Lumen hat geschrieben:Ich sehe den Widerspruch bei Dawkins nicht, aber wohl in deinen Darstellungen. Dawkins hatte schon aus beruflichen Gründen mit Kreationisten zu tun und da kann ich es ihm nicht verdenken, dass er sich mit Glaubensvorstellungen dieser Leute auseinandersetzt und diese demontiert.
Geschenkt, darf er machen, meinen Segen hat er.
Lumen hat geschrieben:Dass dabei Theologen und mancher Philosoph bisweilen leer ausgehen und keine neuen Anstöße bekommen haben, sei diesem Umstand geschuldet. Kreationisten, die Taliban und andere Gestalten sind leider keine unwichtige Randerscheinung. Ich möchte nicht wieder "mein Thema" daraus machen, aber dir ist bewusst, dass Kreationismus von vielen hochrangigen CDU Politikern
befürwortet wurde, darunter Ministerpräsidenten wie Koch und Althaus? Es sollte auch konkret an Schulen in Hessen gebracht werden. Von der Situation in andern Ländern ganz zu schweigen. Oder Christian Wulff, mit seiner berühmtem Behauptung, die drei abrahmitischen Weltreligionen gehörten zu Deutschland.
Das kann man so und so bewerten, aber die Strategie gegen den Kreationismus kann nicht allein eine Frontstellung sein, einfach aus dem Grund, weil gemeinsame explizite Feinde die Reihen schließen. Kreationisten machen in meinen Augen den Fehler, den wohl auch laie als solchen ansieht, ich sag’s mal mit meinen Worten, sie ziehen Glaubensfragen oder theologischen Inhalte auf die Ebene der empirischen Wissenschaft.
Dort wo sie explizit so argumentieren, argumentieren sie schlecht (die x-te Kacke vom Turiner Grabtuch), aber an einer genüsslichen Demontage erfreuen sich vor allem die, die das ohnehin schon immer für dummes Zeug gehalten haben. Die Blödies, die wirklich von nichts eine Ahnung haben, können auch die Güte der jeweiligen Argumente gar nicht beurteilen und die Diskussion bleibt immer das, was es vorher war, eine Glaubensfrage. Da wird der smarte Dawkins dann irgendwann von einen dicken Ami mit Siegelring ausgepunktet werden, weil der britische Witz im Lande von schwarz und weiß nämlich komplett seine Wirkung verfehlt.
Lumen hat geschrieben:Wenn du schreibst, man könne einerseits nicht von Biomechanismen und andererseits von Menschenrechten sprechen, dann liegst du damit falsch. Offenbar gibt es doch ein Missverständnis. Eine große Anzahl an Missverständnissen lass ich allerdings nicht als Beleg dafür gelten, dass etwas missverständlich ist, zumal nicht in dem Klima in dem Dawkins Schriften stehen. Wo wir bei "naiver Aufklärung" sind, wenn meine Ansichten naiv Aufklärerisch sind, dann sind eure romantische Verklärungen.
Einverstanden. Ich stehe auf Romantik.
Lumen hat geschrieben:Schon zu der damaligen Zeit meinte Vernunft nicht, dass man nicht mehr lieben dürfe, oder seinen Gefühl folgen durfte. Das ist eine naive, schematische Vorstellung davon, wie Menschen sind. Da sind wir uns wahrscheinlich über Umwege dann einig.
Jepp. Sind wir.
Lumen hat geschrieben:Das Verständnis von Vernunft, verkörpert durch Mr. Spock ist ein Zerrbild. Dieses Zerrbild wird medial oft verbreitet, weshalb es natürlich bei TVTropes adäquat als eigene literarische Figur festhalten wurde, der "
Straw Vulcan", also etwa "Strohmann Vulkanier" (siehe auch
Strohmann-Argument). Spock ist nur scheinbar vernünftig. Der Strohmann besteht darin (und auch Kirks Überlegenheit), dass Spock Emotion komplett ausblendet, also auch die Kosten/Nutzen/Effekte von Emotionen ausblendet.
Ich stimme Dir ausdrücklich zu.
Lumen hat geschrieben:Das hat der Figur auch oft die Komik verliehen. Aber mit wirklichen Menschen, oder echter Vernunft hat das nichts zu tun. Das sind im Grunde romantische (aus der Zeitepoche stammende) Vorstellungen.
Meinetwegen, aber wenn wir uns einig sind, wie sagen wir’s der Welt? Bei einer Fokussierung auf Nutzen und Erfolg gelten Emotionen etc. pp als dummes Zeug. Das ist falsch, ändert aber nichts daran, dass es geglaubt wird und was Glauben heißen kann, darüber brauchst Du von mir keine Aufklärung.
Lumen hat geschrieben:Dawkins selbst weist doch sogar darauf hin, explizit, dass es keine Automation gibt. Dass das Vorhandensein von Empathie noch kein friedvolles Zusammenleben garantiert wissen wir alle. Ich hatte dir doch das Video sogar geschickt, vom Purpose of Purpose. Der recht aktuelle Beitrag handelt davon, wie genetische Anlagen kulturell unterminiert werden können, und mich beschleicht ein Deja Vu, dass ich darauf schon hingewiesen hatte. Das Video hänge ich unten nochmal an. Die Thematik kommt auch in der aktuellen Debatte um die sogenannte Group Selection durch. Siehe dazu Steven Pinker's recht druckfrischen Artikel:
The False Allure of Group Selection.
Wir haben
dank egoistischer Gene ein Gefühl für andere Menschen und sogar für andere Tiere. Die Gene sind bloß die Bits und Bytes des Lebens, sollen diese doch "egoistisch" sein. Sie haben kein Bewusstsein von ihrem Tun.
Wäre ich jetzt boshaft würde ich sagen, dass die Biologen ihre große Stärke vor allem in der nachträglichen Interpretation von dem haben, was sie so vorfinden. Und ich bin ein bisschen boshaft.
Aber gut, so viel Einigung hatten wir selten, ich will es nicht versauen, ich sehe es hier und da etwas anders. Genauer: Inhaltlich stimmt das, aber ich möchte schon auf den Umstand hinweisen, dass es immer wieder Biologen waren, die mit viel Aufwand das Ego demontierten um dann nachher überrascht festzustellen, dass eigentlich doch nur der Mensch Bewusstsein besitzt – jenes Bewusstsein was wir alltagssprachlich meinen. Dass sie das dann lautstark als neuesten Brüller kommunizieren zeugt immerhin von Selbstbewusstsein.
Lumen hat geschrieben:Der begriff des "selfish" ist ein plakativer Buchtitel, der das Phänomen umschreibt, nichts mehr. Ich finde es bedenklich, wie das darüber hinaus ganz eindeutig instrumentalisiert wird.
Also, ich habe verstanden, wie man Dawkins in diesem Punkt verstehen soll, dass er sich gelegentlich selbst widerspricht ist nun wirklich nicht mein Problem. Ich habe das Konzept der selfish genes kapiert und auch das, was Du darunter verstehst, nur ist die Problematik die ich dann nicht ausblenden möchte, doch die Entsubjektivierung. Und Du sagst sehr richtig, dass die Gene eben kein Bewusstsein von ihrem Tun haben. Das hat nur der Mensch, aber nervigerweise wird ihm das aus derselben Ecke immer wieder abgesprochen. Lassen wir die Hirnforscher mal raus, was heißt es denn nun, wenn die Gene sich zu ihrem Nutzen reproduzieren „möchten“ (ohne dass sie streng genommen etwas möchten können: Kein kleines Problem, man könnte, sagen, nur eine Metapher, aber neben Wolf Singer ist es gerade Daniel Dennett der sich für ein umfassende Objektivierung – d.h. den Verzicht auf die Sprache der 1.Person stark macht – dann muss man auch mal durchziehen und sein Heil nicht gleich an der nächsten Ecke in 1. Person Zuschreibungen suchen, was regelmäßig passiert.)?
Einerseits heißt das, dass der Mensch als Produkt der Gene dem ausgeliefert ist. Er ist gezwungen ein übergeordnetes Genmuster zu erfüllen, dass dem simplen Trieb der Reproduktion folgt und dem alles andere „egal“ ist, weil es eben unbewusster Naturvorgang ist.
Andererseits heißt es, dass der Mensch dem eben nicht komplett ausgeliefert ist, sonst wäre der Appell in sich sinnlos, wie schon ausgeführt.
Dass wir vielleicht irgendwo dazwischen sind, jo mei, wie oft ist dieses Motiv der zwei Seelen, ach in meiner Brust, denn schon bearbeitet worden? Abgegriffener geht’s nun nicht und worin der Vorteil liegt dass nun alles in Biosprech übersetzt zu bekommen (was nicht einmal gelingt) den kann ich nicht sehen.
Dawkins will uns vor unserer Natur warnen? Hallo? Religionen tun seit ein paar 1000 Jahren nichts anderes. Man kann über die Inhalte diskutieren, ob diese noch zeitgemäß sind oder es je waren.
Am Rande: Ich hab mir die Flossen wund gesucht und dann irgendwann resigniert kapituliert.
Russell – kein wirklicher Freund der Religionen – hat in seiner „Philosophie des Abendlandes“ irgendwo geschrieben, dass es noch zu griechischen Zeiten ziemlich entsetzliche Zustände gegeben hat, in die die Mythen und Religionen Ordnung brachen. Wenn einer die Stelle kennt, bitte melden, ich bin sicher es dort gelesen zu haben, finde es aber nicht mehr.
Die umfassende Legitimation kann dabei nicht sein, dass Gott das so wollte, aber wenn ich an einen gesellschaftlichen Diskurs glaube (was man ja nicht muss), muss ich akzeptieren, dass es einige Leute gibt, für die genau das ein Argument ist.
Und hier wiederholt sich eine Problematik. In dem Moment, wo ich gegen den Glauben wissenschaftlich argumentiere, vermische ich zwei Welten. Außerdem bearbeite ich dann den Glauben auf einer Ebene, der ihm nicht zukommt. Kreationisten vermischen das, aus Unwissenheit oder Strategie, keine Ahnung, aber auf dieser Ebene mit ihnen zu diskutieren, heißt ihnen auf falschem Terrain zu begegnen. Es ist allemal souveräner ihnen ihren Glauben zu lassen und darauf zu bestehen, dass weiterhin jeder glauben darf, was er will.
Aber es geht mir am Arsch vorbei, wenn jemand glauben will, dass der Mond aus Seife ist, er muss mich nur in Frieden lassen damit, wenn ich nicht will.
Lumen hat geschrieben: Aber weil die Gene sich identisch kopieren, können "wechselseitige" Eigenschaften entstehen. Deshalb können Verhaltensweisen wie das Füttern von Artgenossen entstehen und sich erfolgreich durchsetzen, wie wir bei uns Menschen sehen können.
Aber die Bits und Bytes, Gene oder Spiegelneuronen machen eben noch keine Menschenrechte.
Da kommt man dann wohl um Philosophen, Staatsrechtler, Soziologen und all die, die man mal eben abledern wollte, doch nicht rum.
Lumen hat geschrieben:Ich empfehle dir noch
diesen Artikel, der im Grunde alles auf einen Punkt bringt, was an magisch-religiösen Denken verkehrt ist. Was du dort nicht finden wirst: Logik oder Belege. Dafür bekommst du Appelle an Emotion, verschiedene Vignetten die Markenkerne Atheismus und Religion abgrenzen (im Sinne des Autoren) und jede Menge Budenzauberei. Da hätte ich gerne eher noch mehr Dawkins, Harris, Dennett und Hitchens.
Ich finde, der Artikel trifft den Nagel auf den Kopf.
Ihr seid es nicht gewohnt, dass Euch der Wind ins Gesicht blässt, weil Ihr immer mit der Attitüde der etwas überheblichen good guys daherkommt, aber das wird mehr und mehr anders rezipiert. In der Geisteswissenschaft wird das meiste was die organisierten Atheisten von sich geben ohnehin als indiskutabel angesehen, d.h. man macht sich nicht mal die Mühe es zu widerlegen, jetzt kommt es auch im Mainstream an. Früher war man, wie es im Artikel heißt, Atheist aus Gewohnheit, heute ist Atheismus dabei eine Glaubensfrage zu werden, in der Tat.[/quote]