provinzler hat geschrieben:Nein, der gemeinsame Nenner der Linken ist der tiefsitzende Neid.
Woher weißt du das denn? Du bist doch kein Linker.
Für mich klingt das nach einer sehr subjektiven Interpretation, die vor allem deshalb problematisch ist, weil sie unhinterfragt subjektiv zu sein scheint. Kernideen des als links bezeichneten politischen Spektrums sind sehr komplex und elaboriert, wie die des wirtschaftsliberalen übrigens auch. Es ist nicht so, dass sich da ein paar Neidhammel hingesetzt haben und wütend gefordert haben, dass alle gleichgeschoren zu sein haben. Es gibt natürlich eine bei den Linken geteilte Abneigung gegenüber hoher sozialer Ungleichheit, aber doch nicht primär und schon gar nicht allein aus Habgier und Missgunst heraus. Der gemeinsame Nenner der Linken ist vielmehr eine Besorgnis gegenüber allzu starker Ungleichverteilung von Macht und der daraus resultierenden Bedrohung des Einzelnen, aber auch der Gesamtgesellschaft. Daher kommt die Vorliebe der Linken für Umverteilung und für die Bürokratie (und zwar im Weber'schen Sinne einer neutralen, gleichbehandelnden Instanz, die nach vorab festgesetzten Regeln gleiche Fälle gleich entscheidet) und die Abneigung gegen die Konzentration von Machtmitteln in den Händen Einzelner, wozu auch Produktionsmittel gezählt werden (und Produktionsmittel sind üblicherweise nicht ein paar Handwerkerwerkzeuge, sondern großindustrielle Fertigungsanlagen).
Keine Ahnung, ob du das gerne hörst, weil es dein hohes moralisches Ross attackiert, aber die Grundsorge der Linken ist mit der Grundsorge der Libertären in vielerlei Hinsicht vergleichbar (genau wie übrigens die unbeschreibliche Blindheit gegenüber der utopischen und idealisierten Natur der jeweils favorsierten Lösung). Linke und Libertäre wollen beide nicht, dass Oligarchien den Ton angeben (der real existierende Sozialismus hat in der Hinsicht mit der Sehnsucht der Linken nach einer herrschaftsfreien Gesellschaft auch Null zu tun), die unterschiedlichen Anschauungen, wie das wirtschaftspolitisch zu realisieren ist, resultieren einfach aus der unterschiedlichen Genese der Ideologien her. Der Kommunismus entstammt als Idee dem Arbeitermilieu, dessen Lebenswirklichkeit von großindustrieller Fertigung geprägt war, der Libertarismus hat sich als Extremform des Liberalismus im (klein)unternehmerischen Umfeld herausgebildet, wo vor allem unternehmerische Autonomie im Fokus steht. In beiden Fällen suchen die Betroffenen nach Möglichkeiten, Autonomie zu realisieren. Die Arbeiter, die nur die kollektive Arbeit kannten, waren der Ansicht, dass Besitz und Aufsicht folgerichtig kollektiv organisiert werden müssten, klar, schließlich kann nicht jeder eine eigene Fabrik haben, Teilen ist in deren Lebenswelt die einzige Option. Die Unternehmer, Handwerker und Mittelständler sind dagegen einer Deregulierung (weniger Vorschriften, mehr unternehmerische Handlungsfreiheit) zugeneigt, weil das in deren Lebenswelt wiederum die naheliegendste Option für mehr Autonomie ist.
Problematisch daran ist, dass a) die beiden Milieus Schwierigkeiten haben, die Intentionen und Perspektiven der anderen Seite zu verstehen, mehr noch, da die Ideologien heute noch bestehen, obwohl die Ursprungsmilieus verschwunden sind, und b) dass keines der beiden Konzepte sich ohne weiteres aus den jeweiligen Mikrokosmen, in denen sie entstanden sind, und in deren Kontext sie sinnvoll erschienen, auf die höhere Ebene der Gesamtgesellschaft übertragen lassen. So kommt es dann, dass auf der linken Seite nicht verstanden wird, dass Deregulierung ein sehr wichtiger Baustein der Wirtschaftsförderung sein kann und dass auf der libertären Seite nicht kapiert wird, dass das freie Kräftespiel nicht in jedem gesellschaftlichen Kontext funktioniert. Beide Seiten extrapolieren ihre eigene Lebenswelt da unreflektiert auf andere Teile, mit denen sie wenig Erfahrung besitzen.
Und klar: Wenn ich nicht aus meiner libertären Perspektive heraus kann, in der es nichts gibt an Motiven außer Eigeninteresse, dann
muss ich die Organisationsformen, die die Linke anstrebt, als neidbasiert ansehen, weil ich mir in meinem eigenen diskursiven Deutungsrahmen (der nie objektiv, sondern immer sozial konstruiert ist) anders keinen Reim darauf machen kann. Und weil die Gegenseite oft genug dasselbe tut, nehmen beide Seiten es viel zu oft so wahr, dass die Anderen ihnen etwas wegnehmen bzw. aufdrücken wollen und dann wird oft nur heiser hin und zurück geschrieen ("Ihr Ausbeuter", "Ihr Neidhammel"...).
Wenn man so verbissen immer nur sein eigenes kleines Perspektivchen auf die Welt reproduziert, kommt als Gesellschaft schlecht voran. Dabei könnten beide Seiten meines Erachtens verdammt viel voneinander lernen, weil beide in Teilaspekten Recht haben und auf bestimmten Gebieten mehr von etwas verstehen als die Anderen.
provinzler hat geschrieben:*Bevor der Einwand kommt. Auch das Ehegattensplitting wurde damals letztlich deswegen eingeführt, und sollte damals das Hausfrauendasein, das bis dato ein Privileg der Mittelschicht war, auch der Unterschicht ermöglichen. Auch wenns heute vielleicht kaum nachvollziehbar scheint. Aber Hausfrauendasein, war bis in die 50er Jahre hinein ein Statussymbol, das man sich "leisten können musste", ein Symbol der gehobenen Mittelschicht. In der Unterschicht waren die Frauen hingegen fast immer auf die ein oder andre Weise berufstätig, aus schlichter ökonomischer Notwendigkeit.
Das war im damaligen Kontext dann ja auch ok. Aber die Zeiten der traditionellen Kernfamilie sind vorbei und kommen aller Wahrscheinlichkeit nach auch nicht wieder. Das Ehegattensplitting wurde damals aus bestimmten gesellschaftlichen Gründen eingeführt, und es wird demnächst aus bestimmten gesellschaftlichen Gründen wieder abgeschafft werden, je nachdem wer die nächste Wahl gewinnt halt ein paar Jahre früher oder später. Und das ist ok so.