Wozu dient der Gottesbegriff?

Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Darth Nefarius » So 8. Jul 2012, 09:33

Lumen hat geschrieben:...Und erklärt dessen Sichtweise so, dass Wissenschaftler mit einem neuen Paradigma die Lehrstühle der verstorbenen Wissenschaftler mit altem Paradigma übernähmen und man würde die Welt dann so sehen, wie sie.

Wieder ein gewaltiger Mangel an Selbstreflexion, nicht wahr?
Lumen hat geschrieben:Also Wissenschaft als Betrieb der Authoritätsargumente, wo Leute nur den "gewaltigen Annahmen" anhängen, dass es Wirklichkeit mit Gesetzmäßigkeiten gibt —deshalb, so meint er— sei es also auch völlig rational Augenzeugen von vor 2000 Jahren zu glauben ("sehendes Vertrauen"). Augenzeugen wohlbemerkt, die Zauberkräfte und Götter gesehen haben wollen.

Das habe ich nicht verstanden, welche Augenzeugen? Lebt denn noch einer? Wo sind die Aufzeichnungen? Soweit ich weiß, sind die ältesten Schriftstücke der Bibel allesamt jünger als 2000 Jahre und können nur von Leuten aus "dritter Hand" geschrieben worden sein. Zudem widersprechen sich die Evangelien in Details, ganz zu schweigen von den Apokryphen.
Lumen hat geschrieben: Ohne Wirklichkeit und Naturgesetze, auch kein Jesus. Und den Jesus kann man ohne Not weglassen, oder wie in anderen Erdteilen durch andere Figuren austauschen. Da gabs auch "Augenzeugen", heilige Texte. Also Schmachmatt an dieser Stelle.

Das habe ich auch nicht verstanden, inwiefern ist die "bewiesene" Existenz von Jesus denn ein Argument für den Glauben an Gott? Mir sagt das nur, es gab schon vor 2000 Jahren Wirrköpfe, die Sekten gründeten und sich gerne töten ließen (Märtyrertum).
Lumen hat geschrieben:Ich halte mich mit der Bewertung eben mal ganz stark zurück. Sagen wir mal so. Wenn das der Stand der Dinge ist, wie ja längst vermutet, dann "Gute Nacht!" Christentum. Zugute halten will ich ihm, dass er Dawkins Positionen recht sauber wiedergegeben hat und dabei fair geblieben ist. Ansonsten schon erstaunlich, wie berechenbar das abläuft. Aber seht einfach selbst...


Ich werde mir das angucken, aber du hast es dir doch, meine ich, angeguckt, um zu erfahren, wie deine "Warum-Fragen" von der anderen Seite erklärt werden. Dich hat das offensichtlich nicht zufiredengestellt, aber war das nicht zu erwarten? Ja, es kann wirklich so einfach sein, dass sie sich selbst nicht besser analysieren können als wir, ihre Beweggründe nicht erfassen können, mangels Selbstreflexion und Rationalität.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » So 8. Jul 2012, 09:56

ujmp hat geschrieben:"Näherung" setzt aber ein Ziel voraus, und dieses Ziel ist die angenommene, von mir unabhängige Realität. Wir müssen so bescheiden sein und unsere Vorstellungen als vorläufig ansehen. Was der Indikator ist hab ich ja schon zig mal erklärt: Aus einer Theorie müssen sich Erwartungen ableiten lassen, die stimmen.


Das ist soweit in Ordnung.
Wofür ich Deinen Blick schärfen möchte, ist die Idee, dass es dabei um Modelle geht, wie wir uns Welt erklären, nicht wie Welt oder Realität wirklich ist.
Im Grunde gibt es für Carnaps „Glücksfall“, ich zitiere die Kritik von Adorno daran noch einmal, damit neuere Leser wissen, worum es geht:

Adorno hat geschrieben:„Carnap, einer der radikalsten Positivisten, hat es einmal als Glücksfall bezeichnet, dass die Gesetze der Logik und der reinen Mathematik auf die Realität zutreffen. Ein Denken, das sein ganzes Pathos an seiner Aufgeklärtheit hat, zitiert an zentraler Stelle einen irrationalen – mythischen – Begriff wie den des Glücksfalls, nur um die freilich an der positivistischen Position rüttelnde Einsicht zu vermeiden, dass der vermeintliche Glücksumstand keiner ist, sondern Produkt des naturbeherrschenden oder, nach der Terminologie von Habermas „pragmatischen“ Ideals von Objektivität. Die von Carnap aufatmend registrierte Rationalität der Wirklichkeit ist nichts als die Rückspiegelung subjektiver Ratio.“
(Adorno in „Der Positivismusstreit in der Deutschen Soziologie“, Luchterhand, 1972, S.30)


Worin besteht der Glücksfall, noch mal mit anderen Worten: Die durch Zeit und Zufall entstandenen Primaten vom Ende der Welt begannen irgendwann zu sprechen. In diese Sprache eingeflochten, ist eine logische Struktur. Logik ist nichts, was ein par 1000 Jahre später erfunden wurde, die immer schon in der Sprache liegende logische Struktur wurde lediglich ausdifferenziert und gesondert untersucht, ähnlich wie bei der Grammatik, wo niemand daherkam und sagte: „Lass uns mal Hauptwörter erfinden“. Diese Logik, es hätte auch jede andere sein können, passt nun eigenartig gut zur Natur, so gut, dass Berechnungen am Zettel, Prognosen über empirische Sachverhalte zulassen, die Geschichte mit Einstein und dem Merkur, dessen Gravitation das Licht eines dahinterliegenden Sterns wie durch eine optische Linse ablenkte.

Wie kommt das eigentlich, dass die zufällige Logik (es gibt beliebig viele andere Logiken), zufälliger Primaten, so erstaunlich gut zur empirischen Welt passt?
Mir fallen 3 mögliche Antworten ein.

Erstens, könnte Gott in seiner Weisheit dem Menschen genau die Logik gegeben haben, die die Welt am besten beschreibt. Möglich, ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich.

Zweitens, könnte es sein, dass das Universum eine durch und durch logisch-mathematisch-rationale Maschine oder Angelegenheit ist, deren geheime Naturgesetze wir zwar nicht alle kennen, aber wir kennen einige und aus dem was wir kennen, dürfen wir schließen, das auch der Rest vollkommen gesetzmäßig abläuft.
Von Beginn des Universums an gibt es Naturgesetze, die wir nach und nach entschlüsseln, in kleinen Schritten, durch Irrtümer, die jedoch letztlich der Wahrheit immer näher kommen, dass es immer bessere Irrtümer sind. Das müsste Deiner Variante entsprechen und die ist nicht ohne Charme.

Jedoch auch nicht ohne Probleme: Dieses Universum hätte im Grunde keinen Raum für echte Zufälle.
Zufall wäre eine Gesetzmäßigkeit, die wir noch nicht erkannt haben und auch wenn in chaotischen Systemen minimal veränderte Anfangsbedingungen starke Abweichungen bei den Endergebnissen produzieren, so heißt das in keinem Fall, dass diese Systeme wirklich chaotisch sind, sie sind im Gegenteil hoch geordnet. Weder Wetter, noch Lottozahlen, noch radioaktiver Zerfall, noch Mutationen sind echte Zufälle, nichts davon findet außerhalb der Naturgesetzlichkeit statt.
Wenn dem so ist, ist das Universum dann nicht vollkommen determiniert?
Und wenn das der Fall sein sollte, inwieweit ist es wahr, dass die Evolution ungerichtet ist?
Wäre dann nicht die religiöse Intuition eines Universums, das determiniert ist, durch Gott oder karmische Bezüge oder eine andere Form der Ordnung zumindest näher an der Wahrheit, als die Vision eines ungerichteten Universums?
Das alles würde in sich zusammenfallen, wenn es echte Zufälle gibt (die mehr oder anders sind, als Gesetzmäßigkeiten, die wir nicht beschreiben können), ich finde es nur schwierig zu beschreiben, wie diese Zufälle aussehen sollen.

Drittens, könnte es sein, dass Adorno und Habermas richtig liegen, die, an Kant anknüpfend, behaupten, dass sowohl unser Blick in die empirische Welt, als auch die inneren Gesetzmäßigkeiten der Logik, durch uns in die Welt projiziert werden (die „Kategorien“ bei Kant, die „Rückspiegelung subjektiver Ratio“ bei Habermas/Adorno). Das würde den Glücksfall, ein geniales und hochgradig unwahrscheinliches Zusammentreffen von „Gegebenem“ (empirische Welt) und „Erfundenem“ (Logik und Mathematik) freilich entzaubern. Naturbeobachtung wäre dann Selbstbeobachtung, was wir dort finden, ist genau das, was uns unsere Psyche zu finden erlaubt, es sind „die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis“ (Kant), die hier die Grenzen setzen.

Was die Bedingungen von einer Wahrheit oder Realität angeht, müssten wir freilich bescheidener werden. Wenn’s so schön passt, wäre das mitnichten ein Hinweis auf die Realität dahinter, sondern lediglich auf die Lebenswirklichkeit der Gemeinschaft der Subjekte.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wir können unsere Näherungen aber auf ihre Zweckmäßigkeit hin beurteilen, verbessern oder ggf. fallen lassen.


Ja, beim Feuermachen und Eierkochen. Aber beim Gottesbegriff?

Da genau so, davon rede ich ja die ganze Zeit: Fallen lassen!


Gut, beim Ich, beim freien Willen, bei den Fragen nach Zeit, Kausalität und so weiter?
Es ist schon richtig, man braucht sich um all das nicht zu kümmern, die meisten Menschen tun es ja auch nicht. Nur ist die Anweisung bestimmte Fragen einfach aus dem Leben auszublenden und sich auf Brot und Spiele und Eierkochen und Schalter umdrehen zu beschränken, im Grunde eine totale Absage an Philosophie und Wissenschaft.

Unbegründet bleibt auch, warum man das tun sollte. Liegt für einige nicht genau darin der Reiz?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:aber dass ja/nein Kategorien ihre Grenzen haben.

Ja natürlich, aber welche Grenzen denn? Ich warte immer noch auf eine eigene Meinung von dir!


Die Welt wird dann schwarz oder weiß und es gibt nichts dazwischen. Man sitzt im der eigenen Zwangsjacke, ausgeliefert dem Taumel der Affekte.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ein Begriff mit veränderlichem Inhalt ist für eine Diskussion ziemlich unbrauchbar, meinst Du nicht?

Deshalb diskutiere ich ja auch nicht über "Natur" das "Ganze" usw. - du wolltest das machen!


Eigentlich diskutierst Du gar nicht, denn bei allem was über die Alltagspraxis hinausgeht, biegst Du wieder zum Eierkocher und Lichtschalter ab. Gewiss, man muss das nicht tun und ich würde sogar jedem der in der Gefahr steht den Boden unter den Füßen zu verlieren, raten sich erst mal ein paar Jahre genau mit den Herausforderungen des Alltags auseinanderzusetzen. Das erdet und tut gut, aber dennoch scheint es Menschen zu geben, die das Bedürfnis verspüren, mehr wissen zu wollen.
Andere steigen auf Berge oder durchstoßen andere Grenzen.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aha, und darum lehnst Du das Über-Ich ab?
Könnte es auch daran liegen, dass Du nicht sehr viel darüber zu sagen weißt?
Egal, ist eine spezielle Geschichte, die man nicht kennen muss.

Ich hab noch zu DDR-Zeiten drei Bände Sigmund Freud gelesen. Da war ich zwar sehr Grün hinter den Ohren und bin dann ziemlich lange mit falschen Meinungen herumgelaufen. Ich nehme bis heute jeden Kommentar zu Freuds Lehren mit Interesse auf. Das sind aber seit langem schon nur noch kritische Kommentare.


Freuds Vorstellungen vom Über-Ich sind längst nicht mehr allein maßgeblich in der Psychoanalyse.
Sie sind nicht völlig vom Tisch, aber wurden ergänzt, vor allem durch Melanie Klein, die zeigen konnte, dass das Über-Ich nicht erst in der ödipalen Phase (auch das Phasenmodell wurde kassiert) so vom 4. bis 6. LJ entsteht, sondern bereits im 1. Lebensjahr angelegt ist, durch die Art und Weise, wie das Kind seine Umwelt erlebt. Die andere Ergänzung erfuhr Freuds Modell durch Edith Jacobson, die zeigen konnte, dass sich das Über-Ich aus drei Schichten aufbaut, wiederum gemäß der Art, wie das Kind seine Mitwelt erlebt, erst willkürlich eingreifend (erste Schicht der Verbote), dann mit der Möglichkeit ein ideales, perfektes Kind zu werden (zweite Schicht, wenn das Kind Gebote verstehen kann) und schließlich eine realistische Schicht, die die ersten beiden ausbalanciert, so dass im besten Fall ein Fehler nicht als Untergang der Welt erlebt wird und man gleichzeitig zur realistischen Selbstkritik fähig ist und nicht grandios und perfekt bleiben muss.


ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Wie ein Vergleich aussieht? Ich vergleiche die Größe von zwei Blättern Papier, in dem ich sie genau übereinanderlege und prüfe, ob eines übersteht. Meine Erwartung ein gleichgroße Bögen ist, dass ich mit bloßem Auge keinen Unterschied wahrnehme.


Du verstehst nicht worum es geht. Du sagst, vergleichen ist, wenn man vergleicht. Das ist richtig, aber absolut nichtssagend. Über-Ich ist, wenn man das Über-Ich merkt.
.

Es gibt hoffentlich gewieftere Erwiderungen auf meine Sichtweise. Mit "nichtssagend" meinst du wohl, dass es nicht das sagt, was du hören möchtest. Das Intelligente an meiner Darstellung ist, dass ich mich auf die Erwartung beziehe. Das entzieht der philosphischen Sophisterei den Boden. Die Brisanz von dieser Idee wurde hier leider nur noch nicht gewürdigt. :mg:


Dass eine Tautologie nichts erklärt, ist keine Sophisterei.
Komm mal runter, Du gibst doch immer den Bescheidenen.
Wenn Du an Deine Grenzen stößt, meinst Du immer, die anderen würden Deine genialen Einfälle nicht verstehen, versuch’s mal mit der naheliegenderen Deutung, dass Du da was aufzuholen hast.
Ist ja nicht schlimm, nur so lernt man, aber nicht wenn man sich dagegen sperrt.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Kausalität? Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss rum, und der Motor springt - wie erwartet - an. Wo kann ich dir sonst noch weiterhelfen?


Das ist also Kausalität? Da müht sich alle Welt so ab und dabei ist es so einfach.

Du hattest mich aufgefordert, auf Kausalität zu zeigen und nicht dazu zu sagen, was Kausalität ist. Ich vermute eher ein indeterministisches Universum der Propensitäten. Als Näherung im oben beschriebenen Sinn ist das Kausalitätsmodell aber praktikabel.


Das ist ein spannender Punkt, den ich gerne weiter diskutieren würde.
Wie stellst Du Dir ein indeterministisches Universum vor?
Je mehr ich darüber nachdenke, im Zuge der Willensfreiheitsdiskussion geschehen, umso weniger Raum sehe ich für den Indeterminismus.
Vor allem würde mich hier interessieren, wie Indeterminismus und Naturgesetze, die vermutlich auch Deiner Meinung nach immer und überall gelten, zusammen zu denkensind.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Deine Kategorisierungen klingen nicht sehr kompetent. Und wir haben hier wieder die nervige Gehaltserweiterung meiner Aussagen. Du ziehst dich immer wieder auf die Verallgemeinung meiner Aussagen zurück. Das ist ein Strohmann.


Du widersprichst Dir in einer Tour und merkst das nicht mal, kehr erst mal vor der eigenen Tür, Du prüfst doch angeblich Deine Einstellungen, viel ist davon nicht zu merken..

Du konnest mir, so weit ich sehe, keinen Widerspruch nachweisen.


Es ist vollkommen müßig irgendwem Widersprüche nachweisen zu wollen.
Du oder Ich haben auch Darth bisher nie einen einzigen Widerspruch nachweisen können, er zieht hier völlig unbeirrt (und unbeirrbar) seine Runden. Es ist auch völlig in Ordnung, dass die Psyche die eigene Sichtweise schützt, wäre man sich 24/7 all der Inkonsistenzen usw. bewusst mit denen man durchs Leben geht, das wäre kein gutes Gefühl. Nur im philosophischen Diskurs und anderen Bereichen gelten eben andere Spielregeln, da geht es sich darum, das eigene Wohlgefühl zu kultivieren, sondern hier hätte man die Chance zum Erkennntiszuwachs, wenn man sich drauf einlassen kann.
Ich glaube es ist vollkommen normal, dass man wie ein Verrückter um die Richtigkeit der eigenen Einstellungen kämpft, manche schaffen den Schritt daraus, andere nicht.
Ein innerer Indikator ist, ob Kritik – in der Sache, nicht auf die Person bezogen – als Bereicherung empfunden wird, oder eher als Angriff. Wenn Du Dich angstvoll darauf zurückziehst, dass Dir ja bisher niemand einen Fehler nachweisen konnte, dann hast Du nicht mal Popper richtig verstanden. ;-) Dass kann Dir jeder Gläubige mit Fug und Recht auch um die Ohren hauen, Du kannst ihm nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt und das stimmt.

Aber genau darum sind, „du kannst mir nicht das Gegenteil beweisen“ Aussagen auch so fruchtlos.
Und die Frage im Anschluss an Wittgenstein (Woran erkennst Du, dass Du „Schmerz“ richtig benennst? - Ah, hier kann ich mich sofort erfreut selbst korrigieren, ich sehe, dass Du eine eigene, lnage antwort geschrieben hast) hast Du wieder verschludert, wie Du übrigens die meisten heißen Eisen gekonnt umschiffst. Ich habe keine Lust Dir Dein Weltbild zu zerdeppern, wenn Dir das Kummer und Not bereitet, wirklich nicht, nur wer sich auf den Diskurs einlässt, muss eben auch ab und zu seine Position kritisieren lassen und jenseits aller Schmerzen und Krämpfe die es bereitet sich eigene Irrtümer und Unzulänglichkeiten einzugestehen, wartet immerhin der Lohn zu erkennen, dass Kritik bereichernd erlebt werden kann, wirklich als Geschenk.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » So 8. Jul 2012, 10:24

Lumen hat geschrieben:
Ich halte mich mit der Bewertung eben mal ganz stark zurück. Sagen wir mal so. Wenn das der Stand der Dinge ist, wie ja längst vermutet, dann "Gute Nacht!" Christentum. Zugute halten will ich ihm, dass er Dawkins Positionen recht sauber wiedergegeben hat und dabei fair geblieben ist. Ansonsten schon erstaunlich, wie berechenbar das abläuft. Aber seht einfach selbst...

Das ist so das Niveau von Bibelkreisen, wo auch mal ein schnarchender Zahnarzt oder eine Lehrerin mit dabei ist. Mit einer Lehrveranstaltung hat das nichts zu tun, es fehlt die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Positionen, das ist mehr ein Predigt.

Dawkins Multiversen-Argument ist ja irrelvant in bezug auf die Gottesfrage. Der Redner kritisiert die Willkür der Multiversen-Theorie um damit die Willkür der Gottestheorie zu rechtfertigen. Not even clever! Im Ganzen sind es viele unfertige Gedankengänge, Strohmänner und Missverständnisse. Das ist mir zu oberflächlich um darauf näher einzugehen.

Bloß mal zu seinem Erschießunggleichnis: Dass alle Kugeln an mir vorbeigegangen sind, ist ein Rätsel - aber warum sollte die Lösung des Rätsels ausgerechnet Gott sein? Der junge Mann sollte seine eigenen Gedanken mal ordenlich zu Ende denken! Wenigstens seine Hörer sollten es tun!

Als ich ein junger Chrsit war, hab ich mir auch solche, teilweise noch primitivere Sachen angehört. Ich dachte immer, ich hätte es nur nicht richtig verstanden oder er hat seine Autoritäten nur nicht richtig verstanden und irgendwann wird sich das alles klären, im Prinzip hat er bestimmt recht. So bin ich sehr lange mit einer festen Überzeugung rumgelaufen, die nur auf vagen Vorstellungen beruhte - weil ich diese Überzeugung liebte. Das war auch einem Mangel an philosophischer Bildung geschuldet. Man darf sich nicht vom schönen Schein der Rede blenden lassen. Jede Unklarheit muss wie eine Alarmglocke leuten und nicht aufhören, bis sie beseitigt ist. Und wenn sich etwas nicht klar sagen lässt, ist das nicht Weisheit, sondern meist Beschiss.

"Was du nicht selber weißt, weißt du nicht. Prüfe die Rechnung, du mußt sie bezahlen." (Brecht)
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » So 8. Jul 2012, 11:42

Vollbreit hat geschrieben:Wofür ich Deinen Blick schärfen möchte, ist die Idee, dass es dabei um Modelle geht, wie wir uns Welt erklären, nicht wie Welt oder Realität wirklich ist.

Das habe ich auch nie behauptet. Das habe ich so von Kant, Schopenhauer und Popper gelernt.

Vollbreit hat geschrieben:
Worin besteht der Glücksfall, noch mal mit anderen Worten:

Er besteht darin "dass die Katze zufällig zwei Löcher genau an der Stelle im Fell hat, wo die Augen sind!" (Harald Lesch)
Die Logik ist ein Modell von dem überhaupt nicht gesagt ist, ob es a) nicht Alternativen gibt und ob es b) ein vollständiges Modell ist. Dinge, die dieses Modell nicht modelliert, nehmen wir evtl. schlicht nicht wahr. Die "Folgerichtigkeit", die in der Logik die Hauptrolle spielt, ist vermutlich der Kausalität nachgebildet: Wenn...Dann.... - Was m.E. belegt, dass es etwas gibt, wofür "Kausalität" eine gute Näherung ist. Deshalb ist die Logik kein Zufall. Wie überall in der Evolution mag die Entstehung dieses Modells ein Zufall gewesen sein. Es werden aber unzählige Modelle so entstanden sein, die sich aber nicht durchgesetzt haben, weil sie nicht brauchbar waren. Sobald eine Eigenschaft durch zufällige Mutation entstanden ist, ist es dann kein Zufall mehr, wenn sie sich durchsetzt. Schon die ersten Organismen mussten bestimmte Wenn-Dann-Regelkreise enthalten, die es ihnen ermöglichen auf die Umwelt zu reagieren.

Wir kennen vorallem keine brauchbaren Alternativen.


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Da genau so, davon rede ich ja die ganze Zeit: Fallen lassen!


Gut, beim Ich, beim freien Willen, bei den Fragen nach Zeit, Kausalität und so weiter?
Es ist schon richtig, man braucht sich um all das nicht zu kümmern, die meisten Menschen tun es ja auch nicht. Nur ist die Anweisung bestimmte Fragen einfach aus dem Leben auszublenden und sich auf Brot und Spiele und Eierkochen und Schalter umdrehen zu beschränken, im Grunde eine totale Absage an Philosophie und Wissenschaft.
Unbegründet bleibt auch, warum man das tun sollte. Liegt für einige nicht genau darin der Reiz?

Wenn du nicht weiß, was ein freier Wille sein soll, dann hast du auch keine Problem damit, die Idee fallenzulassen. Ich rede nicht von Brot und Spielen, sondern von Raumfahrt und Medizin, Wissenschaftsbereiche, in denen nach einer ganz simplen Logik geforscht wird. Oder nenne mir doch mal ein Gegenbeispiel!
Du möchtest es gerne kompliziert haben, weil die die übersichtliche Logik zu stringent ist! Aber neben irellevanter Nörgelei habe ich noch keine Widerlegung von dir vernommen.

Vollbreit hat geschrieben:Die Welt wird dann schwarz oder weiß und es gibt nichts dazwischen. Man sitzt im der eigenen Zwangsjacke, ausgeliefert dem Taumel der Affekte.

Hypochondrisches Gerede! Natürlich stimmt es nicht.

Vollbreit hat geschrieben: aber dennoch scheint es Menschen zu geben, die das Bedürfnis verspüren, mehr wissen zu wollen.

"Wissen" ist das falsche Wort, "Wissen" ist ihnen viel zu langweilig. Was du meinst ist, dich aus den "Zwangsjacke" der Evidenz zu befreien, damit man willkürlich loslabern kann und dafür noch einen Dorktortitel bekommt.


Vollbreit hat geschrieben:Freuds Vorstellungen vom Über-Ich sind längst nicht mehr allein maßgeblich in der Psychoanalyse.

Freud ist überhaupt nicht mehr maßgeblich, das ist aber für unsere Diskussion irrelevant. Ein Modell wird auch in der Psychologie heute an seiner Vorhersagekraft gemessen.

Vollbreit hat geschrieben:Komm mal runter, Du gibst doch immer den Bescheidenen.
Wenn Du an Deine Grenzen stößt, meinst Du immer, die anderen würden Deine genialen Einfälle nicht verstehen, versuch’s mal mit der naheliegenderen Deutung, dass Du da was aufzuholen hast.
Ist ja nicht schlimm, nur so lernt man, aber nicht wenn man sich dagegen sperrt.

Kritisiere meine Gedanken konkret - wo ist der Fehler?
Oder konstruiere selbst ein konkretes Beispiel, bei dem meine Sicht versagen würde!

Vollbreit hat geschrieben:Das ist ein spannender Punkt, den ich gerne weiter diskutieren würde.
Wie stellst Du Dir ein indeterministisches Universum vor?

Wir sollten ertsmal deine Kritik an meinen anderen Sichweisen zu Ende denken.

Vollbreit hat geschrieben:Aber genau darum sind, „du kannst mir nicht das Gegenteil beweisen“ Aussagen auch so fruchtlos.

Ich hab dich nicht gebeten, mir ein Gegenteil zu beweisen, sondern mir den von dir behaupteteten Widerspruch zu zeigen.

Vollbreit hat geschrieben:wie Du übrigens die meisten heißen Eisen gekonnt umschiffst.

Sag mal ein Beispiel!

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe keine Lust Dir Dein Weltbild zu zerdeppern, wenn Dir das Kummer und Not bereitet, wirklich nicht, nur wer sich auf den Diskurs einlässt, muss eben auch ab und zu seine Position kritisieren lassen und jenseits aller Schmerzen und Krämpfe die es bereitet sich eigene Irrtümer und Unzulänglichkeiten einzugestehen, wartet immerhin der Lohn zu erkennen, dass Kritik bereichernd erlebt werden kann, wirklich als Geschenk.

Das sind Allgemeinplätze und lauter Unverbindlichkeiten. Du kritisierts ja überhaupt nicht, sondern behauptest bloß, dass meine Gedanken Denkern widersprechen, die du wahrscheinlich selbst nicht verstanden hast. Da bst du vom "Zerdeppern" noch weit entfernt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » So 8. Jul 2012, 11:46

ujmp hat geschrieben:Die Ausführungen sind allerdings etwas unklar. Was meinst du mit "Ob und wann der Begriff „Schmerz“ angemessen gewählt ist" - ich nehme an, du meinst ob das Wort „Schmerz“ angemessen gewählt ist.


Ja.

ujmp hat geschrieben:Erstmal etwas einfacher: Wenn ich die Verkäuferin um ein rotes T-Shirt bitte, und sie bringt mir das, was ich erwarte, hat sie das Wort rot so verstanden wie ich. Mit dem Schmerz oder dem Geschmack ist es prinzipiell genau so. Ich beobachte eine bestimmte Reaktion, wenn jemand in eine Zitrone beist und schließe daraus, dass er dasselbe empfindet wie ich, wir nennen es "sauer".


Alles richtig, aber schon zu weit.
Wann und woran würdest Du erkennen, dass Du einen Begriff (bisher) falsch benutzt hast?

ujmp hat geschrieben:Ich verstehe das menschliche Denken als Teil des menschlichen Organsimus. Für seine Funktion - also das Wie - ist es unerheblich, ob seine Eigenschaften unikat sind oder ob er sie mit anderen Organismen seiner Art gemeinsam hat oder ob er sogar die komplette Kopie eines Zwillings ist. In diesem Sinne ist es auch unerheblich, woher seine Begriffe kommen und inwiefern er sie mit anderen Menschen teilt.


Phänomenologisch oder lebenspraktisch okay, aber nicht erkenntnistheoretisch.

ujmp hat geschrieben:Diese "Bergiffsquellen" sind nicht mehr und nicht weniger Teil seiner Umwelt, als Wind und Wetter. Ein Organismus muss erstmal mit den Organen klarkommen, die er hat.


Nein, muss er überhaupt nicht, die tun zuverlässig ihren Dienst und selbst wenn sie es nicht tun, merkt man es erst durch den Vergleich mit anderen. Da sind die Konstruktivisten wirklich hilfreich, wenn sie sagen, dass es zwischen dem biologischen Anteil des Menschen und seinem Denken überhaupt keinen direkten Kontakt gibt. Deine Niere spricht eine andere Sprache als Deine Gedanken.

ujmp hat geschrieben:Sie ermöglichen es ihm in einer bestimmten Nische seiner Umwelt zu leben. Das ist mit erlernten Begriffswelten nicht anders, sie bilden den Organsimus des Denkens. Und genau so, wie ein Organ krank oder für betimmte Anforderungen untauglich sein kann, kann auch eine Begriffswelt krank oder untauglich sein.


Und woran erkennt man das? ;-)

ujmp hat geschrieben:Der Mechanismus der Evolution bewirkt, dass sich vorteilhafter gebaute Organe weitervererben. "Vorteilhaft" heißt in Bezug auf das Überleben in einer bestimmten Umwelt. Daher kann man unseren Organismus als hartverdrahtetes Modell unserer Umwelt betrachten. Das Auge ist ein Modell der Eigenschaften des Lichts, welches variable Eigenschaften aufweist, wie Wellenlängen und Intensität und auf bestimmte Weise Informationen über die Umgebung enthält, welche das Licht nämlich filtert, reflektiert und bricht. Es ist schon lange bekannt, dass die Wahrnehmung von Farben mit einer nicht trivialen Umrechnung erfolgt. Zwei unterschiedliche Spektren rufen z.B. einen ununterscheidbaren Farbeindruck hervor. Daraus kann man sehen, dass die Farben, und damit der Input unseres wichtigsten Sinnesorganes, kein Abbild der Natur sind im naiven Sinn, sondern ein Modell. Alle unsere Vorstellungen dürfen wir daher m.E. als Modelle betrachten, also als Näherungen = Anpassungen an eine bestimmten Zweck.


Ja, so könnte es sein.

ujmp hat geschrieben:Der Mechanismus der evolutionären Anpassung erfolgt durch das Trial & Error-prinzip. Ein Modell wird variiert und wenn es nicht funktioniert, wird es weiterentwickelt oder verworfen. Genau so funktioniert menschliche Forschung. Die Anerkennung der Tatsache, dass wir dabei ganz viele Errors machen müssen, nennt man Fallibilismus.

Es mag sein, das es gelegentlich nicht leicht ist, festzustellen, ob ein Error wirklich ein Error ist.


Nö, da sind die führenden Brights bereits weiter, die sagen, dass Religion einerseits ein Irrtum sein kann (muss ja so sein), aber paradoxerweise eben dieser Irrtum einen evolutionären Vorteil darstellt.
Man macht sich als religiöser Mensch ein „falsches“ Bild von der Welt, aber vielleicht hat diese einfache Wahrheit mehr Vor- als Nachteile. Die Erklärungsnot ist nun freilich die: Inwieweit ist denn etwas, was evolutionär besser abschneidet noch als „falsch“ zu deklarieren?
Die Evolution ist doch blind und ungerichtet, alles was zählt ist Nachkommen zu produzieren, die Nachkommen produzieren, ein richtig und falsch gibt es eigentlich gar nicht wirklich, nur eine bessere oder schlechtere Anpassung. Nun sind Religionen sehr gut angepasst, evolutionär gesehen ein tolles Modell. Einfach, kompakt, seit 1000en Jahren erfolgreich.

ujmp hat geschrieben:Das sind aber auch im Wissenschaftsalltag Grenzfälle. Die Kunst der Wissenschaft besteht ja gerade darin, solche Experimente zu erfinden, die entscheidbare Ergebnisse liefern. Im rein Logischen mag das nicht möglich sein. Aber wen interessiert schon, ob das Licht Wellen- oder Teilecheneigenschaft hat, wenn man trotz des unzulänglichen Modells der Quantenwelt damit ein Smartphone bauen kann? Die Kritik an der wissenschaftlichen Methode und ihrer Fehlbarkeit ist vollkommen überzogen. Es ist, im Lichte einer Gegenüberstellung mit den Alternativen, die beste Methode, die wir haben.

Aus der Sprachanalyse sind - m.W - dagegen keinerlei Erkenntnisse hervorgegangen - oder gibt es Welche?


Du bist dabei Wissenschaft und Philosophie allein auf Technik zu reduzieren. Fortschritt ist technischer Fortschritt oder gar keiner. Aber ist das nicht genau das Dilemma in dem wir leben? Unzufriedenheit inmitten immer besserer Technik. Gab es je mehr Unterhaltung und Ablenkung, Spielereien mit denen man nicht mal mehr im dunklen Wald alleine ist? Angebote perfekt personalisiert, wer den IT Fortschritt leugnen wollte, der muss schon blind sein.
Und dennoch haben wir nicht das Gefühl, dass ein goldenes Zeitalter angebrochen ist, sondern eher ein unsicheres, depressives.

Technischer Fortschritt kann sehr schnell auch über die Menschen hinweggehen, ebenso wie wir es mit der Finanzkrise erlebt haben. „Den Märkten“ geht es ja nicht wirklich schlecht, nur den Menschen.

Die linguistische Wende ist einer der bedeutendsten Wendepunkte in der Philosophiegeschichte.
Dass sie keine besseren Eierkocher oder schärferen Messer produziert, sollte man ihr nicht zum Vorwurf machen, es ist nicht ihre Aufgabe.
In ihr kam man zu der Erkenntnis, dass Sprache Wirklichkeit oder Welt nicht abbildet, sondern erzeugt, konstituiert. Das ist so kontraintuitiv, dass die meisten Menschen damit überhaupt nichts anfangen können, aber natürlich von weitem Einfluss auf Geistes- und Sozialwissenschaften und auch auf die Psychologie.

Eigentlich ist seit dem kein Stein auf dem anderen geblieben, bisweilen wurde es übertrieben und so kam es zu einer pragmatischen Wende der linguistischen Wende, die das Ganze wieder ein wenig erdete, ohne die Uhr zurückzudrehen und hinter die einmal gewonnenen Erkenntnisse zurück zu fallen. Da sind wir eben an dem Punkt, an dem wir in der Diskussion schon einmal waren.

Du sagtest zurecht, dass wir Welt weitgehend ähnlich erleben müssen, sonst könnten wir nicht kommunizieren. Das stimmt. Aber wir erleben Welt nicht gleich, sonst bräuchten wir nicht zu kommunizieren, ergänzte ich und das stimmt auch.
Nun ist die Frage, worauf man den Fokus richtet. Auf der alltagspraktischen Ebene findest Du keine Unterschiede, es ist die Ebene von herumgedrehten Schlüsseln und Eier die man hart oder weich haben möchte. Nur, darüber streitet eben auch niemand. Der Döner ist längst bei uns angekommen, der Rest der türkischen Kultur eher nicht. Beim Doppelpack Demokratie und Coca Cola hat die Cola den Siegeszug wohl eher angetreten als die Demokratie. Das Handy wird quer durch alle Schichten benutzt. Dort scheinen die großen Differenzen also tatsächlich nicht zu liegen.

Man muss wohl weiter gehen, zu den Weltbildern und da reicht der Blick auf die Technik allein nicht aus. Religiöse Fundamentalisten haben kein Problem damit die Waffen- und Kommunikationstechnik zu genau aus den Ländern zu benutzen, die sie verachten.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » So 8. Jul 2012, 13:14

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Erstmal etwas einfacher: Wenn ich die Verkäuferin um ein rotes T-Shirt bitte, und sie bringt mir das, was ich erwarte, hat sie das Wort rot so verstanden wie ich. [...]


Alles richtig, aber schon zu weit.
Wann und woran würdest Du erkennen, dass Du einen Begriff (bisher) falsch benutzt hast?

Prinzipiell, wenn ich nicht das bekomme, was ich erwarte. Vorher würde ich aber feststellen, wo genau das Missverständnis liegt. Wenn das nicht geht, benutze ich das Wort Rot nicht. "Worüber man nicht reden kann..." ;-)


Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Ich verstehe das menschliche Denken als Teil des menschlichen Organsimus. Für seine Funktion - also das Wie - ist es unerheblich, ob seine Eigenschaften unikat sind oder ob er sie mit anderen Organismen seiner Art gemeinsam hat oder ob er sogar die komplette Kopie eines Zwillings ist. In diesem Sinne ist es auch unerheblich, woher seine Begriffe kommen und inwiefern er sie mit anderen Menschen teilt.


Phänomenologisch oder lebenspraktisch okay, aber nicht erkenntnistheoretisch.

Mit der bloßen Behauptung kommst du nicht durch - warum denn nicht?

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Diese "Bergiffsquellen" sind nicht mehr und nicht weniger Teil seiner Umwelt, als Wind und Wetter. Ein Organismus muss erstmal mit den Organen klarkommen, die er hat.


Nein, muss er überhaupt nicht, die tun zuverlässig ihren Dienst und selbst wenn sie es nicht tun, merkt man es erst durch den Vergleich mit anderen.

Das stimmt natürlich nicht. Schmerz ist Schmerz und Tot ist Tot, egal ob ich das mit anderen vergleichen kann.

Vollbreit hat geschrieben:Da sind die Konstruktivisten wirklich hilfreich, wenn sie sagen, dass es zwischen dem biologischen Anteil des Menschen und seinem Denken überhaupt keinen direkten Kontakt gibt. Deine Niere spricht eine andere Sprache als Deine Gedanken.

Das stimmt auch nicht, kann man leicht mit Psychopharmaka widerlegen.

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Sie ermöglichen es ihm in einer bestimmten Nische seiner Umwelt zu leben. Das ist mit erlernten Begriffswelten nicht anders, sie bilden den Organsimus des Denkens. Und genau so, wie ein Organ krank oder für betimmte Anforderungen untauglich sein kann, kann auch eine Begriffswelt krank oder untauglich sein.


Und woran erkennt man das? ;-)

Dass man nicht bekommt, was nach der Theorie zu erwarten wäre. Z.B. macht Gebet Blinde nicht sehend, wie es eine Theorie der Bibel sagt.

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Der Mechanismus der evolutionären Anpassung erfolgt durch das Trial & Error-prinzip. Ein Modell wird variiert und wenn es nicht funktioniert, wird es weiterentwickelt oder verworfen. Genau so funktioniert menschliche Forschung. Die Anerkennung der Tatsache, dass wir dabei ganz viele Errors machen müssen, nennt man Fallibilismus.

Es mag sein, das es gelegentlich nicht leicht ist, festzustellen, ob ein Error wirklich ein Error ist.


Nö, da sind die führenden Brights bereits weiter, die sagen, dass Religion einerseits ein Irrtum sein kann (muss ja so sein), aber paradoxerweise eben dieser Irrtum einen evolutionären Vorteil darstellt.

Was die Brights Denken ist interessant, aber kein Kriterium. Normalerweise kennen sie sich gut mit Evolution aus und wissen, dass Evolution nicht zielgerichtet ist und daher eine Gegebenheit kein Beleg für deren Sinnhaftigkeit ist. Wir leiden immer noch an Krebs und vielem anderen. Vielen Krankheiten konnten wir schon trotzen, und zwar durch Forschung und bewusstes Handeln und nicht durch Anpassung unserer Organismen. Tausende Jahre haben die Menschen erfolglos dafür gebetet, dass ihre Kinder nicht sterben - heute haben wir die geringste Kindersterblichkeit, die es je gegeben hat - ohne Gebet, weil wir wissen, was wirklich funktioniert! Kein Mensch vertraut heute sein Kind einem Medizinmann an, wenn er die Chance hat, es zu einem wissenschaftlich ausgebildeten Arzt zu bringen.

Vollbreit hat geschrieben:Die Erklärungsnot ist nun freilich die: Inwieweit ist denn etwas, was evolutionär besser abschneidet noch als „falsch“ zu deklarieren?
Die Evolution ist doch blind und ungerichtet, alles was zählt ist Nachkommen zu produzieren, die Nachkommen produzieren, ein richtig und falsch gibt es eigentlich gar nicht wirklich, nur eine bessere oder schlechtere Anpassung.

Da gibt es keine Not. Richtig oder Falsch bedeuten bessere oder schlechtere Anpassung.


Vollbreit hat geschrieben:Nun sind Religionen sehr gut angepasst, evolutionär gesehen ein tolles Modell. Einfach, kompakt, seit 1000en Jahren erfolgreich.

Das ist Krebs auch, siehe oben. Versteh mal, dass Evolution ein Prozess ist, in dem wir mittendrin stecken. Religion ist grad dabei ihre Untauglichkeit in einer veränderten geistigen Umwelt zu beweisen. Manche versuchen sie anzupassen, manche geben sie auf.

Vollbreit hat geschrieben:
Du bist dabei Wissenschaft und Philosophie allein auf Technik zu reduzieren. Fortschritt ist technischer Fortschritt oder gar keiner. Aber ist das nicht genau das Dilemma in dem wir leben? Unzufriedenheit inmitten immer besserer Technik.

Den Menschen ging es - global - noch so gut wie heute. Und zukünftige Probleme werde die Religionen ganz bestimmt auch nicht lösen.

Vollbreit hat geschrieben: Gab es je mehr Unterhaltung und Ablenkung, Spielereien mit denen man nicht mal mehr im dunklen Wald alleine ist? Angebote perfekt personalisiert, wer den IT Fortschritt leugnen wollte, der muss schon blind sein.
Und dennoch haben wir nicht das Gefühl, dass ein goldenes Zeitalter angebrochen ist, sondern eher ein unsicheres, depressives.

Nörgel, nörgel, nörgel...

Vollbreit hat geschrieben:Technischer Fortschritt kann sehr schnell auch über die Menschen hinweggehen, ebenso wie wir es mit der Finanzkrise erlebt haben. „Den Märkten“ geht es ja nicht wirklich schlecht, nur den Menschen..

Was schlägst du vor- soll ich mir einen Joint drehen oder zu Messe gehen, damit ich das aushalte? Nein ich frage mich lieber, was war falsch, dumm oder gelogen in dem ganzen Spiel.

Vollbreit hat geschrieben:Die linguistische Wende ist einer der bedeutendsten Wendepunkte in der Philosophiegeschichte.
Dass sie keine besseren Eierkocher oder schärferen Messer produziert, sollte man ihr nicht zum Vorwurf machen, es ist nicht ihre Aufgabe.
In ihr kam man zu der Erkenntnis, dass Sprache Wirklichkeit oder Welt nicht abbildet, sondern erzeugt, konstituiert. Das ist so kontraintuitiv, dass die meisten Menschen damit überhaupt nichts anfangen können, aber natürlich von weitem Einfluss auf Geistes- und Sozialwissenschaften und auch auf die Psychologie.

Du überschätzt das m.E. alles ein bissel. Die Erkenntnis ist schon wichtig, aber nicht neu. Es steht z.B. am Anfang des Johannes-Evangeliums eine berühmte Passage, die in Etwa diese These vertritt, vermutlich der griechischen Philosophie entnommen. (Interessant dazu U. Ecos "Die Suche nach der vollkommen Sprache")

Die These stimmt allerdings so einseitig auch nicht, es ist nämlich ein Wechselspiel. Den Begriff von "Rot" gibt es nicht willkürlich, sondern er ist eine Folge eines Reizes der durch die Wirklichkeit gegeben wird. Daran darf man zweifeln, das wäre aber nicht sehr intelligent. Unsere Begriffe können auch keine beliebige Welt schaffen. Es gibt Flugzeuge und Smartphones, weil wir Begriffe entwickelt haben, die irgendwie mit der Wirklichkeit übereinzustimmen scheinen. Die Konstitution von Einhörnern und Kobolden ist dagegen noch nicht gelungen.

Vollbreit hat geschrieben:Du sagtest zurecht, dass wir Welt weitgehend ähnlich erleben müssen, sonst könnten wir nicht kommunizieren. Das stimmt. Aber wir erleben Welt nicht gleich, sonst bräuchten wir nicht zu kommunizieren, ergänzte ich und das stimmt auch.

Ja, das stimmt!

Vollbreit hat geschrieben:Man muss wohl weiter gehen, zu den Weltbildern und da reicht der Blick auf die Technik allein nicht aus.

Es ist auch im Sozialen so. Stimmt die Rechnung? Betrügt mich meine Frau? Überall sind wir skeptisch und setzen simple Kriterien an, nur in der Religion soll es der große Nebel sein, der sie rechtfertigt.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » So 8. Jul 2012, 14:08

Religiöser: Jeder kennt das doch, uns ist Sonntags manchmal langweilig. Darum lest dieses Buch.
Gläubiger: Ja genau! Beim lesen eines Buches geht die langweile weg. Das ist die Lösung!
Skeptiker: Vielleicht will ich lieber spazieren gehen?
Religiöser: Aber dir ist doch auch oft langweilig, du musst doch das Buch lesen wollen. Warum denn nicht?
Skeptiker: Ich möchte aber Sonntags nicht lesen, sondern spazieren gehen, oder musizieren.
Religiöser: Aber beim spazieren gehen kann man sich verletzen. Lass und doch mal jetzt über Anatomie reden und darüber, wie man sich verletzen kann.
...
Religiöser: also da ist dann doch diese Sehne...
...
Stunden später
...
Religiöser: ...das Fußgelenk kann manchmal ungünstig abknicken...
...
viel später
...
Religiöser: Nordic Walking ist auch eine überschätze Trendsportart...


Warum soll man nochmal das Buch lesen? Weil es Langweile bekämpft?
Warum wurde das Rad erfunden? Weil man Räder für einen Wagen brauchte?
Warum ist es wichtig, ob Rot Rot ist, was der linguistic turn bewirkt hat?
Was hat Wittgenstein mit Jesus zu tun?
Es ergibt überhaupt keinen Sinn, und bitte tut jetzt nicht so, als ob die Diskussion nicht genau so erscheint.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » So 8. Jul 2012, 20:29

Nochmal kurz zu Thomas S. Kuhn. Dem Vorwurf des Relativismus ist Kuhn in seinem Postskriptum zur "Die Struktur der wissenschaftlichen Revolutionen" ausdrücklich entgegen getreten:

"... dann ist die wissenschaftliche Entwicklung wie die biologische ein eindeutig gerichteter und nicht umkehrbarer Vorgang. Spätere wissenschaftliche Theorien sind besser als frühere geeignet, Probleme in oft ganz unterschiedlichen Umwelten, in denen sie angewendet werden zu lösen. Dies ist keine relativistische Position und in diesem Sinne bin ich fest überzeugt vom wissenschaftlichen Fortschritt."
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Lumen » So 8. Jul 2012, 22:39

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich werde mir das angucken, aber du hast es dir doch, meine ich, angeguckt, um zu erfahren, wie deine "Warum-Fragen" von der anderen Seite erklärt werden. Dich hat das offensichtlich nicht zufiredengestellt, aber war das nicht zu erwarten? Ja, es kann wirklich so einfach sein, dass sie sich selbst nicht besser analysieren können als wir, ihre Beweggründe nicht erfassen können, mangels Selbstreflexion und Rationalität.


Leider war es nicht zufriedenstellend. Natürlich weiß ich mittlerweile was zu erwarten ist. Die Wissenschaft wird von den Leuten als eine Art organisierte Religion wahrgenommen und nicht als verfeinerten gesunden Menschenverstand. Sie haben ganz starke konzeptionelle Schwierigkeiten damit, den Mangel an "Zwang" in ihrer Weltsicht zu sehen. Damit ist gemeint, dass ihre Erklärungen im Prinzip beliebig und ohne Konsequenzen sind, bezogen auf ihre Erkenntnisse der Welt. Interessanterweise kann man konkret beobachten, wie die Konsequenzen aus religiösen Erklärungen genau an den Stellen rapide zunehmen, wo die Religion, meist auch eine Organisation, sich konkret Vorteile erhofft. Salopp gesagt: haben von der Beschaffenheit der Welt keinen blassen Schimmer, aber wollen detailliertes Wissen über mein Seelenheil haben. Denn da wird das Geld verdient und die Macht ausgeübt. Sie können nicht erklären, warum Gott den Bandwurm erschaffen hat, aber wissen genau, was ich im Schlafzimmer zu lassen habe. Mit "Zwang" einer (Welt-) Erklärung ist auch gemeint, dass es "zwingende" Ableitungen gibt, also Konsequenzen. Es spielt aber eben keine Rolle ob Gott drei- oder sieben-faltig ist. Deshalb gibt es in den USA allein 38.000 verschiedene christliche Konfessionen. ujmp hat schon Recht, dass das Bibelstunde ist. Aber der Herr ist laut Angaben am Video ein Doktor der Theologie, aber das spiegelt im Grunde den Stand der Dinge wieder. Es ist nicht über- oder untertrieben festzustellen, dass die Leute absolut nichts zu bieten haben. Sie sind in jeder Hinsicht bankrott.

Zu zwingenden Theorien, Mythen und Wissenschaften noch ein erhellendes Video von David Deutsch, wer es noch nicht kennt...

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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 9. Jul 2012, 08:00

@vollbreit, wo steckst du?

Ich frische gerade meine Meinungen über Wissenschaftstheorie auf und bin auch fleißig am revidieren. ;-) Das hier scheinen mir recht fundierte Sachen zu sein: Karl Popper, Thomas Kuhn

Falls ich dich nicht völlig vergrault habe, sollten wir uns auf ein Kernthema beschränken. Mich interessiert das Problem mit der Sprache sehr...
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Mo 9. Jul 2012, 09:15

Hallo ujmp.

Nein, Du hast mich nicht vergrault, ich habe das Glück/Pech am Wochenende manchmal arbeiten zu müssen/dürfen. ;-) Gestern war so’n Tag.

ujmp hat geschrieben:Worin besteht der Glücksfall, noch mal mit anderen Worten:
Er besteht darin "dass die Katze zufällig zwei Löcher genau an der Stelle im Fell hat, wo die Augen sind!" (Harald Lesch)


Nein, nicht darin, dass Sinne oder Körper und Welt so erfreulich zusammenpassen, sondern unser Denkapparat und Welt.

ujmp hat geschrieben:Die Logik ist ein Modell von dem überhaupt nicht gesagt ist, ob es a) nicht Alternativen gibt und ob es b) ein vollständiges Modell ist.


Doch, es gibt Alternativen und sie ist nicht vollständig.

ujmp hat geschrieben:Dinge, die dieses Modell nicht modelliert, nehmen wir evtl. schlicht nicht wahr. Die "Folgerichtigkeit", die in der Logik die Hauptrolle spielt, ist vermutlich der Kausalität nachgebildet: Wenn...Dann.... - Was m.E. belegt, dass es etwas gibt, wofür "Kausalität" eine gute Näherung ist.


Möglich. Nur liegt die Problematik nicht bei der Kausalität der gekochten Eier und herumgedrehten Zündschlüssel. Die Problematik der Kausalität liegt darin, dass man ein Geldstück irgendwo an einer Metallfläche reibt, bevor man es in einen Automaten wirft. Ganz sicher wird man die Erfahrung gemacht haben, dass das mal geklappt hat. Vielleicht hat man auch mal einen Gedanken gehabt, denn man nicht haben sollte und prompt hat es gedonnert. Dass man nicht in einen dunklen Keller geht, obwohl man vermutlich niemanden kennt, dem mal in einem dunklen Keller etwas passiert ist.
Dass in Skinners Experiment, Tauben, die mit Futter belohnt werden immer groteskere Körperhaltungen annehmen, jene, die im Moment der willkürlichen Belohnung zufällig ausgeübt wurden und nun durch die Belohnung verstärkt wurden.
Dass also die Psyche etwas zu einer Kausalität verknüpft, was kausal nichts miteinander zu tun hat.

Nur ist nicht jede: Immer wenn …, dann … Beziehung die nicht direkt kausal ist, falsch. Man kann sich dennoch an ihr orientieren. Auch mit Analogien und Beziehungen vom Teil aufs Ganze, kommt man gut durchs Leben. Das Projekt Wissenschaft besteht also in einem gewissen Maße darin, falsche Kausalbeziehungen zu entlarven und richtige zu beschreiben.
Kannst Du Dich dem anschließen, oder siehst Du das anders?

ujmp hat geschrieben:Deshalb ist die Logik kein Zufall. Wie überall in der Evolution mag die Entstehung dieses Modells ein Zufall gewesen sein. Es werden aber unzählige Modelle so entstanden sein, die sich aber nicht durchgesetzt haben, weil sie nicht brauchbar waren.


Gegenvorschlag: Ich glaube nicht, dass zu Beginn der sprachlichen Entwicklung schon mehrere alternative Logiken vorlagen. Die erste Logik wird ganz einfach gewesen sein und direkt aus der Erfahrungswelt abgeleitet. Logik und Grammatik sind ja nicht separat entstanden, sondern bilden die Struktur die immer schon Sprache durchzieht, wenn Sprache entsteht.
Vielleicht bildet der Satz vom ausgeschlossenen Dritten eher eine Lebenserfahrung ab, so dass „hier“ und „da (hinten)“ unterschieden werden können. Ich denke, das siehst Du ähnlich, oder?

Falls ja, für mich ist das die „Rückspiegelung subjektiver Ratio“ die ihre gemeinsame Quelle (von Logik und Weltgeschehen) in der Erfahrung des Menschen hat. Beides, Welterkennen und Logik wären dann Projektionen, die wir in die Welt hineinlegen, es sind die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis, die wir zur Verfügung haben. Der Glücksfall würde also hier seine Erklärung finden.

ujmp hat geschrieben:Sobald eine Eigenschaft durch zufällige Mutation entstanden ist, ist es dann kein Zufall mehr, wenn sie sich durchsetzt. Schon die ersten Organismen mussten bestimmte Wenn-Dann-Regelkreise enthalten, die es ihnen ermöglichen auf die Umwelt zu reagieren.

Wir kennen vorallem keine brauchbaren Alternativen.


Mag sein, aber was ist Zufall?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Da genau so, davon rede ich ja die ganze Zeit: Fallen lassen!


Gut, beim Ich, beim freien Willen, bei den Fragen nach Zeit, Kausalität und so weiter?


Wenn du nicht weiß, was ein freier Wille sein soll, dann hast du auch keine Problem damit, die Idee fallenzulassen.


Es ist nicht so, dass ich keine Vorstellung davon haben, was ein freier Wille sein soll.
Ich glaube auch, dass es keine sonderlich gute Strategie ist, alle Begriffe fallen zu lassen, die über Alltagserfahrungen hinausgehen, ich glaube, dass das einfach eine Verarmung der Sprache und damit natürlich der Erlebenswelt darstellt.

Du scheinst anderer Meinung zu sein, warum?

ujmp hat geschrieben:Ich rede nicht von Brot und Spielen, sondern von Raumfahrt und Medizin, Wissenschaftsbereiche, in denen nach einer ganz simplen Logik geforscht wird. Oder nenne mir doch mal ein Gegenbeispiel!


Ein Gegenbeispiel wofür?

ujmp hat geschrieben:Du möchtest es gerne kompliziert haben, weil die die übersichtliche Logik zu stringent ist! Aber neben irellevanter Nörgelei habe ich noch keine Widerlegung von dir vernommen.


Kannst Du Dir vorstellen, dass im Alltag des Menschen, nicht genau ein klar definiertes Ziel vorkommt, sondern dass es vielleicht zur gleichen Zeit zwei Ziele geben könnte, die einander eventuell widersprechen, bzw. deren praktische Durchführungen einander in die Quere kommen?

Mach doch mal den Praxistest. Würden Menschen immer genau ein Ziel verfolgen, es gäbe kaum Probleme und Sorgen auf der Welt. Tatsächlich ist der banale Alltag voll von Reizen und Zielen die man nicht unter einen Hut bekommt. Sitzt man mit Freunden im Straßencafé und ein Hintern im Minirock läuft vorbei, ist klar, wohin geguckt wird, sitzt die eigene Freundin daneben, sieht die Sache anders aus. Ist man Radsportfan und die tour de france wird übertragen, ist klar, was man tut, muss man zugleich arbeiten, ist das blöd. Wenn die 16-Jährige Tochter zum ersten Mal so richtig lange auf einer Fete bleiben will, will man sie nicht verunsichern, nicht den Spießer geben und wird dennoch in Sorge sein.

Findest Du meine Beispiele sehr konstruiert und lebensfern?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Welt wird dann schwarz oder weiß und es gibt nichts dazwischen. Man sitzt im der eigenen Zwangsjacke, ausgeliefert dem Taumel der Affekte.

Hypochondrisches Gerede! Natürlich stimmt es nicht.


Also ich bin todsicher, dass eine Welt, in der es keine Graustufen gibt, die nur zwischen totaler Zustimmung und rigider Ablehnung hin und her taumelt, eine affektgeladene Welt ist, die so rein lebenstechnisch schwer zu handhaben ist.
Es ist eine Welt von idealen Freunden und ärgsten Feinden, von Triumph und entsetzlicher Niederlage und Idealisierung und Entwertung.
Das ist keine Absage an klare Entscheidungen, die Frage ist nur, wovon Du Deine Entscheidungen abhängig machst.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: aber dennoch scheint es Menschen zu geben, die das Bedürfnis verspüren, mehr wissen zu wollen.

"Wissen" ist das falsche Wort, "Wissen" ist ihnen viel zu langweilig. Was du meinst ist, dich aus den "Zwangsjacke" der Evidenz zu befreien, damit man willkürlich loslabern kann und dafür noch einen Dorktortitel bekommt.


Kann es sein, dass Du Vorurteile hast?

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Freuds Vorstellungen vom Über-Ich sind längst nicht mehr allein maßgeblich in der Psychoanalyse.

Freud ist überhaupt nicht mehr maßgeblich, das ist aber für unsere Diskussion irrelevant. Ein Modell wird auch in der Psychologie heute an seiner Vorhersagekraft gemessen.


Dass Freud überhaupt nicht mehr maßgeblich ist, ist völlig falsch, aber wie Du richtig sagst, für unsere Diskussion irrelevant.

ujmp hat geschrieben:Kritisiere meine Gedanken konkret - wo ist der Fehler?
Oder konstruiere selbst ein konkretes Beispiel, bei dem meine Sicht versagen würde!


Die konkrete Kritik ist erstens, dass das was erklärt werden soll, in der Erklärung nicht vorkommen darf. Du schreibst:
ujmp hat geschrieben:Wie ein Vergleich aussieht? Ich vergleiche die Größe von zwei Blättern Papier, in dem ich sie genau übereinanderlege und prüfe, ob eines übersteht.

Den zweiten Punkt hat laie schon geäußert, ich weiß nicht mehr ob gegenüber Lumen, oder Dir gegenüber. Es geht schlicht darum, dass Relationen, Kausalität usw. keine Erfahrungen der empirischen Welt sind, sondern geistige Akte, die immer schon mehr voraussetzen, als aus dem was man wahrnimmt abgeleitet werden kann.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das ist ein spannender Punkt, den ich gerne weiter diskutieren würde.
Wie stellst Du Dir ein indeterministisches Universum vor?

Wir sollten ertsmal deine Kritik an meinen anderen Sichweisen zu Ende denken.


Warum? Du findest meine Kritik doch eh nicht sonderlich, lass uns doch dann eine neues Kapitel aufschlagen. Egal, dann eben später.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:wie Du übrigens die meisten heißen Eisen gekonnt umschiffst.

Sag mal ein Beispiel!


Du möchtest alles auch die Ebene des Alltags zurückführen.
Als Lebenstipp für Überspannungen finde ich das in Ordnung, für eine Diskussion über den Gottesbegriff eher hinderlich.

ujmp hat geschrieben:Das sind Allgemeinplätze und lauter Unverbindlichkeiten. Du kritisierts ja überhaupt nicht, sondern behauptest bloß, dass meine Gedanken Denkern widersprechen, die du wahrscheinlich selbst nicht verstanden hast. Da bst du vom "Zerdeppern" noch weit entfernt.


Dann brauche ich ja keine Sorge um Dich zu haben.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon stine » Mo 9. Jul 2012, 10:03

Ganz zufällig las ich heute Morgen in der Presse eine Todesanzeige, obwohl mich die sonst nie interessieren, aber diese war auf einer Seite wohin sie normalerweise nicht gehört und stach mir deswegen ins Auge. Es hieß da:

Ein großes Herz hat aufgehört zu schlagen. Ein großer Geist bleibt dem ewigen Reich der Gedanken erhalten.

Ich finde, das passt hervorragend in diese Diskussion, weil jeder von uns die Welt etwas "geistreicher" macht. Und das wird auch das einzige sein, was von jedem von uns übrig bleibt.
Das einzige, was alle Menschen miteinander zu teilen in der Lage sind, ist überliefertes und neu eingebrachtes Wissen - die abstrakte Welt des Geistes. Gerade das "Unfassbare" lebt also weiter.

:wink: stine
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Mo 9. Jul 2012, 11:27

@ ujmp:

Zu Popper und Kuhn und so weiter.

Es geht mir nicht darum, Dir den Popper madig zu machen, ich will nur in aller Nüchternheit feststellen, dass er in der real existierenden Wissenschaft schlicht keine Rolle spielt. Der politische Popper ist m.E. in Theorie und beeindruckenderweise auch in der Lebenspraxis viel relevanter.
Er hat z.B. Schriften zum Toleranzbegriff in der Demokratie verfasst die ich sehr gut finde.
Dahrendorf hat in dem Buch „Versuchungen der Unfreiheit“ Popper als ein leuchtendes Beispiel skizziert, von jemandem der den Versuchungen der Nazizeit vollkommen überzeugend widerstanden hat. Kein geringer Verdienst.

Kuhn habe ich nie als Relativisten verstanden, er sich selbst ja auch nicht.
Er sagt z.B. auch das Wissenschaft vorwissenschaftlichen Ansätzen überlegen ist, was er zeigen will, ist lediglich, dass Wissenschaft eben kein allzeit offenes System ist, dass Ergebnisse sammelt und dann gemächlich, im Lichte dieser Ergebnisse die eigenen Ansätze korrigiert, sondern dass der Mechanismus ein anderer ist, einer des Ignorierens, des Kleinredens und dann erst bei massiven Abweichungen rührt man sich und der überstrapazierte Begriff vom Paradigmawechsel kommt ins Spiel.

Es ist m.E. kein Denker komplett in das Projekt Wissenschaft eingeflossen, bei manchen weiß man im Grunde gar nicht was man mit ihnen anfangen soll. Quine hat bspw. einige bahnbrechend neue Sichtweisen eingeführt, nachdem man sie verstanden hat, konnte man ihm zustimmen, wusste aber nicht so recht, was man in der Praxis damit machen soll.

Hume ist ein anderes Beispiel. Logisch ist es richtig, dass Induktionsschlüsse nichts besagen (genau hier setzt ja auch Popper an), nur, da können wir wirklich im Alltag bleiben, schau Dir doch mal an, wie wir im Alltag tatsächlich lernen, z.B. unsere Sprache. Bleiben wir schwerpunktmäßig ruhig bei ihr, sie interessiert mich nämlich auch sehr.

Meiner Meinung nach ist das mit der Sprache u.a. deswegen ein Problem, weil sie sehr vielschichtig gelernt wird. Am Anfang steht m.E. wirklich ganz behavioristischer Drill. Schon das ist, wenn man es näher beleuchtet, sehr viel komplizierter als man glauben möchte. Denn die Zuordnung des Begriffs zu einem Gegenstand (logischen Subjekt) ist alles andere als leicht und es ist wieder Quine, der mit dem gavagai Beispiel zeigt, wie kompliziert es wirklich sein kann.
Noch spitzfindiger, aber m.E. völlig berechtigt, argumentiert Brandom, wenn er aufzeigt, dass hinweisende Gesten und andere Verweise, die man sich gerne an den Beginn aller Begriffsbildung denkt – ich deute auf etwas und nenne es „Auto“, „rot“ oder „Hund“ – selbst erst einmal verstanden werden müssen – wenn ich auf etwas deute, weiß ein Mensch, dass er der Anweisung folgen soll, einer imaginären Linie von meinen Augen, über meinen deutenden Finger, hin zu einem Objekt in der Ferne „dort hinten“ zu folgen (und das noch aus meiner Perspektive), der Hund schaut aber auf meine Fingerspitze – und damit nicht am Anfang der Reihe stehen, sondern eine Folge eines zuerst beherrschten begrifflichen Apparates ist.
Der daraufhin oft zu hörende Hinweis, dieses oder jenes sei eben angeboren verlagert das Problem nur und erklärt es nicht, denn dann ist die Frage, wie das zustande kommt.

Beim Kind können wir die Zuordnungsfehler korrigieren, aber da verfügen die Eltern bereits über eine ausdifferenzierte Sprache, bei der Neogenese der Sprache fällt das flach. Man kann bei den ersten (jemals) gesprochenen Worten, nicht sagen: Nee, warte mal, das habe ich anders gemeint.“ Das würde etwas voraussetzen, was eben noch nicht da ist.

Wie auch immer, in heutiger Zeit haben wir eine ausdifferenzierte Sprache zur Verfügung – die Projektion in ein Jenseits oder Dahinter setzt übrigens voraus, dass man Konditionale beherrscht, eine sehr späte und komplizierte Entwicklung der Sprache, schon deshalb ist es ein rationaler Akt – können begriffliche Fehler bei anderen korrigieren, vermutlich auch erst mal über den Akt der Konditionierung, der einen anderen sehr viel schmaleren Begriff des Verstehens voraussetzt, als das spätere „Geben und Verlangen von Gründen“.
Konditionierung ist eher ein emotionales Geschehen, Lohn und Strafe, das klappt beim Dackel und beim kleinen Kind und dafür muss man nicht verstehen warum etwas gemacht oder gesagt wird, man muss es nur tun. Der Dackel weiß nicht warum er an der Straßenecke Sitz machen muss, auch dann nicht, wenn er es zuverlässig tut.

Irgendwann dreht sich aber die Geschichte der reinen Konditionierung und das Kind beginnt nicht einfach Wörter imitierend aussprechen, sondern Begriffe verstehend zu verwenden, ein Meilenstein dabei ist Vordringen in den Bereich der abstrakten Begriffe, z.B. der Verneinungen.
Hier hatte Freud ein feines Gespür dafür, was alles diesem Vordingen zusammenhängt. Es ist der Moment, in dem das Kind lernt die Kontrolle über die/seine Natur zu erlangen und sich zum einen seiner Natur, der es bisher einfach seinen Lauf lassen musste, zu verweigern, nämlich indem es sich weigert in den Topf zu machen und auf der anderen Seite merkt, dass es der Mutter zum ersten Mal ein Geschenk machen kann, nämlich in den Topf zu machen. Geben und sich verweigern zum ersten Mal unter der eigenen Kontrolle, zum ersten mal kann man praktisch „Nein“ sagen, Freud prägte dafür den Begriff „analsadistisch“. Klingt grauenhaft, trifft es aber ganz gut. Und nun beginnt das Kind exzessiv seine neue Welt der Verneinungen kennenzulernen und mit ihr zu experimentieren, die Trotzphase in der das Kind sich allem kategorisch verweigert und – übrigens ganz in Deinem Sinne – mit seinem Experiment scheitert. Es trägt nicht sehr weit, hier aus dem Grund, weil die Eltern letztlich doch am längeren Hebel sitzen. Doch das Kind hat nun etwas ganz Neues im Repertoire, es versteht „Nein“ und andere Abstrakta, es ist noch sehr am Beginn, hat eben gerade das Tor zu dieser neuen (inneren) Welt aufgestoßen, aber, wenn es auch unbeholfen ist, ist es nun in der Position verhandeln zu können. Und das ist der nächste Punkt, bei dem allmählich Konzepte und Rollen einstudiert werden.
Bisher war klar, Schokopudding gibt es erst nach dem Spinat, nun kann ich fragen, ob ich nicht wenigstens den halben Pudding für den halben Spinat bekomme. (Darum ist ein solches Vorgehen auch besser und erfolgreicher, als schwarz oder weiß.)
Ist diese Möglichkeit gegeben verändert übrigens auch Gott sein Gesicht und auch er (der dann wirklich oft männlich wird) lässt auf einmal mit sich handeln. Aber um Rollen und komplexe Regeln zu beherrschen, muss ich Erwartungen antizipieren können. Ich muss verstehen, was es bedeutet, ein artiges Kind, ein guter Junge oder ein braves Mädchen zu sein. Das geht nicht mehr allein durch Dressur. Doch diese konventionelle Stufe einzutrainieren sind Religionen sehr gut geeignet. Es gäbe andere Möglichkeiten, aber Religion ist eine und eine oft gewählte Variante.

Religionen (vor allem monotheistische) sind nicht gerade gut darin, den Weg über dieses konventionelle Denken hinaus zu weisen (politisch ist das auch gar nicht ihr Interesse, insofern machen sie so gesehen alles richtig) und das ist ihre große Schwäche, bezogen auf die Entwicklung des Individuums und Stärke bezogen auf die Festigung der Glaubensgemeinschaft.

Um fair zu sein, muss man sagen, dass es in der christlichen Kirche immer auch schon hochrationale Strömungen gegeben hat, in der Kunst, Wissenschaft und Philosophie (sogar Mystik) blühten, nur war es dann eher Kant, der von der selbstverschuldeten Unmündigkeit sprach und jenen, die ein Interesse an der weiteren Unmündigkeit hatten. Der Schritt ins Verstehen (der eigenen Motive), das sich darin manifestiert, dass man Gründe für sein Handeln für seine Aussagen, zumindest angeben könnte. Wann es gerechtfertigt ist, diese Gründe tatsächlich anzugeben entscheidet die Sprachgemeinschaft. Und jetzt habe ich erst mal mehr als genug geschrieben.

Kurz noch: Ironischerweise ist die Frontstellung des Alltags und der „Intelligenz“ der Vielen gegenüber einer sich so verstehenden Elite, sei es aus der Politik oder der Wissenschaft, etwas, was gerne von Habermas aufgegriffen wird und m.E. manchmal übers Ziel hinaus getrieben wird.

Und dieser Punkt hat ja seine absolute Berechtigung. Da bin ich ganz Deiner Meinung. Ich bin gewillt mir so ziemlich alles anzuhören an wilden oder auch weniger wilden Ideen, am Ende dann stellt sich mir die Frage, was es in der Praxis bringt, bzw. noch viel fundamentaler, inwieweit es meinen Alltag überhaupt verändert.

Und da kann man auch die einfache wenn …, dann … Logik benutzen, die abrastert was folgt, wenn man bestimmte Prämissen akzeptiert oder verwirft. Bei der Absage an den freien Willen von Seiten einiger Hirnforscher (inzwischen längst wieder kassiert), war eine der Fragen, die die Irrelevanz skizzierte, ja auch die nach dem Alltag. Wenn ich sage, okay, ich glaub’s es gibt keinen freien Willen und wie einige sich nicht scheuten weiter zu formulieren, kein Ich, ja, was dann?
Kochen die Eier jetzt länger, startet mein Wagen nicht mehr, muss ich meine Frau jetzt anders sehen, ändert es meine Einstellung zum Tod oder zur Demokratie oder zur Kunst? Was ändert es überhaupt.

Da ist die Religion ja ein ganz anderes Kaliber. Man mag sie ablehnen oder nicht, lieben oder hassen, aber aus den Prämissen folgt etwas, wenn ich sie denn akzeptiere.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon laie » Mo 9. Jul 2012, 13:11

ganimed hat geschrieben:Man kann mit dem Reduktionismus der Frage näher kommen, woraus Dinge bestehen und wie diese konstituierenden Elemente das machen, diese emergente Ding entstehen zu lassen. Man lernt auf diese Weise sicher sehr viel über Elefanten, Quanten und die Welt. Und erst wenn man das konsequent macht, gelingt es, mit intuitiven Mystiken aufzuräumen, nach denen zu bestimmten Dingen angeblich mystische oder übernatürliche oder metaphysische Dinge gehören. Wer immer annimmt, der Elefant enthielte ein unzerstörbare, übernatürliche Essenz names Seele, muss sich von Reduktionisten die Frage gefallen lassen, ob er was getrunken habe.


Ich glaube nicht, daß man durch Reduktion mehr über Elefanten, Quanten, Welt lernt. Es gibt eine Theorie, die über Elefanten spricht (Elefantentheorie, irgendeine ethologische Theorie z.B.) Und es gibt eine Theorie, die über Quanten spricht. Natürlich kann man den Elefanten auch quanteln. Nur: dann rede ich über den Elefanten als Anwendung der Quantentheorie. Das worüber die ethologische Theorie gesprochen hat, gibt es dann nicht mehr. Wir kommen aus den Quanten nicht mehr zurück zum Elefanten. Oder zum Russlandsfeldzug Napoleons. Kein Physiker würde sich so lächerlich machen, diesen Feldzug "physikalisch" erklären zu wollen.

Man kann die Welt durch verschiedene Brillen wahrnehmen. Das ist alles. Und wenn ich die Elefantenbrille aufhabe, dann leugne ich nicht dass es auch die "Quantenbrille" gibt, aber die habe ich nun mal nicht auf. Und solange ich die Elefantenbrille aufhabe, ist der Elefant, was er ist: nämlich ein Elefant.

@die anderen:

tschuldigung, das ist eigentlich schon vorbei. wollte nur dem ganimed noch antworten.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 9. Jul 2012, 19:21

Vollbreit hat geschrieben:@ ujmp:

Zu Popper und Kuhn und so weiter.

Es geht mir nicht darum, Dir den Popper madig zu machen, ich will nur in aller Nüchternheit feststellen, dass er in der real existierenden Wissenschaft schlicht keine Rolle spielt. Der politische Popper ist m.E. in Theorie und beeindruckenderweise auch in der Lebenspraxis viel relevanter.
Er hat z.B. Schriften zum Toleranzbegriff in der Demokratie verfasst die ich sehr gut finde.
Dahrendorf hat in dem Buch „Versuchungen der Unfreiheit“ Popper als ein leuchtendes Beispiel skizziert, von jemandem der den Versuchungen der Nazizeit vollkommen überzeugend widerstanden hat. Kein geringer Verdienst.

Na ja, ich denke schon, dass er Spuren in der Wissenschaft hinterlassen hat. Der Falsifikationismus als Methode funktioniert nicht, ok. Aber in "Wege der Wissenschaft" von A.F.Chalmers steht, dass die Repliken von Lakatos, Kuhn und Feyerabend eine Weiterentwicklung der Popperschen Ideen darstellen. Poppers Lösung des Hume'schen Problems hat sich auch niedergeschlagen in der Idee, dass wissenschaftliche Theorien Widerlegungsversuchen standhalten müssen. Ich Lese ab und zu sozialwissenschaftliche Studien, da geht es oft darum, das einer einen Befund hernimmt und dann das Experiment etwas verändert, um festzustellen, ob es wirklich stimmt. Das fruchtbare kritische Element in der Wissenschaft verdanken wir, denke ich, auch Popper.

Vollbreit hat geschrieben:Kuhn habe ich nie als Relativisten verstanden, er sich selbst ja auch nicht.
Er sagt z.B. auch das Wissenschaft vorwissenschaftlichen Ansätzen überlegen ist, was er zeigen will, ist lediglich, dass Wissenschaft eben kein allzeit offenes System ist, dass Ergebnisse sammelt und dann gemächlich, im Lichte dieser Ergebnisse die eigenen Ansätze korrigiert, sondern dass der Mechanismus ein anderer ist, einer des Ignorierens, des Kleinredens und dann erst bei massiven Abweichungen rührt man sich und der überstrapazierte Begriff vom Paradigmawechsel kommt ins Spiel.

Ich find Kuhns Gedanken nicht sehr attraktiv, aber egal. So selbstverständlich wie die chrstliche Apologetik ihn für sich in Anspruch nimmt, geht es aber nicht!

Vollbreit hat geschrieben:Es ist m.E. kein Denker komplett in das Projekt Wissenschaft eingeflossen, bei manchen weiß man im Grunde gar nicht was man mit ihnen anfangen soll. Quine hat bspw. einige bahnbrechend neue Sichtweisen eingeführt, nachdem man sie verstanden hat, konnte man ihm zustimmen, wusste aber nicht so recht, was man in der Praxis damit machen soll.

Das ist für mich ein Beispiel dafür, dass die Logik alleine keine Aussagekraft hat. Etwas kann noch so stringent sein - und trotzdem falsch.

(zweiter Teil folgt)
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 9. Jul 2012, 20:48

Vollbreit hat geschrieben:Der daraufhin oft zu hörende Hinweis, dieses oder jenes sei eben angeboren verlagert das Problem nur und erklärt es nicht, denn dann ist die Frage, wie das zustande kommt.


Das wäre auch meine Antwort. Die Geste könnte aus der Beobachtung des Werfens entstanden sein. Das räumliche Vorstellungvermögen von Affen ist ziemlich gut. Einen angedeuteter Wurf lässt erahnen, wo ein Stein landen würde. Ich bin übrigens sogar der Meinung, dass unser Denken auf angeborenen nichtsprachlichen Konstrukten beruht, die wir letztlich nur rekombinieren oder ausdifferenzieren können. Oder das die Sprache aus nichtsprachlichen Konstrukten stufenlos hervorgeht. Schmerz, Farben, Kausalität sind möglicherweise angeborene Konstrukte, die wir später nur noch mit einem sprachlichen Symbol versehen.

Die Raumvorstellung, hat Kant festgestellt, muss jeder Vorstellung eines Gegenstandes vorausgehen. Ich zweifle daran, dass sich jemand mehr als drei Dimensionen vorstellen kann. Man kann meinetwegen 10 Dimensionen symbolisch beschreiben, wie R. Bryanton in "Imagining the Tenth Dimension". Er kann das aber eben nur, in dem er ganze Räume mit Punkten symbolisiert.

Vollbreit hat geschrieben: die Projektion in ein Jenseits oder Dahinter setzt übrigens voraus, dass man Konditionale beherrscht, eine sehr späte und komplizierte Entwicklung der Sprache, schon deshalb ist es ein rationaler Akt

Das ist m.E. auch schon vorsprachlich angelegt. Das "Jenseits" ist m.E. eingentlich der Gegenbegriff der Endlichkeit. Ich tippe, dass wir uns die Endlichkeit des Lebens nicht vorstellen können, weil wir hardwaremaßig dafür nicht ausgerüstet sind. Das Leben kümmert sich sozusagen nicht um den Tot, er ist nicht vorgesehen.


Vollbreit hat geschrieben:Geben und sich verweigern zum ersten Mal unter der eigenen Kontrolle, zum ersten mal kann man praktisch „Nein“ sagen, Freud prägte dafür den Begriff „analsadistisch“. Klingt grauenhaft, trifft es aber ganz gut.

Das glaubt heut zutage kaum noch jemand, oder? Kinder verhalten sich einfach weil sie so sind, nicht weil sie einen Grund für etwas haben.

Vollbreit hat geschrieben:Religionen (vor allem monotheistische) sind nicht gerade gut darin, den Weg über dieses konventionelle Denken hinaus zu weisen (politisch ist das auch gar nicht ihr Interesse, insofern machen sie so gesehen alles richtig) und das ist ihre große Schwäche, bezogen auf die Entwicklung des Individuums und Stärke bezogen auf die Festigung der Glaubensgemeinschaft.

Die Infantilisierung ist Strategie. Hast du die bekloppte Werbung gesehen, wo Erwachsene für Kinderschokolade werben? Oder die Slomka vom ZDF, die quatscht wie eine Kindergärtnerin!

Vollbreit hat geschrieben:Um fair zu sein, muss man sagen, dass es in der christlichen Kirche immer auch schon hochrationale Strömungen gegeben hat, in der Kunst, Wissenschaft und Philosophie (sogar Mystik) .

Das ist ein ziemlich großer Laden, indem die Rechte oft nicht weiß, was die Linke tut. Wo es viele Menschen gibt, sind auch immer ein paar besondere dabei. Das muss man nicht unbedingt der Kirche anrechnen.

Vollbreit hat geschrieben:Da ist die Religion ja ein ganz anderes Kaliber. Man mag sie ablehnen oder nicht, lieben oder hassen, aber aus den Prämissen folgt etwas, wenn ich sie denn akzeptiere.

Z.B. die Müllautos nach einem Papstbesuch. :mg:
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Mo 9. Jul 2012, 22:14

@ ujmp:

Ich will den guten Popper tatsächlich nicht kleinreden, weil ich gar nichts gegen ihn habe. Ohne Zweifel spielt er seine Rolle in der Geschichte der Philosophie.

Weshalb ich hier ein wenig auf ihn eingedroschen habe, hat seine Geschichte eher in der oft unreflektierten Auseinandersetzung Wissenschaftsgläubiger, die sich von allem was anderer Glaube ist brüsk distanzieren möchten und dann reflexartig und ohne größere Sachkenntnis gerne auf die fundamentalen Unterschiede zwischen Wissenschaft und allem Para-, Pseudo- und Afterwissenschaftlichen verweisen und dabei ist Poppers Falsifikationismus oft die erste Adresse.

Ein gewohntes Spiel, leider kann man an vielen Stellen zeigen, dass es eher einer Idealisierung entspricht, statt einer Bestandsaufnahme des Ist-Zustandes (was man übrigens durchaus bedauern kann). Je näher man hinschaut, desto mehr verwischt der Unterschied, den schlagendsten Unterschied (ohne ihn als solchen zu skizzieren) hat vermutlich Feyman dargestellt, der für die (Natur-)Wissenschaft das Experiment als primäres Kennzeichen dargestellt hat.

Aber das würde ich der Religion auch nicht aufs Butterbrot schmieren, sie hat m.E. eine ganz andere Funktion als ein System zum Erkenntnisgewinn zu sein. Sie liegt m.E. irgendwo zwischen Ordnung und Sinnfindung und die Wissenschaft als Surrogat in dieser Funktion ist da in meinen Augen eher ein katastrophaler Ausrutscher, lässt man die Wissenschaft wo sie ist und macht sie vor allem nicht zur Hofschranze der Wirtschaft, ist alles in Ordnung.
Bläst man sie selbst zur Sinnfindungseinrichtung auf oder versucht man aus ihr Weltanschauungen abzuleiten, geht die Sache völlig in die Hose.


Ich habe nie behauptet, dass die Logik wahnsinnige Aussagekraft hat, vor allem ist Logik keine Weltanschauung und keine heilige Kuh. Wenn die Prämissen fragwürdig sind, ist es egal, ob die Ableitung logisch richtig ist, das ist ein altes Spiel, das man aber in jedem Logikseminar lernt.

Logik ist ein Mittel zur Prüfung von Aussagen und hat den Vorteil, dass, wenn etwas logisch falsch ist, man die Geschichte als Argument vergessen kann. Man kann sich den Inhalt schenken, wenn es logischer Mist ist, also ein Fehlschluss oder sonst was. Dazu dient die Logik und das ist hervorragend, aber niemand sagt, man müsse einen Fetisch daraus basteln. Ich ganz bestimmt nicht.

Ob sich die Welt zwingend daran hält logisch zu sein, bezweifle ich mal stark, aber unsere Aussagen über die Wirklichkeit sollten logischen Standards genügen. Die Prämissen können immer noch Mist sein, aber es ist eben nicht die Aufgabe der Logik das zu prüfen.

Es könnte sich aber erweisen, dass „unsere Logik“ (die zweiwertige Prädikatenlogik) einfach ein Mittel ist, das der Wirklichkeit nicht umfassend gerecht wird. Dann haben wir den Salat und wie gesagt, es gibt kein generelles Verbot, nicht schon bei dem kleinsten Widerspruch die Logik in Gänze (in ihrer Brauchbarkeit) in Zweifel zu ziehen. Man macht es aus pragmatischen Gründen nicht, eine unausgesprochene Regeln der Wissenschaft, erst mal locker bleiben, Zufall, Messfehler oder Betrug annehmen und dann erst die Geschichte eskalieren.

Diese konservative Haltung kritisiere ich gar nicht, nicht auszudenken wenn man alle 2 Jahre seine Weltsicht komplett revidieren müsste. Ich glaube, wie Du wohl auch, dass unsere Logik sehr alltagsfixiert ist und sie tut gut daran, ich kritisiere auch das nicht, ich versuche es nur festzustellen.
Der Alltag ist etwas sehr Sicheres, Festes, Verlässliches und auch wenn es keinen streng logischen Grund gibt davon auszugehen, dass unser Blut nicht morgen schon aus Rotwein besteht und irgendwie alles anders ist, keiner geht wirklich davon aus, nur aufgrund der Tatsache, dass es bisher nicht so war, das reicht.

Allerdings würde sich mit einer anderen Logik oder mit grundlegend anderen Konditionierungen unsere Welt sehr verändern. Nur dafür einen Raum zu schaffen, ist ungeheuer schwierig. Wittgensteins Privatsprachenargument besagt auch nicht wirklich, dass eine Privatsprache (das wäre eine Möglichkeit des Anderssein) tatsächlich unmöglich ist – es gibt Belege dafür, dass sie genau das nicht ist, sie kommt vor, das findest Du in der Literatur bei Eibl-Eibesfeldt oder Oliver Sacks (die Primzahlzwillinge) und es sind etliche Fälle von Kindern bekannt, die in Familien ihre eigene Sprache sprechen, die Geschwister verstehen oft die Sprache – sondern nur, dass sie nicht anschlussfähig ist.

Und die Sprache und die Alltagspraxis transportiert ganz implizit Regeln der Logik und Verhaltensnormen, so dass jemand der wirklich anders tickt immer vollkommen schräg wirken muss.

ujmp hat geschrieben:Das wäre auch meine Antwort. Die Geste könnte aus der Beobachtung des Werfens entstanden sein. Das räumliche Vorstellungvermögen von Affen ist ziemlich gut. Einen angedeuteter Wurf lässt erahnen, wo ein Stein landen würde. Ich bin übrigens sogar der Meinung, dass unser Denken auf angeborenen nichtsprachlichen Konstrukten beruht, die wir letztlich nur rekombinieren oder ausdifferenzieren können.


Das ist vergleichsweise gesichert, durch die Affektforschung.
Entstanden bei den höheren Säugetieren stellen sie gleichzeitig ein Kommunikations- und Motivationssystem dar. Es gibt ja auch Rätsel auf, dass nichtsprachliche Wesen ein Ichbewusstsein haben können, aber neben Tieren (deren Sprache wir einfach nicht hinreichend kennen könnten) haben auch neugeborene Kinder ein solches. D.h. unsere Sprache baut wohl auf einem nonverbalen Kommunikationssystem auf, das auf Gestik und Mimik beruht.

ujmp hat geschrieben:Oder das die Sprache aus nichtsprachlichen Konstrukten stufenlos hervorgeht. Schmerz, Farben, Kausalität sind möglicherweise angeborene Konstrukte, die wir später nur noch mit einem sprachlichen Symbol versehen.


Glaube ich auch. Die Affektdispositionen sind ja angeboren und auf die reagieren zu können erfordert ja ein „wenn …, dann …“ Muster.

ujmp hat geschrieben:Die Raumvorstellung, hat Kant festgestellt, muss jeder Vorstellung eines Gegenstandes vorausgehen. Ich zweifle daran, dass sich jemand mehr als drei Dimensionen vorstellen kann. Man kann meinetwegen 10 Dimensionen symbolisch beschreiben, wie R. Bryanton in "Imagining the Tenth Dimension". Er kann das aber eben nur, in dem er ganze Räume mit Punkten symbolisiert.


Man kann ja auch nur damit rechnen, vorstellen kann sich das niemand. Es ist auch vollkommen unklar, was diese mathematischen Möglichkeiten nun empirisch bedeuten, da ist in der Kosmologie mehr Kaffeesatzleserei und Science Fiction beheimatet als sonst was. Schrödingers Katze lässt grüßen.

ujmp hat geschrieben:Das ist m.E. auch schon vorsprachlich angelegt. Das "Jenseits" ist m.E. eingentlich der Gegenbegriff der Endlichkeit. Ich tippe, dass wir uns die Endlichkeit des Lebens nicht vorstellen können, weil wir hardwaremaßig dafür nicht ausgerüstet sind. Das Leben kümmert sich sozusagen nicht um den Tot, er ist nicht vorgesehen.


Warum nicht?
An dem Punkt weiß ich eigentlich nicht wer wirklich recht hat. Freud ist Deiner Auffassung, sagt der Tod sei im Grunde unvorstellbar. Kann gut sein, dass das stimmt, denn wann und wie auch immer wir uns den Tod vorstellen, wir sind in der Phantasie doch noch anwesend und fragen uns, ob wohl alles ganz still und dunkel ist und so weiter. Aber warum soll man sich nicht auch vorstellen können, dass man nicht ist? Man müsste klären, was es heißt dass man ist. Geht es darum, dass etwas wahrgenommen wird, oder geht es darum, dass ich etwas wahrnehme? Beides ist zwar in vielen Situationen identisch, der Mystiker würde allerdings zurecht einen Unterschied machen.

ujmp hat geschrieben:Das glaubt heut zutage kaum noch jemand, oder? Kinder verhalten sich einfach weil sie so sind, nicht weil sie einen Grund für etwas haben.


Die Phasenlehre ist kassiert, aber zugunsten intermittierender Ereignisse von Beginn an, die sind aber nach wie vor wie beschrieben. Dass Kinder keinen Grund hätten ist eigentlich nicht der Fall, sie versuchen früh bestimmte Erfahrungen zu vermeiden und andere zu wiederholen und aktiv herbeizuführen (wenn auch mit manchmal unzureichenden Mitteln).

ujmp hat geschrieben:Die Infantilisierung ist Strategie.


Nicht wirklich bewusst, denke ich, aber Strategie, ja. Ich würde es auch nicht infantil nennen, konventionell trifft es besser. Infantil ist seine Triebe auszuleben, dafür bekommt man in allen Religionen nicht mal einen Eintrittsplatz für die hinteren Ränge. Dass für die Oberen dann mitunter ganz andere Regeln gelten, so semioffiziell, ist mir bekannt. Aber es geht ja um die Schäfchen.
Insofern ist das nicht wirklich infantil.

Auch die Möglichkeit der Trennung vom primären Objekt ist eben nicht infantil. Hier wollte Freud alles wieder auf unerwachsene, irrationale Verschmelzungswünsche zurückführen und von Rilkes Gedichten über die Liebe bishin zur Mystik und Religion entkam da nichts seinem harten Urteil.
Freud dachte immer, dass alles was man anderweitig emotional investiert die Ichkräfte schwächt, aber es hat sich herausgestellt, dass das Gegenteil der Fall ist und es gerade ein Zeichen psychischer Gesundheit ist, wenn man Energie und Interesse in Bereiche investieren kann, die das eigene Ich übersteigen: Liebe, Kunst, Philosophie, Religion, Wissenschaft, Politik und Sport sind Kandidaten.

ujmp hat geschrieben:Hast du die bekloppte Werbung gesehen, wo Erwachsene für Kinderschokolade werben? Oder die Slomka vom ZDF, die quatscht wie eine Kindergärtnerin!


Ich finde die selbstgefällige Art (besonders bei Interviews) von Kleber irritierender, aber stimmt schon. Leute, die ich hier gar nicht erwähnen darf sprechen ja davon, dass wir in einer Kinderkultur leben, von Menschen, die zwar biologisch älter werden, aber selten erwachsen.

ujmp hat geschrieben:Das ist ein ziemlich großer Laden, indem die Rechte oft nicht weiß, was die Linke tut. Wo es viele Menschen gibt, sind auch immer ein paar besondere dabei. Das muss man nicht unbedingt der Kirche anrechnen.


Man kann es auch so sehen, als Diskussionbasis ist es ausreichend.

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Da ist die Religion ja ein ganz anderes Kaliber. Man mag sie ablehnen oder nicht, lieben oder hassen, aber aus den Prämissen folgt etwas, wenn ich sie denn akzeptiere.

Z.B. die Müllautos nach einem Papstbesuch. :mg:


Wenn schon, dann mit Rether: Sitzt im Panzerglaswagen und predigt Gottvertrauen.
Aber im Ernst, das ist der Lackmustest. Sag zum Christentum oder zu welcher Religion Du willst, dass Du es unterschreibst und schon ändert sich Dein Leben, ob zum Vorteil oder nicht, mag dann jeder für sich entscheiden.
Lies was über Hirnforschung, sag, okay, ich glaub es, es gibt kein ich und keinen freien Willen, also werde ich sofort… ja was denn? Was folgt aus dieser Erkenntnis?
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ganimed » Mo 9. Jul 2012, 22:19

laie hat geschrieben:Ich glaube nicht, daß man durch Reduktion mehr über Elefanten, Quanten, Welt lernt. ... Man kann die Welt durch verschiedene Brillen wahrnehmen. Das ist alles. Und wenn ich die Elefantenbrille aufhabe, dann leugne ich nicht dass es auch die "Quantenbrille" gibt, aber die habe ich nun mal nicht auf.

Ich gebe dir recht. Meistens hat man nur eine Brille zu einer Zeit auf. Aber stell dir doch mal vor, man sieht mit einer Brille einen interessanten Sachverhalt. Da ja Elefanten aus Quanten bestehen, könnte man beispielsweise mit einem interessanten Sachverhalt aus der Quantenwelt endlich auch eine offene Frage in der Elefantenwelt aufklären (mir fällt jetzt zugegebenermaßen kein plausibles Beispiel ein). Man nimmt also, nach der Erkenntnis aus der Quantenwelt die Quantenbrille ab, setzt die Elefantenbrille auf, überträgt dann die Quantenerkenntnis auf die Elefanten und hat wieder was über die Welt gelernt, durch Reduktionismus.

Bei deinem Argument, dass die Ebenen unterschiedlich sind und jede Ebene eine Brille hat und man sie getrennt betrachtet, hast du einfach nur vergessen, dass man beim Reduktionismus eben genau die Verbindungen zwischen den Ebenen herstellt und nutzt, beispielsweise durch das Übertragen von Erkenntnissen. Was du da also beschreibst, und wo man angeblich nichts über die Welt lernt, ist gerade das, was übrig bleibt, wenn man keinen Reduktionismus betreibt. Soweit ich sehe, redest du also eigentlich dem Reduktionismus das Wort.

laie hat geschrieben:@die anderen:
tschuldigung, das ist eigentlich schon vorbei. wollte nur dem ganimed noch antworten.

Danke für die Antwort. Und was vorbei ist oder nicht, bestimmen wir hoffentlich alle gemeinsam, mehr oder weniger. Also für mich ist das Thema Reduktionismus nicht vorbei. Wenn du noch mehr Antworten hast, bitte immer gerne.
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon Vollbreit » Mo 9. Jul 2012, 22:28

@ ganimed:

Das sehe ich, erstens, genauso wie laie in seinem jüngsten Beitrag.

Zweitens, selbst wenn es eine allumfassende physikalische Ebene gibt, was eine Glaubensfrage ist, deren kleinste Bestandteile die Quanten sind, so dass wir, die nächste Glaubensfrage, durch die Erforschung dieser Ebene die größte Präzision – was immer das ist – erzielen.

Niemand versteht die Sprache dieser Ebene. Dazu kommt noch, dass niemand die Logik dieser Ebene versteht. Oder vielleicht besser ausgedrückt: Unsere Logik versagt oft bei der Beschreibung von Quantenebenen. Zu guter Letzt müsste diese Ebene dann wieder in unseren Bewusstseinshorizont zurückübersetzt werden. Dann sind Elefanten wieder Elefanten.

Und um noch mal einen aus den Reihen der Brights dazu zu zitieren.
Daniel Dennett hat geschrieben:„Viele Physiker sind auf diesen Zug aufgesprungen, folgen dem Beispiel von Roger Penrose, dessen Spekulationen über die Quantenfluktuationen in den Mikrotubuli der Neuronen trotz einer Unmenge an Problemen viel Aufmerksamkeit erregt und Begeisterung ausgelöst haben. Allen diesen Auffassungen ist die Idee gemeinsam, dass irgendein revolutionäres physikalisches Prinzip ein Konkurrent der Idee sein könnte, dass das Bewusstsein durch „Teile, die einander stoßen“, erklärt werden kann (Leibniz‘ Mühle). Einmal angenommen sie lägen richtig. Angenommen das Schwierige Problem – worin auch immer es bestehen mag – kann nur dadurch gelöst werden, dass man eine erstaunliche, neue und irreduzible physikalische Eigenschaft derjenigen Zellen anerkennt, aus denen ein Gehirn zusammengesetzt ist. Ein Problem damit ist, dass die physikalische Beschaffenheit unseres Gehirns, soweit wir wissen die gleiche ist, wie die physikalische Beschaffenheit der Hefezellen, die sich in einer Schüssel explosionsartig vermehren. Die funktionalen Unterschiede zwischen Neuronen und Hefezellen werden durch die Unterschiede in der Anatomie und Zytoarchitektur erklärt und nicht durch ihre physikalischen Beschaffenheit.“
(Dennett, Süße Träume, Suhrkamp 2006, S.22f)
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Re: Wozu dient der Gottesbegriff?

Beitragvon ujmp » Mo 9. Jul 2012, 22:51

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Die Infantilisierung ist Strategie.


Nicht wirklich bewusst, denke ich, aber Strategie, ja. Ich würde es auch nicht infantil nennen, konventionell trifft es besser. Infantil ist seine Triebe auszuleben, dafür bekommt man in allen Religionen nicht mal einen Eintrittsplatz für die hinteren Ränge. Dass für die Oberen dann mitunter ganz andere Regeln gelten, so semioffiziell, ist mir bekannt. Aber es geht ja um die Schäfchen.
Insofern ist das nicht wirklich infantil.

Ach wo, die wollen dich in die Kindchenrolle bringen, weil Kinder kritiklose Nachahmer sind.




Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Da ist die Religion ja ein ganz anderes Kaliber. Man mag sie ablehnen oder nicht, lieben oder hassen, aber aus den Prämissen folgt etwas, wenn ich sie denn akzeptiere.

Z.B. die Müllautos nach einem Papstbesuch. :mg:


Wenn schon, dann mit Rether: Sitzt im Panzerglaswagen und predigt Gottvertrauen.
Aber im Ernst, das ist der Lackmustest. Sag zum Christentum oder zu welcher Religion Du willst, dass Du es unterschreibst und schon ändert sich Dein Leben, ob zum Vorteil oder nicht, mag dann jeder für sich entscheiden.
Lies was über Hirnforschung, sag, okay, ich glaub es, es gibt kein ich und keinen freien Willen, also werde ich sofort… ja was denn? Was folgt aus dieser Erkenntnis?

Das Verständnis, dass der Mensch von unbewussten Vorgängen gesteuert wird, kann einem schon weiterhelfen. Die Religion lehrt "Du sollst nicht begehren..." Die Neurologie lehrt uns, dass du keine Chance hast, das Gebot zu erfüllen, weil du ein Mensch bist und dass die Religion unmenschliche Gebote aufstellt.
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