stine hat geschrieben:Schon mal daran gedacht, dass Kinder ihren Körper entdecken ohne damit irgendwelche Lüste in Verbindung zu bringen?
Was heißt, schon mal dran gedacht, als Mensch, der in einem Land und einer Zeit lebt, in dem diese Spaltung omnipräsent ist ist, habe ich die „normale“ Einstellung, dass kleine Kinder sexfreie Wesen sind und dass sich das dann irgendwann in der Pubertät ändert, als vollkommen selbstverständlich angesehen, so wie Du und jeder hier im Forum eben auch.
stine hat geschrieben:Die Kleinsten schmieren auch schon mal mit ihren Ausscheidungen herum, wenn man sie auf dem Topf vergisst, einfach nur weils interessant ist.
Natürlich und auch hier werden sie von den Eltern gehindert. Mutter sagt „Bäh, sowas macht man nicht, du bist ja ganz dreckig“, macht ein angewidertes Gesicht, nimmt die Hände des Kindes weg und auch wenn das Kind noch nicht sprechen kann, merkt es, dass bestimmte Dinge sanktioniert werden, es erfolgt eine Reaktion der Eltern.
Und Du hast Recht, Kinder erforschen ganz unschuldig ihren Körper und ihre Welt, probieren, wie es sich anfühlt, wenn sie den großen Zeh in den Mund stecken und im Unterschied dazu, die Bettdecke, nehmen ihren Körper auf diese Art erst mal in Besitz. Und natürlich empfinden sie etwas dabei, kann man Kindern am Gesicht ablesen. Ganz unverstellt weinen sie sofort herzzerreißend, wenn etwas nicht stimmt, dafür strahlen sie über beide Backen, wenn sie in Mutters Armen liegen und sind fähig, die 5 oder 7 Basisemotionen ganz unverstellt auszudrücken.
In unserer übersexualiserten Zeit, bezogen auf die Verfügbarkeit sexueller Reize, dreht sich zwar vieles um Sexualität, gleichzeitig gibt es aber bis in die Sexualwissenschaften einen merkwürdigen Umgang mit ihr. Es wird geforscht, wer mit wem, wie lange und wie oft, was sexuelle Attraktivität ausmacht, es wird gezählt und vermessen, von Hormonen und genitaler Durchblutungssituation geredet, scheinbar offen wird über alles beim Sex geredet, zuzüglich zu dem, dass einem beim Zappen gegen Mitternacht die alte Ledersau „Ruf mich an!“ entgegen brüllt – nur eines wird immer ausgeblendet, dass Sexualität auch erlebt wird, eine Innenseite hat.
Und natürlich probieren Kinder alles aus, aber das, was kein Spaß macht, lassen sie auch schnell wieder bleiben. Masturbation wird beibehalten, wenn das Kind nicht daran gehindert wird, was oft geschieht. Unausgesetzt „an sich herumuzuspielen“, wird bei manchen Eltern so stark negativ sanktioniert, wie Kot in den Mund zu stecken, das ist „Bäh“, das ist „Pfui“ und auch wenn Kinder Worte noch nicht verstehen, die emotionale Bedeutung, verstehen sie sehr gut.
Und nicht alles wird negativ sanktioniert, vieles freut die Mama, macht sie stolz, wird glücklich lächelnd gefördert. Die ersten Zähne, Zeigeversuche, die ersten Worte, da sieht Mama, das alles normal verläuft. Man kennt die stolzen Beschreibung, dass Malte-Olaf schon sprechen kann, die kleine Emma schon die ersten Gehversuche macht, man stelle sich vor, Mutter sitzt in der Krabbelgruppe und sagt, dass der Alexander so süß wichst und dass er dabei immer so selig lächelt, „hier guck mal, ich hab mal sein Gesichtchen geknipst, wenn er gerade an sich rumspielt, ist das nicht goldig?“ Es gibt kein Bäuerchen, was der Berufsmutti keine Erwähnung wert wäre, aber wie oft die Saskia den Finger zwischen den Beinen hat, das hört man nicht und es wirkt auch wie ein Furz beim Festdinner, die heile Kinderwelt mit „sowas“ zu kontaminieren.
Und so ist auch vollkommen klar, die empfinden nichts dabei, die tun das, weil es eben per Armlänge erreichbar ist, aber mechanisch, einfach so, sie könnten auch mit einem Tuch an der Fensterscheibe rubbeln.
So auf einmal, mit 12 oder 14, empfinden Jugendliche dann was, das kommt irgendwie so mit den Hormonen über sie.
Dabei ist es eher so, dass Neugeborene von Beginn an, auf Reize reagieren, manche dieser Reize mögen und als lustvoll erleben, manche Reize als unangenehm empfinden, Kälte, grelles Licht, plötzlicher Lärm, wenn die Mutter nicht schnell genug kommt und so weiter. Diese ersten, angeborenen affektiven Reaktionsdispositionen verdichten sich zu Erlebnisbündeln, guten und schlechten, diese Bündel werden zu dem was bei Freud Triebe sind und so ist das Kind getrieben, die Wiederholung der angenehmen, libidinösen Reize zu suchen, allen voran die paradiesischen Einheit mit Mutter, die einen an der Brust, in den Armen wiegt und Reize, auf die das Kind mit Wut reagiert, die es vermeiden und am liebsten zerstören möchte, es ist vor allem das, was Freud mit dem Todestrieb meint, die aggressive Seite in uns, diese Reize zu meiden. Eros und Thanatos, als Sammelbegriff für die Summe der der positiv und negativ besetzten Affektreaktionen. Sie begegnen uns immer wieder im Leben.
Ein Teil der vom Kind positiv erlebten Affekte werden von Mutter und Vater unterstützt und gefördert, Mutter freut sich, wenn das Kind glücklich ist und sie ist besorgt, wenn das Kind schreit und Mutter nicht deuten kann, warum es schreit. Hier teilen Mutter und Kind Lust und Sorge.
Aber nicht bei allem was das Kind macht, ist das so. Einiges macht dem Kind vielleicht Spaß oder es fordert sein Neugierde heraus, Mutter wittert jedoch die Gefahr schreit „Nein“ oder bringt das Kind aus dem von Mutter antizipierten Gefahrenbereich, damit ihm nichts passiert. Oder das Kind quengelt und weint und Mutter kann aktuell nicht erkennen, warum, oder sie weiß warum, kann den Schmerz aber nicht wegzaubern, weil das Kind eine Mittelohrentzündung hat. Hieraus entwickelt sich ein hochkomplexes Geschehen, was Freud meisterhaft beschreibt, wichtig ist an dieser Stelle nur, dass in der Empfindungswelt des Kindes, manches mit seiner Mitwelt in affektiver Übereinstimmung erlebt wird: Das Kind schreit, weil es Hunger hat und Mutter längeren Zeit weg war, sofort kommt Mutter, gibt dem Kind die Brust, wiegst es und die Welt ist wieder ein Paradies.
Aber manchen wird – aus Sicht des Kindes nicht übereinstimmend erlebt. Das Kind findet die Augen des Hundes vielleicht spannend und will darin einfach mal herumprockeln, Mutter erkennt die Gefahr und trennt die beiden sofort. Enttäuschend und unverständlich für das Kind. Es schreit, weil es diese pochenden Schmerzen hat, Mutter kommt, tröstet auch, kann aber den Schmerz nicht beseitigen. Und das wo Mutter doch alles kann. Wieder Enttäuschung, Frustration, Wut, Hass auf die unfähige Mutter, eine Phase in der Aggression über Liebe dominiert und so gibt es Empfindungen, bei den Mutter und Kind scheinbar nicht kongruent sind. Das Kind kennt solche Situationen tausendfach und so entsteht eine Ambivalenz zwischen Reizen und Verhaltensweise, die dem Kind behagen, die aber von Mutter nicht verstärkt werden, sondern verhindert.
Je nachdem wie Mutter so tickt, und die tickt so, wie sie es gelernt hat und die Gesellschaft aus der sie stammt es vorgibt und wie sie diese soziokulturellen Vorgaben interpretiert, wird das für das Kind sexuelle Verhalten entweder aktiv bis brutal verhindert, durch Ermahnungen oder entsprechend eng geschnürte Strampelanzüge oder es wird nicht weiter beachtet - und das Kind weiß bereits, wenn etwas unerwünscht ist, die Bildung des Über-Ich beginnt bereits im ersten Lebensjahr.
Spannungen treten vor allem bei „Find ich gut, aber Mutter nicht“ oder „Findet Mutter gut, aber ich nicht“ Erfahrungen auf. Und natürlich „will“ das Kind Mutter gefallen und sucht sie Einheit mit ihr und reagiert auf Zurückweisungen, wie das im Normalfall umgekehrt der Fall ist, d.h. Mutter will das Beste für ihr Kind und so entwickelt sich das hochkomplexe Spiel weiter, bei dem vor allem Du – oft vollkommen zurecht – hier im Forum darauf hinweist, wie sensibel und bedeutend diese Phasen der Kindheit sind, dass Kinder nicht einfach Automaten sind, in die man oben Milch reinschüttet und die man unter saubermacht und der Rest, wer das macht und wie, ist vollkommen egal.
Hier haben Kinder dann eine Innenwelt, ein Erleben, Mutter ist nicht einfach durch irgendwen, eine Futter- und Wärmequelle zu ersetzen, sondern es kommt u.a. auf die sensible Bindung an, auf die gelungene Phasen der Abtrennung dieser Bindung, Du kennst Bowlby und Winnicott, aber auch sexuelle Erregung und Lust hat eine innere Seite, gehört zur Entwicklung und es ist keineswegs folgendlos, sie zu behindern, genauso wie Du es (vermutlich) nicht als folgenlos ansehen würdest in der Abtrennungsphase des Kindes, ihm die so wichtigen, weil emotional besetzten, Ersatzobjekte, alberne Decken, Kissen oder vollgesabberte Stofftiere, zu entreißen.
stine hat geschrieben:"Natürlich" braucht sie niemand darin bremsen, aber irgendwann wirds auch dem Dümmsten peinlich, wenn er in Gesellschaft an seinen Geschlechtsteilen herum spielt und dass ältere Kinder noch freiwillig mit ihren Ausscheidungen spielen, wäre mir auch neu.
Die Reinlichkeitserziehung ist ein großes Thema bei Freud und Peinlichkeiten werden sozial erlernt. Man muss doch erst mal hören, dass „man“ das nicht macht und man hört es, weil man es macht. Kein Kind fasst zum zweiten Mal auf die heiße Herdplatte, aber mit ihren Körperöffnungen und Ausscheidungen spielen sie weiterhin, vor allem, wenn die Eltern nicht zuschauen.
Aber natürlich lernt auch das Kind „sich zu benehmen“ und das ist auch vollkommen in Ordnung denn die Fähigkeit zum Triebaufschub unterscheidet uns vom Tier und ist einer der Grundpfeiler der Kultur und gleichzeitig des in ihr empfundenen Unbehagens.
stine hat geschrieben:Kleinen und Kleinstkindern sexuelle Motive zu unterstellen ist einfach absurd. Es ist reine Neugier, was sie treibt.
Woher weiß Du das denn? Weil nicht sein kann, was nicht sein darf oder weil das einfach so ist? Warum soll ein Verhalten von Kinder ausgeführt und immer wiederholt werden, wenn es unangenehm ist? Und warum sollte es nicht angenehm sein, entwickeln sich die Nervenbahnen dort erst mit 12? Dann könnten sie ja an der Kniescheibe reiben, tun sie aber nicht.
stine hat geschrieben:Dagegen "wissen" größere Kinder, Jugendliche und Erwachsene sehr genau, was sie antreibt. Und hierin liegt auch der Unterschied.
Richtig, ältere Kinder, Jugendliche und Erwachsen wissen, was sie auch, nicht nur, antreibt, die kleinen werden einfach angetrieben. Kinder verlieren bei aller Begeisterung auch schnell wieder die Lust, die an der Masturbation hingegen nicht. Es sei denn, man hindert sie und in welchem Grad das geschieht, ist eine soziale Frage.
Ich finde es aber gut - und das meine ich ohne jede Ironie -, dass Du Dich auf die Seite dieser Hemmungen stellst, denn so kann man diese überhaupt erst ins Bewusstsein bringen, verdrängt sind sie ja bei so gut wie allen von uns.