Todestrieb und Evolution

Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » Sa 27. Jul 2013, 08:16

Nanna hat geschrieben:Ich weiß, was Popper dazu sagt und finde das auch in vielen Aspekten sehr vernünftig. Nur, wie ich schon sagte, ist Naturwissenschaft häufig eben Positivismus in Popperschem Gewand. Das ist pragmatisch gesehen auch gar nicht so von Belang für mich, offenbar führt dieses Vorgehen ja zu umsetzbaren Ergebnissen, nicht immer, aber doch oft genug. Man sollte eben nur eben vorsichtig sein, die Naturwissenschaft zu idealisieren, eben gerade weil sie in der Praxis viel mehr epistemologisch herummurkst, als man gemeinhin annimmt, und auf der anderen Seite dann z.B. die Psychoanalyse als ganz schreckliches Wunschdenken verdammen, wo man doch ungeachtet der Zugehörigkeit zur Geistes- oder Naturwissenschaft gefühlte 98% der Wissenschaft als "nicht hinreichend popperistisch" einstampfen könnte.

Einen "Positivismusstreit" brauchen wir hier nicht führen - es sei denn es hilft dir für dein Coming-out als Habermas-Jünger. :mg:

Ich find, wie gesagt Benennungen nicht so interessant, das sind doch bloß Schubladen. Die meisten Leute, die so über Popper reden, haben eine eher naive Meinung davon, wovon er geredet hat und fühlen sich deshalb bestätigt, wenn kompetente Kritiker das Wort "naiv" gebrauchen. Ein Theorie, die auf Grund ihrer logischen Struktur nicht falsifizierbar ist hat z.B. heut zu 98% keine Chance, als wissenschaftlich zu gelten. Ich bin kein Wissenschaftler, aber die wissenschaftliche Arbeiten, die ich so kenne, vorwiegend aus dem Bereich der Kognitionswissenschaft, sind häufig Widerlegungsversuche von Ergebnissen anderer Studien. Insofern scheint mir - als Beispiel -dort das Prinzip der Theoriebewährung Alltag zu sein.

Mich interessiert aber mehr, was du tust, wenn du Wissenschaft machst.

Nanna hat geschrieben:Ganz allgemein besteht Hermeneutik aus der Auslegung von Texten, wobei die Diskurstheoretiker Diskurse sehr weit fassen und auch zielgerichtete praktische Handlungen als kommunikative Akte auffassen. Letztlich geht es darum, wer wem gegenüber mit welchem Ziel mit welchem Symbol welche Botschaft übermitteln will. Gerade in der gesellschaftswissenschaftlichen Ecke ist das Aufdecken von Machtbeziehungen zentral, was die Kunsthistoriker machen, wirst du die selber fragen müssen, da bin ich uninformiert.
Ich persönlich würde sagen, dass es im Kern sehr stark darum geht, Intersubjektivität überhaupt möglich zu machen. Nur wenn ich möglichst genau verstehe, was der Andere meint, kann ich Erkenntnis aus der Kommunikation gewinnen.

Es handelt sich im Wesentlichen also um Kommunikationsprobleme. Die "Machtbeziehungen" sind dann schon wieder etwas, was Kommunikation beinhaltet, genau so wie "Newtonsche Mechanik" oder "Bezinpreise".

Nanna hat geschrieben:Damit verbunden sind das Problem der Subjektivität und die Geschichtlichkeit aller Perspektiven, d.h. die Abhängigkeit des heutigen Wahrnehmens von den (häufig auf Kontingenzen beruhenden) Kategorien der Vergangenheit. Letztlich geht es um die Offenlegung der Beziehungen und möglichst viel Klarheit darüber zu gewinnen, warum so geredet und gedacht wird, wie es nunmal wird und nicht anders - und auch wem das nützt und wem das schadet. Hermeneutik interessiert sich nicht als solche dafür, wo man in der physischen Welt verortet ist, sondern wo man im Diskurs verortet ist.

Das Eine ist die Geschichtlichkeit meiner Perspektiven und das andere ist die Kommunikation darüber. Richtig ist, dass z.B. die DNA nicht entdeckt werden konnte, bevor man nicht eine bestimmte Vorstellung vom Aufbau und vom Verhalten von Molekülen hatte. Aber, dass eine Kirsche von einem Zweig abhängt, schmälert doch ihren Wert als Kirsche nicht!

Nanna hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben: Das erste Problem ist, welchen Wert deine Sinnesdaten haben und das zweite, wie du über deine Sinnesdaten kommunizierst. Das sind zwei verschiedene Dinge.

Ja, aber das hilft mir als Mitglied einer Gemeinschaft relativ wenig. Letztlich kann ich mich da nur entscheiden, ob ich den Solipsismus wähle oder eben doch die Kommunikation, die aber eben dann das epistemologische Grundproblem eröffnet, dass es zig Perspektiven und keine Master-Perspektive gibt, mit der man alles abgleichen könnte (weshalb Leute sich diese dann künstlich erschaffen, als heilige Schrift oder Fachbuch, egal, beides hängt epistemologisch letztlich gleichermaßen im leeren Raum).

Das ist m.E. eine unnötige Polarisierung und hat auch mit Solipsismus nichts zu tun. Ich hätte statt "Sinnesdaten" einfach "Daten" sagen sollen.

Nanna hat geschrieben:Hermeneutik sehe ich aber gerade als unabdingbar dafür an, dieses konsistente Weltbild zu erzeugen, weil sie eben immer wieder fragt, wer etwas mit welchem Zweck wie gesagt oder gemeint hat. Wie deuten wir etwas, warum tun wir das, hat jemand ein Interesse daran, dass die Deutung exakt diese ist, sind die Prämissen vernünftig gewählt, ist das Argument in sich logisch konsistent, das sind alles so fragen, die im Rahmen eines hermeneutischen Zugangs entstehen könnten. Ich überlege gerade, ob man in einer gewissen Weise nicht sogar die Mathematik dort verorten müsste, weil es da letztlich genauso darum geht, innerhalb eines Symbolsystems Beziehungen offen zu legen.

Die Logik beschäftigt sich mit Ja und Nein, die Mathematik mit Mehr und Weniger. Die Symbole sind nur Namen für diese Beziehungen. Die Hermeneutik ist eher so was wie Rhetorik. Sie bedient sich der Mathematik und der Logik.

Da fällt mir noch ein, dass Begriffe wie "mehr", "weniger", "gleich" und auch logische Strukturen wohl genau so unveränderlich sind, wie die Farbwahrnehmung. Auch ziemliche komplexe Verhaltensweisen, die wir mit Sauriern und Fischen teilen. Der Softwareanteil an unseren Vorstellungen ist viel kleiner als man denkt.

...Hm, und wenn man schon über Tiefe und Subjektivität spricht, muss man doch auch zu Kenntnis nehmen, dass der Glaube an etwas wie eine "Wirklichkeit" viel älter ist und viel tiefer sitzt, als die ganze abstrakten Konstruktionen, die die Menschen all zu oft eher deformiert haben, als dass sie sie zu sich selbst geführt hätten. Sogar der Götterglaube war die längste Zeit seiner Existenz eine Glaube an Wirklichkeiten. Wenn du morgens aufstehst, bist du davon Überzeugt, dass es Gravitation gibt, die dich am Boden hält, dass deine Kaffeemaschine funktioniert, Wasser aus der Leitung kommt, dein Garagentor aufgeht usw.. Erzähl mir nicht, dass du nicht an eine Wirklichkeit glaubst! Alles, was wir an wissenschaftlichen Errungenschaften heute genießen, haben Leute entdeckt weil sie an eine Wirklichkeit glauben.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon Vollbreit » Sa 27. Jul 2013, 10:01

Wenn Du Dich wirklich mal nüchtern informieren willst, kann man die Probleme mit Popper rein praktisch wirklich darauf eindampfen, dass er in der Praxis des Wissenschaften keine Rolle spielt, das sagt jeder, ob Du das zur Kenntnis nimmst oder leugnest, ändern daran wenig:
Wikipedia hat geschrieben:Obwohl Poppers kritischer Rationalismus schon früh viele Anhänger und Sympathisanten unter hochrangigen Wissenschaftlern fand (vor allem Physiker, darunter Albert Einstein,[29] aber auch Nobelpreisträger anderer Fachrichtungen, nämlich Peter Medawar, John Carew Eccles und Jacques Monod), konnte er sich weder in der Wissenschaftstheorie noch in der naturwissenschaftlichen Praxis entscheidend durchsetzen. In beiden Bereichen bestehen nach wie vor induktivistisch-empirizistische Bestätigungspositionen, heute gemeinhin mit bayesianistischen Wahrscheinlichkeitstheorien der Induktion verbunden, die allerdings häufig in der Terminologie Poppers umformuliert vertreten werden.
https://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Popp ... und_Kritik


Theoretisch kann man es auf drei Kernbereiche eindampfen:
Existenzaussagen sind nicht falsifizierbar und die Naturwissenschaften sind voll davon.
Ausführlich: http://www.tabvlarasa.de/35/Wankow.php

Quine und Duhem zeigten, dass es in den Wissenschaften um ganze Theorien geht, statt um einzelne Sätze. (Das ist der fehlerhafte Hintergrund von Poppers Kritik an der vermeintlichen Unwissenschaftlichkeit der Psychoanalyse.)
Ausfürhlicher: https://de.wikipedia.org/wiki/Duhem-Quine-These

Schließlich wird eine wissenschaftliche Theorie nicht gleich verworfen, wenn Vorhersagen nicht stimmen, die Struktur des wissenschaftlichen Fortschritts ist eine andere, wie Kuhn zeigte.
Ausführlicher: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_S._Kuhn


Die andere Geschichte ist, dass Sinnesdaten oder auch Daten, ihre Rechtfertigung oder Bedeutung erst im Rahmen von Theorien bekommen. Ob der vorbeiziehende Merkur Sternenlicht ablenkt bedeutet dem Wanderfalken schlicht gar nichts, auch dann nicht, wenn er bessere Augen hat als wir. Man muss verstehen, was diese Daten bedeuten udn in welchem Kontext. Brandom dazu:
Robert Brandom hat geschrieben:„Im seinem Meisterwerk "Empiricism and the Philosophy of Mind" beutet Sellars diese Konsequenzen seiner Einsicht, in die Signifikanz inferentieller Verknüpfungen für den Begriffsgebrauch aus, und zwar auch für Fälle responsiver Klassifikation: Nichtinferentielle Berichte, durch die Wahrnehmungszustände explizit gemacht werden, können keinen selbstständigen, unabhängig von anderen Bereichen verständlichen Bereich der Sprache bilden. Beobachtungsberichte haben zwar einen gewissen Vorrang bei der Rechtfertigung empirischer Behauptungen, nicht aber beim Verstehen. Da zum Wissen nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Begreifen oder Verstehen des gerechtfertigten Inhalts gehört, kann es kein Beobachtungswissen ohne Inferenz geben. Man kann keine reine Beobachtungssprache oder Beobachtungsbegriffe haben und dann fragen, ob die Entscheidung ihnen einen inferentiellen Überbau zu verpassen, rational zu rechtfertigen ist. Der Fels, auf den der erkenntnistheoretische Fundamentalismus baut, ist dementsprechend seine Unfähigkeit zu erklären, was es heißt, die Signifikanz von Elementen der beobachtungsgestützten Rechtfertigungsbasis zu verstehen. Denn um einen Begriff nichtinferentiell anwenden zu können, um unterscheidend auf nichtsprachliche Reize zu reagieren, muss man andere Begriffe inferentiell anwenden können. Nur wenn die Reaktion eine solche inferentielle Signifikanz hat, ist sie begrifflich gehaltvoll. Der Gedanke eines autonomen Sprachspiels (oder Menge von Praktiken der Begriffsanwendung), in dem nur nichtinferentielle Berichte vorkommen (und sei es auch über rein mentale Ereignisse), geht komplett in die Irre.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2001, Suhrkamp, S. 154)


Dieses Verstehen, nach dem Du fragstest, ist ein Schlüsselbegriff bei Brandom, den er so einführt:
Robert Brandom hat geschrieben:„Unsere Einstellungen und Handlungen zeigen einen verstehbaren Inhalt, der erfasst oder begriffen werden kann, indem er in ein Netz von Gründen eingefügt, indem er inferentiell gegliedert wird. Verstehen, in diesem ausgezeichneten Sinne ist das Begreifen von Gründen, das Beherrschen von Richtigkeiten des theoretischen und praktischen Folgerns (der Inferenz). Wenn wir uns selbst als vernünftig auszeichnen – als diejenigen, die im Raum der Gründe leben und sich bewegen und daher für uns Dinge verstehbar sein können –, dann ziehen wir zur Abgrenzung eine Fähigkeit heran, über die durchaus auch Wesen ganz anderer Herkunft und Verhaltensweise verfügen könnten.“
(ebd. S.37)


Im Unterschied dazu:
Robert Brandom hat geschrieben:„Für die Tiere des Waldes gibt es keine Vernunft. Wir sind diejenigen, für die Gründe bindend sind, die der eigentümlichen Kraft des besseren Grundes unterliegen. Diese Kraft ist eine normative, ein rationales „Sollen“.
Wir selbst stellen uns implizit in einen Raum von Gründen, was bedeutet, „uns selbst als Subjekte von Erkennen und Handeln zu betrachten, oder zu behandeln.“
(ebd. S.37)


Das zusammen heißt, dass wir uns Gründe geben können, bei bei allem was unsere Handlungen und was unsere Rede ausmacht. Wir wissen, was wir tun und sagen und warum wir es tun und sagen. Wir wissen, was es bedeutet und sind uns, über das Gesagte und Getane hinaus, der weiteren inferentiellen Festlegungen mindestens implizit bewusst.
In diese soziale Praxis, des Gebens und Nehmens von Gründen, werden wir schrittweise eingeführt, die Praxis existiert bereits, wir erobern sie uns.
Die Variationsbreite ist nicht sehr groß, nicht zufällig lernen deutsche Kinder die deutsche Sprache und die hier gebräuchlichen Sitten. Und erst später kommt ein kreatives Element dazu.
Dennoch hast Du recht im Rahmen der Variationsbreite lernt jeder individuell, es gibt geringer Bedeutungsverschiebungen, das Gitter von Assoziationen, was mit einem Begriff verknüpft ist, ist ähnlich genug, um sich verständigen zu können, aber individuell genug um sich verständigen zu müssen.
Wären alle Begriffe in ihrer Bedeuutng für die Individuen identisch man bräuchte nicht zu reden. Wären sie ausgesprochen weit auseinander, man könnte nicht miteinader reden.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » Sa 27. Jul 2013, 11:57

Vollbreit hat geschrieben:Die andere Geschichte ist, dass Sinnesdaten oder auch Daten, ihre Rechtfertigung oder Bedeutung erst im Rahmen von Theorien bekommen. Ob der vorbeiziehende Merkur Sternenlicht ablenkt bedeutet dem Wanderfalken schlicht gar nichts, auch dann nicht, wenn er bessere Augen hat als wir. Man muss verstehen, was diese Daten bedeuten udn in welchem Kontext.

Daten hängen aber nicht von ihrer Deutung ab sondern umgedreht, und ihre die Deutung hängt von einem theoretischen Kontext ab. Im Fall der Wissenschaft hängt der theoretische Kontext von den Daten ihren Deutungen ab. Galileis Zeichnungen von seinen Mondbeobachtungen sind ziemlich daneben, weil er ein mieses Fernrohr hatte. Es sind aber in dem Sinne keine "falschen Daten". Was falsch ist, ist ihre Interpretation, dass so der Mond aussieht. Wenn man bessere Daten vom Mond hat und etwas von Optik versteht, erlauben Galileis Daten evtl. Aufschluss über die Konstruktion seines Fernrohres oder über eine Augenkrankheit.

Vollbreit hat geschrieben:
Robert Brandom hat geschrieben: Man kann keine reine Beobachtungssprache oder Beobachtungsbegriffe haben und dann fragen, ob die Entscheidung ihnen einen inferentiellen Überbau zu verpassen, rational zu rechtfertigen ist. Der Fels, auf den der erkenntnistheoretische Fundamentalismus baut, ist dementsprechend seine Unfähigkeit zu erklären, was es heißt, die Signifikanz von Elementen der beobachtungsgestützten Rechtfertigungsbasis zu verstehen. Denn um einen Begriff nichtinferentiell anwenden zu können, um unterscheidend auf nichtsprachliche Reize zu reagieren, muss man andere Begriffe inferentiell anwenden können. Nur wenn die Reaktion eine solche inferentielle Signifikanz hat, ist sie begrifflich gehaltvoll. Der Gedanke eines autonomen Sprachspiels (oder Menge von Praktiken der Begriffsanwendung), in dem nur nichtinferentielle Berichte vorkommen (und sei es auch über rein mentale Ereignisse), geht komplett in die Irre.“

Dann haben wir eben keine "reine Beobachtungssprache" - na und? Das ist doch kein Argument dafür, Hirngespinste auf eine Stufe mit wissenschaftlichen Aussagen zu stellen.

Vollbreit hat geschrieben:
Robert Brandom hat geschrieben:„Unsere Einstellungen und Handlungen zeigen einen verstehbaren Inhalt, der erfasst oder begriffen werden kann, indem er in ein Netz von Gründen eingefügt, indem er inferentiell gegliedert wird. Verstehen, in diesem ausgezeichneten Sinne ist das Begreifen von Gründen, das Beherrschen von Richtigkeiten des theoretischen und praktischen Folgerns (der Inferenz).

Trivial, oder?

Vollbreit hat geschrieben:
Robert Brandom hat geschrieben:„Wenn wir uns selbst als vernünftig auszeichnen – als diejenigen, die im Raum der Gründe leben und sich bewegen und daher für uns Dinge verstehbar sein können –, dann ziehen wir zur Abgrenzung eine Fähigkeit heran, über die durchaus auch Wesen ganz anderer Herkunft und Verhaltensweise verfügen könnten.“
(ebd. S.37)

Das hat so noch nichts mit Vernunft zu tun. Das Gehirn ist ein Netzwerk und assoziiert so ziemlich alles, was bei Tieren nicht anders ist.

Vollbreit hat geschrieben:
Robert Brandom hat geschrieben:„Für die Tiere des Waldes gibt es keine Vernunft. Wir sind diejenigen, für die Gründe bindend sind, die der eigentümlichen Kraft des besseren Grundes unterliegen. Diese Kraft ist eine normative, ein rationales „Sollen“.)

Das ist eine ziemlich schwache Begründung für die Alleinstellung des Menschen. Du kannst auch bei Hunden Annähungs-/Abstoßungkonflikte beobachten.

Vollbreit hat geschrieben:Das zusammen heißt, dass wir uns Gründe geben können, bei bei allem was unsere Handlungen und was unsere Rede ausmacht. Wir wissen, was wir tun und sagen und warum wir es tun und sagen. Wir wissen, was es bedeutet und sind uns, über das Gesagte und Getane hinaus, der weiteren inferentiellen Festlegungen mindestens implizit bewusst.

Tiere haben einen Willen, ein Bewusstsein und sie sind lernfähig und passen sich an, dazu braucht man keine Sprache ( oder man muss wahrscheinlich anerkennen, dass in ihren Gehirnen so etwas wie eine Sprache existiert)

Vollbreit hat geschrieben:Dennoch hast Du recht im Rahmen der Variationsbreite lernt jeder individuell, es gibt geringer Bedeutungsverschiebungen, das Gitter von Assoziationen, was mit einem Begriff verknüpft ist, ist ähnlich genug, um sich verständigen zu können, aber individuell genug um sich verständigen zu müssen.

Das hast du schön gesagt!

Vollbreit hat geschrieben:Wären alle Begriffe in ihrer Bedeuutng für die Individuen identisch man bräuchte nicht zu reden. Wären sie ausgesprochen weit auseinander, man könnte nicht miteinader reden.

Na ja, man verständigt sich ja nicht nur über Begriffe, sondern z.B. über Bezinpreise.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » Sa 27. Jul 2013, 12:34

ujmp hat geschrieben:Daten hängen aber nicht von ihrer Deutung ab sondern umgedreht, und ihre die Deutung hängt von einem theoretischen Kontext ab.


Erkläre mir das bitte. Ich verstehe es nicht.

Du hast im übrigen meinen Beitrag ein bisschen voreilig verurteilt, und mir unterstellt, ich hätte ein Problem damit, dass Beobachtungen theoriengeleitet seien. Mir wurde auch unterstellt, ich würde die Theoriebeladenheit von wissenschaftliche gewonnenen Fakten (ein Widerspruch in sich, oder?) gegen die Wissenschaft ins Feld führen. Ich kann nicht sehen, wo ich das hier getan hätte. Da ist wohl deine Wahrnehmung von mir mit dir durchgegangen. Ist schon ok. Ich liefere ja auch immer genug Anlass dazu mit meinen Beiträgen, so dass man da, wo es mir ausnahmsweise nicht um Glaube etc. geht, eben nicht glauben mag. Aber ich ersetze nirgends Wissenschaft durch blossen Glauben. Glauben ist keine alternative Erkenntnismöglichkeit, sondern bestenfalls eine Lebensalternative.

ujmp hat geschrieben:Das war eine der Starterkenntnisse spätestens am Beginn der modernen Wissenschaftstheorie vor 100 Jahren, mein Bester. Eigentlich kann man das alles schon von Kant lernen. Das einzige was daran neu ist, ist der Umstand, dass die religiösen Apologeten das endlich halb kapiert haben und es als Argument gegen die Wissenschaft ins Feld zu führen versuchen.


Es ist historisch unrichtig, dass die moderne Wissenschaft mit der Einsicht, dass es so etwas wie theoriegeleite Beobachtung oder auch: theoriegeleiteter Messung gibt, beginnt, ganz im Gegenteil. Am Beginn der modernen Wissenschaftstheorie steht eindeutig die Überzeugung, man könne in der Wissenschaft unvermittelt direkt zu den untersuchten Objekten selbst vorstossen. Erst relativ spät wurde präzisiert, was man überhaupt unter "Theoriebeladenheit einer Beobachtung" verstehen kann, nämlich einen logischen Zirkel, und dass der einzige Weg aus einem solchen Zirkel ein Ramsey-Satz ist.

Je mehr ich über deine Replik nachdenke, desto mehr wird mir klar, dass du unter "Theorienbeladenheit" etwas ganz anderes verstehst. Du verstehst darunter keinen Zirkel. Du scheinst darunter einfach zu verstehen, dass Daten innerhalb komplexer sprachlicher Gebilde generiert werden, die man "Theorien" nennt. Zitat:

ujmp hat geschrieben:Was dir fehlt, ist die letzte Konsequenz deiner Kritik auf dich selbst und deine Religion anzuwenden. Es sind halt nur Theorien!


Weil Daten aus Theorien stammen, nennst du diese Daten "theoriegeleitet". Das ist eine andere, intuivere Auffassung von "Theorienbeladenheit", die der Dramatik des Sneedschen Theoretizitätskriterium nicht gerecht wird. Diese Dramatik wird noch dadurch gesteigert, dass man (anders als Popper annahm) Theorien nicht einfach falsifizieren und durch bessere ersetzen kann, und das weniger aus kontingenten, sondern vielmehr leider oft aus prinzipiellen Gründen. Das Scheitern einer Theorie in einem oder mehreren Fällen muss nicht zu einem kompletten Scheitern der Theorie führen. Und das Fehlen von Anwendungen für den mathematischen Apparat muss auch nicht dazu führen, eine solche Theorie zu verwerfen; denn es kann immer sein, dass solche Anwendungen noch entdeckt werden.

ujmp hat geschrieben:Das ist eine ziemlich schwache Begründung für die Alleinstellung des Menschen. Du kannst auch bei Hunden Annähungs-/Abstoßungkonflikte beobachten.


Ich denke, dass ist sogar ein ziemlich starkes Argument. Ich würde Annähungs-/Abstoßungkonflikte kategorial nicht mit normativen Sollen gleichsetzen. Es ist eher umgekehrt: auch beim Menschen gibt es Annähungs-/Abstoßungkonflikte wie beim Tier, aber normatives Sollen gibt es nicht beim Tier.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » Sa 27. Jul 2013, 19:12

laie hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Daten hängen aber nicht von ihrer Deutung ab sondern umgedreht, und ihre die Deutung hängt von einem theoretischen Kontext ab.

Erkläre mir das bitte. Ich verstehe es nicht.

Stell dir vor, du siehst einen runden Abdruck im Park und interpretierst ihn als Fußspur von einem Elefanten. Das tust du vor dem theoretischen Kontext, dass Elefanten bestimmte Füße haben und es diesem im Park Elefanten geben könnte. Ein Anderer interpretiert aber exakt den selben Anblick vor einem anderen Hintergrundwissen als Abdruck von einem Papierkorb, der da bis gestern noch stand. Die Beobachtungsdaten sind für beide Beobachter die gleichen und sind unabhängig von ihren Theorien. In diesem Sinne kann man auch Datenreihen aus Experimenten als Fakten verstehen, als Wirklichkeitsabdrücke.

laie hat geschrieben:Du hast im übrigen meinen Beitrag ein bisschen voreilig verurteilt, und mir unterstellt, ich hätte ein Problem damit, dass Beobachtungen theoriengeleitet seien. Mir wurde auch unterstellt, ich würde die Theoriebeladenheit von wissenschaftliche gewonnenen Fakten (ein Widerspruch in sich, oder?) gegen die Wissenschaft ins Feld führen. Ich kann nicht sehen, wo ich das hier getan hätte. Da ist wohl deine Wahrnehmung von mir mit dir durchgegangen. Ist schon ok. Ich liefere ja auch immer genug Anlass dazu mit meinen Beiträgen, so dass man da, wo es mir ausnahmsweise nicht um Glaube etc. geht, eben nicht glauben mag. Aber ich ersetze nirgends Wissenschaft durch blossen Glauben. Glauben ist keine alternative Erkenntnismöglichkeit, sondern bestenfalls eine Lebensalternative.

Sorry. Hört sich gut an.

laie hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Das war eine der Starterkenntnisse spätestens am Beginn der modernen Wissenschaftstheorie vor 100 Jahren, mein Bester. Eigentlich kann man das alles schon von Kant lernen. Das einzige was daran neu ist, ist der Umstand, dass die religiösen Apologeten das endlich halb kapiert haben und es als Argument gegen die Wissenschaft ins Feld zu führen versuchen.


Es ist historisch unrichtig, dass die moderne Wissenschaft mit der Einsicht, dass es so etwas wie theoriegeleite Beobachtung oder auch: theoriegeleiteter Messung gibt, beginnt, ganz im Gegenteil. Am Beginn der modernen Wissenschaftstheorie steht eindeutig die Überzeugung, man könne in der Wissenschaft unvermittelt direkt zu den untersuchten Objekten selbst vorstossen.

Ok, da bin ich auch zu weit gegangen. Jedenfalls war es 1934 Poppers Hauptanliegen die Probleme des Induktivismus und Positivismus zu lösen und er hat glaube ich auch die Diskussion über Theorieabhängikeit von Beobachtungen mit eingeführt . Und alles was dann folgte waren Jahrzehnte lang Weiterentwicklungen seiner Ideen, Lakatos, Kuhn, Feyerabend (so wenigstens A.F.Chalmers). Die konnten die Probleme aber auch nicht wirklich lösen. (Für Habermas interessiert sich, in dem was ich so lese , übrigens keine Sau) Jedenfalls wird Kuhn sehr gerne von Religiösen und Esoterikern in Anspruch genommen.

laie hat geschrieben: Erst relativ spät wurde präzisiert, was man überhaupt unter "Theoriebeladenheit einer Beobachtung" verstehen kann, nämlich einen logischen Zirkel, und dass der einzige Weg aus einem solchen Zirkel ein Ramsey-Satz ist.

Das kenn ich noch gar nicht, was besagt denn dieser Satz?

laie hat geschrieben:Das Scheitern einer Theorie in einem oder mehreren Fällen muss nicht zu einem kompletten Scheitern der Theorie führen. Und das Fehlen von Anwendungen für den mathematischen Apparat muss auch nicht dazu führen, eine solche Theorie zu verwerfen; denn es kann immer sein, dass solche Anwendungen noch entdeckt werden.

Das war die erste bedeutende Kritik an Popper von Imre Lakatos, - stimmt! Für mich ist ja die Theoriegeladenheit gar kein Problem. Man kann nach dem "Neuen Experimentalismus" aber sogar theorieunabhängige Beobachtungen machen. Das sind solche, die in kontrollierten Experimenten gemacht werden. Faraday (der übrigens sogar ein mieser Theoretiker gewesen sein soll) hat den ersten Elektromotor durch Experimentieren endeckt, die Theorien, warum das Ding funktionierte, folgten viel später.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » Sa 27. Jul 2013, 19:29

Vollbreit hat geschrieben:Wenn Du Dich wirklich mal nüchtern informieren willst,

...dann werde ich bestimmt nicht Wikipedia als Spiegel verbreiteten Halbwissens und Tummelplatz von Apologeten jeglicher Denkrichtung lesen. Sag du noch mal "Ja, man liest mal dies, mal das"! ... :/

Vollbreit hat geschrieben:Theoretisch kann man es auf drei Kernbereiche eindampfen:
Existenzaussagen sind nicht falsifizierbar und die Naturwissenschaften sind voll davon.
Ausführlich: http://www.tabvlarasa.de/35/Wankow.php

Das ist schon eher was. Es ist aber dennoch so, dass Popper als Ideengeber das Wissenschaftsbild des vergangenen Jahrhunderts maßgeblich bestimmt hat, alles was auf ihn folgte waren Weiterentwicklungen seiner Ideen, sogar die Entgegnungen seiner schärfsten Kritiker und niemand kommt bis heute an ihm vorbei. Mir ist aber Popper nicht so wichtig wie es aussieht.

Vollbreit hat geschrieben:Schließlich wird eine wissenschaftliche Theorie nicht gleich verworfen, wenn Vorhersagen nicht stimmen, die Struktur des wissenschaftlichen Fortschritts ist eine andere, wie Kuhn zeigte.
Ausführlicher: https://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_S._Kuhn

Die Idee stammt von Lakatos ("Forschungsprogramme"). Kuhns Bild vom wissenschaftlichen Fortschritt kann auch nicht alles erklären und wirft genau so viele Fragen auf.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » So 28. Jul 2013, 07:57

Vollbreit hat geschrieben:Die andere Geschichte ist, dass Sinnesdaten oder auch Daten, ihre Rechtfertigung oder Bedeutung erst im Rahmen von Theorien bekommen. Ob der vorbeiziehende Merkur Sternenlicht ablenkt bedeutet dem Wanderfalken schlicht gar nichts, auch dann nicht, wenn er bessere Augen hat als wir. Man muss verstehen, was diese Daten bedeuten udn in welchem Kontext. Brandom dazu:
Robert Brandom hat geschrieben: Da zum Wissen nicht nur Rechtfertigung, sondern auch Begreifen oder Verstehen des gerechtfertigten Inhalts gehört, kann es kein Beobachtungswissen ohne Inferenz geben. Man kann keine reine Beobachtungssprache oder Beobachtungsbegriffe haben und dann fragen, ob die Entscheidung ihnen einen inferentiellen Überbau zu verpassen, rational zu rechtfertigen ist. Der Fels, auf den der erkenntnistheoretische Fundamentalismus baut, ist dementsprechend seine Unfähigkeit zu erklären, was es heißt, die Signifikanz von Elementen der beobachtungsgestützten Rechtfertigungsbasis zu verstehen. Denn um einen Begriff nichtinferentiell anwenden zu können, um unterscheidend auf nichtsprachliche Reize zu reagieren, muss man andere Begriffe inferentiell anwenden können. Nur wenn die Reaktion eine solche inferentielle Signifikanz hat, ist sie begrifflich gehaltvoll. Der Gedanke eines autonomen Sprachspiels (oder Menge von Praktiken der Begriffsanwendung), in dem nur nichtinferentielle Berichte vorkommen (und sei es auch über rein mentale Ereignisse), geht komplett in die Irre.“
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2001, Suhrkamp, S. 154)


Ok, das stimmt einigermaßen. Es hat aber nicht die Bedeutung, das jede Beobachtung, Theoriegeladen ist. Wenn man das so absolut sehen wollte, wäre es genau so unpraktikabel, wie der naive Falsifikationismus.

Folgende Aussage als Beispiel: "Ich habe einen blauen Schwan gesehen".

Richtig ist, dass der Sprecher Theorien von "Schwan", von "blau" usw. haben muss, damit er den Satz verstehen kann. Aber: Der intendierte Sinn dieser Aussage ist das Neue, nämlich die Kombination {Schwansein, Blausein}. Deshalb hängt die Beurteilung dieser Aussage nur ganz schwach von Hintergrundwissen ab, weil die Begriffe, die sie formen so gut wie unmissverständlich sind. Der "Neue Experimentalismus" konzentriert sich auf Effekte, die unter kontrollierten Bedingungen festgestellt werden, d.h. unter Bedingungen, die begrifflich unfragwürdig sind.

Das ist hier sicher eine kompetentere Darstellung ;-):
The New Experimentalism, Topical Hypotheses, and Learning from Error, Deborah G. Mayo
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 28. Jul 2013, 09:38

ujmp hat geschrieben:Daten hängen aber nicht von ihrer Deutung ab sondern umgedreht, und ihre die Deutung hängt von einem theoretischen Kontext ab. Im Fall der Wissenschaft hängt der theoretische Kontext von den Daten ihren Deutungen ab.
Nein, Du hast es nicht verstanden.
Es gibt keine isolierten Daten auf der Welt. Daten erschließen sich einem deutenden Wesen, das kann auf der Basis unbewusster biologischer Programme sein, wenn sich z.B. die Pupille beim Lichteinfall verengt. Man kann sich drüber streiten, ob eine Säure-Base-Reaktion auch ein Datenaustausch ist, hatten wir ja hier schon mal.
Beim in irgendeiner Weise systematisch forschenden und deutenden Wesen stehen Daten immer im Kontext von Theorien, ja, aber diese im Kontext weiterer Theorien.
So ergab ja gerade die Summe dieser oder jener Erkenntnisse der Naturwissenschaften im Laufe der Zeit erst die Frage, ob man angesichts des sich abzeichnenden Erklärungsansatzes, die große Klammer, Gott, überhaupt noch braucht.

Hierauf beruht ja eines der beliebten Missverständnisse, zu glauben, die Kirche sei immer schon Feind der Wissenschaften gewesen und habe systemisch versucht die Forschung zu unterdrücken. Die Kirche war, ganz im Gegenteil, immer ein Ort der Förderung der Wissenschaft und Forschung, schon aus dem Grund, weil man die geistige Elite war und nichts von der Forschung zu befürchten hatte. Es kam schlicht niemand auf die Idee, die Wissenschaft könne der Kirche gefährlich werden, vor allem, weil man die Massen hinter sich wusste.

Alles was der Kirche gefährlich werden konnte, wussten die längst schon selbst und hatten vermutlich intern mehr zu kämpfen, als gegen eine Bedrohung von außen. Mit der evangelischen Revolution vor 500 Jahren kam mit der Zeit auch ein evangelischer Arbeitsethos nach Europa, den es so nie gab und der das Bild Europas veränderte und zwar nicht über einen Puritanismus, sondern über die Gleichsetzung von wirtschaftlichem Erfolg und Gottgefallen. Vorher gab es zwar auch Leibeigene im Dienste von König und Kirche, aber auch wenn das arme Schweine waren, sie konnten wenigstens in dem Bewusstsein leben, dass sie Gott auf ihrer Seite hatten und ihnen im Himmel reich vergolten wird, wozu es auf Erden nicht langte. Freilich dürften auch zu damaligen Zeiten schon genügend Menschen gepokert haben und die Gratifikation post mortem gegen den Spatz in der Hand eingetauscht haben. Aber der Zug: Du bist gut, weil du wohlhabend bist, der war neu.
Stephen Pinker schreibt, dass in Europa wohl seit dem 11./12. Jahrhundert eine Kultur der Ehre, bis zu einem Höhepunkt im 17./18. Jahrhundert, allmählich in eine Kultur der Würde umgemodelt wurde, mit einem Anwachsen an Impulskontrolle und Empathie. So etwas bereitet überhaupt erst den Boden auf dem die evangelische Saat aufgehen kann.
Ich vermute mal, dass die mystische Strömung im 11./12. Jahrhundert, in der Menschen sich in Zellen zurückzogen um Gott zu finden und zu meditieren und von der Bevölkerung geachtet und mit Nahrung versorgt wurden, so weit ich weiß, war eine solche Innenschau in der Breite neu und einzigartig für Europa, ihren Anteil haben wird, damit wiederum die Impulskontrolle besser funktionierte. Natürlich war das alles kein rein religiöser Impuls, man versuchte den Adel, sein Verhalten, zu kopieren, zuerst die Mittelschicht, dann die Unterschicht, so dass Höflichkeit langsam in die Kultur einsickerte.
Nicht zu vergessen, Descartes und eine der Konsequenzen seiner Philosophie, dass man die Geschichte der Welt nämlich auch vom Ich aus erzählen kann. Zugleich lag auf der anderen Seite des Dualismus das Automatenhafte, das seelenlos Ablaufende und dazu gehörte nicht nur der Lauf der Gestirne, sondern für Descartes auch die Tiere, das heißt weite Teile der Natur, waren schon autonom erklärbar. Auch das brauchte Jahrhunderte um in der Aufklärung richtig zu zünden.
Wenn es stimmt, was Gunnar Heinsohn schreibt, dann ist Europas kometenhafter Aufstieg im Mittelalter zu nicht geringen Teilen einer Verschärfung des Abtreibungsverbotes zu verdanken, das die weisen Frauen der damaligen Zeit als Hexen verfolgte und Geburtenkontrolle, in den Kreis der Todsünden erhob. Das tat man als Reaktion auf eine Pestwelle, die viele Menschen dahinraffte, so dass die Kirche nicht genügend Einnahmen hatte. Die Folge war, dass Europa eine einzigartigen youth bulge erlebte, bis das Pendel im späten 19.Jahrhundert wieder umschlug. Nun waren genug Menschen da, um den Hof zu vererben, zum Militär zu gehen und in die Kirchen, Bildung, Disziplin, Wohlstand bekamen auch von hier eine Grundlage. Doch damit die zweitgeborenen Söhne die Welt erobern konnte, mussten die Portugiesen erst mal ein Segeltechnik erfunden, die ein Segeln gegen den Wund ermöglichte und so kommt eines zum anderen.

Zu all dem kommen gewiss auch die Erkenntnisse eines Kopernikus oder Galilei, eines Bruno vor allem, aber nicht nur die Struktur wissenschaftlichen Fortschritts ist die Revolution oder das Sprunghafte, gleiches gilt für die Individualpsyche – man ändert nicht von jetzt auf gleich sein Weltbild - und für die Fortschritte und Ablösungen anderer Weltbilder auf der kollektiven Ebene.

Und jeder wird in ein Weltbild hineingeboren, mit seiner Sprache, seiner Denkweise, seinen Überzeugungen, seinen Praktiken, damals selbstverständlich in ein mythisch-religiöses, heute, in Europa in ein wissenschaftlich-technisches. Inferentielle Richtigkeiten gab es immer schon, es war immer schon implizit klar, was folgte, man zu tun und zu lassen hatte, die normativen Rechtfertigungen waren andere, niemand stellte infrage, dass man etwas machen musste, weil Gott das so will. Leute, die das nicht glaubten, gab es seit eh und je, die Frage ist, ob sie kulturellen Rückenwind hatten und eine Mehrheit darstellten oder nicht. Weltbilder haben eine große Resistenz gegen Veränderungen, doch dann geht alles ganz schnell.


Du glaubst nun, dass das Team, Hypothesen und ihre Überprüfung in der Realtität/Praxis, aus all diesen Kontexten herausgeschält werden kann und sich kontextfrei durch die Welt frisst. Daten/Überprüfen, ergibt neue Daten/Überprüfen und so geht der Weg pragmatisch von selbst. Ein sich selbst optimierendes Programm, was sich durchs Leben frisst, seine Kreise immer größer zieht und die Evolution des Lebendigen in eine Evolution der Theorien übergehen lässt.
Gelaber, Philosophie und Sozialkram ist eh überbewertet, was interessiert, ist das was Funktioniert.
Aber welches Prinzip des Pragmatismus/Funktionalismus sagt „Halt“? Wo und mit welcher Begründung sollte man nicht mehr machen, was man machen könnte? Woran erkennen wir, dass eine Theorie nützlich ist und wie schnell muss das gehen? Vielleicht wäre jetzt ein Geburtenprogramm für Europa richtig, aber so richtig greifen tut es vielleicht erst in 50 Jahren? Woran kann ich erkennen, ob der kurzfristige Nutzen besser ist, als der langfristige Erfolg?
Ist denn die Reduzierung des Lebens auf Funktionalität, am besten noch auf wirtschaftliche Potenz, so richtig nach Deinem Geschmack? Das Programm funktioniert großartig, nur leider bleibt zwischendurch der Mensch auf der Strecke.
Das Programm schreibt übrigens auf allen Ebenen gerade seine Erfinder um. Das ist die Hellsichtigkeit eines Heidegger, eines Luhmann, ein Zug auf den Dawkins später aufsprang. „Sprache spricht“, so ein typisch doofer Heidegger Satz heißt nichts anderes, als dass der vermeintliche Erfinder und Nutzer der Sprache, sich nach dieser zu richten hat und nicht etwa, wie man meinen könnte, die Worte nach belieben formt. „Ich kann doch sagen, was ich will. Worte sind doch nur Schall und Rauch.“
Was Schirrmacher und Yogeshwar gerade popularisieren, pfeifen die Spatzen schon länger von den Dächern.

Funktionieren muss es und effektiv sein, alles andere ist irrelevant. Nach dem Muster funktionieren heute immer mehr Menschen. Popper hat sich übrigens Gedanken gemacht, darüber, ob Toleranz auch Grenzen kennt. Er hat den Nazis widerstanden, vor allem gedanklich, was keine Leichtigkeit war in der Zeit. Ich vermute, er würde den Fehler im System mit Leichtigkeit erkennen. Erklär' Du mir bitte mal, was genau Deinen Funktionalismus von Darths unterscheidet.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » So 28. Jul 2013, 10:35

@ujmp bin noch dabei, deine Antwort aufmerksam zu lesen. Nur vorab zum Ramsey-Satz.

Das kenn ich noch gar nicht, was besagt denn dieser Satz?


Der Ramsey-Satz oder genauer: der Ramsey-Sneed-Satz bildet nach strukturalistischer Wissenschaftsauffassung um Joseph Sneed, Moulines, Stegmüller und Balzer die einzige Möglichkeit, dem Zirkel der theoriebeladenen Beobachtung zu entgehen. Um seine Leistung (die natürlich hier nur von wissenschaftstheoretischem Interesse ist, denn vermutlich wird kein Fachwissenschaftler diesen Begriff kennen) zu verdeutlichen, muss man zunächst verstehen, wie Theorien in der strukturalistischen Wissenschaftstheorie rekonstruiert oder gedeutet werden. In der strukturalistischen Wissenschaftstheorie werden Theorien mengentheoretisch gedeutet, nämlich als Definition eines mengentheoretischen Prädikats. Eine empirische Theorie T (z.B. wirtschaftliche Theorie der Markträumung oder Freuds Psychoanalyse oder Mechanik usw.) wird beispielsweise rekonstruiert, indem man das mengentheoretische Prädikat: "...ist ein T" oder genauer: "x ist ein Modell für T" definiert. Die Begriffe der Theorie selbst degenerieren dabei zu Definitionsbestandteilen.

Das Ergebnis einer solchen Definition ist die Extension des mengentheoretischen Prädikats " .. ist ein T ".). Diese Extension ein oder mehrere Elemente enthalten. Diese Elemente nennt man Modelle. Ein Modell, welches alle Bedingungen eines mengentheoretischen Prädikats erfüllt, heisst "aktuelles Modell". Ein Modell, welches alle Bedingungen der Theorie erfüllt, ausser dem Gesetz der Theorie, heisst "potentielles Modell". In einem potentiellen Modell sind die Bedingungen für die Grundbegriffe der Theorie erfüllt. Das wird jetzt alles ein wenig abstrakt, daher konkretisiere ich das jetzt kurz. Eine Theorie T enthalte die Begriffe A, B, C und die Relationen r, s. Ein x ist genau dann ein potentielles Modell für T, wenn gilt:
1. x = <A, B, C, r, s<
2. A ist eine nicht-leere Menge
3. B ist eine nicht leere Menge
4. C ist eine nicht-leere Menge
5. r ist eine Relation auf die Mengen A
6. s ist eine Relation auf die Mengen B und C

Die Terme A, B, C bilden sozusagen das ontologische Grundgerüst der Theorie, es sind Individuenbereiche. Die Relationen r und s können z.b. als Funktionen interpretiert werden. Unter diesen funktionalen Begriffen gibt es nun welche, die nur bestimmt werden können, wenn man das Fundamentalgesetz der jeweiligen Theorie als gültig zugrundelegt. Darin besteht der Zirkel. Das jeweilige Fundamentalgesetzt ist folglich nicht die empirische Behauptung einer Theorie, es hat keine empirische Relevanz, weil es eben Begriffe enthält, die ihrerseits nur bestimmt werden können, wenn das Fundamentalgesetz gültig ist.

Um diesen Zirkel aufzulösen muss man das potentielle Modell noch weiter aufspalten, nämlich in einen Teil, der bestimmt werden kann, ohne dabei die Gültigkeit des Fundamentalgesetzes vorauszusetzen. Nehmen wir an, das wäre bei den Termen A, B, C so. Tatsächlich dürfte es ja nicht vor unüberwindliche Schwierigkeiten stellen, zu entscheiden, ob eine Menge leer ist oder nicht. Die mengentheoretische Struktur, die man auf diese Weise erhält, nennt man partielles potentielles Modell.

Jetzt kommt der langerwartete Ramsey-Sneed-Satz. Er formuliert die empirische Behauptung für ein partielles Modell wie folgt: "Es gibt eine theoretische Ergänzung für das partielle potentielle Modell, welche ein Modell für die Theorie ist." Oder: "Es ist möglich, die theoretischen Begriffe der Theorie T so zu bestimmen, dass man x ein Modell für T ist."

Genau genommen lautet die empirische Behauptung jeder empirischen Theorie T also:

Es gibt Messmethoden, die nicht die Gültigkeit des Fundamentalgesetzes von T voraussetzen.


Das war alles ein wenig sehr knapp und vielleicht ganz unverständlich. Eine immer noch lesenswerte Einführung ist Sneed, Balzer, Moulines, 1987. An Architectonic for Science. Dordrecht.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » So 28. Jul 2013, 10:51

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Daten hängen aber nicht von ihrer Deutung ab sondern umgedreht, und ihre die Deutung hängt von einem theoretischen Kontext ab. Im Fall der Wissenschaft hängt der theoretische Kontext von den Daten ihren Deutungen ab.
Nein, Du hast es nicht verstanden.


Ich nehme mal an, du hattest beim Absenden mein letztes Posting noch nicht gesehen...

Vollbreit hat geschrieben:Hierauf beruht ja eines der beliebten Missverständnisse, zu glauben, die Kirche sei immer schon Feind der Wissenschaften gewesen und habe systemisch versucht die Forschung zu unterdrücken. Die Kirche war, ganz im Gegenteil, immer ein Ort der Förderung der Wissenschaft und Forschung, schon aus dem Grund, weil man die geistige Elite war und nichts von der Forschung zu befürchten hatte. Es kam schlicht niemand auf die Idee, die Wissenschaft könne der Kirche gefährlich werden, vor allem, weil man die Massen hinter sich wusste.

Das ist schon richtig, davon hat mich Feyerabend mal überzeugt. Nur ist es heute so, dass die Kirche selbst versucht, sich von Wissenschaft abzugrenzen. Während für die Alten "Gott" noch eine Tatsache war, die sich möglichweise sogar beweisen ließ, weiß die moderne Kirche, dass das nach heutigen Maßstäben der wissenschaftlichen Evidenz nicht geht. Entweder greift sie daher diese Maßstäbe an oder die konstruiert sich ein Argumentatives Reservat, das diesen Maßstäben nicht zugänglich ist. Johannes Paul II soll zu Stephan Hawking gesagt haben: Bis zum Urknall seit ihr zuständig, für die Zeit davor wir. Das wäre im Mittelalter keinem Papst eingefallen.

Vollbreit hat geschrieben:Und jeder wird in ein Weltbild hineingeboren, mit seiner Sprache, seiner Denkweise, seinen Überzeugungen, seinen Praktiken,...

Das bedeutet aber a) nicht dass dieses Weltbild richtig ist, b) nicht dass es unabänderlich ist und spricht c) nicht für die Psychoanalyse, da diese ja ein Novum für das Weltbild ihrer Zeit war. ;-)

Vollbreit hat geschrieben:Du glaubst nun, dass das Team, Hypothesen und ihre Überprüfung in der Realtität/Praxis, aus all diesen Kontexten herausgeschält werden kann und sich kontextfrei durch die Welt frisst.

Das glaube ich nicht, aber wie ich hoffentlich nach und nach deutlich machen kann, ist der Kontext nicht das Problem, was du konstruieren möchtest.

Vollbreit hat geschrieben:Gelaber, Philosophie und Sozialkram ist eh überbewertet, was interessiert, ist das was Funktioniert.

Das ist ein Strohmann. "Hermeneutik" bedeutet ja hoffentlich nicht, zu zeigen, dass willkürliches Gelaber genau so viel Wert ist, wie regelgeleitete Argumentation.

Vollbreit hat geschrieben:Aber welches Prinzip des Pragmatismus/Funktionalismus sagt „Halt“? Wo und mit welcher Begründung sollte man nicht mehr machen, was man machen könnte?

Das ist am Ende ein Willensgrund, evtl. eine Norm. Normen gehen auf Willensgründe zurück, im günstigsten Fall berücksichtigen sie den Willen besonders vieler Individuen. Normen lassen sich insofern auch rational begründen.

Vollbreit hat geschrieben: Woran erkennen wir, dass eine Theorie nützlich ist und wie schnell muss das gehen? Vielleicht wäre jetzt ein Geburtenprogramm für Europa richtig, aber so richtig greifen tut es vielleicht erst in 50 Jahren? Woran kann ich erkennen, ob der kurzfristige Nutzen besser ist, als der langfristige Erfolg?

Das bekommst du aber mit Psychoanalyse erst recht nicht raus! Der liebe Onkel Karl hat da die "Politik der kleinen Schritte" empfohlen. D.h. da wir uns unserer Fehlbarkeit Bewusstsein müssen, sollten wir eben nur Entscheidungen treffen, die überschaubare Auswirkungen haben, die man ggf. revidieren kann. Im Gegensatz dazu wollen totalitäre Ideologien immer gleich alles komplett auf den Kopf stellen - und scheitern dann (siehe "Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde"). Wenn du solche Entscheidungen verantwortungsvoll treffen möchtest, kommst du m.E. nicht mit "Hermeneutik" aus, in der es noch dazu kein "richtig" und "falsch" gibt.

Vollbreit hat geschrieben:Ist denn die Reduzierung des Lebens auf Funktionalität, am besten noch auf wirtschaftliche Potenz, so richtig nach Deinem Geschmack?

Du ist ja eine Legion von Strohmännern... Wenn es weiterhilft: Im Grunde will jeder Mensch genau das wissen, wie alles "funktioniert", dich stört nur der technisch klingende Terminus. Wie funktioniert eine glückliche Ehe? Z.b. mit Romantik. - Ich empfinde da nichts Entfremdendes.

Vollbreit hat geschrieben: „Sprache spricht“, so ein typisch doofer Heidegger Satz heißt nichts anderes, als dass der vermeintliche Erfinder und Nutzer der Sprache, sich nach dieser zu richten hat und nicht etwa, wie man meinen könnte, die Worte nach belieben formt. „Ich kann doch sagen, was ich will. Worte sind doch nur Schall und Rauch.“
Was Schirrmacher und Yogeshwar gerade popularisieren, pfeifen die Spatzen schon länger von den Dächern.

Es wäre ja schön, wenn die Sprache tatsächlich diese Verbindlichkeit hätte. Man kann aber leider in Wirklichkeit unglaublich viel Nonsens erzählen.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » So 28. Jul 2013, 11:05

Vielleicht noch ein Satz zur Erläuterung. Dass t-theoretische Begriffe in einer Theorie gibt, ist kein Mangel, sondern das Kennzeichen ausgereifter Theorien. Ohne t-theoretische Begriffe gäbe es keine empirische Behauptung. Es dürfte klar sein, dass nach dieser Sichtweise die meisten wissenschaftlichen Theorien keine Theorien sind, einfach deshalb, weil es streng formulierte Gesetze nur in physikalischen Theorien gibt und es auch nur dort theoretische Begriffe im oben angedeuteten Sinn gibt. Die biologische Evolutionstheorie z.B. ist m.E. keine empirische Theorie in diesem Sinn, sondern hat den Status von Geschichtswissenschaft oder (auf die Reaktionen freu ich mich schon, Provokation muss halt sein) von Theologie.

sorry, wenn es jetzt wieder wild durcheinandergeht, aber dazu muss ich was sagen:

ujmp hat geschrieben: Nur ist es heute so, dass die Kirche selbst versucht, sich von Wissenschaft abzugrenzen. Während für die Alten "Gott" noch eine Tatsache war, die sich möglichweise sogar beweisen ließ, weiß die moderne Kirche, dass das nach heutigen Maßstäben der wissenschaftlichen Evidenz nicht geht. Entweder greift sie daher diese Maßstäbe an oder die konstruiert sich ein Argumentatives Reservat, das diesen Maßstäben nicht zugänglich ist. Johannes Paul II soll zu Stephan Hawking gesagt haben: Bis zum Urknall seit ihr zuständig, für die Zeit davor wir. Das wäre im Mittelalter keinem Papst eingefallen.


Doch. Genau dieser Gedanke ist der Aufhänger in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Es ist einfach nicht wahr, dass man im Mittelalter zwischen Erfahrungstatsachen und der Art und Weise, wie man sie gewinnen kann, und Theologie oder Offenbarung nicht unterschieden hätte. Dazu passt die Bemerkung von Thomas, ob man durch Vernunftsgründe zum Glauben gebracht werden könne oder durch Vernunftsgründe die Plausibilität einsehe, warum es vernünftig ist, dem Glauben zuzustimmen:

"Mit unzureichenden Gründen gibt man den Glauben nur der Lächerlichkeit preis" (S.th. I q32 a1 c)
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 28. Jul 2013, 11:45

ujmp hat geschrieben:Richtig ist, dass der Sprecher Theorien von "Schwan", von "blau" usw. haben muss, damit er den Satz verstehen kann. Aber: Der intendierte Sinn dieser Aussage ist das Neue, nämlich die Kombination {Schwansein, Blausein}. Deshalb hängt die Beurteilung dieser Aussage nur ganz schwach von Hintergrundwissen ab, weil die Begriffe, die sie formen so gut wie unmissverständlich sind.
Das sieht nur dann schon anders aus, wenn die an sich kinderleicht zu verstehende Aussage, dass der Merkur Sternenlicht ablenkt, in ihren Kontext eingebunden werden soll.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » So 28. Jul 2013, 12:12

Thomas von Aquin hat geschrieben:Die Glaubenslehre hat keine ihr übergeordnete Wissenschaft. Sie disputiert selber gegen diejenigen, die ihre Grundaussagen leugnen. Und zwar argumentiert sie, wenn der Gegner irgendetwas von dem anerkennt, was durch die göttliche Offenbarung vorliegt. So disputieren wir mit Beweisstellen aus der Heiligen Schrift gegen Häretiker oder mit Hilfe des einen Glaubensartikels gegen diejenigen, die den anderen leugnen. Wenn aber der Gegner nichts von dem glaubt, was von Gott her offenbart wird, bleibt keine Möglichkeit mehr, die Glaubensartikel mit Gründen zu beweisen, sondern nur noch, Gründe aufzulösen, falls er solche gegen den Glauben anführt (zitiert nach Peter Knauer, Der Glaube kommt vom Hören, Seite 388; Hervorhebung von mir)


Das noch als Ergänzung zu meinem letzen Beitrag. Allenfalls kann man nach Thomas also die Unmöglichkeit zu glauben widerlegen; nicht jedoch kann man beweisen, warum man glauben müsse.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » So 28. Jul 2013, 12:58

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Richtig ist, dass der Sprecher Theorien von "Schwan", von "blau" usw. haben muss, damit er den Satz verstehen kann. Aber: Der intendierte Sinn dieser Aussage ist das Neue, nämlich die Kombination {Schwansein, Blausein}. Deshalb hängt die Beurteilung dieser Aussage nur ganz schwach von Hintergrundwissen ab, weil die Begriffe, die sie formen so gut wie unmissverständlich sind.
Das sieht nur dann schon anders aus, wenn die an sich kinderleicht zu verstehende Aussage, dass der Merkur Sternenlicht ablenkt, in ihren Kontext eingebunden werden soll.

Worin besteht denn die Schwierigkeit? Es kommt nur darauf an, was diese Aussage für eine Bedeutung intendiert, das ist halt ihr Kontext . Wenn "Merkur lenkt Sternenlicht ab" bedeuten soll, "Sternenlicht ist durch den Merkur ablenkbar" dann beinhaltet das natürlich auch eine Theorie über Sternenlicht. Es ist dann einfach eine mehrteilige Behauptung, über den Merkur plus die Natur des Sternenlichtes.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » So 28. Jul 2013, 13:19

Vollbreit hat geschrieben:Es gibt keine isolierten Daten auf der Welt. Daten erschließen sich einem deutenden Wesen,


Der zweite Satz ist hier wichtig: einem deutenden Wesen. Deutender Akt und gedeuteter Gegenstand gehören zusammen und lassen sich nicht voneinander trennen.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mo 29. Jul 2013, 08:06

ujmp hat geschrieben:Wenn "Merkur lenkt Sternenlicht ab" bedeuten soll, "Sternenlicht ist durch den Merkur ablenkbar" dann beinhaltet das natürlich auch eine Theorie über Sternenlicht. Es ist dann einfach eine mehrteilige Behauptung, über den Merkur plus die Natur des Sternenlichtes.


Wenn es zur „Natur“ (das ist Dein Ausdruck für „Wesen“, oder?) von Sternenlicht gehört von Gravitationslinsen gebogen werden zu können, gehört es dann zur „Natur“ von Zahlenkombinationen, dass sie Mobilfunkverbindungen herstellen?
Aus der Beobachtung von Sternenlicht wirst Du nicht schlau, aus dem sichtbaren Beweis einer wissenschaftlichen Sensation wird man auch nicht schlau, wenn man gar nicht ahnt, dass es sich um eine handelt. Auch vor Newton hat bestimmt schon manches Säugetier eine Apfel fallen sehen. Erst im Lichte von Einsteins kurioser Vorhersage, dass nämlich Lichtwellen/-teilchen von Massen abgelenkt werden können, werden die Daten zu einer Sensation und man muss schon sehr genau hinschauen und wissen, auf was man achten muss und dann auch noch wissen, was es als weitere Konsequenz bedeutet, dass Licht abgelenkt werden kann und so weiter.

Dein pragmatischer Ansatz ist gut für den Alltag und da benutzt ihn jeder. Das ist nun aber keine Sensation, denn diesen Ansatz, sich Wege, Handlungsroutinen und so weiter zu merken, zu optimieren und dergleichen, den haben Menschen seit Jahrzehntausenden drauf und ob sie archaisch, magisch, mythisch oder rational in ihrem Weltbild sind, macht da kaum einen Unterschied.

Der Unterschied wird genau in dem Moment relevant, wo man Theorien darüber entwirft, wie und warum der ganze Quatsch funktioniert.
Aber auch da, muss man genauer hinschauen, nämlich auf das, was man meint, wenn man untersuchen will, wie etwas funktioniert.

Da gibt es nämlich mindestens zwei Wege, vielleicht sogar drei, je nach dem, wie man es definiert.
Der eine Weg ist die Geschicklichkeit im Alltag, vor 40.000 Jahren, wie jage ich erfolgreich, wo finde ich Schutz gegen Feinde, Wetter und so weiter. Das ist heute ein vermutlich nur gering umgeschriebenes Programm, man findet sich eben in anderen Situationen zurecht und sucht Orientierung und Schutz, muss wahrscheinlich mehr soziale Kompetenzen haben, naja, bis vor ein paar Jahren.

Der zweite Punkt ist die Frage, wie das alles funktioniert und wenn man diese Frage im Lichte des heute Gewohnten beleuchtet ist die Antwort klar. Die Konzepte der Weltbildvorläufer erscheinen primitiv, ein Animismus mit Ahnengeistern auf der archaischen Stufe, eine Fokussierung auf mächtige Individuen und Clans, geheime Kräfte und schamanistisches Wissen in der magischen Zeit, das Zurücktreten des Ich und die Dominanz einer Gruppenmoral und Fokussierung auf eine äußere Autorität und Gehorsam in der mythischen Ära, schließlich die Erkenntnis, dass dies nur eine Projektion ist, man diese Instanz in sich findet und ansonsten vor allem einer systemischen Untersuchung der Außenwelt, in der rationalen Zeit. Hier zeigt sich im Grunde eine steter Fortschritt in der Naturerklärung.

Beim dritten Punkt, kann man sich nun fragen, ob er getrennt oder zusammen mit dem davor betrachtet werden soll. Es geht um das Selbstbild während dieser Phasen der Geschichte. Hier ist gewöhnlich der Punkt, an dem es etwas kuddelmuddelig wird. Anhänger der Naturwissenschaften sind in der Regel sehr gut bei einem Verständnis des instrumentellen Zugangs der Welt, aber mäßig bis schlecht bei dem Verständnis, dass es außer Messen und Auswerten noch irgendeinen Erkenntnisansatz gibt, der von Wert sein könnte und nicht nur etwas ist, was der Erbauung dient. Deshalb die Spitzenleistungen bei allem was mess- und objektivierbar ist und das Versagen auf anderen Gebieten.
Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Philosophie, all das wirkt suspekt. Begriffe wie Metaphysik, Religion, Esoterik, Spiritualität, Mystik sind zwar emotional besetzt, aber werden, vermutlich deshalb, als eine einzige, undifferenzierbare Katastrophe erlebt. Psychologie ist suspekt und höchstens in der fassbaren Form des Behaviorismus (kennt man aus der Tierdressur), der Spieltheorie (kennt man aus der Computerwelt) oder Psychiatrie/Neurologie, neuerdings Hirnforschung genannt, verdaubar.
Tiefenpsychologische Ansätze wirken suspekt, aber das nicht etwa zufällig, sondern regelgerecht. Einfach nur reden und dann soll was passieren? Oder noch schlimmer „Phantasiereisen“. Als Onlinegame super, aber mehr kann doch da wohl nicht sein. Dass es sowas wie innere Schritte, innere Stufen geben könnte, die nicht nur reiner Zufall sind, so dass man von dem was in der Birne des anderen vor sich geht buchstäblich nichts wissen kann oder alles in der Innenwelt auf Ficken, Fressen, Facebook reduziert, dazwischen gibt es kaum etwas.
Deshalb kann man sich auch prima vorstellen, wie genetische Informationen vererbt werden, da ist man brillant, dass und wie soziale Normen aber über Praktiken tradiert werden, das wirkt schon wieder merkwürdig.

Das heutige Topmodell ist der quasiautonome Bioroboter mit leistungsstarkem Prozessor, mit Evolutionsschleifen und Selbstoptmierungsprogramm. Sehen, verarbeiten, lernen, besser werden, alles ganz logisch, effektiv und algorithmisch, alles andere ist Schnickschnack. Wie hübsch man sich das auch immer hinphantasiert, am Ende bleiben die immer gleichen Fragen offen, deshalb würde ich erneut gerne ganz praktisch wissen wollen, was Deinen Pragmatiker de facto von Darths dunkler Egomaschine unterscheidet.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » Mo 29. Jul 2013, 12:19

Ich wollte an dieser Stelle einmal auf das Verhältnis von Hermeneutik und analytischer Wissenschaftstheorie eingehen. Ich selbst wurde in der analytischen Tradition der Wissenschaftstheorie erzogen und konnte während meiner Studienzeit mit Hermeneutik schlechthin überhaupt nichts anfangen. Das war alles zu unklar, schlecht geschrieben obendrein. Ich hatte keinen Zugang zu dieser Welt. Obendrein ging ich von falschen Annahmen aus. Ich dachte, Hermeneutik würde einfach auf einem präsystematischen Niveau noch einmal das schlechter formulieren, was man in der analytischen Wissenschaftstheorie schon viel klarer ausformuliert hatte.

Mittlerweile sehe ich das nicht mehr so. Das Verhältnis von Hermeneutik und analytischer Wissenschaftstheorie ist m.E. vergleichbar mit dem Verhältnis von Metaphysik und Physik. Die analytische Wissenschaftstheorie (AW) geht zusammen mit den naturwissenschaftlichen Theorien, mit denen sie sich befasst, davon aus, dass die Welt in Objekte zerfällt, die zwar nicht sprachunabhängig existieren, die aber gleichwohl "da sind". Über diese Objekte können und werden Aussagen gemacht. Das machen Naturwissenschaftler jeden Tag. Diese Aussagen auf logische Konsistenz und auf ihren empirischen Gehalt zu prüfen ist Aufgabe der AW.

Die Hermeneutik setzt dagegen einen Schritt vorher an, wie mir heute scheint. Sie geht nicht davon aus, dass die Welt einfach in Objekte zerfällt. Dass die Welt in Objekte zerfällt, die wir isoliert beschreiben können und über die wir Regelmäßigkeiten behaupten können, ist keine wissenschaftstheoretische Voraussetzung, sondern nachgeordnet. Jedes Objekt ist deshalb ein Objekt, weil es endlich ist. Endlich ist es, weil es Grenzen (fines) zu seiner Umgebung hat. Alles das, was es nicht ist, ist dagegen unendlich und "nicht-seiend". So existiert ein Objekt als gegenseitige, dialektische Durchdringung von Endlichkeit und Unendlichkeit, Sein und Nichtsein, Notwendigkeit und Nicht-Notwendigkeit. Ohne diese kontradiktorische Widersprüche können wir nicht über die Welt reden; diese Widersprüche sind gleichsam der holprige Ausgangspunkt. Die glatte Naturwissenschaft tritt dann auf den Plan, wenn schon alles glatt und der Weg von solchen "metaphysischen" Hemmnissen freigeräumt ist.

Der Gedanke, um uns herum gibt es lauter diskrete Objekte, ist keineswegs trivial. Tatsächlich beginnen die Schwierigkeiten damit, dass man bei jeder Beschreibung der Wirklichkeit kontradiktorische Aussagen machen muss der obigen Art: etwas ist endlich und zugleich unendlich, es ist und es ist nicht, es ist notwendig und es ist nicht-notwendig. Der Erkenntnisvorgang, der Akt des Erkennens ist selbst ein solcher Widerspruch: etwas ist zugleich Bewusstseinsgegenstand und Bewusstseinsgegenstand, deutender Akt und gedeuteter Gegenstand gehören zusammen und lassen sich nicht voneinander trennen.

Anders als früher bin ich der Meinung, dass die Frage, wie man mit solchen Widersprüchen umgehen kann, wichtig ist für unser Konzept von Wissen. Dafür, was man unter Erfahrung überhaupt verstehen kann.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mo 29. Jul 2013, 13:42

Zwei Bemerkungen dazu:

1) Die linguistische Wende - die oft schlecht verstandene Idee, dass Sprache mehr ist, viel mehr ist, als Zettel mit Benennungen und zuvor berteits vorhandene Gegenstände zu heften – kommt ja aus der Herzen der analytischen Philosophie.

2)
laie hat geschrieben:Der Gedanke, um uns herum gibt es lauter diskrete Objekte, ist keineswegs trivial.

Erstens das und zweitens ist aus streng naturwissenschaftlicher Sicht noch nicht mal klar, ob er richtig ist.
So naturwissenschaftlich wollen die Anhänger der Naturwissenschaften es dann aber zumeist doch nicht betrachten.

Philosophisch ist es ohnehin ein Alptraum, weil das, was den Sprachspielen vorausgeht, in vielen Fällen bereits voraussetzt, dass man Sprachspiele beherrscht. Naturalisten flüchten sich da gerne in Bemerkungen, dieses oder jenes sei eben angeboren, ein Programm entstanden durch die Evolution.
Mag sein, nur erklären tut das nichts und wird damit zur Floskel.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon laie » Mo 29. Jul 2013, 14:33

laie hat geschrieben:Der Gedanke, um uns herum gibt es lauter diskrete Objekte, ist keineswegs trivial.
Vollbreit hat geschrieben:... und (es) ist aus streng naturwissenschaftlicher Sicht noch nicht mal klar, ob er richtig ist. (Einschub von mir, laie)


Richtig. Die eigentliche Geburt der modernen Naturwissenschaften war im Grunde die Entdeckung von Newton und Leibniz, dass zeitliche Vorgänge aus linear angeordneten, diskreten Zeitpunkten bestehen, die sich infitisimal zusammenführen lassen. Man sollte sich aber darüber klar sein, dass dieser Gedanke nach wie vor eine wissenschaftstheoretische Hypothese ist, die wir an die Welt herantragen.

Augustin, Bekenntnisse, XI. Buch, Kapitel 14 hat geschrieben:Denn was ist die Zeit? Wer vermöchte dies leicht und in Kürze auseinanderzusetzen. Wer kann nun darüber etwas je sprechen, es auch nur in Gedanken umfassen? Und doch erwähnen wir nichts so häufig und nichts ist als so selbstverständlich als die Zeit. Und wir verstehen es allerdings irgendwie, wenn wir davon sprechen, noch verkennen wir es, wenn wir eine andere von ihr reden hören. Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht;


Augustin entfaltet in den darauf Kapiteln seine anthropozentrische Theorie der Zeit, in der es nur die Gegenwart gibt; Vergangenheit aber nur als "vergegenwärtigte Vergangenheit", Zukunft nur als "vergegenwärtigte Zukunft" oder "Erwartung".

Augustin, Bekenntnisse, XI. Buch, Kapitel 18 hat geschrieben:Unter so vielen Dingen möge ein beliebiges Beispiel für mich sprechen. Ich sehe die Morgenröte, ich verkündige den Aufgang der Sonne; was ich sehe, ist gegenwärtig, was ich verkünde, ist zukünftig; die Sonne aber ist in diesem Falle nicht das Zukünftige, denn sie ist bereits da, sondern ihr Aufgang selbst, der noch nicht ist, doch auch den Aufgang könnte ich nicht vorhersehen, wenn ich mir ihn nicht im Geiste vorstellte wie eben jetzt, wo ich dies sage.

Indes ist weder jene Morgenröte, die ich am Himmel sehe, der Sonnenaufgang, obgleich sie ihm vorangeht, noch jene seelische Vorstellung; ich sehe aber beide als gegenwärtig, so daß ich jene, die noch zukünftig ist, voraussagen kann. Das Zukünftige ist also noch nicht vorhanden, und was noch nicht ist, ist überhaupt nicht, und was nicht ist, kann man auch gar nicht sehen, sondern nur vorhersagen aus dem Gegenwärtigen, das bereits ist und somit gesehen werden kann. (Hervorhebung von mir)


"Das Zukünftige ist nicht, sondern kann nur vorgesagt werden aus dem, was bereits ist." Mit anderen Worten: Die Zukunft ist offen.
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Re: Todestrieb und Evolution

Beitragvon ujmp » Mo 29. Jul 2013, 19:59

Vollbreit hat geschrieben:Der Unterschied wird genau in dem Moment relevant, wo man Theorien darüber entwirft, wie und warum der ganze Quatsch funktioniert.

Es ging ja nicht darum wie Theorien entstehen, sondern darum, ob theorieunabhängige Beobachtung möglich ist. Das geht in kontrollierten Experimenten.

Vollbreit hat geschrieben:Es geht um das Selbstbild während dieser Phasen der Geschichte.

Was heißt "Es geht um..."? Was willst du denn damit herausfinden? Darum geht es doch überhaupt nicht bei der Frage, ob der Merkur das Sonnenlicht ablenkt!

Vollbreit hat geschrieben: Anhänger der Naturwissenschaften sind in der Regel sehr gut bei einem Verständnis des instrumentellen Zugangs der Welt, aber mäßig bis schlecht bei dem Verständnis, dass es außer Messen und Auswerten noch irgendeinen Erkenntnisansatz gibt, der von Wert sein könnte und nicht nur etwas ist, was der Erbauung dient. Deshalb die Spitzenleistungen bei allem was mess- und objektivierbar ist und das Versagen auf anderen Gebieten.

Die Psyche ist auch objektivierbar, nur Psychoanalyse kann das eben nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften, Philosophie, all das wirkt suspekt. Begriffe wie Metaphysik, Religion, Esoterik, Spiritualität, Mystik sind zwar emotional besetzt, aber werden, vermutlich deshalb, als eine einzige, undifferenzierbare Katastrophe erlebt.

Du schmeißt alles in einen Topf. Ich würde Sozial- und Geisteswissenschaften nicht in eine Reihe mit Religion und Esoterik stellen. Der Knackpunkt ist einfach, ob eine wissenschaftliche Methodik dahinter steht.

Vollbreit hat geschrieben:Tiefenpsychologische Ansätze wirken suspekt,

Nicht der Ansatz wirkt suspekt, sondern die Ausführung, wenn keine wissenschaftliche Methode dahinter steht.

Vollbreit hat geschrieben: Dass es sowas wie innere Schritte, innere Stufen geben könnte, die nicht nur reiner Zufall sind, so dass man von dem was in der Birne des anderen vor sich geht buchstäblich nichts wissen kann oder alles in der Innenwelt auf Ficken, Fressen, Facebook reduziert, dazwischen gibt es kaum etwas.

Ein "appeal to ignorance". Was es alles geben könnte ... wer weiß! Aber sag doch mal, was es gibt und woher du das weißt! Da ist aber keine verbindliche Aussage zu erwarten!


Vollbreit hat geschrieben:dass und wie soziale Normen aber über Praktiken tradiert werden, das wirkt schon wieder merkwürdig.

Dazu braucht man keine Psychoanalyse, das ging Jahrtausende ohne.

Vollbreit hat geschrieben:Das heutige Topmodell ist der quasiautonome Bioroboter mit leistungsstarkem Prozessor, mit Evolutionsschleifen und Selbstoptmierungsprogramm. Sehen, verarbeiten, lernen, besser werden, alles ganz logisch, effektiv und algorithmisch, alles andere ist Schnickschnack. Wie hübsch man sich das auch immer hinphantasiert, am Ende bleiben die immer gleichen Fragen offen, deshalb würde ich erneut gerne ganz praktisch wissen wollen, was Deinen Pragmatiker de facto von Darths dunkler Egomaschine unterscheidet.

Wenn du so eine beschränkte Phantasie hast, ist es für dich evtl. tatsächlich besser, dass dich ein Priester zum Leben anleitet. :mg:
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