Vollbreit hat geschrieben: Etwas zugespitzt kann man sagen, dass es eine PA vor und nach Otto Kernberg gibt.
Vollbreit hat geschrieben:Neben aller Bescheidenheit war die PA immer auch ein breites Experimentierfeld und so gab es zu Beginn eine Unklarheit bezüglich dessen, was die PA nun heilen kann und was nicht.
Vollbreit hat geschrieben: Es gibt immer wieder das Vorurteil, die PA sei im Grunde völlig wirkungslos, allein die menschliche Zuwendung, die Möglichkeit über sich und sein Probleme zu reden und die vergehende Zeit seien das was eigentlich heilt oder stabilisiert.
Vollbreit hat geschrieben:Spezifisch für die PA ist die Deutung im Dort und Dann, was nichts anderes ist, als der Ansatz gegenwärtige Konflikte im Lichte der PA zu deuten und mit früheren Erlebnissen in Beziehung zu setzen. Darum auch das Liegen, weil es Regressionen (im Dienste des Ich) erleichtert. Soll heißen, man soll zwischenzeitlich regredieren, um den Urkonflikt noch mal zu durchleben, um ihn dann anzugliedern, verstehen und hinter sich lassen zu können. ...
Vollbreit hat geschrieben: Wahrheit in der Psychoanalyse meint die eigene Geschichte immer besser verstehen zu können, mit Hilfe der Deutung des Analytikers. Und hier kommt der totalitäre Ansatz ins Spiel, wobei das eigentlich auch nicht so wild ist.
Vollbreit hat geschrieben:Entscheidend ist, neue Akzente zu setzen, neue Perspektiven anzubieten und das ist totalitär.
Zappa hat geschrieben:Das will ich nicht bestreiten, da ich mich in der Geschichte der PA auch nicht allzu gut auskenne. In der Tat gibt es mittlerweile eine wissenschaftlichen Strömung in den Psychfächer, die ernsthaft versucht therapeutische Aspekte zu objektivieren. Dazu konnte ich - im Rahmen meiner kurzen Google-Analyse - in den Vorträgen von Kernberg nichts finden, deswegen meine Generalkritik. Seine Lebensleistung will ich gar nicht schmälern.
Zappa hat geschrieben:Es ist noch viel schlimmer: Die PA weiß eigentlich gar nicht, was "gesund" und "krank" ist. Es gibt keine Definition psychischer Gesundheit und das ist ein ernstes Problem. Mittlerweile versucht man zunehmend soziologische Definitionen einzuführen ("solange in der Gesellschaft akzeptiert/funktionsfähig"), aber messbares springt dabei nicht raus (was ebenfalls ein Problem ist).
Zappa hat geschrieben:Wobei man zugeben muss: Wenn man einem knackdepressiven Menschen gegenüber sitzt, "weiß man irgendwie", dass der "krank" ist.
Zappa hat geschrieben:Bei anderen "Erkrankungen" sieht das anders aus (ADHS, Burn-Out etc.); da wird aber auch lustig drauf los behandelt.
Zappa hat geschrieben:Es ist interessant, dass Du hier von Vorurteil sprichst. Das ist eigentlich in weiten Bereichen der Psychfächer eine bekannte, anerkannte und mehrfach belegte Tatsache: Nicht die Therapie, sondern der Therapeut macht den Effekt.
Zappa hat geschrieben:Genau das meine ich mit Gesülze (sorry, dafür). Die PA legt viel zu viel Wert auf Theoriegebäude. An denen wird jahrelang gezimmert, es werden hunderte von Mannjahren investiert und für manche ist es eine Lebensaufgabe. Nur, wen juckt das? Wichtig ist nur, ob eine Therapie wirkt oder nicht.
Zappa hat geschrieben:Das lässt sich relativ einfach nachweisen (auch wenn es in der PA sicher noch mit am schwierigsten ist), nur hat es die PA-Community (mit wenige, modernen Ausnahmen) nie ernsthaft versucht. Wenn Kernberg da eine Ausnahme ist OK, ich kann mich da gerne eines besseren belehren lassen und ggf. seine Publikationen durchschauen.
Zappa hat geschrieben:Ein Gegenbeispiel: Aspirin wurde aus einem aus Weidenrinde extrahierten Bestandteil entwickelt, weil man schon lange wusste, das Extrakte aus der Rinde Entzündungen lindern. Da hat man einfach verschiedene Bestandteile extrahiert, deren entzündungshemmende Wirkung quantifiziert, gute Kandidaten synthetisiert und dann experimentell deren Wirkung untersucht. Ganz pragmatisch, Schritt für Schritt und mit Erfolg.
Zappa hat geschrieben:Der PA würde anfangen über die Beziehung Baum-Mensch zu philosophiere, die besondere Bedeutung der Weide gegenüber allen anderen Bäumen hervorzuheben und das Ganze irgendwie selbstreflexiv therapeutisch anzuwenden. Noch mal sorry, aber das ist Murks. Da kommt nichts vernünftiges bei raus, außer durch Zufall.
Zappa hat geschrieben:Natürlich kann man besonderes empfängliche Menschen durch "Baumstreicheln" glücklicher machen und damit "therapieren", aber wir sind uns doch wohl einig, dass das kein Effekt der Baumrinde oder Mensch-Baum Interaktion, sondern der zwischenmenschlichen Interaktion ist.
Über das "Baumstreichelstadium" ist 98% der PA bislang nicht hinaus gekommen, dass meine ich ernst.
Zappa hat geschrieben:Naja, wenn der Therapeut ein vernünftiger Mensch ist vielleicht. Es gibt aber auch Leute, die Patienten "vorgeburtlich-embryonale Traumata" einreden. Das Problem mit dieser "Wahrheit" ist halt die absolute Abhängigkeit von der subjektiven Überzeugung des Therapeuten, das ist für mich kein akzeptabler Wahrheitsbegriff.
Zappa hat geschrieben:Ich denke auch dass das ein wichtiger Aspekt ist. Letztendlich wird hier versucht eine andere Perspektive einnehmen zu lassen. Die Frage ist, ob das den Begriff eines "etablierten Therapieverfahrens" rechtfertigt. Ich habe durch die Lektüre von Hesse, Mann, Leary und Wilson/Shea auch mein Leben geändert, aber war diese Lektüre "therapeutisch"?
Zappa hat geschrieben:Ich bin da insgesamt altmodisch: Eine Therapie sollte von einem möglichst gut definierten Krankheitszustand zu einem möglichst gut definierten Gesundheitszustand führen, dass Ganze messbar, wiederholbar und unabhängig vom Therapeuten.
Zappa hat geschrieben:Und da scheitert die PA zu fast 100% (wie gesagt im Moment tut sich da was, auch mit den neurobiologischen Anätzen und den modernen Psychopharmaka*).
Zappa hat geschrieben:Was mich auch an deinem Text sehr stört: Die PA nehmen sich selber als Therapeuten viel zu wichtig. Eine Therapie sollte jeder halbwegs begabte Mensch anwenden können, dafür muss man nicht tief in seiner eigenen Psyche graben (finde ich).
Zappa hat geschrieben:Naja, dein Vertrauen in Ehren, ich persönlich glaube, dass das Rosenhan-Experiment* heute ähnliche Ergebnisse erbringen würde.
Zappa hat geschrieben:Wie gesagt, dass geht alles in die richtige Richtung, nur ist dass doch weiterhin die Ausnahme unter PA.
Zappa hat geschrieben:Die meisten Studien sind nach wie vor Fallserien und es gibt immer noch einen großen Teil von PA, die solchen Sachen ablehnend gegenüber stehen und das ganze philosophisch angehen. Du beschreibst die wissenschaftliche Speerspitze der PA, ich die gängige Praxis. Ich glaube darin sind unserer unterschiedlichen, vorläufigen Fazits begründet. Inhaltlich sind wir wohl gar nicht so weit auseinander.
Vollbreit hat geschrieben: Ich kannte das auch noch nicht. Aber das Ergebnis wundert mich nicht, macht mich aber auch nicht sonderlich misstrauisch.
Vollbreit hat geschrieben:Mal so unter uns. Mir sind Studien vergleichsweise egal.
Vollbreit hat geschrieben: Ich sehe auch nicht, dass die Analytiker in der Praxis da groß ideologisch eingestellt wären, woher hast Du denn da Dein Wissen? Aber sicher ist in den letzten Jahren da auch eine Veränderung vor sich gegangen, wie überhaupt auch erfreulich vielen Gebieten ein pragmatischer Wind weht.
Vollbreit hat geschrieben:
Man kann viel Geld damit machen, wenn man einen Narzissten über Jahre immer wieder ein wenig über Wasser ...
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben: Ich kannte das auch noch nicht. Aber das Ergebnis wundert mich nicht, macht mich aber auch nicht sonderlich misstrauisch.
Aber mich. Natürlich wurden die Ärzte und Psychologen da etwas rein gelegt, allerdings zeigt der Versuch sehr schön, dass die keine objektivierbaren Krankheitsparameter an der Hand haben. Und das kann schnell problematisch werten. Aktuelle Beispiele sind die epidemieartigen Zunahmen der Diagnosen ADHS und Burn-Out (wohlgemerkt: der Diagnosen, nicht der Erkrankungen!).
Zappa hat geschrieben:Es gibt ja mittlerweile Schulklassen in denen ein Großteil der Jungen unter Medikamenteneinfluss dem Unterricht folgen sollen, weil Lehrerinnen, Ärzte und Psychologen normales Jungenverhalten pathologisieren.
Zappa hat geschrieben:Und Burn-Out (eine Erkrankung, die es offiziell gar nicht gibt)…
Zappa hat geschrieben:führt zu enormen gesellschaftlichen Kosten, da die Leute, die früher wegen "Rücken" angeblich nicht arbeiten konnten sich heutzutage eben ihr Burn-out nehmen.
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Mal so unter uns. Mir sind Studien vergleichsweise egal.
Mir nicht.
Zappa hat geschrieben:Ich kenne eine Handvoll und die pragmatisch eingestellten, eher neurobiologisch orientierten, beschweren sich genauso über die psychoanalytischen Ideologen.
Zappa hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:
Man kann viel Geld damit machen, wenn man einen Narzissten über Jahre immer wieder ein wenig über Wasser ...
Auch meiner Meinung nach ein ernstes Problem, hinzu kommen die langen Wartezeiten für akute Probleme, weil tlw. Befindlichkeitsstörungen in monatelangen Gruppensitzungen mit hübschem Gewinn "therapiert" werden.
Vollbreit hat geschrieben: Papier ist geduldig, Studien so oft gefälscht, dass man kaum noch weiß, welche echt sind. Und Du schreibst kenntniseich genug, um das zu wissen.
Zappa hat geschrieben:Das ist ein merkwürdiges Argument gegen den Wert von Studien. Man kann doch den Missbrauch wissenschaftlicher Praxis (aus Karriereüberlegungen, in betrügerischer Absicht, aus finanziellen Interessen) nicht gegen dieselbe wenden.
Zappa hat geschrieben:Der Link mit den Depressionen überzeugt mich auch nicht vollkommen (womit ich explizit kein Problem damit hätte, wenn Depressionen zunähmen). Interessant und neu für mich sind allerdings die Vergleichsdaten der Alterskohorten. Die Beobachtung, dass vor allem reaktive, also nicht die endogenen Depressionen, zunehmen, hat aber doch nichts mit unserer Lebensrealität zu tun.
Zappa hat geschrieben:Uns geht es immer besser, die Lebensrisiken werden immer kleiner und die Anzahl (und Schwere) reaktiver Depressionen soll zunehmen?
Zappa hat geschrieben:Das macht kein Sinn. Während und nach dem zweiten Weltkrieg z.B. hätte ich eine Epidemie depressiver Erkrankungen verstanden, nur hatten die Leute damals keine Zeit für so was und es hat an gesellschaftlicher Akzeptanz gefehlt.
Zappa hat geschrieben:Ich denke der Trend lässt sich am besten mit der zunehmenden Akzeptanz dieser Erkrankungen erklären, früher hat man sich halt einfach nicht getraut sich als "Irrer" zu outen.
Zappa hat geschrieben:Das darüber diskutiert wird Burnout in den ICD zu übernehmen weiß ich, ich habe aber oben den Präsens verwendet.
Zappa hat geschrieben:Ich will damit andeuten, dass man manchen Menschen vielleicht auch keinen Gefallen tut wenn man Sie mit einer schwammigen Diagnostik falsch etikettiert.
Zappa hat geschrieben:Ich ignoriere nicht die Probleme des Wissenschaftsmissbrauches, sondern fordere mehr exakte Wissenschaft ein.
Otto Kernberg hat geschrieben:Sowohl die Methode der deskriptiven Diagnose, die sich auch die Symptome und beobachtbares Verhalten konzentriert, als auch die Methode der genetischen Diagnose, die den Nachdruck auf psychische Störungen bei den biologischen Verwandten des Patienten legt, haben durchaus ihre Verdienste, besonders bei Fällen von schweren Affektstörungen und Schizophrenie. Keine der beiden Methoden hat sich jedoch im Hinblick auf Persönlichkeitsstörungen als ausreichend präzise erweisen, unabhängig davon, ob man sie kombiniert oder getrennt angewandt hat.
Ich glaube, dass das Verständnis der intrapsychischen strukturellen Charaktermerkmale von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsorganisation, wenn man es mit den Kriterien aus der deskriptiven Diagnostik kombiniert, zu einer erheblichen Verbesserung der diagnostischen Präzision führen kann.
(Otto Kernberg, Schwere Persönlichkeitsstörungen, Klett-Cotta, 1984,deutsch 1985, S.15)
[…]
In allen drei Fällen [Neurotiker, Borderline-Patienten, Psychotiker - Vollbreit] wirkt die strukturelle Organisation als Stabilisator für den psychischen Apparat, indem sie zwischen ätiologischen Faktoren und unmittelbar krankhaften Verhaltensäußerungen vermittelt. Ungeachtet der genetischen, konstitutionellen, biochemischen, familiären, psychodynamischen und psychosozialen Faktoren, die zur Ätiologie der Krankheit beitragen, reflektieren sich die Auswirkungen all dieser Faktoren schließlich in der psychischen Struktur des Individuums. Sie wird dann zur zugrundeliegenden Matrix, aus der sich Verhaltenssymptome entwickeln.
(ebd., S.18 )
Zappa hat geschrieben:Und das fängt mit möglichst genau definierten Krankheitsentitäten an, wo ich beim Burnout momentan noch Verbesserungsbedarf vermute.
Irvin D. Yalom hat geschrieben: Die Gefahren der empirisch valuierten Therapie
Das Konzept der EVT (empirisch valuierten Therapie) hat in jüngster Zeit eine enorme Wirkung - bisher ausschließlich negativer Art - auf das Gebiet der Psychotherapie. Von vielen Krankenversicherungen werden nur noch Therapien genehmigt, die empirisch valuiert sind - was in der Realität auf eine kurze kognitive Verhaltenstherapie (KVT) hinausläuft. Psychologische Fachbereiche, die Diplome und Doktorate vergeben, gestalten ihre Lehrpläne und konzentrieren sich auf eine Ausbildung in den EVTs; bei Prüfungen, mit denen Zulassungen erteilt werden, achtet man darauf, dass die Psychologen vom Wissen um die Überlegenheit der EVT durchdrungen sind, und Bundeseinrichtungen, die die Psychotherapie mit Forschungsgeldern unterstützen, haben besonderes Wohlgefallen an der EVT-Forschung.
All diese Entwicklungen wirken sich für viele erfahrene Kliniker, die täglich mit Vertretern der Krankenkassen konfrontiert sind, welche auf EVTs bestehen, störend aus. Ältere Therapeuten sehen sich eine scheinbaren Lawine wissenschaftlicher Zeugnisse gegenüber, die beweisen, dass ihr eigener Ansatz weitaus weniger effektiv ist als derjenige, der von jüngeren (und billigeren) Therapeuten angeboten wird, die in erstaunlich kurzen Zeiträumen eine KVT nach Handbuch durchführen. Im tiefsten Innern wissen sie, dass das nicht mit rechten Dingen zugeht; sie argwöhnen das Vorhandensein von Rauch und Spiegeln, haben jedoch keine auf Beweise gegründete Antwort darauf, deshalb stecken sie in den meisten Fällen zurück und versuchen, weiter ihrer Arbeit nachzugehen in der Hoffnung, der Albtraum möge bald vorüber sein.
Metaanalytische Veröffentlichungen jüngeren Datums stellen das Gleichgewicht zum Teil wieder her. (Ich beziehe mich vor allem auf die exzellente Arbeit von Weston und Morrison - How Empirically Valid are EVPs? A Critical Appraisal.) Zunächst sollte man nicht vergessen, dass nicht-valuierte Therapien keine von vornherein widerlegten Therapien sind. Die Forschung muß, wenn sie fundiert sein soll, einem klaren Plan folgen, der mit den Tests der Wirksamkeit von Medikamenten vergleichbar ist. Ein solcher Plan erfordert "reine" Patienten (das heißt, Patienten mit einer einzigen Störung ohne Symptome aus anderen diagnostischen Kategorien - ein Patiententyp, den man in der klinischen Praxis kaum antrifft), ein kurze therapeutische Intervention und einen wiederholbaren Behandlungsmodus - am liebsten nach Handbuch, das heißt ein Verfahren, das sich auf einen Schritt für Schritt vorgeschriebenen Leitfaden reduzieren lässt. Diese Methode begünstigt die KVT deutlich und schließt die meisten traditionellen Therapien aus, in denen es auf die enge (nicht schriftlich festgelegte) Beziehung zwischen Therapeut und Patient ankommt, die in authentischer Weise aufgebaut wird und sich in ihrer spontanen Entwicklung auf das Hier und Jetzt konzentriert.
Die EVT-Forschung geht von vielen falschen Voraussetzungen aus: dass sich langfristige Probleme durch eine kurze Therapie lösen lassen, dass Patienten nur ein definierbares Symptom haben, das sie bei Beginn der Therapie akkurat benennen können, dass die einzelnen Elemente einer effizienten Therapie voneinander zu trennen sind, und das ein schriftlicher systematischer Leitfaden es minimal ausgebildeten Personen erlaubt, eine wirkungsvolle Therapie durchzuführen.
Die Analyse der Resultate von EVTs (siehe die Studie von Weston und Morrison) deutet auf weitaus weniger eindrucksvolle Ergebnisse hin, als im Allgemeinen angenommen. Nach einem Jahr gibt es nur selten Nachuntersuchungen, nach zwei Jahren praktisch gar keine mehr. Die frühen positiven Reaktionen auf EVTs (die für jede therapeutische Intervention gelten) haben zu einem verzerrten Bild von ihrer Effizienz geführt. Der Prozentsatz von Patienten, denen es auch langfristig besser geht, ist überraschend niedrig. Es gibt keine Hinweise darauf, dass das Festhalten des Therapeuten an einem Handbuch positiv mit einer Besserung korreliert - eher Hinweise auf das Gegenteil. Die Implikationen der EVT Forschung sind weit über das wissenschaftlich Nachweisbare hinaus ausgedehnt worden.
Eine realistische Erforschung der klinischen Praxis von EVTs offenbart, dass die Kurzzeit-Therapie gar nicht so kurz ist: Therapeuten, die mit EVT arbeiten, behandeln ihre Patienten wesentlich länger, als in Veröffentlichungen angegeben ist. Alles deutet darauf hin (was niemanden verwundern kann), dass akute Beschwerden durch sie schnell gelindert werden können, chronische Leiden dagegen eine weitaus längere Therapie erfordern, und eine charakterliche Veränderung die allerlängste.
Eine letzte boshafte Bemerkung kann ich mir nicht verkneifen. Ich habe den starken Verdacht (der nur anekdotisch begründet ist), dass EVT-Anwender, die selbst psychotherapeutischer Hilfe bedürfen, keine kurze kognitive Verhaltenstherapie beginnen, sondern sich an einen hervorragend geschulten, erfahrenen Therapeuten werden, der eine dynamische Therapie ohne Handbuch anbietet.
(Irvin D. Yalom, Der Panama-Hut oder was einen guten Therapeuten ausmacht, btb Verlag (Januar 2002)
Zappa hat geschrieben:Wenn der Arzt/Psychologe dabei bleibt subjektiv zu erfahren ob der Gegenüber psychisch erkrankt ist, kann ich das ganze Konzept nur teilweise ernst nehmen.
Das ist aber doch genau das, was man heute landläufig mit Depression bezeichnet.Vollbreit hat geschrieben:Gerade in den Staaten, aber zunehmend auch bei uns, hat man dieses Problem erkannt, dort gibt es sogar den Ausdruck „Victimisation“ dafür, dass sind Menschen, die sich in sozial oft parasitärer Weise zum Opfer stilisieren. Egal was einem im Leben passiert, man selbst kann nie etwas dazu.
Ich bin ein scharfer Gegner dieser Einstellung und jener Therapeuten, die diese Haltung unterstützen, da sie niemandem einen Gefallen tun.
stine hat geschrieben:Das ist aber doch genau das, was man heute landläufig mit Depression bezeichnet.Vollbreit hat geschrieben:Gerade in den Staaten, aber zunehmend auch bei uns, hat man dieses Problem erkannt, dort gibt es sogar den Ausdruck „Victimisation“ dafür, dass sind Menschen, die sich in sozial oft parasitärer Weise zum Opfer stilisieren. Egal was einem im Leben passiert, man selbst kann nie etwas dazu.
Ich bin ein scharfer Gegner dieser Einstellung und jener Therapeuten, die diese Haltung unterstützen, da sie niemandem einen Gefallen tun.
Ich denke, dass diese Krankheitsbild sehr vielschichtig ist, sofern es sich überhaupt um eine Krankheit handelt.
stine hat geschrieben:Auf die Psychoanalyse eingehend, meine ich (als selbst vollkommener Laie ), ist sie immer noch ein sehr schwammiges Gebiet. Jeder neigt dazu, doch immer von sich auf andere zu schließen und ein Krankheitsbild, das nur eine Sammlung von Aussagen des Patienten ist, kann schwer von jemanden eingeschätzt werden, der selbst auch nicht frei von Gefühlen und Erwartungen ist.
stine hat geschrieben:Anders, als ein sichtbarer Beinbruch oder eine messbare Organerkrankung, also nur ein Schema.
stine hat geschrieben:Wenn ich mal von mir ausgehe, ich neige dazu jedem zu sagen, er solle sich nicht so anstellen. Diese Behandlungsmethode hat man bei mir auch von klein an praktiziert und eigentlich hat es mir immer geholfen, den Anschluss nicht zu verpassen. Ich verstehe deswegen auch nicht, dass ein Schubbser in die richtige Richtung jemanden nicht helfen können sollte.
stine hat geschrieben:Ob es sich bei einem lethargisch Desorganisierten um einen Kranken handelt oder nur um einen faulen Sack, das wagte ich nicht zu beurteilen.
stine hat geschrieben:Ich weiß auch nicht, ob Faulheit eine Krankheit ist.
stine hat geschrieben:Überhaupt bin ich mit der heutigen Diagnostik, was alles als pathologischer Befund dargestellt wird, sehr vorsichtig. Wir zwängen uns damit in eine sehr enge Gasse ohne Neben- und Seitenstraßen. Ich denke hierbei ganz besonders an Kinder mit immer häufiger diagnostizierten Verhaltensstörungen.
Entschuldige bitte, ich habe jetzt auch nicht den ganzen Thread durchgearbeitet.
Echt?Vollbreit hat geschrieben:Du stützt Dich ja auch auf Bowlby, bei Deiner Argumentation, ein psychoanalytischer Bindungstheoretiker.
stine hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Gerade in den Staaten, aber zunehmend auch bei uns, hat man dieses Problem erkannt, dort gibt es sogar den Ausdruck „Victimisation“ dafür, dass sind Menschen, die sich in sozial oft parasitärer Weise zum Opfer stilisieren. Egal was einem im Leben passiert, man selbst kann nie etwas dazu.Ich bin ein scharfer Gegner dieser Einstellung und jener Therapeuten, die diese Haltung unterstützen, da sie niemandem einen Gefallen tun.
Das ist aber doch genau das, was man heute landläufig mit Depression bezeichnet. [...] Wenn ich mal von mir ausgehe, ich neige dazu jedem zu sagen, er solle sich nicht so anstellen. [...]
stine hat geschrieben:So bin ich fast davon überzeugt, dass die Depression eine Veranlagung ist und keine Krankheit, die man sich holen kann, wie einen Schnupfen.
Das heißt für mich insbesondere, dass wir versuchen Menschen von ihrer Wesensart zu heilen, weil sie nicht in unsere Welt der ständig amüsierten, wachen, erfolgreichen, immer gut drauf und ewig jungen Gesellschaft passen.
Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Im Gegensatz zur psychischen Erkrankung (wenn wir das mal so nennen wollen), wird die Tumorerkrankung vom Erkrankten als Krankheit erkannt.Darth Nefarius hat geschrieben:Viele haben zu Krebs eine Veranlagung, soll man deswegen die Tumore nicht bekämpfen?
stine hat geschrieben:Das kannst du nicht miteinander vergleichen. Im Gegensatz zur psychischen Erkrankung (wenn wir das mal so nennen wollen), wird die Tumorerkrankung vom Erkrankten als Krankheit erkannt.Darth Nefarius hat geschrieben:Viele haben zu Krebs eine Veranlagung, soll man deswegen die Tumore nicht bekämpfen?
stine hat geschrieben:Das Leiden macht einen Unterschied. Aber wir messen Leiden immer aus unserer eigenen Perspektive. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihr Leben nur sprüren konnte, wenn sie richtig Kummer hatte.
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