Bisheriges Streben der Evolution

Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Do 8. Nov 2012, 19:09

Nun gut. Ich kann auch nicht widerlegen, dass es ein fliegendes Spaghetti-Monster gibt. Manche Definitionen sind logischer als andere, abgesehen davon ist das nicht die einzige Möglichkeit, jemanden zu widerlegen. Manche wie Kant widersprechen sich teilweise selbst.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Fr 9. Nov 2012, 03:04

Nanna hat geschrieben:die Bedeutung der Aussage "Ich mag Erdbeereis" ändert sich für mich nicht, wenn ich weiß, wie Geschmacksrezeptoren funktionieren.

Was ist, wenn die Biologie rausbekäme, dass du Erdbeereis nur magst, weil da der Stoff XY drin ist? Und wenn die Biologie dann in Anwendung dieser Kenntnis ein künstliches Super-Eis bastelt, das dir noch viel viel besser schmeckt. Und du würdest dann nur noch Super-Eis essen. Und die Bedeutung der Aussage mit dem Erdbeereis hätte sich geändert, die Aussage wäre nämlich falsch geworden.

Es ist ein komplexe Welt. Wir können derzeit nicht wissen, was die Naturwissenschaften in naher oder ferner Zukunft an Wissen anhäuft und welche Fragen sie bearbeiten kann. Es erscheint mir anmaßend und dumm, angesichts dieser Ungewissheit aber doch prinzipiell feststellen zu wollen, dass bestimmte Fragestellungen niemals von den Naturwissenschaften beantwortet werden können. Oder wie Vollbreit, zu behaupten, dass man das subjektive Erleben niemals objektiv wird beschreiben können. Solche prophetischen Ratespielchen sind nicht besonders überzeugend.

Meine Erklärung dafür, dass schlaue Leute so dumme Sachen sagen: ihr mögt die "kalte" Naturwissenschaft nicht besonders und würdest es als unangenehm empfinden, wenn sie ihre Nase in alles reinstecken dürfte. Also werden Rückzugsgebiete für die Philosophie (oder Psychologie) abgesteckt und mit eigentlich lächerlichem Naturalismus-Fehlschluss-Firlefanz verteidigt.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » Fr 9. Nov 2012, 03:34

ganimed hat geschrieben:Was ist, wenn die Biologie rausbekäme, dass du Erdbeereis nur magst, weil da der Stoff XY drin ist?

Dass die Empfindung vom Zusammenspiel bestimmter chemischer Stoffe hervorgerufen wird, weiß ich doch bereits. Was soll mich daran denn noch überraschen? Die Feststellung ist trivial und ähnelt dem Versuch, einen Kreis runder zu machen.

ganimed hat geschrieben:Und wenn die Biologie dann in Anwendung dieser Kenntnis ein künstliches Super-Eis bastelt, das dir noch viel viel besser schmeckt. Und du würdest dann nur noch Super-Eis essen. Und die Bedeutung der Aussage mit dem Erdbeereis hätte sich geändert, die Aussage wäre nämlich falsch geworden.

Zwei Dinge: Die Biologie bastelt überhaupt nichts, die Biologie beschreibt. Dinge zu schaffen liegt außerhalb des Kompetenzbereichs der Wissenschaft, diese stellt nur das erforderliche Wissen zur Verfügung. Und dann: Es ist egal, ob es um Erdbeereis Classic oder Supereis geht. Für mich als Person, als "Ich" ist es für das Geschmackserlebnis irrelevant, auf welche Weise der dahinterliegende Mechanismus funktioniert, genauso wie es mir egal ist, ob ein Film, der mich rührt, digital oder mit Zelluloid projiziert wird. Natürlich muss ich (oder jemand) die Technik des Filmherstellens und -vorführens entwickeln und beherrschen, aber das hilft mir nicht die Bohne dabei, inhaltlich (qualitativ, da ist es wieder, das böse Wort) gute Filme zu machen.

ganimed hat geschrieben:Wir können derzeit nicht wissen, was die Naturwissenschaften in naher oder ferner Zukunft an Wissen anhäuft und welche Fragen sie bearbeiten kann. Es erscheint mir anmaßend und dumm, angesichts dieser Ungewissheit aber doch prinzipiell feststellen zu wollen, dass bestimmte Fragestellungen niemals von den Naturwissenschaften beantwortet werden können. Oder wie Vollbreit, zu behaupten, dass man das subjektive Erleben niemals objektiv wird beschreiben können. Solche prophetischen Ratespielchen sind nicht besonders überzeugend.

Wir kennen ja das Beispiel mit dem Affen: Man setzt ihn für eine hypothetisch fast unbegrenzte Zeit vor eine Schreibmaschine, auf die er einhackt, und irgendwann schreibt er zufällig auch mal "A Midsummer Night's Dream". Vermutlich wird er irgendwann auch Kants Kritik der Reinen Vernunft oder Habermas' sämtliche Bücher vor- und rückwärts geschrieben haben, aber er wird NIE verstanden haben, was er da zu Papier gebracht hat. Es ist egal, ob wir annehmen, dass man ihm im Laufe der Zeit immer schönere und ergonomischere Schreibmaschinen zur Verfügung stellt, weder der Affe noch die Schreibmaschine ändern ihre grundsätzliche Natur (würden sie das tun, wären sie etwas anderes und nicht mehr Affe und Schreibmaschine).
Logik wird auch in zehntausend Jahren noch so funktionieren wir heute, denn eines der grundlegenden Prinzipien von Wissenschaft ist, dass die durch sie zutage geförderten Wahrheiten universell, also von Zeit und Raum unabhängig gültig sein müssen. Deshalb können wir auch sagen, dass der Affe in zehntausend Jahren nicht klüger als der heutige Affe sein wird und dass die Naturwissenschaft in zehntausend Jahren nicht in der Lage sein wird, Sinn und Bedeutung zu generieren. Das ist einfach nicht deren Zuständigkeitsgebiet, dafür ist sie strukturell - und man muss klar sagen: zum Glück! - nicht ausgelegt. Und ja, das können wir tatsächlich auch heute bereits sagen. Dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse die Philosophie herausfordern werden, ist klar (und die Philosophen wissen auch meist viel besser über die Naturwissenschaften bescheid als umgekehrt, und dieser Thread reiht sich da in das Muster ein), aber die Naturwissenschaft wird die Philosohpie nicht übernehmen oder ersetzen können, genausowenig wie sie objektive Aussagen im emphatischen Sinne machen kann. Du überschätzt die Naturwissenschaft da, und ich glaube, dass du dir den Vorwurf des Dogmatismus eher gefallen lassen musst als ich, da ich nicht eine orthodoxe Methode zur Erlösungsvariante erkläre, sondern stattdessen für einen Methodenpluralismus mit einer Prise von Feyerabends "Anything goes" plädiere, bei der je nach Fragestellung unterschiedliche Zugänge zur Erkenntnis möglich sein müssen. Bestimmte Formen von Erkenntnis lassen sich eben nur über bestimmte Methoden gewinnen, das beste Beispiel war bisher das in einem anderen Thread von Vollbreit gebrachte Beispiel, dass du nie wissen wirst, wie es ist, Vollbreit zu sein (weil du dann Vollbreit wärst, und nicht mehr ganimed, d.h. nur Vollbreit kann wissen, wie es ist, Vollbreit zu sein, und nur ganimed, wie es ist, ganimed zu sein). Das bedeutet, dass Vollbreit immer einen privilegierten Zugang zu Vollbreit haben wird, egal wie exakt die Daten sind, die du über die Abläufe in seinem Kopf hast. Und diese Gedankenspiele haben auch in zehntausend Jahren noch logisch eindeutige Gültigkeit, da kannst du dich auf den Kopf stellen, das ist dem Universum doch egal, dass dir seine Regeln nicht passen.

ganimed hat geschrieben:Meine Erklärung dafür, dass schlaue Leute so dumme Sachen sagen: ihr mögt die "kalte" Naturwissenschaft nicht besonders und würdest es als unangenehm empfinden, wenn sie ihre Nase in alles reinstecken dürfte. Also werden Rückzugsgebiete für die Philosophie (oder Psychologie) abgesteckt und mit eigentlich lächerlichem Naturalismus-Fehlschluss-Firlefanz verteidigt.

Ich glaube, dass sowohl Vollbreit als auch ich mit der Naturwissenschaft deutlich souveräner umgehen zu wissen als du/ihr (wenn wir schon beim Fingerzeigen sind). Ich habe keine Angst vor der Naturwissenschaft und ich bin sehr gespannt darauf, was die Hirnforschung noch alles zutage fördern wird. Ich bin auch gespannt, was neurologische oder von mir aus auch soziobiologische Thesen zu Themen wie Liebe, Partnerwahl, Moralempfinden, Werten etc. in den kommenden Jahren aufbringen werden. Bei uns an der Uni hat mal ein Physiker eine Einführung in die Modellierung sozialer Systeme mit physikalischen Methoden gegeben. Mein Mathe hat dafür nicht ausgereicht, aber superspannendes Gebiet! Bloß, es hat inhaltlich alles nichts mit dem zu tun, worüber ich die ganze Zeit rede. Ok, zu tun hat es natürlich schon etwas damit und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sowie ihre Methodik müssen an geeigneter Stelle einbezogen werden, aber man muss eben auch verstanden haben, was die geeigneten Stellen sind. Von mir aus soll die Naturwissenschaft ihre Nase reinstecken, wo sie will, nur braucht sich keiner wundern, wenn es bei bestimmten Fragestellungen zu rein gar nichts führen wird.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Fr 9. Nov 2012, 12:45

Die Frage nach Philosophie und Wissenschaft ist doch im Grunde eine, die sich sehr schön in unser Thema Evolution einbauen lässt. Und gerade hier finde ich, dass man die Daten aller Disziplinen betrachten sollte, weil es sich lohnt und weil eine künstliche Beschränkung – die übrigens stets aus ideologisch-emotionalen Gründen stattfindet – eigentlich immer ein Eigentor ist.

Ist Evolution ein Mechanismus der stets zum „Höheren“ strebt?
Nein, könnte man sagen, wenn man die natürliche Evolution ansieht, denn Höheres, gibt es eigentlich nicht. Dickes Fell und kleine Oberfläche im Verhältnis zum Volumen, das ist gut für kalte Regionen, wechselt das Klima, ist eine neue Anpassung erforderlich. Von „höher“ kann nun keine Rede mehr sein.

Andererseits: Das Auge ist schon ein komplexes Organ und das ganze Sehsystem noch viel mehr.
Irgendwann konnten Zellen mal hell/dunkel ansatzweise unterscheiden, inzwischen werden Wahrnehmungslücken vom Gehirn einfach gefüllt. Das ist schon ne Meisterleistung und ich würde mich scheuen das als „nur etwas anders“ zu bezeichnen.

Knüppel und lasergesteuerte Lenkwaffen, sind ja auch im Prinzip identisch, aber dazwischen liegen Welten. Und genau hier liegt der Punkt. Ist kulturelle Evolution genauso zu beschreiben, wie biologische? Oder gibt es gar keine zwei Evolutionen, sondern nur ein durchgehendes Prinzip Evolution, was alles durchzieht, tote Materie, unbewusstes und bewusstes Leben?

Popper bspw. gehört zu jenen Philosophen, die den Evolutionsgedanken bspw. auch auf die Ebene von Wissenschaft und Philosophie tragen. Nach ihm gibt es eine „Evolution der Theorien“ die er auch so benennt.
Die Idee ist einfach: Wenn wir uns irren, wird diese Idee in der Realität nicht funktionieren und kann dann ersetzt oder ergänzt werden. Darum bedeuten mutige Ideen und große Irrtümer, auch große Fortschritte und Popper ruft dazu auf, nicht kleinlich zu denken.

Nur: Ist es noch legitim, von dieser Evolution der Theorien zu behaupten, sie passe sich an natürliche Gegebenheiten an? Ist der Siegeszug des Internet die Folge einer biologischen Notwendigkeit, wie dickeres Fell, oder schärfere Sinne? Ist das Handy eine notwendige Anpassung? Schon beim Bürostuhl ist nicht mehr ganz klar, ob dieser nun das natürliche Bedürfnis des Menschen zu sitzen erfüllt (also in eine naturgegebene Bedürfnislücke gestoßen ist und damit die Erfindung eine Anpassung ist) oder ob der sitzende Mensch sich eher den Bedürfnissen von Arbeitswelt und Industrie angepasst hat. Man könnte es auch als geniale Kooperation sehen, beide passen sich einander an, aber gerade bei Bürostuhl, Essgewohnheiten und Co. erzählen uns die Forscher der Evoltuionsmedizin, dass wir eigentlich noch den Körper der Steinzeitmenschen hätten und unsere natürliche Bedürfnisse – also die unseres Körpers – ganz andere sein sollten, als sie sind.

Offenbar evolutionieren die Bereiche unterschiedlich schnell und obendrein in verschiedene Richtungen.
Wobei, wenn alles nur Körper ist, alles nur Biologie, kann es da diese Unterschiede überhaupt geben?

Jedenfalls gibt es einen bedeutenden Unterschied: Ich kann nicht willentlich beschließen, dass ich meine Haut mal etwas dunkler mache, wenn die Sonne drauf scheint, sie wird einfach dunkler.
Ich kann aber beschließen Bürostühle herzustellen oder ein neues iPad. Ich kann sogar (reichlichst kontraevolutionär) beschließen, diese Produkte fehlerhaft zu gestalten, damit ihre Lebensdauer nicht zu lang ist.

Und wenn eben (und genau das ist mein Vorwurf an den Biologismus, nicht an die Biologie) in der Evolution alles möglich ist, buchstäblich jedem Verhalten irgendwie nachträglich(!) ein biologischer Sinn untergeschoben werden kann, ob man bewusst Fehler macht oder optimiert, ob man tötet oder vergibt, ist jede erklärende Kraft dahin. (Nicht weil man keine findet, sondern eben immer und für alles.)

Das klingt immer so überzeugend (naja, vielleicht beim ersten Hinhören): Warum bewegen sich Menschen? Weil sie einen Bewegungstrieb haben. Warum bewegen sie sich nicht? Weil sie einen Faulheitstrieb haben.
Bei dicken Menschen ist dann der Faulheitstrieb > Bewegungstrieb bei dünnen gerade andersrum. Die individuelle Mixtur ist dann entweder genetisch gegeben (und der Biologismus würde die Geschichte vom religiösen Schicksalsglauben nur mit anderen Mitteln erzählen), aber durch die Epigenetik ist da neuerdings ja genügend Spiel und Luft drin, so dass man über Belohungssysteme mit Opiaten und Dopamin schwadronieren kann und letztlich entscheidet dann die individuelle Mixtur darüber, ob man sich seine Belohnung vom Hirn dadurch abholt, dass man Joggen geht oder dass man Schokolade ist. Und es bleibt am Ende die Erkenntnis:
Wer die Schokolade bevorzugt, profitiert offenbar am meisten von dieser Art der Belohnung, wer das Joggen bevorzugt, profitiert offensichtlich am meisten davon. Was ist, ist. Wer hätte das gedacht?

Ich will jetzt nicht zu ironisch werden, aber wenn beim Biologismus rauskommt, dass der Mensch tut, was er tut, weil er irgendwie davon zu profitieren glaubt, dann kreißte der Berg und gebar ein weiteres Mal eine Maus. Und damit sollen die großartigen Erkenntnisse und Fortschritte der Biologie in keiner Weise kritisiert werden.

Und dieser Unsinn hat System: Immer, wenn ein bestimmter Bereich zur Ideologie aufgeblasen wird und seine Legitimation aus den eigenen Prämissen speist, wird es verrückt und sogar an ihrer Umwelt interessierte Menschen lassen sich dadurch einfangen. Und in keiner Weise ist das auf die Biologie oder Naturwissenschaft beschränkt.

Alice Miller ist eine Psychoanalytikerin gewesen, die die Auffassung vertrat, es gäbe überall breitangelegte Systeme, die Kindesmissbrauch vertuschten und insgeheim legitimierten. Sie schoss übers Ziel, als sie sich in die These verstieg man könne seinen eigenen Missbrauch nur konfrontieren oder müsse ihn verleugnen, was anzeigen würde, dass man besonders schwer (oder subtil) missbraucht geworden wäre.
Und auf einmal findet man sich in einer Welt, in der es nur noch Missbrauch gibt und die Möglichkeit ihn zu verleugnen oder sich ihm zu stellen. Wer nun sagt: „Äh, meine Kindheit war vielleicht nicht perfekt, aber missbraucht fühle ich mich nicht“, ist einfach nur ein besonders schlimmer Fall, dem es noch immer nicht gelungen ist der Wahrheit, seines Missbrauchs, ins Gesicht zu sehen.

Gleich wie das Thema lautet: Es gibt nur Egoismus. Wir sind alle missbraucht worden. Wir sind Sklaven des Kapitalismus. Wir sind alle manipuliert …, es ist immer dasselbe Strickmuster.
Steile These, mit „Fakten“ garniert und mit dem Lösungsangebot einer Doppelbindung: Entweder du erkennst wie die Welt wirklich funktioniert oder du bist ein besonders armes Opfer (oder ein Agent der Gegenseite).
Da hilft Philosophie, ganz praktisch: Wenn man erkennt, dass diese Argumentation eine petitio principii ist, kann man sich der Rest schenken. Es ist ein Fehler und bleibt ein Fehler, egal viele „Fakten“ man rankarren kann.

Und ist das jetzt Evolution, so etwas erkennen zu können oder nur etwas anderes Denken?
Jeder der weiß, was eine pp ist und sie erkennt, weiß sofort, dass es sich um eine handelt und wo der andere den Fehler macht. Einem überzeugten Ideologen diesen Fehler aber nahebringen zu wollen, ist ungeheuer schwer … ja, warum eigentlich?

Weil da eben doch mehr dran hängt, als nur ein kleiner Rechenfehler? Gewiss. Ideologen sind mit Ideen verheiratet. Der kleine Rechenfehler, der leicht zu erkennen wäre, bekommt dann auf einmal eine ganz andere Dimension. Denn der kleine Rechenfehler lässt das ganze Ideologiengebäude einstürzen, mit dem man identifiziert ist. Und das lässt man sich nicht nehmen, denn um die Richtigkeit ihrer Überzeugungen kämpfen manche Menschen, wie um ihr Leben, denn es ist ihr Leben. Sie sind identifiziert mit diesen Ideen.

Das ist es ja gerade. Wir bewegen uns viel mehr in diesen Bereichen und sie sind uns viel wichtiger, als immer behauptet wird, das sei ja nicht „die Realität“. Die Erfüllung grundlegender vitaler Bedürfnisse: Essen, Trinken, Schutz ist bei uns (zum Glück) überhaupt kein Thema. Nähe und Kontakt vielleicht schon, aber die Lücke haben die sozialen Netzwerke geschlossen (wie gut, ist ein anderes Thema). Aber wir sind ganz wesentlich in Phantasiewelten, imaginierten Konstrukten unterwegs. Wo kann man das besser sehen, als in Internetforen? Es geht um ein Ringen von Ideen, Weltbildern.
Ist das nun die Fortsetzung der Evolution mit anderen Mitteln?
Ist das nur Balz- und Imponiergehabe? Oder sind da doch Meme aktiv?
Und in welche Richtung gehen die, wenn es sie gibt?

Sind das nur Ideencluster, die horizontal angeordnet und „anders“?Der eine ist Ostalgiker, der andere ein Grüner, der nächste ein Fan neuer Technologien und dieser und jener eben ein Bright oder ein Christ?
Alle spielen so ihr Spiel des wechselseitigen Austauschs, man haut und liebt sich, kreist um einen gemeinsamen Mythos und wäre man nicht zufällig ein Christ könnte man auch ein Bright sein, und umgekehrt.

Oder gibt es bessere und schlechtere Ideen, strebt die geistige Evolution nach immer mehr Komplexität, gibt es vertikale Ebenen? Ist Wissenschaft ganz einfach besser als Religion und nicht nur anders?

Biologisten (und die meisten Brights) sind m.E. in einer Zwickmühle.
Denn auf der einen Seite vertreten sie die Idee, dass alles Evolution ist (meistens, dass die Trennung von Natur und Kultur eine künstliche und letztlich alles der Biologie untergeordnet sei) und dass die Prinzipien der Biologie überall gelten. Zu dieser Einstellung gehört die Idee, dass es besser und schlechter gar nicht gibt, nur anders, nur Anpassung an zufällige Veränderungen, die sich eben immer ergeben. Die Natur (der wir ganz und gar unterliegen) ist ungerichtet, hat kein Ziel und keinen Plan und deshalb schmilzt jedes „besser“ auf ein „im Moment etwas angepasster“ zusammen. Und hier ist ganimed der einzige der „durchzieht“ und konsequent bei dieser Auffassung bleibt. Er sagt, logisch konsequent, dass Religion besser angepasst ist und es lediglich ein Zufallsprodukt ist, dass er ein Bright ist, weil das seiner Art zu denken näher kommt. Ich finde das falsch, aber konsequent und er kommt (an dieser Stelle noch) nicht in einen Widerspruch.

Alle anderen Biologisten, Szientisten (und die meisten Brights) geraten aber m.E. in den Widerspruch, dass sie einerseits sagen, die unterschiedlichen Strategien mit Welt umzugehen, seien alle nur anders (da ein Produkt der Evolution und die kennt kein besser und schlechter) und im nächsten Satz zu behaupten, dennoch sei natürlich die Religion heilloser Unfug und die wissenschaftliche Art zu denken und zu handen den religiösen Ansätzen in so ziemlich jeder Hinsicht überlegen. Und das in eine Gesellschaftsordnung, natürlich die Erkenntnisse der Wissenschaften einfließen sollten (statt der Religion), weil diese dann doch irgendwie besser, humaner und was auch immer sind. Kann ja sein (und zum großen Teil stimme ich dem übrigens zu), nur gibt es dann eben besser und schlechter, entwickelter und weniger entwickelt, in einem qualitativen und wertenden Sinn.
Ich bin ganz explizit der Auffassung, dass das der Fall ist – und damit gerade kein Relativist –, nur müssen wir eben für die qualitativen, hierarchischen und wertenden Aspekte, bessere Kriterien finden, als (übrigens auch mit einer petitio principii begründete) blonde Haare und blaue Augen, Religiosität oder Nichtreligiosität oder andere zweifelhafte Kriterien.

Zum Abschluss noch mein Glaubensbekenntnis:
M.E. sind biologische oder natürliche Evolution und menschliche oder bewusste Evolution zwei Paar Schuhe.
Gegen natürliche Gesetze können wir gar nicht verstoßen, gegen selbstgewählte, wie die guten Sitten, die Verkehrsregeln oder das Grundgesetz sehr wohl. Das ist auch der Unterschied zwischen Ursachen und Gründen.
Ursachen müssen wir folgen, Gründen nur, wenn sie uns überzeugen. (Und die Strategie zu beschreiben wie Gründe zu Ursachen werden, ist m.E. erfolgreicher – es gibt immerhin eine –, als umgekehrt zu erklären, wie aus Ursachen Gründe werden – hier kenne ich überhaupt keinen Ansatz, wenn jemand einen kennt, bitte posten.)

M.E. hat die Evolution auch eine Richtung, nämlich sie entwickelt sich immer hin zu mehr Komplexität und Qualität, wobei die Schwierigkeit des Anteils der bewussten Evolution (das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen) eben kein reines „Rechenspiel“ ist, sondern eines, was von Emotionen und Affekten, bewusst und unbewusst durchsetzt ist und da das so ist, gibt es ebenfalls regressive Tendenzen.
Ich muss gestehen, dass ich Schwierigkeiten habe, überhaupt einen Bereich zu erkennen, in dem das „nur ein wenig anders“ seine Berechtigung hätte. Ich sehe da klare hierarchische Unterschiede in nahezu allen menschlichen Bereichen.

Ob daraus letztlich folgt – denn das könnte logisch folgen – dass es ein Letztziel gibt, einen Omegapunkt oder was auch immer, da bin ich unsicher. Ich tendiere – aber eigentlich nur, weil mir der Gedanke sympathisch ist – zu der Auffassung, dass es im Bereich der äußeren Welt immer Veränderungen und Weiterentwicklungen geben wird, dass es aber bei der Entwicklung des Bewusstseins es eine Ebene gibt, die ich Erleuchtung nennen würde, die das Ende einer Entwicklung markiert. Hier glaube ich, dass das was Buddha vor 2500 erfahren hat, dasselbe ist, was erleuchtete Menschen heute und in 2500 Jahren erfahren, auch wenn sich die kulturellen Übersetzungmodi ändern. Diese Erfahrung wird auch „der Eine Geschmack“ genannt, der überhaupt alles Erleben durchzieht. An dieser Stelle ergibt sich die eigenartige Paradoxie, dass diejenigen, die diesen Einen Geschmack geschmeckt haben, erkennen, dass sofort alle Hierarchien in sich zusammenfallen. Wer mit dem Ganzen identifiziert ist (was eigentlich noch eine Vorstufe ist) der kennt kein Höheres und Niederes mehr, sondern hat zumindest die Empfindung, dass alles ineinanderpasst. Wer die Buddhanatur im anderen nicht erkennt, der hat keine Buddhanatur erfahren, lautet die simple Formel.
Der Unterschied ist der, dass der Mystiker zwar in radikalster Weise sein Ich überwindet (und das kann hier nur heißen: Auf die Bedeutung der Durchsetzung seiner Wünsche als den ersten, die zu beachten sind, verzichtet, denn alle anderen Arten von Ich“überwindung“ funktionieren m.E. nicht und sich eher pathologische Ichschwäche oder Ichverlust) und dennoch kommt meinen individuellen Stärken und Schwächen eine Bedeutung zu.
Daraus ergeben sich zwei Spannungen, nämlich einmal, dass es zum einen genau auf mich ankommt und ich dennoch, nur einer von Vielen bin. Zum anderen, die noch interessantere Paradoxie, dass meine größte individuelle Freiheit darin besteht, mir meiner Erleuchtung gewahr zu werden und das bedeutet gleichzeitig meinen Platz zu finden und ein demütiger Diener zu sein. Ich und Welt – und für die Gläubigen bringt Meister Eckhart es unmissverständlich auf den Punkt: Ich und Gott – fallen dann zusammen. Und wenn man sich seiner Ich-Identität bewusst bleibt und dennoch das Gefühl hat, dass Ich und Welt eins sind, ist man erleuchtet.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 9. Nov 2012, 17:31

Nanna hat geschrieben:Dass die Empfindung vom Zusammenspiel bestimmter chemischer Stoffe hervorgerufen wird, weiß ich doch bereits. Was soll mich daran denn noch überraschen? Die Feststellung ist trivial und ähnelt dem Versuch, einen Kreis runder zu machen.

Dich kann z.Bsp. überraschen, wie ganimed angesprochen hat, wie dieses Wissen angewendet werden kann. Ich habe ja schon im Prinzip das gleiche ansprechen wollen, aber du hast das nicht verstanden. Dass der native Stoff so funktioniert ist nicht die einzige Information, die man haben kann. Man kann auch wissen, warum dieser seine Wirkung hat, welche Bindungsstellen an welchen Rezeptoren wie, wann und wo binden, wie die Signalkaskade danach aussieht, welche Gene die Expression der relevanten Strukturen funktioniert. Ich lerne momentan im Studium einiges zur Immunologie; zu wissen, wie IgG funktioniert bringt dir gar nichts, wenn dir nicht klar ist, welche ähnlichen Strukturen fast genauso aber doch anders funktionieren. Mit jeder Information über native Struktuern lerne ich auch, was man mit diesen Informationen in Sachen Analytik und Medizin anstellen konnte (In der Evolutionslehre hatten diese Infos bestimmt auch Wirkung, da liegt bei mir aber nicht der Fokus).
Nanna hat geschrieben:Zwei Dinge: Die Biologie bastelt überhaupt nichts, die Biologie beschreibt.

Tja, deswegen gibt es auch die Molekularbiologie. Wir erschaffen Frankensteins Monster. Aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass man zwar auch nur wie die Biologen beim Beschreiben feststecken könnte, aber ebensogut mit differenzierterer Ausbildung praktische Konsequenzen ziehen kann, und das letztlich mit der gleichen naturwissenschaftlichen Methodik. Du würdest auch nur einen Biologen abgeben, keinen Molekularbiologen.
Nanna hat geschrieben: Dinge zu schaffen liegt außerhalb des Kompetenzbereichs der Wissenschaft

Nö, ich habe schon im 1. Semester eine gentechnisch manipulierte Tabakpflanze hochgezüchtet, zudem haben wir unsere Drosophila-Kreuzungen und anderes gemacht. Dafür gibt es die S1, S2.... -Labore. Das gehört alles zur Wissenschaft.
Zuletzt habe ich im Studium mit Ziegen-Antigenen gearbeitet, einige davon waren gentechnisch zusätzlich manipuliert, allein nur deswegen, damit sie in einem Praktikum besser zu selektieren sind. Diese Schöpfungen sind bereits banal, aber immer noch naturwissenschaftlich.
Nanna hat geschrieben: Es ist egal, ob es um Erdbeereis Classic oder Supereis geht.

Ach, du wärst ein dankbarer Kunde. Wären alle so, müsste ich mir nicht um Kanzerogenität, Reproduktionsschädlichkeit, Mutagenität und dergleichen Gedanken machen. Hauptsache es schmeckt dir, nicht wahr?
Nanna hat geschrieben: Für mich als Person, als "Ich" ist es für das Geschmackserlebnis irrelevant, auf welche Weise der dahinterliegende Mechanismus funktioniert, genauso wie es mir egal ist, ob ein Film, der mich rührt, digital oder mit Zelluloid projiziert wird.

Man könnte dir den Film auch mit einer noch nicht erfundenen Technik ins Gehirn projizieren, allerdings ebenso einen Befehl, Schleichwerbung oder für wen du als nächstes wählen sollst. Aber dir wäre das egal, hauptsache du könntest mit dieser Technik Filme gucken. Was noch so drin ist, ist egal.
Nanna hat geschrieben:Wir kennen ja das Beispiel mit dem Affen: Man setzt ihn für eine hypothetisch fast unbegrenzte Zeit vor eine Schreibmaschine, auf die er einhackt, und irgendwann schreibt er zufällig auch mal "A Midsummer Night's Dream". Vermutlich wird er irgendwann auch Kants Kritik der Reinen Vernunft oder Habermas' sämtliche Bücher vor- und rückwärts geschrieben haben, aber er wird NIE verstanden haben, was er da zu Papier gebracht hat.

Das ist ein interessantes Beispiel: Mit gerade diesem kann man nämlich die Faltung eines Proteins in der tertiären Struktur beschreiben. Allerdings ist da das Prinzip komplementär. Der Witz ist, dass man dadurch nur den Bruchteil an Zeit braucht, damit das Protein sich so faltet, dass es aktiv ist. Oder auf das Beispiel angewandt: Die Schreibmaschine würde quasi bei den richtigen Buchstaben einrasten und nur die falschen könnten neu getippt werden. Diese Erkenntnis ist sehr wichtig, da andernfalls das leben immer nich nicht hätte entstehen können! Wir würden nichtmal bis zu den Würmern kommen, schon wäre der Kältetod eingetreten. Solche Informationen SIND wichtig, da sie weitere Rückschlüsse auf grundlegende Strukturen und Mechanismen zulassen, die wir dann selbst anwenden könnten. Dass da Nicht das Wissen um Enthalpien und dergleichen dazugehört, ist der Rede nicht wert.
Nanna hat geschrieben:Logik wird auch in zehntausend Jahren noch so funktionieren wir heute, denn eines der grundlegenden Prinzipien von Wissenschaft ist, dass die durch sie zutage geförderten Wahrheiten universell, also von Zeit und Raum unabhängig gültig sein müssen.

Die Logik ohne Empirie wird immer gleich viel aussagen können: gar nichts. Ja, sie wird immer gleich funktionieren und zu den gleichen nichtssagenden oder falschen Ergebnissen führen. Und nein, von Determinanten wie Zeit, Raum oder anderen wird die Naturwissenschaft nie unabhängig sein.
Nanna hat geschrieben: Deshalb können wir auch sagen, dass der Affe in zehntausend Jahren nicht klüger als der heutige Affe sein wird und dass die Naturwissenschaft in zehntausend Jahren nicht in der Lage sein wird, Sinn und Bedeutung zu generieren.

Wie gesagt, es gibt da kompetitive Mechanismen, aber die würdest du nicht verstehen. Wisse nur, dass der Affe klüger werden kann, um es metaphorisch auszudrücken.
Nanna hat geschrieben: Das ist einfach nicht deren Zuständigkeitsgebiet, dafür ist sie strukturell - und man muss klar sagen: zum Glück! - nicht ausgelegt.

Das stimmt einfach nicht. Mit jedem Jahr verändern die Wissenschaften die Gesellschaft.
Nanna hat geschrieben: Dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse die Philosophie herausfordern werden, ist klar (und die Philosophen wissen auch meist viel besser über die Naturwissenschaften bescheid als umgekehrt, und dieser Thread reiht sich da in das Muster ein)

Hoho, da habe ich den gegenteiligen Eindruck. Bis jetzt waren deine Aussagen oder Beispiele zu den Naturwissenschaften einfach falsch. Ich hingegen kenne die grundlegenden, wie detaillierteren Gedanken einiger wichtiger Philosophen.
Nanna hat geschrieben:, aber die Naturwissenschaft wird die Philosohpie nicht übernehmen oder ersetzen können, genausowenig wie sie objektive Aussagen im emphatischen Sinne machen kann.

Kommt auf die Disziplin an. Ein Verhaltensforscher kann das bestimmt. Ein Neurologe gewiss auch.
Nanna hat geschrieben: Du überschätzt die Naturwissenschaft da, und ich glaube, dass du dir den Vorwurf des Dogmatismus eher gefallen lassen musst als ich, da ich nicht eine orthodoxe Methode zur Erlösungsvariante erkläre, sondern stattdessen für einen Methodenpluralismus mit einer Prise von Feyerabends "Anything goes" plädiere, bei der je nach Fragestellung unterschiedliche Zugänge zur Erkenntnis möglich sein müssen.

Ach, warum dann nicht ausgerechtet der der Naturwissenschaften??? Dem Dogmatismus unterliegst DU. Dir ist gar nicht klar, wozu man als Naturwissenschftler in der Lage ist. Seitjeher hat die Philosophen oder "Allgemeingelehrten" die Naturwissenschaft (oder das, was sie damals war) angesprochen und ihre philosophischen Ergebnisse geprägt.
Nanna hat geschrieben:Ich glaube, dass sowohl Vollbreit als auch ich mit der Naturwissenschaft deutlich souveräner umgehen zu wissen als du/ihr (wenn wir schon beim Fingerzeigen sind). Ich habe keine Angst vor der Naturwissenschaft und ich bin sehr gespannt darauf, was die Hirnforschung noch alles zutage fördern wird. Ich bin auch gespannt, was neurologische oder von mir aus auch soziobiologische Thesen zu Themen wie Liebe, Partnerwahl, Moralempfinden, Werten etc. in den kommenden Jahren aufbringen werden. Bei uns an der Uni hat mal ein Physiker eine Einführung in die Modellierung sozialer Systeme mit physikalischen Methoden gegeben. Mein Mathe hat dafür nicht ausgereicht, aber superspannendes Gebiet! Bloß, es hat inhaltlich alles nichts mit dem zu tun, worüber ich die ganze Zeit rede. Ok, zu tun hat es natürlich schon etwas damit und die Erkenntnisse der Naturwissenschaften sowie ihre Methodik müssen an geeigneter Stelle einbezogen werden, aber man muss eben auch verstanden haben, was die geeigneten Stellen sind. Von mir aus soll die Naturwissenschaft ihre Nase reinstecken, wo sie will, nur braucht sich keiner wundern, wenn es bei bestimmten Fragestellungen zu rein gar nichts führen wird.

Kannst du mir die Stellen nennen, wo es nichts bringt, die Naturwissenschaften hinzuzuziehen? kannst du Beispiele nennen, wo das nie etwas gebracht hat? Nenn mirt eine!
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Fr 9. Nov 2012, 17:47

Vollbreit hat geschrieben:Offenbar evolutionieren die Bereiche unterschiedlich schnell und obendrein in verschiedene Richtungen.
Wobei, wenn alles nur Körper ist, alles nur Biologie, kann es da diese Unterschiede überhaupt geben?

Jedenfalls gibt es einen bedeutenden Unterschied: Ich kann nicht willentlich beschließen, dass ich meine Haut mal etwas dunkler mache, wenn die Sonne drauf scheint, sie wird einfach dunkler.

Einem entschlossenen Willen ist vieles unterworfen. Du kannst deinen Stoffwechsel manipulieren oder dich einfach anmalen. Auch die Manipulation der Gegebenheiten gehört zu den Naturwissenschaften.
Vollbreit hat geschrieben:Ich kann aber beschließen Bürostühle herzustellen oder ein neues iPad. Ich kann sogar (reichlichst kontraevolutionär) beschließen, diese Produkte fehlerhaft zu gestalten, damit ihre Lebensdauer nicht zu lang ist.

Da du diesen Trend schon ansprichst, will ich dich auf eine Theorie eines selbsterklärten Verbraucherschützers hinweisen: Gerade vergängliche, verschleißenede Objekte SIND biologisch funktionierende Systeme. Der Trick ist nur, das Zeug wieder richtig zu recyceln. Aber auch eine nicht recycelnde Verstoffwechselung ist üblich. Unsere Atmosphäre ist Ein Ergebnis davon. Sauerstoff war damals das Kohlendioxid von heute!
Also sind auch Schrottwaren aus China quasi Dinge, die nach den biologischen Prinzipien funktionieren.
Vollbreit hat geschrieben:Und wenn eben (und genau das ist mein Vorwurf an den Biologismus, nicht an die Biologie) in der Evolution alles möglich ist, buchstäblich jedem Verhalten irgendwie nachträglich(!) ein biologischer Sinn untergeschoben werden kann, ob man bewusst Fehler macht oder optimiert, ob man tötet oder vergibt, ist jede erklärende Kraft dahin. (Nicht weil man keine findet, sondern eben immer und für alles.)

Tja, wenn mir das ein Nihilist sagen würde, könnte ich damit leben. Aber wenn ein neunmalkluger Philosoph sich darüber beschwert, dass die Naturwissenschaften auf alles eine Antwort haben, und er deswegen arbeitslos wird, wird es lächerlich. Solange man nach Informationen, fakten (meinetwegen auch Wahrheiten) sucht, sind die Naturwissenschaften eine gute Wahl, immer eine bessere als jede Geisteswissenschaft. Aber auch letztere haben genau den gleichen Anspruch: Sie wollen auf alles eine Antwort finden, nur sind die naturwissenschaftlichen sehr oft wesentlich besser.
Vollbreit hat geschrieben:Das klingt immer so überzeugend (naja, vielleicht beim ersten Hinhören): Warum bewegen sich Menschen? Weil sie einen Bewegungstrieb haben. Warum bewegen sie sich nicht? Weil sie einen Faulheitstrieb haben.

So leicht macht es sich kein Biologe. Du hast ein falsches Bild vom naturwissenschaftlichen Arbeiten.
Vollbreit hat geschrieben:Ich will jetzt nicht zu ironisch werden, aber wenn beim Biologismus rauskommt, dass der Mensch tut, was er tut, weil er irgendwie davon zu profitieren glaubt, dann kreißte der Berg und gebar ein weiteres Mal eine Maus. Und damit sollen die großartigen Erkenntnisse und Fortschritte der Biologie in keiner Weise kritisiert werden.

Hm, aber was bietet der Philosoph für Antworten? Dass der Mensch ein egoistisches, utilitaristisches Wesen ist, ist eine sehr nützliche Erkenntnis.
Den Rest, das übliche Gerede, schenke ich mir.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » Fr 9. Nov 2012, 18:23

@Darth Nefarius:
Die Beispiele, die du bringst, sind alle schön zu lesen und es IST wichtig, dass sich darüber jemand Gedanken macht. Allein schon die Frage, warum es wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen, ist aber schon keine naturwissenschaftliche mehr. Zu sagen, dass es schlecht ist, Krebs zu kriegen, weil man sich dann schlecht fühlt, ist an der Stelle nicht ausreichend, weil keine logisch zwingende Ableitung (wäre sie das, gäbe es ja normative Letztbegründungen, das würde uns vieles leichter machen, funktioniert aber halt nicht). Du kannst also noch so viel darüber schreiben, was die Naturwissenschaft auf ihrem Gebiet herausfinden kann, aber all das ändert nichts, rein gar nichts, daran, dass das naturwissenschaftliche Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen kann.

In einem Punkt möchte ich mich korrigieren: Ja, im Rahmen des Experimentierungs- und Problemlöseprozesses der Naturwissenschaften werden zwangsläufig neue Dinge geschaffen. Der wissenschaftliche Kern besteht aber weiterhin in der theoretischen Beschreibung, nicht im Schaffen praktischer Anwendungen.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 10. Nov 2012, 00:53

Nanna hat geschrieben:Allein schon die Frage, warum es wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen, ist aber schon keine naturwissenschaftliche mehr. Zu sagen, dass es schlecht ist, Krebs zu kriegen, weil man sich dann schlecht fühlt, ist an der Stelle nicht ausreichend, weil keine logisch zwingende Ableitung

Logisch zwingend ist dies nicht, so argumentiere ich auch nicht. Ich nehme niemals "gut" oder "böse" in meine Argumentation auf, außer wenn ich gegenargumentiere.
Nein, was aber trotzdem nicht normativ ist, ist der Wille. Ich habe schlichtweg den Willen gegen meinen Tod vorzugehen, deswegen versuche ich mich in den Naturwissenschaften, speziell der Molekularbiologie. Der Wille ist zumindest abstrakt etwas Messbares, moralische, normative Begründungen nicht. Ich sage nicht, dass es wichtig ist, sich Gedanken über diese Dinge zu machen, aber sofern etwas angestrebt wird, empfiehlt sich Handlung xyz oder ist eine logische Konsequenz ( andere Parameter einschließlich). Wenn ich von alternativen Stoffwechselvorgängen und ihren Bedingungen (oder gleich den Ursachen) spreche, ist das keine normative Aussage, wenn ich feststelle, was für ein Weg von der Zelle eingeschlagen wird.
Nanna hat geschrieben:Du kannst also noch so viel darüber schreiben, was die Naturwissenschaft auf ihrem Gebiet herausfinden kann, aber all das ändert nichts, rein gar nichts, daran, dass das naturwissenschaftliche Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen kann.

Sie geht nicht über die Natur hinaus, aber damit umfasst sie schon alles. Nichts befindet sich außerhalb der Erfassbarkeit des naturwissenschftlichen Denkens.
Nanna hat geschrieben:In einem Punkt möchte ich mich korrigieren: Ja, im Rahmen des Experimentierungs- und Problemlöseprozesses der Naturwissenschaften werden zwangsläufig neue Dinge geschaffen. Der wissenschaftliche Kern besteht aber weiterhin in der theoretischen Beschreibung, nicht im Schaffen praktischer Anwendungen.

Wieso nimmst du das an? Allein um etwas theoretisch (und hauptsächlich praktisch, der große Vorteil gegenüber den Geisteswissenschaftlern!) zu beschreiben erfordert nicht selten eine neuerfindung oder neue Kombination aus verschiedenen bekannten Verfahren. Kaum ist etwas Gegenstand der Forschung, schon wird es selbst zu Analyse verwendet. Antikörper sind ein gutes Beispiel. Die Schöpung ist die logische Konsequenz aus einem Willen, der die Welt kontrollieren will. Diesem Willen entspringt die Neugier, die Naturwissenschaften. Neugier ist kein Selbstzweck, deswegen kann die Naturwissenschft nicht auf sich selbst beschränkt werden.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » Sa 10. Nov 2012, 01:44

Darth Nefarius hat geschrieben:Nein, was aber trotzdem nicht normativ ist, ist der Wille. Ich habe schlichtweg den Willen gegen meinen Tod vorzugehen, deswegen versuche ich mich in den Naturwissenschaften, speziell der Molekularbiologie. Der Wille ist zumindest abstrakt etwas Messbares, moralische, normative Begründungen nicht.

Mal davon abgesehen, dass ich einen Willen praktisch nur schwer für messbar halte, ist es für das menschliche Zusammenleben entscheidend, sich darüber klar zu werden, ob ein bestimmter Wille gut oder böse ist. Nehmen wir ultimativ böse Dinge wie Vergewaltigung oder Mord (aus niederen Motiven, nicht aus Selbstverteidigung), die sind auch von jemandem gewollt. Es hilft nichts, festzustellen, dass Person A töten will und Person B überleben will, wenn es darum geht, festzulegen, welchen dieser beiden Willen, um in deinem Denksystem zu bleiben, schützenswerter ist. Davon abgesehen fällt ein Wille nicht vom Himmel, sondern wird geprägt von genau solchen Einschätzungen, wie unter anderem der, ob es moralisch vertretbar ist, jemanden zu töten. Menschen töten viel eher, wenn man ihnen eingeschärft hat, dass sie im Namen einer guten Sache töten und sie töten viel weniger, wenn sie verstanden haben, dass sie etwas verdammenswertes tun. Reflexionen und Abwägungen sind also nötig und haben auch einen messbaren Einfluss, und um nichts anderes geht es in normativen Diskussionen.

Darth Nefarius hat geschrieben:Ich sage nicht, dass es wichtig ist, sich Gedanken über diese Dinge zu machen, aber sofern etwas angestrebt wird, empfiehlt sich Handlung xyz oder ist eine logische Konsequenz ( andere Parameter einschließlich). Wenn ich von alternativen Stoffwechselvorgängen und ihren Bedingungen (oder gleich den Ursachen) spreche, ist das keine normative Aussage, wenn ich feststelle, was für ein Weg von der Zelle eingeschlagen wird.

Jetzt drück dich halt nicht schon wieder. Dass etwas angestrebt wird ist trivial, entscheidend ist doch, zu entscheiden, ob es richtig ist, etwas anzustreben, und warum es das ist oder nicht ist.

Darth Nefarius hat geschrieben:Nichts befindet sich außerhalb der Erfassbarkeit des naturwissenschftlichen Denkens.

Ähm... doch. Aber wenn du auf dieser Prämisse bestehst und dich auf das, was du als naturwissenschaftliches Denken bezeichnest, bestehst, liegt natürlich per definitionem auch vieles, wovon ich rede, außerhalb der Erfassbarkeit deines Denkens. Und das war jetzt sogar wirklich nicht nur eine Behauptung, sondern ein logischer Schluss. ;-)

Darth Nefarius hat geschrieben:Allein um etwas theoretisch (und hauptsächlich praktisch, der große Vorteil gegenüber den Geisteswissenschaftlern!) zu beschreiben erfordert nicht selten eine neuerfindung oder neue Kombination aus verschiedenen bekannten Verfahren. Kaum ist etwas Gegenstand der Forschung, schon wird es selbst zu Analyse verwendet. Antikörper sind ein gutes Beispiel. Die Schöpung ist die logische Konsequenz aus einem Willen, der die Welt kontrollieren will. Diesem Willen entspringt die Neugier, die Naturwissenschaften. Neugier ist kein Selbstzweck, deswegen kann die Naturwissenschft nicht auf sich selbst beschränkt werden.

Ne.. sorry, ich steig glaub ich wieder aus, aus dieser Diskussion mit dir. Ich hoffe, du schaffst mal irgendwas Gutes in der Biologie mit deiner Neugier, gegen die überhaupt nichts einzuwenden ist, aber solange du keine Neugier für irgendetwas außerhalb deines Mikrokosmos aufbringen kannst, lasse ich das. Nichts für ungut, aber das ist mir zu anstrengend.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 10. Nov 2012, 16:06

Nanna hat geschrieben:Mal davon abgesehen, dass ich einen Willen praktisch nur schwer für messbar halte, ist es für das menschliche Zusammenleben entscheidend, sich darüber klar zu werden, ob ein bestimmter Wille gut oder böse ist.

Nein, es ist entscheidend, ob er nützlich und kooperativ ist oder nicht (evtl. schädlich). Gut und Böse sind moralische Kategorien, aber wenn in einer halbwegs guten Argumentation angewandt, synonym für die erwähnten Begriffe.
Nanna hat geschrieben:Nehmen wir ultimativ böse Dinge wie Vergewaltigung oder Mord (aus niederen Motiven, nicht aus Selbstverteidigung), die sind auch von jemandem gewollt.

Das ist nicht ultimativ böse, sondern schädlich (manchmal auf eine Krankheit, wieder etwas absolut Messbares, zurückzuführen).
Nanna hat geschrieben:Es hilft nichts, festzustellen, dass Person A töten will und Person B überleben will, wenn es darum geht, festzulegen, welchen dieser beiden Willen, um in deinem Denksystem zu bleiben, schützenswerter ist.

Schützenswerter ist der kooperativere, nützlichere, weniger schädliche. Ein Verbrecher ist gefährlicher und schädlicher als das Opfer.
Nanna hat geschrieben: Davon abgesehen fällt ein Wille nicht vom Himmel, sondern wird geprägt von genau solchen Einschätzungen, wie unter anderem der, ob es moralisch vertretbar ist, jemanden zu töten.

Nichts, was von den Naturwissenschften erfasst wird, fällt vom Himmel (außer Asteroiden, Meteroiden, Sateliten, ... :mg: ). Und nein, der Wille wird nicht durch moralische Einschätzungen geformt, sondern von instinktiven, manchmal langfristig irrationalen, teilweise unbewussten Kriterien. Moral ist nur eine Rechtfertigung im Nachhinein auf eine schon gefällte Entscheidung.
Nanna hat geschrieben: Menschen töten viel eher, wenn man ihnen eingeschärft hat, dass sie im Namen einer guten Sache töten und sie töten viel weniger, wenn sie verstanden haben, dass sie etwas verdammenswertes tun.

Es bringt nichts, mit dem gleichen Argument 2 verschiedene Sachen zu predigen. Die einen erklären dir, dass es moralisch ist, zu töten, die anderen sagen das gegenteil mit gleicher Begründung. Damit ist Moral ungeeignet, um ein stabiles Miteinander zu ermöglichen. Die Argumentation muss sich ändern und logischer werden: Es ist nicht empfehlenswert zu töten, wenn sich kein Nutzen oder eher ein Schaden ergibt (das ist meist der Fall), zudem könnten emotionale Regungen die Tat bereuen lassen oder Empathie wecken. Das ist eine schlüssige Argumentation, die nicht auf die gegenteilige Handlung (das Töten) anzuwenden ist. Deswegen ist sie besser als Moral.
Nanna hat geschrieben:Reflexionen und Abwägungen sind also nötig und haben auch einen messbaren Einfluss, und um nichts anderes geht es in normativen Diskussionen.

Reflexionen und Abwägungen sind Mechanismen, die auch durch Naturwissenschaft erfassbar sind. Zumindest, wenn man logisch und ohne Moral argumentiert (ohne das Sollen, die Moral, nur mit dem Willen).
Nanna hat geschrieben:Jetzt drück dich halt nicht schon wieder. Dass etwas angestrebt wird ist trivial, entscheidend ist doch, zu entscheiden, ob es richtig ist, etwas anzustreben, und warum es das ist oder nicht ist.

Ich drücke mich nicht, ich halte es schlichtweg für verlogen und nicht notwendig meinen Willen zu moralisieren. Es gibt genug Leute, die ihn verteufeln. Mein Wille setzt sich aus Motiven, und die aus Instinkten zusammen. Frei von Moral. Ich bin Nietzsches Traum.
Nanna hat geschrieben:Ne.. sorry, ich steig glaub ich wieder aus, aus dieser Diskussion mit dir. Ich hoffe, du schaffst mal irgendwas Gutes in der Biologie mit deiner Neugier, gegen die überhaupt nichts einzuwenden ist, aber solange du keine Neugier für irgendetwas außerhalb deines Mikrokosmos aufbringen kannst, lasse ich das. Nichts für ungut, aber das ist mir zu anstrengend.

Der Mikrokosmos ist mit dem Makrokosmos verbunden. Das leben vieler hing und hängt von kleinsten Determinanten wie Toxinen, Phagen, Viren und dergleichen ab. Die mächtigsten Menschenn können diesem Mikrokosmos erliegen, alles verliert an Bedeutung, wenn kleinste Einflüsse dich zur Strecke bringen. Das ist das Konzentrat an Macht, Potential auf kleinstem raum, das die Welt verändern kann.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 10. Nov 2012, 19:29

Darth Nefarius hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Mal davon abgesehen, dass ich einen Willen praktisch nur schwer für messbar halte, ist es für das menschliche Zusammenleben entscheidend, sich darüber klar zu werden, ob ein bestimmter Wille gut oder böse ist.

Nein, es ist entscheidend, ob er nützlich und kooperativ ist oder nicht (evtl. schädlich). Gut und Böse sind moralische Kategorien, aber wenn in einer halbwegs guten Argumentation angewandt, synonym für die erwähnten Begriffe.
Nanna hat geschrieben:Nehmen wir ultimativ böse Dinge wie Vergewaltigung oder Mord (aus niederen Motiven, nicht aus Selbstverteidigung), die sind auch von jemandem gewollt.

Das ist nicht ultimativ böse, sondern schädlich (manchmal auf eine Krankheit, wieder etwas absolut Messbares, zurückzuführen).

Du nennst doch selber den hier wesentlichen Unterschied, den Grund, warum man zwischen "böse" und "schädlich" unterscheidet, warum das keine Synonyme sind und warum das unterschiedlich behandelt wird: es ist einfach praktisch ein Unterschied, ob jemand krank, z.B. ein Psychopath ist (und daher seine Handlungen nicht kontrollieren kann) oder ob jemand einer Argumentation ("Deine Handlungen sind schädlich für andere") zugänglich ist und daraufhin evtl. seine künftigen Handlungen darauf anpassen kann. Daher sollte man nicht "böse" nicht auf "schädlich" reduzieren.

Einzig entscheidend ist also nicht, ob etwas schädlich ist, sondern zusätzlich wichtig ist, wie man schädliches Verhalten/schädliche Auswirkungen künftig unterbinden kann.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 10. Nov 2012, 21:33

AgentProvocateur hat geschrieben:Du nennst doch selber den hier wesentlichen Unterschied, den Grund, warum man zwischen "böse" und "schädlich" unterscheidet, warum das keine Synonyme sind und warum das unterschiedlich behandelt wird: es ist einfach praktisch ein Unterschied, ob jemand krank, z.B. ein Psychopath ist (und daher seine Handlungen nicht kontrollieren kann) oder ob jemand einer Argumentation ("Deine Handlungen sind schädlich für andere") zugänglich ist und daraufhin evtl. seine künftigen Handlungen darauf anpassen kann.

Wenn ich "z.Bsp." schreibe, dann gibt es noch andere Dinge, die die Handlung determinieren und einem die Kontrolle entziehen (sofern überhaupt je vorhanden). Krankheit war ein BEISPIEL. Es gibt noch diverse andere Gründe, warum ein Verhalten schädlich sein kann; diese sind weder böse, noch machen sie böse. Schädliches Verhalten ist nichts, dass argumentativ grundsätzlich zu entkräften ist (also auch seine Logik, seinen langfristigen Nutzen haben kann). Dann kann Schaden nicht wissentlich erzeugt werden, da unterscheiden Gerichte genz penibel. Und dann können kurzfristig nützliche Handlungen langfristig schaden und umgekehrt. Findest du nicht, dass du es dir zu einfach machst?
Deswegen ist Zugänglichkeit zu Argumenten kein Kriterium für das Böse (in Verbindung mit dem Schaden). Dein Beispielargument "deine Handlungen sind schädlich für andere" soll die Empathie ansprechen, aber ein Empathieloser wäre wegen seines Defizits kein Böser. Evtl. könnte man wieder von Krankheit reden, aber sobald wir ein atypisches Verhalten beobachten, kann Krankheit nicht ausgeschlossen werden. Ich habe z.Bsp. im Studium gelernt, dass sich so gut wie jede Krankheit auf genetische Ursachen zurückführen lassen kann (direkt oder indirekt). Vielleicht lässt sich wiederum jedes atypische Verhalten auf eine Abnormität zurückführen. Krankheit ist als etwas Schädliches, Atypisches (nicht Böses!) definiert. Es ist ermüdend, dass sich Moralisten grundsätzlich einen Feind ("das Böse") suchen müssen, damit sie sich die Welt einfach machen können und wiederum ihre Grausamkeit rechtfertigen können (eine der schädlichsten Eigenarten mancher Menschen ist, dass sie das Böse festmachen, dieses natürlich verhindern, ausmerzen wollen. Was Folgt dann?). Anstatt zu überlegen, was dieses schädliche Verhalten verursachte, bleibt ein Moralist mit der Antwort, dass etwas Böse ist, zufrieden. Selbst wenn man keine Krankheit feststellen kann, so bleiben noch viele andere Möglichkeiten, um dieses Verhalten zu verursachen (Not, nicht betrachtete, unausweichliche Situationen, Zwang). Es gibt da soetwas wie Kausalität, die muss man bedenken.
AgentProvocateur hat geschrieben:Einzig entscheidend ist also nicht, ob etwas schädlich ist, sondern zusätzlich wichtig ist, wie man schädliches Verhalten/schädliche Auswirkungen künftig unterbinden kann.

Das ist eine andere Fragestellung, die nichts mit deiner "Schlussfolgerung" zu tun hat.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 10. Nov 2012, 22:51

Darth Nefarius hat geschrieben:Findest du nicht, dass du es dir zu einfach machst?

Nein.

Darth Nefarius hat geschrieben:
AgentProvocateur hat geschrieben:Einzig entscheidend ist also nicht, ob etwas schädlich ist, sondern zusätzlich wichtig ist, wie man schädliches Verhalten/schädliche Auswirkungen künftig unterbinden kann.

Das ist eine andere Fragestellung, die nichts mit deiner "Schlussfolgerung" zu tun hat.

Nun, Du hast behauptet, Schädlichkeit sei synonym zu "böse" (bzw. moralisch falsch), sei also dasselbe. Und dem ist schlicht nicht so, wie dargelegt.

Deine ganzen Strohmänner ("Moralist", Feind, "das Böse", Grausamkeit, etc. pp.) finde wiederum ich ziemlich ermüdend.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 11. Nov 2012, 09:11

Das Problem ist, wie Agent und Nanna schreiben, dass nicht klar ist, wie man mit einer deskriptiven Sprache überhaupt in eine normative Einstellung hineinkommen soll. Aus Beschreibungen von Zuständen, so genau und zutreffend sie sein mögen, folgen keine Anweisungen wie es mit diesen Zuständen weiter geht, sie sind einfach in diesem Moment da: Sollte man sie verändern? Sollte man versuchen sie beizubehalten? Sollte man sie versuchen zu optimieren?

Gesetzt, ich wüsste exakt, was im Hirn eines Mörders vor sich geht. Soll ich den Mörder dann versuchen zu verändern? Soll ich versuchen, aufgrund des Wissens künftige Morde zu verhindern? Aber ja doch, könnte man sagen, ist doch klar. Aber das wäre bereits eine normative Forderung, abgeleitet aus der Ansicht, Mord sei zu vermeiden oder eben schlecht.

Aber diese Forderung ergibt sich nicht aus dem Wissen, wie ein Mörder denkt, sondern aus der Überzeugung, dass man Mord verhindern sollte. (Kurze Anmerkung: Mord setzt immer schon das Motiv der niederen Beweggründe voraus, im anderen Fall spräche man von Tötung oder Totschlag.)

Also muss man diese Forderung setzten oder einfordern. Dies ist aber nicht willkürlich oder unbegründet, weil es ja menschengemacht ist, sondern gerade im Gegenteil. Der Mensch kann begründen, dass und warum Mord nicht sein sollte und Moral ist die wechselseitige oder intersubjektive Absprache darüber, wie man miteinander leben will.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 11. Nov 2012, 10:25

Übrigens ist das Thema Mord gut geeignet, wie mir scheint, den Sachverhalt unterschiedlicher Intentionen und Einschätzungen zu illustrieren:
Wenn jemand durch äußere Einflüsse stirbt, dann bewerten wir das durchaus unterschiedlich, obwohl das Ergebnis immer dasselbe ist: Jemand ist durch äußere Gewalteinwirkung (oder unterlassene Hilfe) gestorben.

Wenn jemand aus Habgier, Vertuschung einer anderen Straftat, Spaß an der Gewalt usw. getötet wird, sprechen wir von Mord, der Vorsatz muss dabei sein.

Im Falle der Notwehr würde wir hier sogar eine Ausnahme machen und gezielte und absichtsvolle Tötungen (aber nicht aus niederen Motiven), wenn angemessen, dulden.

Stirbt jemand auf dem OP-Tisch durch einen Kunstfehler, wären wir empört und würden Aufklärung verlangen, aber keinen Mord unterstellen (es sei denn Hinweise deuten in diese Richtung), sondern in aller Regel Schlamperei.

Wenn jemand beim Versuch jemanden nach einem Unfall aus seinem Auto zu retten, sich dabei selbst in Gefahr begibt und diesen Menschen dabei tragischerweise (entgegen der Absicht) tötet, sind wir irgendwie im Zwiespalt. Hätte er warten sollen, bis kompetente Hilfe kommt, wenn er weiß, dass er zu wenig Ahnung hat. Aber nur daneben zu stehen und zuzuhören, wie einer entsetzliche schreit… Ein Dilemma.

Was aber, wenn ein Tiger aus einem Zoogehege ausbricht und einen Zoobesucher tötet?
Wir geben dem Tiger nicht die Schuld, obwohl der doch der „Täter“ war, sondern suchen danach, wer den Käfig aufgelassen hat und würden so in Richtung fahrlässige Tötung gehen.
Und hier wird ja schon klar, dass wir dem Tiger dem eigentlichen „Mörder“ – aber das würde nur die Bild-Zeitung schreiben – überhaupt nicht die Schuld geben, wohl aber dem Tiefpfleger, oder wem auch immer. Wir unterstellen, dass der Tiger – in moralischer Hinsicht – gar nicht anders konnte. Der ist ein Raubtier, das kann man ihm nicht vorwerfen, aber dem Pfleger unterstellen wir, er hätte es besser machen können, nämlich aufpassen.

Überhaupt gehen wir mit den Tötungen der Natur recht gelassen um. Ein Tsunami killt Hunderte, wir schreien nach Frühwarnsystemen, aber niemand klagt „die Natur“ an. Warum eigentlich? Weil wir der Natur eben keine Absichten unterstellen.

Dort wo tragische Unfälle, fahrlässige Tötung, unterlassene Hilfeleistung, Mord und Notwehr allesamt zu Naturereignissen gemacht werden, spricht man im Grunde allen die Vernunft ab.
Wir stellen uns nicht ans Meer und reden auf die Natur ein, in der Hoffnung, sie möge in Zukunft solche Tsunamis lassen. Wir erwarten auch nicht, sie sei lernfähig und würde beim nächsten Mal keinen Tsunami mehr machen.

Bei einigen Tätern hoffen wir, dass sie einsichtig sind, was manchmal durchaus passiert.
Falls nicht, hoffen wir wenigstens, dass sie lernfähig sind und auf Strafe reagieren.

Lernfähigkeit, wie primitiv auch immer, könnte einen Mechanismus darstellen, der die „dumme“ und unbelebte Natur, von einigen ihrer Bewohner unterscheidet.
Und wo unbewusste Lernfähigkeit, die einfach ein Konditionierungsvorgang sein kann, in Lernen oder Verhaltensveränderung oder anderer Begründung aus Einsicht übergeht, ist m.E. eine neue qualitative Bewusstseinsstufe erreicht.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon donquijote » So 11. Nov 2012, 13:00

xander1 hat geschrieben:Ich will ja nicht unterstellen, dass die Evolution quasi "bewusst" ein Ziel hatte, aber wenigstens dass sie scheinbar ein Ziel gehabt haben muss, bzw. eigtl. mehrere.


Das ist das gleiche Problem wie beim sogenannten Arterhalt. Richard Dawkins hat sehr plausibel dargestellt, dass es keinen übergeordneten Arterhalt gibt (bzw. geben muss). Stattdessen wird die Evolution einer Art durch das Streben aller Individuen, ihre genetischen Kompetenzen zu bewahren (= Genegoismus), hervorgebracht. Die Evolution verfolgt demnach keine Ziele, lediglich die Evolutionsakteure. Und letztere müssen das in einem zerfallenden Universum auch tun, wie in Systemische Evolutionstheorie gezeigt wird.

Ziele verfolgen steht hier übrigens für zielgerichtetes Handeln, nämlich nicht schlechter zu werden (für das Streben, die vorhandenen Kompetenzen/das vorhandene Wissen zu bewahren).

Ein anderer weitverbreiteter Irrtum: Viele glauben, Evolution oder meinetwegen auch die Lebewesen strebten nach irgendetwas Höherem oder danach besser zu werden bzw. zu sein als andere. In der Systemischen Evolutionstheorie wird hingegen gezeigt, dass eine sich höher entwickelnde Evolution (oder auch Wachstum) bereits dann stattfindet, wenn die Evolutionsakteure lediglich danach streben, sich nicht zu verschlechtern.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » So 11. Nov 2012, 13:49

AgentProvocateur hat geschrieben:Nun, Du hast behauptet, Schädlichkeit sei synonym zu "böse" (bzw. moralisch falsch), sei also dasselbe. Und dem ist schlicht nicht so, wie dargelegt.

:lachtot: Was hast du bitte dargelegt? Du hast geschrieben, dass es einen praktischen Unterschied gäbe und dieser die Zugänglichkeit für Argumente sei. Das ist purer Unsinn, es gibt neben Krankheit noch andere Dinge, die schädliches Verhalten verursachen können. Und dann hast du immer noch nicht klargestellt, was dir an Schaden wichtig ist: Aktueller? Unmittelbarer? Grundsätzlicher? Wenn du dich ein wenig anstrengst, wirst du erkennen, dass eine Handlung verschiedene Ursachen zu unterschiedlichen Zeiten oder zur selben haben kann. Somit kann eine Handlung einerseits nützlich und dann wieder schädlich sein. Krankheit hast du nicht hinreichend definiert, was nötig wäre, da ich es getan habe und dadurch mehrere Einordnungen zulasse. Abgesehen bist du auch nicht für Argumente zugänglich, hast deine Überzeugung. Bist du also krank oder böse (oder hast du kognitive Defizite)?
Vollbreit hat geschrieben:Aus Beschreibungen von Zuständen, so genau und zutreffend sie sein mögen, folgen keine Anweisungen wie es mit diesen Zuständen weiter geht, sie sind einfach in diesem Moment da: Sollte man sie verändern? Sollte man versuchen sie beizubehalten? Sollte man sie versuchen zu optimieren?

Warum sollte ich einen Zwang verspühren, Anweisungen aus deskriktiven Beschreibungen abzuleiten? Warum muss ich ein Sollen formulieren (für mich oder andere)? Der Wille mit einem langfristig denkenden Verstand reicht völlig aus.
Der Automatismus, nach einem Sollen zu fragen zeigt nur mangelnde Entschlossenheit und unzureichendes Denken. Diese Hilflosigkeit mag durch Anweisungen etwas zurückgestellt werden, macht aber extrem zugänglich für Manipulation und Missbrauch.
Vollbreit hat geschrieben:Gesetzt, ich wüsste exakt, was im Hirn eines Mörders vor sich geht. Soll ich den Mörder dann versuchen zu verändern? Soll ich versuchen, aufgrund des Wissens künftige Morde zu verhindern? Aber ja doch, könnte man sagen, ist doch klar. Aber das wäre bereits eine normative Forderung, abgeleitet aus der Ansicht, Mord sei zu vermeiden oder eben schlecht.

Du sollst gar nichts, frage dich lieber etas selbstbewusster, was du willst. Der Wille ist kein Sollen. Dass du und andere so unsicher sind in dem, was sie tun, fordert nicht, dass es euch gesagt werden muss, sondern dass ihr die nötigen E.er findet, um euch selbst zu entscheiden.
Somit sind deine Schlussfolgerungen bereits falsch.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 11. Nov 2012, 14:17

donquijote hat geschrieben:Das ist das gleiche Problem wie beim sogenannten Arterhalt. Richard Dawkins hat sehr plausibel dargestellt, dass es keinen übergeordneten Arterhalt gibt (bzw. geben muss). Stattdessen wird die Evolution einer Art durch das Streben aller Individuen, ihre genetischen Kompetenzen zu bewahren (= Genegoismus), hervorgebracht.


Ich finde das ist überhaupt nicht überzeugend dargestellt und die Gegenargumente von Eibl-Eibesfeldt sind nach meinem Dafürhalten mindestens ebenso überzeugend.
Den Ausschlag pro Dawkins in der Biologie hat eine spieltheoretische (idealisierte und darum nichtempirische) Konstellation gegeben, in der der Vorteil von Komment- und Beschädigungskämpfern durchgespielt wurde, mit willkürlich gesetzten Zahlenwerten für Kontexte, die mehr wegließen als betrachteten, alles in allem also alles andere als plausibel.

donquijote hat geschrieben:Die Evolution verfolgt demnach keine Ziele, lediglich die Evolutionsakteure. Und letztere müssen das in einem zerfallenden Universum auch tun, wie in Systemische Evolutionstheorie gezeigt wird.


Ist denn die Evolution etwas von ihren Teilnehmern getrenntes?

donquijote hat geschrieben:Ziele verfolgen steht hier übrigens für zielgerichtetes Handeln, nämlich nicht schlechter zu werden (für das Streben, die vorhandenen Kompetenzen/das vorhandene Wissen zu bewahren).


Besser und schlechter sind Begriffe, auf die Naturalisten gerne verzeichten.
Für sie gibt es passend und nützlich.

donquijote hat geschrieben:Ein anderer weitverbreiteter Irrtum: Viele glauben, Evolution oder meinetwegen auch die Lebewesen strebten nach irgendetwas Höherem oder danach besser zu werden bzw. zu sein als andere. In der Systemischen Evolutionstheorie wird hingegen gezeigt, dass eine sich höher entwickelnde Evolution (oder auch Wachstum) bereits dann stattfindet, wenn die Evolutionsakteure lediglich danach streben, sich nicht zu verschlechtern.


Das ist ein ebenso wertendes Szenario.
Wenn der Clou darin liegt, „höher“ oder „besser“ als „nicht schlechter“ zu verkaufen, ist das alter Wein in neuen Schläuchen.
Beschränkt man sich auf Termini wie „nützlicher“ fragt sich gleich: Für wen?
Für die Evolution schon mal nicht, die strebt ja nicht. Bleibt das Individuum.

Kommt dann raus, dass Individuen nicht nach Höherem streben, sondern sich nicht verschlechtern wollen. Wissen die das? – Dann hätten sie Werte. Wissen sie es nicht, können sie auch nicht wollen.
Die Aussage ist, dass sie sich nur anpassen, wertlos, je nach dem was für sie, irgendwie automatisch, nützlich ist. Woher weiß man das?

Sind das nicht die Annahmen, die man vorausgesetzt hat?
Zuletzt geändert von Vollbreit am So 11. Nov 2012, 14:30, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » So 11. Nov 2012, 14:28

Darth Nefarius hat geschrieben:Warum muss ich ein Sollen formulieren (für mich oder andere)?

Vielleicht ist es für dich verständlicher, wenn du, zu Demonstrationszwecken, das Sollen mit deiner persönlichen Entscheidung für dein Wollen identifizierst und wenn wir erstmal NUR über dich reden (dich mit anderen zu identifizieren fällt dir ja äußerst schwer). Du musst dich ja regelmäßig entscheiden, was du willst, und "Was soll ich tun?" bedeutet hier erstmal (babysteps ;-)) nur "Was wäre am besten/sinnvollsten zu wollen, was ist die optimale Strategie?". Sobald du mehr als eine Handlungsalternative hast, musst du Prioritäten setzen und Möglichkeiten gegeneinander gewichten. Wir NENNEN einen solchen Prozess normativ, vergiss doch mal für einen Augenblick deine Angst vor diesem Wort und lass mal die Moral beiseite, und mach dir klar, dass es nur darum geht, eine Unterscheidung zwischen Zustandsbeschreibungen (deskriptiv; üblicherweise auf die Gegenwart bezogen) und Entscheidungen zwischen zukünftigen Handlungsmöglichkeiten (normativ, überlicherweise auf die Zukunft bezogen) zu treffen. Es geht erstmal gar nicht um irgendetwas schröcklich idealistisches, sondern nur darum, diese beiden Modi zu unterscheiden. Das wirst du ja noch hinkriegen, oder?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon donquijote » So 11. Nov 2012, 16:01

Vollbreit hat geschrieben: Ist denn die Evolution etwas von ihren Teilnehmern getrenntes?


Ja.

Vollbreit hat geschrieben:Besser und schlechter sind Begriffe, auf die Naturalisten gerne verzeichten.
Für sie gibt es passend und nützlich.


Wie bitte? Die gesamte evolutionsbiologische Literatur trieft vor Begriffen wie besser oder schlechter angepasst, größerer oder niedrigerer Fortpflanzungserfolg, fitter (als andere), günstigere oder weniger günstige Gene etc.

Schon wenn du passender oder nützlicher sagst, redest du von besser bzw. schlechter.

Vollbreit hat geschrieben:Das ist ein ebenso wertendes Szenario.
Wenn der Clou darin liegt, „höher“ oder „besser“ als „nicht schlechter“ zu verkaufen, ist das alter Wein in neuen Schläuchen.


Nun ja, wir reden heute vom Wachstumszwang unserer kapitalistischen Wirtschaft. Man kann aber zeigen, dass Wachstum bereits aus dem Bestreben, relativ nicht schlechter zu werden, entsteht. Und dieses Bestreben hat systemische Gründe.

Der Unterschied hat erhebliche Konsequenzen. Wer glaubt, Wachstum entstehe aus dem Bestreben, besser als andere zu sein (oder andere zu übervorteilen), der wird wertendere Konsequenzen aus den "Grenzen des Wachstums" ziehen als jemand, der nur annimmt, dies alles entstehe bereits aus dem Bestreben, in der Anpassung (in der Fähigkeit, Ressourcen zu erlangen und sich zu reproduzieren) nicht zurückzufallen.

Vollbreit hat geschrieben:Beschränkt man sich auf Termini wie „nützlicher“ fragt sich gleich: Für wen?
Für die Evolution schon mal nicht, die strebt ja nicht. Bleibt das Individuum.


nützlicher? Hattest du gerade nicht behauptet, Naturalisten würden kein "besser nützlich" kennen?

Vollbreit hat geschrieben:Kommt dann raus, dass Individuen nicht nach Höherem streben, sondern sich nicht verschlechtern wollen.


Nach Höherem streben oder nicht schlechter werden zu wollen (in Relation zu anderen und der Vergangenheit in der Fähigkeit, Ressourcen zu erlangen und die eigenen Kompetenzen zu reproduzieren) sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Letzteres ist eine naturalistische Aussage, Ersteres nicht.
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