil niemand schuld an etwas sein kann, für das er nicht verantwortlich ist. Wird das dadurch klarer?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist absolut unklar, was "Schuld" in Deinem Sinne bedeuten könnte.

Ich schließe mich da der Formulierung an, die ich eben auch wieder in dem von dir verlinkten Artikel fand. Schuld ist moralische Verantwortung. Und füge hinzu, dass diese moralische Verantwortung vorraussetzt, dass die Entscheidung zur Tat frei war und unter denselben Umständen auch anders hätte ausfallen können.

Aber was meinst Du mit "hätte auch anders ausfallen können"? Das hat zwei Bedeutungen: 1. "es hätte auch anders kommen können, wenn etwas anders gewesen wäre" und 2. "jemand hätte unter exakt denselben Bedingungen / Umständen anders entscheiden können". Die 1. ist trivial: wenn es anders gewesen wäre, dann wäre es anders gewesen. Aber die 2. ist per se absurd: wenn es identisch gewesen wäre, dann wäre es identisch gewesen!. Mir ist absolut unklar, wie überhaupt jemand eine identische Situatation anders machen kann. Das ist doch laut Voraussetzung logisch unmöglich! Und außerdem: wieso würde das Freiheit herstellen? Das ist der Punkt, den Du anscheinend als völlig selbstverständlich voraussetzt, den ich aber beim besten Willen nicht verstehen kann.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine übrigens, dass mein Schuldbegriff mit dem juristischen Schuldbegriffes übereinstimmt.

Das meine ich auch. Weswegen ich Leuten wie Wolf Singer zustimme, die eine Bedeutungsreform in der Justiz für nötig und eine logische Konsequenz hielten.

Aber an wen gerichtet? An Leute wie Dich, die unbegründet das mir absolut unverständliche Axiom, (das ich für ein Dogma halte, dessen Hinterfragung mit allen Mitteln verhindert wird), vertreten, dass Freiheit unlogische Voraussetzungen benötige? Ich verstehe das wirklich nicht, ich habe keinen Hauch einer Ahnung, wieso Du das vertrittst. Ich bin ehrlich gesagt schon ein bisschen verzweifelt deswegen, weil ich dafür überhaupt keinen Grund, keine einzige Begründung sehen kann. Was könnt Ihr, also Wolf Singer und Du, mir das begründen, wie könnt Ihr mir das verständlich machen? Ich sehe immer nur lediglich ein unbegründetes Dogma: "Freiheit und Verantwortung sind Gegensätze zu kausalem Geschehen". Aber wieso, weshalb, warum. weswegen? Verstehst Du wirklich nicht, warum ich das frage, verstehst Du wirklich nicht, dass das nicht einfach so selbstverständlich ist? Ich zumindest sehe nicht, wieso das einfach so selbstverständlich sein sollte. Ich brauch also einen Grund.

ganimed hat geschrieben:Du selbst forderst Selbstbestimmung und bekommst sie genau deshalb nicht, weil es diese Abhängikeit von Kausalität gibt. Echte Selbstbestimmung ist demnach nur durch Akausalität zu erreichen.

Aber wie?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:1. Wenn Du mit Kausalität argumentierst, die angeblich Willensfreiheit auschlösse, dann solltest Du zeigen können, wie Akausalität Willensfreiheit herstellen könne

Wie gesagt, ich glaube hier irrst du. Es ist so als würde ich behaupten, dass man mit blau kein buntes Bild malen kann. Und du würdest dann sagen: "dann solltest du zeigen können, wie man mit rot ein buntes Bild malen kann". Aber ich sage doch die ganze Zeit, mit rot kann man es auch nicht und es gibt diese dritte Möglichkeit, dass man mit BEIDEN Farben nicht zum Ziel kommt. Wieso unterstellst du, dass wenn Willensfreiheit mit Determinismus nicht geht, es dann aber mit Indeterminismus gehen müsse?

Auch das verstehe ich nicht. Erst behauptest Du, dass echte Selbstbestimmung nur durch Akausalität zu erreichen sei, dann aber weigerst Du Dich, darzustellen, wie das möglich sei. Wenn das kein Widerspruch ist, dann weiß ich auch nicht, was überhaupt noch als Widerspruch zu bezeichnen wäre.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:3. Wenn Willensfreiheit (und Schuld) aber in jeder logisch möglichen Welt (egal, ob kausal determiniert oder nicht) logisch unmöglich ist, dann ist er leer, beinhaltet nichts

Naiver Unsinn. Der Begriff beinhaltet natürlich etwas. Er beschreibt zum Beispiel die Illusion, die wir haben.

Ich wäre Dir wirklich dankbar, wenn Du das mal genau beschreiben würdest, also welche Illusion Du hast. Bisher hat sich niemand, mit dem ich diskutiert habe, dazu herabgelassen, mal genau zu erklären, was er empfindet und wahrnimmt. An welcher Stelle in seiner Wahrnehmung eine Akausalität ins Spiel kommt. Fallst Du das könntest und tätest, dann wärest Du der erste.

Ich habe, wie gesagt, diese Illusion nicht, also wäre es gut, wenn Du künftig sagen würdest: "wir, außer Dir, haben diese Illusion." Und glauben würde ich Dir das dennoch nicht, ich würde empirische Studien dazu verlangen. Ich bin ein sehr misstrauischer Mensch, ich glaube nicht Behauptungen einfach so unbesehen. Und schon gar nicht bei diesem Thema, bei dem ich mich zufällig ein bisschen auskenne.

ganimed hat geschrieben:Willst du wirklich argumentieren, dass ich deshalb unrecht habe, weil es die Begriffe Willensfreiheit (und Schuld) in der deutschen Sprache nun einmal gibt und sie dann doch nicht leer sein können und folglich existieren müssen? Also bitte.

Nein, mein Argument sieht so aus: ich behaupte, dass Du absolut unberechtigt von "wir" redest, wenn Du "ich" meinst. Ich halte das für einen rein rhetorischen Trick von Dir. Ich verlange Nachweise für diese Behauptung.

ganimed hat geschrieben:Auch deine Forderung nach Selbstbestimmung ist inkompatibel mit Determinismus.

Ach ja? Wieso dieses?

ganimed hat geschrieben:Lustig finde ich, wie du es indirekt als Freiheit bezeichnest, wenn man von Argumenten geleitet wird. Das hört sich zumindest nach meinem Sprachgebrauch eher wieder wie Fremdbestimmung an, also ich werde bestimmt von fremden Argumenten.

Frage 1: unterscheidest Du zwischen eigenen und fremden Argumenten?

Frage 2: unterscheidest Du zwischen Fremd- und Selbstbestimmung? Oder ist für Dich, nach Deiner Ansicht, alles ausschließlich und ununterscheidbar[/i] Fremdbestimmung?

ganimed hat geschrieben:Das wäre auch mal eine Befragung wert, ob deine Ansicht intuitiv ist in der breiten Bevölkerung: "Wenn man sich immer nur von Argumenten leiten lässt, ist man dann noch frei?" Für mich jedenfalls wäre hier Gängelung als Begriff passsender als Freiheit.

Von was sonst sollte man sich leiten lassen? Von der Willkür? Von reinem Zufall? Ohne zu überlegen, was gut oder schlecht für einen ist? Und dann wäre man frei in Deinem Sinne? Und gar verantwortlich und schuldig?

Verstehe ich mal wieder absolut nicht. Diese Umfrage würde mich auch interessieren. (Wenn ich dazu komme, werde ich noch ein paar Umfragen / Untersuchungen verlinken.)

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich meine sogar, dass (zumindest ein gewisser) Determinismus notwendig für Willensfreiheit (und für Verantwortungs- und Schuldzuschreibung) ist.

Das meine ich übrigens auch. Determinismus ist notwendig (deshalb gibt es keinen freien Willen im Indeterminismus). Ich meine nur außerdem auch, dass Indeterminismus notwendig ist (deshalb gibt es keinen freien Willen im Determinismus). Oder kürzer formuliert: Willensfreiheit ist logisch unmöglich. So weit auseinander sind wir also auch wieder nicht. Du musst nur noch erklären, wieso Fred und Barney (aus dem Beispiel des Artikels mit dem gefundenen Geldbörsen) sich angeblich frei entscheiden, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von der Adoptionsentscheidung anderer abhängt.

Tut sie ja nicht. Wie oben erklärt. Sie hängt auch davon ab, aber sie hängt mitnichten ausschließlich davon ab.

Der Knackpunkt für mich ist nach wie vor der: ich streite doch gar nicht ab, dass man, um überhaupt existieren zu können, Einflüssen einer Umwelt ausgesetzt ist, die man nicht komplett kontrollieren kann. Dazu gibt es gar keine logisch mögliche Alternative. Du behauptest nun, deswegen sei man nicht frei. Oder nicht wirklich, nicht echt, nicht richtig oder was auch immer, frei. Aber das erscheint mir völlig absurd, solange Du nicht eine logisch mögliche Alternative bieten kannst. Ist übrigens Wurst, ob eine Welt determiniert ist oder nicht: so oder so kann niemand alles, alle Umstände - und schon gar nicht die, die zu seiner Existenz geführt haben - kontrollieren. Und wenn "frei sein" bedeutete "alle Umstände kontrollieren zu können", dann kann eben niemand frei sein, völlig Banane, ob kausal determiniert oder nicht. Nur: niemand glaubt doch ernsthaft, dass Menschen alles kontrollieren könnten. Niemand hat so einen Freiheitsbegriff - außer Dir und Wolf Singer. Und meine Vermutung ist weiterhin, dass Ihr den tatsächlich gar nicht selber habt, sondern den nur allen anderen unterstellt. Und das finde ich unerquicklich. Sehr, sehr unerquicklich. Ich meine, Ihr solltet das irgendwie belegen können. Und wenn Ihr das nicht könnt: dann redet bitte nur von Euch, von Euren Intuitionen, von Euren Illusionen. Und nicht von "wir" oder "wir Menschen". Bitte, bitte.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Mi 22. Feb 2012, 10:02

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber was meinst Du mit "hätte auch anders ausfallen können"? Das hat zwei Bedeutungen: 1. "es hätte auch anders kommen können, wenn etwas anders gewesen wäre" und 2. "jemand hätte unter exakt denselben Bedingungen / Umständen anders entscheiden können". Die 1. ist trivial: wenn es anders gewesen wäre, dann wäre es anders gewesen. Aber die 2. ist per se absurd: wenn es identisch gewesen wäre, dann wäre es identisch gewesen!. Mir ist absolut unklar, wie überhaupt jemand eine identische Situatation anders machen kann. Das ist doch laut Voraussetzung logisch unmöglich! Und außerdem: wieso würde das Freiheit herstellen? Das ist der Punkt, den Du anscheinend als völlig selbstverständlich voraussetzt, den ich aber beim besten Willen nicht verstehen kann.


Das ist vermutlich der entscheidende Punkt.
Man denkt immer intuitiv, Freiheit müsse bedeuten, unter identischen Bedingungen auch anders zu können, sonst könne keine Freiheit vorliegen.
Doch wenn man dann überlegt, was dieses ‚anders können‘ eigentlich genau beinhaltet und wie es begründet wird, kommt man (kam zumindest ich) zu der Einsicht, dass ich es nicht angeben konnte und musste notgedrungen meine inkompatibilsitische These kassieren.

Möglicherweise fehlte mir da einfach die Phantasie oder das präzise Denken, aber ich habe noch niemanden gefunden, der an dieser Stelle einen nächsten Schritt nach vorne machte, allerdings viele, die dort zurückfielen und das ganze Gebäude, was ja zum Teil schon errichtet ist, wieder einrissen.



Ich sehe beim Kompatibilismus dennoch den einen oder anderen Punkt, der mir nicht ganz behagt und würde gerne Deine Meinung dazu hören.

Wir sind beide davon überzeugt, dass Willensfreiheit unter deterministischen Bedingungen möglich ist, solange kein Zwang vorliegt. Zwang, das könnte heißen, dass man mit einer Pistole bedroht oder erpresst wird oder dass eine unbezwingbare Sucht vorliegt. Es sind natürlich auch subtilere Formen denkbar.

Freiheit liegt bei Kompatibilisten dann vor, wenn man innehalten, abwägen, begründen und ich würde vielleicht auch noch reinnehmen, nachher zu der Entscheidung stehen kann: „Ja, das habe ich (mindestens im Moment meiner Entscheidung) so gewollt.“

Nun ist der Begriff der Freiheit im Kompatibilismus nicht starr, sondern könnte durchaus verändert werden, wenn eine bessere Definition gefunden wird: Ich finde jedoch keine bessere.

Doch es ist folgendes Szenario denkbar:
Ein Mensch, Herr X, folgt ohne größere Not, Verzweiflung oder Erpressung den Gedanken einer Glaubensgemeinschaft.
Er hat ganz zufällig eine Broschüre in die Hand bekommen, er ist kein bestens trainierter Philosoph, nicht wahnsinnig intelligent, aber auch nicht sonderlich dumm.
Aus irgendwelchen Gründen fängt er einfach Feuer für die Ideen der Glaubensgemeinschaft, geht zu Veranstaltungen, trifft auf nette Menschen, niemand setzt ihn unter Druck, aber er findet sein neues Weltbild bestätig, hier ist es normal so zu denken, hier denken alle so, hier fühlt er sich wohl.

Außenstehenden kommt diese Gemeinschaft allerdings dubios vor. Trainierte Philosophen entdecken im Denkgebäude der Glaubensgemeinschaft einen Haufen von Widersprüchen, Psychologen erkennen Mechanismen wechselseitiger Bestätigung, Tendenzen der Abschottung von der sozialen Umwelt.

Und so kommt es dann auch. Er investiert immer weniger Zeit in seinen gewohnten Freundeskreis, diese blicken mit einer Mischung aus Skepsis und Sorge auf ihn, er bekommt gut gemeinte Ratschläge, fühlt sich dadurch aber eher genervt, was ihn, der eigentlich nur seine Ruhe will, veranlasst, sich noch mehr aus der Normalität zurückzuziehen.

Das ist irgendwie der Klassiker dafür, wie jemand schleichend ‚in die Fänge einer Sekte‘ gerät.
Und Sekte assoziieren wir mit Unfreiheit, Zwang, Hirnwäsche…
Herr X ist aber nie gezwungen worden. Er sitzt vielleicht hier und da ein paar Fehlschlüssen auf, durchschaut nicht alle psychologischen Kniffe, aber wer von uns tut das schon?
Er kann vielleicht auf Nachfrage nicht detailliert alles was in ihm vorgegangen ist als er zum ersten Mal die Broschüre las reflektieren, aber vielleicht kann er sagen, es hätte ihn irgendwie angesprochen, da seien Fragen behandelt worden, die ihn auch schon immer beschäftigten, das alles mag dem Beobachter vielleicht ein wenig naiv vorkommen, aber es klingt glaubwürdig.

Aus der Perspektive des Kompatibilismus hat Herr X stets freiwillig gehandelt.
Dennoch könnten wir, so glaube ich, das Beispiel beliebig eskalieren lassen. Herr X könnte sich vollkommen von der Außenwelt abschotten, seine Frau verlassen und all sein Vermögen der Glaubensgemeinschaft überschreiben. Schritt für Schritt beleuchtet, würde man das alles noch unter Willensfreiheit (kompatibilistisch verstanden) laufen lassen können.

Nach landläufiger Ansicht würde man über kurz oder lang aber wohl sagen, dass Herr X unter Zwang steht. Er würde seine Einstellungen geändert haben, könnte aber immer sagen: „Ja, aber ich will das so, mir geht es doch gut. Ich bin froh, dass ich jetzt hier bin, jetzt sehe ich erst, in was für einer verrückten Welt ich vorher gelebt habe.“

Wie siehst Du dieses Beispiel?
Das Problem liegt darin, dass der kompatibilistische Freiheitsbegriff hier ein anderer ist, als der landläufige. Es gibt sicher Gründe, den konventionellen Freiheitsbegriff zu hinterfragen, aber wie weit darf man dabei gehen?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mi 22. Feb 2012, 23:52

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Im Gegenteil behaupte ich ja gerade, dass wir (alle Menschen) eine Illusion von Nichtdeterminismus erleben und deshalb beispielsweise der Dualismus intuitiver ist.

Ich nicht. *schulterzuck*

Wirklich? Wenn du dich dazu entscheidest, dich am Hinterkopf zu kratzen, dann erlebst du das nicht quasi als wäre es indeterministisch gewesen? Dann erlebst du diese Entscheidung wirklich mit ihren Gründen und kausalen Faktoren? Dir ist wirklich bewusst, warum du das gerade machst und warum du es gerade in jenem Augenblick tust und nicht 3 Sekunden früher oder später? Du kannst dir wirklich die myriaden unbewussten Vorgänge deines Hirns, die in Summe zu solchen Handlungen führen mögen, bewusst machen? Dann bist du tatsächlich außerhalb dieser Gruppe, die ich gerne mit "allen Menschen" bezeichne, und in deren Erleben die unbewussten Gründen fehlen, eben weil sie unbewusst sind, und die deshalb Entscheidungen, besonders die kleinen, in den meisten Fällen als ohne Begründung und ohne kausale Faktoren erleben.

AgentProvocateur hat geschrieben:Bisher hat sich niemand, mit dem ich diskutiert habe, dazu herabgelassen, mal genau zu erklären, was er empfindet und wahrnimmt. An welcher Stelle in seiner Wahrnehmung eine Akausalität ins Spiel kommt. Fallst Du das könntest und tätest, dann wärest Du der erste.

Ich wäre gerne der erste gewesen. Aber letztlich kam mir jeder zuvor, der mal das Wort "unbewusst" in den Mund nahm. Es ist unmöglich, dass dir immer alle kausalen Faktoren bewusst sind, also kannst du gar nicht anders, als im täglichen Alltag ständig Akausalität zu empfinden. Deine Behauptung, diese Illusion nicht zu empfinden, halte ich deshalb für absurd.


AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Man müsste dieselbe Befragung mal bei Personen durchführen, die sich eben doch schon philosophisch mit dem Konzept des Determinismus vertraut gemacht haben, damit die eine Intuition (ohne Freiheitsgrad ist die Wahl unfrei) nicht von der anderen Intuition (Determinismus kenne ich nicht so genau und kann mir so schnell nicht vorstellen, was der bedeutet) überlagert wird.

Nein, der "Witz" dieser Befragung ist gerade, dass die landläufigen (philosophisch unverbildeten) Intuitionen bezüglich der Begriffe "Willensfreiheit" und "Schuld" ermittelt werden sollen.

Über diesen Witz kann ich nur nicht lachen. Denn mein "Witz" ist gerade, dass ich einwende, dass genau das nicht gelingen kann solange die eine Intuition durch eine andere überlagert wird. Diese Studie deckt meiner Ansicht nach also nicht auf, dass die inkompatibilistische Haltung wenig intuitiv sei, sondern sie zeigt lediglich, dass für ungeübte Menschen Determinismus wesentlich weniger intuitiv ist (als die überlagerte inkompatibilistische Haltung).

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Was würdest du also in der Befragung sagen: wenn die Entscheidung, das gefundene Geld zu behalten, einzig und allein davon abhängt, in welcher der beiden Familien man groß wurde, ist das dann noch Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung?

Nein, es hängt selbstverständlich (im Einzelfalle!) nicht davon ab, in welcher Familie man groß geworden ist, welche Erziehung man hatte, in welchem sozialen Umfeld man gelebt hat. Denn, würde es das, könnte man ja logischerweise vom Umfeld auf die künftigen Aktionen eines bestimmten Einzelnen schließen. Statistisch hängt es aber schon davon ab, d.h. es gibt selbstverständlich auch Einflüsse des Umfeldes auf einen.

Nein, ich meinte jetzt wirklich diese Befragung aus dem von dir verlinkten Artikel. In dem heißt es: stellen sie sich bitte vor, dass die Geldbörsenentscheidung eben doch vollständig von der Adoptionsentscheidung abhängt. Diese Vorstellung ist für die Befrager offenbar eine adäquate Zuspitzung des Determinismus. Also, um die Frage im Artikel zu beantworten müsstest du diese Vorstellung schon so übernehmen. Und was wäre dann deine Antwort?

AgentProvocateur hat geschrieben:Nein, das sind keine Synonyme, sondern Schuld ist, wie gesagt, für mich ein Teilbereich von Verantwortung, eine Untermenge. Für Schuld muss noch ein Normverstoß hinzukommen, d.h. Schuld ist etwas, was von anderen als negativ beurteilt wird. Und "Teilbereich" deswegen, weil niemand schuld an etwas sein kann, für das er nicht verantwortlich ist. Wird das dadurch klarer?

Ja, vielen Dank, jetzt ist mir das klarer geworden. Wenn jetzt diese "Norm", gegen die bei einer Schuld verstoßen wird, eine moralische ist, was ist dann noch der Unterschied zwischen meinem Schuldbegriff (moralische Verantwortung) und deinem? Ich glaube nur noch meine Zusatzbedingung, dass der Schuldige nur dann schuldig ist, wenn er in der GLEICHEN Situation die Schuld auch hätte vermeiden können. Du hälst also praktisch jemanden für schuldig, genau dann wenn ich es tue, aber auch dann, wenn der Schuldige gar nicht anders konnte. Ich finde das merkwürdig. Wenn jemand eine Tat (unter gleichen Umständen) gar nicht verhindern konnte, dann ist er für mich eben nicht schuldig.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist absolut unklar, was "Schuld" in Deinem Sinne bedeuten könnte.

Das ist lustig. Ich sage, meinen Schuldbegriff gibt es nicht weil er logisch nicht möglich ist. Du sagst, das kann nicht stimmen, weil mein Schuldbegriff logisch nicht möglich sei. Das klingt nach einem logischen Deadlock.
Du würdest also nur dann bereit sein, meinen Schuldbegriff wenigstens zu verstehen, wenn er logisch auch möglich wäre und demzufolge auch existierte? Wenn das deine Argumentation ist, dann lehnst du ja automatisch alle Aussagen der Form "X gibt es nicht, weil X logisch unmöglich ist" ab. Aber ist nicht jedes X, welches logisch unmöglich ist, auch nicht existent? Ich glaube, deine Ablehnung ist deshalb falsch.


AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Du selbst forderst Selbstbestimmung und bekommst sie genau deshalb nicht, weil es diese Abhängikeit von Kausalität gibt. Echte Selbstbestimmung ist demnach nur durch Akausalität zu erreichen.

Aber wie?

Ich glaube ich hab sie, die Stelle an der du immer falsch abbiegst.
Stell dir vor, ich sage dir, dass man an einer bestimmten Stelle unmöglich mit eigener Kraft durch die Wand gelangen kann und schon gar nicht mit dem Kopf. Du fragst, skeptisch wie du nun einmal bist, was man denn bräuchte, um durch die Wand zu gelangen. Ich antworte: "einen Presslufthammer mit der Energie von tausend Sonnen." Nun antwortest du, dass du absolut nicht verstehst, wovon ich spreche und keinen Hauch einer Ahnung hättest. Du argumentierst, dass man mit einem solchen Presslufthammer ja nicht mehr aus eigener Kraft handelte, und man deshalb auch mit Presslufthammer gar nicht mit eigener Kraft durch die Wand käme. Ich sage zwar noch: "eben, es ist deshalb nicht möglich, mit eigener Kraft durch die Wand zu kommen."
Ich will sagen: du glaubst mir erst, dass es keinen "freien Willen" im Sinne meines Begriffs gibt, wenn ich dir angeblich dargelegt hätte, wie denn ein solcher "freier Wille" zu erzeugen wäre. Aber genau das ist die falsche Frage! Wenn es ihn doch gar nicht gibt, wieso verlangst du von mir eine Erklärung, wie er zu erzeugen wäre? Deine Frage ist unlogisch, ignoriert meine ursprüngliche Aussage und geht offenbar stupide von dem Dogma aus, dass "freier Wille" etwas ist, dass in jedem Fall existiert, egal was mit dem Begriff dann gemeint ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:Erst behauptest Du, dass echte Selbstbestimmung nur durch Akausalität zu erreichen sei, dann aber weigerst Du Dich, darzustellen, wie das möglich sei. Wenn das kein Widerspruch ist, dann weiß ich auch nicht, was überhaupt noch als Widerspruch zu bezeichnen wäre.

"Mit eigener Kraft durch die Wand kommen ist nur mit dem Presslufthammer zu erreichen." Das ist eigentlich, ich gebe es zu, eine falsche Aussage, weil sie verkürzt ist. Eigentlich müsste es heißen: um mit eigener Kraft durch die Wand zu gelangen braucht es zwei Komponenten: 1) man gelangt durch die Wand und 2) man schafft dies durch eigene Kraft. Die verkürzte Aussage bezog sich auf (1). Nur mit Presslufthammer kommt man durch die Wand. Aber mit Presslufthammer verstößt man gegen (2). Es ist also unmöglich, sowohl (1) als auch (2) zu bekommen, weswegen es unmöglich ist, aus eigener Kraft durch die Wand zu gelangen.

Ich übersetze zurück: Freier Wille ist unmöglich.
Um einen freien Willen zu haben, braucht es zwei Komponenten: 1) der Wille ist frei (also unabhängig von determinierenden, ursächlichen Faktoren) und 2) der Wille ist nicht beliebig (sonst wäre es ja kein Wille mehr). Die verkürzte Aussage (freier Wille bzw. Selbstbestimmung ist nur mit Akausalität zu erreichen) bezog sich auf (1). Nur mit Akausalität kommt man aus der Determiniertheit (bzw. der letztlichen Fremdbestimmung) heraus. Aber mit Akausalität verstößt man gegen (2). Es ist also unmöglich, sowohl (1) als auch (2) zu bekommen, weswegen es unmöglich ist, einen freien Willen zu haben.


AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe, wie gesagt, diese Illusion nicht, also wäre es gut, wenn Du künftig sagen würdest: "wir, außer Dir, haben diese Illusion."

Das wäre keine Lösung, weil es nicht ausdrücken würde, was ich meine. Die Lösung wäre vermutlich, wenn ich vor jeden Satz schreibe, dass ich das glaube. Aber ich hoffe, das versteht sich normalerweise von selbst. Und ich glaube in der Tat, dass du dich mit deiner Nicht-Illusion täuschst und auch du mit etwa demselben großen Anteil unbewusster Entscheidungsfaktoren agierst wie jeder andere Mensch.


AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Lustig finde ich, wie du es indirekt als Freiheit bezeichnest, wenn man von Argumenten geleitet wird. Das hört sich zumindest nach meinem Sprachgebrauch eher wieder wie Fremdbestimmung an, also ich werde bestimmt von fremden Argumenten.

Frage 1: unterscheidest Du zwischen eigenen und fremden Argumenten?

Nein, eigentlich tue ich das nicht. Stell dir vor, ein Gefangener ist an die Wand gekettet. Seine noch möglichen Bewegungen werden vollständig von Ketten "geleitet". Würdest du bei der Frage, ob dieser Gefangene frei oder gefangen ist, wirklich unterscheiden wollen, ob die Ketten seine sind oder dem Kerkermeister gehören? Ich nicht.

AgentProvocateur hat geschrieben:Frage 2: unterscheidest Du zwischen Fremd- und Selbstbestimmung? Oder ist für Dich, nach Deiner Ansicht, alles ausschließlich und ununterscheidbar Fremdbestimmung?

Ich unterscheide im Anspruch zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Stelle aber fest, dass jede Selbstbestimmung in einer deterministischen Welt letztlich doch eine Ansammlung von Fremdbestimmungen ist.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Das wäre auch mal eine Befragung wert, ob deine Ansicht intuitiv ist in der breiten Bevölkerung: "Wenn man sich immer nur von Argumenten leiten lässt, ist man dann noch frei?" Für mich jedenfalls wäre hier Gängelung als Begriff passsender als Freiheit.

Von was sonst sollte man sich leiten lassen? Von der Willkür? Von reinem Zufall?

Da ist wieder deine logisch falsche Frage. Du willst wissen, wie man frei sein könnte, nachdem dir jemand gesagt hat, dass es Freiheit nicht gibt. Deine Frage ist unlogisch. Es gibt nichts, von dem man sich leiten lassen könnte und wäre gleichzeitig frei.

AgentProvocateur hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Du musst nur noch erklären, wieso Fred und Barney (aus dem Beispiel des Artikels mit dem gefundenen Geldbörsen) sich angeblich frei entscheiden, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von der Adoptionsentscheidung anderer abhängt.

Tut sie ja nicht. Wie oben erklärt. Sie hängt auch davon ab, aber sie hängt mitnichten ausschließlich davon ab.

Selbst wenn sie nicht nur davon abhängt, so hängt sie von irgendwelchen Dingen ab. Du musst also weiterhin erklären, wieso du deren Entscheidung für frei hälst, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von anderen Dingen (und nur ein wenig von der Adoptionsentscheidung) abhängt.

AgentProvocateur hat geschrieben:ich streite doch gar nicht ab, dass man, um überhaupt existieren zu können, Einflüssen einer Umwelt ausgesetzt ist, die man nicht komplett kontrollieren kann. Dazu gibt es gar keine logisch mögliche Alternative. Du behauptest nun, deswegen sei man nicht frei. ... Aber das erscheint mir völlig absurd, solange Du nicht eine logisch mögliche Alternative bieten kannst.

Unlogikalarm! Erst sagst du selber, dass es gar keine logische mögliche Alternative gibt. Und dann sagst du, dass meine Position dir solange absurd erscheint, wie ich keine logisch mögliche Alternative bieten kann. Also, viele Chancen auf Absurditätsvermeidung lässt du mir da ja irgendwie nicht :) Der Haken scheint mir zu sein, dass du nicht bereit bist, zu akzeptieren, dass es Freiheit nicht gibt. Aber jetzt erkläre mir einmal, wie du dazu kommst, dass es unbedingt Freiheit gibt? Ist eine Welt ohne freie Entscheidungen für dich undenkbar? Wieso?

AgentProvocateur hat geschrieben:Und wenn "frei sein" bedeutete "alle Umstände kontrollieren zu können", dann kann eben niemand frei sein, völlig Banane, ob kausal determiniert oder nicht. Nur: niemand glaubt doch ernsthaft, dass Menschen alles kontrollieren könnten. Niemand hat so einen Freiheitsbegriff - außer Dir und Wolf Singer.

Falsch. Ich und der olle Wolf würden bereits von Freiheit sprechen, wenn der Mensch wenigstens ein paar Umstände kontrollieren könnte (wohlgemerkt: kontrollieren im Sinne einer Unabhängigkeit von fremden Faktoren). Frei sein bedeutet für uns also vielmehr: "mindestens einen Umstand kontrollieren zu können".

AgentProvocateur hat geschrieben:Und meine Vermutung ist weiterhin, dass Ihr den tatsächlich gar nicht selber habt, sondern den nur allen anderen unterstellt.

Da bist du der Wahrheit ja recht nahe. Den von dir angegebenen Freiheitsbegriff hatten wir tatsächlich gar nicht selber, sondern er wurde uns nur von dir unterstellt.

Meine Position (der Mensch kann im Determinismus gar nichts kontrollieren) ist doch eigentlich leicht angreifbar. Stichwort Selbstbestimmung. Du gibst mir ein einziges Beispiel für etwas, dass jemand wirklich und letztlich selbst bestimmt oder kontrolliert hat. Wenn du das schaffst, bin ich widerlegt und du hast den ganzen Pott gewonnen und ich sehe ein, dass es trotz Determinismus doch Freiheit gibt. Und wenn du es nicht schaffst, dann ist auch dein Freiheitsbegriff, der ja Selbstbestimmung als wesentlichen Bestandteil enthielt, leer.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 23. Feb 2012, 00:03

Vollbreit hat geschrieben:Nach landläufiger Ansicht würde man über kurz oder lang aber wohl sagen, dass Herr X unter Zwang steht.

Das scheint mir die Fehlerstelle zu sein. Wieso würde man das sagen? Weil man die Entscheidungen des Herrn X nicht versteht, bzw. nicht anders erklären kann. Es sieht für den Außenstehenden so aus, als wären seine Entscheidungen schädlich für Herrn X. Und wenn man dann unterstellt, dass jeder Mensch nur zu seinem Vorteil entscheidet (was ich ebenfalls glaube), dann müsste man schließen: X macht Dinge, die für ihn ungünstig sind, nur dann, wenn er gezwungen wird.

Also entweder (a) die Kompatibilisten haben unrecht und eine ganze Philosophie bricht in sich zusammen, oder (b) die Abschätzung, dass die Entscheidungen des Herrn X für ihn selber schädlich waren, ist ganz einfach falsch. Ich wähle letzteres als die hundertausendmal einfachere Erklärung.

Die Abschätzung, ob die Entscheidung von fremden Personen für diese fremden Personen gut oder schlecht ist, ist aber auch recht schwierig, weil trotz aller Empatie, zu der wir Menschen fähig sind, es oft eben doch nicht gelingt, die eigene Perspektive, das eigene Wertesystem vollständig zu ignorieren und nur das Wertesystem der fremden Person (soweit bekannt) anzuwenden. Das schafft so richtig sauber sicherlich niemand.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Do 23. Feb 2012, 11:29

Die Problematik, auf die ich in diesem Fall hinaus will, ist in der Tat nicht ganz unähnlich Deinen Behauptungen, denn hier ist Herr X eigentlich nie gezwungen worden, er selbst ist auch nicht unglücklich, dennoch würden einige vielleicht von Hirnwäsche, Gefahr usw. reden.

Was allerdings an Deiner Haltung inkonsequent ist, ist folgendes: Wenn ohnehin jeder nur zu seinem Vorteil entscheidet, warum schreibst Du dann bei den Brights und bist religions- oder sektenkritisch?
Es ist doch alles in Butter. Die Welt ist eine große evolutionäre Maschine, in der niemand über einen freien Willen verfügt und jeder an dem Platz landet, an den er gehört. Ob nun religiös oder atheistisch, darüber braucht man nicht zu streiten, weil ohnehin niemand den anderen überzeugen kann, die ‚Verschaltungen legen uns fest‘.
Wenn jemand in eine Sekte gerät, kein Problem, der will das so, man sollte ihn einfach lassen, das spart Energie.
(Ich habe sehr wohl noch im Hinterkopf, dass Du geschrieben hast, Argumente könnten überzeugen, die Frage ist nur, wie das funktionieren soll, wenn sowieso jeder tut, was ihm am besten gefällt und dies ja schon der Fall ist.)

Du könntest auch sagen, dass Du eben dennoch – ohne dass es Dein freier Wille war – bei den Brights gelandet bist. Es hätte auch die Kirche oder der VfB Stuttgart sein können, es sind aber nun mal die Brights geworden, Du kannst halt nicht anders und es geht Dir gut damit.
Naja, alle anderen können auch nicht anders und es geht ihnen gut damit, also sind die ganzen Aktionen und Überzeugungsversuche leere Rituale, weil man den Tag eben umkriegen muss, aber so richtig ernst kann man das nicht nehmen, wenn man weiß, dass der Mensch eigentlich nur die Illusion eines Ichs und eines freien Willens hat.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Do 23. Feb 2012, 18:58

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe sehr wohl noch im Hinterkopf, dass Du geschrieben hast, Argumente könnten überzeugen, die Frage ist nur, wie das funktionieren soll, wenn sowieso jeder tut, was ihm am besten gefällt und dies ja schon der Fall ist.

Deine Bemerkung macht für mich nur Sinn, wenn man abstruserweise davon ausgeht, dass jeder Mensch allwissend ist und völlig unabhängig von seinen zukünftigen Erfahrungen bereits am Anfang ganz genau und perfekt weiß, was am besten für ihn ist. So einem allwissenden Menschen könnte man tatsächlich durch keine Argumente mehr überzeugen, er wüsste ja bereits alles und hätte sein Verhalten bereits optimiert.
Aber zurück zur Wirklichkeit. Hier wo ich wohne, da weiß jeder Mensch so ungefähr fast gar nichts, und das mit dem Argument funktioniert so: wenn eine Person durch ein Argument überzeugt wird, dann ändert das genau die Bewertungsgrundlagen dieser Person. Vor diesem Argument dachte die Person: "es ist das beste für mich jeden Morgen viel Cola zu trinken". Nachdem diese Person vom Gesundheitsargument überzeugt wurde, ändern sich die Bewertungsparameter. Cola schmeckt dieser Person vielleicht weiterhin sehr sehr gut, aber der Gesundheitsaspekt hat stark an Bedeutung gewonnen. Die Person bewertet also ihr Verhalten neu und gelangt zu einem abgewandelten Vorsatz: "es ist das beste für mich, nur jeden zweiten Morgen Cola zu trinken, und dann auch nur in Maßen, in 1/2 Liter Maßen".

Dieser Vorgang ist doch in meiner Welt ohne freien Willen ganz genau derselbe wie in deiner Welt, wo du Entscheidung einfach nur als "frei" kennzeichnest, sie aber nach wie vor auf gleiche Art und Weise getroffen werden. Oder welchen magischen Unterschied unterstellst du meiner Welt?

Ich verstehe nicht so ganz, wie du aus meiner Position (der Mensch hat keinen freien Willen) schließen kannst, dass das Argumentieren auf Brights keinen Sinn ergäbe. Ich selber sehe jedenfalls keinerlei Widerspruch zwischen "unfrei sein" und diskutieren, lernen wollen, Welt verstehen wollen. Ich sähe einen Widerspruch zwischen "unfrei sein" und "frei sein wollen". Aber was hat "unfrei" mit Diskussionen zu tun?

Vollbreit hat geschrieben:aber so richtig ernst kann man das nicht nehmen, wenn man weiß, dass der Mensch eigentlich nur die Illusion eines Ichs und eines freien Willens hat.

Nimmst du das alles denn so richtig ernst? Aus meiner Sicht ist es eine große Erleichterung, wenn man alles und ganz besonders sich selber, nicht besonders ernst nimmt. Ich bin nur ein armes kleines Würstchen (toller Song von Reinhard Mey) unter anderen lauter armen kleinen Würstchen. Eine sehr komfortable Position.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 24. Feb 2012, 10:00

ganimed hat geschrieben:Deine Bemerkung macht für mich nur Sinn, wenn man abstruserweise davon ausgeht, dass jeder Mensch allwissend ist und völlig unabhängig von seinen zukünftigen Erfahrungen bereits am Anfang ganz genau und perfekt weiß, was am besten für ihn ist. So einem allwissenden Menschen könnte man tatsächlich durch keine Argumente mehr überzeugen, er wüsste ja bereits alles und hätte sein Verhalten bereits optimiert.


Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz klar, mit welchem Ziel Du überhaupt in eine Diskussion gehst.
Wenn Du Dich auch nur durchschnittlich mit den Positionen Deiner Mitdiskutanten beschäftigen würdest, das könntest Du so etwas wie oben gar nicht schreiben.
Eines der Hauptargumente der Kompatibilsiten ist, dass der Mensch genau diese Allwissenheit nicht besitzt, Agent zitiert es als gods point of view, den wir allesamt nicht einnehmen können.

Aber vielleicht ist ja genau dieser Punkt hängen geblieben und noch nicht richtig eingeordnet.
Wenn der Mensch also nun nicht allwissend ist und von Argumenten zu beeinflussen ist, wie stellst Du Dir denn vor, dass das geht, wenn nicht durch ein Abwägen und der Argumente?
Man dreht und wendet innerlich, schaut ob etwas dran ist, ob man Schwachstellen findet, ob das die eigene Meinung bestätigt oder schwächt, ob eigene Prämissen verändert werden müssen. Das ist meine Vorstellung dieses Vorgangs, wie ist Deine?

ganimed hat geschrieben:Aber zurück zur Wirklichkeit.


Moment, das ist etwas, was ich als Wirklichkeit ansehe.
Meinst Du ich diskutiere das einfach nur so und meine dann, dass es aber auch ganz anders sein könnte…?

ganimed hat geschrieben:… jeden Morgen viel Cola zu trinken…

Dieser Vorgang ist doch in meiner Welt ohne freien Willen ganz genau derselbe wie in deiner Welt, wo du Entscheidung einfach nur als "frei" kennzeichnest, sie aber nach wie vor auf gleiche Art und Weise getroffen werden. Oder welchen magischen Unterschied unterstellst du meiner Welt?


Warum redest Du von „magisch“?
Es ist ganz einfach. Du redest von einer Art Dressur. Du übergehst den zentralen Punkt, an dem das Argument (die neue Information über den Gesundheitswert von Cola) beim Menschen greift und er einsieht, dass er nun sein Verhalten ändern sollte, wenn er nicht durch zu viel Cola geschädigt werden möchte.
Dieses Einsehen, was dann auch noch zu einer Verhaltensänderung führt, ist aber sehr bedeutend, denn eingeschliffene Verhaltensweisen ändert man nicht einfach so.
Diesen Prozess des Einsehens oder Verstehens müsstest Du näher betrachten.
Und der ist so „magisch“ wie eine Axt, die Holz spaltet.

ganimed hat geschrieben:Ich verstehe nicht so ganz, wie du aus meiner Position (der Mensch hat keinen freien Willen) schließen kannst, dass das Argumentieren auf Brights keinen Sinn ergäbe.


Das ist nicht beschränkt auf die Brights, keine Diskussion machte irgendeinen Sinn.
Konsequenterweise müsstest Du versuchen, zu dressieren und zu konditionieren, aber auf der Ebene von Lohn und Strafe und möglichst in Form von Futter und Stromstößen, denn auch eine Drohung mit Konsequenzen: „Wenn du …, dann wirst du…“ muss ja kapiert werden.
D.h. es müssten die Folgen für das eigene Leben erkannt werden und man müsste abwägen, ob man bereit ist, diese Folgen zu tragen. Genau das ist aber der freie Wille, von dem die Kompatibilisten reden.

ganimed hat geschrieben:Ich selber sehe jedenfalls keinerlei Widerspruch zwischen "unfrei sein" und diskutieren, lernen wollen, Welt verstehen wollen. Ich sähe einen Widerspruch zwischen "unfrei sein" und "frei sein wollen". Aber was hat "unfrei" mit Diskussionen zu tun?


Wenn wir noch nie über das Thema geschrieben hätten, dann könnte ich diese Frage verstehen, aber so ist die freundlichste Deutung die mir einfällt ein grobes Desinteresse an der Position derer, mit denen Du diskutierst.

An zentraler Stelle der Argumente der Kompatibilisten, nicht irgendwo am Rande, wirklich im Kern ihrer Argumente, steht die Definition von Willensfreiheit, die da lautet, dass Freiheit bedeutet, innehalten, abwägen, Argumente rational prüfen und sich dann begründet entscheiden zu können.
Liegt das vor, so kann man von einer freien Entscheidung reden. (Ist DIR dieser Freiheitsbegriff, der kein Dogma, sondern ein Angebot ist, zu dünn, zu wenig oder zu kraftlos, dann müsstest und dürftest DU eine notwendige Erweiterung oder Ergänzung vorschlagen: Was genau wäre es, was zu einem besseren Freiheitsbegriff fehlt? – Wenn DIR der Freiheitsbegriff angemessen erscheint, können wir weitergehen.)

Diskutieren kann man nur, wenn man die Argumente des anderen versteht und abwägen kann, sonst ist das schlicht keine Diskussion, sondern Selbstgespräche zu zweit. Wenn man aber die Argumente des anderen versteht, prüft, abwägt, ist die Freiheitsbedingung des Kompatibilismus erfüllt. (Ist DIR dieser Freiheitsbegriff, der kein Dogma, sondern ein Angebot ist, zu dünn, zu wenig oder zu kraftlos, dann müsstest und dürftest DU eine notwendige Erweiterung oder Ergänzung vorschlagen: Was genau wäre es, was zu einem besseren Freiheitsbegriff fehlt? – Wenn DIR der Freiheitsbegriff angemessen erscheint, können wir weitergehen.)

Du scheinst die Auffassung zu vertreten, dass Argumentation oder Diskussion so etwas ist, wie die Dressur eines Hundes. Für die „richtige“ Reaktion gibt es ein Lob für die „falsche“ ein „Du, du, du!“ mit ernster Stimme.
Das gilt sicher auch für kleine Kinder, die Argumente nun noch gar nicht verstehen können und in der Tat über Imitation und Konditionierung lernen, aber diese Konzepte versagen grauenhaft auf einer Ebene erwachsener und halbwegs intelligenter Menschen und selbst wenn man alles weiterhin als Konditionierung beschreiben will, muss man dennoch diesen Erklärungsansatz um den Faktor Verstehen oder Einsehen erweitern.

Erklär mir doch mal bitte, was Deiner Meinung nach im Kopf eines Menschen vorgeht, der aufgrund einer Information, von der Du meinst, dass er sie vorher nicht zur Verfügung hatte, sein Verhalten ändert. Dabei meine ich nicht wie sie seine Synapsen ordnen, sondern wie er denkt.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:aber so richtig ernst kann man das nicht nehmen, wenn man weiß, dass der Mensch eigentlich nur die Illusion eines Ichs und eines freien Willens hat.

Nimmst du das alles denn so richtig ernst? Aus meiner Sicht ist es eine große Erleichterung, wenn man alles und ganz besonders sich selber, nicht besonders ernst nimmt. Ich bin nur ein armes kleines Würstchen (toller Song von Reinhard Mey) unter anderen lauter armen kleinen Würstchen. Eine sehr komfortable Position.


Ich weiß wirklich nicht, was so eine Äußerung soll.
Wenn Du damit erreichen möchtest, dass ich Dich nicht mehr ernst nehme, bist Du jedenfalls auf einem guten Weg. Kannst Du mir erklären, was ich über diese Botschaft hinaus, davon halten soll?
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 25. Feb 2012, 05:04

ganimed hat geschrieben:Wirklich? Wenn du dich dazu entscheidest, dich am Hinterkopf zu kratzen, dann erlebst du das nicht quasi als wäre es indeterministisch gewesen?

Nein. Du? Was meinst Du überhaupt mit "quasi"? Hört sich an wie ein Zurückrudern.

ganimed hat geschrieben:Dann erlebst du diese Entscheidung wirklich mit ihren Gründen und kausalen Faktoren? Dir ist wirklich bewusst, warum du das gerade machst und warum du es gerade in jenem Augenblick tust und nicht 3 Sekunden früher oder später? Du kannst dir wirklich die myriaden unbewussten Vorgänge deines Hirns, die in Summe zu solchen Handlungen führen mögen, bewusst machen? Dann bist du tatsächlich außerhalb dieser Gruppe, die ich gerne mit "allen Menschen" bezeichne, und in deren Erleben die unbewussten Gründen fehlen, eben weil sie unbewusst sind, und die deshalb Entscheidungen, besonders die kleinen, in den meisten Fällen als ohne Begründung und ohne kausale Faktoren erleben.

Aber das ist jetzt ein Fehlschluss. Mir ist klar, dass ich nicht jeden Zusammenhang in dieser Welt durchschauen kann - und ich bin fest davon überzeugt, dass das keine besonders exotische Auffassung ist, sprich: ich meine, dass der so gut wie jeder zustimmen wird.

Aber das hat doch nichts, aber absolut gar nichts mit Determinismus oder Indeterminismus zu tun. Ich sehe den Zusammenhang hier schlicht nicht. Den müsstest Du mal darlegen, so ist Dein Gedankengang hier für mich nicht nachvollziehbar.

Anders gesagt: daraus, dass man nicht alle kausale Faktoren kennt, die zu einer Entscheidung führen, folgt doch mitnichten, dass man meinen müsste, man würde indeterminiert entscheiden. Wieso sollte es auch?

ganimed hat geschrieben:Wenn jetzt diese "Norm", gegen die bei einer Schuld verstoßen wird, eine moralische ist, was ist dann noch der Unterschied zwischen meinem Schuldbegriff (moralische Verantwortung) und deinem? Ich glaube nur noch meine Zusatzbedingung, dass der Schuldige nur dann schuldig ist, wenn er in der GLEICHEN Situation die Schuld auch hätte vermeiden können. Du hälst also praktisch jemanden für schuldig, genau dann wenn ich es tue, aber auch dann, wenn der Schuldige gar nicht anders konnte. Ich finde das merkwürdig. Wenn jemand eine Tat (unter gleichen Umständen) gar nicht verhindern konnte, dann ist er für mich eben nicht schuldig.

Nein, ich halte jemanden nicht für schuldig, wenn er a) nicht anders konnte oder b) wenn es unzumutbar wäre, von ihm zu forden, anders zu handeln. Aber was hat das nun mit Determinismus oder Indeterminismus zu tun? Im Indeterminismus handelte man zufällig anders als man gehandelt hätte. Wo da eine solche Freiheit drin stecken könnte, die für Verantwortung wesentlich wäre, ist mir völlig unklar.

Jemand kann dann anders handeln, wenn es an ihm liegt, dass er nicht anders handelt. Beispiel: ein Mensch ist am Ertrinken in einem See. Ein Spaziergänger kommt vorbei. Er kann a) den Ertrinkenden retten, wenn er schwimmen kann. Und kann es nicht, wenn er b) nicht schwimmen kann. Im letzten Falle liegt es nicht an ihm, nicht an seinem guten oder bösen Willen, dass er nicht hinausgeschwommen ist. Im ersten Falle, (wenn es sonst keine relevanten Tatsachen gibt), aber sehr wohl. Dann ist es vorwerfbar, dass derjenige nichts unternommen hat. Im zweiten Falle nicht.

Schuldzuweisungen haben ja eine Funktion, die sind nicht einfach nur sinnlos. Im Falle b) wäre es sinnlos, etwas für jemanden Unmögliches zu verlangen, ("Nichtschwimmer müssen Ertrinkende retten"). Aber im Falle a) ist es nicht sinnlos. Da lag es an ihm, dass er nur zugesehen hat.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Mir ist absolut unklar, was "Schuld" in Deinem Sinne bedeuten könnte.
Das ist lustig. Ich sage, meinen Schuldbegriff gibt es nicht weil er logisch nicht möglich ist. Du sagst, das kann nicht stimmen, weil mein Schuldbegriff logisch nicht möglich sei. Das klingt nach einem logischen Deadlock.

Deinen Begriff gibt es offensichtlich, Du verwendest ihn ja. Aber das, was Du damit meinst, das ist unverständlich. Da ist kein logischer Deadlock.

ganimed hat geschrieben:Ich übersetze zurück: Freier Wille ist unmöglich.
Um einen freien Willen zu haben, braucht es zwei Komponenten: 1) der Wille ist frei (also unabhängig von determinierenden, ursächlichen Faktoren) und 2) der Wille ist nicht beliebig (sonst wäre es ja kein Wille mehr). Die verkürzte Aussage (freier Wille bzw. Selbstbestimmung ist nur mit Akausalität zu erreichen) bezog sich auf (1). Nur mit Akausalität kommt man aus der Determiniertheit (bzw. der letztlichen Fremdbestimmung) heraus. Aber mit Akausalität verstößt man gegen (2). Es ist also unmöglich, sowohl (1) als auch (2) zu bekommen, weswegen es unmöglich ist, einen freien Willen zu haben.

Gut, das ist doch schon mal etwas, mit dem man arbeiten kann. Der 2 stimme ich zu, nun brauchst Du lediglich noch die 1 plausibel machen können. Die erscheint mir nämlich nicht einfach so zustimmungsfähig.

Oder aber, anstatt die 1 plausibel zu machen, könntest Du auch Belege dafür liefern, dass die 1 (überwiegend) anerkannt ist, dass also der allgemeine Freiheitsbegriff die 1 notwendigerweise enthält.

Aber eines von Beidem musst Du nun mal leisten, als reines Dogma akzeptiere zumindest ich das nicht.

ganimed hat geschrieben:Du musst also weiterhin erklären, wieso du deren Entscheidung für frei hälst, wenn ihre Entscheidung letztlich doch von anderen Dingen (und nur ein wenig von der Adoptionsentscheidung) abhängt.

Ist doch eigentlich ganz einfach: je mehr etwas von mir abhängt, umso freier bin ich diesbezüglich, (z.B: ich schreibe einen Beitrag hier). Und je weniger, (z.B.: der sprichwörtliche Sack Reis in China fällt um), desto weniger. Deinen "absoluten und völlig uneingeschränkten, von nichts abhängenden, völlig zusammenhanglosen" Freiheitsbegriff halte ich für in sich absurd. Und nicht nur das: ich glaube ernsthaft, dass das kaum jemand so vertritt. Ich meine, dass die meisten da den Unterschied so sehen wie ich und das nicht über einen Kamm scheren und nicht, so wie Du, sagen würden: "ist ein- und dasselbe, ob jemand etwas schreibt oder es eine Sonneneruption gibt. Auf beides hat man absolut null Einfluss".

Und das hat nichts, aber auch gar nichts mit Kausalität / Determinismus zu tun, wenn aber doch, dann müsstest Du - und zwar jenseits einer reinen / unbegründeteten Behauptung, das hätte etwas damit zu tun - zeigen, wieso und inwiefern!!!

Dein Fehlschluss hier ist mE: daraus, dass es keine absolute Kontrolle gibt, folgerst Du, dass es überhaupt keine Kontrolle gäbe. Aber das folgt nun mal schlicht nicht.

Du musst also zeigen, dass absolute Kontrolle eine notwendige Bedingung für Freiheit sei. Aber ich glaube, das kannst Du nicht, da wirst Du keine Zustimmung finden. Alternativ müsstest Du zeigen, dass Freiheit eine binäre Kategorie ist, dass man entweder völlig und absolut und vollkommen frei (wobei gelten soll: Freiheit == Unabhängigkeit von absolut Allem, dass also Freiheit etwas völlig Unbeeinflusstes bedeuten müsse, also auch unbeeinflusst von den eigenen Überlegungen, Ansichten, Meinungen, Folgerungen, Reflexionen etc.) sein könne oder aber absolut nichts, das nicht absolut unabhängig von Allem sei, sei daher in keinem Sinne frei; dass also Freiheit keine graduelle Kategorie sei, dass es also per se absolut keinen Sinn ergäbe, zu sagen: "dieser Mensch ist freier als jener Mensch, diese Entscheidung war freier als jene Entscheidung". Aber ich glaube, dass auch das sehr schwer plausibel zu machen ist. Hört sich so an wie eine reine ad hoc-Annahme und ist mE ohne weitere Begründung erst mal sehr unplausibel.

ganimed hat geschrieben:Der Haken scheint mir zu sein, dass du nicht bereit bist, zu akzeptieren, dass es Freiheit nicht gibt. Aber jetzt erkläre mir einmal, wie du dazu kommst, dass es unbedingt Freiheit gibt? Ist eine Welt ohne freie Entscheidungen für dich undenkbar? Wieso?

Diese Frage ist so falsch gestellt. Eine Welt mit Freiheit in Deinem Sinne ist per se unmöglich, weil Du einen per se widersprüchlichen Freiheitsbegriff hast. Demnach ist mitnichten eine Welt ohne Deine Freiheit in Deinem Sinne undenkbar, vielmehr ist eine Welt mit Deiner Freiheit undenkbar.

So weit, so gut, da gibt es doch keinen Dissens zwischen uns. Ich frage mich allerdings, was nun daraus folgen soll. Denn ich halte ja Deinen Freiheitsbegriff für nicht mehrheitsfähig, ich glaube, dass die meisten Leute einen anderen Freiheitsbegriff haben. Sie unterscheiden sehr wohl zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Was Dir ja mit Deinem Begriff verwehrt ist, für Dich ist notwendigerweise alles eines, nämlich Fremdbestimmung und sonst nichts.

Außerdem sehe ich den Zusammenhang zwischen Deinem Freiheitsbegriff und der Zuweisung von Verantwortung und Schuld noch nicht. Ich meine nicht, dass das was miteinander zu tun hat.

Kurz gesagt: selbstverständlich gibt es Freiheit in Deinem Sinne logischerweise nicht, (völlig egal, ob eine Welt determiniert ist oder nicht). Es gibt sie nie, kann sie nicht geben. Na und? Und nun?

Anders gesagt: wenn! Du einen Freiheitsbegriff vertreten solltest, der von anderen nicht geteilt würde, dann wäre unklar, wieso es jemanden tangieren sollte, dass es Freiheit in Deinem Sinne nicht gibt. Also solltest Du daran interessiert sein, zu eruieren, was andere Leute für einen Freiheitsbegriff haben. Aber es ist regelmäßig nicht besonders überzeugend, wenn Du einfach nur ohne Beleg behauptest, Du habest den allgemein vertretenen Freiheitsbegriff. Und einfach von "wir" / "wir Menschen" redest. Das ist nur ein billiger rhetorischer Trick, der ersetzt mitnichten Belege. Und, ganz, ganz wichtig!!!!!: Belege können hier nicht Leute sein, die ebenfalls wie Du einfach nur sagen: "ich glaube, dass die anderen Leute das glauben, was ich behaupte". D.h. z.B. ein Wolf Singer ist kein Beleg. Es spielt überhaupt keine Rolle, was Leute glauben, was andere Leute glauben. Es spielt nur eine Rolle, was die anderen Leute tatsächlich glauben.
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Re: Freier Wille? Inkompatibilismus vs. Kompatibilismus

Beitragvon ganimed » Mo 27. Feb 2012, 20:33

Vollbreit hat geschrieben:Wenn der Mensch also nun nicht allwissend ist und von Argumenten zu beeinflussen ist, wie stellst Du Dir denn vor, dass das geht, wenn nicht durch ein Abwägen und der Argumente?

Zunächst wäre meine Frage, wie stellst du dir vor dass ich mir das vorstelle. Denn du hast mich doch gefragt, wieso ich überhaupt bei den Brights diskutiere. Erst daraufhin habe ich überlegt, wie du auf diese Frage kommen könntest, denn sie impliziert ja, dass wie auch immer ich mir den Vorgang von Argumentbeeinflussung vorstelle, ich ihn mir so vorstelle, dass Diskussionen in einem Internetforum sinnlos würden. An deinem Vorwurf, dass ich mich nicht für die Position meiner Mitdiskutanten interessiere, scheint mir nichts dran zu sein. Im Gegenteil: ich wüsste wirklich gerne, wie du auf die ursprüngliche Sinnfrage gekommen bist, bzw. was du glaubst (glaubtest) wie Inkompatibilisten sich diesen Überzeugungsprozess vorstellen.

Vollbreit hat geschrieben:Man dreht und wendet innerlich, schaut ob etwas dran ist, ob man Schwachstellen findet, ob das die eigene Meinung bestätigt oder schwächt, ob eigene Prämissen verändert werden müssen. Das ist meine Vorstellung dieses Vorgangs, wie ist Deine?

Meine ist ganz genau so. Nur, in meiner Vorstellung dreht und wendet man innerlich nicht einfach so, ohne Grund oder indetermistisch. Sondern man dreht und wendet genau das, wofür man einen Grund hat. Und man kommt zu einem Ergebnis, dass genau von diesen Gründen abhängt. Und man ändert seine Meinung in genau der Weise, die sich aus diesen Ursachen ergeben. Es gibt also diesen Überzeugungsvorgang auch in meiner Vorstellung. Der einzige Unterschied scheint nur zu sein, dass du in diesem Vorgang eine Freiheit entdeckst die mir verborgen bleibt.

Vollbreit hat geschrieben:Du redest von einer Art Dressur. Du übergehst den zentralen Punkt, an dem das Argument (die neue Information über den Gesundheitswert von Cola) beim Menschen greift und er einsieht, dass er nun sein Verhalten ändern sollte, wenn er nicht durch zu viel Cola geschädigt werden möchte.

Ich übergehe diesen Punkt insofern als dass ich an diesem Punkt nichts besonderes, nichts magisches entdecken kann. Wenn ein Hund durch eine Dressur dazu veranlasst wird, bei einem bestimmten Reiz (Herrchen sagt: gibt Pfötchen) eine bestimmte Handlung auszuführen (Pfötchen geben), dann ist das ein Ursache-Wirkung Mechanismus. Der Schlüsselreiz löst ein bestimmtes Verhalten aus, weil diese Kette durch immer wieder Üben vorher im Hund etabliert wurde.
Gut, der Mensch ist kein Hund, er wird nicht dressiert und er gibt selten Pfötchen. Aber es ist auch bei ihm ein Ursache-Wirkung-Mechanismus. Das Argument kommt hereingeflogen (wenn man so will der Schlüsselreiz) und dann sieht der Mensch etwas ein, genau WEIL das Argument kam. Der Mensch konnte in einer deterministischen Welt ja auch gar nicht anders, als das einzusehen. Wo also bitteschön ist da etwas, das man "Freiheit" nennen könnte? Wieso ist bei dir der Mensch freier als ein dressierter Hund?

Vollbreit hat geschrieben:Dieses Einsehen, was dann auch noch zu einer Verhaltensänderung führt, ist aber sehr bedeutend, denn eingeschliffene Verhaltensweisen ändert man nicht einfach so.

Was meinst du mit "bedeutsam"? Natürlich ändert man eingeschliffene Verhaltensweisen nicht einfach so, sondern genau dann, wenn ein ausreichender Grund vorliegt. Was ist daran bedeutsam? Oder vielmehr: was ist daran frei?

Vollbreit hat geschrieben:Du scheinst die Auffassung zu vertreten, dass Argumentation oder Diskussion so etwas ist, wie die Dressur eines Hundes.

Die einzige Gemeinsamkeit, die ich spontan sehe zwischen Hundedressur und Menschendiskussion ist, wie gesagt, das Ursache-Wirkung-Prinzip. Diese Prinzip gilt übrigens für alles in einer deterministischen Welt. Du könntest mir also mit derselben Logik unterstellen, dass für mich das Herabfallen einer Blumenvase so etwas ist, wie die Dressur eines Hundes. Aber kämen wir mit solchen Unterstellungen auch nur einen Schritt voran?
Ich glaube, unsere beiden Auffassungen sind wirklich sehr ähnlich. Was ich unter einer Diskussion verstehe, verstehst du auch darunter. Ich stelle mir die dabei anfallenden Denk- und Abwägungsprozesse ganz ähnlich vor wie du. Wir glauben sogar beide, dass diese Prozesse streng kausal ablaufen. Der einzige Unterschied ist doch, dass ich das nicht als frei ansehe und du doch.

Vollbreit hat geschrieben:Ist DIR dieser Freiheitsbegriff, der kein Dogma, sondern ein Angebot ist, zu dünn, zu wenig oder zu kraftlos, dann müsstest und dürftest DU eine notwendige Erweiterung oder Ergänzung vorschlagen

Der ist mir nicht zu dünn sondern nur zu falsch. Ich schlage deshalb keine Ergänzung vor, sondern eine Korrektur. "Frei" assoziiere ich mit "auch anders können". "Freie Entscheidung" assoziiere ich mit "echte Wahl zwischen echten Alternativen". Demgegenüber bedeutet für mich "innehalten, abwägen, Argumente rational prüfen" und dann gemäß der Ursachen handeln einfach nur eine Gehirnarbeit, komplex, unvorhersehbar aber nicht frei, weil es eben nur ein Ergebnis gibt, nämlich das kausal erzwungene.

Vielleicht muss man auch Informatiker sein, um meine Assoziationen so selbstverständlich und intuitiv zu finden, wie ich das tue. Stell dir eine Blackbox vor, die folgendermaßen funktioniert. Wenn du auf der einen Seite ein Wort hineinrufst, erhälst du auf der anderen Seite eine Antwort. Bei gleichem Eingabewort kommt immer das gleiche Ausgabewort. Niemand, den ich kenne, würde die Antwortentscheidungen dieser Blackbox als "frei" bezeichnen. Denn ganz offensichtlich hängen die Antworten kausal von nichts anderem ab als vom Input.
Nun tauschen wir die Blackbox durch einen Menschen aus. Die Sache wird komplexer, weil der Mensch sich Dinge merkt, Erfahrungen macht, interne Zustände hat, Milliarden von Neuronen, alles mögliche, aber am Prinzip ändert sich nicht das geringste. Unter gleichen Input-Umständen wird sich der Mensch immer für das gleiche Output-Wort entscheiden. Und dem Kompatibilisten und dir werfe ich vor, dass er dasselbe Prinzip einmal unfrei nennt (im Fall der Blackbox) und einmal frei (im Falle des Menschen). Da fehlt mir die Konsequenz im Denken.

Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:aber so richtig ernst kann man das nicht nehmen, wenn man weiß, dass der Mensch eigentlich nur die Illusion eines Ichs und eines freien Willens hat.

Nimmst du das alles denn so richtig ernst? Aus meiner Sicht ist es eine große Erleichterung, wenn man alles und ganz besonders sich selber, nicht besonders ernst nimmt. Ich bin nur ein armes kleines Würstchen (toller Song von Reinhard Mey) unter anderen lauter armen kleinen Würstchen. Eine sehr komfortable Position.

Ich weiß wirklich nicht, was so eine Äußerung soll.

Ich habe auf deinen Einwand, dass man als Inkompatibilist nicht mehr alles ernst nehmen könne, nur antworten wollen, dass dies in keinem Fall, ob Inkompatibilist oder nicht, angebracht wäre und dass dies auch nicht schlimm ist sondern sogar recht angenehm, wenn man mal drüber nachdenkt.
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