Lumen hat geschrieben:Die Informationskontrolle rührt daher, dass immer nur ausgewählte Zugang zur "göttlichen" (oder im Falle von Scientology außerirdischen) Information haben wollen.
Ja, vermutlich geht das auf den Schamanismus zurück.
Lumen hat geschrieben:Die Exklusivität wird mindestens an das gläubig-sein geknüpft und darüberhinaus auch an bestimmte "Fähigkeiten". Diese sind stets so beschaffen, dass nicht überprüft werden kann, ob der Betreffende die Fähigkeit wirklich erlangt hat. Gemeinhin wird dies Erleuchtung genannt und an wirre, semantisch oder auch syntaktisch unsinnige "Aussagen" geknüpft, die angeblich nur der Erleuchtete versteht.
Zen-Meister überprüfen ja diese Fähigkeit.
Das Problem ist eigentlich nur das: Wenn nur ein paar Leute wissen wie Pfeffer schmeckt und nun jemand Wacholderaroma nimmt und behauptet es sei Pfeffer, kann das von denen, die Pfeffer nicht kennen eigentlich niemand kontrollieren.
Eine Möglichkeit der Deutung ist, dass das alles nur ein Trick ist.
Irgendwer behauptet es gäbe Pfeffer und der sei ganz köstlich nur eben sehr selten.
Aber in Wahrheit gibt es gar keinen Pfeffer.
Die andere Variante ist, dass die Erfahrungen nicht systematisiert sind.
Kann sein, dass sich bei der Systematisierung erweist, dass alles nur Spinnerei ist.
Kann sein, dass sich anderes erweist. Der Prozess läuft ja ohnehin bereits.
Lumen hat geschrieben:Da kommen dann z.B. Sachen ins Spiel, die Dennett Deepities nennt. In diesem Umfeld blühen Ideen wie die von der Trinität Gottes, mystische Lehren und auch Quacksalberei. Das Spiel besteht dann darin, sich selbst, oder wenigstens die anderen Jünger davon zu überzeugen, man habe die sagenhaften Fähigkeiten soweit erlangt, um sich als Stellvertreter der Gottheit ausrufen zu können. Bei Protestanten passiert das gradueller, in anderen Religionen in diskreteren Schritten.
Ich kann Dennetts Argumentation da nicht teilen, warum nicht, habe ich geschrieben.
Mir ist unklar, was mit einer vollständigen Objektivierung (auch Dennetts Heterophänomenologie ist nichts anderes als zu zeigen, dass subjektive Äußerungen im Grunde wertlos sind) letzten Endes dienen sollen. Was genau wäre damit gewonnen?
Die Abwehr des Qualia-Begriffs von Dennett ist nicht ohne Witz und Rafinesse. Kennst Du seine Argumentation aus „Süße Träume“? Er spielt damit – und das tut er gut – dass die Qualia-Befürworter genau dann, wenn sie behaupten, man könne alles über das Bewusstsein wissen, im zweiten Schritt einen Rückzieher machen und sagen, man kann zwar alles wissen, aber nicht was „blau“ ist. Dennett beharrt darauf, dass die Behauptung dann eigentlich ist, dass man eben nicht alles weiß. Weiß man alles, dann weiß man eben alles, also auch was „blau“ ist.
Der eigentliche Punkt ist aber an anderer Stelle und berührt unsere Diskussion. Kann man etwas wissen, ohne es selbst erfahren zu haben? Und hier tut sich eine Kluft auf, denn was gemeint ist, ist, dass man eigentlich wenn man 100 Bücher über Sex liest, ohne je welchen gehabt zu haben, wie der Blinde von der Farbe redet. Oder eben doch nicht? Man kann ja von Tomaten wissen, dass sie rot sind, auch wenn man farbenblind ist.
Es gibt also scheinbar Wissen, ohne eigene primäre Erfahrung.
Jetzt ist die Preisfrage, wie weit man es damit treiben kann.
Könnte man theoretisch – im Gedankenexperiment – auf eigene Erfahrungen komplett verzichten?
Etwa wenn einem Wissen über die Welt in einen Chip im Hirn heruntergeladen würde?
Die Beantwortung dieser Frage klärt, ob innere Zustände nur Geschwaller sind.
Lumen hat geschrieben:Um die Sektiererei von innen einzudämmen, …
Das ist vielleicht eine richtige Beschreibung aber die Soziologenperspektive.
Mitglieder würden sagen, dass das Wesentliche damit verfehlt wird, das was passiert, wenn man vom Beobachter zum Teilnehmer wird.
Das gilt für so ziemlich alle Prozesse, man kann da auch Fußballfans nehmen.
Insofern stimmen die Beschreibungen, die Frage ist, sind sie hinreichend?
Lumen hat geschrieben:Möchte man, wie es moderne Gläubige tun, die tatsächliche Beschreibung der religiösen Offenbarung in Zweifel ziehen, fragt sich der Atheist, wo denn das symbolische beginnt und wo das tatsächliche aufhört. Das ist erwiesenermaßen beliebig. Jesus gabs also wirklich, aber dematerialisiert als er in den "Himmel aufstieg" hat er sich wohl nicht. Die eine Wundertat ist symbolisch, die andere faktisch. Wenn es alles symbolisch ist, nach moderner Lesart, dann gab es also niemals einen Adam und keine Eva. Keinen Baum, und damit keine verbotene Frucht, keine Erbsünde und somit ist auch das Opfer eines Juden aus dem ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung hinfällig.
Ich halte das für eine weitgehend private Entscheidung, wie jemand seinen Glauben und den Umgang mit mythologischen Bildern ausdeutet. Es ist ja ähnlich wie mit der Griechenlandhilfe.
Keiner weiß, wie es weiter geht.
Oder mit dem Rauchen. Tut man es, bekommt man überhäufig Lungenkrebs, aber 99% der Raucher bekommen eben keinen.
Oder allgemein mit der Gesundheitsprophylaxe. Gesund wollen viele sein, wenn das, was man dafür tut irgendwann zum Stress wird, ist das dann noch gesund?
Man würfelt sich halt seine Glaubensbilder zusammen und tut gut daran, sie nicht weiter zu hinterfragen, zu halten sind die allermeisten nicht.
Die Frage ist, ob man im Angesicht dessen, naiv wird oder zynisch oder Existentialist oder Nihilist.
Lumen hat geschrieben:All diese Mechanismen sind allesamt recht gut verstanden und werden auch umfassend in anderen Bereichen, selten aber so gut orchestriert, eingesetzt. Die Werbung zum Beispiel "weckt" Bedürfnisse und bietet dann das Produkt an, um sie zu stillen. Werbung arbeitet auch fortwährend mit der Plazierung von Ideen im Alltag. Vereine bis Nationen nutzen Symbole um Gemeinsamkeiten zwischen Anhängern zu "stiften" usf.
Klar, Werbung funktioniert, die Brights haben ja auch ein Symbol, und?
Lumen hat geschrieben:Hartnäckig halten sich aber dennoch Vorstellungen an Gott. Sie stammen aus der Erziehung und aus dem Umfeld, also von anderen Menschen. Deshalb glaubte der Däne vor 1000 Jahren an andere Dinge als der heutige Italiener, der Japaner an andere Dinge als der Inder. Diese "Theorien" des Göttlichen gehen, um mal bei der Wissenschaftskritik zu bleiben in keiner Weise ineinander über. Sie haben Elemente, die teilweise durch eine gemeinsame Vergangenheit vergleichbar sind, aber doch profund unterschiedlich sind.
Auch in der Mystik?
Für die mythische Ebene ist das ja bekannt.
Die Frage ist doch, wie es überhaupt zum Gottesbegriff kam. Woher die Notwendigkeit etwas zu konstruieren, was niemand je erfahren hat, wie Du meinst.
Vielleicht war diese Erfahrung ja nur ein Traum oder ein epileptischer Anfall oder eine Psychose, aber dann war es eine Erfahrung. Oder es ist eine breitere Erfahrung oder eben nicht nur eine.
Eine für die Masse, Sinnstiftung und Bestätigung durch die soziologischen Mechanismen.
Eine für die Spitze, direkte Erfahrung.
Lumen hat geschrieben:Für die Existenz eines Gottes, insbesondere für eine spezifische Sorte von Gott gibt es indes keinerlei Anhaltspunkte. Ein Mensch der sich Tatsächlich seiner Rationalität bedient, kann zu keinem anderen Schluss gelangen, dass Religionen durch ihr historisches Umfeld und ihre Mechanismen keinewegs "nicht von dieser Welt" stammen (d.h. offenbart wurden), sondern —im Gegenteil— sehr genau auf kognitive Beschaffenheit von Menschen abgestimmt sind.
Schöne petitio principii, aber tatsächlich kommen auch rationale Menschen zu einer anderen Auffassung.
Lumen hat geschrieben:Darüberhinaus sind positive Effekte wie der Plazebo-Effekt nicht an Götter gebunden, sondern hat mit komplexen psychosomatischen Wechselwirkungen zu tun.
Ja, natürlich.
Lumen hat geschrieben:Eingedenkt dieser Tatsachen, kann eine Religion nicht als Trost-spendend gelten.
Du kannst doch nicht für andere entscheiden, was ihnen Trost spendet.
Lumen hat geschrieben:Ohne den induzierten Mangel gibt es keine Notwendigkeit, diesen zu heilen.
Trost wird ja auch gespendet, weil Gott einen verlassen hat, sondern weil der Ehepartner gestorben ist oder sonst etwas. Natürlich ist der Trostfaktor über die reine Gemeinschaft hinaus nur dann relevant, wenn man die Prämissen akzeptiert.
Lumen hat geschrieben:Religionen beheben nicht das Problem unserer Endlichkeit, denn jeder verhält sich so als sei eine Existenz wirklich irgendwann endet, einschließlich der Trauer die damit verbunden ist, wenn jemand anderes stirbt. Noch nie habe ich erlebt, wie jemand gejubelt hat, da der Geliebte sich nun am denkbar besten Ort befindet.
Doch es gibt im Osten solche Jubelfeiern. Dennoch trauert man ja um den eigenen Verlust, der Tote hat es so oder so hinter sich. Eigentlich geht keine Zeit so dermaßen verkrampft mit dem Tod um, wie ausgerechnet unsere westliche Moderne, kannst Du bei Ariès nachlesen.
Lumen hat geschrieben:Zudem kann jede mögliche positive Idee über beliebige Kontexte hergestellt werden. Es gibt keine argumentative Verbindung zwischen dem positivem Nutzen z.B. einer Erlösungsfantasie zu einer bestimmten Religion. Wenn jemand die Vorstellung von einem Jenseits braucht, um mit der Trauer fertig zu werden, wird sich diese Vorstellung selbst entwickeln. Dafür braucht sich keine Religion im Vorfeld als Mittler implantieren.
Das behauptet doch auch niemand.
Du kämpfst da gerne gegen eine Alleinvertretungsanspruch den doch hier niemand formuliert.
Lumen hat geschrieben:Man kann argumentieren, dass keine zwei Religionen sich gleichen, da jeder Gläubige seine Privatreligion mit Privatvorstellungen entwickelt, die nur oberflächlich über geteilte (aber ambivalente) Symbole scheinbar synchonisiert werden. …Und das ganz sicher auf eine andere Art mit viel größeren Unsicherheiten behaftet als das im Alltag mit "greifbaren" Dingen der Fall ist.
Das ist ein guter Einwand, aber nur auf den ersten Blick, denn da haben die Religionen ja eben ihre verbindenden Rituale, Gesänge, Gebetspraxis... Schlechter wäre dann die Demokratie oder etwas in der Art dran.
Lumen hat geschrieben:Das sich Religionen komplett auf einer "hohen" sozio-kulturellen Stufe abspielen, und nicht etwa wie die Physik auf einer "tiefen", sind alle mitgeschleiften "Ungenauigkeiten" die sich aus Emergenz ergeben, komplett in der Religion vorhanden.
Was soll das denn genau heißen? Ich wüsste nicht was daraus abzuleiten wäre.
Sagenhaft unpräzise ist bspw. unsere Alltagssprache? Stört es jemanden? Im Gegenteil.
Lumen hat geschrieben: Wenn es keine Wirklichkeit gibt, dann hat Jesus und ein Buch mit Märchend drin noch viel weniger eine Chance als sonst. Am Ende läuft es auf den "Leap of Faith" hinaus, der Glauben von Unglauben unterscheidet. Das ist schlicht die Neigung einer Person, inwiefern sie den Mechanismen die ich oben ausgeführt habe, erlegen ist.
Warum sollte es keine Wirklichkeit geben?
Lumen hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:[...] Ich habe "Gott" dort immer als Schöpfergott gedeutet und den Gott der im Durchbrechen zuteil wird, als den, der den Schöpfergott noch überragt.[...]
Gott und Demiurg, mit anderen Worten. Bist du Monist oder Gnostiker, oder jüdisch näher an der Kaballa dran? Wie dem auch sei: es ist Fantasy.
Warum hast Du so ein dringendes Etikettierungsbedürfbedürfnis? Bist Du Lagerverwalter?