Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Nanna » Fr 19. Okt 2012, 14:14

ganimed hat geschrieben:Wie kommst du nur darauf, dass es hier darum ginge, wie Lebewesen (du meinst vermutlich den Menschen und nicht alle Lebewesen) qualitativ fühlt und denkt?

Stell dir Qualität und Quantität wie x- und y-Achse eines Koordinatensystems vor. Auf der einen Achse zuzulegen hat nichts damit zu tun, auf der anderen Achse zuzulegen. Man misst auch Unterschiedliches, wenn man feststellt, wer welchen Wert auf welcher Achse hat. Qualität kann man nicht zählen, das liegt in der Natur der Sache begründet, und ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass Qualität nur innerhalb eines diskursiven Systems erkannt und benannt werden kann, weil man dafür reflektieren muss, dass A besser ist als B. "Besser" ist definitionsabhängig. Wenn ich "besser" mit "freier" gleichsetze, muss ich mich zum Beispiel mit den Bedingungen freien Handelns und Entscheidens auseinandersetzen. Da hat der Mensch gegenüber einem Tier, das instinkthaft und/oder (selbst)konditioniert handelt, einfach einen Vorteil. Aber das besprichst du ja schon mit AgentProvocateur, wie gesagt.

ganimed hat geschrieben:Es gibt geeignetere und ungeeignetere, begründetere und weniger begründetere. Es ist nicht alles gleich. Wenn ich auch sofort einsehe, dass ich ebenfalls nicht den einen, den einzigen, den wahren Maßstab nennen kann. Aber die Maßstabsklasse der biologischen, quantitativen Indikatoren, die mit Fortpflanzung, Genweitergabe und dem Besetzen von Lebensräumen zu tun haben, sollte nach meiner Einschätzung die richtige Richtung sein.

Er misst halt keine qualitativen Faktoren, weil qualitativ höheres Verhalten mit der Menge der Lebewesen, die es können, rein gar nichts zu tun hat. Es können eine Milliarde simple Lebewesen gegen einen Sokrates stehen, qualitativ gewinnt Sokrates. Dafür gibt es natürlich bessere und schlechtere Begründungen, klar.

ganimed hat geschrieben:Wenn jemand 10 Punkte hat, dann ist er eben nicht zehnmal so gut wie jemand mit 1 Punkt. Nach meiner Zuordnung wird der mit 10 Punkten als "ausreichend" bewertet und der mit 1 Punkt als "ungenügend". Nach der Transformation in die Qualität macht ein quantitativer Vergleich natürlich keinen Sinn mehr ("wie viel mal ist ausreichend besser als ungenügend?"), und vorher ist er ebenfalls nicht möglich (vor der Transformation sind 10 Punkte einfach nur 10 mal mehr Punkte, ohne qualitative Wertung). Deine Argumentation scheint mir also irgendwie an dem Prinzip der Transformation aus quantitativem Maßstab in die qualitative Wertung vorbei zu gehen.

Deine Zuordnung/Transformation ist subjektiv, willkürlich und mathematisch nicht durchführbar.

ganimed hat geschrieben:Wie ich darlegte ist es aber auch Mainstream an Schulen, qualitative Aussagen aus quantitativen Werten abzuleiten.

Dann bleib an der Schule, wenn dir Uni zu differenziert ist.

Was man an der Schule tut, ist, einen (im Prinzip willkürlichen) Maßstab anzulegen, wo die Zahl gelöster Aufgaben mit einer besseren Note einhergeht. Man geht davon aus, dass jemand, der qualitativ besser arbeiten kann, auch quantitativ höhere Werte erreicht. Diese Annahme ist begründet, aber diese Begründung ist natürlich (wie ausnahmslos JEDE Begründung) eine qualitative Argumentation (quantitativ kann man nicht argumentieren, oder hast du schonmal eine Gleichung gesehen, die für eine philosophische Position argumentiert hat?). Das liegt aber nicht daran, dass das Lösen vieler Aufgaben per se Qualität bedeutet, sondern dass sie mit Qualität korreliert.
Gehen wir nochmal zurück zu unserem Koordinatensystem: Wer qualitativ hochwertig denken und arbeiten kann, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit auch viele Aufgaben lösen. Dass er qualitativ hochwertig denken kann, lässt sich aber nicht direkt aus der Menge der gelösten Aufgaben ablesen, denn man kann mit Auswendiglernen oder umständlichen, wenig eleganten Lösungswegen bei vielen Aufgabentypen unheimlich weit kommen. In der Mathematik kann man noch am ehesten von einer engen Verbindung von Quantität und Qualität reden (kleine Anekdote: in Erlangen gibt's einen Matheprof., der die Güte von Lösungswegen in Zentimetern misst, die für die Lösung der Aufgabe gebraucht wurden, weil kurze meist mit eleganten Lösungen korrelieren - aber auch hier eben nur wieder korrelieren), aber letztlich braucht auch eine elegante Lösung einer Aufgabe eine qualitative Bewertung.
Was also passiert, ist, dass jemand, der auf der y-(Qualitäts)-Geraden aufsteigt, auch auf der x-(Quantitäts)-Geraden aufsteigt (das ist jetzt nur eine Modell-Vorstellung, um das Problem anschaulich zu machen! Natürlich kann man nicht wirklich eine Qualitätsgerade erstellen, weil das ja eine quantitative Messung von Qualität implizieren würde). Er tut dies aber korrelativ, nicht kausal, denn es gilt bekanntlich: Korrelation != Kausalität:

Bild

Den statistischen Zusammenhang kann man mittels Linearer Regression analysieren, dann kommt eine Steigungsgerade raus, so eine z.B.:

Bild

Eine Regressionsgerade beschreibt den Zusammenhang, kann ihn aber nicht erklären oder Kausalitäten nachweisen! Ebenso macht sie keine qualitativen Aussagen, sondern beschreibt quantitativ die Stärke eines Zusammenhangs.

Natürlich kann der Zusammenhang an sich kausal sein, aber das ist quantitativ nicht nachweisbar, sondern muss mit einer qualitativen Theorie begründet werden. Wenn man es dennoch tut, so wie du es hier penetrant versuchst, begeht man einen Fehlschluss vom Typ cum hoc ergo propter hoc.

Das heißt nicht, dass eine Korrelation nicht ein starker Hinweis auf einen Kausalzusammenhang sein kann, aber mathmatisch bzw. formallogisch lässt sich das halt nicht ableiten. Ein bisschen richtig gibt es in der Logik nicht. Wenn es dich aber beruhigt: Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im oberen rechten Viertel unseres Koordinatensystems landet, weil er zufällig alle Aufgaben richtig angekreuzt hat, ist extrem gering, d.h. Korrelationen sagen schon etwas aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass beispielsweise jemand beim amerikanischen SAT-Test in der Highschool einen der drei Abschnitte zufällig korrekt richtig ankreuzt ist vernichtend gering:
Randall Munroe hat geschrieben:Well, if they each used a computer to take the test a million times each day, and continued this every day for five billion years—until the Sun expanded to a red giant and the Earth was charred to a cinder—the chance of any of them ever getting a perfect score on just the math section would be about 0.0001%.

Aus diesem Grund ist eine Notenskala zur Bestimmung qualitativer Methoden aus pragmatischen Gründen absolut akzeptabel, aber NICHT wegen formallogisch eindeutiger Ableitbarkeit! Für eine Bewertung an der Schule mag das vollkommen ausreichen (wobei es auch da heftige Diskussionen in den Didaktikseminaren gibt, weil ja ein Testdesigner die Punkte anhand nichtobjektiver Kriterien vergibt), für ein philosophisches Argument oder exakte wissenschaftshtoeretische Darlegungen sind solche Zusammenhänge eher minder relevant. Insbesondere im vorliegenden Fall kannst du qualitative Überlegenheit von Lebewesen nicht mithilfe quantitativer Methoden nachweisen, sofern du etwas anderes messen willst als ihren Überlebenserfolg. Ich stimme zu, dass es für eine wissenschaftliche Studie über den Überlebenserfolg einzelner Arten vollkommen in Ordnung ist, dein Kriterien-Set zu verwenden, aber für die Beantwortung der Frage nach der philosohpischen Qualität des Verhalten eines Lebewesens ist sie einfach ungeeignet. Du redest da über etwas komplett anderes als ich und ich will nicht über Überlebenserfolg sprechen, weil es im Kontext philosophischer Qualität stinklangweilig und unproduktiv ist und uns einer Antwort keinen Millimeter näher bringt.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 19. Okt 2012, 21:53

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Was gut oder schlecht ist, müssen wir an Zielen und Prinzipien messen, die wir haben, finden, abwägen. Die Evolution gibt da gar nichts vor.

Ok, messen wir was gut oder schlecht ist an Zielen und Prinzipien. ABER da wir alle Lebewesen vergleichen wollen müssen das fairerweise natürlich auch Ziele und Prinzipien aller Lebewesen sein. Und dann sind wir genau wieder bei meinem Argument, dass mir außer der Evolution kein Mechanismus und kein Regelwerk einfällt, das für alle Lebewesen gleichermaßen gilt. Ergo: dein "die Evolution gibt da gar nichts vor" ist genau falsch.

Zusätzlich zu dem, was ich schon dazu gesagt habe, (und mal abgesehen davon, dass nicht alle Lebewesen Ziele und Prinzipien haben; um solche haben zu können, ist mE zumindest ein Mindestmaß an Bewusstsein erforderlich):

Dein Argument lautet hier, wenn ich das richtig verstehe:

- wenn man X und Y vergleichen will, dann darf man bei dem Vergleich nur diejenigen Eigenschaften/Mechanismen betrachten, die X und Y gemeinsam haben. Hätte X die Eigenschaft/Mechanismus/Prinzip A, Y aber nicht, dann wäre es unfair, A bei dem Vergleich zu betrachten.

Ist das korrekt wiedergegeben? Falls so: das leuchtet mir nun überhaupt nicht ein, das erscheint mir eine zu große Einschränkung für die Zulässigkeit von Vergleichen zu sein. Z.B.: für den Menschen gilt der Evolutionsmechanismus, wie oben schon dargelegt, ja eben nicht gleichermaßen wie für Tiere. Der Mensch ist auch ein Kulturwesen, (im Gegensatz zu Tieren, bzw. zumindest in einem sehr viel höheren Maße als alle anderen Tiere), er "evolviert" auch über die Kultur und nimmt aktiv Einfluss auf seine Evolution, (Medizin, Gentechnik, Geburtenkontrolle, Rechte etc.). Für die Menschen gilt nicht mehr das Evolutionsprinzip "the fittest will survive", (falls denn dieses Prinzip etwas anderes beinhaltet als die banale Feststellung, dass derjenige, der überlebt, überlebt), bzw. es gilt nur noch in einem weit reduzierten Maße: körperliche Schwächen führen nicht mehr zu einem Aussterben, bzw. zumindest zu einer gesteigerten Unwahrscheinlichkeit, seine Gene weitergeben zu können. (Oder, wie andere das ausdrücken: der Genpool des Menschen ist, legt man die Evolutionsprinzipien zugrunde, nicht mehr "gesund".) Wäre Dein Argument nun richtig, dürften wir diesen von mir behaupteten Fakt, (dass der Mensch nicht im selben Maße wie andere Tiere dem Evolutionsmechanismus unterliegt), aber gar nicht in Betracht ziehen, weil das ja schon ein Unterschied ist, etwas, das nicht alle Lebewesen gemeinsam haben. (Vielleicht bestreitest Du aber auch diesen von mir behaupteten Fakt und behauptest, dass alle Lebewesen gleichermaßen dem Evolutionsprinzipien unterlägen.)

Letztlich bedeutet Dein Argument doch folgendes: alles, was X und Y voneinander unterscheidet, muss beim Vergleich von X und Y ausgeklammert werden. Man darf nur den kleinsten gemeinsamen Nenner von X und Y betrachten, ansonsten wäre das "unfair".

Das wäre mE so, als wie wenn Du sagtest: wenn wir Firma X und Y (oder überhaupt alle Firmen) vergleichen wollen, welche die Beste ist, dann dürfen wir nur das Prinzip der Gewinnmaximierung betrachten, dann dürfen wir nur betrachten, welche Firma dabei besser abschneidet, also, welche insgesamt mehr Gewinn macht. (Ich gehe hier davon aus, dass Firmen mit einer Gewinnabsicht gegründet werden, mit dem Ziel, Gewinn zu machen und nicht mit dem Ziel, Verlust zu machen).

Es müsste nach Deinem Argument z.B. egal sein, ob Firma X ein "hire and fire"-Prinzip pflegte, Firma Y hingegen das Prinzip hätte, seine Mitarbeiter gut zu behandeln und daher eher Fortbildungsmaßnahmen anböte, als zu feuern. Wir dürften nur das Prinzip der Gewinnmaximierung betrachten (weil die anderen beiden Beispiel-Prinzipien ja unterschiedlich sind) und anhand dessen könnten wir dann alles andere beurteilen. Wenn also X mehr Gewinn machte, dann wäre "hire and fire" besser; wenn Y mehr Gewinn machte, dann wäre das Prinzip von Y, seine Angestellten wohlwollend zu behandeln, besser.

Aber das Problem hierbei ist eben, begründen zu können, wieso das Prinzip "Gewinnmaximierung" das Höchste sein soll, wieso man davon ausgehen muss und so auf die Bewertung aller anderen Prinzipien kommt.

Dass das Prinzip "Gewinnmaximierung" (allerdings in unterschiedlichen Maßen, nicht auf gleiche Weise, diesem Prinzip wird nicht alles andere untergeordnet) allen Firmen gemeinsam ist und andere Prinzipien unterschiedlich sind, kann doch nun nicht der Grund sein, andere Prinzipien beim Vergleich außen vor lassen zu müssen, und man kann doch auch nicht schließen, man könne aus dem (mehr oder weniger gemeinsamen, bzw. mehr oder weniger als wichtig angesehenen) Prinzip auf die Güte der anderen, zwischen den einzelnen Firmen unterschiedlichen Prinzipien Rückschlüsse ziehen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mo 22. Okt 2012, 21:03

Nanna hat geschrieben:Ich stimme zu, dass es für eine wissenschaftliche Studie über den Überlebenserfolg einzelner Arten vollkommen in Ordnung ist, dein Kriterien-Set zu verwenden, aber für die Beantwortung der Frage nach der philosohpischen Qualität des Verhalten eines Lebewesens ist sie einfach ungeeignet.

Hier wird mir etwas klarer, woher dein Wind weht. Eine "philosophische Qualität des Verhaltens eines Lebewesens" ist genau das, was ich hier im Thread schon sehr lange und sehr oft als grundsätzlich willkürlichen, subjektiven und damit wertlosen Maßstab bezeichne. Ich finde es lustig, dass du genau anders herum argumentierst und meine quantitativ, objektiv ermittelbaren Maßstäbe als "Überlebenserfolg" bezeichnest und sagst: "ich will nicht über Überlebenserfolg sprechen, weil es im Kontext philosophischer Qualität stinklangweilig und unproduktiv ist und uns einer Antwort keinen Millimeter näher bringt".

Den objektiven Maßstab findest du also langweilig und unproduktiv. Und du scheinst sogar immer noch der Ansicht zu sein, dass die Frage, um die es hier ginge, die Frage wäre, um die es dir hier zu gehen scheint. Ich für meinen Teil kann nur sagen: nein, um die Frage ging es mir nicht. Meine These war zu Anfang, dass es keinen guten Grund gibt, Lebewesen nach dem von stine vorgeschlagenen "philosophischen" Qualitätsmaßstab zu messen und mit dem Bewusstseinsargument den Menschen prompt zum uneinholbaren Sieger zu küren. In Verlaufe des Threads scheint mir argumentativ auch klarer geworden zu sein, woran das liegt. Es gibt keinen guten Grund dafür weil der Maßstab eben willkürlich und unbegründet ist. Es gibt hingegen Gründe für den objektiveren Maßstäbe "Überlebenserfolg". Die Frage, deren Antwort ich hier gefühlt ein paar Millimeter näher gekommen bin, war also ungefähr: ist stines Maßstab schlecht und gibt es bessere? Und wenn ja wieso?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mo 22. Okt 2012, 21:34

AgentProvocateur hat geschrieben:- wenn man X und Y vergleichen will, dann darf man bei dem Vergleich nur diejenigen Eigenschaften/Mechanismen betrachten, die X und Y gemeinsam haben. Hätte X die Eigenschaft/Mechanismus/Prinzip A, Y aber nicht, dann wäre es unfair, A bei dem Vergleich zu betrachten.
Ist das korrekt wiedergegeben?

Völlig korrekt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Falls so: das leuchtet mir nun überhaupt nicht ein, das erscheint mir eine zu große Einschränkung für die Zulässigkeit von Vergleichen zu sein. Z.B.: für den Menschen gilt der Evolutionsmechanismus, wie oben schon dargelegt, ja eben nicht gleichermaßen wie für Tiere.

Doch doch, der Evolutionsmechanismus gilt gleichermaßen für alle Lebewesen. Ich kann nicht ganz folgen, wo etwas anderes dargelegt worden wäre.

AgentProvocateur hat geschrieben:Für die Menschen gilt nicht mehr das Evolutionsprinzip "the fittest will survive", (falls denn dieses Prinzip etwas anderes beinhaltet als die banale Feststellung, dass derjenige, der überlebt, überlebt), bzw. es gilt nur noch in einem weit reduzierten Maße: körperliche Schwächen führen nicht mehr zu einem Aussterben, bzw. zumindest zu einer gesteigerten Unwahrscheinlichkeit, seine Gene weitergeben zu können. (Oder, wie andere das ausdrücken: der Genpool des Menschen ist, legt man die Evolutionsprinzipien zugrunde, nicht mehr "gesund".)

Ich glaube, du siehst das falsch. Die Umwelt hat sich geändert aber der Mechanismus überhaupt nicht. Nimm das Beispiel der Schmetterlinge auf Mallorca in der Eiszeit. Damals hieß "survival of the fittest" bei den Schmetterlingen, dass sie meinetwegen wochenlang mit Temperaturen unter 0 klar kommen mussten. Nur die widerstandsfähigsten überlebten das. Dann änderte sich das Klima und schwupps, waren auch Warmduscher-Schmetterlinge wieder vermehrungsfähig. Das liegt aber nicht daran, dass die Evolutionsmechanismen plötzlich außer Kraft gesetzt worden wären. Und die Warmduscher-Schmetterlinge "verunreinigen" auch nicht den Genpool. Sie verändern ihn nur. Der heutige Schmetterlings-Genpool ist erstmal nur aus Sicht der Mallorca-Eiszeit "ungesund". Aber diese Sicht ist ja nunmal Geschichte. Genau so ist es mit dem Menschen. Er hat die Umwelt sehr dramatisch geändert. Und ob du es glaubst oder nicht, der Genpool wird von den immer noch aktiven Evolutionsmechanismen auf diese neuen Bedingungen optimiert.

AgentProvocateur hat geschrieben:Das wäre mE so, als wie wenn Du sagtest: wenn wir Firma X und Y (oder überhaupt alle Firmen) vergleichen wollen, welche die Beste ist, dann dürfen wir nur das Prinzip der Gewinnmaximierung betrachten, dann dürfen wir nur betrachten, welche Firma dabei besser abschneidet, also, welche insgesamt mehr Gewinn macht.

Sehr gutes Beispiel. Ich würde sagen, es macht hier keinen Sinn, Nannas und stines Qualitätsmaßstab "besser" anzuwenden. Wobei stine dann gleich "besser" mit einer willkürlich gewählten Eigenschaft gleichsetzt, zum Beispiel "Firma H hat als einzige ein Hauptfirmengebäude, das von oben betrachtet achsensymmetrisch ist, also ist Firma H die beste der Welt" (ich wähle mal Achsensymmetrie als Beispiel, weil dieses Kriterium vielleicht nicht mit spontanen Bewertungspräferenzen besetzt ist und wir das neutral betrachten können). Wie soll man so einen Gedankengang begründen? Woher kommt der Maßstab: je achsensymmetrischer ein Firmenhauptgebäude ist, desto besser ist die Firma? Nein, ich sage, dieser Maßstab ist unbegründet und unfair, weil ja nicht einmal alle Firmen ein Hauptgebäude haben.
Aber welcher Mechanismus gilt per Definition für alle Firmen? Wie du selbst auch sagst: Gewinnmaximierung. Natürlich gibt es in fast allen Firmen auch noch andere Ziele, manche laufen der Gewinnmaximierung entgegen. Es wird auch sicher höchst unterschiedliche Wichtungen geben, welche Ziele wie wichtig sind. Aber wenigstens haben wir mit der Gewinnmaximierung ein allen gemeinsames Ziel. Und an diesem Ziel können wir alle Firmen quantitativ messen. Ein Wertemaßstab, dem diese quantitative Messung zugrunde liegt, ist also fairer, begründeter und objektiver als der Wertemaßstab mit der Achsensymmetrie.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wir dürften nur das Prinzip der Gewinnmaximierung betrachten (weil die anderen beiden Beispiel-Prinzipien ja unterschiedlich sind) und anhand dessen könnten wir dann alles andere beurteilen. Wenn also X mehr Gewinn machte, dann wäre "hire and fire" besser; wenn Y mehr Gewinn machte, dann wäre das Prinzip von Y, seine Angestellten wohlwollend zu behandeln, besser.

Wie kommst du auf die Bewertung von "hire and fire" versus "wohlwollende Angestelltenbehandlung"? Was wäre die Entsprechung beim Lebewesenvergleich? Ich sage doch nur: weil die Schabe objektiv am erfolgreichsten in der Evolution ist, ist sie das beste Lebewesen (stark verkürzt und hypotetisch, ich habe in Wirklichkeit keine Zahlen und weiß nicht, welche Art die erfoglreichste ist und welches biologische Kriterium man überhaupt nehmen soll). Ich sage aber jedenfalls nicht, dass weil die Schabe die beste ist, ist das Bewusstsein blöd und die Schabenfühler toll.

AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das Problem hierbei ist eben, begründen zu können, wieso das Prinzip "Gewinnmaximierung" das Höchste sein soll, wieso man davon ausgehen muss und so auf die Bewertung aller anderen Prinzipien kommt.

Ich komme, wie gesagt, gar nicht auf die Bewertung anderer Prinzipien. Ich komme nur hoffentlich auf die Bewertung von Firmen und die Bewertung von Lebewesen. Und das Begründungsproblem ist, aus meiner Sicht, ja kein Problem. Das Prinzip "Gewinnmaximierung" ist das einzige, was für alle gilt, und das ist doch wohl Grund genug.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dass das Prinzip "Gewinnmaximierung" (allerdings in unterschiedlichen Maßen, nicht auf gleiche Weise, diesem Prinzip wird nicht alles andere untergeordnet) allen Firmen gemeinsam ist und andere Prinzipien unterschiedlich sind, kann doch nun nicht der Grund sein, andere Prinzipien beim Vergleich außen vor lassen zu müssen

Doch, genau das ist ein Grund. Es sei denn, es ginge uns hier nicht um Fairness und Vergleichbarkeit, was natürlich auch möglich wäre. Ich will also von stine gar nicht unbedingt, dass sie ihren Maßstab aufgibt, ich wäre bereits zufrieden, wenn sie ihn als willkürlich, unfair und unbegründet bezeichnete. Danach kann sie ihn ja meinetwegen weiter anwenden.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mo 22. Okt 2012, 21:51

ganimed hat geschrieben:Es sei denn, es ginge uns hier nicht um Fairness und Vergleichbarkeit, was natürlich auch möglich wäre. Ich will also von stine gar nicht unbedingt, dass sie ihren Maßstab aufgibt, ich wäre bereits zufrieden, wenn sie ihn als willkürlich, unfair und unbegründet bezeichnete.
Du hast ja so recht: nur ich persönlich betrachte den Menschen als das fähigste Modell, das die belebte Natur je hervorgebracht hat und es ist unfair von mir, dieses Modell mit anderen Lebewesen zu vergleichen, weil es keinen Maßstab gibt, woran man meine Meinung messen könnte. Bewusstsein oder gelbes Trikot, was ist das schon im Vergleich zum Seitenlinienorgan eines Fisches oder dem leuchtenden Hinterteil eines Glühwürmchens.

Zufrieden?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mo 22. Okt 2012, 22:07

stine hat geschrieben:nur ich persönlich betrachte den Menschen als das fähigste Modell, das die belebte Natur je hervorgebracht hat

Nein, ich glaube, das tun sehr viele Menschen.

stine hat geschrieben:und es ist unfair von mir, dieses Modell mit anderen Lebewesen zu vergleichen

Das ist nicht das Unfaire. Der Vergleich ist ok. Das Unfaire ist jedoch, mit welchem Maßstab du das tust.

stine hat geschrieben:weil es keinen Maßstab gibt, woran man meine Meinung messen könnte.

Meiner Meinung nach gibt es weit fairere und damit bessere Maßstäbe als deinen. Aber mir fällt ebenfalls kein fairer Maßstab ein, mit dem man zu deinem Ergebnis käme, dass der Mensch das beste Lebewesen ist.

stine hat geschrieben:Bewusstsein oder gelbes Trikot, was ist das schon im Vergleich zum Seitenlinienorgan eines Fisches oder dem leuchtenden Hinterteil eines Glühwürmchens.

Ja was ist das schon im Vergleich? Mit deinem Vergleich fühle ich mich jedenfalls einer Antwort nicht näher.
Ich wäre sehr gespannt, wie die Entwicklung weiter geht. Wird der Mensch noch weitere läppische Millionen Jahre überleben? Falls nicht, so wäre mein Urteil: tja, dann war das Bewusstsein ja vielleicht doch nur eher hinderlich. Aber mein Maßstab ist eben auch der langfristige Überlebenserfolg.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mo 22. Okt 2012, 22:26

Und mein Maßstab ist die Fähigkeit die eigene Lebenszeit bewusst gestalten zu können, was ja in gewisser Weise auch zu einem nicht unbeachtlichen Lebenserfolg geführt hat. So gesehen.
So, nun haben wir also festgestellt, dass wir mit unterschiedlichen Maßstäben messen, und wie geht es weiter?

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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mo 22. Okt 2012, 22:35

stine hat geschrieben:Und mein Maßstab ist die Fähigkeit die eigene Lebenszeit bewusst gestalten zu können, was ja in gewisser Weise auch zu einem nicht unbeachtlichen Lebenserfolg geführt hat.

Durchaus. Wenn der Mensch auch in einer Million Jahre und vielleicht noch in 50 Million Jahren mit mehreren Milliarden Individuen die Erde beherrscht, dann wird dieses Argument auch für meinen Maßstab Geltung erlangen. Momentan sieht es, das muss ich zugeben, sehr nach einem unglaublichen Erfolg aus. Aber das tat es beim Strohfeuer auch.

stine hat geschrieben:So, nun haben wir also festgestellt, dass wir mit unterschiedlichen Maßstäben messen, und wie geht es weiter?

Als nächsten Schritt schlage ich vor, dass du ebenfalls realisierst, wie unterschiedlich ich diese unsere beiden Maßstäbe bewerte. Deiner kommt dabei nicht so gut weg.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Mo 22. Okt 2012, 22:42

ganimed hat geschrieben:Als nächsten Schritt schlage ich vor, dass du ebenfalls realisierst, wie unterschiedlich ich diese unsere beiden Maßstäbe bewerte. Deiner kommt dabei nicht so gut weg.
Schon klar, weil das deine Sichtweise ist.
Ich finde meinen Maßstab besser. Weil ich jetzt lebe und in ein paar Millionen Jahren jeder heutige Maßstab sowieso absurd sein wird.

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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mo 22. Okt 2012, 23:16

stine hat geschrieben:Ich finde meinen Maßstab besser. Weil ich jetzt lebe und in ein paar Millionen Jahren jeder heutige Maßstab sowieso absurd sein wird.

Mein Maßstab wäre in dem Sinne nicht "heutig" und in ein paar Millionen Jahren immernoch gültig. Deiner nicht. Das wäre also eher ein Argument für meinen Maßstab. Jetzt also mal ohne Spaß: wieso findest du deinen Maßstab besser?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Nanna » Di 23. Okt 2012, 00:06

ganimed hat geschrieben:Eine "philosophische Qualität des Verhaltens eines Lebewesens" ist genau das, was ich hier im Thread schon sehr lange und sehr oft als grundsätzlich willkürlichen, subjektiven und damit wertlosen Maßstab bezeichne.

Wie schon gesagt, habe ich so auch für längere Zeit gedacht. Je länger ich aber versucht habe, Dinge reduktionistisch zu betrachten, desto geringer fiel auch die Erklärungskraft der Modelle aus. An der Uni habe ich in einer meiner ersten Vorlesungen in Politischer Philosophie gegenüber dem Professor gesagt, dass Auschwitz "normal" in dem Sinne gewesen sei, dass es physisch möglich, also nichts Übernatürliches gewesen sei. Ich fand es innerlich abscheulich, aber ich war zu der Zeit der Meinung, dass dieses Gefühl von Abscheu ja nur subjektiv, willkürlich und damit ein, wie du es nennst, wertloser Maßstab wäre. Gut, wie gesagt, das war zu einer Zeit, als ich a priori nicht von a posteriori und deskriptiv nicht von askriptiv oder normativ unterscheiden konnte. Das hochtrabende Gesülze von irgendwelchen Philosophen hat mich auch ziemlich genervt, im Nachhinein gesehen vermutlich, weil mir nicht einmal ansatzweise klar war, worauf die Damen und Herren hinaus wollten. Hermeneutik habe ich für religiöses Teufelszeug gehalten und Dawkins für jemanden, der gut argumentieren kann. Naja, wie ausgerechnet der olle religiöskonservative Adenauer sagte, kann einen ja keiner daran hindern, klüger zu werden.
Ich schreibe an der Stelle bewusst etwas über meinen eigenen Erfahrungsweg, weil ich glaube, dass bestimmte Argumentationslinien eine prinzipielle Offenheit gegenüber neuen Perspektiven erfordern, die man nicht erzwingen kann. Mehr, als dass ich sehr genau weiß, was du meinst, und es gerade deshalb für falsch halte, kann ich an der Stelle nicht sagen, weil ich nicht weiß, wie ich dir meine Argumentation näher bringen kann, ohne sie dir quasi gewaltsam zu oktroyieren.

ganimed hat geschrieben:Ich finde es lustig, dass du genau anders herum argumentierst und meine quantitativ, objektiv ermittelbaren Maßstäbe als "Überlebenserfolg" bezeichnest und sagst: "ich will nicht über Überlebenserfolg sprechen, weil es im Kontext philosophischer Qualität stinklangweilig und unproduktiv ist und uns einer Antwort keinen Millimeter näher bringt".

Ja nun, du überschätzt die Möglichkeit, mit Hilfe von Zählen zu objektiven Einschätzungen zu gelangen, und fetischisierst Objektivität über den Punkt der Produktivität hinaus. Das erinnert mich an Leute, die eine Demokratie nicht als solche anerkennen können, bevor nicht der letzte Rest an Transparenz und/oder Partizipation hergestellt ist, weit über den Punkt hinaus, wo eine Steigerung einer dieser Faktoren quantitativ oder qualitativ noch irgendwelche Zugewinne bringen könnte. Quantitativ, aber natürlich trotzdem eher metaphorisch gesprochen, könnte man sagen, dass deine Quantitätsfixierung den Grenznutzen weit überschreitet. Mehr Zählen, mehr "faktische" Information trägt nicht zu einem besseren Verständnis bei, aber du betreibst es trotzdem weiter, weil du, zumindest in der Theorie, glaubst, dass du an der Zahl der Tränen eines Kindes ablesen kannst, wie traurig es ist, obwohl das für das Verständnis dessen, was da gerade passiert, vollkommen egal ist.

ganimed hat geschrieben:Den objektiven Maßstab findest du also langweilig und unproduktiv.

Nein, und ich bitte dich, mir nicht Definitionen und Begriffe im Mund herumzuwälzen. Ich finde nicht den "objektiven Maßstab" langweilig und unproduktiv, sondern ich finde deinen Maßstab nicht objektiv, ergo langweilig und unproduktiv.

ganimed hat geschrieben:Und du scheinst sogar immer noch der Ansicht zu sein, dass die Frage, um die es hier ginge, die Frage wäre, um die es dir hier zu gehen scheint. Ich für meinen Teil kann nur sagen: nein, um die Frage ging es mir nicht. Meine These war zu Anfang, dass es keinen guten Grund gibt, Lebewesen nach dem von stine vorgeschlagenen "philosophischen" Qualitätsmaßstab zu messen und mit dem Bewusstseinsargument den Menschen prompt zum uneinholbaren Sieger zu küren.

Aber du gibst doch selbst zu, dass es die Frage der Tauglichkeit eines philosophischen, qualitativen Maßstabes geht, oder nicht? Du sagst halt nur nein, ich sage ja zur Tauglichkeit. Bis zu diesem Punkt doch ziemlich simpel.

ganimed hat geschrieben:In Verlaufe des Threads scheint mir argumentativ auch klarer geworden zu sein, woran das liegt. Es gibt keinen guten Grund dafür weil der Maßstab eben willkürlich und unbegründet ist. Es gibt hingegen Gründe für den objektiveren Maßstäbe "Überlebenserfolg". Die Frage, deren Antwort ich hier gefühlt ein paar Millimeter näher gekommen bin, war also ungefähr: ist stines Maßstab schlecht und gibt es bessere? Und wenn ja wieso?

Ähm... es gibt keinen "guten Grund", den DU zu akzeptieren bereit wärest. Darüber, wo dieser Streit gerade "objektiv" (oder wenigstens intersubjektiv) steht, sagt das nichts aus. Ich halte deine Argumentation wahrscheinlich für mindestens so schlecht, wie du meine, aber zumindest halte ich mich zurück, einseitig den Sieg auszurufen.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon stine » Di 23. Okt 2012, 07:13

ganimed hat geschrieben:Mein Maßstab wäre in dem Sinne nicht "heutig" und in ein paar Millionen Jahren immernoch gültig. Deiner nicht. Das wäre also eher ein Argument für meinen Maßstab. Jetzt also mal ohne Spaß: wieso findest du deinen Maßstab besser?
Eben deshalb: Weil er gerade jetzt anwendbar ist.
Du weißt doch gar nicht, @ganimed, ob in ein paar (ich verkürze die Zeitspanne mal ein wenig ab) tausend Jahren nicht ganz andere Maßstäbe gefragt sein werden oder überhaupt keiner mehr, weil Menschn das Reden und Messen nicht mehr brauchen werden oder ja, es vielleicht auch gar keine Menschen mehr gibt.
Wir hatten ja ein paar Zeilen weiter oben schon festgestellt, dass jede Wertung und jede Messung, jeder Vergleich immer nur eine abstrakte Übersetzung unserer heutigen subjektiven Weltsicht mit Hilfe unserer kommunikativen Mittel ist. Die Natur selbst kennt sowieso keine Vergleiche. Wir messen und vergleichen also immer nur den IST-Stand oder den Stand, der uns gerade bekannt ist und den wir vergleichen wollen. Ob Adidas Laufschuhe in zwanzig Jahren noch der Spitzenreiter sind ist doch egal, wenn sie derzeit das beste auf dem Markt sind, was es an Laufschuhen gibt.

Natürlich kann man spekulieren, welches (Lebens)Modell mehr Chancen haben könnte, aber messen oder vergleichen kannst du das nicht. Derzeit sitzt das Modell Mensch am Steuer und warum, weil es bewusst seine Fähigkeiten wahrnehmen und bündeln kann.

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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Di 23. Okt 2012, 13:55

@ganimed

Menschen unterliegen deswegen nicht in dem Maße dem Evolutionsmechanismus (Vererbung, Mutation, Selektion) wie Tiere, weil sie in die Weitergabe ihrer Gene und ihr Leben eingreifen: z.B. Medizin, Geburtenkontrolle, Gentechnik; der Genpool des Menschen wird daher nicht mehr ausschließlich durch den Evolutionsmechanismus bestimmt.

ganimed hat geschrieben:Wie kommst du auf die Bewertung von "hire and fire" versus "wohlwollende Angestelltenbehandlung"? Was wäre die Entsprechung beim Lebewesenvergleich? Ich sage doch nur: weil die Schabe objektiv am erfolgreichsten in der Evolution ist, ist sie das beste Lebewesen (stark verkürzt und hypotetisch, ich habe in Wirklichkeit keine Zahlen und weiß nicht, welche Art die erfoglreichste ist und welches biologische Kriterium man überhaupt nehmen soll). Ich sage aber jedenfalls nicht, dass weil die Schabe die beste ist, ist das Bewusstsein blöd und die Schabenfühler toll.

Die Entsprechung beim Lebwesenvergleich wären alle Kriterien, die nicht allen Lebewesen gemeinsam sind, z.B. hat/hat keine Sinnesorgane, hat/hat kein Bewusstsein, pflanzt sich geschlechtlich fort/pflanzt sich nicht geschlechtlich fort, Verdauung vs. Photosynthese etc. pp.

Irgendwas verstehe ich aber nun nicht an Deiner Argumentation. Du meinst doch, das beste Kriterium gefunden zu haben (am erfolgreichsten in in der Evolution gemessen an Zeitdauer des Bestehens der Art: welche Art insgesamt länger überlebt, ist besser). Oder nicht?

Wenn aber so, dann könnte man folgerichtig doch auch den weiteren Schritt gehen, indem man all die anderen Kriterien daran misst und diese in besser/schlechter (erfolgreicher/weniger erfolgreich) einteilt. Das erst würde das Ganze doch interessant machen, erst daraus könnte man doch weitere Erkenntnis schöpfen.

So wie bei einer Firma: wenn das Ziel Gewinnmaximierung ist, dann ist es für sie doch auch interessant, zu eruieren, welche Methoden dafür am Geeignetsten sind. Bzw. anders herum: wenn sie das gar nicht tut, dann wird sie eher nicht besonders erfolgreich (in Bezug auf Gewinnmaximierung) sein.

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Aber das Problem hierbei ist eben, begründen zu können, wieso das Prinzip "Gewinnmaximierung" das Höchste sein soll, wieso man davon ausgehen muss und so auf die Bewertung aller anderen Prinzipien kommt.

Ich komme, wie gesagt, gar nicht auf die Bewertung anderer Prinzipien. Ich komme nur hoffentlich auf die Bewertung von Firmen und die Bewertung von Lebewesen. Und das Begründungsproblem ist, aus meiner Sicht, ja kein Problem. Das Prinzip "Gewinnmaximierung" ist das einzige, was für alle gilt, und das ist doch wohl Grund genug.

Ich möchte wissen, welches Netzgerät das Beste ist. Ein Netzgerät sei alles, was man an eine Steckdose anschließen kann und daraufhin Strom durch das Gerät fließt. Das beste Netzgerät sei nun das, was am längsten hält. Es wäre nun unfair, zu schauen, was für eine Funktion das Netzgerät hat, wie komplex es ist, wie geeignet es ist, einen bestimmten Zweck zu erfüllen, alles das müssen wir außen vor lassen, das wäre unfair, denn das Einzige, was alle Netzgeräte gemeinsam haben, ist ja: "es fließt Strom durch sie". Nun stellt sich heraus, dass ein einfacher Draht mit einem zwischengeschalteten Widerstand das beste Netzgerät ist, es hält mit Abstand am längsten. Nun willst Du an der Stelle aufhören, zu überlegen, aber hier wird es doch gerade erst interessant. Wir haben doch nun das beste Netzgerät gefunden, warum bauen wir nicht alle Netzgeräte so? Wäre es nicht irrational, noch andere Netzgeräte zu bauen, obgleich wir doch nun wissen, dass es ein bestes Netzgerät gibt? Wieso sollten wir dann noch schlechtere Netzgeräte bauen?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Di 23. Okt 2012, 22:59

@Nanna: die Schilderung deiner geistigen Reifung finde ich tatsächlich ansprechender und sympatischer, und damit auch gleich ein wenig überzeugender, als das auf mich etwas oberlehrerhaft wirkende Runterrattern von angeblichen Weisheiten ohne nähere Begründungen oder anschauliche Beispiele. Dann warst du also mal so dumm wie ich (ich denke genau gerade jetzt, dass Dawkins gut argumentieren kann) und bist nun schlauer. Ich behelfe mir, bis mir vielleicht auch eines Tages eine Weiterentwicklung gelingt, mit dem leisen Verdacht, dass es vielleicht nur in deinem Fachbereich, es scheint irgendwie was mit Politik und Gesellschaftswissenschaften zu tun zu haben, um Fragen geht, die meistens komplex, uneindeutig und wenig objektivierbar sind und wohlmöglich mit tendenziell wenig systematischen Daten gefüttert werden können. Kann ich mir gut vorstellen, dass man sich in solchen Hallen andere Heuristiken ausdenkt, sehr viel Wert auf Differenzierung und Vorsicht in den Aussagen legt, der Unverbindlichkeit zuneigt, einfache Antworten scheut und klare Standpunkte als damit praktisch schon gescheitert ansieht. Bei den etwas anders gelagerten Naturwissenschaften würde dein persönlicher Reifungsprozess aber vielleicht doch ganz anders aussehen, vermute ich mal.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Di 23. Okt 2012, 23:28

stine hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Jetzt also mal ohne Spaß: wieso findest du deinen Maßstab besser?
Eben deshalb: Weil er gerade jetzt anwendbar ist.

Mein Maßstab ist doch auch gerade jetzt anwendbar (und auch zu anderen Zeiten). Deshalb verstehe ich dein Argument nicht ganz. Wieso ist dein Maßstab besser, weil er etwas kann was meiner auch kann?

stine hat geschrieben:Du weißt doch gar nicht, @ganimed, ob in ein paar (ich verkürze die Zeitspanne mal ein wenig ab) tausend Jahren nicht ganz andere Maßstäbe gefragt sein werden oder überhaupt keiner mehr, weil Menschn das Reden und Messen nicht mehr brauchen werden oder ja, es vielleicht auch gar keine Menschen mehr gibt.

Doch, ich weiß, dass objektive, quantitative Maßstäbe auch in Zukunft anwendbar sind. Evolutionsmechanismen, aus denen ich Kriterien ableite, wird es auch weiterhin geben. Zahlen auch. Also was könnte meinem Maßstab schon passieren? Dein Maßstab ist so menschen-zentriert, also eben subjetiv und nicht objektiv, dass er tatsächlich spätestens wenn es die Menschen nicht mehr gäbe, ein großes Problem hätte. Wieso ist er dann besser als meiner?

stine hat geschrieben:Wir messen und vergleichen also immer nur den IST-Stand oder den Stand, der uns gerade bekannt ist und den wir vergleichen wollen.

Das ist Unsinn. Die Forschung kann, soweit ich sehe, doch ganz gute Aussagen darüber machen, was in lange zurückliegender Vergangenheit an erfolgreichen Spezies unterwegs war. Eine Aussage beispielsweise: die Dinosaurier haben die Erde etwa 170 Millionen Jahre lang beherrscht. Das hat ja nun definitiv nichts mit Ist-Stand zu tun.

stine hat geschrieben:Ob Adidas Laufschuhe in zwanzig Jahren noch der Spitzenreiter sind ist doch egal, wenn sie derzeit das beste auf dem Markt sind, was es an Laufschuhen gibt.

Schlechtes Beispiel. Bei den Lebewesen will ich ja den langfristigen Überlebenserfolg zum Maßstab nehmen, das wäre bei den Laufschuhen also die Anzahl der verkauften Einheiten über lange Zeiträume, oder andere Umsatzzahlen. Natürlich kann ich auch damit nicht in die Zukunft schauen. Aber ich könnte mit den entsprechenden Firmenbilanzen sicher sagen, welcher Laufschuh heute der beste (weil erfolgreichste) ist, gestern, in den Siebzigern und davor, usw. Dein Maßstab ist da eher so, als würdest du das Modell SuperAirLine2000 aus dem Jahre 2010 zum besten Laufschuh aller Zeiten küren, weil seine Schnüre als einzige mit Gummi beschichtet sind und deshalb Knotentechniken möglich werden, die alle anderen Laufschuhe nicht bieten. Da frage ich die ganze Zeit, wieso es beim Laufschuh nun ausgerechnet auf die Knotentechnik ankommt. Und du bleibst die ganze Zeit, zumindest soweit ich sehe, die Erklärung schuldig. Ich gebe zu, der SuperAirLine2000 verkauft sich seit 2011 sehr gut, ist im Augenblick der Renner im Weihnachtsgeschäft, hat sich insgesamt schon 480000 Mal verkauft. Ist im Vergleich zum Stampfer75, der damals zu den olympischen Spielen 1968 herauskam und seitdem schon 5 Billionen Mal verkauft wurde, aber noch nicht wirklich erfolgreich zu nennen.

stine hat geschrieben:Natürlich kann man spekulieren, welches (Lebens)Modell mehr Chancen haben könnte, aber messen oder vergleichen kannst du das nicht.

Ich argumentiere seit einigen Seiten damit, dass ich es eben doch messen und vergleichen kann, mit quantitativen Kriterien die sich naheliegenderweise aus den Mechanismen der Evolution ergeben. Wenn du nach all meinen Argumenten jetzt einfach mal so negierst und vom Tisch wischt, dass ich das angeblich doch alles nicht kann, wäre es ja wirklich wunderbar, wenn du in einem Folgesatz wenigstens einmal eine Idee von einem Argument skizzieren könntest, wieso das denn wohl so wäre. Wieso, so frage ich also hier mal einfach so, kann ich Lebewesen mit meinen Maßstäben nicht messen oder vergleichen?

stine hat geschrieben:Derzeit sitzt das Modell Mensch am Steuer und warum, weil es bewusst seine Fähigkeiten wahrnehmen und bündeln kann.

Steuer? Welches Steuer? Was macht denn eigentlich die angebliche Vormachtstellung des Menschen aus? Es gibt mehr Ameisen an mehr Stellen auf der Erde. Ich wäre mir gar nicht so sicher, dass der Mensch an einem Steuer sitzt. Und was bringt das Steuer, wenn der ganze Kofferraum voller Insekten ist, die dort alles beherrschen? Und die Straße einem genau vorgibt, wohin man zu steuern hat? Von Freiheit und Vorherrschaft kann man da nicht wirklich sprechen. Jeder kann seine Fähigkeiten wahrnehmen und bündeln. Ob bewusst oder nicht, da lacht der Kofferraum.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Di 23. Okt 2012, 23:51

AgentProvocateur hat geschrieben:Menschen unterliegen deswegen nicht in dem Maße dem Evolutionsmechanismus (Vererbung, Mutation, Selektion) wie Tiere, weil sie in die Weitergabe ihrer Gene und ihr Leben eingreifen: z.B. Medizin, Geburtenkontrolle, Gentechnik; der Genpool des Menschen wird daher nicht mehr ausschließlich durch den Evolutionsmechanismus bestimmt.

Durch die Medizin, Geburtenkontrolle und Gentechnik ändern wir den Genpool. Bei den Tieren gibt es aber auch Regulationsmechanismen. Die Löwen fressen in guten Jahren die Beute weg und erzeugen somit in mageren Jahren eine Hungertodkontrolle ihres Bestandes. Natürlich nicht bewusst, aber das spielt ja hier auch keine Rolle. Lemminge regulieren aktiv ihren Bevölkerungsstand, wenn ich das richtig gehört habe. Durch hormonelle Steuerungsmechanismen wird bei vielen Tierarten, glaube ich gehört zu haben, auch die Fruchtbarkeit gesteuert, oder die Mutationsrate oder das Verhältnis von Weibchen zu Männchen.
Und Tiere flüchten ständig irgendwohin um sich möglichst bessere Lebensbedingungen zu suchen (die Nachkommen ziehen los und ziehen weiter, bei vielen Tierarten). Dann besetzen sie, wenn sie Glück haben, neue Lebensräume und wenn dort die Umwelt viel freundlicher ist, werden sie sich vermehren und der Genpool wird sich entsprechend stark ändern, weil nicht mehr so viele Individuen früh sterben. Das Losziehen und Suchen ist doch durchaus ein aktiver Vorgang.

Insofern greift fast jeder in sein Schicksal ein, nur ganz wenige Faultiere hängen einfach nur so rum und warten ab. Der Mensch ist der einzige, der sich dessen bewusst ist, klar. Aber bei allem Bewusstsein: global scheint es mit einer absichtsvollen, strategischen Geburtenkontrolle aber sowas von nicht zu klappen. So mächtig ist das Bewusstsein also wohl doch nicht.

Jedenfalls entzieht sich hier keiner den Evolutionsmechanismen, wie bereits gesagt. Wir Menschen verändern die Umwelt, mindern teilweise deren Selektionsdruck und können Gene in Ansätzen absichtlich ändern und nicht nur zufällig. Das alles sind potentiell sehr große Überlebensvorteile. Aber daran sieht man schon, dass wir aus dem Hamsterrad kein Stück raus sind. "Überlebensvorteil" zeigt nach wie vor an, dass wir den Evolutionsregeln unterliegen. Wenn wir unsere Gene nicht weitergeben, sind sie draußen. Da änderste nix.

AgentProvocateur hat geschrieben:Irgendwas verstehe ich aber nun nicht an Deiner Argumentation. Du meinst doch, das beste Kriterium gefunden zu haben (am erfolgreichsten in in der Evolution gemessen an Zeitdauer des Bestehens der Art: welche Art insgesamt länger überlebt, ist besser). Oder nicht?
Wenn aber so, dann könnte man folgerichtig doch auch den weiteren Schritt gehen, indem man all die anderen Kriterien daran misst und diese in besser/schlechter (erfolgreicher/weniger erfolgreich) einteilt. Das erst würde das Ganze doch interessant machen, erst daraus könnte man doch weitere Erkenntnis schöpfen.

Zu wissen, wer nun das wirklich beste Lebewesen aller Zeiten ist, ist ja nun durchaus auch eine respektable Erkenntnis. Aber ok, es ist natürlich immer schön, sogar noch weitere Erkenntnisse zu gewinnen. Aber wenn es so grundsätzliche methodische Probleme der Unfairniss gibt bei den weiteren Schritten, werden die weiteren Erkenntnisse vielleicht nur schwer zu gewinnen sein. Aber wie auch immer. Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass sich meine Argumentation auf die eine Frage "wer ist das beste Lebewesen?" bezieht? Bist du ansonsten immer Argumente gewöhnt, die gleich 3 Fragen auf einmal beantworten?

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich möchte wissen, welches Netzgerät das Beste ist. Ein Netzgerät sei alles, was man an eine Steckdose anschließen kann und daraufhin Strom durch das Gerät fließt. Das beste Netzgerät sei nun das, was am längsten hält.

Den letzten Satz musst du erstmal begründen. Alles weitere steht bis dahin in Frage. Also: wieso gerade dieser Maßstab?
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon Lumen » Di 23. Okt 2012, 23:57

Es ist einfach eine Frage der Kriterien. Menschen können potentiell den Planeten verlassen (oder ihn weitgehend zerstören) oder können in den Bauplan des Lebens eingreifen. Menschen sind auch an der Spitze der Nahrungskette. Einzeller sind häufiger, Ameisen haben im Verhältnis mehr Kraft, Affen können weiter springen, Eulen besser bei Nacht sehen—Moment. Kann der Mensch die meisten Tiere in vielen Bereichen dank Technik nicht überbieten? Warum ist das aber wichtig? Die Frage, was höher entwickelt oder besser ist, ist einfach falsch gestellt und ohne Kriterien und Regeln wertlos.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 24. Okt 2012, 00:11

"Evolutionsmechanismus" so zu definieren, dass von Vorneherein alle Lebewesen gleichermaßen und ohne Unterschied diesem Evolutionsmechanismus unterliegen, ergibt mE keinen Sinn, nicht mehr Sinn, als zu sagen: "es ist, wie es ist und kommt, wie es kommt". Ist auch so, wie wenn man "Natur" so definiert, dass einfach alles Denkbare und logisch Mögliche ebenfalls unterschiedslos darunter fällt. Begriffe, die von nichts abgrenzbar sind, sind mE ziemlich sinnlos, (eine Ausnahme besteht nur dann, wenn man den Begriff synonym für "alles" verwendet. Z.B. "Universum".)

Oder könntest Du mal ein Beispiel nennen für ein (meinetwegen völlig hypothetisches Lebewesen, oder meinetwegen auch für eine Maschine), das/die sich auf irgend eine Weise reproduziert, das/die nicht dem Evolutionsmechanismus unterliegt, so wie Du ihn verstehst?

ganimed hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Ich möchte wissen, welches Netzgerät das Beste ist. Ein Netzgerät sei alles, was man an eine Steckdose anschließen kann und daraufhin Strom durch das Gerät fließt. Das beste Netzgerät sei nun das, was am längsten hält.

Den letzten Satz musst du erstmal begründen. Alles weitere steht bis dahin in Frage. Also: wieso gerade dieser Maßstab?

Ich habe, meine ich zumindest, diesen Maßstab analog zu Deinem in Bezug auf Lebewesen gewählt, (= alle Netzgeräte nach meiner Definition haben eine Gemeinsamkeit (Strom fließt durch <-> Lebewesen unterliegen dem evolutionären Mechanismus). Was ist besser? Das, was länger hält/länger lebt). Also muss ich jetzt fragen, was Deinen Maßstab wesentlich von dem meinen unterscheidet, denn das ist mir nicht klar.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon ganimed » Mi 24. Okt 2012, 01:06

AgentProvocateur hat geschrieben:"Evolutionsmechanismus" so zu definieren, dass von Vorneherein alle Lebewesen gleichermaßen und ohne Unterschied diesem Evolutionsmechanismus unterliegen, ergibt mE keinen Sinn, nicht mehr Sinn, als zu sagen: "es ist, wie es ist und kommt, wie es kommt".

Ich bin, so muss ich inzwischen einsehen, zu blöd, um diese Diskussionstechnik von dir genau beschreiben und einordnen zu können. Ich nenne es grob und vereinfacht mal "philosophisches Zerreden". Damit hast du mir in endlosen Frei-Willen-Texten schon ganz schön zu schaffen gemacht. Aber ich habe den Eindruck, das ist auch schon alles. Man macht dem Diskussionspartner damit zu schaffen. Aber zerreden ist einfach nicht konstruktiv. Und so beliebig, wie du das anwendest, ist es nicht einmal mehr spannend.
Das Schema geht so: ich nenne einen Sachverhalt mit Allquantor (alle Menschen sind unfrei, alle Lebewesen unterliegen einem Mechanismus). Dann zerredest du das mit dem folgenden Trick: "wenn man Freiheit/Mechanismus so definiert, dass alle unfrei/unterliegend sind, dann hat das keinen Sinn, weil das grenzt ja nirgendwo von ab". Dann sage ich: "aber es ist doch nun einmal so." Dann sagst du: "wie müsste die Komplementärmenge aussehen?" Dann sage ich: "die ist leer." Dann fragst du: "wie müsste sie denn sein, damit sie nicht leer ist?" Usw. und so ermüdend.

Ich habe den Evolutionsmechanismus nicht definiert. Menschen haben ihn beobachtet (und Konstruktivisten wie Nanna sagen sogar, ihn dabei erfunden). Und es gibt tatsächlich per Definition kein Lebewesen, dass diesem Mechanismus nicht unterliegt. Der Mechanismus beschränkt sich ja gerade deshalb darauf, das zu beschreiben, was ganz allgemein für alle Lebewesen gilt.

AgentProvocateur hat geschrieben:Ich habe, meine ich zumindest, diesen Maßstab analog zu Deinem in Bezug auf Lebewesen gewählt, (= alle Netzgeräte nach meiner Definition haben eine Gemeinsamkeit (Strom fließt durch <-> Lebewesen unterliegen dem evolutionären Mechanismus). Was ist besser? Das, was länger hält/länger lebt).

Vielen Dank für dieses Argument. Es hat mich zum Nachdenken gebracht und ich glaube jetzt, meine Maßstabs-Herleitung besser beschreiben zu können:
a) Lebewesen unterliegen alle dem evolutionären Mechansimus. Dieser Mechanismus hat einen Wettbewerbscharakter. Alle Lebewesen konkurrieren dabei um knappe Ressourcen. Also leite ich einen Wertemaßstab für Lebewesen aus diesem Wettbewerb und seinen Regeln ab.

b) Strom fließt durch alle Netzgeräte. Aber das ist kein Mechanismus mit Wettbewerbscharakter. Es gibt unter den Netzgeräten keine Konkurrenz und Langlebigkeit ist bei Netzgeräten deshalb kein Erfolg, also auch kein Gütekriterium.

Es reicht also, wie mir vorher nicht besonders klar war, nicht eine gemeinsame Eigenschaft aller Teilnehmer. Die Eigenschaft muss auch noch etwas mit Konkurrenz, mit Sieg oder Niederlage (im Fall der Evolution mit dabei bleiben oder ausscheiden) zu tun haben. Beziehungsweise und allgemeiner: der allen gemeinsame Mechanismus muss wertende Eigenschaften haben, selektieren, bevorzugen, benachteiligen, vermehren, verringern, etc.
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Re: Bewusstsein ist höheres, freieres Leben? Von wegen

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 24. Okt 2012, 01:51

ganimed hat geschrieben:Das Schema geht so: ich nenne einen Sachverhalt mit Allquantor (alle Menschen sind unfrei, alle Lebewesen unterliegen einem Mechanismus). Dann zerredest du das mit dem folgenden Trick: "wenn man Freiheit/Mechanismus so definiert, dass alle unfrei/unterliegend sind, dann hat das keinen Sinn, weil das grenzt ja nirgendwo von ab". Dann sage ich: "aber es ist doch nun einmal so." Dann sagst du: "wie müsste die Komplementärmenge aussehen?" Dann sage ich: "die ist leer."

Naja, etwas aus der (logisch möglichen) Existenz herauszudefinieren ergibt meiner Ansicht nach keinen Sinn und zwar deswegen, weil das dann unverständlich wird. Was soll man sich unter X vorstellen können, wenn NICHT-X logisch unmöglich ist? Und umgekehrt: wenn alles Natur ist, was ist denn dann Natur, was kann man sich darunter vorstellen? Wie soll man das verstehen? Also ich zumindest habe dann schlicht Verständnisprobleme. (Ausnahme wäre, wie gesagt, wenn man "Natur" hier synonym zu "alles" setzt.) Und das ist keine Diskussionstechnik, kein Trick von mir.

ganimed hat geschrieben:Ich habe den Evolutionsmechanismus nicht definiert.

Das solltest Du dann aber. Wie gesagt, ich verstehe darunter die Prinzipien Vererbung, Mutation, Selektion. Und wenn Du etwas anderes darunter verstehst, dann müsstest Du schon zumindest grob darlegen, was, damit ich verstehen kann, wovon Du redest.

ganimed hat geschrieben:Es reicht also, wie mir vorher nicht besonders klar war, nicht eine gemeinsame Eigenschaft aller Teilnehmer. Die Eigenschaft muss auch noch etwas mit Konkurrenz, mit Sieg oder Niederlage (im Fall der Evolution mit dabei bleiben oder ausscheiden) zu tun haben. Beziehungsweise und allgemeiner: der allen gemeinsame Mechanismus muss wertende Eigenschaften haben, selektieren, bevorzugen, benachteiligen, vermehren, verringern, etc.

Warum? Hört sich so an wie ein reines Postulat.

Und nochmal auf Deinen Beitrag oben bezogen:
ganimed hat geschrieben:Aber wie auch immer. Ist es wirklich so schwer zu verstehen, dass sich meine Argumentation auf die eine Frage "wer ist das beste Lebewesen?" bezieht? Bist du ansonsten immer Argumente gewöhnt, die gleich 3 Fragen auf einmal beantworten?

Es geht mir nicht darum, 3 Fragen auf einmal beantworten zu können, ich frage mich aber durchaus immer noch, wie Du auf Deinen Bewertungsmaßstab "das beste Lebewesen ist dasjenige, dessen Art am längsten existiert" kommst. Bzw. mal anders gesagt: Du legst diesen Bewertungsmaßstab mE willkürlich an. Das ist erst mal überhaupt kein Problem und wir können auch gerne eine Rangliste der Lebewesen nach diesem Kriterium anlegen. Und dann haben wir eine Rangliste der Lebewesen nach diesem Kriterium, nicht mehr und nicht weniger. Du sagst sogar noch explizit, dass daraus nichts weiter folgt, dass man also daran nicht unterschiedliche Strategien von Lebewesen messen kann, man das nicht weiter anwenden solle, keine Rückschlüsse daraus ziehen solle. Du findest das nun respektabel, gut. aber wieso sollte das respektabler sein als eine andere Rangliste? Wir können doch ebenso nach Größe, Masse, Lebensdauer der Individuen einer Art, Einfluss auf den Planeten, Verbreitung einer Art, Anzahl der Nachkommen, Wissen, Stoffwechselmenge oder nach irgendwas anderem Ranglisten aufstellen. Es mag ja nun auch respektabel sein, dass Wale (oder wer das auch immer ist) die größten Lebewesen sind und respektabel, dass es Bäume gibt, die tausende von Jahren alt werden. Und, ja, das ist respektabel. Weiß bloß nicht, wieso Dein Kriterium nun respektabler sein soll.

Und weiß vor allem nicht, was Du weiter daraus ableiten willst, als dass es respektabel ist, (im Sinne von: gute Leistung).

Oder, nochmal anders: Du nimmst nun das Kriterium "die Art, die länger überlebt, ist besser". Ich habe nichts gegen das Kriterium, das darfst Du nehmen und dann können wir die Rangliste erstellen. Aber wir können eben auch ein völlig anderes Kriterium nehmen und eine andere Rangliste erstellen. Das ist der Punkt. Deine bisherigen Bemühungen, Dein Kriterium als das Beste, Höchste und einzig Richtige darzustellen, haben zumindest mich nicht überzeugt. Und dass Du ablehnst, anhand dieses doch angeblich besten Kriteriums andere Kriterien beurteilen zu können, kommt mir höchst verdächtig vor. Denn wenn es tatsächlich begründbar das Beste, allem übergeordnete Kriterium wäre, dann würde logischerweise daraus folgen, dass andere Kriterien dem untergeordnet wären und folglich daran gemessen werden könnten.
Zuletzt geändert von AgentProvocateur am Mi 24. Okt 2012, 02:01, insgesamt 1-mal geändert.
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