Naturalisierung der Ethik

Naturalisierung der Ethik

Beitragvon Libertaer » Di 15. Jan 2013, 15:37

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Vollbreit hat geschrieben:Dass aus dem Naturalismus keine Ethik abzuleiten ist, ist auch den Naturalisten bekannt, Forderungen wie Ethik brauche man gar nicht sind einfach unreflektierter Quatsch, der keine Diskussion verdient hat, weshalb sie auch nicht stattfindet.
Jeder hat so seine Vorschläge, die einem aus dem Tierreich, aber da da alles zu finden ist, weiß man nicht was man da wählen soll, die naturalistischen Fehlschlüsse drehen Purzelbäume und am Ende bekommen nicht mal die Atheisten einen Konsens hin, weshalb und wie man den gegen den Rest, der auch ein Recht aus sein Weltbild hat (und weltweit in der überragenden Mehrheit ist) durchsetzen darf und soll... ungeklärt.

Nun, nicht dass ich es für der Weisheit letzten Schluss halte, aber man sollte sich vielleicht nicht so ganz nonchalant über die Versuche von Harris und anderen zu einer Naturalisierung der Ethik hinwegsetzen. Und was den 'naturalistischen Fehlschluss' angeht: Soll er mehr als ein Totschlagargument sein, muss man schon erwähnen, dass es inzwischen auch den Vorwurf der 'natural fallacy fallacy' gibt.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Vollbreit » Di 15. Jan 2013, 15:54

Harris ist ja eher zum Fürchten, er verbringt mehr Zeit damit seine Thesen gerade zu rücken als mit anderem. Aber um mal vom ad hominem wegzukommen: Ich habe das Buch nicht gelesen, vielleicht kann jemand die Kernthesen referieren (Du vielleicht?) und/oder eine gute Kritik verlinken?

Der naturalistische Fehlschluss sollte auch nicht über Gebühr strapaziert werden, das sehe ich auch so, aber auch da sind es normativ begründete Grenzen die man setzen muss.
Soll man nun aus dem niedrigen Auftreten der Homosexualität nun doch schließen – in schlechtester religiöser Tradition -, dass es sich um einen Unfall der Natur handelt?
Und was sagen Prozentzahlen diesbezüglich überhaupt aus? Ist die straffe Hierarchie im Wolfsrudel ein Vorbild für unsere Gesellschaft? Warum (nicht)?

Andererseits gibt es Vorgaben der Natur, der wir einfach ausgeliefert sind und manche Gesetzmäßigkeiten, die wir kaum verändern können, so wir nicht Schaden erleiden wollen.
Atemrhythmus, Schlafen/Wachen, Säure/Base-Haushalt, teils kann man da mehr, teils weniger dran rumschrauben und da zeigt sich unsere Verwurzelung in der Biologie.
Auch daraus kann man Normen ableiten, aber zu mehr verpflichtet das erst mal nicht.
Ist wüsste nicht worin die Seegurke mir Vorbild sein sollte.

PS: Habe gerade selbst was gefunden, muss jetzt nur weg und konnte es noch nicht sehen:
http://www.ted.com/talks/lang/de/sam_ha ... right.html
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Myron » Di 15. Jan 2013, 17:45

Der Bereich der Metaethik ist sehr komplex, und es gibt darin mehrere grundlegende Standpunkte, von denen alle bis auf zwei mit dem metaphysischen/ontologischen Naturalismus vereinbar sind. Gemeint sind der ethische Theismus, auch bekannt als theologischer Voluntarismus (Gottesbefehlsethik), und der ethische Platonismus (à la G. E. Moore's Intuitionismus), dem zufolge es eine eigenständige, gottesunabhängige objektive moralische Realität und entsprechende objektive moralische Eigenschaften und Tatsachen gibt, die sich nicht auf natürliche Eigenschaften und Tatsachen reduzieren lassen. Den ethischen Theismus und den ethischen Platonismus kann man unter der Bezeichnung supernaturalistischer ethischer/moralischer Realismus zusammenfassen.

Es ist wichtig anzumerken, dass metaphysische/ontologische Naturalisten zwar keinen supernaturalistischen ethischen Realismus, aber durchaus einen nichtnaturalistischen metaethischen Standpunkt vertreten können. Der ethische Supernaturalismus ist per se nichtnaturalistisch, aber der ethische Nichtnaturalismus ist nicht per se supernaturalistisch.
Der ethische Naturalismus ist eine Art von ethischem Realismus, aber metaphysische/ontologische Naturalisten müssen keine ethischen Realisten und damit auch keine ethischen Naturalisten sein. Aber wenn sie ethische Realisten sind, dann müssen sie ethische Naturalisten sein, da alle anderen Arten von ethischem Realismus nicht mit dem metaphysischen/ontologischen Naturalismus vereinbar sind.

Siehe dazu diesen älteren Thread: Kognitivismus vs. Nonkognitivismus in der Ethik

Metaethics: http://plato.stanford.edu/entries/metaethics/

Moral Realism: http://plato.stanford.edu/entries/moral-realism/

Moral Anti-Realism: http://plato.stanford.edu/entries/moral-anti-realism/

Moral Cognitivism vs. Non-Cognitivism: http://plato.stanford.edu/entries/moral-cognitivism/

Moral Naturalism: http://plato.stanford.edu/entries/naturalism-moral/

Moral Non-Naturalism: http://plato.stanford.edu/entries/moral-non-naturalism/
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Libertaer » Di 15. Jan 2013, 19:40

Vollbreit hat geschrieben:Ich habe das Buch nicht gelesen, vielleicht kann jemand die Kernthesen referieren (Du vielleicht?) und/oder eine gute Kritik verlinken?

Dazu müsste ich das Buch wieder vollständig lesen, wozu mir im Moment die Zeit fehlt. Vielleicht ist aber eine Passage aus der Einleitung interessant:
'Obwohl die Meinung, die ich in diesem Buch vertrete, bestimmt umstritten sein wird, beruht sie auf einer sehr einfachen Vorraussetzung: Menschliches Wohlergehen beruht völlig auf Ereignissen in der Welt und Zuständen des menschlichen Gehirns. Folglich muss es wissenschaftliche Wahrheiten geben, die man darüber wissen kann. Ein genaueres Verständnis dieser Wahrheiten wird uns dazu zwingen, klare Unterscheidungen zwischen verschiedenen Weisen, in der Gesellschaft zu leben, zu machen, und manche als besser wie andere, mehr oder weniger den Fakten entsprechend und als mehr oder weniger ethisch zu beurteilen. Solche Einsichten könnten uns offensichtlich helfen, die Qualität des menschlichen Lebens zu verbessern (...).


Vollbreit hat geschrieben:Soll man nun aus dem niedrigen Auftreten der Homosexualität nun doch schließen – in schlechtester religiöser Tradition -, dass es sich um einen Unfall der Natur handelt?

Ach komm doch! Das wäre nicht mal ein 'naturalistischer Fehlschluss', sondern schlicht schlechte Wissenschaft, und ich glaube, das weißt du genau! Manche verkaufen für eine Pointe ihre Großmutter... :mg:
Vollbreit hat geschrieben:Und was sagen Prozentzahlen diesbezüglich überhaupt aus? Ist die straffe Hierarchie im Wolfsrudel ein Vorbild für unsere Gesellschaft? Warum (nicht)?

Prozentzahlen sagen (in diesem Zusammenhang) gar nichts aus, und ich weiß nicht, wer behauptet, sie täten es.

Vollbreit hat geschrieben:Ist wüsste nicht worin die Seegurke mir Vorbild sein sollte.

Und ich wüßte nicht, aus welchen Erkenntnissen einer naturalisierten Ethik man ableiten sollte, sich Seegurken zum Vorbild zu nehmen.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Lumen » Di 15. Jan 2013, 21:47

Harris ist super. Ich stimme ihm zwar häufiger nicht zu, aber ich muss ihm lassen, dass er sauber argumentiert, recht rigoros in seinen Schlüssen ist und regelmäßig in Dialoge mit Kritikern tritt, Kritik beantwortet und auch deren Ansichten auf seinem Blog mit darstellt. Er ist im besten Sinne nachdenklich stimmend.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Vollbreit » Mi 16. Jan 2013, 09:44

Myron hat geschrieben:Der Bereich der Metaethik ist sehr komplex, und es gibt darin mehrere grundlegende Standpunkte, von denen alle bis auf zwei mit dem metaphysischen/ontologischen Naturalismus vereinbar sind.


Danke, für die Orientierungshilfen in Dschungel der Metaethik.

Ich glaube, dass es auch noch wichtig ist festzuhalten, dass es den Naturalismus nicht gibt, sondern engere und breitere Spielarten.
Dawkins beruft sich auf den Naturalismus, ebenso wie Habermas und jeder enge Biologist wird meinen, er sei ein Naturalist.
In einer breit definierten Form ist mir gar nicht klar, wie man kein Naturalist sein kann.

Aber mit dem Naturalismus vereinbar heißt deshalb auch nicht viel, weil es alles mögliche bedeuten kann. Diskurstheorie, Systemtheorie oder eben die Idee, alles was wir brauchen, sei uns ohnehin angeboren, ob in romantischer oder homo oeconomicus Variante, all das (und noch viel mehr) ist kompatibel mit dem Naturalismus.


@ Libertaer:

Der entscheidende Punkt bei all den Diskussionen ist der: Du kannst die Natur: des Menschen, der Seegurke, der Ameisensstaaten und so weiter nun beobachten, bis Du grün wirst, der Sprung vom „so macht es die Natur“ zum „so sollten wir es auch machen“ ist immer begründungsbedürftig.

Meistens werden aber in der Begründung, die dann mit Zahlen, Statistiken und angeborenen Wünschen, die wir (angeblich) alle haben, wenn wir fit sind (Nichtfitte, sind damit schon degradiert und haben kein Stimmrecht mehr) bereits wieder Eigenschaften und Motive vorausgesetzt, die wir gar nicht haben/teilen müssen.
Es mag ja interessant sein, zu wissen, wie Canidenrudel organisiert sind oder wann Affen zum Teilen bereit sind, aber was genau sagt uns das nun?

Dawkins Appell: Gebt Acht auf eure egoistischen Gene (denn sie machen euch zu einem großen Teil auch zu egoistischen Menschen) überwindet zwar den Biologismus, da hat Lumen recht, aber Dawkins fällt sofort wieder in den Biologismus zurück, wenn er sagt, dass die Gene ja eigentlich unserer ganzes Tun determinieren.

Nun müsste man genauer fragen: Determinieren sie uns in einer Weise, dass wir nun gar nicht anders handeln können, als wir tun, weil nicht etwa unser freier Wille auf der Basis guter Gründe unser Handeln motiviert und leitet (wenigstens hier und da, aber prinzipiell möglich)?
Genau dann ist der Appell widersprüchlich, er lautet dann: Sei anders, als du bist (ohne dass die prinzipielle Möglichkeit bestünde, es zu tun).

Wenn aber unsere Gene uns nur statistisch determinieren, also so als grobe Möglichkeit, die den Rahmen so setzt, dass dem Schwein keine Flügel wachsen, spricht Dawkins eine Banalität aus.
Es ist die Freudsche Erkenntnis, dass die triebhafte Natur, in der Tat oft sehr egofixiert ist und mit der Kultur der Normen und Gebote, die natürlich auch biologisch kondensiert, vom armen Ich in Einklang zu bringen sei, was zum berühmten „Unbehagen in er Kultur“ durch die notwendige Zurückstellung der Triebwünsche führt.
Es sind die zwei Seelen, ach in meiner Brust und wenn man mal genauer hinschaut, sind religiöse Gebote und Verbote, in weiten Teilen nichts anderes, als der Versuch exakt jener Triebseele Zügel anzulegen. Oft wird ja auch gerade mit der Unnatürlichkeit religiöser Dogmen argumentiert, natürlich sind sie unnatürlich, jedes ethische System und moralische Gebot ist im tiefsten Sinne unnatürlich, wenn natürlich heißt, allem seinen Lauf zu lassen.

Und welcher Natur? Der des Affen, der seinen Kindern Praktiken des Alltags zeigt oder der des Löwenmännches, dass die Kinder den Konkurrenten umbringt? Warum das eine und nicht das andere? Das muss begründet werden, weil das „ist doch wohl ganz klar“ bereits auf Normen und Werte rekurriert, die wir alle schon gefressen haben, genau deshalb ist uns das „ganz klar“.

Wenn Harris es also schafft ohne Zirkel zu begründen, wie man aus der Natur genau bestimmte Werte begründet extrahiert und andere zurückweist, dann bringt uns das weiter.
Vielleicht fällt Dir ja dazu eine prägnante Stelle ein.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Vollbreit » Do 17. Jan 2013, 09:18

@ Myron:

Abermals Danke, für die Verlinkung.
Ich finde Brandoms Position noch interessant, dem manchmal unterstellt wird, einen semantischen Idealismus zu vertreten.
Dieser semantische Idealismus ist nicht spiritualistisch supernaturalistisch, er behauptet, dass – hier Kant folgend – Denken immer Urteilen bedeutet. Die Letztinstanz über die Güte der Urteile hat die Sprachgemeinschaft, aber nicht im Sinne einer Abstimmung, sondern gegliedert in einem allmählichen ansteigen oder absinken des sozialen (deontischen) Kontostandes.

All unsere Praktiken sind einfach nur Arten der Festlegung im Spiel des Gebens und Verlangens von Gründen, d.h. in diese eingebettet. Aus Aussagen und Handlungen ergeben sich weitere logisch-inferentielle Festlegungen, die man einzuhalten verpflichtet ist, wenn man nicht will, dass der soziale Kontostand sinkt.
Läuft alles rund (den Erwartungen entsprechend) stellt niemand Fragen, löst man eine implizite oder explizite Behauptung nicht ein, besteht hingegen die Berechtigung Fragen zu stellen, die der Einzelne dann begründet ausräumen kann (das Gelingen/Misslingen der Erklärung hat wiederum Einfluss auf den sozialen Kontostand)

Der Vorteil dieser Methode ist, dass er Sprache als ein „weitgehend unabhängiges Reich“ anerkennt, ebenso wie Mathematik und auch Fiktionalität. Vorteil deshalb, weil es nun möglich ist, bspw., Aussagen zu fiktionalen Texten, bestimmte Wahrheitswerte zuzuordnen, indem man die Behauptung als falsch zurückweisen kann, dass „Pegasus“ ein Schwein mit Flügeln sei und „Aschenputtel“ den Schnee macht.

Der übliche Zugang, das alles ins Reich der Phantasie, das ja ohnehin gar nicht wirklich existiert, zu verweisen, erscheint mir da immer recht hilflos zu agieren, zumal ein riesiger Anteil dessen, worum wir uns Sorgen, gar nicht 'wirklich existiert', wir aber unablässig damit beschäftigt sind dort Energie reinzupumpen.

Der Gefahr sich in „verbaler Schaumschlägerei“ zu ergehen und „die Welt zu verlieren“ entgeht man durch das Korrektiv der möglichen sozialen Zurückweisung und dem steten Wechsel, bzw. der gegenseitigen Bedingtheit von praktischen und theoretischen Festlegungen.

Wer bspw. seine Unterschrift unter einen Vertrag setzt, der agiert in der Welt sozialer Regelwerke und Festlegungen und anerkennt implizit, diese Welt, durch seine Unterschrift. Dies physikalistisch zurückführen zu wollen, auf die Atome der Tinte, die im Auge des Betrachters etwas auslösen, dann im Hirn usw. erscheint mir etwas halsbrecherisch.

Brandom verlässt den naturalistischen Kontext nicht, m.E. ist seine Methode aber gut geeignet um auch mit Behauptungen umzugehen, die diesen Anspruch haben oder erwecken. Wer von seinen Träumen, Phantasien oder Meditationserfahrungen redet, kann das weiterhin tun. Ein aggressives: „Gib es doch gar nicht“ oder „Alles Phantasie“ oder auch „Alles nur Hirnzustände“, das letztlich jede Diskussion im Keim erstickt und einen auch (aus eigener Hilflosigkeit) dazu nicht befähigt, wenn man möchte, kann ebenso geführt werden. Was sagen andere dazu, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben? Experiment als Grundlage und dann intersubjektiver Abgleich. Zweitens: Was folgt ganz praktisch daraus (welche konkreten Festlegungen)? Auch das kann man diskutieren.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Libertaer » Do 17. Jan 2013, 13:17

Was eine Zusammenfassung von Sam Harris' 'Moral Landscape' angeht:
Hier fasst er selber seine Thesen (sowohl als Video als auch als Text) gut zusammen.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Vollbreit » Do 17. Jan 2013, 15:26

Sam Harris hat geschrieben:The first project is to understand what people do in the name of "morality."
...
We can examine all these phenomena in as nonjudgmental a way as possible and seek to understand them. We can understand them in evolutionary terms, and we can understand them in psychological and neurobiological terms, as they arise in the present. And we can call the resulting data and the entire effort a "science of morality".

For most scientists, this project seems to exhaust all that legitimate points of contact between science and morality — that is, between science and judgments of good and evil and right and wrong.


Ich würde das nach wie vor als deskriptiv ansehen.

Harris auch:
Sam Harris hat geschrieben:But I think this is a distinct project, and it's not purely descriptive. It's a normative project. The question is, how can we think about moral truth in the context of science?


Warum Wahrheit (truth)?

Sam Harris hat geschrieben:In 1947, when the United Nations was attempting to formulate a universal declaration of human rights, the American Anthropological Association stepped forward and said, it can't be done. This would be to merely foist one provincial notion of human rights on the rest of humanity. Any notion of human rights is the product of culture, and declaring a universal conception of human rights is an intellectually illegitimate thing to do. This was the best our social sciences could do with the crematory of Auschwitz still smoking.


Solche Zeilen finde ich eher zweifelhaft.

Sam Harris hat geschrieben:And yet, on the subject of morality, we seem to think that the possibility of differing opinions, the fact that someone can come forward and say that his morality has nothing to do with human flourishing — but depends upon following shariah law, for instance — the fact that such position can be articulated proves, in some sense, that there's no such thing as moral truth. Morality, therefore, must be a human invention. The fact that it is possible to articulate a different position is considered a problem for the entire field. But this is a fallacy.


Aha, es gibt also eine moralische Wahrheit, über die menschliche Erfindung oder Setzung hinaus, das scheint eine Kernthese zu sein.

Sam Harris hat geschrieben:I am saying that we also have an intuitive morality, and much of our intuitive morality may be wrong with respect to the goal of maximizing human flourishing — and with reference to the facts that govern the well-being of conscious creatures, generally.


Nun muss das Ziel einer Moral ja nicht unbedingt die Maximierung des Wohlbefindens generell sein. Aber ich kann akzeptieren, dass das ein lohnenswertes Ziel ist.

Sam Harris hat geschrieben:So I will argue, briefly, that the only sphere of legitimate moral concern is the well-being of conscious creatures.


Na gut, wenigstens weiß man, worüber man redet.
Moralische Urteile und Quellen sollten bewusst sein, sagt Harris.
Ja.

Sam Harris hat geschrieben:We all know that it would take a very different kind of person to walk past a child drowning in a shallow pond, out of concern for getting one's suit wet, than it takes to ignore an appeal from UNICEF. It says much more about you if you can walk past that pond. If we were all this sort of person, there would be terrible ramifications as far as the eye can see. It seems to me, therefore, that the challenge is to get clear about what the actual consequences of an action are, about what changes in human experience are possible, and about which changes matter.


Wie mir scheint, das alte Problem.
Man kann anerkennen, dass bestimmte Handlungen, für die Welt oder das Zusammenleben nicht gut wären, aber warum muss mich das jucken? Ich kann es sehen, anerkennen, dass es so ist und es mus mich nicht die Bohne interessieren.

Umso mehr, wenn ich die Idee verinnerlicht habe, dass jemandem zu helfen, eigentlich keine noble Tat an sich ist, sondern ich das nur tue, um mir langfristige Vorteile für mich selbst zu verschaffen.
Das Kind, das im See ohne Zeugen ertrinkt, tja sorry, dumm gelaufen, die Hauptsache ist doch, es sieht mich keiner. Gibt es Zeugen, sollte ich mich bemühen den Anschein zu erwecken, als wolle ich helfen, gibt es keine Zeugen, sollte ich mich bemühen wegzukommen, bevor Zeugen auftauchen.
Wer möchte dieses Argument widerlegen, das sich aus dem Verständnis der uns angeborenen Egoismus ableitet, der 1) offen egoistisch ist oder 2) kooperiert und den eigenen Nutzen zu vergrößern oder 3) kooperiert, wenn er auf Verwandte triftt oder 4) und 5) kooperiert, um sich als Gönner oder großzügiger Mensch feiern und bewundern zu lassen (weil das den eigenen Wert erhöht).


Die moralische Landkarte zeigt mehrere Höhen und Täler, so Harris:

Sam Harris hat geschrieben:However, there will be many more ways to not be on a peak. And it is clearly possible to be wrong about how to move from our present position to the nearest available peak. This follows directly from the observation that whatever conscious experiences are possible for us are a product of the way the universe is. Our conscious experience arises out of the laws of nature, the states of our brain, and our entanglement with the world. Therefore, there are right and wrong answers to the question of how to maximize human flourishing in any moment.


Und wie sieht diese Landkarte nun aus, abgesehen davon, dass das recht halsbrecherische Behauptungen sind.

Sam Harris hat geschrieben:This becomes incredibly easy to see when we imagine there being only two people on earth: we can call them Adam and Eve. Ask yourself, are there right and wrong answers to the question of how Adam and Eve might maximize their well-being? Clearly there are. Wrong answer number one: they can smash each other in the face with a large rock. This will not be the best strategy to maximize their well-being.


Moment mal. Wo kommt denn nun dieser unstillbare, mal eben so reingeschmuggelte Drang, das Wohlbefinden der Menschheit dringend verbessern ZU WOLLEN her? Ist der uns allen angeboren? Wenn ja, wo war der Drang bei Adolf Hilter, Josef Stalin, Saddam Hussein, den diversen Amokläufern und Sereinkillern...???

Wenn nicht, ist es dann eine rationale Überlegung?
Was, wenn unser Adam Spaß daran hat Blut fließen zu sehen, viel lieber onaniert oder Leichen schändet (wobei das schon eine Wertung ist die ja aus der erst zu schaffenden moralischen Sphäre stammt), als mit Eva Sex zu haben oder teilen zu müssen oder sonst was?
Das ist doch alles andere als klar.

Sam Harris hat geschrieben:Of course, there are zero sum games they could play. And yes, they could be psychopaths who might utterly fail to collaborate. But, clearly, the best responses to their circumstance will not be zero-sum.


Äh ja? Und warum noch mal, wenn es so clearly ist?

Sam Harris hat geschrieben:The prospects of their flourishing and finding deeper and more durable sources of satisfaction will only be exposed by some form of cooperation.


Ja, natürlich. Schade, dass das Buch nicht eher geschrieben wurde, hätte uns die Nazizeit sicher erspart. „Ey Adolf, Juden vergasen und Kriege führen macht unglücklich.“ „Echt? Wusst' ich gar nicht, na dann, lass uns mal Moscheen bauen.“

Egal, vielleicht verstehe ich es einfach nicht. Die Frage die ich habe ist, warum ich (also irgendwer überhaupt sollen sollte. Was bringt mich dazu ein moralischer (fairer) Mensch zu sein?
Warum sollten alle das Ziel haben, das Wohlergehen der Menschen zu vergrößern, wo es doch offenbar nicht alle haben?
Wo kommt die explizit naturalistische Note ins Spiel, die man vorher noch nicht kannte oder die überhaupt etwas erklärt?
Was hindert mich daran, mir diese Theorie (sofern da eine erkennbar ist) zu nehmen und auf die Idee zu kommen, es sei das Beste für mich (als egoistisches Wesen, das ich nun mal bin, weil wir es angeblich alle sind) effektiv so zu tun, als sei ich ein netter, kooperativer, hilfsbereiter Mensch und es in Wirklichkeit nicht zu sein. Wenig Aktion, viel Werbung, das könnte eine super Mischung sein. Die anderen animieren tatsächlich moralisch zu sein, WEIL man davon maximal profitiert, wenn man radikaler Egoist ist.
Weil man sowas nicht tut?
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Libertaer » Do 17. Jan 2013, 16:56

Vollbreit hat geschrieben:Ich würde das nach wie vor als deskriptiv ansehen.

Harris auch:
Sam Harris hat geschrieben:But I think this is a distinct project, and it's not purely descriptive. It's a normative project. The question is, how can we think about moral truth in the context of science?

Ja, Harris auch. Erschreibt das (letzter Satz, zweiter Abschnitt) ja auch wörtlich:
This would be a purely descriptive science of the sort that I hear Jonathan Haidt advocating.


Vollbreit hat geschrieben:Warum Wahrheit (truth)?

Mal dumm gefragt: Warum nicht?

Vollbreit hat geschrieben:Solche Zeilen finde ich eher zweifelhaft.

Was genau?

Vollbreit hat geschrieben:Aha, es gibt also eine moralische Wahrheit, über die menschliche Erfindung oder Setzung hinaus, das scheint eine Kernthese zu sein.

Eben nicht 'über die menschliche Erfindung oder Setzung hinaus'. Das Wohlergehen (well-being) wird durchaus normativ 'gesetzt', und ich finde das legitim. Wir brauchen uns auch gar nicht auf eine in allen Fällen für alle gültige Definition von Wohlergehen zu einigen - wir haben beim Konzept der (körperlichen) Gesundheit das gleiche Problem, was uns aber (jedenfalls außerhalb des universitären Bereiches :mg: ) nicht daran hindert, hinreichend zwischen Gesundheit und Nicht-Gesundheit unterscheiden zu können, um einen Konsens zu erzielen.

Vollbreit hat geschrieben:Wie mir scheint, das alte Problem.
Man kann anerkennen, dass bestimmte Handlungen, für die Welt oder das Zusammenleben nicht gut wären, aber warum muss mich das jucken? Ich kann es sehen, anerkennen, dass es so ist und es mus mich nicht die Bohne interessieren.

Nein, muss es nicht, aber genau darum geht es: Harris, wohl auch Singer, Roth et al. würden in diesem Falle von einer Fehlfunktion des Gehirns, einem Hormonungleichgewicht usw. ausgehen. Und ja (weil das sonst bestimmt in der einen oder anderen Verkleidung als Einwand kommt): auch hier greift wieder eine 'Setzung'. Und weil wir befürchten müssen, dass deine Haltung
Das Kind, das im See ohne Zeugen ertrinkt, tja sorry, dumm gelaufen, die Hauptsache ist doch, es sieht mich keiner. Gibt es Zeugen, sollte ich mich bemühen den Anschein zu erwecken, als wolle ich helfen, gibt es keine Zeugen, sollte ich mich bemühen wegzukommen, bevor Zeugen auftauchen.

unser Wohlergehen ganz gehörig mindert, da es eventuell unser Kind ist, wird man sich drum kümmern müssen.
Vollbreit hat geschrieben:Wer möchte dieses Argument, das ich aus dem Verständnis der uns angeborenen Egoismus ableitet, der 1) offen egoistisch ist oder 2) kooperiert und den eigenen Nutzen zu vergrößern, 3) kooperiert, wenn er auf Verwandte triftt und 4) und 5) kooperiert um sich als Gönner oder großzügiger Mensch feiern und bewundern zu lassen (weil das den eigenen Wert erhöht).

Ich weiß ja schon, dass du Strohmänner liebst. Ich weiß aber nicht, woher diese Obsession kommt, hinter jeder (natur)wissenschaftlichen Betrachtung von Ethik die unsichtbare Hand des egoistischen Gens zu vermuten.

Vollbreit hat geschrieben:Und wie sieht diese Landkarte nun aus, abgesehen davon, dass das recht halsbrecherische Behauptungen sind.

Auch hier wäre es wieder hilfreich, zu erfahren, was genau für dich da halsbrecherich ist. (Was 'halsbrecherische Behauptungen' angeht, sollte die Beschäftigung mit Wilber bei dir für stärkere Nerven gesorgt haben...)

Vollbreit hat geschrieben:Moment mal. Wo kommt denn nun dieser unstillbare, mal eben so reingeschmuggelte Drang, das Wohlbefinden der Menschheit dringend verbessern ZU WOLLEN her? Ist der uns allen angeboren? Wenn ja, wo war der Drang bei Adolf Hilter, Josef Stalin, Saddam Hussein, den diversen Amokläufern und Sereinkillern...???

Wenn nicht, ist es dann eine rationale Überlegung.
Was, wenn unser Adam Spaß daran hat Blut fließen zu sehen, viel lieber onaniert oder Leichen schändet (wobei das schon eine Wertung ist die ja aus der erst zu schaffenden moralischen Sphäre stammt), als mit Eva Sex zu haben oder teilen zu müssen oder sonst was?

Das hatten wir oben schon, in anderen Kostümen...
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon Libertaer » Do 17. Jan 2013, 18:31

Nachtrag:

Vollbreit hat geschrieben:Der entscheidende Punkt bei all den Diskussionen ist der: Du kannst die Natur: des Menschen, der Seegurke, der Ameisensstaaten und so weiter nun beobachten, bis Du grün wirst, der Sprung vom „so macht es die Natur“ zum „so sollten wir es auch machen“ ist immer begründungsbedürftig.

Wo steht und wer behauptet, um alles in der Welt, dass man diesen Sprung nicht begründen müsste?

Vollbreit hat geschrieben:Meistens werden aber in der Begründung, die dann mit Zahlen, Statistiken und angeborenen Wünschen, die wir (angeblich) alle haben, wenn wir fit sind (Nichtfitte, sind damit schon degradiert und haben kein Stimmrecht mehr) bereits wieder Eigenschaften und Motive vorausgesetzt, die wir gar nicht haben/teilen müssen.

Ja, und da weder der Depp am Teich, noch Hitler, Stalin und die anderen üblichen Verdächtigen diese von dir dem Naturalismus unterstellten (!) angeborenen Wünsche haben, folgern wir daraus eine Widerlegung des Naturalismus. Aber als Spielverderber hätte ich da doch ganz gerne wenigstens einen Beleg für die Postulierung von 'angeborenen Wünschen' und dafür, wie angeblich aus Zahlen auf ein Sollen geschlossen wird.

Vollbreit hat geschrieben:...aber Dawkins fällt sofort wieder in den Biologismus zurück, wenn er sagt, dass die Gene ja eigentlich unserer ganzes Tun determinieren.

Nun müsste man genauer fragen: Determinieren sie uns in einer Weise, dass wir nun gar nicht anders handeln können, als wir tun, weil nicht etwa unser freier Wille auf der Basis guter Gründe unser Handeln motiviert und leitet (wenigstens hier und da, aber prinzipiell möglich)?
Genau dann ist der Appell widersprüchlich, er lautet dann: Sei anders, als du bist (ohne dass die prinzipielle Möglichkeit bestünde, es zu tun).

Nun müsste man genauer fragen: Wo genau steht das so?

Vollbreit hat geschrieben:Und welcher Natur? Der des Affen, der seinen Kindern Praktiken des Alltags zeigt oder der des Löwenmännches, dass die Kinder den Konkurrenten umbringt? Warum das eine und nicht das andere? Das muss begründet werden, weil das „ist doch wohl ganz klar“ bereits auf Normen und Werte rekurriert, die wir alle schon gefressen haben, genau deshalb ist uns das „ganz klar“.

Weißt du, solche Beispiele machen eine Diskussion mit dir schwierig, wenn nicht unmöglich. Da wird mal kurzerhand ein Unterschied zwischen Affe und Löwe unterstellt (auch Affen bringen die Kinder von Konkurrenten um) und damit von der eigentlichen Frage abgelenkt: Adoptierte Kinder (genetisch also Kinder von 'Konkurennten') haben ein deutlich höheres Risiko durch die Hand ihrer Adoptiveltern zu Schaden zu kommen als die leiblichen Kinder. Dieses Verhalten hat also eventuell biologische Wurzeln. Sind wir dieser Biologie jetzt ausgeliefert, weil Löwen und Affen es genauso machen? Natürlich nicht, weil niemand, von dem ich in der Diskussion je gelesen hätte, diese Form der genetischen Determiniertheit vertritt.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon Zappa » Do 17. Jan 2013, 19:40

Und was den 'naturalistischen Fehlschluss' angeht: Man kann ihn doch lediglich aus einer nicht-naturalistischen - also nach Forenmeinung inexistenten - Sicht kritisieren, oder? Wenn Moral und Werte, wie alles natürlich sind, dann ist es auch kein naturalistischer Fehlschluss deren Einhaltung einzufordern.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon Libertaer » Do 17. Jan 2013, 20:17

Zappa hat geschrieben:Man kann ihn doch lediglich aus einer nicht-naturalistischen - also nach Forenmeinung inexistenten - Sicht kritisieren, oder?

Ironie? Wenn nicht: Hier wird doch dauernd über nicht-naturalistische Theorien diskutiert.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon AgentProvocateur » Do 17. Jan 2013, 20:34

Zappa hat geschrieben:Und was den 'naturalistischen Fehlschluss' angeht: Man kann ihn doch lediglich aus einer nicht-naturalistischen - also nach Forenmeinung inexistenten - Sicht kritisieren, oder?

Weiß auch nicht, wie Du darauf kommst. Weder muss man Naturalist sein, um einen naturalistischen Fehlschluss zu begehen (z.B.: katholische Kirche: Homosexualität sei widernatürlich), noch muss man Naturalist sein, um einen NF kritisieren zu können.
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Re: Was ist 'bright' am 'Brights'-Forum?

Beitragvon AgentProvocateur » Do 17. Jan 2013, 20:47

Vollbreit hat geschrieben:
Sam Harris hat geschrieben:So I will argue, briefly, that the only sphere of legitimate moral concern is the well-being of conscious creatures.

Na gut, wenigstens weiß man, worüber man redet.
Moralische Urteile und Quellen sollten bewusst sein, sagt Harris.
Ja.

Aber das steht doch da gar nicht. Was da steht, ist: nur das sei Moral, was bewusste Wesen und deren 'well-being' (mE hier im Sinne von: 'gutes Leben' gemeint) beträfe.

Das Problem, das ich mit Harris habe, ist, dass er viel zu allgemein bleibt. Man könne es evtl. so und evtl. auch so machen, müsse man dann eben sehen, könne aber beides okay sein.

Das ist wenig ergiebig. Und seinen Angriff auf moralischen Realismus finde ich ziemlich langweilig, weil mir scheint, dass er da ein Zerrbild angreift. (Ich kenne allerdings die Verhältnisse in den USA nicht so gut, vielleicht ist das alles auch sehr US-spezifisch und für uns Europäer schlicht daher nicht von Interesse.)

Klar fände ich es auch besser, dem Nachbarskind ein Bonbon zu schenken als ihm eine Hand abzuhacken. Aber sich darüber zu streiten, ob das jetzt eine objektive Wahrheit sei oder nicht, finde ich letztlich ziemlich fruchtlos.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon Vollbreit » Do 17. Jan 2013, 21:13

Libertaer hat geschrieben:Wo steht und wer behauptet, um alles in der Welt, dass man diesen Sprung nicht begründen müsste?


Keine Ahnung. Vielleicht sehe ich das ja falsch, aber ich hatte das Programm der Naturalisierung der Ethik bisher ungefähr so verstanden, dass man von Seiten der Naturwissenschaft Ethik und Moral vorwirft mehr oder minder willkürlich zu sein.
Das „Du sollst (nicht)...“ der Bibel oder anderer religiöser Schriften bezieht sich, so die Kritik, auf ein Märchenbuch, das mehr oder minder die Begründung aufstellt, man tut x (nicht), weil Gott das nicht will.
Auch der Konsenssuche wird unterstellt willkürlich zu agieren, da ja jede Kultur und Zeit ihre Werte hat, aber es angeblich (m.E. ist schon das diese Unterstellung von Harris nicht richtig) keine universellen Werte gäbe, die verlässlichen Charakter haben.

Das soll sich nun ändern, mit der moralischen Wahrheit, die sich aus dem Naturalismus (also verschiedenen empirischen Untersuchungen) herleiten lässt. In diversen empirischen Versuchsanordnungen wird man m.E. ein breites Spektrum von Verhaltensweisen finden und die Frage taucht auf, welche dieser Verhaltensweisen nun aus welchen (auf die moralische Wahrheit rekurrierenden?) Gründen gelebt werden und welche zurückgewiesen werden soll.


Libertaer hat geschrieben:Aber als Spielverderber hätte ich da doch ganz gerne wenigstens einen Beleg für die Postulierung von 'angeborenen Wünschen' und dafür, wie angeblich aus Zahlen auf ein Sollen geschlossen wird.


Die Frage wollte ich stellen: Was sind die Kriterien anhand derer auf ein Sollen geschlossen wird?
Was macht eine moralische Wahrheit zu einer solchen?

Libertaer hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:...aber Dawkins fällt sofort wieder in den Biologismus zurück, wenn er sagt, dass die Gene ja eigentlich unserer ganzes Tun determinieren.

Nun müsste man genauer fragen: Determinieren sie uns in einer Weise, dass wir nun gar nicht anders handeln können, als wir tun, weil nicht etwa unser freier Wille auf der Basis guter Gründe unser Handeln motiviert und leitet (wenigstens hier und da, aber prinzipiell möglich)?
Genau dann ist der Appell widersprüchlich, er lautet dann: Sei anders, als du bist (ohne dass die prinzipielle Möglichkeit bestünde, es zu tun).


Nun müsste man genauer fragen: Wo genau steht das so?


In „Das egoistische Gen“ auf den Seiten 22, 23 und 405, wie hier zitiert:
viewtopic.php?f=5&t=4195&p=89424#p89424

Libertaer hat geschrieben:Weißt du, solche Beispiele machen eine Diskussion mit dir schwierig, wenn nicht unmöglich. Da wird mal kurzerhand ein Unterschied zwischen Affe und Löwe unterstellt (auch Affen bringen die Kinder von Konkurrenten um) und damit von der eigentlichen Frage abgelenkt: Adoptierte Kinder (genetisch also Kinder von 'Konkurennten') haben ein deutlich höheres Risiko durch die Hand ihrer Adoptiveltern zu Schaden zu kommen als die leiblichen Kinder. Dieses Verhalten hat also eventuell biologische Wurzeln. Sind wir dieser Biologie jetzt ausgeliefert, weil Löwen und Affen es genauso machen? Natürlich nicht, weil niemand, von dem ich in der Diskussion je gelesen hätte, diese Form der genetischen Determiniertheit vertritt.


Dafür vielleicht eine andere Form von Determiniertheit, die keinen freien Willen zulässt?
Kommt unterm Strich aufs selbe raus. Die Frage ist doch die, ob wir qua Einsicht und Vernunft wider unsere Natur handeln können, in dem Sinne, dass unsere rationale Einsicht und damit Willensfreiheit eine ernstzunehmende kausale Größe darstellt, oder nicht.
Was ist denn Harris Position dazu? Die hier:
http://hpd.de/node/13135

Letztlich glaubt kaum ein Hirnforscher oder Biodeterminist an den freien Willen, Dawkins appelliert immerhin an ihn, ohne dass er hier in irgend einer Weise klar wäre.
Ich will das gerne erklären: Ein Appell vor seinen Genen auf der Hut zu sein, unterstellt, dass wir einen gewissen Einfluss auf unser Verhalten haben. Wir sind also unseren Genen gar nicht ausgeliefert, bezogen auf unser Verhalten. Die Bemerkung von Dawkins, von Seite 405, ist nach meiner Erinnerung eine nachträglich eingefügte, in der er Vorwürfe er vertrete einen genetischen Determinismus zurückweisen möchte, offenbar hatte man ihn, aus seiner Sicht fälschlich, so verstanden.
Nun heißt es, der Determinismus sei nur statistischer Natur und könne locker sogar in sein Gegenteil verkehrt werden (S.405, siehe obiger link). Kurz und gut, alles halb so wild, die Gene haben einen Einfluss, der offenbar völlig zu vernachlässigen ist.

Warum dann aber, der pathetische Appell von Seite 23, wir mögen vor unseren Genen auf der Hut sein, wir sollten, bei der Etablierung einer fairen Gesellschaft keinerlei Hilfe von ihnen erwarten, wenn die Dinger, sowieso keine Rolle spielen?
Was soll denn der Satz, dass wir "egoistisch geboren" sind, bedeuten, wenn nicht genau das, dass wir egoistisch geboren sind? (Hat unsere angeborene Verhaltensweise nichts mit Genen zu tun?)
Wenn da keine klare Linie ersichtlich ist, dann liegt das daran, dass da keine drin ist, das ist alles sehr widersprüchlich. Noch 30 Jahre später, diesmal in „Der Gotteswahn“ nimmt Dawkins keinesfalls Abstand von seiner These der egoistischen Gene, sondern umschreibt klar, welches Verhaltensspektrum unsere egoistischen Gene zulassen, es sind die 5 Punkte, die ich schon beschrieben habe, zur Not könnte ich auch sie aus dem „Gotteswahn“ zitieren.
Ich habe auch keinen Hinweis darauf gelesen, dass für den Bereich der Menschen ganz andere Regeln gelten würden und die Gene eigentlich gar keine Rolle spielen.

Nun geht es aber auch um Harris und der ist ein eisenharter Determinist, der nicht weiter kommt, als bis zu der Vorstellung, dass Determinismus und Freiheit sich kategorisch ausschließen, der die einzige Position der Willensfreiheit bei den Libertariern sieht und die Thesen und Begründungen des Kompatibilismus entweder nicht kennt oder ignoriert.
Ob nun teilweise von den Genen determiniert und den Rest von der Hirnzellen und in welcher Mischung ist nun im Grunde egal, es kommt aufs Gleiche raus, ein unfreier Mensch gekettet an biologische Notwendigkeiten, der freie Wille als Illusion.

Gleichzeitig soll, Harris zufolge, eine moralische Entscheidung aber eine bewusste Entscheidung sein:
Sam Harris hat geschrieben:So I don't think consciousness is an arbitrary starting point. When we're talking about right and wrong, and good and evil, and about outcomes that matter, we are necessarily talking about actual or potential changes in conscious experience.


Das alles zusammen genommen verstehe ich nicht, bin aber offen dafür, dass ich einfach die Pointe verfehlt habe (ich habe den springenden Punkt der naturalistischen Etgik tatsächlich nicht verstanden) und wäre dankbar, wenn ihn mir jemand erklären könnte.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon ujmp » Do 17. Jan 2013, 21:24

Vollbreit hat geschrieben:Dass aus dem Naturalismus keine Ethik abzuleiten ist, ist auch den Naturalisten bekannt, Forderungen wie Ethik brauche man gar nicht sind einfach unreflektierter Quatsch, der keine Diskussion verdient hat, weshalb sie auch nicht stattfindet.

Sag mal bitte ein paar konkrete Beispiele, wer so ein dummes Zeug behauptet!

Es ist außerdem die falsche Frage, ob man aus dem Naturalismus ein Ethik ableiten kann. Selbstvertsändlich hat ein Naturalist eine Ethik, die insofern durch den Naturalismus geprägt ist, dass darin keine übernatürlichen Begründungen vorkommen. An Stelle von "Gottes Wille, Gottes Weisheit" tritt einfach nur "unser Wille, unsere Weisheit". Das macht den Naturalismus menschlich und bescheiden. Religiöse verschmähen diese Menschlichkeit als etwas Minderwertiges ("Menschen sind ja nichts"), weil sie sie an dem Maßstab ihrer absurden Illusion eines "allmächtigen Gottes" messen. Damit wollen sie dann ihren aufgeblasenen "Sinn" stiften. Richtig, ein Naturalist hat nicht soviel blumiges Gesülze vorzutragen, weil er irgendwie auf dem Teppich zu bleiben versucht. Die religiösen frei erfundenen Märchenwelten scheinen da auf Anhieb attraktiver. Ihre Willlkürlichkeit und Zusammenhanglosigkeit werden dann auch noch als besondere Qualitäten gepriesen. Naturalismus ist etwas nüchterner, aber man kann deshalb nicht behaupten, dass er keine eigen Ehtik hat.
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon Vollbreit » Do 17. Jan 2013, 22:06

@ AgentProvocateur:

Was die Übersetzung angeht, hast Du Recht, danke, für die Korrektur.

Der Punkt ist m.E. ja auch nicht, dass man sich nicht darauf einigen könnte, dass es gute und schlechte Taten gibt, diese Einigung besteht ja längst, sondern mir ist überhaupt nicht klar, was die naturalistisch-emprische Note an der Geschichte ist, die die moralische Landkarte nun auf ganz andere, besser begründete, objektivere oder was auch immer für Füße stellt.

Mitleid ist besser als Mord, wussten wir das nicht bereits? Was ist neu, was ist anders?
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon ujmp » Do 17. Jan 2013, 22:11

@Vollbreit
Du verleumdest den Naturalismus und laberst nur alles breit, bis man vor Erschöpfung aufgibt von deinem langatmigen zusammenhanglosen Gerede. Komm mal auf den Punkt, Mann! - Aber du hast ja nichts, als kleinkarrierte Nörgeleien!
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Re: Naturalisierung der Ethik

Beitragvon AgentProvocateur » Do 17. Jan 2013, 22:29

Vollbreit hat geschrieben:Das alles zusammen genommen verstehe ich nicht, bin aber offen dafür, dass ich einfach die Pointe verfehlt habe (ich habe den springenden Punkt der naturalistischen Etgik tatsächlich nicht verstanden) und wäre dankbar, wenn ihn mir jemand erklären könnte.

Es gibt mE schlicht nicht "die" (einzige) naturalistische Ethik. Das ist wohl der springende Punkt hier.
----
Es gibt mE noch nicht mal eine Ethik, die Harris vertreten würde. Denn das tut er nicht, soweit ich das beurteilen kann, (unter Vorbehalt, sein Buch habe ich nicht gelesen, aber diverse Rezensionen. Wobei die Rezension auf dem HPD mit unendlich weitem Abstand die allermieseste war. Seitdem vertraue ich keinem Artikel auf dem HPD mehr.)

Mal 'ne andere Rezension, (Guardian):

In The Moral Landscape, he [Harris] takes aim at two targets: moral relativists and religious fundamentalists.


Und ich glaube, das ist letztlich der einzige Punkt von Harris' Buch: er stellt die Trichotomie:

1. Religiöse Moral
2. Relativistische Moral
und
3. Objektive Moral

auf. Wobei er anscheinend so definiert:

1. Religiöse Moral ist: X ist gut, weil es in einem heiligen Buch steht (Gott das befohlen hat)
2. Relativistische Moral ist: jede beliebige Handlung X ist gleichwertig zu jeder beliebigen Handlung Y, man darf weder X besser als Y bewerten noch anders herum

Beide Definitionen beziehen sich nun offensichtlich auf unsinnige Ansichten. Daraus schließt er nun messerscharf, dass die Nummer 3, (also die objektive Moral), richtig sein müsse. ("Objektive Moral" bedeutet ungefähr: "es gibt moralische Wahrheiten, moralische Aussagen sind objektiv wahrheitsfähig".)

Eigntlich ist das schon alles und mehr ist nicht. Dass sowohl die 1 als auch die 2 Strohmänner sind, scheint ihn dabei nicht zu kümmern. Und auch nicht, dass nichts weiter aus seiner Ansicht folgt, da er selber gar keine Moral/Ethik entwickelt. (Seine Aussagen sind nur, mal etwas polemisch zusammengefasst: "Es gibt viele peaks in der moralischen Landschaft, kann man so und so machen, man muss alles irgendwie berücksichtigen, aber wie, weiß ich nicht, kann man aber sicher empirisch irgendwie testen, aber wie, weiß ich nicht, aber muss ja, weil sich alles im Gehirn abspielt. Und es geht um well-being, aber was das genau bedeuten soll, will ich offen lassen, das kommt immer darauf an, da muss man viel berücksichtigen, aber was, das weiß ich nicht.")

Dann bringt er noch ein paar extreme Beispiel entgegengesetzter Pole folgender Machart: "was findest Du besser? Wenn ich Dir tüchtig eins in die Fresse schlage oder wenn ich Dir 1000 € schenke?" Und schließt wieder messerscharf daraus, dass alle sagen: "das Zweitere natürlich", dass daraus eine objektive Wahrheit abzuleiten wäre.

Ich kann daraus nicht viel Nektar saugen. Mich hat Harris nicht überzeugt, dass es eine objektive Moral gäbe, ich bin immer noch moralischer Relativist. (Allerdings nicht nach seiner Strohmann-Definition.) Aber das halte ich, wie gesagt, letztlich auch wenig erquicklich. Besser wäre mE, wenn man konkret über gemeinsame Ziele, Ansichten, Prinzipien, Grundlagen etc. sprechen und daraus dann eine Moral ableiten würde.
----
Edit: noch 'ne Rezension von Harris' Buch.
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