Verlangt Diskurs nach Resultat?

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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » Do 4. Okt 2012, 03:41

Nanna hat geschrieben:Dazu musst du sie aber nachvollziehen können, und das bedeutet, dich mit der Position des/der Anderen aus seiner/ihrer Perspektive heraus auseinanderzusetzen. Anders verstehst du nicht, was gemeint ist.

Ja, um den Gegenüber zu verstehen, muss ich mich mitunter in seine Betrachtungsweise hineinversetzen. Aber ich muss seine Betrachtungsweise nicht anerkennen. Anerkennen werde ich seine Sichtweise erst, wenn ich sie einnehme und seine Argumente dabei dann keinen Widerspruch ergeben und mir zumindest plausibel vorkommen wenn nicht sogar überzeugen.

Hat jemand eine völlig lächerliche Position (Wasserstoff ist schwerer als Blei), dann werde ich nicht, wie stine meint, erstmal anerkennen müssen, dass man das von vielen Seiten sehen kann und dass jeder Blickwinkel anzuerkennen ist. Nein. Ich werde es von der ersten Sekunde an für Blödsinn halten. Was mich nicht davon abhält, im Diskurs offen zu bleiben, zum Spaß seinen Blickwinkel einzunehmen (also nehmen wir mal an, du hättest recht, dann wäre Wasser ja auch schwerer als Blei, ...) und seine Argumente abzuwarten, vielleicht ist ja irgendwas dran. Aber erst wenn seine Argumente mich davon überzeugen, dass da was dran ist, erst dann erkenne ich an, dass meine chemische Sicht nicht die einzig richtige war, sondern seine Sicht doch vielleicht was für sich hat. Aber eben erst dann.

Vollbreit hat geschrieben:Du verwechselst zwei Dinge: Es geht darum, zunächst einmal – für die Dauer des Diskurses – die Brille des anderen aufzusetzen

Brille aufsetzen ja. Aber sie als richtige, legitime Sichtweise anerkennen, nein. Jetzt käme es natürlich darauf an, was stine ursprünglich mit "anzuerkennen, dass es mehrere Betrachtungsweisen für ein und dasselbe Thema gibt" gemeint hat. Ich verstehe jedenfalls darunter mehr, als nur zuzugeben, dass es Spinner gibt, die andere aber falsche Betrachtungsweisen haben. Falsche Brillen kann ich zum Spaß und besseren Verständnis gerne aufsetzen. Aber meinte stine nicht wahrscheinlich doch mehr, nämlich die Grundannahme, dass diese anderen Betrachtungsweisen des Themas auch ihre Berechtigung haben, stimmen und richtig sind? Diese Art Vorab-Anerkennung gehört meiner Meinung nach nicht in einen Diskurs. Skepsis ist gefragt.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Do 4. Okt 2012, 08:28

ganimed hat geschrieben:Ja, um den Gegenüber zu verstehen, muss ich mich mitunter in seine Betrachtungsweise hineinversetzen.


ganimed hat geschrieben:Brille aufsetzen ja.


Um mehr geht es erst mal nicht.

Dich treibt offenbar die Sorge um, dass Du diese Position dann übernehmen müsstest und diese Sorge ist unbegründet. Es sei denn, Du stellst fest, dass diese Position, in dem Moment, wo Du sie mal anhörst und wirklich vollumfänglich zu verstehen versuchst, gar nicht so dumm ist.


Und natürlich gibt es mehr als eine Sichtweise, Du scheinst aber der Auffassung zu sein, dass es nur genau eine richtige Sichtweise geben kann. Das ist nicht unbedingt richtig.
Es gibt Fragen nach irgendwelchen Fakten: Wie hoch ist der höchste Berg? Ist Wasser schwerer als Blei? (Durchaus: 2 Kilo Wasser sind doppelt so schwer wie 1 Kilo Blei. ;-) Du meintest die Mischung aus Dichte und Atomgewicht.) Wo genau liegt die Hauptstadt von Italien? Hierüber kann es kaum zwei Meinungen geben, aber darüber werden auch keine Talkshows gemacht, Diskurse geführt oder gestritten.
Es wird darüber gestritten, ob man den Euro retten soll und wie das wohl geht.
… was Männer und was Frauen besser können.
… welches Wirtschaftssystem das beste ist.
… ob es noch zeitgemäß ist, die Familie zu privilegieren.
… ob es „Gut“ und „Böse“ wirklich gibt.
… ob es einen freien Willen gibt.

Hierüber gibt es berechtigterweise mehrere Meinungen und man kann oft nicht sagen, dass eine eindeutig falsch wäre, sondern das ist eine Frage der impliziten Prämissen, die an dem Thema hängen.

Du formulierst:
ganimed hat geschrieben:Ich verstehe jedenfalls darunter mehr, als nur zuzugeben, dass es Spinner gibt, die andere aber falsche Betrachtungsweisen haben. Falsche Brillen kann ich zum Spaß und besseren Verständnis gerne aufsetzen.


Da stecken zwei Botschaften drin, eine richtige, eine falsche (immer bezogen auf den Diskurs).

Die richtige: Ja, es steckt mehr dahinter, als nur so zu tun, als ob der andere richtig liegen könnte, bei Fragen, die allgemein als geklärt gelten.
Könnte die Dichte von Blei nicht doch kleiner sein, als die von Wasser?
Hat es die Mondlandung vielleicht nie gegeben?
Hat Beethoven vielleicht nie gelebt?
Könnte es nicht sein, dass Rom in Mexiko liegt?
Könnte im Schrank des eigenen kleinen Kindes nicht doch ein Monster lauern, das genau in dem Moment verschwindet, in dem jemand nachguckt?

Die falsche: Jemanden als „Spinner“ zu qualifizieren heißt bereits aus dem Diskurs ausgestiegen zu sein. Das sollte eher im Verlaufe des Diskurses geschehen, wenn man feststellt, dass man keine Einigung finden wird und seine Zeit nicht verplempern will.
Aber, abgesehen von den o.g. Fragen, auf die es schwer mehr als eine Meinung gibt (oder geben sollte – selbst Habermas spricht sich dafür aus, dass man bestimmte Stammtischparolen schlicht unterdrücken sollte), ist die Bewertung „Spinner“ eine, in der ich mir den anderen grundsätzlich auf Abstand halte.

Doch gerade dort, wo ich seine Prämissen nicht teile, ist es wichtig, diese Prämissen erst mal freizulegen, will ich nicht in die apodiktische Rhetorik der selbernannten Enthüller der Wahrheit einsteigen, die grundsätzlich besser wissen, was der andere denkt, als er selbst.

Der Vorteil davon, die Prämissen freizulegen, liegt nicht nur darin, dass man dem anderen die Unterschiede der Postionen (und mögliche alternative Arten zu denken) aufzeigen kann, man lernt auch die eigene Position zu begründen oder anzuerkennen, dass es eine letzte Begründung hier und da gar nicht gibt.

Wie wenig man die eigenen Überzeugungen mitunter rechtfertigen kann, kann eine durchaus spannende und erschreckende Erfahrung des Diskurses sein, vor allem dort, wo der eigene Glaube heftig wütet.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » Do 4. Okt 2012, 08:42

ganimed hat geschrieben:Hat jemand eine völlig lächerliche Position (Wasserstoff ist schwerer als Blei), dann werde ich nicht, wie stine meint, erstmal anerkennen müssen, dass man das von vielen Seiten sehen kann und dass jeder Blickwinkel anzuerkennen ist. Nein. Ich werde es von der ersten Sekunde an für Blödsinn halten.
Du wirst sicherlich erkannt haben, dass ich eher selten reale Messergebnisse anzweifle und auf den Kopf stelle.
Ich vermute, dass dich an mir etwas ganz anderes stört. Was genau das ist, werd ich vielleicht noch herausfinden. Aber soweit schon mal: Um die Position eines anderen begreifen zu wollen, muss man sich auf ihn einlassen. Für mich ist der perfekte Ausgang eines Diskurs der Konsens, weil es nie die EINE Wahrheit gibt. Das betrifft hier fast alle Themen und Thesen, die auf philosophischer Seite erörtert werden. Ein Konsens ist aber nur möglich, wenn ich dem anderen zugestehe, dass er mit seiner Wahrheitsfindung nur einen anderen Weg beschritten hat, am Ende aber vielleicht das gleiche Ergebnis stehen kann.

Ein Beispiel: Vielfach wird hier im Forum über die Notwendigkeit der Moral gestritten. Nur weil ich sie aus der Religion ableite und naturalistisch/atheistische Betrachtungsweise davon ausgeht, dass es sie nicht braucht, weil es ein "natürlicher" Prozess ist, der die Menschen friedlich miteinander leben lässt, heisst das aber nicht, das es keine Moral gibt. Ergebnis betrachtend würde ich sagen: Ja, es ist ein natürlicher Prozess, aber den haben wir längst durchgemacht und irgendwann hat das eben mal einer in Worte gefasst und seiner Nachwelt aufgeschrieben, damit nicht jede Generation wieder von vorne anfangen muss und einheitliche Regeln Sicherheit vermitteln.
Würde man die bestehende Moral nun auslöschen, müssten Alternativen geschaffen werden. Es reicht eben nicht, wenn jeder tut was er möchte, weil am Ende alles aus dem Ruder laufen würde. Man stellte dann ganz schnell fest, dass es ohne Regeln eben nicht funktioniert und es würden sich "natürlich" Regeln herausbilden, die sinnvoll und nützlich das Miteinander gestalten. Nur wo ist der Sinn, das alles neu zu erfinden?
Ist es die Selbsterfahrung, die der Mensch braucht?

Mann kann also einen seitenlangen Diskurs über Moral führen und am Ende kommt nur dabei raus, dass jeder seine Moral anders begründen möchte. Über die Notwendigkeit der Moral ist man sich längst einig, aber gibt das nicht zu, weil es dem Ego schwerfällt, sich den Widerspruch nehmen zu lassen.
Hieraus ensteht ein Diskurs ohne Ende.

LG stine
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Do 4. Okt 2012, 12:11

stine hat geschrieben:Ich vermute, dass dich an mir etwas ganz anderes stört.


Ich spekuliere mal:
Ich glaube, was explizite atheistische Naturalisten an bekennenden Gläubigen stört, ist dass sie der Meinung sind, es könne eben keine zwei Meinungen geben, so habe ich ganimed zumindest verstanden.

Für Naturalisten gelten aber oft viele selbstauferlegte (und ungenügend hinterfragte) Regeln.
Eine davon ist, dass Wahrheit immer vorläufig ist, aber es immer nur eine beste vorläufige Wahrheit gibt (und dass diese fast immer eine naturwissenschaftliche sei).

Für Naturalisten besteht die Welt und die Summe der wahren Aussagen über die Welt (falls sie das differenzieren) aus kleinen Bausteinen, die bottom up zu größeren Bausteinen zusammengesetzt werden.
Deshalb ist für reduzierende Naturalisten die größte Wahrheit immer in den kleinsten Bausteinen verborgen, obendrein in solchen, die wir messen können. Das Denken verstehen wir nur, wenn wir das Gehirn verstehen, das verstehen wir nur, wenn wir die einzelnen Zellen verstehen, die sind eigentlich auch nur Biochemie und Biochemie ist nur komplexe Physik und am Ende liegt alle Wahrheit in den Quarks verborgen.
Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit und der Leistungsstärke der Computer, bis wir von Quarks direkt auf Theorien schließen können. Echter Quark, ohne Honig. Und getretener Quark wird breit, nicht stark.

Das hat mir noch nie jemand schlüssig erklären können, ich habe auch noch nie einen erfolgreichen Reduktionismus gesehen, der mehr als eine Stufe zurückgegangen ist.
(Ich kenne nicht mal eine wahre und gute physikalische Erklärung dafür, warum ein Hund mit dem Schwanz wedelt, ich bin auch nicht sehr optimistisch, dass das sehr bald der Fall sein wird. Dass man irgendwann die Erklärung für Demokratie und Menschenrechte aus den Quarks wird ableiten können, erscheint mir prinzipiell unerreichbar.)

Ich kann auch mit Aussagen wie der, dass Wahrheit das ist, was ist, oder Wahrheit die Realität sei, nicht viel anfangen. Ich weiß nicht, was an einem Stein oder schierer Existenz „wahr“ sein soll.
(Zumal es ja auch den putzigen Selbstwiderspruch gibt, dass jeder Naturalist wohl die Existenz von Lügen anerkennen würde. Damit wären Lügen ja (da sie sind, existieren) per def wahr.)
Für mich hat Wahrheit etwas mit Aussagen zu tun. Aussagen im Sinne behauptender Sätze.
Sätze verstehe ich aber nicht besser, wenn ich sie auf einzelne Worte reduziere, diese auf einzelne Buchstaben und diese auf exakte Krümmungswinkel einzelner Bögen im „G“.
Aussagen verstehe ich dann besser, wenn ich sie in den größeren Kontext weiterer Sätze stelle.
Und die in den eines Abschnitts und denn in die des gesamten Textes.

So weit ich das sehe, wissen auch Naturwissenschaftler, dass man Aussagen nicht aus dem Kontext zerren sollte. D.h. selbst wenn sie Anhänger eines eleminativen Reduktionismus wären, würden sie dennoch versuchen, die Welt von der Wahrheit und Richtigkeit des eleminativen Reduktionismus‘ zu überzeugen und sich daher implizit den Regeln der Argumentation unterwerfen und diese anerkennen.
Hier agieren sie holistisch wenn sie holistische Ansätze in Bausch und Bogen verwerfen in meinen Augen schlicht und einfach widersprüchlich. Von Selbstwidersprüchen scheinen Reduktionisten aber für gewöhnlich notorisch unbeeindruckt zu sein. Vielleicht, weil man sie nicht anfassen und wiegen kann?


Atheistische Naturalisten argumentieren von der Struktur her oft so, dass sie sagen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Das ist an sich richtig, wenn es auf die implizite (logische) Festlegung von einer Aussage, auf eine andere geht. Es ist falsch, wenn es bedeuten soll, dass alle Welt die Regeln der einen oder anderen Form des Naturalismus für jeden denkbaren Kontext anerkennen soll.
Hier sinkt die gute und wichtige Methode einer (natur)wissenschaftlichen Datengenerierung – die in ein Theoriengebäude importiert werden muss um zu gehaltvollen Aussagen zu kommen – zu einer Weltanschauung, dem traurigen Irrtum des Szientismus.

Dass z.B. Moral sinnlos ist und „gut“ und „böse“ durch neutralere Begriffe wie „sinnvoll“ oder „nützlich“ oder „passend“ oder „folgerichtig“ oder „erfolgreich“ ersetzt werden sollten, ist eine traurige Frucht dieses traurigen Irrtums.
Diese (ideologische) Sichtweise unterstellt, dass es so etwas wie „gut“ und „böse“ in Wirklichkeit gar nicht gibt (was auch immer diese „Wirklichkeit“ dann sein soll: Oft genug die fade Suppe der szientistischen entwerteten Welt. Da ist dann „wirklich“ nur, was man sehen und anfassen kann. Schon die „Wirkung“ einer Unterschrift unter einen Vertrag muss den Gläubigen dieser Ideologie wie äußerste Metaphysik erscheinen – und tut es auch).

Wo man aber über einen etwas weiteren Horizont verfügt und der Begriff „gut“ durch alternative Begriffe ersetzt werden soll, etwa „passend“ oder „nützlich“ stellt sich ja postwendend die Frage: Für wen oder was? Wer formuliert, dass „richtig“ und „gut“ nur gleichumfängliche Synonyme für „nützlich“ und „passend“ sind, der gerät kerzengerade in einen naturalistischen Fehlschluss. Denn warum sollte es nicht im Sinne der Evolution nützlich sein zu foltern, die Todesstrafe einzuführen oder das genaue Gegenteil zu tun? Wer sagt mir, was hier gut oder erfolgreich oder nützlich ist? Was sidn die Kriterien, wer stellt sie auf, warum diese und nicht andere?
Wenn das gut/nützlich/erfolgreich ist, was ist – weil es sich sonst evolutionär nicht durchgesetzt hätte – der überlässt „der Natur“ das Steuer und der legitimiert das Auftreten buchstäblich jeder Handlung. Denn sie ist ja und hat sich dadurch, dass sie ist gegen konkurrierende Möglichkeiten durchgesetzt. Insofern wäre das Auftreten der Taliban in Afghanistan, gut/nützlich/erfolgreich/richtig, denn sie existieren ja auch.

Wer irgendwelche Einwände dagegen hat, wird schwer umhin kommen, zu formulieren, dass die Handlungen der Taliban zwar existieren, aber man so nicht handeln sollte, dass es eben nicht gut und richtig ist, so zu verfahren. Erfolgreich ist es ja, sonst würde es sie Taliban nicht geben.
(Und die Ausweitung dieser Argumentationsstrategie in die Richtung, dass die Taliban eben nicht erfolgreich wären, weil wir ja die Handys und Waffen bauen, die sie nur benutzen, benutzt schon einen anderen Begriff von evolutionärem Erfolg als Darwin. Für ihn ist die Sache einfach: Erfolg ist Nachkommen zu produzieren, die Nachkommen produzieren und immer so weiter… Damit führt man durch die Hintertür jenen Qualitätsbegriff ein – freilich noch nicht allein, durch den technologischen Fortschritt, aber auch durch ihn – den man explizit bekämpft.)

Die Frage nach gut und böse, ist die Frage nach Moral und Ethik und heißt immer, ob man alle Möglichkeiten ausschöpfen sollte, die man ausschöpfen könnte. Dahinter steht die Frage, wie wir zusammenleben wollen und das impliziert die innere Gewissheit, dass wir (unter anderen Umständen) auch anders könnten. Diese anderen Umstände betreffen nicht nur Brunnen, Schulen und Wahlurnen, sondern auch Argumente und die innere Gewissheit, dass das was uns verbindet, vor allem anderen, das Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen ist.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » Do 4. Okt 2012, 16:29

OT:
Vollbreit hat geschrieben:Ich kenne nicht mal eine wahre und gute physikalische Erklärung dafür, warum ein Hund mit dem Schwanz wedelt...
Ich habe mal gelesen, dass der schwanzwedelnde Hund so seinen Duft verbreiten möchte um zu sagen: riech mal, ich bin dein Freund! (Hunde erkennen sich ja eben dadurch, dass sie sich dort beschnüffeln, wo unsereins lieber nicht mit seiner Nase rangeht.)

:wink: stine
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » So 7. Okt 2012, 02:13

stine hat geschrieben:Du wirst sicherlich erkannt haben, dass ich eher selten reale Messergebnisse anzweifle und auf den Kopf stelle.

Wir sind hier auf einem falschen Dampfer, habe ich das Gefühl. Mein Beispiel war betont simpel, aber ich meinte nicht Dinge, die so klar sind, dass niemand sie anzweifelt (obschon einzelne Messergebnisse meistens überhaupt nicht klar und sehr wohl anzweifelbar sind). Ob man über Moral oder andere schwierige, komplexe und nicht entscheidbare Dinge redet, ist doch egal. Mir ging es allgemein um Diskurs an sich, nicht um irgendein Thema.

Und beim Diskurs glaube ich der anderen Meinung nicht von vorneherein. Ich unterstelle erstmal nicht, dass wir ín Wirklichkeit einen Konsens haben und das nur noch herausarbeiten müssen. Erstmal denke ich: warten wir doch mal die Argumente ab.

Deine Auffassung von Diskurs scheint zu sein: warten wir lieber nicht die Argumente ab. Erkennen wir lieber vorher schon an, dass die andere Meinung wohlgeformt ist, begründet und berechtigt. Und erklären wir uns diesen Widerspruch (einerseits glauben wir unsere Meinung, andererseits anerkennen wir die andere???) einfach damit, dass da wohl in Wirklichkeit einfach mal ein Konsens vorliegt und mindestens einer von uns seine Meinung nur missverständlich ausgedrückt hat.

stine hat geschrieben:Mann kann also einen seitenlangen Diskurs über Moral führen und am Ende kommt nur dabei raus, dass jeder seine Moral anders begründen möchte.

Das passiert nur, wenn man die Regeln des Diskurses nicht einhält, keinen Schiedsrichter hat und es auch selber nicht schafft (aus Ego-Gründen oder anderen) die besseren Argumente anzuerkennen. In einem idealen (oder wenigstens besseren) Diskurs, und darum ging es uns ja hier, legt jeder seine Argumente auf den Tisch, wieso seine Begründung von Moral die richtige ist. Dann wird versucht, die Argumente der Gegenseite zu entkräften. Je nachdem, wem das besser gelingt, der hat gewonnen.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » So 7. Okt 2012, 07:51

Was Du verfehlst und was Dich ganz offenbar auch nicht sonderlich interessiert, ist der Kern des Diskursgedankens. Bei Dir geht es irgendwie um einen sportlichen Wettstreit, der Sieg oder Niederlage kennt, der Gedanke des Diskurses ist eine kooperativer.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » So 7. Okt 2012, 10:28

ganimed hat geschrieben:Deine Auffassung von Diskurs scheint zu sein: warten wir lieber nicht die Argumente ab. Erkennen wir lieber vorher schon an, dass die andere Meinung wohlgeformt ist, begründet und berechtigt. Und erklären wir uns diesen Widerspruch (einerseits glauben wir unsere Meinung, andererseits anerkennen wir die andere???) einfach damit, dass da wohl in Wirklichkeit einfach mal ein Konsens vorliegt und mindestens einer von uns seine Meinung nur missverständlich ausgedrückt hat.
Natürlich gehe ich davon aus, dass mein Gegenüber gute und stichhaltige Argumente hat, sonst würde ich auf einen Diskurs gar nicht erst eingehen wollen. Da eine Medaille immer zwei Seiten hat, gilt es eben, zu ermitteln.

ganimed hat geschrieben:In einem idealen (oder wenigstens besseren) Diskurs, und darum ging es uns ja hier, legt jeder seine Argumente auf den Tisch, wieso seine Begründung von Moral die richtige ist. Dann wird versucht, die Argumente der Gegenseite zu entkräften. Je nachdem, wem das besser gelingt, der hat gewonnen.
@Vollbreit hat das schon geschrieben: Ein guter Diskurs ist keine Sportveranstaltung und keine Sache der größeren Ausdauer. Sonst wäre es ja immer so, dass der lautere und der Ausdauerndere sein Recht bekommt, egal welcher Irrsinn dabei herauskommt.
Wenn nun jeder seine Argumente auf den Tisch legt (ich gehe mal davon aus, dass beide Seiten gute und stichhaltige Argumente haben), dann ist ohnehin nur ein Konsens die Lösung, denn keines der Argumente ließe sich so einfach vom Tisch wischen. Höchstwahrscheinlich muss man dann die Ebenen betrachten, auf welcher die Argumente basieren.

Vielleicht hilft hier wieder ein Beispiel: Ein klassischer Mediziner und ein Vertreter der Homöopathie tauschen sich über die ideale Behandlung der heute vielfach diagnostizierten vegetativen Dystonie aus. Die Argumente beider Heiler basieren auf der jeweiligen Ebene ihrer Sichtweise und höchstwahrscheinlich haben beide recht, bezogen auf ihren Wissenstand. Es geht also nicht darum, ob der Arzt oder der Homöopath gewinnt, weil einer dem anderen die Gültigkeit seiner Argumente abspricht, sondern es ginge im besten Falle darum, dass sich beide zugunsten des Patienten irgendwo treffen.
Die Physe und die Psyche wären hier gleichwertig zu betrachten.

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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Zappa » So 7. Okt 2012, 11:14

stine hat geschrieben:
Vielleicht hilft hier wieder ein Beispiel: Ein klassischer Mediziner und ein Vertreter der Homöopathie tauschen sich über die ideale Behandlung der heute vielfach diagnostizierten vegetativen Dystonie aus. Die Argumente beider Heiler basieren auf der jeweiligen Ebene ihrer Sichtweise und höchstwahrscheinlich haben beide recht, bezogen auf ihren Wissenstand. Es geht also nicht darum, ob der Arzt oder der Homöopath gewinnt, weil einer dem anderen die Gültigkeit seiner Argumente abspricht, sondern es ginge im besten Falle darum, dass sich beide zugunsten des Patienten irgendwo treffen.
Die Physe und die Psyche wären hier gleichwertig zu betrachten.


Das Beispiel ist schlecht gewählt, denn der wissenschaftliche Mediziner kann anhand von Daten belegen, dass er einen Therapieerfolg erzielen kann, während dies der Homöopath nicht kann (und meist auch gar nicht will).

Im Prinzip bin ich mit Dir einer Meinung, nur ist das Argument eben nicht auf die Wissenschaft anwendbar, das macht sie u.a. ja so einzigartig (und erfolgreich).
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » So 7. Okt 2012, 11:16

Vollbreit hat geschrieben:Was Du verfehlst und was Dich ganz offenbar auch nicht sonderlich interessiert, ist der Kern des Diskursgedankens.

Lustig, dass du hier den Kern ansprichst. Ich fand deinen vorletzten Beitrag sehr abschweifend und weit weg von diesem Kern. Sicher ist dein Thema - atheistische Naturalisten und was du ihnen bei Diskursen ganz bestimmter Thematiken unterstellst - auch recht interessant. Aber mich interessiert das Thema Kern des Diskursgedankens eben gerade mehr.

Vollbreit hat geschrieben:Bei Dir geht es irgendwie um einen sportlichen Wettstreit, der Sieg oder Niederlage kennt, der Gedanke des Diskurses ist eine kooperativer.

Der Gedanke eines sportlichen Wettstreits ist ebenfalls ein kooperativer. Mit dem Schlagwort "kooperativer Gedanke" ist hier nichts gewonnen. In meinem Diskurs geht es darum, sich in gemeinsamer Kooperation mehr Klarheit über ein Thema zu verschaffen. Mehr Klarheit durch Offenlegung und Erläuterung der eigenen Argumente, durch Kommentierung, Widerlegung oder Bestätigung der anderen Argumente und abschließendem sportlichen Auszählen. Und dieses Resultat, nämlich mehr Klarheit, erreicht man nicht, wenn man noch vor der Argumentation des anderen einfach mal annimmt, dass er ebenfalls recht hat, dem Vergleich aus dem Weg geht und eher nur die Gemeinsamkeiten sucht. Das mag friedlicher sein aber eben auch sehr arm an Resultaten.

stine hat geschrieben:Natürlich gehe ich davon aus, dass mein Gegenüber gute und stichhaltige Argumente hat, sonst würde ich auf einen Diskurs gar nicht erst eingehen wollen. Da eine Medaille immer zwei Seiten hat, gilt es eben, zu ermitteln.

Was aber willst du ermitteln? Wenn ich recht verstehe, willst du nur die andere Seite (der Medaille) kennenlernen. Du willst aber tunlichst nicht ermitteln, welche der beiden Seiten gewinnt, welche Seite nun recht hat. (Weil du von vorneherein annimmst, dass keine Seite (alleine) recht hat, sondern das Thema hoffentlich komplex genug ist, dass beide Seiten sich nicht bewegen müssen. Mit dem Hinweis darauf, dass ja jeder es aus einem anderen Blickwinkel betrachtet recht hat). Dir geht es also weniger um Klarheit und um ein Resultat in der Sache. Dir ist es scheinbar wichtiger, dich nicht bewegen zu müssen. Du willst keinen Diskurs in meinem Sinne wagen, sondern lieber einen einfachen Gedankenaustausch ohne weitere Konsequenzen. Hauptsache, niemand muss verlieren und seine bequeme und liebgewonnene Position aufgeben. Kann man natürlich so machen, besonders beim Kaffeekränzchen. Ich würde das nur nicht Diskurs nennen, sondern eben Gedankenaustausch.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » So 7. Okt 2012, 11:37

Zappa hat geschrieben:Das Beispiel ist schlecht gewählt, denn der wissenschaftliche Mediziner kann anhand von Daten belegen, dass er einen Therapieerfolg erzielen kann, während dies der Homöopath nicht kann (und meist auch gar nicht will).
Das würd ich so nicht verallgemeinern wollen. Ich finde das Beispiel eines Diskurses auf unterschiedlichen Ebenen gut gewählt. :mg:

ganimed hat geschrieben:Dir ist es scheinbar wichtiger, dich nicht bewegen zu müssen. Du willst keinen Diskurs in meinem Sinne wagen, sondern lieber einen einfachen Gedankenaustausch ohne weitere Konsequenzen. Hauptsache, niemand muss verlieren und seine bequeme und liebgewonnene Position aufgeben.
Wenn du das so siehst.
Anhand meines Beispiel versuchte ich aufzuzeigen, was ich mit den zwei Seiten einer Medaille meinte. Würde man nun über ein und die selbe Seite der Medaille diskutieren, dann müsste einer der beiden Diskutanten unrecht haben und aufgrund fehlender oder falscher Argumente seine Position aufgeben müssen. Das ist richtig.

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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Zappa » So 7. Okt 2012, 12:14

@stine: Nur ist deine Schlussfolgerung, dass beide auf Ihrer Ebene Recht haben grundfalsch und deswegen finde ich das Beispiel eben nicht gut gewählt :mg:
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Lumen » So 7. Okt 2012, 12:16

Vollbreit hat zumindest bei einigen diagnostizierten Problemen in den Meinungen recht, aber das soll ja nicht das Thema sein. Für mich stellt sich erst einmal die Frage, was jemand für eine These aufstellt und wie diese untermauert ist. Eine Meinung ist zunächst nichts wert, natürlich auch meine eigene nicht. Jeder hat andauernd und zu fast allem eine Meinung. Eine Meinung zu formulieren kann eine Minute dauern, aber etwas zu widerlegen kann unter Umständen hunderte Jahre und Milliarden verschlingen. Nehmen wir Russels Teekanne, die angeblich zwischen Erde und Mars um die Sonne kreist. Um zu belegen (oder widerlegen), ob sie existiert, müssten extreme Anstrengungen unternommen werden. Man müsste über lange Zeit systematisch den ganzen Orbit absuchen und könnte bei Nicht-Finden der Teekanne immer noch behaupten, man habe sie übersehen. Wenn jemand also die Behauptung aufstellt, dann ist es sehr interessant zu wissen, woher derjenige denn von der Teekanne weiß. Damit ist es im Sinne des Diskurses, sich buchstäblich in ihre Lage zu versetzen um dann alle Schritte nachvollziehen, die zur Entdeckung der Teekanne führten. In der Wissenschaft ist es gang und gäbe, den Versuchsaufbau zu wiederholen.

In Diskussionen passiert das meiner Ansicht nach auch recht häufig. Nur sind nicht alle Teilnehmer auf dem gleichen Stand und manche weigern sich, ihren Zug zu machen (d.h. ihrerseits die Argumente einzubeziehen). Während es zum Beispiel seit einigen jahrhunderten eine atheistisch-religionskritische Auseinandersetzung gibt, die alles einbezieht, was Hermeneutiker und Konsorten vorbrachten, haben religiöse Apologeten seitdem nichts neues mehr geliefert und verharren stattdessen auf einem vor-aufklärerischen Stand, der nur durch post-moderne und relativistische Rhetorik maskiert wird (die Leute meinen ja nicht wirklich, dass ihre Gottheit und ihre Wahrheiten zu relativeren sind, sondern nur das wissenschaftliche Weltbild, das diese bedroht).

Was hier viel häufiger passiert sind Meta-Diskussionen, die sich um den Rahmen entfalten, indem die Diskussion selbst stattfindet. Gefällt jemandem eine Sachlage nicht, wird der Rahmen solange verschoben, bis die Argumente ihre Bedeutung verlieren. Gefallen mir die Daten und Fakten aus der Evolutionstheorie nicht, dann fange ich eben an, die Natur des Wissens, die Integrität der Wissenschaftler, die Methoden usw. in Zweifel zu ziehen. Wenn das nicht klappt, werden eben weitere Kriterien aufgestellt, die die Theorie zusätzlich noch erfüllen muss, zum Beispiel soll sie reduzierbar auf Physik sein, oder sonstwas. Dabei werden sprachliche Schwierigkeiten bei der Darstellung genauso gekonnt ausgenutzt, um den oben angesprochenen Zug zu verzögern, wie argumentatorische (oder dem Forum geschuldete) Vereinfachungen. Schreibt jemand salopp, die "die Evolution will..." dann kann jemanden eine ganze Diskussion damit ruinieren, indem diese Ungenauigkeit ausgebeutet wird.

Das ist natürlich nur meine Meinung. :^^:
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Mo 8. Okt 2012, 10:12

Lumen hat geschrieben:Schreibt jemand salopp, die "die Evolution will..." dann kann jemanden eine ganze Diskussion damit ruinieren, indem diese Ungenauigkeit ausgebeutet wird.


Was allerdings unredliches Verhalten im Sinne des Diskurses wäre, geht es doch darum, sich zu bemühen, den andere vollumfänglich zu verstehen.
Selbst wenn man sich einfach nur vertan hat, könnte der andere korrigierend eingreifen und sagen, dass er diese Äußerung als Bild verstanden wissen möchte. Kommt halt auf den Kontext an.

So unangebracht eine erbsenzählerische Einstellung sein kann, so richtig kann sie im anderen Kontext auch sein. Klassisch hier das Gespräch zwischen Wolf Singer und Julian Nida-Rümelin:
http://www.philosophie.uni-muenchen.de/ ... singer.pdf

Es ist eben widersprüchlich und falsch, einerseits permanent darauf hinzuweisen, dass die 3.Person-Perspektive (die objektivierende, deskriptive, naturwissenschaftliche) in der Lage sei, restlos alle Phänomene der 1.Person-Perspektive (die subjektivistische, teilnehmende, erlebende, introspektive) zu umfassen und dann jedes Mal (nicht nur in diesem Gespräch, sondern auch im wissenschaftliche Dialog) eben doch dem Gehirn, Einstellungen zuzuschreiben, die eben nur ein Subjekt haben kann.
Singers Kollege Roth ist da in nichts besser und unterstellt dem Hirn sogar „perfide“ sein zu können.

Die Publikation mit der Übersetzung in der die 1. Person Sprache ohne semantischen Rest (oder überhaupt nur in allergröbsten Ansätzen) in die 3. Person Sprache übersetzt wird – nichts weniger ist die Behauptung von Singer gewesen -, suche ich übrigens bis heute. Falls sie jemand kennt, bitte melden.
Inzwischen sind 10 Jahre vergangen.

In dem Fall also alles andere als eine Sabotage des Diskurses.

Dein Problem, Lumen, ist, dass Du jenen guten Willen beim anderen einforderst, den Du selbst nicht mal im Ansatz zu gewähren bereit bist.
Du bemühst Dich nicht den anderen zu verstehen, weil Du in der Illusion lebst – jedenfalls, wenn man auf Deine Reizthemen zu sprechen kommt – der andere hätte Dir schlicht überhaupt nichts zu sagen und Du hättest ihn längst verstanden. „Ich kann von euch nichts mehr lernen, aber ihr von mir“, ist da der immerwährende Subtext.
Mit Diskurs hat dass nun auch nichts zu tun. Aber Du hast ja auch explizit gemacht, dass Du überhaupt keinen Diskurs führen willst, insofern passt die Missionarsrolle schon zu Dir.
Nur die Jammerei steht Dir dann eben nicht zu.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » Mo 8. Okt 2012, 15:36

Vollbreit hat geschrieben:Es ist eben widersprüchlich und falsch, einerseits permanent darauf hinzuweisen, dass die 3.Person-Perspektive (die objektivierende, deskriptive, naturwissenschaftliche) in der Lage sei, restlos alle Phänomene der 1.Person-Perspektive (die subjektivistische, teilnehmende, erlebende, introspektive) zu umfassen und dann jedes Mal (nicht nur in diesem Gespräch, sondern auch im wissenschaftliche Dialog) eben doch dem Gehirn, Einstellungen zuzuschreiben, die eben nur ein Subjekt haben kann.

Ich fand ein Widerspruchs-Argument von dir bereits in der entsprechenden früheren Diskussion (Inkompatibilismus/Kompatibilismus) sehr leicht zu widerlegen. Ich dachte auch, ich hätte das gemacht. Aber aus der damaligen Diskussion fehlen eben die Resultate. Zumindest soweit ich mich erinnere, haben wir da keine Bilanzen aufgestellt.
Und so auch hier. Ich habe ein Argument gegen deine Behauptung, es sei "widersprüchlich und falsch".
Singer sagt, auch nach meinem Eindruck, implizit, dass die objektive Perspektive alles subjektive "umfasse". Soweit ich das verstehe, meint er damit, dass alle subjektiven Erlebnisse auf objektiv beschreibbare neuronale Vorgänge zurückzuführen sind. Und dann schreibt er, da stimme ich auch zu, dem Gehirn zu, Einstellungen zu haben, die nur ein Subjekt haben kann. Nur ist dein Widerspruch kein Widerspruch. Singers Aussage ist praktisch: das Subjekt hat Dinge, die nur ein Subjekt haben kann, und dieses "haben" wird durch objektiv beschreibbare, neuronale Vorgänge
realisiert. Mir schwant deshalb, dass du möglicherweise auch aus unserer Diskussion über Reduktionismus wenig gelernt hast. Nur weil subjektive Vorgänge durch objektive Vorgänge realisiert werden, heißt das nicht, dass die subjektiven Vorgänge plötzlich objektive Vorgänge sind. Ein Elefant ist nicht ein Zellhaufen, obwohl er durch Körperzellen realisiert ist. Du verwechselt einfach zwei Dinge, in meiner Begrifflichkeit setzt du die Verben "ist realisiert durch" und "ist gleich mit" gleich. Ein Abwassersystem ist aber kein Rohr, obwohl es durch Rohre realisiert wurde. Oder zurück zu Singer: ein subjektiver Vorgang im Gehirn ist aber kein objektiver Vorgang, obwohl er durch objektive Vorgänge realisiert wurde. Singer widerspricht sich deshalb gar nicht.

Aber was würde das jetzt für einen Diskurs mit Resultaten bedeuten? Du hast mit Widerspruch argumentiert. Ich habe das widerlegt. Jetzt müsstest du entweder meine Widerlegung anerkennen oder die Fehlerhaftigkeit meiner Widerlegung aufzeigen, oder? Das wäre jedenfalls das, was ich selber unter Resultaten verstünde. Dass wir diese einfache ja/nein-Frage klären: gibt es bei Singer den von dir beschriebenen Widerspruch oder gibt es ihn nicht?
Und das unterscheidet sich nach meinem Eindruck von stines Diskurs-Auffassung, wo eben nicht entschieden wird, ob Schulmedizin oder Hömöopathie recht haben, sondern man die armen Patienten einfach weiter mal so mal so oder sogar gleichzeitig mit beidem maltretiert. Das ist für mich aber die Abwesenheit von Resultat.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » Mo 8. Okt 2012, 16:12

ganimed hat geschrieben:stines Diskurs-Auffassung, wo eben nicht entschieden wird, ob Schulmedizin oder Hömöopathie recht haben, sondern man die armen Patienten einfach weiter mal so mal so oder sogar gleichzeitig mit beidem maltretiert.
Ich hatte das schon erklärt, es geht mir um die zwei Seiten einer Medaille. Natürlich können beide einen Heilerfolg am Patienten haben. Der Schulmediziner weiß, dass die Heilung durch die Pille XY erfolgt ist und der Homöopath setzt auf Selbstheilungsprozesse, angestachelt durch seine Fürsorge. Er kann das vielleicht nicht bei jedem Patienten beliebig wiederholen, aber das kann der Schulmediziner letztlich auch nicht zu 100%.
Beide hätten im Heilungsfalle also mit ihrer Methode recht gehabt, auch wenn einer die Mittel des anderen begründet ablehnt.

Und das gilt auch für den Schmerz und das Leid. (War das hier oder ein anderer Thread?) Der Schmerz ist objektiv messbar, das Leid nicht. Das Leid bleibt subjektive Empfindung. Und jemand kann leiden, auch wenn dies körperlich nicht messbar ist und jemand kann Schmerz empfinden und steckt ihn locker weg.

Kleine Anekdote am Rande: Heute kam ich mit meinem Fahrrad an der roten Ampel neben einem Kleinwagen zu stehen. Aus dem Wagen hämmerte und dröhnte Musik, die noch drei Wagen weiter zu hören war und alle drei Jungs im Wagen qualmten. Müsste ich da drin sitzen, ich würde schrecklich leiden müssen, die drei Jungs empfanden ihre Situation sicher als mega-cool. Wahrscheinlich litten sie mit mir, weil ich so ein altes Fahrrad habe. :mg:

LG stine
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Mo 8. Okt 2012, 17:09

ganimed hat geschrieben:Ich habe ein Argument gegen deine Behauptung, es sei "widersprüchlich und falsch".


Bin gespannt.

ganimed hat geschrieben:Singer sagt, auch nach meinem Eindruck, implizit, dass die objektive Perspektive alles subjektive "umfasse".


Den Punkt können wir abhaken, das schreibt er sogar ganz explizit, zur Not könnte ich es zitieren.

ganimed hat geschrieben:Soweit ich das verstehe, meint er damit, dass alle subjektiven Erlebnisse auf objektiv beschreibbare neuronale Vorgänge zurückzuführen sind.


Ja, so verstehe ich ihn auch.

ganimed hat geschrieben:Und dann schreibt er, da stimme ich auch zu, dem Gehirn zu, Einstellungen zu haben, die nur ein Subjekt haben kann. Nur ist dein Widerspruch kein Widerspruch. Singers Aussage ist praktisch: das Subjekt hat Dinge, die nur ein Subjekt haben kann, und dieses "haben" wird durch objektiv beschreibbare, neuronale Vorgänge realisiert.


Was auch immer realisiert in diesem Zusammenhang heißt.
Das Problem ist Folgendes: Ich kann z.B. Emotionen haben. Emotionen sind simpel. Ich könnte wütend sein, oder erfreut, traurig oder was auch immer.
Möglicherweise gibt es für jeden meiner inneren Zustände eine neuronale Entsprechung.
Tatsächlich weiß man aber nicht mal für ein Krankheitsbild wie die Depression was „die“ Ursache oder die neuronale Entsprechung ist. Es ist ein wenig genetisch und etwas Serontoninmangel, vielleicht etwas Dopaminmangel, wie, wann und warum, weiß man nicht.
Und wie gesagt, Emotionen sind simpel. Die hat auch ein Flusspferd.
Ein Flusspferd hat aber keine Meinung über die Diskussion über den freien Willen.
Wir können z.B. bestimmten Systemen die Fähigkeit zuschreiben Absichten zu haben.
Oder Theorien zu entwickeln, also die Fähigkeit zuschreiben.
Meinst Du, jemand kann mir da neuronale Modelle liefern, die meine Gedanken zu dieser Diskussion abbilden, naturwissenschaftlich erklären (Ursachen, statt Gründe) und mein Verhalten prognostizierbar machen?

ganimed hat geschrieben:Mir schwant deshalb, dass du möglicherweise auch aus unserer Diskussion über Reduktionismus wenig gelernt hast.


Ich habe auch nicht den Eindruck von Dir bisher sonderlich viel gelernt oder angenommen zu haben, das stimmt. Das hat aber seine Gründe, Du hast mich bisher nicht überzeugen können und wenn ich es richtig verfolgt habe, ist Dir das auch bei vielen anderen nicht gelungen.

ganimed hat geschrieben:Nur weil subjektive Vorgänge durch objektive Vorgänge realisiert werden, heißt das nicht, dass die subjektiven Vorgänge plötzlich objektive Vorgänge sind.


Was verstehst Du unter realisiert werden?

ganimed hat geschrieben:Ein Elefant ist nicht ein Zellhaufen, obwohl er durch Körperzellen realisiert ist. Du verwechselt einfach zwei Dinge, in meiner Begrifflichkeit setzt du die Verben "ist realisiert durch" und "ist gleich mit" gleich.


Worin siehst Du den Unterschied?

ganimed hat geschrieben:Ein Abwassersystem ist aber kein Rohr, obwohl es durch Rohre realisiert wurde.


Ich verstehe, was Du mir sagen willst, Du redest von emergenten Phänomenen.
Ich gehe aber auch davon aus, dass eine dynamische Beschreibung innere Zustände nicht restlos abbildet.
Bis auf Weiteres berufe ich mich auf das empirische Faktum, dass sie es nicht tun, da es nicht verifiziert wurde.

ganimed hat geschrieben:Oder zurück zu Singer: ein subjektiver Vorgang im Gehirn ist aber kein objektiver Vorgang, obwohl er durch objektive Vorgänge realisiert wurde. Singer widerspricht sich deshalb gar nicht.


Wenn Du von Emergenzphänomenen sprichst – oder meinst, dass Singer das tut – kannst Du aber auch eine Objektivierung knicken, oder müsstest eben das, was das Emergenzphänomen objektivierbar ausmacht darstellt. Das könnte z.B. eine spezifische räumliche Anordnung sein, vermutlich kommt eien Bewegungskomponente hinzu und es spricht auch kein einziger Grund dafür, warum diese Vorgänge auf das Gehirn allein beschränkt sein sollte.

Es gibt noch einen relativ komplizierten, aber prinzipiellen, Einwand dagegen, warum man von einer Beobachtung neurologischer Zustände nicht auf eine semantische Theorie schließen kann.
Kurz gesagt, betrachtet man bei einem Blick auf neuronale Zustände (also z.B. ein fMRT des Hirns) neuronale Endzustände, aber bspw. keinen Begründungsweg.
Man kann vom gereizten Erfolgorgan nicht auf den Reizauslöser zurückschließen.

ganimed hat geschrieben:Aber was würde das jetzt für einen Diskurs mit Resultaten bedeuten?


Was jetzt?

ganimed hat geschrieben:Du hast mit Widerspruch argumentiert. Ich habe das widerlegt. Jetzt müsstest du entweder meine Widerlegung anerkennen oder die Fehlerhaftigkeit meiner Widerlegung aufzeigen, oder?


Ich habe das ja oben versucht, bringe es der Einfachheit halber aber noch mal gerne auf den Punkt:
Singer verspricht etwas, was er nicht halten kann, weil die Übersetzung innerer Empfidungen in objektivierbare Zustände wohlwollend gesprochen rudimentär existiert. Die emprischen Fakten sind: Es gibt diese Übersetzung bis zu heutigen Tage schlicht nicht. Insofern ist Singer hier bereits falsiziert.
Ich habe auch prinzipielle Einwände, aber die halte ich erst mla zurück.

ganimed hat geschrieben:Das wäre jedenfalls das, was ich selber unter Resultaten verstünde. Dass wir diese einfache ja/nein-Frage klären: gibt es bei Singer den von dir beschriebenen Widerspruch oder gibt es ihn nicht?


Ja klar. Das ist kein Widerspruch, sondern eine Behauptung die er nicht einlösen kann.
Die Widersprüche kommen an anderer Stelle, aber die gibt es auch reichlich.

ganimed hat geschrieben:Und das unterscheidet sich nach meinem Eindruck von stines Diskurs-Auffassung, wo eben nicht entschieden wird, ob Schulmedizin oder Hömöopathie recht haben, sondern man die armen Patienten einfach weiter mal so mal so oder sogar gleichzeitig mit beidem maltretiert. Das ist für mich aber die Abwesenheit von Resultat.


stine hat hier wirklich mindestens mal ein unglückliches Beispiel ausgepackt.
(Dafür ist ihre kleine Anekdote, die ich gerade erste gelesne habe, ein ausgesprochen gutes Beispiel.)
Diskurs ist auch keine Mischung oder ein „Lass uns mal beides gleichzeitig machen“.
Wenn die Frage lautet Kino oder Länderspiel, muss man sich eben entscheiden.

Diskurs heißt bspw. zu verstehen, warum für jemanden dieses Reisemittel und kein anderes das richtige ist, auch wenn es für mich nicht das richtige ist, obwohl wir in der gleichen Stadt wohnen.
Wenn ich nach Rom will, kommt es eben drauf an ob ich primär
… viel erleben will.
… Flugangst habe.
… kosteneffizient reisen will.
… klimafreundlich reisen will.
… schnell ans Zielkommen will und so weiter.

Wenn ich schnell ans Ziel kommen will, aber Flugangst habe, ist mich der Schnellzug das Mittel der Wahl.
Für jemanden der keine Flugangst hat, wäre der Flieger das Mittel der Wahl, wenn Schnelligkeit die oberste Prämisse ist.

Ich könnte sagen, dass ich verstehe, dass der Flieger schneller wäre, aber die dumme Flugangst und Du könntest verstehen, dass Du zwar keine Flugangst hast, aber wenn Du an meiner Stelle wärst auch den Zug nehmen würdest.
Da das nicht mit sonderlich viel Emotionen verknüpft ist und auch nicht wahnsinnig komplex ist, ist diese Empathieleistung so die Grundschule.

Wenn es in den Bereich Wirtschaftskonzepte geht, muss man halt auch „nur“ sehen, dass der andere zwar sogar nicht mal sonderlich abweichende Prämissen haben wird, aber diese ggf. unterschiedlich gewichtet.
Soll man Schulden machen und investieren oder Schulden abbauen und den Ball flach halten?
Ist es eine Katastrophe wenn Griechenland die Eurozone verlässt oder halb so wild?
Man muss halt verstehen, welche weiterreichenden Befürchtungen beim anderen dranhängen – und sich diese erklären lassen, dann wird man viel besser verstehen, was der andere meint.

Neurologisch ungeheuer anspruchsvoll zu erklären, warum das ganz geringe Abweichungen sehr unterschiedliche Wirkungen haben, wenn jemand z.B. „einen“ oder „keinen“ sagt.
Wie kann man es reiz-reaktionsmäßig erklären, dass ein und derselben Botschaft von unterschiedlichen Menschen ein unterschiedlicher Gehalt zugeschrieben wird. Und noch 20 andere Fragen.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » Mo 8. Okt 2012, 22:37

Vollbreit hat geschrieben:Singer verspricht etwas, was er nicht halten kann, weil die Übersetzung innerer Empfidungen in objektivierbare Zustände wohlwollend gesprochen rudimentär existiert.

Tatsächlich, du weichst aus und stellst neue Behauptungen auf. Statt zuzugeben, dass der Widerspruch nicht da ist, wirfst du Singer nun schnell etwas anderes vor, nämlich dass subjektive Vorgänge gar nicht durch objektive Vorgänge realisiert werden, oder dass dies zumindest noch nicht ausreichend gezeigt sei. Aber das ist eben genau genommen ein Ausweichen auf eine neue Frage (kann man zeigen oder ist gezeigt, dass subjektive Vorgänge durch objektive Vorgänge (neuronale) realisiert werden?). Wir waren ja eigentlich erstmal nur bei dem angeblichen Widerspruch. Wenn subjektives durch objektive Sachen realisiert wird, dann könne es nicht mehr subjektiv sein. Das habe ich durch den Hinweis, du benennst es wohl richtig, auf die Emergenzeigenschaft widerlegt. Und ganz eigentlich sind wir ja bei dem Thema Diskurs und Resultat. Da wäre für mich nun also das Resultat: ich habe recht und du hast unrecht und der von dir monierte Widerspruch existiert bei Singer nicht. ("Ich habe recht und du hast unrecht" mag jetzt rechthaberisch und kindisch klingen, soll aber keinen Triumph enthalten, sondern das Resultat unserer gemeinsamen Kooperation wertneutral darstellen: wir haben die Argumente ausgetauscht und auf meine Widerlegungsargumente kam von dir kein wirklicher WiderWiderspruch. Hier müsste nach meinem Empfinden ein Schiedsrichter jetzt sagen: bevor wir ausweichen oder andere Themen anschneiden halte ich fest: kein Widerspruch bei Singer. Und das hättest du an dieser Stelle lernen können. Aber so ein Resultat eines Diskurses muss man natürlich auch wollen und annehmen. Das kann einem kein Schiedsrichter der Welt aufzwingen.

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe auch nicht den Eindruck von Dir bisher sonderlich viel gelernt oder angenommen zu haben, das stimmt. Das hat aber seine Gründe, Du hast mich bisher nicht überzeugen können und wenn ich es richtig verfolgt habe, ist Dir das auch bei vielen anderen nicht gelungen.

Einen der Gründe meine ich in diesem Thema angesprochen zu haben. Es liegt am fehlenden Schiedsrichter bzw. an fehlender Diskurskultur. Jeder kann ungestraft und meistens sogar unbemerkt ausweichen und drohende Resultate ignorieren bzw. zerreden. Ich sehe das als Bestätigung, dass das vorgeschlagene A+B+Schiedsrichter-Diskurs-Verfahren für das ein oder andere Thema vielleicht tatsächlich gute Dienste leisten würde.

Lumen hat geschrieben:Gefällt jemandem eine Sachlage nicht, wird der Rahmen solange verschoben, bis die Argumente ihre Bedeutung verlieren.

Genau das scheint eine verbreitete Technik zu sein. Ich will gar nicht so tun, als würde ich die nicht auch dauernd anwenden.

Vollbreit hat geschrieben:Diskurs heißt bspw. zu verstehen, warum für jemanden dieses Reisemittel und kein anderes das richtige ist, auch wenn es für mich nicht das richtige ist, obwohl wir in der gleichen Stadt wohnen. ... Wirtschaftskonzepte ... Neurologisch ungeheuer anspruchsvoll

Ich verstehe nicht, worauf die hinaus willst. Du zählst ein paar Themen auf, die eher schwierig sind, weil es entweder viele subjektive Kriterien und Wichtungen gibt, die man erstmal kennen muss, oder weil das Thema komplex ist (Wirtschaftszusammenhänge). Sehe ich das richtig, dass du diese Themen als besonders geeignet für einen Diskurs hälst, weil durch die Schwierigkeit der Übersicht, es jedem Diskutanten leicht fallen dürfte, ständig auszuweichen, ständig neue Fässer anzubohren, nie Zwischenresultate anerkennen zu müssen und alle Resultate in meinem Sinne vermeiden könnte? Jedes deiner Themen könnte man aber auch, wenn man nur wollte, zergliedern in einfacherer Teilfragen und wenigstens die sauber in einem Diskurs meiner Definition abarbeiten, jeweils mit sauberem Resultat. Aber nur wenn man wollte.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon stine » Di 9. Okt 2012, 07:10

@ganimed, ich denke, du machst den Fehler, dem Resultat immer eine 100% ige objektive, einzige Lösung, zuschreiben zu wollen. Aber die gibt es nicht, auch wenn alle Hirnzellen aller Menschen auf die gleiche Weise arbeiten, so ergeben sich doch ganz unterschiedliche individuelle Resultate. Resultate sind, wie @Vollbreit mit seiner Romreise darstellen möchte individuell objektiv. Sozusagen subjektive Objektivität :mg: (mein Verständnis bis hierher).

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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 9. Okt 2012, 09:11

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Singer verspricht etwas, was er nicht halten kann, weil die Übersetzung innerer Empfidungen in objektivierbare Zustände wohlwollend gesprochen rudimentär existiert.

Tatsächlich, du weichst aus und stellst neue Behauptungen auf. Statt zuzugeben, dass der Widerspruch nicht da ist, wirfst du Singer nun schnell etwas anderes vor, nämlich dass subjektive Vorgänge gar nicht durch objektive Vorgänge realisiert werden, oder dass dies zumindest noch nicht ausreichend gezeigt sei.


Wo weiche ich denn da aus, davon rede ich doch die ganze Zeit?
Es geht um die Sprache der 1. Person- und die der 3. Person-Perspektive und ob sie aufeinander reduzierbar sind. Singer sagt ja, ich sage nein:

Wolf Singer hat geschrieben:Die zunehmende Verfeinerung neurobiologischer Messverfahren hat nun mehr die Möglichkeit eröffnet, auch die neuronalen Mechanismen zu analysieren, die höheren kognitiven Leistungen komplexerer Gehirne zugrunde liegen. Somit werden auch diese, auch als psychisch bezeichneten Phänomene zu objektivierbaren Verhaltensleistungen die aus der Dritten-Person-Perspektive vertraut sind und beschrieben werden können. Zu diesen mit naturwissenschaftliche Methoden untersuchbaren Leistungen zählen inzwischen auch solche, die uns bereits aus der Ersten-Person-Perspektive vertraut sind, darunter fallen Wahrnehmen, Vorstellen, Erinnern und Vergessen, Bewerten, Planen und Entscheiden, und schließlich die Fähigkeit Emotionen zu haben. Alle diese Verhaltensmanifestationen lassen sich operationalisieren, aus der Dritten-Person-Perspektive heraus objektivieren und im Sinne kausaler Verursachung auf neuronale Prozesse zurückführen. Somit erweisen sie sich als Phänomene, die in kohärenter Weise in naturwissenschaftlichen Beschreibungssystemen erfasst werden können.“ (Wolf Singer in Hirnforschung und Willensfreiheit, Hrsg. Chr. Geyer, Suhrkamp 2004, S.35)

Diese Operationalisierung würde ich gerne sehen.
Und das ist gleichbedeutend mit der Behauptung, dass sich die Sprachen aufeinander, bzw. hier, die der ersten auf die der dritten Person Perspektive reduzieren lasse.

ganimed hat geschrieben:Aber das ist eben genau genommen ein Ausweichen auf eine neue Frage (kann man zeigen oder ist gezeigt, dass subjektive Vorgänge durch objektive Vorgänge (neuronale) realisiert werden?).


Nö, ich bin hübsch am Ball geblieben.
Aber was bedeutete jetzt noch gleich „realisieren“?
Der Kernbegriff, auf den Du Deine Gegenargumentation stützt, bleibt bei Dir unerklärt.

ganimed hat geschrieben:Wir waren ja eigentlich erstmal nur bei dem angeblichen Widerspruch. Wenn subjektives durch objektive Sachen realisiert wird, dann könne es nicht mehr subjektiv sein.


Das war im Grunde nicht meine Kritik, aber dazu müsste ich eben zudem wissen, was „realisiert“ bedeutet.
Den Begriff hast Du eingeführt, nicht ich.

ganimed hat geschrieben:Das habe ich durch den Hinweis, du benennst es wohl richtig, auf die Emergenzeigenschaft widerlegt.


Du hast eigentlich gar nichts widerlegt und durch Hinweise auf was auch immer, widerlegt man nichts. Widerlegen hieße, meine Position kurz zu referieren, ihre Schwachstellen aufzuzeigen und einen alternativen Entwurf auszuarbeiten, der die Daten besser erklärt.
Der Emergenzbegriff ist widerum von mir eingeführt, da kannst Du dann schlecht sagen, mit diesem Begriff hättest Du mich widerlegt.
Inhaltlich ist es dann auch eher so, dass der Emergenzbegriff eher nicht darauf verweist, dass man etwas genau auf seine Einzelteile reduzieren kann Emergenzen stellen gerade etwas qualitativ Neues dar, als das, was es Deiner Meinung (aus einem anderen Thread) nach, gar nicht gibt.
Emergenz meint, auf eine populäre Formel reduziert, dass das Ganze mehr ist, als die Summe seiner Teile.
Du solltest vielleicht noch mal hinschauen – wenn ich das was Du inhaltlich vertrittst, betrachte -, ob Du nicht vielmehr die Begriff „Emergenz“ und „Epiphänomen“ ein wenig durcheinander kegelst.
Ist Dir der Unterschied zwischen beiden Begriffen klar?
Geht der Begriff „realisiert“ eher in die Richtung, dass das realiserte Phänomen eine Emergenzphänomen ist oder ein Epiphänomen?

In dem Moment, wo Du behauptest der Wille, das Subjektibewusstsein sei nur eine Illusion, alles Wesentliche fände auf neuronaler Ebene statt, machst Du das Ich, das Subjektbewusstsein, den Willen zum Epiphänomen. Ein Anhängsel ohne eigene Kraft.
Ein Emergenzphänomen ist das Auftreten einer neuen Qualität die nicht mehr vollumfänglich in den Begriffen der bisherigen Betrachtungsebene dargestellt werden kann.

In diesem Fall ist die Sache nicht mal sonderlich schwer.
Der Behauptung (und das ist meine Behauptung) es sei möglich, die Sprache der 1.Person-Perspektivie (ohne semantischen Rest = so, dass man letzten Endes auf die Sprache der 1.Person verzichten kann) auf die der 3.Person-Perspektive zu reduzieren, in die zu übersetzen, Erstere durch Letztere zu ersetzen, dem könnte man leicht Rechnung tragen, indem man es einfach zeigt. Das ist übrigens auch meine eigentliche Kritik gewesen.
Es wird die Behauptung aufgestellt, die Sprache der 1.Person könne ohne Rest in der Sprache der 3.Person dargestellt werden und in der Praxis werden in diese Sprache der 3.Person dann regelmäßig Versatzstücke bzw. Vokabeln aus der 1.Person Sprache eingeführt, wenn das Gehirn, "denkt", "entscheidet", "perfide" ist.

ganimed hat geschrieben:Und ganz eigentlich sind wir ja bei dem Thema Diskurs und Resultat. Da wäre für mich nun also das Resultat: ich habe recht und du hast unrecht und der von dir monierte Widerspruch existiert bei Singer nicht.


Mir ist noch nicht mal ersichtlich, dass wir überhaupt groß diskutiert hätten, weil Du wesentliche Begriffe noch nicht definiert hast und gar nicht verstanden hast, was meine Position ist.

ganimed hat geschrieben: ("Ich habe recht und du hast unrecht" mag jetzt rechthaberisch und kindisch klingen, soll aber keinen Triumph enthalten, sondern das Resultat unserer gemeinsamen Kooperation wertneutral darstellen: wir haben die Argumente ausgetauscht und auf meine Widerlegungsargumente kam von dir kein wirklicher WiderWiderspruch. Hier müsste nach meinem Empfinden ein Schiedsrichter jetzt sagen: bevor wir ausweichen oder andere Themen anschneiden halte ich fest: kein Widerspruch bei Singer. Und das hättest du an dieser Stelle lernen können. Aber so ein Resultat eines Diskurses muss man natürlich auch wollen und annehmen. Das kann einem kein Schiedsrichter der Welt aufzwingen.


Ich habe so ein bisschen die Befürchtung, dass Du das ernst meinst und das macht mich immer etwas ratlos. Sei’s drum.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich habe auch nicht den Eindruck von Dir bisher sonderlich viel gelernt oder angenommen zu haben, das stimmt. Das hat aber seine Gründe, Du hast mich bisher nicht überzeugen können und wenn ich es richtig verfolgt habe, ist Dir das auch bei vielen anderen nicht gelungen.

Einen der Gründe meine ich in diesem Thema angesprochen zu haben. Es liegt am fehlenden Schiedsrichter bzw. an fehlender Diskurskultur. Jeder kann ungestraft und meistens sogar unbemerkt ausweichen und drohende Resultate ignorieren bzw. zerreden.


Welche Strafe schlägst Du denn vor, ich bin doch determiniert?
Spaß beiseite: Mir ist noch nicht mal klar, wo genau ich ausweichen soll. Kannst Du mir das mal zeigen? So in der Art: „Vollbreit hat zuerst behauptet, dass …“
Daraufhin habe ich das mit diesem Argument widerlegt: „…“ M.E. weicht Vollbreit daraufhin aus, denn nun behauptet er: „…“

Ich hätte auch nichts dagegen, wenn er Dritter (oder Vierter, stine hat ja ihr Sicht schon dargestellt, aber da sie nicht Deiner Meinung ist, zählt sie vermutlich nicht?), mir erklären würde, wo ich ausweiche, ich sehe es nämlich tatsächlich nicht.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Diskurs heißt bspw. zu verstehen, warum für jemanden dieses Reisemittel und kein anderes das richtige ist, auch wenn es für mich nicht das richtige ist, obwohl wir in der gleichen Stadt wohnen. ... Wirtschaftskonzepte ... Neurologisch ungeheuer anspruchsvoll

Ich verstehe nicht, worauf die hinaus willst. Du zählst ein paar Themen auf, die eher schwierig sind, weil es entweder viele subjektive Kriterien und Wichtungen gibt, die man erstmal kennen muss, oder weil das Thema komplex ist (Wirtschaftszusammenhänge).
Sehe ich das richtig, dass du diese Themen als besonders geeignet für einen Diskurs hälst, weil durch die Schwierigkeit der Übersicht, es jedem Diskutanten leicht fallen dürfte, ständig auszuweichen, ständig neue Fässer anzubohren, nie Zwischenresultate anerkennen zu müssen und alle Resultate in meinem Sinne vermeiden könnte?


Nein, ich wollte damit etwas illustrieren. Es ging nicht darum die Themen inhaltlich besprechen zu wollen, sondern eine Struktur aufzuzeigen, ein Muster. Ist Dir klar, was der Unterschied ist?

Um ehrlich zu sein, ich kam mir schon ein wenig blöd vor, weil ich dachte, das Rom-Beispiel könnte Dich beleidigen, weil es ausgesprochen simpel ist.
Ich hänge nun aber schon ein wenig länger in der Thematik drin und habe das offenbar falsch eingeschätzt, stine hat es übrigens auf Anhieb verstanden.

ganimed hat geschrieben:Jedes deiner Themen könnte man aber auch, wenn man nur wollte, zergliedern in einfacherer Teilfragen und wenigstens die sauber in einem Diskurs meiner Definition abarbeiten, jeweils mit sauberem Resultat. Aber nur wenn man wollte.


Schlag von mir aus ruhig ein eigenes Thema vor (möglichst eines was nicht über die Maßen emotional besetzt ist), dann können wir das daran durchspielen. Hast Du Dir übrigens mal den Wilki Artikel zum Thema gegönnt, der ist recht erhellend:
http://de.wikipedia.org/wiki/Diskurs

Einen Diskurs kann man nicht über einfaches Faktenwissen führen.
Wenn man im Streit darüber ist, wie hoch genau der höchste Berg der Erde ist, welches das chemische Element mit der Ordnungszahl 7 ist, von wann bis wann der 30 Jährige Krieg ging, dann kann es darüber keinen Diskurs geben, man schaut im Lexikon nach.
Ein Diskurs kann nur über Fragen entstehen, bei denen es kontroverse Sichtweisen gibt:
Ist Vegetarismus gesund oder nicht? Hat das Elektroauto eine Zukunft? Erhöhen mehr Verkehrszeichen die Verkehrssicherheit? Ist ein langes Leben das erstrebenswerteste Ziel?
Hier schaut man nicht nur einfach auf die Fakten, sondern hier gibt es eigene Begründungsstrategien, die überhaupt erst Geltung beanspruchen können.

Aber gib mal ruhig irgendein Thema vor.
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