Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Di 2. Okt 2012, 20:48

stine hat mich mit dem folgenden Absatz aus dem Thread "Respekt, Wüde, Ehre" sehr zum Nachdenken angeregt:
    "Menschliches Dasein (Leben) unterscheidet sich von dem anderer Tiere oder Pflanzen durch das sich des Lebens "bewusst" sein. Der Mensch hat die Wahlfreiheit, auch wenn sie hier des öfteren geleugnet wird, sich sein Leben einzurichten. Er vegetiert nicht nur (jedenfalls meistens nicht), sondern er lebt sein Leben im Bewusstsein auf die begrenzte Zeit, die ihm zur Verfügung steht.
    Der Mensch kennt "Gut" und "Böse" per eigener Definition. Kein anderes Tier unterscheidet so und kein anderes Tier würde deswegen auch vorsätzlich "Böses" tun.
    Der Mensch hat quasi per Definition die höchste Form des Daseins erreicht. Bis jetzt jedenfalls."

Bewusstsein wird hier als zusätzliches Wissen, als zusätzliche Informationsquelle beschrieben. Die im Bewusstsein gewonnenen/enthaltenen Informationen kann man dann dazu benutzen, Entscheidungen zu fällen und eine ganz andere Wahl zu treffen, als man es sonst könnte. Das finde ich interessant und erscheint mir richtig.

Und vor drei Tagen las ich über ein sogenanntes "Seitenlinienorgan" bei Fischen und Amphibien. Wikipedia schreibt dazu:
    "Seitenlinienorgane sind Sinnesorgane für Bewegungsreize. Sie kommen nur bei primär aquatilen Wirbeltieren vor: Fast alle Fische ... haben Seitenlinienorgane. ... Die durch das Seitenlinienorgan vermittelte Wahrnehmung ist auch als Ferntastsinn bekannt. Adäquate Reize sind Druckwellen, die in einem Röhren-System entstehen, wenn ein anderer Fisch o.a. vorbeischwimmt."

Aha, Seitenlinienorgane sind also auch eine zusätzliche Informationsquelle, um Entscheidungen zu treffen. Hört sich verblüffend ähnlich an. Ich verknüpfe jetzt mal beides, stines Worte und die Info über coole Sinnesorgane und schreibe aus Sicht eines größenwahnsinnigen Fisches mit ungefähr den Worten von stine:
    Fischliches Dasein (Leben) unterscheidet sich von dem anderer Tiere oder Pflanzen oder Menschen durch das Bemerken von Druckwellen. Der Fisch hat die Wahlfreiheit, auch wenn sie hier des öfteren geleugnet wird, sich sein Leben einzurichten. Er vegetiert nicht nur (jedenfalls meistens nicht), sondern er lebt sein Leben in der Kenntnis von Druckwellen, die ihn erreichen.
    Der Fisch kennt "Druckwellental" und "Druckwellenkamm" per eigenem Erleben. Kein anderes Tier oder Mensch unterscheidet so und kein anderes Tier oder Mensch würde deswegen auch vorsätzlich "Druckwellentäler" erzeugen.
    Der Fisch hat quasi per Definition die höchste Form des Daseins erreicht. Bis jetzt jedenfalls

Wieso sollte man diesem Fisch zustimmen? Das soll aber kein Scherz auf Kosten von stine sein. Nur ein Perspektivwechsel, durch den sich zumindest mir die Frage neu stellt, was eigentlich so toll an "Bewusstsein" ist. Ich räume ein, dass der Mensch bestimmt das größte Gehirn von allen hat und folglich wohl auch mehr Informationen pro Entscheidung auswertet, als jeder andere. Das macht uns zu Informationsweltmeistern. Aber wieso ist das die höchste Form des Daseins? Wieso ist nicht der die höchste Form, der am längsten die Luft anhalten kann? Ich glaube, die Antwort ist sehr offensichtlich: wir Menschen sind einfach kleine, selbstverliebte, arrogante Angeber, die natürlich das Kriterium für "hohes Dasein" völlig willkürlich genau so wählen, dass wir auch hinterher unschlagbar gewinnen. Aber ist doch einfach nur gemogelt, oder?

Meine These: Bewusstsein, Reflektionsfähigkeit, Rationalität sind keine besonderen Dinge, sondern einfach nur weitere Wege, Entscheidungen zu fällen, Informationen zu verwalten und den Fortpflanzungserfolg zu sichern. Es ist falsch, daraus einen besonderen Wert des Menschen abzuleiten, oder auf eine besondere Freiheit zu schließen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon mat-in » Di 2. Okt 2012, 21:14

Der Mensch hat weder Wahlfreiheit, noch gibt es "das Gute" oder "das Böse" für das man sich entscheiden könnte...
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Di 2. Okt 2012, 21:57

Das mit der Wahlfreiheit sehe ich auch so.
Aber ich finde, für gut oder böse kann man sich durchaus entscheiden.
Ein moralisches Empfinden hat er ja durchaus, der Mensch. Und er kann bestimmte Handlungen als eher böse oder eher gut deklarieren. Und er kann sich für Handlungen entscheiden. Soweit gebe ich stine schon recht.
Widerspreche aber insofern, als der Mensch sich auch ohne Bewusstsein für gut oder böse entscheiden kann. Und dass ein Mensch nicht dadurch böse wird, weil er sich anders hätte entscheiden können (konnte er bei gleichem Input ja nicht). Da kommt wieder die fehlende Wahlfreiheit ins Spiel.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 3. Okt 2012, 00:06

Ein paar Anmerkungen dazu:

- Du (oder andere Menschen) kannst vielleicht einen solchen Perspektivwechsel gedanklich erzeugen, ein Fisch kann das nicht, ebenso nicht eine Kuh oder eine Maus - man kann zwar gedanklich menschliche Eigenschaften/Fähigkeiten in Tiere/ Maschinen oder sonstige Dinge projizieren, aber dadurch bekommen diese Tiere/Maschinen diese Fähigkeiten nicht. (Ist übrigens ein beliebter Trick bei Veganern, das zu tun, nämlich Tiere derart zu vermenschlichen.)
- ein phänomenales Bewusstsein zu haben, bzw. Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis, ist nicht lediglich ein Mehr an Information, sondern mE ein prinzipieller Unterschied (dazu, kein phänomenales Bewusstsein, bzw. keine Selbsterkenntnis zu haben)
- die Bewertungsfrage: mE ist es so, dass Bewertungen immer eine subjektive Basis haben. Stine mag nun finden, dass menschliches Dasein die höchste Form des Daseins ist, Du magst im Gegensatz dazu finden, dass Menschen einfach kleine, selbstverliebte, arrogante Angeber sind. So ist das dann eben, das spielen sicher unterschiedliche Erfahrungen, Meinungen, Grundsätze eine Rolle. Aber wer soll nun auf welcher Basis entscheiden, wer von Euch beiden endgültig recht hat? Wie gesagt, glaube ich nicht, dass es hier eine objektive Basis geben kann.
- Du fragst, was eigentlich so toll an Bewusstsein sei. Stellen wir uns mal ein kleines, völlig hypothetisches Gedankenexperiment vor. Es gibt da, nehmen wir an, einen absolut genialen Gehirnchirurgen, der macht Dir folgendes Angebot: er operiert Dich an Deinem Gehirn und nach der Operation hat sich Dein IQ um den Faktor 1.000 vergrößert. Du wirst Dinge wissen und können, von denen Du bisher noch nicht mal den Schimmer einer Ahnung hast. Allerdings gibt es eine kleine Nebenwirkumg dabei: Du hättest nach der OP kein phänomenales Bewusstsein mehr, würdest also nichts mehr bewusst erleben, wahrnehmen, etc. Würdest Du Dich operieren lassen und wenn nicht: warum nicht?
- zu "gut" und "böse": ich glaube, es stimmt nicht, dass man diese Begriffe so verwendet, dass auch ein Mensch ohne Bewusstsein, (bzw. mit nicht genügend Fähigkeit zur Reflexion/Selbstreflexion und auch mit der Fähigkeit zur Handlungssteuerung/Triebunterdrückung), mit solchen Attributen belegt würde. Man würde in dem Falle, (dem Fehlen dieser Fähigkeiten), den Menschen eher als "krank" bezeichnen, (im Falle eines geistig unterentwickelten Menschen). Oder nehmen wir an, ein sehr kleines Kind würde aus Versehen, wegen Verkettung unglücklicher Umstände einen anderen Menschen zu Tode bringen. Man würde das aber doch wohl nicht als "böse" bezeichnen. Auch auf Tiere (oder Maschinen) wendet man diese Kategorien nicht an, es ist nicht "böse" vom Wolf, das Lamm zu reißen. Man würde eher ggf. sagen, der Wolf ist gefährlich. Ebenso das Computer-Expertensystem, oder der Haushaltsroboter, der/das außer Kontrolle gerät. "Gut" und "böse" sind ja moralische Bewertungen und diese wendet man mE normalerweise nur auf solche Wesen an, denen man einen hinreichenden Besitz der o.g. Fähigkeiten unterstellt, und zusätzlich noch eine bewusste Absicht.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Zappa » Mi 3. Okt 2012, 06:53

Ich sehe da, wie @AgentProvocateur, auch einen qualitativen und nicht rein quantitativen Unterschied. In deinem Beispiel hat der Fisch einfach ein Sinnesorgan mehr. Das mag nett und hilfreich sein, aber ist sicher nicht vergleichbar mit der Kategorie Bewusstsein.

Ein weiteres Gedankenbeispiel: Durch Mutationen entwickeln einige Menschen einen neuen Sinn, sagen wir mal Sie könnten radioaktive Strahlung wahrnehmen. Das wäre sicherlich nützlich und vielleicht würde man versuchen die Mutation zu erforschen und durch moderne Gentechnik Sie auch anderen anzubieten. Würden sich die Menschen durch diesen neuen Sinn aber als besserer, bewusstere Menschen erleben? Ich denke nicht, weil die reine Sinneswahrnehmung nicht die Sphäre tangiert, die @stine meinte.

Die moderne Hirnforschung denkt sich diese höheren Gehirnfähigkeiten als zunehmend komplexe, selbstreflexierende und gegenseitig beeinflussende Funktionen, die auch in der Lage sind gewisse Dinge unabhängig von aktuellen Sinneseinflüssen zu antizipieren, vorauszuberechnen oder nachzuverarbeiten (Träume). Das ist etwas ganz anderes, als ein Erregungsmuster plump zu produzieren wenn ein Reiz (Druckwelle) ankommt oder eben nicht ankommt, das ist eine andere Ebene.

Das mit der Willensfreiheit (ich weiß das dazu ein interessanter Thread läuft und im Urlaub werde ich mir den auch mal durchlesen) wird IMHO tlw. auch falsch verstanden: Wenn ich von der Neurologie ausgehe, dann ergibt sich zwangsläufig die Sicht, dass das alles deterministisch abläuft. In einem, bestimmten Sinn mag das auch so stimmen. Mir reicht die Freiheit, dass mein Nervensystem zum Zeitpunkt X Entscheidung A produziert und wenn ich nur eine Nanosekundde länger darüber nachdenke Entschluß B dabei herauskommt. Beide Entscheidungen sind auf streng naturwissenschaftlicher Ebene deteministisch und nicht frei, für mich als Individuum empfinde ich das allerdings als Entscheidungsfreiheit (Gedanken und Willensfreheit würde ich das nicht nennen). Auch das sind also unterschiedliche Ebenen, nämlcih u.a. eben Subjekt und Objekt. Ohne diese Freiheit der Entscheidung würden die Begriffe gut und böse auch keinen Sinn machen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mi 3. Okt 2012, 10:50

Vielleicht ist der Grund mancher Meinungsverschiedenheit auch die ungleiche Leseart der Begriffe.
Mit "höher" meinte ich nicht ein "höher" im Sinne des Standes, sondern eine Entwicklung, die offensichtlich andere Tierarten nicht mitgemacht haben und die den Menschen dadurch von anderen Tieren eklatant unterscheidet.
Der Fisch mit dem Seitenlinienorgan hat offensichtlich einen Vorteil gegenüber den Fischen, die dieses Organ nicht haben und kann Gefahren dadurch besser erkennen und ihnen aus dem Weg gehen. Hätte er ein Bewusstsein, gleich dem der Menschen, könnte er sogar noch entscheiden, ob er der Gefahr aus dem Weg geht oder lieber mal ausprobiert, ob er darin umkommt.

AgentProvocateur hat geschrieben:- ein phänomenales Bewusstsein zu haben, bzw. Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis, ist nicht lediglich ein Mehr an Information, sondern mE ein prinzipieller Unterschied (dazu, kein phänomenales Bewusstsein, bzw. keine Selbsterkenntnis zu haben)
AgentProvocateur hat geschrieben:"Gut" und "böse" sind ja moralische Bewertungen und diese wendet man mE normalerweise nur auf solche Wesen an, denen man einen hinreichenden Besitz der o.g. Fähigkeiten unterstellt, und zusätzlich noch eine bewusste Absicht.
Sehe ich auch so. :up:
"Gut" und "böse" sind Kulturgut. In der Natur gibt es das freilich nicht, aber der "erwachsene" Mensch unterscheidet anhand seiner geistigen Entwicklung und kulturellen Prägung, was er dafür hält und er hat ganz offensichtlich (bei klarem Verstand) die Wahl, ob er einen Juwelierladen ausrauben soll oder nicht.
Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, dass der Mensch es überhaupt nur so "weit" bringen konnte (Begrifflichkeit "weit" = Technisierung, soziale Kompetenz, usw.) WEIL er aufgrund seiner Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis eine kulturelle Entwicklung mitmachte, in der "Gut und Böse" eine Rolle spielten. Das Wissen um eine moralische Notwendigeit ist eine nicht zu unterschätzende Vorraussetzung für ein anhaltendes, friedliches Miteinander.

Um nochmal auf die Begrifflichkeiten zu kommen: Unter "erwachsen" verstehe ich einen ausgebildeten Charakter, der es gelernt hat Vernunft walten zu lassen und Verantwortung für sein Tun zu übernehmen. (bezogen auch auf andere Threads) Nur groß und älter werden, reicht nicht! :mg:

LG stine
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon mat-in » Mi 3. Okt 2012, 19:08

Zappa hat geschrieben:Beide Entscheidungen sind auf streng naturwissenschaftlicher Ebene deteministisch und nicht frei, für mich als Individuum empfinde ich das allerdings als Entscheidungsfreiheit (Gedanken und Willensfreheit würde ich das nicht nennen). Auch das sind also unterschiedliche Ebenen, nämlich u.a. eben Subjekt und Objekt. Ohne diese Freiheit der Entscheidung würden die Begriffe gut und böse auch keinen Sinn machen.
Ganz genau deswegen machen sie ja auch keinen Sinn als Bewertung einer Person. Vielleicht habe ich das oben etwas zu kurz geschrieben.

Natürlich kann man Bewertungskriterien anlegen, z.B. das Erhalten des Lebens, das vermeiden von Leid, ... und in diesem Licht objektiv beurteilen, ob etwas positive oder negative Auswirkungen hat. Das ist natürlich keine absolute Skala aber zwei Situationen abzuwägen fällt in den meisten Fällen leicht.
Das macht jedoch keinesfalls eine Person "Böse", wenn ihre Handlungen negativ zu bewerten sind. Meist handelt sie - aus ihrer Sichtweise heraus - so wie sie handeln kann und das ist für sie gut. Der Nazi der auf einen anderen Menschen einschlägt, tut das mit "guten" Motiven, denn er will andere Menschen vor eine Bedrohung schützen die er in seinem verschobenen Weltbild nun mal so wahrnimmt.
Die Idee das der Mensch "sich entscheiden kann", rausgelößt aus seinem Genetischen, Entwicklungs, Erfahrungs, Situationshintergrund, das er also in exakt der gleichen Situation so oder so handeln kann entbirt jeder Realität. Sowohl Philosophisch als auch Neurowissenschaftlich (und bei genauem hinsehen auch aus unserer Alltagsbeobachtung heraus) kommen wir zu diesem Schluß. Auch das man über "was wäre wenn" nachdenken kann ändert daran nichts. Damit bricht auch das gesamte Schuld / Strafe / Sühne System zusammen.
Wo führt das hin? Zu einem System das frei von Haß, Rache, Schuld, Sünde ist. Hin zu einem System das endlich die Ursachen negativen Verhaltens sehen und ändern kann. Es kann uns also nur Recht sein, endlich einzusehen das es so etwas wie "das Gute" oder "das Böse" nicht gibt.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 3. Okt 2012, 19:11

AgentProvocateur hat geschrieben:- Du (oder andere Menschen) kannst vielleicht einen solchen Perspektivwechsel gedanklich erzeugen, ein Fisch kann das nicht

Dafür kann ein Fisch wieder Sachen machen (länger unter Wasser bleiben zum Beispiel) die ein Mensch wieder nicht kann. Ich will ja mit diesem Thema nicht darauf hinaus, dass wir alle gleich sind. Ich will nur hinterfragen, wieso Menschen sich für etwas "besseres" oder "höheres" oder "weiter entwickeltes" halten.

AgentProvocateur hat geschrieben:- ein phänomenales Bewusstsein zu haben, bzw. Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis, ist nicht lediglich ein Mehr an Information, sondern mE ein prinzipieller Unterschied (dazu, kein phänomenales Bewusstsein, bzw. keine Selbsterkenntnis zu haben)

Prinzipieller Unterschied? Nein, das stimmt nicht. Was machst du denn mit dem Bewusstsein? Das war ja gerade mein Aha-Effekt bei stines Ausgangszitat: das Bewusstsein ist (auch) ein Kasten, der neue Informationen erzeugt, indem er vorhandene Informationen ganz anders verarbeitet als ein Fisch das könnte. Aber ist das ein ganz neues Prinzip? Nein. Der Fisch hat ein Seitenlinienorgan, das im Prinzip genau so funktioniert. Es liefert Informationen durch einen Prozess, den wir Menschen nicht drauf haben. Das Prinzip ist das gleiche. In beiden Fällen werden die Informationen dazu benutzt, das eigene Verhalten zu steuern.

AgentProvocateur hat geschrieben:- Du fragst, was eigentlich so toll an Bewusstsein sei. Stellen wir uns mal ein kleines, völlig hypothetisches Gedankenexperiment vor. Es gibt da, nehmen wir an, einen absolut genialen Gehirnchirurgen, der macht Dir folgendes Angebot: er operiert Dich an Deinem Gehirn und nach der Operation hat sich Dein IQ um den Faktor 1.000 vergrößert. Du wirst Dinge wissen und können, von denen Du bisher noch nicht mal den Schimmer einer Ahnung hast. Allerdings gibt es eine kleine Nebenwirkumg dabei: Du hättest nach der OP kein phänomenales Bewusstsein mehr, würdest also nichts mehr bewusst erleben, wahrnehmen, etc. Würdest Du Dich operieren lassen und wenn nicht: warum nicht?

Natürlich ist das Bewusstsein für uns Menschen sehr wichtig, weil wir uns eine Existenz ohne es gar nicht vorstellen können (obschon wir sie selbst einmal durchlebt haben als Embryo und Kleinkind, aber damals haben wir keine Erinnerungen gespeichert). Aber würdest du dem Deal des Doktors zustimmen, wenn er dir das Bewusstsein lässt, dich aber in den Körper einer Vogelspinne transferiert? Sicher nicht. Also ist dir sowohl das Bewusstsein als auch dein menschlicher Körper sehr wertvoll. Wen wunderts. Wir Menschen sind in dieser Hinsicht einfach ultrakonservativ. Mit völligen Neuerungen tun wir uns eben sehr schwer. Das sagt aber nichts über die Besonderheit des Bewusstseins aus, nur etwas über unsere Angst vor Veränderungen.

AgentProvocateur hat geschrieben:- zu "gut" und "böse": ich glaube, es stimmt nicht, dass man diese Begriffe so verwendet

Da hast du recht. Ich gebe zu, gut und böse ist mit Absicht und Bewusstsein verknüpft. Es sind also Kategorien, die ein Fisch niemals verwenden könnte. Aber wie in dem Perspektivwechsel angedeutet, kann der Fisch wiederum Kategorien haben, die wir Menschen niemals verstehen können, weil uns deren Erleben fehlt. Es scheint mir daher falsch, wenn im stine-Zitat "gut" und "böse" wiederum als etwas besonderes dargestellt wird, was den Menschen prinzipiell über den Rest erhebt. Es ist etwas besonderes, weil nur Menschen das können. Aber in dieser Hinsicht ist das Seitenlinienorgan und die damit verbundenen Erfahrungs- und Erlebniszustände des Fisches auch etwas genau so besonderes. Wenn aber jeder etwas ganz besonderes hat, dann ist das eben nichts besonderes mehr.

stine hat geschrieben:Mit "höher" meinte ich nicht ein "höher" im Sinne des Standes, sondern eine Entwicklung, die offensichtlich andere Tierarten nicht mitgemacht haben und die den Menschen dadurch von anderen Tieren eklatant unterscheidet.

Wirklich? Wenn du nur "anders" meintest, wieso dann das Wort "höher"? Natürlich haben andere Tiere unsere Entwicklung nicht mitgemacht. Das kann jede Tierart von sich behaupten. Menschen haben auch nicht die Entwicklung der Giraffen mitgemacht. Aber die Giraffen könnten wenigstens mit etwas mehr Recht von einer "höheren" Lebensform sprechen.
Meinst du jetzt also, dass Menschen doch nicht höher sind, nichts besonderes sind und ihr Bewusstsein keine prinzipielle neue Qualität darstellt? Ich wäre überrascht. Aber in diesem Fall: willkommen auf der richtigen Seite dieser Diskussion :)

stine hat geschrieben:Ich gehe sogar soweit, zu behaupten, dass der Mensch es überhaupt nur so "weit" bringen konnte (Begrifflichkeit "weit" = Technisierung, soziale Kompetenz, usw.) WEIL er aufgrund seiner Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis eine kulturelle Entwicklung mitmachte, in der "Gut und Böse" eine Rolle spielten.

Der Mensch konnte nur dorthin kommen, wo er jetzt ist, durch die Entwicklung aller Fähigkeiten, die er jetzt hat. Aber das scheint mir eine banale Feststellung zu sein. Auch das könnten alle Tierarten von sich behaupten.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 3. Okt 2012, 19:29

Zappa hat geschrieben:Ich sehe da, wie @AgentProvocateur, auch einen qualitativen und nicht rein quantitativen Unterschied. In deinem Beispiel hat der Fisch einfach ein Sinnesorgan mehr. Das mag nett und hilfreich sein, aber ist sicher nicht vergleichbar mit der Kategorie Bewusstsein.

Zu dieser Behauptung fehlen mir noch ein paar Begründungen, um da was von mitnehmen zu können. Wie oben angedeutet, erfüllt das Seitenlinienorgan durch Bereitsstellung von Informationen dieselbe Funktion beim Entscheidungsprozess, bei der Verhaltenssteuerung, beim Leben. Warum sind also die beiden Dinge nicht vergleichbar? (Mit "vergleichbar" meine ich, dass man Unterschiede nennen kann aber dass die Kategorie die gleiche ist).

Zappa hat geschrieben:Würden sich die Menschen durch diesen neuen Sinn aber als besserer, bewusstere Menschen erleben? Ich denke nicht, weil die reine Sinneswahrnehmung nicht die Sphäre tangiert, die @stine meinte.

Das ist schon interessanter. Das Wort "Sphäre" ist neu. Ist das ein Synonym für Kategorie?
Mit einem neuen Sinn, mit mehr Informationen (wenn man sie denn alle verarbeiten kann) kommt man tendenziell wohl zu erfolgreicheren Entscheidungen. Ich glaube, jeder Radioaktiv-Sinn-Mensch würde sich mit einigem Recht als besser vorbereitet oder als besser ausgestattet erleben. Aber natürlich nicht als bewussterer Mensch. Sondern als radioaktiv-sinnigerer Mensch. Ist es Zufall, dass sich bei dir das Wort "bewusster" direkt hinter "besser" eingeschlichen hat? Ich hinterfrage ja gerade, was "bewusster" mit "besser" zu tun hat. Ist das bei dir vielleicht doch einfach eine unflexible und nicht weiter begründbare Verschaltung?

Das Fass mit der Willensfreiheit wollte ich hier eigentlich nicht unbedingt aufmachen. Wenn es auf wäre, würde ich aber hinzufügen, dass ich mat-ins Meinung bin. "Gut" und "Böse", so wie wir es alltagssprachlich verwenden, gibt es in diesem Licht nicht. Aber dazu müsste ich erst AgentProvocateur davon überzeugen, dass alle Kompatibilisten unrecht haben und er selber auch. Selbst wenn ich optimistisch davon ausgehe, dass ich 80 Jahre alt werde, das schaffe ich bis dahin nicht mehr. Ich habe schon vor einiger Zeit kläglich aufgegeben. :)
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Do 4. Okt 2012, 02:20

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:- ein phänomenales Bewusstsein zu haben, bzw. Reflektionsfähigkeit/Selbst-Erkenntnis, ist nicht lediglich ein Mehr an Information, sondern mE ein prinzipieller Unterschied (dazu, kein phänomenales Bewusstsein, bzw. keine Selbsterkenntnis zu haben)

Prinzipieller Unterschied? Nein, das stimmt nicht. Was machst du denn mit dem Bewusstsein? Das war ja gerade mein Aha-Effekt bei stines Ausgangszitat: das Bewusstsein ist (auch) ein Kasten, der neue Informationen erzeugt, indem er vorhandene Informationen ganz anders verarbeitet als ein Fisch das könnte. Aber ist das ein ganz neues Prinzip? Nein. Der Fisch hat ein Seitenlinienorgan, das im Prinzip genau so funktioniert. Es liefert Informationen durch einen Prozess, den wir Menschen nicht drauf haben. Das Prinzip ist das gleiche. In beiden Fällen werden die Informationen dazu benutzt, das eigene Verhalten zu steuern.

Aber habe ich doch oben schon gesagt: Bewusstsein ist mE nicht nur etwas, das Informationen verarbeitet. Der 'Witz' am Bewusstsein ist mE, dass es bewusstes Erleben hervorruft. Und das ist der prinzipielle Unterschied zu reiner Informationsspeicherung und -verarbeitung. Naja, das leidige Qualia-Thema halt. Oder, anders gesagt, ein philosophischer Zombie wäre logisch möglich, der genauso aussieht, genauso Informationen verarbeitet und folglich ebenso handelt wie ich, der aber keinerlei phänomenales Bewusstsein hat. Es geht beim Bewusstsein eben nicht nur um Informationen und deren Verarbeitung. Und daher ist Dein Gegengedankenexperiment mit dem Gehirnchirurgen, der mich 1.000 mal so schlau macht wie jetzt, aber dafür in den Körper einer Spinne transferiert, mE auch nicht gleichwertig zum Verlust des phänomenalen Bewusstseins. Natürlich möchte ich nicht in den Körper einer Spinne transferiert werden, aber das hat nichts mit Ultra-Konservativismus zu tun, wie Du mutmaßt, sondern schlicht damit, dass ich dann wohl kaum noch meine Interessen verwirklichen könnte. Wir können das Gedankenexperiment auch so ändern: man hat nur die Wahl zwischen Verlust des phänomenalen Bewusstseins unter Beibehaltung des ursprünglichen Körpers oder aber Beibehaltung des phänomenalen Bewusstseins, aber im Körper einer Spinne. Da fällt die Wahl nicht schwer, oder? Würdest Du Dein phänomenales Bewusstsein verlieren, dann wäre das, als ob Du tot wärest, Du würdest dann nicht mehr existieren.
ganimed hat geschrieben:Das Fass mit der Willensfreiheit wollte ich hier eigentlich nicht unbedingt aufmachen. Wenn es auf wäre, würde ich aber hinzufügen, dass ich mat-ins Meinung bin. "Gut" und "Böse", so wie wir es alltagssprachlich verwenden, gibt es in diesem Licht nicht.

mat-in hat geschrieben:Die Idee das der Mensch "sich entscheiden kann", rausgelößt aus seinem Genetischen, Entwicklungs, Erfahrungs, Situationshintergrund, das er also in exakt der gleichen Situation so oder so handeln kann entbirt jeder Realität. Sowohl Philosophisch als auch Neurowissenschaftlich (und bei genauem hinsehen auch aus unserer Alltagsbeobachtung heraus) kommen wir zu diesem Schluß. Auch das man über "was wäre wenn" nachdenken kann ändert daran nichts. Damit bricht auch das gesamte Schuld / Strafe / Sühne System zusammen.
Wo führt das hin? Zu einem System das frei von Haß, Rache, Schuld, Sünde ist. Hin zu einem System das endlich die Ursachen negativen Verhaltens sehen und ändern kann. Es kann uns also nur Recht sein, endlich einzusehen das es so etwas wie "das Gute" oder "das Böse" nicht gibt.

Ein Problem hier sind nun die Substantivierungen "das Gute" und "das Böse". "Gut" und "böse" sind aber keine eigenständigen Dinge, es sind Eigenschaften, von Handlungen oder vielleicht auch von Menschen. Und diese Eigenschaften sind keine deskriptiven, sondern sie sind askriptiv, d.h. von anderen (oder auch von sich selber) zugeschrieben. Der andere Strohmann ist, dass sich Menschen unabhängig von der Situation und sich selber entscheiden sollen können müssten, und zwar in ein- und derselben Situation mal so und mal so oder auch so, damit ein Schuld / Strafe-System aufrecht erhalten werden könne. Diese Strohmänner sind auf die Dauer ziemlich ermüdend und zweitens ist da auch noch ein non sequitur enthalten, (es ist ja genau im Gegenteil so, dass, wenn Menschen sich in ein- und derselben Situation mal so, mal so und mal so entscheiden würden, ein Schuld-Strafrecht ziemlich sinnlos wäre; dieses eben nur sinnvoll ist, wenn Menschen beeinflussbar sind und nicht völlig losgelöst von allen Umständen handeln. Der Sinn und Zweck des Strafrechtes ist es ja gerade, die zukünftigen Handlungen von Menschen zu beeinflussen. [An dieser Stelle noch ein Link zur Legitimation von Bestrafung: SEP - Punishment]).

Nennen wir nun einfach mal "gut" "moralisch gut" und "böse" "moralisch schlecht". Was meinst Du nun mit "das gibt es nicht"? Was hat "geben", also Existenz hier verloren? Fakt ist nun, dass Menschen moralische Bewertungen vornehmen, diese gibt es also, die existieren. Ich fände es z.B. ungut, wenn Du mich beleidigen würdest, und das ist mE eine moralische Bewertung.

Ihr wollt aber nun sagen, dass Menschen keine moralischen Bewertungen (von sich selber und von anderen) mehr vornehmen sollen, richtig? Aber warum? Weil die Welt dann Eurer Ansicht nach besser wäre? Aber wenn so: ist eben das nicht auch wieder eine moralische Bewertung? Ist es moralisch falsch, Handlungen moralisch zu bewerten, weil moralische Bewertungen falsch sind? Was ein kleiner perfomativer Selbstwiderspruch wäre, oder? Und wenn nicht so: warum sonst? Ist es faktisch oder logisch falsch/ungut/schlecht, moralische Bewertungen vorzunehmen? Falls so: wieso genau? Und falls auch nicht so: wieso sonst?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Do 4. Okt 2012, 03:10

mat-in hat geschrieben:
Zappa hat geschrieben:Ohne diese Freiheit der Entscheidung würden die Begriffe gut und böse auch keinen Sinn machen.

Ganz genau deswegen machen sie ja auch keinen Sinn als Bewertung einer Person.

"Böse" macht Sinn als Bewertung von Handlungen. Und wenn eine Person eine Menge böser Handlungen begeht, dann kann man sie "böse" nennen. Oder? Wieso genau macht das keinen Sinn?

mat-in hat geschrieben:Natürlich kann man Bewertungskriterien anlegen, z.B. das Erhalten des Lebens, das vermeiden von Leid, ... und in diesem Licht objektiv beurteilen, ob etwas positive oder negative Auswirkungen hat. Das ist natürlich keine absolute Skala aber zwei Situationen abzuwägen fällt in den meisten Fällen leicht.
Das macht jedoch keinesfalls eine Person "Böse", wenn ihre Handlungen negativ zu bewerten sind. Meist handelt sie - aus ihrer Sichtweise heraus - so wie sie handeln kann und das ist für sie gut. Der Nazi der auf einen anderen Menschen einschlägt, tut das mit "guten" Motiven, denn er will andere Menschen vor eine Bedrohung schützen die er in seinem verschobenen Weltbild nun mal so wahrnimmt.

Der Nazi, der einen Ausländer verprügelt, tut das, weil er meint, dass das gut für den Ausländer ist, (ach, nee, Du meinst eher, dass der Nazi den Ausländer nicht für einen Menschen hält und aber "richtige" Menschen beschützen will)? Der Steuerhinterzieher hinterzieht Steuern, weil er meint, dass das anderen zugute kommt? Der Ladendieb klaut, weil er meint, das hülfe anderen? Nee, ne?
Du wechselst hier übergangslos von "ist gut für mich" zu "ist gut für andere". Aber das ist doch wohl nicht dasselbe.
Und ebenso wechselst Du übergangslos von "sind negativ zu bewerten" (einem Standpunkt anhand von mehrheitlich akzeptierten Zielen) zu "finde ich aber mal eben einfach so gut, weil ich es gut finde" (einem völlig willkürlichen Standpunkt). Und auch das ist ein Unterschied, ist nicht dasselbe.

mat-in hat geschrieben:Wo führt das hin? Zu einem System das frei von Haß, Rache, Schuld, Sünde ist.

Zu einer Welt, in der die Wölfe bei den Lämmern und die Löwen neben den Gazellen liegen und keiner tut sich was zuleide. Und alle sind glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.

Und falls sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Do 4. Okt 2012, 03:11

AgentProvocateur hat geschrieben:Bewusstsein ist mE nicht nur etwas, das Informationen verarbeitet. Bewusstsein ist mE nicht nur etwas, das Informationen verarbeitet. Der 'Witz' am Bewusstsein ist mE, dass es bewusstes Erleben hervorruft.

Bewusstes Erleben hervorrufen? Ja klar, so arbeitet dieser Informationsverarbeitungsprozess nun einmal. Weil uns dabei Dinge bewusst werden nennen wir ihn ja auch gerade Bewusstsein. Das ist aber kein Witz daran und keine neue Funktion. Es ist nur eine Eigenschaft der Funktion Informationsverarbeitung und Verhaltenssteuerung. Genau wie auch das Seitenlinienorgan Eigenschaften hat, z.B. dass es Druckwellenerlebnisse hervorruft. Wieso sollen nun plötzlich die Eigenschaften des ersteren Informationsverarbeitungsmechanismus etwas besonderes sein? Oder gar eine ganz neue Kategorie darstellen?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Do 4. Okt 2012, 03:22

ganimed hat geschrieben:Es ist nur eine Eigenschaft der Funktion Informationsverarbeitung und Verhaltenssteuerung. Genau wie auch das Seitenlinienorgan Eigenschaften hat, z.B. dass es Druckwellenerlebnisse hervorruft. Wieso sollen nun plötzlich die Eigenschaften des ersteren Informationsverarbeitungsmechanismus etwas besonderes sein? Oder gar eine ganz neue Kategorie darstellen?

Mein Taschenrechner verarbeitet Informationen. Ich gebe eine "1" ein und drücke auf "plus", gebe eine "2" ein und drücke auf "gleich". Dann startet ein Informationsverarbeitungsmechanismus. Ich glaube aber nicht, dass da irgendwelche Erlebnisse vonstatten gehen, das ist lediglich Informationsverarbeitung, nicht mehr, keine Erlebnisse, weder ein "1"-Erlebnis, noch ein "plus"-Erlebnis, noch ein "2"-Erlebnis, noch ein "gleich"-Erlebnis.

Wäre es etwas anderes, wenn mein Taschenrechner Erlebnisse hätte, anders im Vergleich dazu, als dass in ihm lediglich eine Informationsverarbeitung stattfindet? Ich meine: ja, das wäre etwas grundlegend anderes.

Aber darüber kann man nun offensichtlich unterschiedlicher Meinung sein.

"Ja klar, so arbeiten diese Informationsverarbeitungsprozesse nun einmal.", soll nun ein Argument wofür sein?

So (Fragezeichen?):

P: alles, was ich als existent gelten lasse, sind Informationsverarbeitungsprozesse, sonst nichts
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K. also sind alles Informationsverarbeitungsprozesse und nicht mehr, es kann also keinen prinzipiellen Unterschied zwischen zwei Informationsverarbeitungsprozessen geben

Oder wie?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Do 4. Okt 2012, 04:00

AgentProvocateur hat geschrieben:Mein Taschenrechner verarbeitet Informationen. Ich gebe eine "1" ein und drücke auf "plus", gebe eine "2" ein und drücke auf "gleich". Dann startet ein Informationsverarbeitungsmechanismus. Ich glaube aber nicht, dass da irgendwelche Erlebnisse vonstatten gehen

Glaube ich auch nicht. Und im Bewusstsein gibt es keine Transistoren. Aber niemand hat behauptet, dass Taschenrechner erleben und dass Menschen transistoren im Kopf haben. Es gibt Unterschiede zwischen Taschenrechnern und Menschen, und zum Glück nennen wir deshalb Taschenrechner auch nicht Menschen, und umgekehrt. Aber nur weil es Unterschiede gibt, ist das Bewusstsein noch nicht etwas besonders, hat deshalb noch keine prinzipiell andere Qualität oder stellt eine ganz neue Kategorie dar. Dein Taschenrechnerargument (wenn es denn ein Argument sein sollte), überzeugt mich jedenfalls nicht von der Besonderheit des Bewusstseins.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wäre es etwas anderes, wenn mein Taschenrechner Erlebnisse hätte, anders im Vergleich dazu, als dass in ihm lediglich eine Informationsverarbeitung stattfindet? Ich meine: ja, das wäre etwas grundlegend anderes.

Genau. Das ist deine Meinung. Die du aber noch nicht begründet hast. Lass mal deine Argumente rüberwachsen, bitte. Was wäre das grundlegend andere? Jetzt sag nicht "das Erleben", denn das ist nicht grundlegend, sondern nur eine normale Eigenschaft. Genau wie wir ja auch nicht alle Eigenschaften des Taschenrechners haben.

AgentProvocateur hat geschrieben:"Ja klar, so arbeiten diese Informationsverarbeitungsprozesse nun einmal.", soll nun ein Argument wofür sein?

Das soll ein Argument dafür sein, dass dein Argument nichts taugte. Genau so gut hättest du darauf hinweisen können, dass die Bezeichnung des Bewusstseins, nämlich das Wort "Bewusstsein" mit B anfängt und nicht mit S wie beim Seitenlinienorgan. Auch dieser Hinweis hätte gestimmt. Aber auch da hätte ich gesagt: ja klar, so ist die Bezeichnung nunmal. Aber das Seitenlinienorgan hat auch eine Bezeichnung. Was ist das besondere an der Eigenschaft "fängt mit B an"?

AgentProvocateur hat geschrieben:also sind alles Informationsverarbeitungsprozesse und nicht mehr, es kann also keinen prinzipiellen Unterschied zwischen zwei Informationsverarbeitungsprozessen geben Oder wie?

Genau. Du kannst mir ja auch offensichtlich keinen prinzipiellen Unterschied nennen. Wenn das Bewusstsein allerdings einer anderen Kategorie angehörte, mehr Funktionen erfüllte, also mehr wäre als ein Informationsverarbeitungsprozess, dann sähe die Sache anders aus. Tut sie aber meiner Meinung nach und wie stine ja auch bereits beschrieb nicht. Das Bewusstsein dient lediglich dazu, Informationen zu verarbeiten und Entscheidungen zu produzieren.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon mat-in » Do 4. Okt 2012, 07:30

AgentProvocateur hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Die Idee das der Mensch "sich entscheiden kann", ... das er also in exakt der gleichen Situation so oder so handeln kann entbirt jeder Realität. ... Auch das man über "was wäre wenn" nachdenken kann ändert daran nichts. Damit bricht auch das gesamte Schuld / Strafe / Sühne System zusammen.
... Es kann uns also nur Recht sein, endlich einzusehen das es so etwas wie "das Gute" oder "das Böse" nicht gibt.

Ein Problem hier sind nun die Substantivierungen "das Gute" und "das Böse". "Gut" und "böse" sind aber keine eigenständigen Dinge, es sind Eigenschaften, von Handlungen oder vielleicht auch von Menschen. Und diese Eigenschaften sind keine deskriptiven, sondern sie sind askriptiv, d.h. von anderen (oder auch von sich selber) zugeschrieben.
Gut und Böse sind zunächst mal ein Konzept. Will ich sie jemandem zuschreiben brauche ich dafür Kriterien. Neben der Tatsache das die Attribute "in böser Mensch" oder "dieser Mensch hat sich für das Böse entschieden" sehr kurzsichtig und subjektiv sind fehlt für die Zuteilung eine wichtige Grundlage:

AgentProvocateur hat geschrieben:...dass sich Menschen unabhängig von der Situation und sich selber entscheiden sollen können müssten, und zwar in ein- und derselben Situation mal so und mal so oder auch so, damit ein Schuld / Strafe-System aufrecht erhalten werden könne. Diese Strohmänner sind auf die Dauer ziemlich ermüdend und zweitens ist da auch noch ein non sequitur enthalten, (es ist ja genau im Gegenteil so, dass, wenn Menschen sich in ein- und derselben Situation mal so, mal so und mal so entscheiden würden, ein Schuld-Strafrecht ziemlich sinnlos wäre; dieses eben nur sinnvoll ist, wenn Menschen beeinflussbar sind und nicht völlig losgelöst von allen Umständen handeln. Der Sinn und Zweck des Strafrechtes ist es ja gerade, die zukünftigen Handlungen von Menschen zu beeinflussen. [An dieser Stelle noch ein Link zur Legitimation von Bestrafung: SEP - Punishment]).

Ihr wollt aber nun sagen, dass Menschen keine moralischen Bewertungen (von sich selber und von anderen) mehr vornehmen sollen, richtig? Aber warum? Weil die Welt dann Eurer Ansicht nach besser wäre? Aber wenn so: ist eben das nicht auch wieder eine moralische Bewertung? Ist es moralisch falsch, Handlungen moralisch zu bewerten, weil moralische Bewertungen falsch sind? Was ein kleiner perfomativer Selbstwiderspruch wäre, oder? Und wenn nicht so: warum sonst? Ist es faktisch oder logisch falsch/ungut/schlecht, moralische Bewertungen vorzunehmen? Falls so: wieso genau? Und falls auch nicht so: wieso sonst?
Ohne die Möglichkeit sich bewußt zu entscheiden kann man einem Menschen seine Handlungen nicht "moralisch vorwerfen". Ein Teil unseres Strafrechts mag versuchen zukünftige Taten zu verhindern, aber ein großer Aspekt ist sehr emotional, es geht darum, den Täter zu "bestrafen" (nicht ihn zu etwas besserem zu bewegen) und darum, daß die Betroffenen das Gefühl bekommen, daß hier jemand zu Recht für seine "böse Entscheidung" büßt - also ein Rachegedanke.
Du begehst hier den Fehler zu überspitzen und übertreiben, daß so etwas nur sinnvoll wäre, wenn Menschen sich vollkommen unabhängig von allen Umständen entscheiden könne, um dann zu sagen, daß es ja so nicht sein kann, wenn das alles Zufall ist. Das dreht sich selbst ziemlich im Kreis. Entweder: Ich kann mich - die Umstände abwägend, aber letzten Endes losgelößt von ihnen entscheiden wie ich das möchte, also nicht nur denken "Ich sollte das Baby retten, aber heute bin ich mal ne Sau", sondern auch die Möglichkeit haben etwas anderes zu denken und mich anders zu entscheiden. Oder: Ich kann das nicht, weil meine Art zu denken von inneren und äußeren Umständen festgelegt wird. Letzteres ist der Fall in dieser Realität.
Was du dann weiter ausführst hat wieder nichts mit dem Konzept und der Person zu tun, sondern mit der Bewertung des ganzen. Hier ist - wie ich bereits ausgeführt habe - mein Standpunkt durchaus, daß wir Handlungen bewerten können. Da ist nichts "verwerflich" dran, sondern es handelt sich um Grundfunktionen unseres Seins. Was wir ändern müssen ist nicht, aufzuhören zu bewerten, sondern anzufangen zu ergründen wie wir den tief verwurzelten Gedanken: "Der hat mir weh getan, wie sehr muß ich ihm weh tun, damit das gerecht ist" los werden und ersetzen durch etwas sinnvoll "hirngerechtes", das die Leute dazu bringt, solche Taten vielleicht gar nicht erst zu begehen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Nazi, der einen Ausländer verprügelt, tut das, weil er meint, dass das gut für den Ausländer ist, (ach, nee, Du meinst eher, dass der Nazi den Ausländer nicht für einen Menschen hält und aber "richtige" Menschen beschützen will)? Der Steuerhinterzieher hinterzieht Steuern, weil er meint, dass das anderen zugute kommt? Der Ladendieb klaut, weil er meint, das hülfe anderen? Nee, ne?
Du wechselst hier übergangslos von "ist gut für mich" zu "ist gut für andere". Aber das ist doch wohl nicht dasselbe.

Da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll, du scheinst entweder ein ziemlich verschobenes Weltbild zu haben oder nicht die geringste Empathie zu besitzen (besitzen zu wollen?), um mal "in den Kopf anderer" reinzuschauen. Glaubst du wirklich, der Nazi würde Ausländer verprügeln weil der sich jeden Tag denkt "Scheiß auf Gott, ich will in die Hölle und mach jetzt mal was richtig böses"? So ein Mensch hat ein vollkommen verschobenes Bewertungsystem und Weltbild wenn du es vergleichst, handelt aber innerhalb seines Weltbildes "gut" und "redlich". Vielleicht nicht immer (wer tut das schon), aber dennoch konsistent mit seinem Weltbild. Er schützt Heimatland und Rasse ... was zum Beispiel dazu führt das es "Braune Ökobauern" gibt. Das wir dieses Weltbild per se ablehnen ändert doch nichts daran das er es im Kopf hat? Das er z.B. eine Verurteilung nicht nachvollziehen können wird und sich sicher nicht davon bessert daß er "vom jüdischen system" (oder was auch immer die dazu sagen) eingesperrt wird. So ein Mensch ändert sich, wenn du ihm eine neue Perspektive, ein neues Weltbild gibst, nicht wenn du ihm erklärst "das war jetzt aber böse" und ihm die Kekse weg nimmst.
Wo wir bei Kekse wegnehmen sind. Vergleichst du jetzt so ein verschobenes Weltbild mit Zwangsstörungen (notorischer Ladendieb) und Egoismus (Steuerhinterzieher)?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Do 4. Okt 2012, 08:08

ganimed hat geschrieben:Das ist schon interessanter. Das Wort "Sphäre" ist neu. Ist das ein Synonym für Kategorie?
Mit einem neuen Sinn, mit mehr Informationen (wenn man sie denn alle verarbeiten kann) kommt man tendenziell wohl zu erfolgreicheren Entscheidungen. Ich glaube, jeder Radioaktiv-Sinn-Mensch würde sich mit einigem Recht als besser vorbereitet oder als besser ausgestattet erleben. Aber natürlich nicht als bewussterer Mensch. Sondern als radioaktiv-sinnigerer Mensch. Ist es Zufall, dass sich bei dir das Wort "bewusster" direkt hinter "besser" eingeschlichen hat? Ich hinterfrage ja gerade, was "bewusster" mit "besser" zu tun hat. Ist das bei dir vielleicht doch einfach eine unflexible und nicht weiter begründbare Verschaltung?
Ich denke, ich weiß jetzt, auf was du abzielst, @ganimed: Es ist der Wunsch, allem und jedem das Besondere abzusprechen, es ist das Ziel der Gleichmacher dieser Welt. Wir sind alle Tiere und wir Menschtiere sind alle gleich, egal was einer kann oder nicht kann. Es ist sozusagen das Neidprinzip auf der philosophischen Schiene. Ein Hinweis darauf, dass nach der "gerechten Aufteilung" aller Besitztümer, nach der Nivellierung aller Bildungsergebnisse zwingend noch der Zahn der Besonderheit einer menschlichen Daseinsform gezogen werden muss.

Ist es das?

LG stine
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Vollbreit » Do 4. Okt 2012, 10:35

@ ganimed:

Erst mal danke, für die Diskussion, die ich sehr spannend finde.

ganimed hat geschrieben:Dafür kann ein Fisch wieder Sachen machen (länger unter Wasser bleiben zum Beispiel) die ein Mensch wieder nicht kann.


Mit nur wenig Phantasie würde man auch Dinge finden, die Steinbrocken „besser können“ als Menschen, sie „altern“ nur sehr viel langsamer, bekommen keinen Hautkrebs, erschrecken sich nicht und haben keine Zukunftsängste.

ganimed hat geschrieben:Prinzipieller Unterschied? Nein, das stimmt nicht. Was machst du denn mit dem Bewusstsein? Das war ja gerade mein Aha-Effekt bei stines Ausgangszitat: das Bewusstsein ist (auch) ein Kasten, der neue Informationen erzeugt, indem er vorhandene Informationen ganz anders verarbeitet als ein Fisch das könnte. Aber ist das ein ganz neues Prinzip? Nein.


Wieso eigentlich Aha-Effekt, diese Meinung vertrittst Du doch eigentlich schon die ganze Zeit?
Selbstbewusstsein versetzt jemanden in die Lage, sich selbst und anderen Motivationen, Intentionen zuzuschreiben, Theorien über die Intentionalität anderer aufzustellen.

Da sind so viele grundlegend neue Fähigkeiten zu nötig, dass ich das kaum als „nur ein wenig anders“ beschreiben würde. Z.B. die Fähigkeit zur Objektkonstanz. D.h. man betrachtet ein Objekt und kann sich daran auch dann noch erinnern, wenn die aktuellen Sinnesreize andere sind, man also etwas anderes betrachtet.

Dann, das was man gesehen hat zu inneren Konzepten zusammenzufügen und diese zu erinnern.
Schon Schimpansen können das nicht mehr.
(Es gibt da eindrucksvolle Experimente mit Schimpansen, die in dem Sinne planen und schlussfolgern können, dass sie sich z.B Bananen, die außerhalb ihres Geheges hängen und die sich mit bloßen Händen nicht erreichen, zielgerichtet mit einem Werkzeug angeln, das sie zunächst noch zusammenbauen müssen, z.B. Stöcke ineinander stecken.
Sie die Einzelteile dieses langen Stockes, aber auf verschiedene Räume verteilt und werden die Schimpansen durch diese Räume geführt, in denen sie die einzelnen Teile des Stockes sehen können und dann durch weitere Räume geführt, in denen anderen Teile des Stockes liegen, so sind sie, wenn sie wieder in den Raum geführt werden, in dem die Bananen außerhalb der Reichweite hängen, dennoch nicht in der Lage sich zu erinnern, dass doch da die Bestandteile des Stöcke herumliegen und sie die Einzelteile nur aus den anderen Räumen zusammentragen müssten.)

Es gibt ja die durchaus erfreulichen Fälle, dass Evolutionsbiologen und Philosophen mal einer Auffassung sind, das ist z.B. dort der Fall, wo man sagt, die Menschen seien die einzige Spezies, die ein „Wir“ denken kann.
Affen, Krähen, Elstern, Delphine, Elefanten und vielleicht auch Tintenfische (und vermutlich noch mehr Tiere) haben ein Ich-Bewusstsein (auch hier gilt es genau hinzuschauen: Das Ichbewusstsein, das Stern schon Säuglingen zuschreibt (vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Ste ... lytiker%29 ), ist nicht identisch mit dem Ichbewusstsein, was Freud dem sich verweigernden Kind zuschreibt, das lernt abstrakte Begriff zu verstehen und dieses ist nicht identisch mit dem „cogito ergo sum“ des Descartes, das sind drei verschiedene (hierarchische) Ebenen, für die alle der Begriff Ich-Bewusstsein gilt. Und wie wir wissen ist die Geschichte auch mit Descartes noch nicht abschließen betrachtet.) aber nur der Mensch, hat ein Wir-Bewusstsein.

Man sollte das nicht mit der Fähigkeit zur Kooperation verwechseln, sondern es manifestiert sich in bestimmten Arten des Lehrens. Schimpansen demonstrieren ihre Nachkommen durchaus bestimmte Verhaltensweisen, ob und wie die Nachkommen das aufnehmen, „interessiert“ die Schimpansen jedoch nicht mehr.
Wir fördern aus diversen Gründen auch lernschwache Nachkommen.
Wir haben (also einige von uns) eine Bewusstsein, für die Notwendigkeit zur Kooperation von „uns“ mit „denen“ weil wir doch immer wieder mal ein durchaus auch nichtreligiös motiviertes „grundlegendes“ (richtiger wäre: „übergeordnetes“) „Wir“ antizipieren, das „uns alle“ verbindet.

Hier gilt es die Pflöcke einzuschlagen und wenn es schon nicht die von Gottvater eingehauchte Seele ist, die uns unterscheidet, dann alternative Konzepte aufzuzeigen. Und es geht dabei nicht um die Überlegenheit des Menschen, die affirmativ beschworen werden soll, sondern um eine Konzept, was bestehende Unterschiede aufzeigt und Raum lässt, dass potentiellen Außerirdischen, Computern in 20 oder 200 Jahren oder einer alternativen biologisches Spezies nicht prinzipiell die Tür vor der Nase zuknallt, sondern eine offenes Konzept formuliert, was Unterschiede markiert und die Hand ausstreckt.

Sellars formulierte, dass es das „Geben und Verlangen von Gründen“ ist, was uns verbindet und in dieses „uns“ wäre ein Computer, der den Turing-Test besteht sofort eingebunden.

Aber die Unterschiede bestehen eben, Brandom formuliert knapp aber präzise:
Robert Brandom hat geschrieben:„Der Unterschied zwischen logischen und vorlogischen Sprachen ist jedenfalls so wichtig, dass Forscher, die sich dafür interessieren, was für eine Sprache Schimpansen und Delphine lernen können, gut beraten wären, ihnen nicht noch 200 weitere singuläre Termini und Prädikate beibringen zu wollen, sondern erst einmal Konditionale und Quantoren.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.946, Fußnote 42)


Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken sollte bekannt sein und das rückt die Frage, nach den Möglichkeiten einer Sprache ins Zentrum des Interesses. Ohne Konditionale, keine Antizipation der Zukunft, was Ei und was Henne ist, keine Ahnung.

Es ist eigentlich und das muss ich Dir und den Neuro- oder Evolutionsbiologen zum Vorwurf machen, die Infragestellung dieser Positionen nur möglich, wenn man das was längst bekannt ist, auf ein ungeheuer seichtes Niveau einkürzt, was m.E. noch weit unterhalb des Alltagsbewusstseins liegt, denn im Alltag machen wir diese Unterschiede ganz selbstverständlich.
Wir sprengen Felsen, ohne moralische Bedenken, aber setzten Himmel und Hölle in Bewegung um ein Kind zu retten, zum Glück tun wir das.

Das ist das Problem und ein gut gepflegter Neuro-Mythos: Es wird so getan, als seien die Ergebnisse der Hirnforschung ungeuer weitreichend, präzise und differenziert und (zumindest in der Anfangszeit, aus der der Mythos resultiert) würden so im Vorbeigehen auch noch alle Probleme der Menschheit lösen.
Kurz gesagt, stimmt davon einfach überhaupt nichts. Einer Menge recht interessanter Details, deren Deutung überwiegend noch aussteht, steht die Behauptung gegenüber, man habe zig große Würfe gelandet, die grundlegende Fragen beantwortet hätten.
Welche sind das denn?


@ mat-in und AgentProvocateur:

matin hat geschrieben:Glaubst du wirklich, der Nazi würde Ausländer verprügeln weil der sich jeden Tag denkt "Scheiß auf Gott, ich will in die Hölle und mach jetzt mal was richtig böses"? So ein Mensch hat ein vollkommen verschobenes Bewertungsystem und Weltbild wenn du es vergleichst, handelt aber innerhalb seines Weltbildes "gut" und "redlich".


Ich glaube, Agent und Du, ihr habt hier beide zum Teil Recht.
Wahr ist, dass Egozentrismus, auch aggressiver und brutaler, oft nachträglich legitimiert zu werden versucht, durch mehr oder minder krude Ideen, in denen am Ende, der Nazi oder Terrorist als der eigentlich gut Kerl dasteht, jedenfalls aus Sicht der Ideologen und „Theoretiker“, die zu so einer Bewegung immer gehören.

Wahr ist aber auch, dass Bewegungen dieser Sorte nicht nur intelligente Theoretiker gehören, sondern mitunter dumme und saudumme Mitläufer, die sich nicht einmal die Mühe geben, ihre eklatanten Selbstwidersprüche (schwere Alkoholiker zu sein, aber „Drogensüchtige“ als „Abschaum“ anzusehen) zu sortieren oder ihr Verhalten irgendwie zu legitimieren. Wer mal auf selten eindrucksvolle Weise in die Untiefen dieser Psychen abtauchen will, dem sie das Buch Blinde Gewalt – Rechtradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer von Andreas Marneros empfohlen.
Menschen mit einem IQ von knapp über 60 sind einfach nicht in der Lage, ihr Verhalten in einem konsistenten Sinne zu legitimieren. Wie gesagt, eindrucksvoller, aber auch abstoßender als dort, habe ich es selten gelesen.

Oft findet man eine Mischform, in der ideologisch motivierte Gewalttäter ihre niederen Motive, Hass und fehlende Impulskontrolle zu einer großen und gerechten Sache aufblasen, bei der eben Späne fallen, wo gehobelt wird, so bedauerlich das sei, so sei es doch notwendig. Und später dann wir man erkennen, wer die eigentlich „Guten“ waren – nach dieser oder jener Revolution.
Die Argumente der Theoretiker werden sich dann geliehen, ohne dass man sie selbst immer versteht und es reichen Reizwörter. Es wirkt immer noch jemanden in Deutschland als „Nazi“ zu beschimpfen, auch wenn er eine völlig legitime Forderung hat.
Es reichte eine Zeit lang aus, sich eine Opferindentität zu geben, um Gratifikationen und Aufmerksamkeit zu bekommen und lästige Fragen und Forderungen am normalen Leben wieder teilzunehmen, im Keim zu ersticken.

Richtig ist aber auch, dass jene Paranoiker, die zu einem nicht geringen Teil, die Anhänger von aggressiven und mitunter der Normalität (die sie verachten) konträr gegenüberstehenden Systemen sind, (bei ausreihender Intelligenz) im Herzen Moralisten sind.
Zur paranoiden Persönlichkeitsstruktur gehört neben Misstrauen und Größenwahn („Alles nur Show für die dumme Masse“ „Nichts ist so, wie es scheint, aber ich durchschaue das“) auch die tiefgefühlte Überzeugung zu den wahren Guten und den letzten Aufrechten zu gehören. „Mich führt man nicht hinters Licht und ich werde für die Wahrheit kämpfen und koste es mein Leben.“ Der gerissene Feind sitzt überall und verbreitet Lügen und Täuschungen – um die tumbe Masse unmündig zu halten – und man selbst ist es, der diese Lügen und Täuschungen beharrlich (oder mit einem großen Knall) aufklärt.

Man fühlt sich verkannt, aber durchaus von der eigenen Größe gerührt und die Überzeugung eigentlich gut und edel zu sein, gibt einem die Kraft durchzuhalten – eine oftmals durchaus erstaunliche, mitreißende und charismatische Kraft.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Zappa » Do 4. Okt 2012, 16:41

mat-in hat geschrieben:Die Idee das der Mensch "sich entscheiden kann", rausgelößt aus seinem Genetischen, Entwicklungs, Erfahrungs, Situationshintergrund, das er also in exakt der gleichen Situation so oder so handeln kann entbirt jeder Realität. Sowohl Philosophisch als auch Neurowissenschaftlich (und bei genauem hinsehen auch aus unserer Alltagsbeobachtung heraus) kommen wir zu diesem Schluß. Auch das man über "was wäre wenn" nachdenken kann ändert daran nichts. Damit bricht auch das gesamte Schuld / Strafe / Sühne System zusammen.


Genau das meine ich nicht. Natürlich werden die Handlungen wesentlich durch die von Dir genannten Bedingungen determiniert, aber nicht zu 100%. Ich bin fest davon überzeugt, dass man sich Verhaltensweisen an- und auch abtrainieren kann. Natürlich gibt es Dinge, wie die "unwillkürlichen" Bewegungen bei bestimmten neurologischen Erkrankungen oder gewisse Hirnerkrankungen wo der Mensch zwanghaft bestimmte Dinge tut und äußert, aber grade das wir ja auch von der Person selber als Zwang erlebt. Ich kann mir aber z.B. antrainieren aggressive Gefühlsausbrüche durch bestimmte Verhaltenstricks eben nicht 1:1 in Verhalten umzusetzen (Alexander der Große hat angeblich immer leise bis 60 gezählt wenn er eine Jähzornattacke im Anmarsch spürte) oder kann mich innerhalb sehr kurzer Zeit "umentscheiden" (fahr ich dem Vordermann hinten drauf, ach ne ich seh ein Kind auf der Rückbank, dann nehm ich die Leitplanke). Das wird als Entscheidungsfreiheit erlebt, so benannt und das macht auch Sinn.

Das Straf-Schuld-Sühne System bricht sowieso nicht zusammen. Denn wenn das Handeln determiniert ist, dann halt auch die Handlung des Staatsanwalts und Richters, dann ist das halt so :mg:

Im Ernst: Strafen machen durchaus Sinn um gewisse Entscheidungsalternativen negativ zu sanktionieren, so funktioniert Erziehung und so kann man versuchen auch noch ältere zu "erziehen" und unerwünschte Handlungen abzutrainieren.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Zappa » Do 4. Okt 2012, 16:50

ganimed hat geschrieben:Ist es Zufall, dass sich bei dir das Wort "bewusster" direkt hinter "besser" eingeschlichen hat? Ich hinterfrage ja gerade, was "bewusster" mit "besser" zu tun hat. Ist das bei dir vielleicht doch einfach eine unflexible und nicht weiter begründbare Verschaltung?


Nein, ich finde es gibt gute neurobiologische Gründe um Bewusstsein "höher" anzusiedeln als die reine Sinnesverarbeitung. Es ist eben, wie ich oben zu erklären versucht habe, ein Reflexionsgrad höher anzusiedeln und damit auch "besser", "schöner", und "weiter" :mg:

Es ist ja auch evolutionär so, dass das Nervensystem immer komplexer wird und wurde und das Bewusstsein relativ spät entstanden ist. Im Übrigen haben natürlich nicht nur Menschen ein Bewusstsein, sondern auch Affen, Delphine und Krähenvögel. Selbstbewusstsein lässt sich bei diesen Spezies experimentell nachweisen. Diese Tiere beherrschen aber z.B. keine echte Sprache, ein weiteres Indiz dafür, dass die Bewusstseinsstufe des Menschen höher anzusiedeln ist. Der Mensch ist z.B. in der Lage seine Sinne selbst zu täuschen (Sinnestäuschungen und Zauberei), dass ist ein gutes Beispiel für einen höheren Grad der Reflexion.

Alles in allem finde ich die Gleichsetzungen all dieser komplexen neuronalen Vorgänge mit einem einfachen Sinn nicht wirklich überzeugend.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon mat-in » Do 4. Okt 2012, 21:03

Zappa hat geschrieben:
mat-in hat geschrieben:Die Idee das der Mensch "sich entscheiden kann", rausgelößt aus seinem Genetischen, Entwicklungs, Erfahrungs, Situationshintergrund, das er also in exakt der gleichen Situation so oder so handeln kann entbirt jeder Realität. Sowohl Philosophisch als auch Neurowissenschaftlich (und bei genauem hinsehen auch aus unserer Alltagsbeobachtung heraus) kommen wir zu diesem Schluß. Auch das man über "was wäre wenn" nachdenken kann ändert daran nichts. Damit bricht auch das gesamte Schuld / Strafe / Sühne System zusammen.
Genau das meine ich nicht. Natürlich werden die Handlungen wesentlich durch die von Dir genannten Bedingungen determiniert, aber nicht zu 100%. Ich bin fest davon überzeugt, dass man sich Verhaltensweisen an- und auch abtrainieren kann.

Aber das ist doch Teil der Determinierenden Dinge: Welche Erfahrung du gemacht hast und wie du erwartest das Situationen in Zukunft ablaufen. Natürlich kann man das lernen, ändern, trainiert werden. Das ist doch, worauf ich hinaus will: Das wir dort anpacken und uns wirklich fragen: Was müssen wir ändern, damit diese Leute ihr "ungewünschtes" Verhalten ändern. Mit emotionsbeladenen Dingen wie Rache oder Buße ist da nicht viel weiterkommen. Natürlich kann man auch von "Abschreckung" oder "negativer Sanktionierung" ausgehen und kalkulieren. Aber es scheint verdammt viele Leute in den USA nicht zu stören, das sie dafür sterben werden wenn sie dies oder das tun und ich glaube die allerwenigsten Mörder wägen mögliche Konsequenzen ab... das funktioniert nur ganz, ganz schlecht.
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