Was ist Kultur?

Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Do 20. Dez 2012, 12:29

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Das ist kein Selbstwiderspruch. Die Gene bestimmen die Freiheitsgrade unseres Handelns. Mit "bestimmen" ist auch nicht "festlegen" gemeint, sondern "beeinflussen"


Das hatten wir doch in aller Ausführlichkeit

Ja, du hast es aber immer noch nicht verstanden! ;-)

ujmp hat geschrieben:Die Menschen waren ganz sicher nicht dümmer als heute, sie hatten nur einen anderen Ausgangspunkt.


Meinst Du das so?:
Don Beck hat geschrieben:DB: Das einzig wirkliche BEIGE, das heute noch in der ursprünglichen Form existiert, liegt versteckt in Indonesien und Teilen Afrikas. Wir haben zeitweise Buschmänner studiert, und es ist klar, dass sie über eine geradezu unheimliche Fähigkeit verfügen, sich zu erinnern, wo Wasser oder Straußeneier verborgen sind, und dass sie Wetteränderungen spüren können. Wir setzen primitiv also nicht gleich mit primitiv oder „dumm” sein, denn es gibt vielleicht sechzehn verschiedene Sinne, eine gewisse hellseherische Fähigkeit eingeschlossen, die auf dieser Stufe aktiviert sind. Aber heutzutage sind die meisten dieser Sinne verkümmert und wurden von unseren komplexeren, konzeptionellen Systemen verschüttet.

Nein. Unsere heutigen Systeme sind nicht komplexer. Eine Hirschjagd ist viel komplexer als Tankenfahren. Ein brauchbares Werkzeug aus Stein herzustellen fordert intellektuell viel mehr, als eine SMS zu schreiben. Die Menschen waren nur nicht so spezialisiert wie heute. Das Denken eines heutigen durchschnittlichen Informatikers ist nicht komplexer als das eines steinzeitlichen Jägers. Es ist eben keine "unheimliche" Fähigkeit, sich zu erinnern, wo Wasser oder Straußeneier verborgen sind, da diese Fähigkeit auf komplexen Überlegungen beruht, deren Ausgangspunkte wir nur nicht kennen oder nicht in dem selben Ausmaß praktizieren.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon Vollbreit » Do 20. Dez 2012, 12:48

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das hatten wir doch in aller Ausführlichkeit

Ja, du hast es aber immer noch nicht verstanden! ;-)


Vollkommen undenkbar. ;-)

ujmp hat geschrieben:Unsere heutigen Systeme sind nicht komplexer. Eine Hirschjagd ist viel komplexer als Tankenfahren.


Soziale Spielregeln zu kennen, wenn man so was Simples macht wie in eine Pizzeria zu gehen ist auch nicht ohne, glaub's mir.
Es ist ja immer wieder auffällig, dass die Teil- oder Inselbegabungen bestimmter Autisten auf Kosten der sozialen Kompetenz gehen. Auf einmal kann man sich jedes Straßenschild von München bis Hamburg merken, aber soziale Interaktion ist zu komnpliziert.
Das was wir Normalität nennen, nimmt wahnsinnig viel von unserem „Arbeitsspeicher“ in Beschlag.

ujmp hat geschrieben:Ein brauchbares Werkzeug aus Stein herzustellen fordert intellektuell viel mehr, als eine SMS zu schreiben.


Das ist zwar gegenwärtig ein Trend, aber eben auch nur ein Trend, er geht vorbei.
Du versuchst das auszuspielen, nur in die andere Richtung.

ujmp hat geschrieben:Die Menschen waren nur nicht so spezialisiert wie heute. Das Denken eines heutigen durchschnittlichen Informatikers ist nicht komplexer als das eines steinzeitlichen Jägers. Es ist eben keine "unheimliche" Fähigkeit, sich zu erinnern, wo Wasser oder Straußeneier verborgen sind, da diese Fähigkeit auf komplexen Überlegungen beruht, deren Ausgangspunkte wir nur nicht kennen oder nicht in dem selben Ausmaß praktizieren.


Überlegungen sind das gerade nicht. Eher ein Gespür. Und da geht mehr als man denkt, übrigens bei uns allen. In einer Notsituation können alle Menschen auf beige umschalten. Ich habe mal eine Sendung über einen Fischer oder Taucher oder so gesehen, irgendwo auf einer Insel, wo auch immer.
Der hatte nur ein bestimmtes Zeitfenster für seine Tätigkeit und das Wetter wechselte schnell. Der musste also anhand irgendwelcher Parameter erkennen, wie das Wetter wird. Das konnte er auch mit höchster Präzision, nur erklären konnte er es nicht.
Ist aber generell so, dass wir bestimmte Praktiken beherrschen, wie genau der Kopfstoß beim Billard anzusetzen ist, damit die Kugel diesen Lauf nimmt und keinen anderen, ohne genau darstellen zu können, welchen Regeln wir folgen.
Auch im sozialen Bereich. Wer gut flirten kann, muss nicht unbedingt wissen, was er da tut.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Do 20. Dez 2012, 13:21

Vollbreit hat geschrieben:Das was wir Normalität nennen, nimmt wahnsinnig viel von unserem „Arbeitsspeicher“ in Beschlag.

Seh ich auch so: die Hardware setzt die Grenzen. An diese Grenzen ist der Mensch aber m.E. schon immer voll gegangen. Aus diesem Grund kann unser Denken nicht komplexer geworden sein, aber evtl. die Welt, in der wir existieren. Natürlich ist ein Handy ein komplexeres Objekt, als ein Faustkeil. Es existiert aber kein menschliches Individuum, das ein Handy ganz alleine herstellen könnte. Das geht nur in hochspezialisierter Arbeitsteilung, bei der der Komplexität der Aufgabe des Einzelnen dieselben Grenzen gesetzt sind, wie den Gehirnen vor 100.000 Jahren.

Vollbreit hat geschrieben:Überlegungen sind das gerade nicht. Eher ein Gespür.

Das weißt du überhaupt nicht. Ich hab mal einen interessanten Beitrag über das Bauchgefühl gelesen. Danach hat unser Bewusstsein eine begrenzte "Auflösung". Es kann Details "scharf" wahrnehmen, aber je mehr es sich dem Großen und Ganzen zuwendet, um so "unschärfer" wird die Wahrnehmung. Wenn du als Europäer mal ein paar Tage im Dschungel verbringst, ist deine Aufmerksamkeit erstmal überwältigt von dem Großen und Ganzen, weil alles neu ist. Wer aber sein ganzes Leben dort Probleme lösen muss, nimmt mit der Zeit Details wahr - sagen wir Bodenbeschaffenheit, Gerüche, Pflanzenvorkommen, Tiervorkommen, überhaupt konkrete Details, die ihm weiterhelfen.

Und Autisten mit IQ 50, die das Telefonbuch auswendig können (was natürlich auch hardwarebedingt ist), beschäftigen sich auch mit nichts anderem, als mit Telefonbüchern. Es gibt meines Wissen keinen Beleg dafür, dass sie komplexer denken.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Do 20. Dez 2012, 13:56

Mein Problem mit "Spiral Dynamic" ist, dass dabei unser gesamtes Verhalten auf Meme zurückgeführt wird, also quasi alles Kultur ist, weil alles erlernt ist. Um im Vergleich mit Computer zu bleiben: Wir werden mit einer leeren Festplatte geboren und dann bespielt: Erst kommen die rudimentären, primitiven Meme (quasi als Betriebssystem), und dazu gibt es dann als Upgrades die moderneren Meme. Der eine Mensch hat einen schnelleren Prozessor, der andere mehr Arbeitsspeicher...
Aber so funktioniert der Mensch nicht! Hardware und Software sind nicht vollkommen getrennt!

Die Ablehnung des "Spiral Dynamic"-Modells hat auch nicht zwangsläufig zur Folge, dass man Dawkins- oder Darwin-Jünger ist. Umgekehrt genauso wenig. Weil es in der einen Theorie eine Ungereimtheit gibt, ist nicht gleich alles an der Theorie falsch.
Im Übrigen würde ich als Gegenpart zum "Spiral Dynamic" nicht Dawkins, sondern eher Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt sehen.

Was die Ausnutzung unserer Gehirnleistung in prähistorischer Zeit angeht, stimme ich ujump zu. Wenn es nicht so gewesen wäre, dass es für den Menschen einen Vorteil dargestellt hat, ein besseres gedankliches Leistungsvermögen zu besitzen, hätte sich dieses höchstens durch komischen Zufall entwickelt. (Siehe auch Evolution und unterschiedlicher Geschmack?)
Selbst der frühe Mensch (älter als 100.000 Jahre) dürfte ein hohes Gehirnleistungsvermögen gehabt haben, denn soo viel hat sich an uns seitdem nicht verändert. (http://en.wikipedia.org/wiki/Archaic_Homo_sapiens)
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Do 20. Dez 2012, 15:17

...andererseits ergibt sich daraus, dass dann alles, was unser Leben von dem der Steinzeitmenschen unterscheidet, Software sein muss.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Do 20. Dez 2012, 17:34

ujmp hat geschrieben:...andererseits ergibt sich daraus, dass dann alles, was unser Leben von dem der Steinzeitmenschen unterscheidet, Software sein muss.
Hängt ganz einfach davon ab, wie viel evolutive Veränderung wir seitdem durchgemacht haben. Dass wir uns verändert haben, steht außer Frage, denn Veränderung findet in jeder Generation statt.

Ich tue mich mit dem Begriff Software etwas schwer. Wenn wir davon ausgehen, dass unser Denken im Grunde genommen auf physischen Vorgängen im Gehirn beruht, scheint mir Sperbers Modell er Repräsentationen (ich glaube, M. Bunge vertritt es auch) dasjenige zu sein, das Erinnerungen, Wünsche und Gedanken am besten beschreibt, zumindest auf niedrigster Ebene. Dann stellt sich aber die Frage, inwieweit sich Individuen in ihren körperlichen Voraussetzungen unterscheiden (dazu zählen z.B. Gehirngröße und -struktur, Hormonhaushalt, Blutdruck etc.), denn das ist ja erstmal die Grundlage für die Bildung der Repräsentationen. Die Repräsentationen sind ihrerseits ebenfalls physischer Natur, also beispielsweise in einer bestimmten Struktur verschaltete Neuronen. Insofern kann man, glaube ich, nicht von Software sprechen. Bei kognitiven Lernprozessen wird also nicht ein neues Programm installiert oder Daten abgespeichert, sondern die Hardware selbst so geändert, dass sie nicht nur die neuen Informationen (mangelbehaftet) beinhaltet, sondern ihre Funktionsweise verändert wird, indem beispielsweise neuronale Netze anders geschaltet werden.
Dazu kommt noch, dass sich andere physiologische Veränderungen auf unser Gehirn und damit auf unsere kognitiven Fähigkeiten auswirken. Hormone und Blutdruck habe ich schon genannt. Ein Neurologe könnte sicher einen Haufen weiterer Dinge aufzählen.

Vielleicht ist es auch deswegen so schwierig, Kultur zu definieren. Man kann eben keine scharfe Grenze ziehen zwischen dem, was wir erlernt haben und dem, was uns seitens der Veranlagung mitgegeben ist.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon JustFrank » Do 20. Dez 2012, 18:11

Kultur ist immer erlernt. Alles andere ist Instinkt.

Das wird in dem Moment klar, in dem wir beginnen Kulturen explorativ zu untersuchen. Das gelingt uns, wenn wir Kulturmodelle, Kulturgrammatik und kulturelle Filter (Kulturdimensionen) anwenden, um eine Kultur zu betrachten. Sofern wir dann noch wissen, ob wir eine Kultur als Mitglied einer kulturellen Gruppe oder als Außenstehender, sprich Fremder betrachten, lässt sich relativ gut erkennen, was erlernte Werte und Regeln sind, und was instinktive Handlungen sind. Dabei muss uns klar sein, dass wir alle andere Kulturen durch unsere eigene kulturelle Prägung hindurch betrachten. Dieser Ethnozentrismus kann höchst unterschiedlich ausgeprägt sein und die Analyse einer für uns fremden Kultur ziemlich erschweren. Wir messen nämlich jedes fremde Verhalten an unseren eigenen kulturellen Werten, denn andere haben wir nicht. Das führt auch häufig dazu, dass wir eine gemachte Beobachtung sofort bewerten und das meist falsch. Ganz böse Falle!

Sofern uns diese Dinge (und noch eine ganze Reihe anderer) klar sind, können wir hingehen und selbst ergründen, was und wie eine Kultur ist.

Was die Theorie der Meme angeht, ist das wohl eher in den Bereich der Mythen zu verweisen. Es ist einfach so, dass wir umso mehr erlernte Geschichte weitergeben, je mehr es davon gibt, also je länger sie dauert. Das potenziert sich, umso perfekter unsere Methoden dazu, sprich Medien werden und wir mehr Wissen, in geeigneter Form an viele Menschen weitergeben können.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Do 20. Dez 2012, 19:44

JustFrank hat geschrieben:Es ist einfach so, dass wir umso mehr erlernte Geschichte weitergeben, je mehr es davon gibt, also je länger sie dauert. Das potenziert sich, umso perfekter unsere Methoden dazu, sprich Medien werden und wir mehr Wissen, in geeigneter Form an viele Menschen weitergeben können.

Das kann nicht sein, weil die Kapazität des menschlichen Gehirnes seit 100.000 Jahren unverändert ist. Du hast nicht mehr zu erzählen, als dein Vorfahre vor 100.000 Jahren und kannst auch nicht länger zuhören. Die Rolle, die für dich heute der Nachrichtensprecher der Tagesschau hat, hätte vor 100.000 Jahren irgend ein Schwatzkopf aus deinem Stamm gehabt.

Es gibt offensichtlich unter Gedanken eine Auslese, die der biologischen Evolution recht ähnlich ist. Mit "Memen" ist ja nichts immaterielles gemeint.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon JustFrank » Do 20. Dez 2012, 21:02

ujmp hat geschrieben:Das kann nicht sein, weil die Kapazität des menschlichen Gehirnes seit 100.000 Jahren unverändert ist. Du hast nicht mehr zu erzählen, als dein Vorfahre vor 100.000 Jahren und kannst auch nicht länger zuhören. Die Rolle, die für dich heute der Nachrichtensprecher der Tagesschau hat, hätte vor 100.000 Jahren irgend ein Schwatzkopf aus deinem Stamm gehabt.


Okay, anders herum: Um wie viel höher mag die Wissensmenge wohl liegen, die ein Mensch heute aufnimmt, im Gegensatz zu dem, was vor 100.000 Jahren so Sache war? Mal abgesehen von der gesamten technischen und gesellschaftlichen Entwicklung, hat die Informationsexplosion der letzten Jahrzehnte dafür gesorgt, dass Wissen heute innerhalb kürzester Zeit zu einer Themenfülle vorhanden ist. Die Kumpels aus Neandertal hatten nicht einmal ein Millionstel davon zur Verfügung. Und was ein Nachrichtensprecher in hoch komprimierter Form innerhalb von 15 Minuten von sich gibt, hätte die Höhlendödel Jahre gekostet.

Die Frage ist nicht, ob unser Gehirn an Kapazität zugenommen hat sondern, ob wir gelernt haben, mehr davon zu benutzen. Ich habe heute millionenfach mehr zu erzählen, als Willi mit der Wurfaxt. Allein was die Themenauswahl und die Dichte von Informationen betrifft, sind wir heute wohl um einiges weiter.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Do 20. Dez 2012, 21:41

Millionenfach - hm... Wieviele Sätze hast du denn heute gesprochen, und wievielen hast du zugehört? Würdest du sagen, dass man für dein Wissen eine Bibliothek benötigen würde? Schätz mal, auf wieviele Buchseiten dein komplettes Wissen draufpasst!

Kann ja sein, dass eine ernorme Informationsmenge potentiell verfügbar ist, du kannst aber nur soviel davon nutzen, wie dein Gerhirn verarbeiten kann.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Do 20. Dez 2012, 22:06

Unser Gehirn ist doch kein Wissensspeicher. Unser Gehirn ist so wie es ist, weil wir davon einen Vorteil in der freien Wildbahn haben. Und da war früher bestimmt nicht das Wissen eine Bibiothek entscheidend.
Ich sehe es ähnlich wie ujump:
ujmp hat geschrieben:Es ist eben keine "unheimliche" Fähigkeit, sich zu erinnern, wo Wasser oder Straußeneier verborgen sind, da diese Fähigkeit auf komplexen Überlegungen beruht, deren Ausgangspunkte wir nur nicht kennen oder nicht in dem selben Ausmaß praktizieren.
Wir benutzen unser Gehirn heute einfach anders als unsere Vorfahren. Nicht besser und nicht schlechter, sondern stets den Anforderungen angepasst. Heute machen wir uns vielleicht mehr davon bewusst - aber auch das vielleicht nur, weil es in unserer Welt eben nützlich ist.

Würden wir eine Zeitreise in die Steinzeit machen, würden uns die Menschen dort vielleicht auslachen, weil wir unsere Gehirne nur zu einem lächerlich geringen Teil nutzen (für das Leben in der Steinzeit).
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon stine » Fr 21. Dez 2012, 07:45

Autofahren statt Feuer machen?

:idea: stine
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon Vollbreit » Fr 21. Dez 2012, 08:10

ujmp hat geschrieben:Das geht nur in hochspezialisierter Arbeitsteilung, bei der der Komplexität der Aufgabe des Einzelnen dieselben Grenzen gesetzt sind, wie den Gehirnen vor 100.000 Jahren.


Man weiß doch im Grunde nicht viel über das Gehirn. Wenn die Größe nicht zunimmt, heißt das erst mal nichts, über die Faltung kann riesig viel Oberfläche erzeugt werden und was und wie nun im Gehirn kommuniziert wird ist auch noch längst nicht klar.
Klar ist auf jeden Fall, dass das Hirn mit der Umwelt in Kontakt ist und wirklich auch in seinem Aufbau verändert werden kann.

ujmp hat geschrieben:Das weißt du überhaupt nicht. Ich hab mal einen interessanten Beitrag über das Bauchgefühl gelesen.


Ich habe ach schon mal den einen oder anderen Artikel übers Bauchgefühl gelesen, ich würde es eher Intuition nennen, vermutlich gibt es da so viele Theorien, wie Autoren.

ujmp hat geschrieben:Danach hat unser Bewusstsein eine begrenzte "Auflösung". Es kann Details "scharf" wahrnehmen, aber je mehr es sich dem Großen und Ganzen zuwendet, um so "unschärfer" wird die Wahrnehmung.


Kann gut sein oder auch nicht.
Das Gehirn ist aber kein Wahrheitsapparat, von der Idee kommen aber viele Europäer einfach nicht los. Zwar wird aller Orten über Anpassung, als alles was es gibt geredet, aber dass das Gehirn auch so funktionieren könnte, das will man nicht schlucken.
Es spricht sehr viel dafür, dass das Hirn und eigentlich unser Bewusstsein, das weit mehr ist als das Hirn, sich die Welt so bastelt, wie es mit ihr klar kommt.
Der Begriff der Unschärfe verliert in diesem Kontext seine Bedeutung, weil er immer noch das heimliche Ziel eine Wahrheit ansteuert, nach der wir alle und das Hirn dann im Besonderen angeblichen streben. Vom kleinen Scharfen, zum immer größeren Scharfen.
Was sollte ein Gehirn für ein Interesse an der Wahrheit haben? Ich verstehe schon Deine Grundidee, Wahrheit ist Übereinstimmung mit der Realität und dann klappt das Leben besser, weil man nicht mehr versucht Suppe mit der Gabel zu essen, aber überleg mal was wir alles tun, um die Wahrheit möglichst nicht zu erfahren und unscharf zu sehen. Vom Bier über Valium bis Hollywood und institutionalisierter Beruhigung. Ob Religion, Wissenschaft oder Weißer Riese. Wir wollen Entspannung, jemanden, der sich statt uns kümmert.
Die paar Skandälchen, die wir uns leisten, sind dazu da, um uns ein wenig wohligen Schauer zu erzeugen. Das mal so als Denkanregung.

ujmp hat geschrieben:Wenn du als Europäer mal ein paar Tage im Dschungel verbringst, ist deine Aufmerksamkeit erstmal überwältigt von dem Großen und Ganzen, weil alles neu ist. Wer aber sein ganzes Leben dort Probleme lösen muss, nimmt mit der Zeit Details wahr - sagen wir Bodenbeschaffenheit, Gerüche, Pflanzenvorkommen, Tiervorkommen, überhaupt konkrete Details, die ihm weiterhelfen.


Klar, keine Frage, hier haben wir keinerlei Dissens.
Es ist sogar so, dass, wenn der Europäer nicht zum Urlaub, sondern weil sein Flugzeug abgestürzt ist im Dschungel landet, er sofort erstaunliche Fähigkeiten hat, die er nie bei sich vermutet hätte.

ujmp hat geschrieben:Und Autisten mit IQ 50, die das Telefonbuch auswendig können (was natürlich auch hardwarebedingt ist), beschäftigen sich auch mit nichts anderem, als mit Telefonbüchern. Es gibt meines Wissen keinen Beleg dafür, dass sie komplexer denken.


Die denken überhaupt nicht komplexer, sondern reduzierter, das war es doch was ich sagen wollte.
Der Name Inselbegabung sagt doch schon alles. Sie sind auch nur dazu in der Lage eine Telefonbuch auswendig zu können, weil der ganze soziale Kontext so ungeheuer reduziert ist bei ihnen und das vermeintlich so einfache soziale Leben und wahnsinnig kompliziert.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon Vollbreit » Fr 21. Dez 2012, 08:58

fopa hat geschrieben:Mein Problem mit "Spiral Dynamic" ist, dass dabei unser gesamtes Verhalten auf Meme zurückgeführt wird, also quasi alles Kultur ist, weil alles erlernt ist. ...
Aber so funktioniert der Mensch nicht! Hardware und Software sind nicht vollkommen getrennt!


Ich sehe das so wie Du, aber wer behauptet denn, dass es anders sei?
Die Trennung zwischen Hardware und Software, die letztlich sowieso eine schlechte Analogie ist, oder Geist und Gehirn ist eine, die wir brauchen, um uns bestimmten Phänomenen zu nähern, damit ist nicht gesagt, dass sie wirklich besteht.

fopa hat geschrieben:Die Ablehnung des "Spiral Dynamic"-Modells hat auch nicht zwangsläufig zur Folge, dass man Dawkins- oder Darwin-Jünger ist. Umgekehrt genauso wenig. Weil es in der einen Theorie eine Ungereimtheit gibt, ist nicht gleich alles an der Theorie falsch.
Im Übrigen würde ich als Gegenpart zum "Spiral Dynamic" nicht Dawkins, sondern eher Konrad Lorenz oder Irenäus Eibl-Eibesfeldt sehen.


Das hatte ich so auch nicht gesehen.
Die Mem-Idee ist ja von Dawkins und Lorenz und Eibl-Eibesfeldt sind nicht Dawkins Gegner was das angeht, sondern dort ging es primär um die Frage, ob es bei der Evolution eher um Arterhalt geht oder um das Individuum.
Die Waage ist damals auf Dawkins Seite gekippt, nicht etwa wegen der empirischen Befunde, sondern wegen eines spieltheoretischen Modells, das Kommentkämpfer und Beschädigungskämpfer verglichen hat und das viele empirische Zwischenstufen völlig unter den Tisch fallen lässt.

Die Mem-Idee ist reizvoll, weil sie auch Biologen erlaubt, mal von dieser Hardware-Fixierung loszulassen. Sie wieder darauf zu reduzieren, dass man sagt, Meme gibt es ja eigentlich gar nicht, ist dann der Ausweis, dass der Sprung nicht gelungen ist.
Ist so ungefähr, wie zu sagen, Gedanken gäbe es ja „in Wirklichkeit“ nicht.
Die sollen dann so was wie die Innenseite elektrochemischer Prozesse sein, doch wo dieses Innen eigentlich liegt, ist auch schon nicht mehr klar und dann kommen diese ganzen Ideen von, „es gibt mich eigentlich gar nicht“ zustande und eine krude Vermengung von Logik und Empirie die dann so aussieht: Weil es im Kopf kein Männchen gibt, was rumflitzt und winkt, gibt es auch kein Ich.

Dass alles nur Kultur wäre, ist genauso ein Konstrukt, wie die Idee alles sei Biologie oder Physik, absolut betrachtet völlig wertlos, weil eine metaphysische Behauptung und erkenntnistheoretisch gesehen sehr begrenzt in der Reichweite, denn bereits die Sprache die auch Naturwissenschaftler benutzen um ihre Ergebnisse auszutauschen, sperren sich vor dem Zugang einer naturwissenschaftlich-reduzierenden Vorgehensweise.

fopa hat geschrieben:Was die Ausnutzung unserer Gehirnleistung in prähistorischer Zeit angeht, stimme ich ujmp zu. Wenn es nicht so gewesen wäre, dass es für den Menschen einen Vorteil dargestellt hat, ein besseres gedankliches Leistungsvermögen zu besitzen, hätte sich dieses höchstens durch komischen Zufall entwickelt. (Siehe auch Evolution und unterschiedlicher Geschmack?)
Selbst der frühe Mensch (älter als 100.000 Jahre) dürfte ein hohes Gehirnleistungsvermögen gehabt haben, denn soo viel hat sich an uns seitdem nicht verändert. (http://en.wikipedia.org/wiki/Archaic_Homo_sapiens)


Diese vollkommen unhinterfragte Übernahme des Vorteils-, Nutzendenkens finde ich interessant.
Das ist doch unter memetischen Gesichtspunkten mal etwas, was die Analyse lohnt.
Alle Welt scheint sich einig zu sein, dass die Welt ein riesiges Optimierungsprogramm ist, Nutzen und immer mehr Nutzen. Für wen oder was, da „die Natur“ ja doof und tot ist? Kommt natürlich drauf an, ob Natur all das ist, was die Naturgesetze beschreiben, also zu weit über 99,99% doofes, totes Gas und irgendwelche Formen von dunkler Energie und Materie, über die niemand was Genaues weiß oder ob Natur die Biosphäre ist, also all das, was lebt.
Passt doof und tot mit der Idee des Nutzens überhaupt zusammen?

Und was steht am Ende des Nutzens? Energetisch stabile Bindungen? Oder erfolgreiche Fortpflanzung? Oder Erkenntnis? Oder Spaß? Oder Zufriedenheit? Oder Schönes? Oder Gutes?
Ja der Nutzen um den geht’s, aber wie es mit den aller selbstverständlichsten Begriffen nun mal so ist.
Da wird genüsslich versucht so einen Begriff wie Qualia zu zerlegen, weil hohoho, den gibt’s doch gar nicht, aber der Nutzen, der liegt bekanntlich auf der Straße, leuchtet grün, ist eckig und schmeckt nach Himbeere, wie wir alle wissen.

Adam Smith war doch vor Charles Darwin, nicht wahr? Wäre doch lustig, wenn am Anfang der Biologie ein Mem steht. ;-)
http://de.wikipedia.org/wiki/Klassische ... .931790.29
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Fr 21. Dez 2012, 14:09

Vollbreit hat geschrieben:Und was steht am Ende des Nutzens?
Nichts. Der Nutzen ist ohne Sinn. Der (Eigen-)Nutzen ist nur ein zufällig entstandenes Phänomen, das die Eigenschaft mit ich brachte, gegenüber Nicht-Eigennützigkeit zu dominieren. Die Evolution oder die Natur hat kein Ziel. Sie ist dasselbe wie eine stark verwirbelte interstellare Staubwolke, deren Staubteilchen sich gegenseitig gravitativ anziehen, elektrostatisch abstoßen oder miteinander kollidieren. Größere Schneebälle haben den "Vorteil", mehr Masse und dadurch eine größere Gravitationsbeschleunigung zu besitzen, was weitere Staubteilchen anzieht und den Schneeball wachsen lässt. Größere Schneebälle setzen sich durch - eine einfache Folge der gegebenen physikalischen Gesetze. Eigennütziges Leben ist nur ein wenig komplexer, aber prinzipiell dasselbe.

Das mag dich schockieren, aber ich benutze den Begriff des Nutzens nicht unreflektiert. Er ist jedoch insofern selbstverständlich, als wir ihn erklären können. Einen Sinn hat er deswegen nicht und braucht er auch nicht. Wenn du das doof und tot nennst, meinetwegen. Ich finde die Komplexität, die sich aus diesem einfachen Prinzip entwickelt hat, nämlich das Leben, höchst erstaunlich - aber nicht rätselhaft. Wir verstehen zwar nicht alle einzelnen Vorgänge, aber um das Prinzip des Lebens an sich zu begreifen, braucht man sich keinen Sinn oder ein Ziel auszudenken.

Edit: ich muss natürlich dazusagen, dass dies vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Die habe ich nämlich auch nicht mit Löffeln gefressen. Es würde mir aber widerstreben, einen Schöpfer oder eine übernatürliche Bedeutung / einen Sinn ins Spiel zu bringen, ohne dessen Ursache wenigstens prinzipiell erklären zu können. Deshalb: Das oben stehende ist meine Sicht auf die Dinge. Dennoch jedem das Seine.
Zuletzt geändert von fopa am Fr 21. Dez 2012, 14:46, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon ujmp » Fr 21. Dez 2012, 14:42

Vollbreit hat geschrieben:Man weiß doch im Grunde nicht viel über das Gehirn. Wenn die Größe nicht zunimmt, heißt das erst mal nichts, über die Faltung kann riesig viel Oberfläche erzeugt werden und was und wie nun im Gehirn kommuniziert wird ist auch noch längst nicht klar.
Klar ist auf jeden Fall, dass das Hirn mit der Umwelt in Kontakt ist und wirklich auch in seinem Aufbau verändert werden kann.

Wie gesagt, hat sich das menschliche Gehirn seit 100.000 Jahren anatomisch nicht verändert und damit auch seine anatomisch bedingten Beschränkungen nicht. Auch mögliche Umwelteinflüsse haben sich in dieser Zeit nicht so stark verändert. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich die Kapazität des menschliche Gehirnes vergrößert hat, schon gar nicht "millionenfach". Das ist einfach ein Trugschluss. In der Bayerischen Staatsbibliothek kannst du zwar auf 10 Millionen Bände zugreifen. Wenn du als Individuum aber den Inhalt von nur 100 davon korrekt wiedgeben könnstest, wärest du schon ein was besonderes!

Vollbreit hat geschrieben:Das Gehirn ist aber kein Wahrheitsapparat, von der Idee kommen aber viele Europäer einfach nicht los. Zwar wird aller Orten über Anpassung, als alles was es gibt geredet, aber dass das Gehirn auch so funktionieren könnte, das will man nicht schlucken.
Es spricht sehr viel dafür, dass das Hirn und eigentlich unser Bewusstsein, das weit mehr ist als das Hirn, sich die Welt so bastelt, wie es mit ihr klar kommt.

Was wäre denn alternativ deiner Meinung nach die tatsächliche Aufgabe des Gehirnes?
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon Vollbreit » Fr 21. Dez 2012, 15:50

fopa hat geschrieben:Das mag dich schockieren, aber ich benutze den Begriff des Nutzens nicht unreflektiert. ... Wir verstehen zwar nicht alle einzelnen Vorgänge, aber um das Prinzip des Lebens an sich zu begreifen, braucht man sich keinen Sinn oder ein Ziel auszudenken.


Nein, das schockiert mich nicht, denn das ist ja hier der common sense unter den meisten.
Ich meinte es eigentlich unspektakulär, nämlich, dass das Wort „Nutzen“ immer schon ein für wen oder wofür enthält.

Du meinst damit, es passt halt irgendwie zufällig zusammen.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Sa 22. Dez 2012, 09:00

Ja, insofern ist das Wort Nutzen etwas verkürzt. Man sollte korrekterweise Eigennutz sagen, wobei sich das auf ein bestimmtes Element in einem bestimmten System bezieht. Eine Handlung oder Verhaltensweise eines Elements kann gleichzeitig in System A nützlich und in System B schädlich für es (das Element) sein. Ein Element kann dabei beispielsweise auch eine Tierart sein.
Zufällig ist das Ganze in dem Sinne, dass kein Element die Wirkungsweise seines "Vorgehens" vorhersehen kann. Es passiert einfach und stellt sich dann entweder als nützlich oder schädlich heraus - und dadurch bilden sich entweder Strukturen aus, die zwar aufgrund ihrer Komplexität faszinierend sind, letzten Endes aber einfachen Gesetzmäßigkeiten gehorchen (aus reduktionistischer Sicht) - oder Strukturen zerfallen in weniger komplexe Einzelteile. Am Beispiel von toter Materie lässt sich das leichter nachvollziehen, wie ich oben schon angedeutet habe. Leben ist bloß deutlich komplexer, Kultur wiederum noch komplexer.

Aus dieser physikalistischen und reduktionistischen Sicht ist Kultur also nichts weiter als eine äußerst komplexe Verwirbelung im kosmischen Strom von bewegter Materie. Aufgrund dieser Komplexität kann man die internen Mechanismen dieser Wirbel auf makroskopischer Ebene bloß nicht mehr mit physikalischen Formeln beschreiben. Man braucht makroskopische Modelle wie z.B. "Spiral Dynamic" oder Dawkins Mem-Theorie. Letzten Endes muss sich solch ein Modell nicht nur mit den physikalischen Grundlagen vertragen, sondern auch mit empirischen, makroskopischen Beobachtungen.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon Vollbreit » Sa 22. Dez 2012, 13:09

fopa hat geschrieben:Ja, insofern ist das Wort Nutzen etwas verkürzt. Man sollte korrekterweise Eigennutz sagen, wobei sich das auf ein bestimmtes Element in einem bestimmten System bezieht. Eine Handlung oder Verhaltensweise eines Elements kann gleichzeitig in System A nützlich und in System B schädlich für es (das Element) sein. Ein Element kann dabei beispielsweise auch eine Tierart sein.


Da stellt sich natürlich immer die Frage, was Teil und was Ganzes ist und wo man, aus welchen Gründen die Grenze zieht. Wenn jeder auf Eigennutz programmiert ist, die Zelle dann auch? Von der erwartet man, dass sie – oder ein Organ – im Verbund funktioniert. Das Ganze, das wäre dann der Mensch, der einzelne. Soll der auch im Dienste einer großen Sache stehen und ist das dann gesund?
Wenn Zellen aus der Art schlagen, nennen wir das Krebs und sind wenig begeistert.
Ist das also gut, sich einfach einzugliedern und zu funktionieren? Aber in welche Ordnung? Die natürliche? Was heißt das? Rohes Tier essen, die Muskeln stählen und von den Bäumen kacken?
Oder in die Demokratie? Oder den Kapitalismus? Gibt es Systeme, denen man sich besser nicht unterwerfen sollte? Warum ist einmal gesund, was beim anderen mal krank ist? Einige meinen ja, das ginge so ganz ohne Werte, die Natur regelte das alles schon von selbst, so irgendwie.
Und welche Perspektive soll man nun wählen, die den Individuums in dem System oder sollte man sich als Individuum eher mit dem System identifizieren, nicht stören?

fopa hat geschrieben:Zufällig ist das Ganze in dem Sinne, dass kein Element die Wirkungsweise seines "Vorgehens" vorhersehen kann. Es passiert einfach und stellt sich dann entweder als nützlich oder schädlich heraus - und dadurch bilden sich entweder Strukturen aus, die zwar aufgrund ihrer Komplexität faszinierend sind, letzten Endes aber einfachen Gesetzmäßigkeiten gehorchen (aus reduktionistischer Sicht) - oder Strukturen zerfallen in weniger komplexe Einzelteile. Am Beispiel von toter Materie lässt sich das leichter nachvollziehen, wie ich oben schon angedeutet habe. Leben ist bloß deutlich komplexer, Kultur wiederum noch komplexer.


Ja, wenn Kultur zerfällt, bleibt das rohe Leben über. Im Grunde will das ja niemand. Aber müssen wir uns einfach dem Zufall überlassen? Bei einer fetten Streptokokkeninfektion lassen wir der Natur ja nicht unbedingt freien Lauf und warten mal ab, ob sie sich als schädlich oder nützlich erweist. Dass man die Dinge immer erst nachher beurteilen kann, das ist ja nicht im Sinne unserer Denkens.

fopa hat geschrieben:Aus dieser physikalistischen und reduktionistischen Sicht ist Kultur also nichts weiter als eine äußerst komplexe Verwirbelung im kosmischen Strom von bewegter Materie. Aufgrund dieser Komplexität kann man die internen Mechanismen dieser Wirbel auf makroskopischer Ebene bloß nicht mehr mit physikalischen Formeln beschreiben. Man braucht makroskopische Modelle wie z.B. "Spiral Dynamic" oder Dawkins Mem-Theorie. Letzten Endes muss sich solch ein Modell nicht nur mit den physikalischen Grundlagen vertragen, sondern auch mit empirischen, makroskopischen Beobachtungen.


Muss es das? Inwiefern ist Physik oder Biologie überhaupt relevant für die Beurteilung was ein guter Film ist? Inwiefern hilft uns eine reduktionistischer Ansatz bei der Interpretation eines Textes?
Was lehrt uns die Biologie über die Bedeutung von Träumen?
Bei reduktionistischen Ansätzen, die eine Ebene drunter liegen, hat man wenigstens am Anfang noch das Gefühl, dass noch eine gewisse Relevanz besteht, nur wenn die Erklärung dafür, warum Du Rad fährst und jemand anderes Bücher schreibt, ein dritter Fagott spielt immer eine Variante von Brautwerbung und ihren Zutaten ist, wird das schnell reichlich öde. Alle wollen den Weibchen ihre Fitness signalisieren, irgendwann wird das mal etwas vorhersehbar. Wo dann allerdings die Chemie oder gar die Physik oder sogar die Quantenphysik, auf die dann angeblich alles hinausläuft, überhaupt noch irgendetwas zu formulieren in der Lage ist, was auch nur ansatzweise einen erklärenden Rahmen liefert, habe ich noch nie verstanden und ich habe es auch noch nie erklärt bekommen oder bin ganz einfach zu doof es zu verstehen.

Kurz und gut, ich glaube, dass diese Memtheoreien vergleichsweise unabhängig sind und es auch nicht einzusehen ist, inwieweit bei der Vehandlung über eine demokratisches Zusammenleben der Soziobiologe (in seiner beruflichen Eigenschaft) zu konsultieren ist.

Dass deskriptive Modelle, über die reine Deskription hinaus auch im günstigen Fall einen prognostischen Wert haben, das ist eine angemessene Forderung.
Spiral Dynamics läuft da natürlich allen statistischen Ansätzen in die Klinge, die Gruppenverhalten gut, aber Einzelverhalten dann manchmal weniger gut bis überhaupt nicht beschreiben.
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Re: Was ist Kultur?

Beitragvon fopa » Sa 22. Dez 2012, 18:21

So, mein Entwurf ist futsch, den ich vor 2 Studen hier gespeichert hatte... Also nochmal formulieren. :motz:

Vollbreit hat geschrieben:Einige meinen ja, das ginge so ganz ohne Werte, die Natur regelte das alles schon von selbst, so irgendwie.
Und welche Perspektive soll man nun wählen, die den Individuums in dem System oder sollte man sich als Individuum eher mit dem System identifizieren, nicht stören?
Es kommt darauf an, ob du das alles objektiv oder subjektiv betrachtest. Aus objektiver Sicht geht es nur darum, die Vorgänge zu verstehen und zu beschreiben. Dabei kommt es auf die Wahl des Systems an. Systeme können wiederum Elemente anderer, größerer Systeme sein. Das System Zelle ist beispielsweise ein Element des Systems "Mensch" und dieser wiederum ein Element des Systems Gesellschaft. Die Wahl des Systems und der betrachteten Elemente hängt logischerweise vom Betrachter und dessen Aufgabenstellung ab. Konkrete Antworten auf all deine Fragen gibt diese objektive Betrachtungsweise nicht, denn dafür braucht es Werte, die - wie du richtig gesagt hast - die Natur nicht bietet. Werte ergeben sich erst aus einer subjektiven Zielvorgabe, beispielsweise Fortpflanzung oder Bedürfnisbefriedigung. Ob sich eine "Entscheidung" eines Elements in einem System positiv oder negativ für es (das Element) im Sinne dessen subjektiver Zielvorgabe auswirkt, kann es nicht definitiv "wissen". (Ich setze das in Anführungszeichen, weil z.B. eine Fliege (mutmaßlich) nicht aufgrund irgendeines Wissens dazu entscheidet loszufliegen. Das Prinzip ist aber dasselbe wie beim Menschen.) Individuen können nur "versuchen", sich so zu verhalten, dass ihre subjektiven Zielvorgaben erfüllt werden. Das gelingt nicht immer: manche Versuche enden im Zerfall des Individuums - es hat sich somit also nicht durchgesetzt. Diejenigen Individuen, die sich so verhalten, dass sie selbst weiter bestehen und sich replizieren, sind also "im Vorteil". Damit sind wir also wieder bei der Systemischen Evolutionstheorie angelangt.
Wenn du im Text das Wort Element/Individuum mit Mem ersetzt, hast du im Grunde die Mem-Theorie.

Vollbreit hat geschrieben:Aber müssen wir uns einfach dem Zufall überlassen?
Nur weil wir eine mögliche objektive Erklärung für die Mechanismen haben, verlieren wir nicht unsere subjektiven Werte. Alles, was den Menschen antreibt, bleibt weiter gültig, auch wenn diese Antriebe vielleicht nur "komplexe Verwirbelungen" sind. Der Natur oder dem Kosmos ist das alles völlig egal, denn für sie gibt es keine Zielvorgabe, keinen Sinn, weil sie das System darstellen. Selbst ein hypothetischer äußerer Betrachter könnte keine Bewertung definieren.

Vollbreit hat geschrieben:Dass deskriptive Modelle, über die reine Deskription hinaus auch im günstigen Fall einen prognostischen Wert haben, das ist eine angemessene Forderung.
Spiral Dynamics läuft da natürlich allen statistischen Ansätzen in die Klinge, die Gruppenverhalten gut, aber Einzelverhalten dann manchmal weniger gut bis überhaupt nicht beschreiben.
Wir können versuchen, objektive, deskriptive Modelle als Entscheidungshilfen zu nehmen. Aber die daraus resultierenden Entscheidungen müssen nicht unbedingt gut für uns sein, weil wir nur eine begrenzte "Sichtweite" haben (siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Evolution% ... lgorithmus). Die Weichen, die wir heute nach bestem Wissen und Gewissen für die Zukunft stellen, könnten statt zum Weltfrieden genausogut zu einem Atomkrieg führen, den nur ein paar Dschungelvölker überleben, die wir heute als evolutiv rückständig ansehen.

Vollbreit hat geschrieben:Inwiefern hilft uns eine reduktionistischer Ansatz bei der Interpretation eines Textes?
Gar nicht. Dazu muss man Modelle für makroskopische Gesetzmäßigkeiten entwickeln, was ja auch gemacht wird. Nur weil diese makroskopischen Vorgänge prinzipiell reduzibel sind (da gibts auch unterschiedliche Auffassungen), können wir sie aufgrund ihrer Komplexität meist nicht auf physikalischer Ebene beschreiben. Selbst die numerische Modellierung von Molekülen anhand der grundlegenden physikalischen Gesetze ist derzeit eine große Herausforderung.

Vollbreit hat geschrieben:Wo dann allerdings die Chemie oder gar die Physik oder sogar die Quantenphysik, auf die dann angeblich alles hinausläuft, überhaupt noch irgendetwas zu formulieren in der Lage ist, was auch nur ansatzweise einen erklärenden Rahmen liefert, habe ich noch nie verstanden und ich habe es auch noch nie erklärt bekommen oder bin ganz einfach zu doof es zu verstehen.
Ein Beispiel für plausiblen Reduktionismus ist der PC, denn die Vorgänge in ihm folgen Gesetzmäßigkeiten, die wir Menschen zu nutzen gelernt haben. Was interessieren dich Software-Algorithmen, Netzwerk-Datenpakete oder Schaltvorgänge einzelner Transistoren, wenn du das Brights-Forum öffnest und mein Gesülze liest? Vielleicht nix, aber sie liegen dem zugrunde. Das lässt sich natürlich nach unten bis auf physikalische Ebene fortsetzen, beispielsweise die Durchlassspannung beim Transistor auf die Anregungszustände der Atome im Halbleiter, womit wir bei der Schrödingergleichung und der Quantenmechanik angelangt sind. Nur wegen der dort herrschenden, grundlegenden Gesetzmäßigkeiten funktioniert der PC überhaupt.
Bei natürlichen Objekten ist es nicht anders, bloß dass sie zu komplex sind, als dass wir sie mit der Schödingergleichung oder ähnlich Grundlegendem beschreiben könnten. Dafür brauchen wir dann wieder makroskopische Modelle.

Vollbreit hat geschrieben:und es auch nicht einzusehen ist, inwieweit bei der Vehandlung über eine demokratisches Zusammenleben der Soziobiologe (in seiner beruflichen Eigenschaft) zu konsultieren ist.
Ein Modell ist nur dann gut, wenn es alle Faktoren, die für die Aufgabenstellung relevant sind, berücksichtigt und sie in den richtigen kausalen Zusammenhang bringt. Ist das Modell "Demokratisches Zusammenleben" auf friedliche Konfliktlösung ausgerichtet, spielen die angeborenen Verhaltensweisen des Menschen sehr wohl eine Rolle. Sie im Modell zu vernachlässigen, würde es unrealistisch machen, was dann bei einer Umsetzung in die Praxis schwerwiegende Folgen haben kann.
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