Nanna hat geschrieben:In der Hermeneutik geht es nicht zuforderst darum, [...] sondern um die Identifizierung und Zuschreibung von Bedeutung.
Nanna hat geschrieben:aber insgesamt löst die Theorie doch einiges sehr elegant und schlüssig, wie ich finde.
Nanna hat geschrieben:Es wird dich nur beim Lesen von Goethe nicht besonders weit bringen, die Wörter zu zählen und nach Adjektiven, Verben und Substantiven in Schubladen zu füllen. Du wirst vermutlich auch keinen Faust III im Labor zusammenmischen können, indem du Buchstabensalat abwiegst. Und natürlich kannst du dann die Literaturwissenschaft, die hier Lösungsansätze anbieten könnte, als Pseudowissenschaft verlachen, das macht ja nichts.
Nanna hat geschrieben:Die spotten zurück und dank ihres verstehenden Zugangs zur Welt können die das weitaus eloquenter.
Nanna hat geschrieben: dank ihres verstehenden Zugangs zur Welt können die das weitaus eloquenter.
ujmp hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:In der Hermeneutik geht es nicht zuforderst darum, [...] sondern um die Identifizierung und Zuschreibung von Bedeutung.
Was ist "Bedeutung"? Ein anderes Wort für "Konsequenz, Ursache"?
ujmp hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:aber insgesamt löst die Theorie doch einiges sehr elegant und schlüssig, wie ich finde.
Das sind wir prinzipiell einer Meinung. Die Frage ist nur was konkret, und besonders was konkret nicht. Ich hab schon zu Vollbreit gesagt, wer da nicht konkret wird, jubelt seinem Zuhörer leider automatisch die Irrwege mit unter, oder evtl besser gesagt, er bestätigt falsche Vorstellungen. Freud hat einen riesen Einfluss auf die Intellektuellen mindestens zweier Generationen gehabt, auch mit seinen falschen Ideen. Er hat das Denken über Psyche an sich geprägt, auch mit seinen falschen Ideen. Das ist das Problem.
ujmp hat geschrieben:Ich kann z.B. Ideen auf ihre Verwandtschaft oder Ähnlichkeit, ihren Ursprung usw. untersuchen.
ujmp hat geschrieben:Oder auf ihre Wirkung, ihren Einfluss. Ich kann z.B. feststellen, dass gereimte Sätze eher geglaubt werden, also normale, dass assoziative Übereinstimmung Glaubwürdigkeit son Aussagen begünstigt, die offensichtlich falsch sind.
ujmp hat geschrieben:Und hier hast du dein Laborgedicht, es beruht darauf, emotional aufgeladene Wörter aneinander zu reihen:
Ufer der Liebe
Sterne im Meer
Schicksal des Atems
Herzen so leer
ujmp, 24. Juli 2013, 8.16
Lies es dreimal, und du wirst dir etwas deuten!
ujmp hat geschrieben:Was meinst du denn mit "Verstehen" - "Plausibilität herstellen"?
ujmp hat geschrieben:Ich kann z.B. feststellen, dass gereimte Sätze eher geglaubt werden, also normale, dass assoziative Übereinstimmung Glaubwürdigkeit von Aussagen begünstigt, die offensichtlich falsch sind. Und hier hast du dein Laborgedicht, es beruht darauf, emotional aufgeladene Wörter aneinander zu reihen:
Ufer der Liebe
Sterne im Meer
Schicksal des Atems
Herzen so leer
ujmp, 24. Juli 2013, 8.16
Lies es dreimal, und du wirst dir etwas deuten!
Man kann in Lehrbüchern so ziemlich alles nachlesen, wenn der Tag lang ist. Vor ungefähr 20 Jahren war das besonders en vogue, in behavioristischen Kreisen liest man das bis heute.ujmp hat geschrieben:@Vollbreit Das ist alles interessant und ich behaupte auch nicht etwas von moderner real praktizierter Psychoanalyse zu verstehen. Ich weiß aber ziemlich genau, dass Freud heut zwar als genialer Stifter eines Wissenschaftszweiges gilt, aber ein großer Teil seiner Ideen wissenschaftlichen Standards nicht standhält, das kannst du in jedem Lehrbuch für Psychologie nachlesen.
Wie meinst Du denn, ist die Psychoanalyse auf einmal wissenschaftlich geworden oder ist sie das immer noch nicht? Was müsste sie dann leisten, um es zu werden, was fehlt, konkret?ujmp hat geschrieben:Dass die PA auf Grund dieser Kritik dazugelernt hat, hab ich hier das erste mal gesagt, förmlich erstritten.
Kommt halt drauf an, was man hat, wa?ujmp hat geschrieben:Und genau um diese Kritik geht es mir. Außerdem gibt es jede Menge Alternativen, Menschen psychologisch zu heilen, u.U. Bessere.
Viele Patienten der Psychotherapie begehen auch heute noch Selbstmord, liegt in der Natur der Sache.ujmp hat geschrieben:Viele der Patienten Freuds haben z.B. irgendwann Selbstmord begangen.
Kühne Behauptung, an der Grenze zum Zynismus, versuch mal herauszufinden, wie viele Menschen sich heute in Psychiatrien das Leben nehmen, unter einer topwissenschafltichen Behandlung.ujmp hat geschrieben:Das ist vielleicht nichts Besonderes, wenn man viel mit psychisch kranken Menschen umgeht. Aber unter dem Gesichtspunkt, dass man ihnen evtl. hätte helfen können, wenn man eine wissenschaftlich erforschte "wahre" Ursache gekannt hätte - statt "Deutungen", ist das schon ein bissel tragisch.
Angenommen es wäre...ujmp hat geschrieben:Um mal auf Hüther zurückzukommen: Angenommen es währe so (ich weiß das nicht, dass Stresshormone ab einem bestimmten Level nicht mehr abgebaut werden können, so dass der Patient keine Chance mehr hat, aus der Depression rauszukommen, um was Neues anzufangen - dann kann man ihm vermutlich mit ein paar Medikamenten leicht helfen.
ujmp hat geschrieben:@nanna: Ich habe kein Problem damit, nichtwissenschaftliche Beschäftigungen als wertvoll anzuerkennen. Ich habe auch nie Schwächen der Wissenschaft "wegerklärt", ich betone sie sogar oft. Ich habe nur ein Problem damit, nichtwissenschaftliche Beschäftigungen als wissenschaftliche zu verkaufen. Ich hab was dagegen, Wollen als Wissen oder sogar als Notwendigkeit zu verkaufen, das ist Betrug.
ujmp hat geschrieben:Schon klar dass für die Fans der Eloquenz der gute Popper ein ganz schlimmes Pfui ist, die stehen mehr auf Habermas, Hegel oder solche Schwätzer, die dich als "KZ-Wächter" beschimpfen, weil du Verbindlichkeit verlangst, die dich als "naiv" beschimpfen, weil du Klarheit verlangst. Solchen Typen geht es aber nur um einen Blankoscheck, wo sie ihre langen Reden "draufschmieren" können (wie olle Schopi es ausgedrückt hätte). Sie immunisieren sich gegen Kritik, indem sie behaupten, dass ihr Gesülze einem verbindlichen, klaren Verstand nicht zugänglich sei.
ujmp hat geschrieben:Ich rechne damit, dass, wenn ich jetzt versuchen würde, aus dir rauszubekommen, was du mit "Bedeutung" , "Zeichen", "Kontext" und "anzeigt" meinst, herauskommen würde, dass du es eigentlich selbst nicht weißt. Du reihst Wörter aneinander, aus dem Kontext eben, wo man grad Anerkennung bekommt, wenn man so redet. Oder?
Nanna hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:@nanna: Ich habe kein Problem damit, nichtwissenschaftliche Beschäftigungen als wertvoll anzuerkennen. Ich habe auch nie Schwächen der Wissenschaft "wegerklärt", ich betone sie sogar oft. Ich habe nur ein Problem damit, nichtwissenschaftliche Beschäftigungen als wissenschaftliche zu verkaufen. Ich hab was dagegen, Wollen als Wissen oder sogar als Notwendigkeit zu verkaufen, das ist Betrug.
Und "wissenschaftlich" ist, was du als solches bezeichnest? Dass die wissenschaftliche Community die Hermeneutik allgemein als eigenen wissenschaftstheoretischen Zweig anerkennt ist dann wohl bedauerlicherweise zweitrangig....
Nanna hat geschrieben:Und Popper ist kein schlimmes Pfui, er wird nur von den Naturwissenschaftlern in der Praxis genauso konsequent ignoriert wie von den Geisteswissenschaftlern. In der Tat tut natürlich auch ein bisschen Feyerabend hier und da mal ganz gut. Ich sehe das sehr entspannt. Der gefestigte Verstand hält ein bisschen Methodenpluralismus schon aus. Davon abgesehen hat hier niemand gegen die Logik, rationales Argumentieren oder Nachvollziehbarkeit Stellung bezogen.
Nanna hat geschrieben: Ich vereinfache das gerne so, dass Naturwissenschaftler eher einen top-down-Ansatz bzw. eine Perspektive von außen auf die Welt einzunehmen versuchen (was auch eine tolle Sache ist, solange man nicht vergisst, dass man auch bei der Einnahme dieser konstruierten Perspektive immer noch als Mitglied einer Gemeinschaft und abhängig von deren weltanschaulichen Vorgaben lebt und denkt und diese nicht im engeren Sinne verlassen kann) und Geisteswissenschaftler einen bottom-up- bzw. von innen in der Gemeinschaft arbeitenden Ansatz verfolgen, der erst gar nicht allzu ernsthaft versucht, die Subjektivität zu brechen, sondern sie zu reflektieren und einzubeziehen.)
Nanna hat geschrieben:Ich bin maximal bereit, zuzugestehen, dass da draußen irgendwas ist, mit dem wir wechselwirken und dessen Teil wir sind, zu dem wir aber keinen anderen Zugang haben als uns über Sprache über unser subjektives Erleben auszutauschen (...)
stine hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Ich bin maximal bereit, zuzugestehen, dass da draußen irgendwas ist, mit dem wir wechselwirken und dessen Teil wir sind, zu dem wir aber keinen anderen Zugang haben als uns über Sprache über unser subjektives Erleben auszutauschen (...)
Siehste, so gehts mir auch!
Ich finde, das ist durchaus rational betrachtet und Folge logischer Denkweise.
stine
Nanna hat geschrieben: Es ist nur so, dass das konstruierte und implizit Angenomme an unserem Zugang zur Welt viel tiefer hinunterreicht, als der Empirist das glauben mag.
Nanna hat geschrieben: In die Wunde möchte ich hier meinen Finger legen, um eine Lanze für die Hermeneutik zu brechen,
Nanna hat geschrieben: die die Auslegungsbedürftigkeit aller (!) Konzepte nicht durch zwanghafte Objektivierungsversuche (die zu keiner echten, sondenr immer nur einer simulierten Objektivierung führen können, das ist mein Punkt hier) verschwinden lassen möchte, sondern das Problem frontal angeht und dann eben versucht zu klären, wie man sinnvoll interpretieren kann. Das ist nicht nur Wissenschaft, sondern sogar eine, wenn nicht gar die Voraussetzung für das Betreiben von Wissenschaft überhaupt, dass man diese Dinge weiß und dass man interpretieren und reflektieren kann sowie die damit verbundenen Probleme kennt.
Nanna hat geschrieben:Ich bin maximal bereit, zuzugestehen, dass da draußen irgendwas ist, mit dem wir wechselwirken und dessen Teil wir sind, zu dem wir aber keinen anderen Zugang haben als uns über Sprache über unser subjektives Erleben auszutauschen (selbst "objektive" Messungen sind letztlich subjektive Wahrnehmungen, die wir intersubjektiv zu standardisieren versuchen).
ujmp hat geschrieben:Beobachtung ist keineswegs sprachabhängig. Tiere beobachten doch auch!
ujmp hat geschrieben:Die Farben, die Gravitation, Hitze, Liebe, Hunger, Mühe, Erschöpung, Lust - was auch immer du wahrnimmst, es hat sich trotz der immenzen Veränderungen im gesellschaftlichen Code, nie und für niemanden anders angefühlt,
laie hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:Beobachtung ist keineswegs sprachabhängig. Tiere beobachten doch auch!
Ja. Aber Tiere "beobachten" nicht die Temperatur im Inneren der Sonne. Will sagen: der Begriff der Beobachtung, der Beobachtbarkeit bezieht sich nicht nur auf Vorgänge, die den Sinnen zugänglich sind. Die allermeisten "Beobachtungen" beziehen sich nicht auf etwas, das wir mit unseren Augen anschauen können oder riechen können, sondern werden errechnet bzw. aus Daten erschlossen, die unter bestimmten theoretischen Voraussetzungen gewonnen wurden.
laie hat geschrieben:Nicht nur in der Hermeneutik, auch in der analytischen Wissenschaftstheorie weiss man inzwischen, dass empirische Behauptung theoriebeladen sind, und zwar bedeutet theoriebeladen etwas viel fundamentaleres als wenn man einfach nur sagt, irgendwelche zusätzlichen Annahmen im Rahmen einer Beobachtung bezögen sich auf "nicht-beobachtbares" und seien deshalb als "theoretisch" auszuzeichnen.
laie hat geschrieben:Und diese Differenz haben wir nicht beobachtet, sondern uns erschlossen. Und für dieses Erschliessen haben wir Theorien entwickelt, deren Sprache dem jeweiligen Zeitgeist folgt.
laie hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:Beobachtung ist keineswegs sprachabhängig. Tiere beobachten doch auch!
Ja. Aber Tiere "beobachten" nicht die Temperatur im Inneren der Sonne.
ujmp hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Es ist nur so, dass das konstruierte und implizit Angenomme an unserem Zugang zur Welt viel tiefer hinunterreicht, als der Empirist das glauben mag.
Du machst die keine Vorstellung, von wie tief unten ich eigentlich herkomme. Was du sagst, ist außerdem auch alles bekannt, spätestens sei dem "Ding an sich". Schopenhauer hatte das in seiner "Welt als Wille und Vorstellung" zum Hauptgegentand. Seit dem ist einiges passiert. Und dem "Szientismus" der dir vermutlich vorschwebt, würde etwas mehr Popper guttun, für den nämlich Theorien nur "Vermutungen" waren.
ujmp hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: die die Auslegungsbedürftigkeit aller (!) Konzepte nicht durch zwanghafte Objektivierungsversuche (die zu keiner echten, sondenr immer nur einer simulierten Objektivierung führen können, das ist mein Punkt hier) verschwinden lassen möchte, sondern das Problem frontal angeht und dann eben versucht zu klären, wie man sinnvoll interpretieren kann. Das ist nicht nur Wissenschaft, sondern sogar eine, wenn nicht gar die Voraussetzung für das Betreiben von Wissenschaft überhaupt, dass man diese Dinge weiß und dass man interpretieren und reflektieren kann sowie die damit verbundenen Probleme kennt.
Wovon du redest hat etwas mit Logik zu tun oder mit Theoriebildung. Mag es "Wissenschaft heißen", ich hab, wie gesagt, nichts gegen diese Titulierung, aber erklär doch mal bitte, was ihr da eigentlich macht.
ujmp hat geschrieben: Das erste Problem ist, welchen Wert deine Sinnesdaten haben und das zweite, wie du über deine Sinnesdaten kommunizierst. Das sind zwei verschiedene Dinge.
ujmp hat geschrieben:Lumens Farbenbeispiel illustriert das sehr gut. Die Farben, die Gravitation, Hitze, Liebe, Hunger, Mühe, Erschöpung, Lust - was auch immer du wahrnimmst, es hat sich trotz der immenzen Veränderungen im gesellschaftlichen Code, nie und für niemanden anders angefühlt, wie denn auch? Was sich anders angefühlt hat, war ideelle Aufladung dieser Begriffe, das Problem Nummer Zwei. Ich verstehe Wissenschaft auch als Teil dieses Proplemes Zwei, es geht aber darum, Sinnesdaten in ein konsistentes Weltbild zu übersetzen (und mehr).
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