von Vollbreit » Mi 21. Aug 2013, 18:25
Es ist ja so, dass Richard Dawkins einigen Aufwand betreibt um darzustellen, wie seriös, weil wissenschaftlich, seine Darstellungen sind und wie unseriös, weil unwissenschaftlich, die Behauptungen der Religion (wobei es ja mein Standpunkt ist, zu sagen, dass Religionen primär gar nicht die Funktion oder den Anspruch haben Wahrheit im Sinne der Wissenschaft für sich in Anspruch zu nehmen) sind. Das nur mal dazu.
Die Wikipedia Definition ist nicht besonders glücklich, weil sie nicht zeigt, was das Wahnhafte am Wahn denn nun tatsächlich ist.
Das Wahnhafte am Wahn ist nicht, dass man sich nicht der Objektivität unterwerfen will, sondern die Wahnhaftigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass man die Sichtwiese anderer zugunsten einer rigiden Überzeugung nicht mehr verarbeiten kann.
Es gibt eine Hierarchie die beim Zwang beginnt. Beim Zwang weiß man, dass das was man tut, irgendwie neben der Spur ist, aber man kann halt nicht anders als in Fußgängerzonen nicht auf die Kanten der Platten zu treten oder sich 40 Mal am Tag die Hände zu waschen.
Die nächste Stufe sind überwertige Ideen, die primär bei schweren Persönlichkeitsstörungen vorkommen. Man ist zum Teil überzeugt, dass es vollkommen rational ist jede Türklinke zu desinfizieren, schließlich sitzen überall Mikroben, dann wieder weiß man, dass man ein wenig übertreibt.
Im Wahn, der bei Psychosen vorkommt und sie definiert, hat man den Bezug zur Realität in oben geschilderter Weise verloren. Das kann sehr subtil sein (im Falle einer atypischen Psychose), wenn jemand der großenteils unauffällig und normal wirkt nicht nachvollziehen kann, warum ein anderer bestimmte Aspekte seines Verhaltens merkwürdig, komisch und irgendwie verrückt finden könnte. Und es kann grob sein, wenn sich jemand für Napoleon oder die Jungfrau Maria hält.
Andererseits kann sich jemand extrem gebärden, ohne verrückt sein zu müssen. Es kann sein, dass er sehr genau weiß, dass ihn andere für „irre“ halten müssen, das zeigt aber, dass er mit den aktuellen Konventionen insoweit empathisch ist, dass er sie versteht und das ist das Kriterium dafür, dass man nicht psychotisch = wahnhaft ist.
Ein anderer, lebensnaher Punkt. Psychotiker sind in einer psychotischen Phase wirklich verrückt und das merkt jeder. Es gibt Experimente dazu, in denen man ganz „normale“ Menschen mit Psychotikern reden ließ (ohne dass die Normalos wussten, dass ihre gegenüber Psychotiker sind und was getestet werden sollte), zwanglose über explizit unbelastete Themen, das Wetter, Backrezepte, den Sommerurlaub und so weiter. Nachher interviewte man beide Parteien, die Psychotiker bemerkten durch die Bank, sie hätten sich einfach gut unterhalten, ansonsten nichts Besonderes. Die Normalos sagten auch, sie hätten sich an sich gut unterhalten, nur irgendetwas sei ihnen an ihrem Gegenüber komisch vorgekommen, ohne dass die das im Einzelfall genau beschrieben konnten. 99% der Gläubigen sind in diesem Sinne vollkommen normal, sie wirken einfach nicht verrückt und sind es auch nicht, wie die 99% der Restbevölkerung auch.
Die Überzeugung, dass jemand übers Wasser laufen kann, von den Toten aufersteht, das Meer teilt oder als Jungfrau ein Kind zur Welt bringt ist natürlich vollkommen konträr zur unseren heutigen Erkenntnissen. Damit ein religiöser Mensch zurecht als wahnhaft bezeichnet werden kann, müsste er also, falls er es irgendwie hinbekommt daran zu glauben, völlig verständnislos gucken, wenn Du sagst, dass Du das absolut nicht glauben kannst und überzeugt bist, es könne sich nur um ein Märchen handeln. Ich glaube aber, dass ein gläubiger Mensch Deine Skepsis sehr gut verstehen wird. Sie mag ihn ärgern, er mag sich provoziert fühlen, aber all das zeigt ja, dass er Deinen Standpunkt versteht.
Soweit ich das sehe handelt es sich bei religiösen Einstellungen um gesellschaftlich großenteils akzeptierte Rationalisierungen.
Kein Gläubiger plant bei seinem Urlaub ernsthaft den Ärmelkkanal zu Fuß zu überwinden, weil man ja bekanntlich übers Wasser gehen kann.
Kein Gläubiger würde nicht misstrauisch, wenn seine Frau sagen würde, sie sei nach seiner mehrmonatigen Auslandsreise schwanger, aber das Kind könne nur vom Heiligen Geist stammen, Sex mit einem anderen Mann habe sie nicht gehabt. Und so weiter.
Das heißt, gläubige Christen, denken nicht, dass die „Wunder“ der Bibel tagtägliche Realität seien, sondern sie glauben, diese Wunder seien sehr seltenen Gestalten vorbehalten und seien ja gerade deshalb so wunderbar und zeugnisgebend und so weiter.
Insofern relativiert sich das mit dem Wahnhaften auch hier ein wenig.
Inwieweit man nun tatsächlich den Einfluss einer jenseitigen Intelligenz in und auf unser Leben für möglich hält, ist m.E. bei Gläubigen eine individuelle Frage und erscheint mir nicht verrückt im strengen Sinne. Es mag unplausibel oder falsch sein, es könnte bessere oder andere Erklärungen geben, aber das ist auch bei anderen Fragen der Fall und wir würden auch keine „Immer wenn ich es eilig habe werden auch noch alle Ampeln rot“-Quengler ernsthaft in die Psychiatrie sperren oder mit Medikamenten abschießen wollen.