Lumen hat geschrieben:Ich bin nicht wirklich in der Materie drin, aber für mich sieht es nach einer ideologisch beladenen Debatte aus. Ich gehe davon aus, dass die Geisteswissenschaften, wie auch der Humanismus noch recht deutlich mit überholten Dualismen arbeitete.
Wenn das eine Sorge beschreiben und keine Polemik sein soll, kann ich Dir die Sorge nehmen.
Es ist aber, zugegeben, nicht ganz leicht das zu merken, wenn man die Debatte von Seiten der Naturwissenschaften verfolgt.
Exemplarisch hier die Debatte um die Willensfreiheit, in der sich in schöner Regelmäßigkeit gegen Positionen abgegrenzt wird, die kein Geisteswissenschaftler in den letzten 500 Jahren mehr vertreten hat. Ein Beispiel ist der sogenannte Homunkulus. Sein karges Dasein fristet er einzig in der Anatomiebüchern der Neurologen, zur Veranschaulichung der Areale.
Zweitens die Position der Libertarier in der Diskussion, die man als nahezu irre skizziert (die Position lautet, der willensfreie Mensch sei in seiner Entscheidung unabhängig von jeder kausalen Beeinflussung. Das ist eine Position, die sich ergeibt, wenn man ein Schema ergänzen will, mir ist überhaupt kein lebender Mensch bekannt, der diese Position vertritt.
Lumen hat geschrieben:Da die Natur, hier die Kultur. Da die niederen Instinkte, hier der edle, und klassisch gebildete Verstand.Da der Körper, hier der Geist.
Ist auch nicht richtig. Allerspätestens seit der linguistischen Wende nicht mehr, aber schon Aristoteles hat anders gedacht.
Lumen hat geschrieben:Die Meme sind nach Dawkins keine biologischer Übergriff, sondern er mutmaßte (1976! glaube ich, und auch nur mutmaßte) das es ein grundlegendes mathematisches Prinzip gibt, was sich sowohl in der Evolution als auch anderswo ausdrücken könnte.
Die Meme sind nur nicht sonderlich anerkannt, weil überhaupt nicht klar ist, was das genau sein soll. Allmählich können einige mehr damit anfangen, aber wie ich schon mal darzustellen versuchte, findest Du die Ideen schon bei Heidegger und Luhmann.
viewtopic.php?f=6&t=4330&p=93946&hilit=luhmann#p93946
Ist aber auch egal, wer da zuerst war, ich will nur sagen, dass die Idee Geisterwissenschaftlern geläufiger sein wird, als Naturwissenschaftlern, die nach dem Stoff suchen werden, aus dem die Meme sind.
Die Idee von Kommunikation an primärer Stelle ist ja durchaus nichts, was man so direkt schlucken kann.
Lumen hat geschrieben:Die Idee des Mems hat also etwas für sich.
Ich finde auch, dass der Begriff was für sich hat, andere arbeiten ja schon damit.
Lumen hat geschrieben:Allgemein betrachtet, sind die Biologismus-Vorwürfe jedenfalls bei Dawkins unangebracht, wenn ich die Definition des Wiki heranziehe. Dawkins ist definitv kein Sozialdarwinist, argumentiert gegen den naturalistischen Fehlschluss, spricht sich gerade für die zähmende Wirkung der Kultur aus, sagte irgendwo klar und deutlich, dass wir das freie Spiel der natürlichen Kräfte eben nicht wollen sollten.
Das ist dann eine Frage der Bewertung, Dawkins argumentiert da durchaus widersprüchlich.
Aufgelistet wird bei wiki:
Wikipedia hat geschrieben:die moderne Soziobiologie und Evolutionäre Psychologie, soweit sie psychologische und gesellschaftliche Phänomene ausschließlich oder ganz überwiegend auf der Grundlage genetischer Faktoren erklärt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Biologismu ... ungsformen
Und bei dem universalen Anspruch den Dawkins hinsichtlich der Wirkung der Gene formuliert, noch im „Gotteswahn“, fällt er unter diesen Befund.
Lumen hat geschrieben:Also das Gegenteil dessen, was ihm unterstellt wird. Er ist nebenbei auch Humanist.
Du kannst beides rauslesen, weil Dawkins sich selbst widerspricht, aber sich selbst zu widersprechen ist keine Tugend und Humanist zu sein erst mal nur ein Wort.
Auch bei Nuture vs. Nature fällt mir niemand ein, der ernsthaft alles Gen- oder Bio-Determiniert sieht. Beim Spezialgebiet Hirnforschung bin ich nach wie vor ein schlechter Sparringspartner, da habe ich derzeit auch für mein relatives Nichtwissen bezogen zuwenig Kenntnisse um irgendeine Meinung zu vertreten. Vielleicht ist das da so, aber dann sollte die Kritik eben an Singer oder sonstwen gehen.
Lumen hat geschrieben:Jedenfalls, wie schon einmal dargestellt: solange Kritik fair ist, in Ordnung, aber im Falle von Dawkins ist sie es meistens nicht.
Finde ich gar nicht, wir haben doch hier jenseits aller Polemik die Schwachstellen aufgelistet, ganz sachlich. Ich kann sie inzwischen singen.
Lumen hat geschrieben:Da lese ich seit langem wie "strident" (zu deutsch: kreischend, gell) und "militant" er sei, kenne aber keinen einzigen Auszug der das annähernd belegt.
Das Problem bei Dawkins ist, dass das antireligiöse Dawkins nun wirklich jedem die Tür vor der Nase zuschlägt, der mit ihm diskutieren wollen könnte. Was er macht sich Showveranstaltungen, wenn er mit irgendwelchen Kreationisten oder Evangelikalen „diskutiert“, aber das ist doch nun wirklich weit von der Lösung irgendeines Problems entfernt und das Problem lautet, wie wir in Zukunft miteinander leben wollen und sollen.
Es gibt längst pragmatische Strömungen die da ganz anders mit umgehen.
Lumen hat geschrieben:Es passt auch so garnicht zu seinem Naturell, was oft und hinreichend in Diskussionen, Debatten und Vorträgen, auch nachprüfbar bei YouTube zu sehen ist. Der Vorwurf lässt sich nur durch gekränkte religiöse Gefühle erklären.
Lumen, wenn Du eines wirklich nicht kannst, dann die Motivationen anderer richtig zuordnen. Bei allem Respekt vor Deiner sonstigen Vielfältigkeit und Intuition, hier versagt sie völlig.
Lumen hat geschrieben:Auf einer Kundgebung hat er mal einen Ton, der leicht an einen Parteitag heranreicht, aber das ist doch ein Witz. Das ist auch mein Hauptproblem, ich kann wahscheinlich berechtigte Kritik kaum mehr ernst nehmen, sofern sie nicht richtig gut und sachlich belegt ist. Dafür haben seine Kritiker zu stark überzogen, Quote-Mining betrieben und zu wenig sachliches gebracht. Da liegt die Messlatte jetzt höher.
Warum bist Du nicht in der Lage die Show zu erkennen? Dawkinskritik ist überhaupt kein Thema mehr, das ist längst im Boulevard geronnen und gehört da auch hin, die Karawane ist schon lange woanders. Dawkins hat seinen Fanclub, der immer Fanclub bleiben wird und er hat seine Feinde, die immer seine Feinde bleiben werden, für das Klima hat er selbst gesorgt. Das wird auch nicht mehr anders in diesem Leben.
Lumen hat geschrieben:Die Besprechungen zu God Delusion sind ähnlich gelagert und bisher wenig fundiert.
Vielleicht ist amazon nicht immer die besten Adresse und jetzt mal ernsthaft gefragt: Meinst Du wirklich, irgendwer mit auch nur mittleren intellektuellen Fähigkeiten, könnte das explizit populärwissenschaftliche Buch „Gotteswahn“ nicht verstehen? (Davon abgesehen personalisiert google Deine Daten, so dass man sich irgenwann nur noch in der eigenen Käseglocke bewegt, wie Du besser weißt als ich.)
Lumen hat geschrieben:Im ernst: P.Z. Myers ist eher polternd und militant, Hitchens war unnachahmlich und unnachgiebig. Aber Dawkins? Der mit der sanften Stimme, mit dem britischen Humor?
Den feinen britischen Humor hat er, aber was sagt das? Gysi ist auch Gescheit und hat Witz, wählen würde ich ihn dennoch nicht.
Lumen hat geschrieben:Finde die Kritik unfair, ob ich seine Schriften nun gut finde oder nicht.
Vermutlich findet auch nicht jeder Deine Art der Kritik fair.
Lumen hat geschrieben:Ja, er hat Leute dazu aufgerufen, Religion nicht mehr mit Respekt zu behandeln und sagt seitdem, nach Johann Hari "I respect you too much to respect your ridiculous beliefs". Im Ergebnis haben sich die Kritiker in meinem Falle selbst einen Bärendienst erwiesen, auch wenn das heute nicht mehr offensichtlich ist. Gerade der Umgang mit dem Atheismus hat mich dazu gebracht, offen Anti-Theistisch zu werden.
Da bist Du nichts Gutes gewohnt. Es gibt doch längst Schlammschlachten an allen Ecken, die Frage ist, doch nicht, wie man noch mehr diskreditiert, will man nicht amerikanische Verhältnisse haben, sondern – Stichwort Humanismus – wie man es schafft Brücken zu bauen.
Lumen hat geschrieben:Vor allem wenn Koluminsten und andere "respektvolle" Personen sich argumentativ verhalten, wie ein billiger neunjähriger Forentroll, ist es mit dem Respekt dann schnell dahin.
Die müssen doch auch Quote machen, das Internet hat auch seine Schattenseiten, wie wir alle wissen. Qualitätsjournalismus ist heute kaum mehr möglich, weil der Schnellschuss gewünscht wird. Schau doch mal, was geklickt wird, das sind die voyeuristischen Themen, wie bei Guttenberg, Wulff usw. Die Meute, die wir sind, will dann alles wissen und wenn der Mann dann am Ende ist, will man ihn kollektiv bedauern: der Arme. Ein abgeschmacktes und immer gleiches Spiel.
Wo bleibt da die Würde des Individuums, wo der Humanismus? Was sich verkauft, verkauft sich, so ist das Spiel. Etwas regressiv, ja, darum muss man nicht noch Öl ins Feuer kippen.
Lumen hat geschrieben:Kindertrolling besteht zum Beispiel darin, Belustigung zu heucheln, um den Eindruck der Erhabenheit zu erzeugen. Dann möchte der Kindertroll noch darstellen, dass das Objekt seines Spottes nicht wichtig sei, und eh keinen interessiere und ohnehin nichts neues enthalte. Vielleicht noch etwas "Appeal to Emotion" als Sahnesoße obendrauf, schön mit "Spin" und fertig ist die übliche "Kritik". Dieserundjener "setzt sich leidenschaftlich" für etwas ein, zwirbelt der gleiche Depp wahrscheinlich einen Artikel weiter, aber Dawkins sei militant und laut. Respekt ist da futsch, und den hatte ich durchaus einstmals.
Hör auf zu jammern, hilf lieber mit.
Sei polemisch gegen Polemiker, aber lern mal (wieder) denen zuzuhören, die etwas anderes im Sinn haben, als Du ihnen unterstellst. Das einen Unfairness ärgert ist ja durchaus ein nobler Zug, aber wenn man selbst unfair wird, haben die gewonnen, die es nicht verdient haben.
Lumen hat geschrieben:So sieht das dann aus: Die Anzahl an intelligenten und nicht intellektuell unehrlichen Kritikern des Atheismus bleibt im unteren einstelligen Bereich. Nehmen wir nur so Leute wie William Lane Craig, argumentativ sicher fordernd, aber eben unehrlich. Die von Dawkins angeblich verschmähten Theologen, wie der Erzbishop of Canterbury, stimmen ja gar bei fast allem zu, was Dawkins meint, kommen aber irgendwo zu einem anderen Schluss. Praktisch alle "gemäßigten" bestreiten die Faktenlage ja garnicht, werfen nur irgendwo ihre Ninja-Monk Rauchgranate und vollführen ihren "Leap of Faith". Was ist also deren Problem? /rant ;)
Wenn einer nicht reden will, will er nicht reden und man kann ihn übergehen, dass gilt ebenso für religiöse Fundamentalisten. Wenige sind echte Hetzer und Hardliner, viele werden verführt, ist man mal in der Nummer drin, weiß man selbst oft keinen Weg raus. Für Salafisten gibt es inzwischen (in Deutschland) Aussteigerprogramme wie für Neonazis und vermutlich ist noch nicht mal jeder Salafist schlimm, die so euphorisch gefeierte Revolution in Ägypten, wurde gerade auch von Salafisten durchgeführt.
Auch wenn es einem widerstrebt, auch mit den Taliban wird man reden müssen. Das wird kein philosophischer Diskurs werden, aber in Afghanistan herrschen andere Bedingungen auch die man flexibel reagieren muss. Hier kann man Naziparolen ausgrenzen, aber in Afghanistans Stammeskultur, wo es um eine Mischung aus religiösem Fundamentalismus, Geld und regionale Macht der Warlords geht, kann man nicht auf der Höhe des Diskurses einsteigen.