@ ganimed:
Erst mal danke, für die Diskussion, die ich sehr spannend finde.
ganimed hat geschrieben:Dafür kann ein Fisch wieder Sachen machen (länger unter Wasser bleiben zum Beispiel) die ein Mensch wieder nicht kann.
Mit nur wenig Phantasie würde man auch Dinge finden, die Steinbrocken „besser können“ als Menschen, sie „altern“ nur sehr viel langsamer, bekommen keinen Hautkrebs, erschrecken sich nicht und haben keine Zukunftsängste.
ganimed hat geschrieben:Prinzipieller Unterschied? Nein, das stimmt nicht. Was machst du denn mit dem Bewusstsein? Das war ja gerade mein Aha-Effekt bei stines Ausgangszitat: das Bewusstsein ist (auch) ein Kasten, der neue Informationen erzeugt, indem er vorhandene Informationen ganz anders verarbeitet als ein Fisch das könnte. Aber ist das ein ganz neues Prinzip? Nein.
Wieso eigentlich Aha-Effekt, diese Meinung vertrittst Du doch eigentlich schon die ganze Zeit?
Selbstbewusstsein versetzt jemanden in die Lage, sich selbst und anderen Motivationen, Intentionen zuzuschreiben, Theorien über die Intentionalität anderer aufzustellen.
Da sind so viele grundlegend neue Fähigkeiten zu nötig, dass ich das kaum als „nur ein wenig anders“ beschreiben würde. Z.B. die Fähigkeit zur Objektkonstanz. D.h. man betrachtet ein Objekt und kann sich daran auch dann noch erinnern, wenn die aktuellen Sinnesreize andere sind, man also etwas anderes betrachtet.
Dann, das was man gesehen hat zu inneren Konzepten zusammenzufügen und diese zu erinnern.
Schon Schimpansen können das nicht mehr.
(Es gibt da eindrucksvolle Experimente mit Schimpansen, die in dem Sinne planen und schlussfolgern können, dass sie sich z.B Bananen, die außerhalb ihres Geheges hängen und die sich mit bloßen Händen nicht erreichen, zielgerichtet mit einem Werkzeug angeln, das sie zunächst noch zusammenbauen müssen, z.B. Stöcke ineinander stecken.
Sie die Einzelteile dieses langen Stockes, aber auf verschiedene Räume verteilt und werden die Schimpansen durch diese Räume geführt, in denen sie die einzelnen Teile des Stockes sehen können und dann durch weitere Räume geführt, in denen anderen Teile des Stockes liegen, so sind sie, wenn sie wieder in den Raum geführt werden, in dem die Bananen außerhalb der Reichweite hängen, dennoch nicht in der Lage sich zu erinnern, dass doch da die Bestandteile des Stöcke herumliegen und sie die Einzelteile nur aus den anderen Räumen zusammentragen müssten.)
Es gibt ja die durchaus erfreulichen Fälle, dass Evolutionsbiologen und Philosophen mal einer Auffassung sind, das ist z.B. dort der Fall, wo man sagt, die Menschen seien die einzige Spezies, die ein „Wir“ denken kann.
Affen, Krähen, Elstern, Delphine, Elefanten und vielleicht auch Tintenfische (und vermutlich noch mehr Tiere) haben ein Ich-Bewusstsein (auch hier gilt es genau hinzuschauen: Das Ichbewusstsein, das Stern schon Säuglingen zuschreibt (vgl.:
http://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Ste ... lytiker%29 ), ist nicht identisch mit dem Ichbewusstsein, was Freud dem sich verweigernden Kind zuschreibt, das lernt abstrakte Begriff zu
verstehen und dieses ist nicht identisch mit dem „cogito ergo sum“ des Descartes, das sind drei verschiedene (hierarchische) Ebenen, für die alle der Begriff Ich-Bewusstsein gilt. Und wie wir wissen ist die Geschichte auch mit Descartes noch nicht abschließen betrachtet.) aber nur der Mensch, hat ein Wir-Bewusstsein.
Man sollte das nicht mit der Fähigkeit zur Kooperation verwechseln, sondern es manifestiert sich in bestimmten Arten des Lehrens. Schimpansen demonstrieren ihre Nachkommen durchaus bestimmte Verhaltensweisen, ob und wie die Nachkommen das aufnehmen, „interessiert“ die Schimpansen jedoch nicht mehr.
Wir fördern aus diversen Gründen auch lernschwache Nachkommen.
Wir haben (also einige von uns) eine Bewusstsein, für die Notwendigkeit zur Kooperation von „uns“ mit „denen“ weil wir doch immer wieder mal ein durchaus auch nichtreligiös motiviertes „grundlegendes“ (richtiger wäre: „übergeordnetes“) „Wir“ antizipieren, das „uns alle“ verbindet.
Hier gilt es die Pflöcke einzuschlagen und wenn es schon nicht die von Gottvater eingehauchte Seele ist, die uns unterscheidet, dann alternative Konzepte aufzuzeigen. Und es geht dabei nicht um die Überlegenheit des Menschen, die affirmativ beschworen werden soll, sondern um eine Konzept, was bestehende Unterschiede aufzeigt und Raum lässt, dass potentiellen Außerirdischen, Computern in 20 oder 200 Jahren oder einer alternativen biologisches Spezies nicht prinzipiell die Tür vor der Nase zuknallt, sondern eine offenes Konzept formuliert, was Unterschiede markiert und die Hand ausstreckt.
Sellars formulierte, dass es das „Geben und Verlangen von Gründen“ ist, was uns verbindet und in dieses „uns“ wäre ein Computer, der den Turing-Test besteht sofort eingebunden.
Aber die Unterschiede bestehen eben, Brandom formuliert knapp aber präzise:
Robert Brandom hat geschrieben:„Der Unterschied zwischen logischen und vorlogischen Sprachen ist jedenfalls so wichtig, dass Forscher, die sich dafür interessieren, was für eine Sprache Schimpansen und Delphine lernen können, gut beraten wären, ihnen nicht noch 200 weitere singuläre Termini und Prädikate beibringen zu wollen, sondern erst einmal Konditionale und Quantoren.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.946, Fußnote 42)
Der Zusammenhang zwischen Sprache und Denken sollte bekannt sein und das rückt die Frage, nach den Möglichkeiten einer Sprache ins Zentrum des Interesses. Ohne Konditionale, keine Antizipation der Zukunft, was Ei und was Henne ist, keine Ahnung.
Es ist eigentlich und das muss ich Dir und den Neuro- oder Evolutionsbiologen zum Vorwurf machen, die Infragestellung dieser Positionen nur möglich, wenn man das was längst bekannt ist, auf ein ungeheuer seichtes Niveau einkürzt, was m.E. noch weit unterhalb des Alltagsbewusstseins liegt, denn im Alltag machen wir diese Unterschiede ganz selbstverständlich.
Wir sprengen Felsen, ohne moralische Bedenken, aber setzten Himmel und Hölle in Bewegung um ein Kind zu retten, zum Glück tun wir das.
Das ist das Problem und ein gut gepflegter Neuro-Mythos: Es wird so getan, als seien die Ergebnisse der Hirnforschung ungeuer weitreichend, präzise und differenziert und (zumindest in der Anfangszeit, aus der der Mythos resultiert) würden so im Vorbeigehen auch noch alle Probleme der Menschheit lösen.
Kurz gesagt, stimmt davon einfach überhaupt nichts. Einer Menge recht interessanter Details, deren Deutung überwiegend noch aussteht, steht die Behauptung gegenüber, man habe zig große Würfe gelandet, die grundlegende Fragen beantwortet hätten.
Welche sind das denn?
@ mat-in und AgentProvocateur:
matin hat geschrieben:Glaubst du wirklich, der Nazi würde Ausländer verprügeln weil der sich jeden Tag denkt "Scheiß auf Gott, ich will in die Hölle und mach jetzt mal was richtig böses"? So ein Mensch hat ein vollkommen verschobenes Bewertungsystem und Weltbild wenn du es vergleichst, handelt aber innerhalb seines Weltbildes "gut" und "redlich".
Ich glaube, Agent und Du, ihr habt hier beide zum Teil Recht.
Wahr ist, dass Egozentrismus, auch aggressiver und brutaler, oft nachträglich legitimiert zu werden versucht, durch mehr oder minder krude Ideen, in denen am Ende, der Nazi oder Terrorist als der eigentlich gut Kerl dasteht, jedenfalls aus Sicht der Ideologen und „Theoretiker“, die zu so einer Bewegung immer gehören.
Wahr ist aber auch, dass Bewegungen dieser Sorte nicht nur intelligente Theoretiker gehören, sondern mitunter dumme und saudumme Mitläufer, die sich nicht einmal die Mühe geben, ihre eklatanten Selbstwidersprüche (schwere Alkoholiker zu sein, aber „Drogensüchtige“ als „Abschaum“ anzusehen) zu sortieren oder ihr Verhalten irgendwie zu legitimieren. Wer mal auf selten eindrucksvolle Weise in die Untiefen dieser Psychen abtauchen will, dem sie das Buch
Blinde Gewalt – Rechtradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer von Andreas Marneros empfohlen.
Menschen mit einem IQ von knapp über 60 sind einfach nicht in der Lage, ihr Verhalten in einem konsistenten Sinne zu legitimieren. Wie gesagt, eindrucksvoller, aber auch abstoßender als dort, habe ich es selten gelesen.
Oft findet man eine Mischform, in der ideologisch motivierte Gewalttäter ihre niederen Motive, Hass und fehlende Impulskontrolle zu einer großen und gerechten Sache aufblasen, bei der eben Späne fallen, wo gehobelt wird, so bedauerlich das sei, so sei es doch notwendig. Und später dann wir man erkennen, wer die eigentlich „Guten“ waren – nach dieser oder jener Revolution.
Die Argumente der Theoretiker werden sich dann geliehen, ohne dass man sie selbst immer versteht und es reichen Reizwörter. Es wirkt immer noch jemanden in Deutschland als „Nazi“ zu beschimpfen, auch wenn er eine völlig legitime Forderung hat.
Es reichte eine Zeit lang aus, sich eine Opferindentität zu geben, um Gratifikationen und Aufmerksamkeit zu bekommen und lästige Fragen und Forderungen am normalen Leben wieder teilzunehmen, im Keim zu ersticken.
Richtig ist aber auch, dass jene Paranoiker, die zu einem nicht geringen Teil, die Anhänger von aggressiven und mitunter der Normalität (die sie verachten) konträr gegenüberstehenden Systemen sind, (bei ausreihender Intelligenz) im Herzen Moralisten sind.
Zur paranoiden Persönlichkeitsstruktur gehört neben Misstrauen und Größenwahn („Alles nur Show für die dumme Masse“ „Nichts ist so, wie es scheint, aber ich durchschaue das“) auch die tiefgefühlte Überzeugung zu den wahren Guten und den letzten Aufrechten zu gehören. „Mich führt man nicht hinters Licht und ich werde für die Wahrheit kämpfen und koste es mein Leben.“ Der gerissene Feind sitzt überall und verbreitet Lügen und Täuschungen – um die tumbe Masse unmündig zu halten – und man selbst ist es, der diese Lügen und Täuschungen beharrlich (oder mit einem großen Knall) aufklärt.
Man fühlt sich verkannt, aber durchaus von der eigenen Größe gerührt und die Überzeugung eigentlich gut und edel zu sein, gibt einem die Kraft durchzuhalten – eine oftmals durchaus erstaunliche, mitreißende und charismatische Kraft.