Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Für Artikel, Video- oder Audiomaterialien, die im Zusammenhang mit der Thematik der Brights-Bewegung stehen.

Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Mi 13. Jun 2012, 07:58

mat-in hat geschrieben:Gegen "Waffennarr" würde ich wohl gerichtlich vorgehen, ich besitze keine eine und beabsichtige auch nicht eine zu besitzen. Kampfsportler wäre wichtig, sobald ich im Interview behaupte das Kampfsport - besonders die aggressiven Vollkontaktvarianten, praktiziert in Vereinen die am Wochenende mal um die Ecken ziehen und Leute verhauen - immer viel zu negativ bewertet wird, daß Kampfsportlernen voll im Trend ist und man nicht übersehen sollte, das es schön straffe Haut macht und man dabei Gewicht verliert weil man ordentlich Kalorien verbrennt wenn man auf jemanden einprügelt. Außerdem praktizieren alle Kampfsportler das nur für straffe Haut. Selbstverteidigung ist Nebensache und wer damit Angreift hat es eben nicht verstanden... Das wäre eine Aussage, bei der es wünschenswert wäre wenn da "Kampfsportler, derzeit Vorsitzender der Vollkontaktliga mit Unisportanschluß" und nicht "Sportexperte an der Uni" stehen würde. Vielleicht nicht wünschenswert für mich - schließlich mache ich meinen Job dann nicht richtig - aber wünschenswert für den Leser. Weniger wünschenswert ist vom ersten Satz "Sie müssen mir helfen!" an den Lippen des Interviewpartners zu kleben. Das ist dann kein Interview sondern bestenfalls etwas, wo man "Dauerwerbesendung" drüber schreiben muß. Ganz unabhängig davon ob die dort beworbenen Thesen in den Kram passen.


Du merkst ja gerade selbst, dass man über die ganz harmlose Positionierung von Informationen sogleich unter Rechtfertigungsdruck kommt, wenn es nur geschickt/ungeschickt genug angestellt wird.
Selbst wenn Du gegen bestimmte Äußerungen erfolgreich gerichtlich vorgehst, ist Dein Name erst mal mit einem bestimmten Attribut verknüpft und das bleibt oft selbst bei erfolgreichen Gegendarstellungen haften.

Wie auch immer, die nächste Frage ist, wie und zu welchem Zweck führe ich ein Interview.
Ich kann, muss aber nicht kritisch nachfragen, es gibt die ganze Spannbreite von Hofberichterstattung oder Werbeblog, bis zur neutralen Information über die Klärung von Unstimmigkeiten bis zur Zerlegung des Interviewpartners (die nicht ohne guten Grund geschehen sollte).

Das Interview beginnt doch mit einer ganzen Reihe kritischer Nachfragen, so in dem Stil: Sie behaupten, das laufende Jahrhundert sei das der Religionen, sorry, ich sehe davon nichts, wo soll das denn stattfinden?

Stell Dir vor, Du arbeitest bei der Firma X im Biobereich. Du schreibst ein Buch oder eine Dissertation meinetwegen zur Diabetologie es gibt eine Interviewanfrage, bezüglich des Buches und dann prasselt ein Hagel von Fragen zur Eugenik auf Dich nieder.
Ist das positiv kritischer Journalismus, oder zieht da einfach der Interviewer sein Steckenpferd durch und benutzt Dich als Mittel zum Zweck?

Um nicht falsch verstanden zu werden, ich finde kritischen Journalismus sehr gut (wenn er angezeigt ist), ich habe für Roger Willemsen ein inneres Denkmal errichtet, seit er vor vielen Jahren den schönen Konsul Weyer in alle seine Einzelteile zerlegte.

Er tat dies völlig zurecht (leider ist vom Interview bei youtube nur noch das Finale vorhanden, wer es sieht, kann immerhin noch ahnen, was für ein Gemetzel zuvor stattgefunden hat), denn Konsul Weyer betrat das Studio mit unsäglicher Arroganz und entblödete sich nicht gegenüben Willemsen mit seinem hohen IQ zu protzen, das war die Ouvertüre zu einer Filetierung vor laufender Kamera. Aber es war eine subtile, schleichende Vernichtung, Willemsen zog die Schlinge immer enger, wer das ganze Interview findet, bitte posten, der Anfang ist eigentlich viel interessanter und ein Lehrstück in Demontage.



(Leider ist die Tonqualität beim Nächhören bei mir nicht gut, für alle Fälle noch mal als link:
http://www.youtube.com/watch?v=cjGPVRAk9qQ )

Ich finde marktschreierische Enthüllungen und Aufklärungen hingegen eher peinlich und vorhersehbar. Wer immer wieder, zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit auf sein Thema kommt, der kann eben nicht anders und entlarvt sich damit viel mehr, als seine Partner, die er damit nur zu Statisten degradiert. Solche Leute will niemand sehen.

Ich finde auch dieses in meinen Augen selbstgefällige Geplauder eines Kerner ziemlich entsetzlich, dessen „kritische Nachfragen“ genau die Mainstreamerwartungen bedienen. Da wird mit selbstsicherem Gespür für das was konventionell ist und ankommt jedes Klischee bedient, Empörung, Toleranz und Zurechtweisung stets an der richtigen Stelle inklusive.

Früher gab es eine rote Linie, ein stilles Abkommen zwischen Journalisten und Politikern und anderen Personen aus dem öffentlichen Leben. In diesen Bereich fiel dann das Privatleben des Betreffenden, alle wussten Bescheid aber es gab ein Agreement, dass die Klappe gehalten wurde, sofern nicht der öffentliche Mensch und seine Arbeit davon tangiert war.

Ich mag auch die stillen Enthüllungen, wenn der Interviewer nicht vordergründig bissig ist, was oft platt und berechenbar ist, sondern im netten Plauderton den Interviewten dazu bringt etwas zu erzählen, was er nie (öffentlich) erzählen wollte. Das ist wirklich brillant, wenn es gelingt.

Dazu ist so ein Interview um ein Buch m.E. nicht geeignet. Um ein vielleicht fragwürdiges Weltbild eines Interviewten zu zerlegen, braucht es eigentlich keine Kommentierung, damit es auch der Dümmste unter der Sonne versteht, der solche Sendungen aber ohnehin nicht schaut.

Oft genug bedient der Journalismus oder auch der Buchautor einfach seine Zielgruppe, in wieder mal vorhersehbarer Art und Weise. Da wird routiniert abgespult und man fühlt sich wohl in der eigenen Welt, seine Sicht bestätigt, kann abnicken und sagen: Jawoll, gutes Blatt (das einzig objektive).

Enthüllungsjournalismus ist oft von billigster Machtart, aber gerne gelesen, weil er die paranoide Seite in uns kitzelt. Man kann das mit Genuss lesen, wenn man weiß, was das ist und was man tut, es ist ein wohliges Schaudern, was man genießen kann, wenn man in der Lage ist, ein zwei Schritte zurückzutreten.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Mi 13. Jun 2012, 11:23

Naja, Konsul Weiher mag eine Menge Dreck am Stecken haben, aber Roger Willemsen ist dafür genauso arrogant. Auch Michel Friedmann, der seine "Opfer" nicht einmal ausreden lässt, sondern im Sekundentakt mit Vorwürfen beballert, ist für mich das beste Beispiel dafür, dass die Selbstdarstellung für einige Journalisten oft vor das Interesse am Anderen gestellt wird.

Wer schon mal selbst an einer öffentlich ausgestrahlten Befragung mitgemacht hat, weiß, wie schnell der vorbereitete Text plötzlich zuwenig werden kann und wie verflixt man aufpassen muss, um sich dann nicht um Kopf und Kragen zu reden, wenn erst mal der Stegreif gefragt ist. Nun kann man natürlich sagen, die Politprominenz und andere Promis sind das gewöhnt - aber, nicht jeder ist schnell genung, sich den Kopf vor der geschickt gedrehten Schlinge zu retten.

Guter Jouranlismus ist sicher der, der aufdeckt, was vertuscht werden sollte, aber nicht der, der sich seine Opfer durch Fangfragen selber macht. Hier im Forum kann man das ganz gut beobachten, dass alles was geschrieben wird durch reine Interpretation verschiedene Bedeutungen bekommen kann. Manche hier sind Spezialisten in der Deutung der nie geschriebenen Zwischenzeile und nageln ihr Gegenüber dann auch noch auf diese Nichtposition fest.

Gute, sachlich recherierte Berichterstattung ist mir da lieber.

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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Lumen » Mi 13. Jun 2012, 12:25

stine hat geschrieben:[...] Gute, sachlich recherierte Berichterstattung ist mir da lieber. :book: stine


Eine Foto-Journalistin geht in einen Wald und möchte ihn dokumentieren. Das Thema ist komplett offen. Nun steht sie da im Wald, hat Platz für weniger Bilder. Sie könnte den achtlos weggeworfenen Müll fotografieren, der da liegt. Könnte ihn in Großaufnahme zeigen. Oder den alten knorrigen Baum mit dem Nest einer seltenen Vogelart. Fakten werden andauernd kuratiert, wenn sie erstmalig festgehalten werden und dann nochmal in der Redaktionssitzung, am Schreibtisch oder im Schneideraum. Es werden immer Geschichten daraus. Geschichten sind mehr oder weniger Fabrikationen, nicht weil die Fakten lügen, oder weil der Müll nicht wirklich im Wald liegt, sondern weil es unendlich viele Geschichten gibt, die ein Wald erzählen könnte. Es könnte um das Vogelweibchen gehen, wie es an dem Frühlingstag die Eier ausbrütet und Insekten heranschafft. Es könnte um den Überlebenskampf des Vogelweibchens gehen, um Marder, die die Eier rauben wollen. Oder um Waschbären, die irgendwann mal importiert wurden und es den heimischen Arten schwer machen. Neben der Recherche hat auch die Sachlichkeit ihre Tücken. Eigentlich ist damit gemeint, dass auf Suggestion und eine emotionalisierende Darstellung verzichtet wird. Aber dann ist die Wahl einer sachlichen Darstellung nicht immer unsichtbar, wie es den Anschein macht. Manche Themen sind emotional. Sie nicht emotional oder viel weniger emotional zu zeigen als sie sind, ist vielleicht nur mit rekursiver Logik nicht mehr sachlich (weil die Sache unsachlich ist). Zwar gibt es keine richtige oder falsche Weise, aber durchaus ein "besser" oder "schlechter", wo ich euch dann zustimme. Guter Journalismus ist besser als der schlechte.

Was Informationen und Verhalten von Akteuren angeht stellt sich immer die alte Frage nach dem "Cui Bono?" Prinzip. Es ist möglich auch professionellen Akteuren wie Journalisten oder Politikern Fehler, Unwissenheit, Naivität und so weiter zuzugestehen. Als Grundregel halte ich das aber für die am wenigsten wahrscheinliche Option, wenn das Ergebnis "zufälligerweise" in ihrem Interesse ist.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon mat-in » Mi 13. Jun 2012, 12:34

Ich finde auch, daß man da - wie bei vielen Dingen - einen Mittelweg finden muß. Ich bin kein Fan davon, Leuten z.B. für ein Interview aufzulauern, weil sie keinen Termin ausmachen (Ambush-Journalism), es spricht dann ja meist schon Bände sagen zu können "Äußert sich dazu nicht" und den Rest der Fakten zu präsentieren. Ich bin aber genauso wenig ein Fan davon, Leuten unreflektiert eine Werbeplattform zu bieten und die Gesprächspartner nicht mal richtig vorzustellen. Sowas erwarte ich in der Apothekenrundschau, aber nicht von angesehenen Medien mit "echten Journalisten" wie Zeit und FAZ und Spiegel... gerade die Zeit enttäuscht da die letzten Monate immer mehr und was man so aus den Redaktionen hört...
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Mi 13. Jun 2012, 14:46

Lumen hat geschrieben:Eine Foto-Journalistin geht in einen Wald und möchte ihn dokumentieren. Das Thema ist komplett offen. Nun steht sie da im Wald, hat Platz für weniger Bilder. Sie könnte den achtlos weggeworfenen Müll fotografieren, der da liegt. Könnte ihn in Großaufnahme zeigen. Oder den alten knorrigen Baum mit dem Nest einer seltenen Vogelart. Fakten werden andauernd kuratiert, wenn sie erstmalig festgehalten werden und dann nochmal in der Redaktionssitzung, am Schreibtisch oder im Schneideraum. Es werden immer Geschichten daraus. Geschichten sind mehr oder weniger Fabrikationen, nicht weil die Fakten lügen, oder weil der Müll nicht wirklich im Wald liegt, sondern weil es unendlich viele Geschichten gibt, die ein Wald erzählen könnte.

Und du bist der "glas-halb-leer-typ", oder? :mg:
Wenn eine Reportage zu einem Thema gemacht werden soll, dann steht das Thema doch meist vorher fest. Entweder Müll im Wald oder seltene Vogelarten.
Die Frage ist allerdings, sollte das Thema Müll im Wald sein und die Fotografin findet fast nichts, lichtet dafür aber immer wieder das selbe Stück Papier und das alte abgelegte Sofa aus verschiedenen Blickwinkeln ab, nur damit das Blatt voll wird, dann kann das zu einer Verfälschung der Tatsachen führen. Genauso kann man das Thema mit dem seltenen Vogel positiv oder negativ aufbereiten.

Und darum geht es imgrunde: Unsere Sichtweise wird von der zur Verfügung gestellten Information geprägt, weil wir selber nicht den Zugang zu allem haben und es liegt sehr wohl am Journalismus, WAS er WIE aufbereitet.
So ärgert mich bei meiner Tagespresse zB, dass sie sehr oft die besserwisser Stimme der Opposition zitiert, anstatt zu schreiben, was die Regierung richtig macht.
Es werden nur die Fehler groß geschrieben, was richtig ist, bleibt ein kleiner Textteil, da muss man schon ganz hinau hinsehen und es kann dadurch leicht der Eindruck entstehen, dass das meiste schief läuft.

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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Lumen » Mi 13. Jun 2012, 16:35

Ich bin eigentlich tatsächlich ein halb-halb Typ, einerseits, andererseits. Seit kurzem bin ich aber Fundamentalist. :D

Was du mit der Eingrenzung des Themas meinst, ist nur eine Verlagerung des Problems. Selbst wenn das Thema "Flaschenmüll im Wald" lautet, gibt es schier unendliche Möglichkeiten das Thema darzustellen. Fakten werden so oder so kuratiert (also ausgewählt, aufbereitet, in Szene gesetzt). Das sehe ich übrigens nicht pessimistisch (Glas-Halb-Leer), sondern alse Art von Problem für die es keine klaren Kriterien oder Maßstäbe gibt, sondern nur Annäherungen und Verhältnisse von besser/schlechter zueinander, im Hinblick bestimmter ebenfalls wandelbarer Maßstäbe.

Deine Tagespresse-Einschätzung teile ich zum Beispiel nicht. Bestimmte Medien sind bestimmten Parteien oder Ströhmungen eher zugeneigt als anderen und selbst da ist das Echo selten ganz einseitig. Die Springer-Presse ist zum Beispiel traditionell konservativ und das merkt man finde ich auch. Die TAZ ist auf der linken Seite. FAZ passt zu FDP. Süddeutsche und Welt sind konservativ, würde ich sagen. Für die politischen Gegner der Regierung ist die aktuelle Regierung mitunter die Schlechteste Regierung aller Zeiten (zig Rücktritte, Skandale, Fehlstarts, Richtungswechsel, fehlendes Profil usw.) und da fällt die Reaktion der Medien bisweilen eher milde aus. Manchmal ist die Wahrheit irgendwo in der Mitte, aber eben auch nicht immer. Über die Linken wird fast nur nach Soap-Opera Art berichtet, die Grünen sind mal Linksradikale, dann wieder gesättigte Spießbürger-Gutmenschen, die FDP bekommt trotz Kleinstpartei-Status fast soviel Aufmerksamkeit wie die Volksparteien, bairische Politik ist republikweit überrepräsentiert, von der SPD sehe ich nicht sonderlich viel und wenn dann geht es um die Frage wer da Kanzlerkandidat werden könnte usw. Das vorherrschende Gefühl dürfe sein, dass eigentlich keiner mehr durchsteigt, wer was will und was das Schlagwort Sonstwie-Kopf-Bond-Prämie-Pauschale denn eigentlich bedeutet.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Darth Nefarius » Mi 13. Jun 2012, 18:25

Lumen hat geschrieben:Die Springer-Presse ist zum Beispiel traditionell konservativ und das merkt man finde ich auch.

Ich will für niemanden in die Bresche springen (kapiert? :lachtot: ), aber ich habe ein gutes Genetikbuch von denen gekauft, das ziemlich der konservativen Furcht der Mehrheit der Gesellschaft zuwider läuft (besonders weil es die Rolle der Gentechnik für die Menschheit strark beleuchtet und der wissenschaftliche Anteil so groß ist wie der gesellschaftskritische). Vielleicht ist diese inkonsequente Richtung dieses Verlags noch ein Erbe des wehleidigen, exzentrischen Gründers. Der Grundaussage stimme ich aber zu, den übrigen Zuordnnungen auch.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Do 14. Jun 2012, 10:22

Ich weiß nicht, ob man behaupten kann Willemsen würde arrogant auftreten, er war zu der Zeit berühmt dafür, extrem einfühlsam zu und gut vorbereitet zu interviewen, ohne eine Hofberichterstattung zu betreiben, so dass sogar Leute in seine Sendung kamen, die sonst Interviews prinzipiell mieden. Den Vergleich mit Friedmann finde ich unangemessen.

Lumen bringt sehr schön auf den Punkt, dass Fakten als solche noch nichts aussagen, weil man auch bei der korrekten Darstellung derselben immer schon eine Vorauswahl trifft, bei allem was man auswählt, gibt es immer einer (oft größeren) Rest, den man nicht auswählt.
Ich würde nicht alles auf die Cui bono Frage herunterbrechen wollen, oder anders gesagt:
Es kann sein, dass ein Journalist einfach nur interessengeitet im Sinne der Themas ist, dass es ihn (warum auch immer) angetan hat. Kommt natürlich auch darauf an, für den ein Journalist arbeitet.
Kluge Journalisten haben es immer vermocht – wenn die Situation so war, dass man nicht offen berichten konnte – zwischen den Zeilen noch etwas zu vermitteln.

Die goldene Mitte ist natürlich immer die ideale Position, aber meine Frage war, was sie denn kennzeichnet, ausmacht? Was muss ich z.B. alles über einen Menschen berichten (und warum) um nicht in den Verdacht der Hofberichterstattung zu gelangen? Was darf oder muss ich sogar weglassen?


stine hat geschrieben: So ärgert mich bei meiner Tagespresse zB, dass sie sehr oft die besserwisser Stimme der Opposition zitiert, anstatt zu schreiben, was die Regierung richtig macht.
Es werden nur die Fehler groß geschrieben, was richtig ist, bleibt ein kleiner Textteil, da muss man schon ganz hinau hinsehen und es kann dadurch leicht der Eindruck entstehen, dass das meiste schief läuft.


Die Tendenz zur Selbstgefälligkeit kann man sicher als unangenehm empfinden, aber unkritischen Journalismus will a) niemand lesen (hat man schon des Öfteren versucht, eine Zeitung nur mit guten Nachrichten zu verkaufen) und b) ist es ja auch eine soziale Funktion des Journalismus auch kritisch zu berichten.

Bei einem guten Bericht über Atomkraft bspw. will ich nicht wissen, dass Atomkraft gefährlich ist, das weiß ich und auch nicht, dass alle Kritik vollkommen aufgebauscht ist, sondern hier würde mich dann wirklich interessieren, wo Gefahren liegen, die vielleicht herausgerechnet wurden (was kostet Fukushima über die nächsten 100 Jahre, findet sich das in den Kostenrechnungen der „billigen“ Atomkraft wieder, ja/nein, warum/warum nicht, wer rechnet da mit welchen Zahlen und so weiter).


Lumen hat geschrieben:Die Springer-Presse ist zum Beispiel traditionell konservativ und das merkt man finde ich auch.


Kann man so sagen, aber vor allem ist sie platt und konservativ, aber nicht weiß Bild-Journalisten alle doof sind, sondern weil Bild aktiv ins politische Geschehen eingreift und dort eine machtvolle Rolle spielt, da die Springer Presse (zu der übrigens auch die Welt gehört, die ist auch konservativ und etwas weniger populär gestaltet) weiß

Lumen hat geschrieben:Die TAZ ist auf der linken Seite. FAZ passt zu FDP. Süddeutsche und Welt sind konservativ, würde ich sagen.


Die FAZ ist eher konservativ im guten Sinne, liberale Positionen sind auch dabei eine explizite FDP Nähe sehe ist eher nicht, das besorgt der Focus.
De Süddeutsche ist tendenziell links (es gibt aber auch linke Konservative), die TAZ ist natürlich recht eindeutig im Spektrum positioniert.
Der Spiegel ist klassisch links, aber nicht mehr so plakativ wie ehedem, die WAZ Gruppe ist links.
Wie die Bild inszeniert der Spiegel gerne mal Kampagnen zur politischen Einflussnahme.

Darth Nefarius hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Die Springer-Presse ist zum Beispiel traditionell konservativ und das merkt man finde ich auch.

Ich will für niemanden in die Bresche springen (kapiert? :lachtot: ), aber ich habe ein gutes Genetikbuch von denen gekauft, das ziemlich der konservativen Furcht der Mehrheit der Gesellschaft zuwider läuft (besonders weil es die Rolle der Gentechnik für die Menschheit strark beleuchtet und der wissenschaftliche Anteil so groß ist wie der gesellschaftskritische). Vielleicht ist diese inkonsequente Richtung dieses Verlags noch ein Erbe des wehleidigen, exzentrischen Gründers. Der Grundaussage stimme ich aber zu, den übrigen Zuordnnungen auch.


Der Springer Verlag von dem Du Dein Genetik Buch hast, ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Axel Springer Verlag, sondern aus dem hier:
http://www.springer.com/?SGWID=1-102-0-0-0
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Do 14. Jun 2012, 10:53

Vollbreit hat geschrieben:Die FAZ ist eher konservativ im guten Sinne, liberale Positionen sind auch dabei eine explizite FDP Nähe sehe ist eher nicht, das besorgt der Focus.
De Süddeutsche ist tendenziell links (es gibt aber auch linke Konservative), die TAZ ist natürlich recht eindeutig im Spektrum positioniert.
Der Spiegel ist klassisch links, aber nicht mehr so plakativ wie ehedem, die WAZ Gruppe ist links.
Wie die Bild inszeniert der Spiegel gerne mal Kampagnen zur politischen Einflussnahme.

So dass man auch sagen könnte: Die goldene Mitte ist der Pressespiegel, aber nicht der, den wieder irgendjemand vorweggenommen hat, sondern der, den man sich selber anfertigt- obwohl man ja genau betrachtet auch selber gerne nur seine eigene Meinung bestätigt wissen möchte.
Fazit wäre dann wohl, dass es keine goldene Mitte geben kann *) !

Vollbreit hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob man behaupten kann Willemsen würde arrogant auftreten, er war zu der Zeit berühmt dafür, extrem einfühlsam zu und gut vorbereitet zu interviewen, ohne eine Hofberichterstattung zu betreiben, so dass sogar Leute in seine Sendung kamen, die sonst Interviews prinzipiell mieden. Den Vergleich mit Friedmann finde ich unangemessen.
Geb ich dir recht, bezog sich auch nur, auf das von dir verlinkte Interview mit dem schönen Konsul. Ich fand, dass Willemsen sich dabei sehr bequem in seiner Rolle "ich weiß etwas, was du nicht weißt" eingerichtet hat. Das wirkt freilich etwas überheblich.

*) Ansonsten gilt für mich: Journalisten sollten Berichterstatter sein und das so neutral wie nur eben möglich.

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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Do 14. Jun 2012, 11:41

stine hat geschrieben:So dass man auch sagen könnte: Die goldene Mitte ist der Pressespiegel, aber nicht der, den wieder irgendjemand vorweggenommen hat, sondern der, den man sich selber anfertigt- obwohl man ja genau betrachtet auch selber gerne nur seine eigene Meinung bestätigt wissen möchte.
Fazit wäre dann wohl, dass es keine goldene Mitte geben kann *) !


Kann man durchaus so sehen, die Frage ist, wie Du mit dieser Erkenntnis nun weiter umgehst?
Wenn Du sehen kannst, dass Du und ich und alle anderen selektiv ihre Welt betrachten (mitunter ohne das bewusst zu machen und es böse zu meinen), was heißt das?

Heißt das, jeder köchelt nur im eigenen Wasser und Impulse und Erkenntnisgewinn sind unmöglich?
Nein, das kann man empirisch und erkenntnistheoretisch widerlegen.
Es sind nur nicht unbedingt und immer die Argumente, die ein neues Fenster öffnen, es sind die psychischen und sozialen Rahmenbedingungen, der richtige Zeitpunkt.

Wissen kann auch verwirrend sein und da ist es verständlich sich auf eine Organisationsebene zu begeben, die man verarbeiten kann, das tut man nicht bewusst, das passiert von selbst.
Es ist vermutlich sinnvoller Komplexitäten auszublenden, um nicht in psychischen Dauerstress zu geraten, denn die Ambivalenz der Motive wirklich zu verarbeiten, tut weh und ist anstrengend.

Die eigenen Prämissen kann man sich oft genug nicht aussuchen, aber man kann sie reflektieren und erkennen, dass meine Prämissen durchaus auch – unter anderen Umständen – andere sein könnten und dass es keineswegs irrational ist religiös, atheistisch, politisch links oder rechts zu sein und so weiter.
Aus Sicht der eigenen Prämissen sind viele Schlüsse auch sinnvoll und rational, nur ist es eben so, dass meine Prämissen keine allgemeine Zustimmung finden müssen.


stine hat geschrieben:Ich fand, dass Willemsen sich dabei sehr bequem in seiner Rolle "ich weiß etwas, was du nicht weißt" eingerichtet hat. Das wirkt freilich etwas überheblich.


Einverstanden, wäre schön, wenn das ganze Interview zu finden wäre, wie gesagt, ich halte das wirklich für ein journalistisches Lehrstück, wenigstens für diesen Sektor.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Do 14. Jun 2012, 14:03

herrgott, ist das langweilig, wenn man schon wieder einer Meinung ist :mg:

Vollbreit hat geschrieben:Heißt das, jeder köchelt nur im eigenen Wasser und Impulse und Erkenntnisgewinn sind unmöglich?
Nein, das kann man empirisch und erkenntnistheoretisch widerlegen.
Es sind nur nicht unbedingt und immer die Argumente, die ein neues Fenster öffnen, es sind die psychischen und sozialen Rahmenbedingungen, der richtige Zeitpunkt.
Dass das richtig ist, kann man sehr gut an Joschka Fischer und seinesgleichen beobachten. Aus der grünen Latzhose mit aufgenähter Sonnenblume ist ganz schnell der Businesskasper geworden, der jetzt auch wieder von sich behauptet, alles "richtig" zu sehen, obwohl er fast eine 180Grad Drehung hinter sich hat.

Vollbreit hat geschrieben:Es ist vermutlich sinnvoller Komplexitäten auszublenden, um nicht in psychischen Dauerstress zu geraten, denn die Ambivalenz der Motive wirklich zu verarbeiten, tut weh und ist anstrengend.
Ich versuche das ständig, kann das aber leider nicht immer und stehe somit unter Dauerstress. Das ist Veranlagungssache und ich beneide deswegen schon sehr lange diejenigen unter uns, die es immer wieder nur bis zur eigenen Nasenspitze schaffen.

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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Do 14. Jun 2012, 16:16

@ stine:

An Fischer scheiden sich sicher die Geister, aber ich habe gegen 180° Wendungen manchmal weniger einzuwenden, als gegen Menschen die von 8 – 88 dieselbe Einstellung vertreten.
Gerade wenn man sich gegen Impulse von Außen nicht abschottet, muss man dich die Welt immer wieder anders sehen. Es gibt sicher Themen bei denen ich heute noch so denke, wie vor 20 Jahren, aber bei einigen haben ich durchaus schon eine anderthalbfache Drehung hingelegt und inzwischen glaube ich sogar, dass sich das kaum ändern wird.

stine hat geschrieben:Ich versuche das ständig, kann das aber leider nicht immer und stehe somit unter Dauerstress. Das ist Veranlagungssache und ich beneide deswegen schon sehr lange diejenigen unter uns, die es immer wieder nur bis zur eigenen Nasenspitze schaffen.


Ich weiß was Du meinst, aber ich kann diese Sehnsucht nach dem Simplen nicht (mehr) empfinden.
Ich habe immer wieder festgestellt, dass schlichte Gemüter sich zwar manche Fragen nicht stellen und somit auch kein Problem mit dem haben, weswegen andere in Depressionen stürzen, aber dafür haben sie ihre Probleme, die eben auch auf entsprechend einfachem Niveau sind und wenn Menschen sich nicht einmal vorstellen können, dass andere wirklich die Welt ganz anders sehen und erleben – implizit denkt man zunächst immer, dass die eigene Sichtweise das abbildet, wie die Welt funktioniert – (aufgrund von Intelligenzmangel oder einer Psychopathologie) dann ist das kein Zustand, den ich beneide, weil des Ausweg im letzten Fall schwierig und im ersten nahezu unmöglich ist.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich einige prinzipielle Fragen durchaus vorlegen kann und dass man Antworten findet. Eigene! Man muss es sich und anderen begründen können. Das heißt, sich durchzubeißen, es wirklich verstehen zu wollen und ein wenig am Ball bleiben.
Mit einigen Themen bin ich wirklich durch im besten Sinne, bei anderen auf einem guten Weg und bei wieder anderen stehe ich völlig am Anfang.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Do 14. Jun 2012, 18:33

@Vollbreit:

Eine Wende in der Geisteshaltung kann manchmal notwendig sein, allerdings sollte man schon sehr genau darauf achten, dass man auch nicht zum Fähnchen im Wind wird!

:wink: stine
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Do 14. Jun 2012, 18:58

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man sich einige prinzipielle Fragen durchaus vorlegen kann und dass man Antworten findet. Eigene!
Das ist richtig. Meine Erfahrung zeigt allerdings, dass die eigene Meinung selten gefragt ist, sofern nicht irgendein akademisch gebildeter Vorreiter nicht zufällig schon mal dieselbe hatte. Dass so einer die Meinung erst später bekommen könnte hilft nichts, weil man sich nicht bei der Veröffentlichung der eigenen Meinung schon darauf berufen konnte.
Eine eigene Meinung haben ist schon in der Schule nur dann zulässig, wenn man sie sich irgendwo intelligent zusammen gekupfert hat. Es wurde ja zu allem und jedem schon mal was geschrieben. Auch hier im Forum schmeißt man sich Zitate und Textausschnitte, Autoren-Namen und wissenschaftliche Abhandlungen um die Ohren (äh - wohl doch um die Augen :mg: ) und gibt damit bekannt, wie belesen man ist und welches Gewicht daher die eigene getane Aussage hat.
Da bleibt nicht mehr viel Luft für eigene Meinungen, denn wer sich als Urheber einer solchen outet und nicht stante pede die Quellen seiner Meinung mitzitieren kann, hat schon verloren. Eigene Antworten sind nicht mal auf eigene Fragen erlaubt, sofern man sie öffentlich diskutiert.
Das eigene Meinung haben ist eng geworden.

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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Nanna » Do 14. Jun 2012, 19:29

Auch wenn es nicht mehr richtig zum Thema gehört:

Vollbreit hat geschrieben:Mit einigen Themen bin ich wirklich durch im besten Sinne, bei anderen auf einem guten Weg und bei wieder anderen stehe ich völlig am Anfang.

Finde ich beneidenswert. Ich habe persönlich nur wenige Themen, mit denen ich wirklich "durch" bin. Bei einigen habe ich allerdings das Gefühl, dass sich eine gewisse Haltung herausbildet und verfestigt, die sich wahrscheinlich nicht mehr radikal ändern wird. Mir geht's im besten Popper'schen Sinne so, dass ich mit der Entdeckung neues Wissens auch dauernd realisieren muss, wie viel Unwissen es noch gibt. Es gibt einfach verdammt viel interessantes Zeug auf der Welt.

stine hat geschrieben:Das eigene Meinung haben ist eng geworden.

Das Entscheidende ist meiner Meinung nach, dass du begründen kannst, warum du einer Meinung anhängst, selbst wenn du diese Meinung nicht im Kern selbst entwickelt hast. Man kann z.B. Kantianer sein und trotzdem in einem eigenen Meinungsbildungsprozess darauf gekommen sein, dass das für einen persönlich die beste Position ist und nicht eine beispielsweise an Schopenhauer orientierte Position. Dafür muss man sich aber eben im Rahmen dieses Prozesses mit beiden Positionen auseinandergesetzt haben, darin liegt die eigentliche Arbeit, nicht unbedingt darin, etwas von Grund auf neues erschaffen zu haben.
Dass man dann in einer Argumentation nicht sagt "sehe ich so", sondern "steht bei Philosoph XYZ da und da", ist dann nicht unbedingt ein Zeichen fehlender Selbstständigkeit. Man muss ja auch dafür verstanden haben, was XYZ warum gesagt hat und das an den Kontext der jeweiligen Diskussion anschließen können. Außerdem ist, neben der Redlichkeit, den Erfinder anzugeben, damit auch gleich für Andere viel leichter eine Auseinandersetzung mit dem Thema möglich, weil sie entsprechende Gegenargumente auf XYZ in der akademischen oder feuilletonistischen Diskussion finden können. Es ist natürlich toll, wenn man es schafft, sich mit einem philosophischen Werk selbstständig so auseinanderzusetzen, dass man auf alle wesentlichen Schwächen von alleine stößt, aber meiner Meinung nach hat für ausschließliche Primärquellenarbeit nicht mal der Philosophiestudent Zeit. Da ist es schon hilfreich, irgendwo und zur Not in Wikipedia lesen zu können "XYZ's Position ist nahe an der von ABC und DEF", da kann man gleich mal filtern, wenn man schon von früher weiß, dass ABC und DEF ziemlich sinnvolle Sachen gesagt haben (oder eben das Gegenteil).
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Fr 15. Jun 2012, 07:11

stine hat geschrieben:Das ist richtig. Meine Erfahrung zeigt allerdings, dass die eigene Meinung selten gefragt ist, sofern nicht irgendein akademisch gebildeter Vorreiter nicht zufällig schon mal dieselbe hatte. Dass so einer die Meinung erst später bekommen könnte hilft nichts, weil man sich nicht bei der Veröffentlichung der eigenen Meinung schon darauf berufen konnte.


Ist mir zunehmend egal, weil es ja um Fragen geht, die ich für mich klären will. Dabei sind die Anregungen anderer hochwillkommen. Meine Erfahrung ist, dass die meisten Fragen von anderen schon außerordentlich gründlich behandelt wurden, das was ich durchaus auch als eigene Originalität kenne, ist nicht selten eine Ungenauigkeit des Denkens gewesen.

stine hat geschrieben:Eine eigene Meinung haben ist schon in der Schule nur dann zulässig, wenn man sie sich irgendwo intelligent zusammen gekupfert hat.


Diese Erfahrung habe ich in der Schule leider auch gemacht.

stine hat geschrieben:Da bleibt nicht mehr viel Luft für eigene Meinungen, denn wer sich als Urheber einer solchen outet und nicht stante pede die Quellen seiner Meinung mitzitieren kann, hat schon verloren.


Nein, dafür gibt es Argumente und diverse Instrumentarien um die Gültigkeit derselben zu untersuchen. Ich sehe gerade, Nanna hat das schon geschrieben, ich schließe mich ihm an.

Nanna hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Mit einigen Themen bin ich wirklich durch im besten Sinne, bei anderen auf einem guten Weg und bei wieder anderen stehe ich völlig am Anfang.

Finde ich beneidenswert. Ich habe persönlich nur wenige Themen, mit denen ich wirklich "durch" bin. Bei einigen habe ich allerdings das Gefühl, dass sich eine gewisse Haltung herausbildet und verfestigt, die sich wahrscheinlich nicht mehr radikal ändern wird. Mir geht's im besten Popper'schen Sinne so, dass ich mit der Entdeckung neues Wissens auch dauernd realisieren muss, wie viel Unwissen es noch gibt. Es gibt einfach verdammt viel interessantes Zeug auf der Welt.


Das stimmt. In einem anderen Forum hat es mal jemand schön auf den Punkt gebracht: Eine neue Erkenntnis hat sechs neue Fragen im Schlepptau, das sehe ich auch so.
Aber es gibt auch eine andere Seite: Wieviel ist 3 + 4? Bist Du sicher, dass Du die Antwort weißt, oder musst Du erst nachschauen oder jemanden fragen? Du bist sicher und brauchst keine äußere Bestätigung mehr. Man kann anerkennen, dass die Mathematik ein willkürliches System ist, das auch anders aufgebaut sein könnte, ist sie aber nun mal nicht und wenn man sich im Rahmen dessen bewegt, was Mathematik ist und einige Regeln kennt, kann man sich sicher sein.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Fr 15. Jun 2012, 09:38

Vollbreit hat geschrieben:Wieviel ist 3 + 4? Bist Du sicher, dass Du die Antwort weißt, oder musst Du erst nachschauen oder jemanden fragen?
Das ist ein schönes Beispiel an dem sich gut erklären lässt, was ich meine:
Meine Tochter musste schon in der ersten Klasse den Zahlenraum bis 20 "beherrschen" (ich muss nicht extra betonen, dass das wieder mal ein theortisches Spektakel für eine Generation verschaukelter Grundschüler war). Fazit: Sie lernte die Ergebnisse der Rechnungen über den 10er auswendig, weil sie es noch nicht "begriffen" hatte, wie sie die Zahlen teilen muss, wenn diese den Zehnersprung überwinden müssen. Dabei ist sie nicht dumm, denn schon als Zweijährige hatte sie verstanden, wenn sie zwei Kissen auf dem Sofa hatte und fünf wollte, dann muss sich sich drei dazuholen. Diese Rechnung hat sie selber aufgestellt und selber aus dem Stegreif gerechnet.
Was will ich damit sagen?
Was Vordenker zu Papier gebracht haben nützt uns nichts, wenn wir nur mit ihren Ergebnissen haussieren gehen. Wir müssen das auch verstanden haben. Verstehen und Begreifen ist ein mehr und mal weniger langer Erfahrungsprozess. Und auf das selbe Ergebnis kommen, das sich ein anderer schon vorher erarbeitet hat, würde vielleicht den langen Weg erspart haben, hätte man sich im Vorfeld besser informiert, aber für die Entscheidungsfindung ist das Selberdenken der bessere Weg.
Mir persönlich geht es oft so, dass ich Philosophen lese und mir denke: Ja, genau, da hat er recht, ich hätte es nicht besser ausdrücken können und er "bestätigt" damit meine Erkenntnis, er löst sie nicht aus! Und das ist ein Unterschied.

Dass Nachdenken nur über Impulse ausgelöst wird ist allerdings selbstverständlich.

LG stine
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Vollbreit » Fr 15. Jun 2012, 14:39

stine hat geschrieben:Was Vordenker zu Papier gebracht haben nützt uns nichts, wenn wir nur mit ihren Ergebnissen haussieren gehen. Wir müssen das auch verstanden haben.


Völlig richtig, das ist genau der Unterschied zwischen dem Zustand, in dem einfach ein Programm abläuft und dem Zustand der Handlung oder des Reflexion. Man könnte begründen, warum man tut, was man tut.

stine hat geschrieben:Mir persönlich geht es oft so, dass ich Philosophen lese und mir denke: Ja, genau, da hat er recht, ich hätte es nicht besser ausdrücken können und er "bestätigt" damit meine Erkenntnis, er löst sie nicht aus! Und das ist ein Unterschied.


Ja, manchmal ist es so, dass Philosophen (und andere Käuze) einen auf sehr Naheliegendes hinweisen. Manchmal erweitern sie aber auch das Denken in ganz ungewohnte Richtungen.
Dauert dann (bei mir) ewig, bis ich richtig verstanden habe, was die überhaupt wollen.
Manchmal verstehe ich es und denke, wow, manchmal verstehe ich es und denke mir, wozu?, manchmal verstehe ich den Clou einfach nicht.

Ist halt auch ne Frage, was man sich da geben will, ein bekannter von mir hat ne Dissertation über Hegels Phänomenologie geschrieben, ich habe ihm dann gestanden, dass ich nach 5 Seiten Vorwort frustriert abgebrochen habe, er meinte darauf er hätte für die ersten 3 Seiten mehrere Wochen gebraucht – also nur lesen und verstehen – da war ich dann wieder etwas beruhigt.

Andere sagen die Phänomenologie sei komplett unleserlich, ich finde es aber gerade spannend in so schräge Welten einzudringen und sei’s nur, um zu verstehen, wie man auch denken kann.
Das ist dann der Lohn fürs komplexere Denken, wenn die Strafe sein sollte, keine Ruhe zu finden.
(Auch was die Rechnerei angeht, gibt es noch ganz ekelhafte Wendungen, aber da es hier niemand erwähnt hat…)

Also, nach diesem Exkurs wieder zurück, zur wohlgegründeten dauernden Erde und zum Journalismus. Ich denke das ist wirklich so eine Selbstbespaßungsschleife, die aber auch okay ist, weil man von diesem sicheren Terrain aus, viel eher bereit ist, Vorschläge anzunehmen und sich irritieren zu lassen. Andersrum ginge es schneller und besser, macht aber niemand, da stehen halt die Emotionen im Weg.

Das könnten gute Journalisten machen: Bericht erstatten und uns mitnehmen in neue, noch nicht bekannte, Welten. Dichter, Mystiker und Philosophen können das vielleicht besser, aber Journalisten haben da eher eine Funktion des Brückenbauers.
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon stine » Fr 15. Jun 2012, 19:00

Nochmal die Eingangsfrage beantworten: "Was macht guten Journalismus aus und was nicht?"
Wo wir schon so weit gekommen sind: Einen guter Journalist versteht etwas von der Sache, über die er berichten soll. Ein Journalist, der weiß wovon er schreibt, bringt die Thematik besser rüber. Das Erklärenkönnen und das Berichterstatten ist nur möglich, wenn man es selbst begriffen hat.
Ich denke jetzt gerade an die Bankenkrise und den Euroschlamassel: Man hat oft das Gefühl, dass die Hintergründe so komplex sind, dass niemand mehr versteht, wie wir eigentlich bis hierher kommen konnten und warum keiner vorher erkannt hat, wohin die Reise geht und alle rechtzeitig gewarnt und aufgeklärt hat? (Außer Gandalf und seine Kritiker :wink: )

usw. stine
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Re: Was macht guten Journalismus aus und was nicht?

Beitragvon Nanna » Fr 15. Jun 2012, 23:45

stine hat geschrieben:Man hat oft das Gefühl, dass die Hintergründe so komplex sind, dass niemand mehr versteht, wie wir eigentlich bis hierher kommen konnten und warum keiner vorher erkannt hat, wohin die Reise geht und alle rechtzeitig gewarnt und aufgeklärt hat? (Außer Gandalf und seine Kritiker :wink: )

Das Problem ist, dass niemand weiß, wohin die Reise geht. Komplexe soziale Entwicklungen entfalten sich nach dem der [url=http://de.wikipedia.org/wiki/Pfadabhängigkeit]Pfadabhängigkeit[/url] (Korrigierter Link: Pfadabhängigkeit - 1v6,5M), das einerseits zwar dazu führt, dass einmal eingeschlagene Pfade weiter gegangen werden, weil sie "ausgetreten" werden und sich nicht mehr so leicht korrigieren lassen, das aber auch andererseits sehr viele zufallsbasierte Entscheidungsstellen hat, an denen das System in die eine oder andere Richtung kippen kann, ohne dass man irgendwas vorhersagen kann. Aufklärung im Sinne einer knackigen Warnung, die nach dem Wenn-Dann-Muster die Konsequenzen bestimmter Entscheidungen vorhersagt, so dass man diese vermeiden könnte, ist schlichtweg nicht möglich. Ich habe hier auch schon öfter mal erläutert, dass und warum das Entscheidungsverhalten in bürokratischen Systemen unauflösbaren Ambiguitäten unterliegt (d.h. mehrdeutigen Interpretationsmöglichkeiten ein und derselben Faktenlage, die durch einen Hinzugewinn an Information nicht eindeutiger lösbar wird, aber unter Zeitdruck beantwortet werden muss).

Das heißt natürlich nicht, dass Auf- und Erklären sinnlos wären. Journalisten sollten aber so ehrlich sein, die Grenzen der Erklärungskraft ihrer Beiträge anzusprechen und nach Möglichkeit auch Vorschläge zu machen, wie wir damit umgehen können. Für mich wäre das ohnehin das wichtigere Thema als "Welche Strategie führt uns jetzt ganz genau aus der Eurokrise? Zehn dumme Fragen und acht hilflose Antworten.", dass wir uns überlegen, wie wir als Gesellschaft mit solchen Unsicherheiten umgehen können, ohne uns den berühmten einfachen Lösungen extremer, selektivistischer Weltbilder hinzugeben oder in Kontrollwahn zu verfallen. Was jetzt nicht heißen soll, dass ich die fachkundige (!) Erläuterung der Eurokrise für überflüssig halte, ganz im Gegenteil! Man erkennt den Fachkundigen aber eben häufig daran, dass er eher undogmatische Antworten gibt und einen eben nicht mit dem Gefühl zurücklässt, jetzt auch wirklich alles verstanden zu haben. Eher sollte die Konfrontation mit einer fachkundigen Meinung dazu führen, dass man sich der Komplexität des Themas bewusst wird, ohne zu verzweifeln oder sich komplett ahnungslos zu führen. Wenn der Fachmann oder Journalist eine realistische Sichtweise des Machbaren (das kann durchaus auch mal visionäre Elemente beinhalten) vermitteln können, ist das eigentlich schon das Maximale dessen, was ein Medienbeitrag erreichen kann und soll. Finde ich.


(Edit: Ich steh gerade auf dem Schlauch. Kann mir bitte mal jemand sagen, was ich bei dem URl-BB-Code für die Pfadabhängigkeit falsch mache?!)
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