Gerechtigkeit(en)

Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Nanna » Fr 25. Okt 2013, 13:46

Wollte nur sagen, dass ich diese Diskussion hier nicht vergessen habe, aber dazu erst mal ein paar Sachen zusammensuchen muss, weil wir hier über mehrere Themen simultan diskutieren, die für mich nicht so eng zusammenhängen, wie Gandalf impliziert. Ich möchte das gerne aufdröseln und über mehrere Threads verteilen, aber dafür brauche ich mal ein paar Stunden Ruhe und die habe ich gerade nicht. Ich fange demnächst eine neue Seminararbeit an, wo ich mich u.a. auch mit poststrukturalistischen Thesen auseinandersetze und ich denke, im Rahmen dieses Denkprozesses fällt dann beispielsweise etwas für die Konstruktivismusdebatte hier ab. Hat, denke ich, so mehr Sinn, als sich jetzt noch drei Seiten dieselben Thesen um die Ohren zu hauen, ohne die zugrundeliegenden Meinungsverschiedenheiten zu den Einzelprobleme klar zu addressieren. Mein Eindruck ist, dass hier noch nicht mal so wirklich transparent ist, worüber wir eigentlich streiten, und das muss für eine produktive Auseinandersetzung aber geklärt sein, sonst redet man fortlaufend aneinander vorbei und das wollen wir Effizienzfetischisten ja alle nicht.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Mo 2. Dez 2013, 11:51

Apropos Gerechtigkeit: Ich amüsiere mich momentan königlich darüber, dass es die Obamaadministration mit ihrer Gesundheits"reform" doch glatt hinbringt, sich unbeliebter denn je zu machen, weil Leute ihre Krankenversicherung verlieren (weil die Konditionen nicht mehr erlaubt sind), aber keine neue abschließen können, weil die Obama-Administration zu doof ist eine funktionierende Homepage auf die Beine zu stellen...
Noch lustiger wirds, wenn die Strafbescheide rausgehen, weil man keine Versicherung hat...
:lachtot:
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 2. Dez 2013, 14:13

Das hat nichts mit Ungerechtigkeit, sondern mit bürokratischer Inkompetenz zu tun. Und das bisschen Bürokratie, die da existiert, fällt auch alle par Monate auf Eis, sobald wieder der Staatsbankrott droht, da politische Kräfte mit einer dir sicherlich gefallenden Gesinnung mal wieder den Staat und die Gesundheitsreform stürzen wollen.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Mo 2. Dez 2013, 15:23

Darth Nefarius hat geschrieben:Das hat nichts mit Ungerechtigkeit, sondern mit bürokratischer Inkompetenz zu tun. Und das bisschen Bürokratie, die da existiert, fällt auch alle par Monate auf Eis, sobald wieder der Staatsbankrott droht, da politische Kräfte mit einer dir sicherlich gefallenden Gesinnung mal wieder den Staat und die Gesundheitsreform stürzen wollen.

Ich find das nur gerecht :lachtot:
So wie Obama hierzulande zum Messias hochgejubelt wurde.
Und dass ein paar demonstrativ geschlossene Touristenattraktionen ein ernsthafte "government-Shutdown" wären, ist Propaganda bei der Göbbels neidisch würde*...
Solang die Steuern eintreiben, KZs betreiben, Genderbeauftragte bezahlen und Kriege führen können, ist das nicht ernstzunehmen

*Wenn auch in diesem Fall einfach der Sensationsgeilheit der Presse geschuldet. Je dramatischer die Schilderung desto besser verkauft sich das...
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 2. Dez 2013, 18:37

provinzler hat geschrieben:Und dass ein paar demonstrativ geschlossene Touristenattraktionen ein ernsthafte "government-Shutdown" wären, ist Propaganda bei der Göbbels neidisch würde*...
Solang die Steuern eintreiben, KZs betreiben, Genderbeauftragte bezahlen und Kriege führen können, ist das nicht ernstzunehmen

Achso - wenn also die Beamten nicht mehr bezahlt werden, ist das für dich kein Staatsbankrott (unabhängig davon, dass du das sogar begrüßen würdest)? Nur weil die meisten einfach weiterarbeiten, bedeutet es nicht, dass sie das ewig für nichts tun werden. Wenn sich deine Gesinnungsgenossen in der Tea Party anstrengen, bekommen sie es hin, dass nicht nur ein paar Touristenattraktionen geschlossen werden. Ein Beispiel für nichtgeleistete staatliche Arbeit aufgrund dieser Probleme hast du doch selbst geliefert! Und dass sie alle paar Monate sich einfach darauf einigen nur noch mehr Schulden zu machen, kannst doch auch nicht als langfristige Lösung bezeichnen!!
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Mo 2. Dez 2013, 21:31

Darth Nefarius hat geschrieben:Ein Beispiel für nichtgeleistete staatliche Arbeit aufgrund dieser Probleme hast du doch selbst geliefert! Und dass sie alle paar Monate sich einfach darauf einigen nur noch mehr Schulden zu machen, kannst doch auch nicht als langfristige Lösung bezeichnen!!

Das war ein mehrjähriges Projekt und du willst mir erzählen die max. 14 Tage Kasperltheater sind schuld?
Das mit der SChuldenbremse ist eine Einnahmequelle für Senatoren, die da weil für sie Insidertrading völlig legal ist, ordentlich abkassieren können.
Es wird munter weiter Krieg gespielt, eine überdehnte Bürokratie erhalten und man wundert sich, dass das Geld ausgeht. Eigentlich ja nicht, man kannst ja drucken...
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Darth Nefarius » Di 3. Dez 2013, 10:59

provinzler hat geschrieben:Das war ein mehrjähriges Projekt und du willst mir erzählen die max. 14 Tage Kasperltheater sind schuld?

Es wird gewiss nicht förderlich gewesen sein - abgesehen davon waren es keine 14 Tage, wenn man bedenkt, dass das Problem schon vorher bestand.
provinzler hat geschrieben:Das mit der SChuldenbremse ist eine Einnahmequelle für Senatoren, die da weil für sie Insidertrading völlig legal ist, ordentlich abkassieren können.
Es wird munter weiter Krieg gespielt, eine überdehnte Bürokratie erhalten und man wundert sich, dass das Geld ausgeht. Eigentlich ja nicht, man kannst ja drucken...

Die Kritik ist völlig angemessen (bis auf die "überdehnte Bürokratie" - falls du jedoch eine hoffnungslos überforderte und verkümmerte kritisierst und nicht eine aufgeblähte, gebe ich dir auch da recht)- das Problem liegt allerdings nicht am System Staat sondern am System USA. Dieses System wird sich solange nicht ändern wie sie weitermachen können wie sie es aktuell tun und der Rest der Welt es duldet (zumindest ein ausreichender Teil). Die EU hatte in kurzer Zeit sich stark reformiert, es hat allerdings eben eine gewaltige Krise dazu gebraucht, die USA sind bilanztechnisch schon längst bei griechischen Verhältnissen, können aber trotzdem weitermachen - ich frage mich, welche Krise sie provozieren wollen, bis sie sich reformieren.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Di 3. Dez 2013, 15:20

Darth Nefarius hat geschrieben:Die Kritik ist völlig angemessen (bis auf die "überdehnte Bürokratie" - falls du jedoch eine hoffnungslos überforderte und verkümmerte kritisierst und nicht eine aufgeblähte, gebe ich dir auch da recht)

Sie ist überfordert, weil sie überdehnt ist. Wer sich in allen möglichen Kleinkram überflüssigerweise einmischt, dem fehlen für essentiellere Funktionen dann die notwendigen (personellen) Ressourcen. So ähnlich wie in deutschen Pflegeheimen. Die hätten schon genug Personal, wenn selbiges seine Arbeitszeit im Wesentlichen damit verbringen könnte, der Oma den Hintern abzuwischen, statt in vierzehnfacher Ausfertigung zu dokumentieren, dass man den Arsch abgewischt hat.

Darth Nefarius hat geschrieben: Die EU hatte in kurzer Zeit sich stark reformiert, es hat allerdings eben eine gewaltige Krise dazu gebraucht, die USA sind bilanztechnisch schon längst bei griechischen Verhältnissen, können aber trotzdem weitermachen - ich frage mich, welche Krise sie provozieren wollen, bis sie sich reformieren.

Die USA hoffen noch das Problem per Druckerpresse lösen zu können. Allerdings haben die USA zwei entscheidende Vorteile. Sie sind demografisch weit gesünder aufgestellt als Europa und ihr Bankensektor ist weit besser kapitalisiert als der europäische. In Europa ist der Bankensektor gemessen an der Wirtschaftsleistung viermal so groß wie in USA. Der wird schrumpfen müssen. Und das wird eine ganze Reihe unangenehmer Nebeneffekte haben. Ebenso wie die Auswirkungen der Demografiefalle auf Wirtschaftsleistung und Sozialsysteme in Europa.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Nanna » Mi 4. Dez 2013, 12:08

provinzler hat geschrieben:Die hätten schon genug Personal, wenn selbiges seine Arbeitszeit im Wesentlichen damit verbringen könnte, der Oma den Hintern abzuwischen, statt in vierzehnfacher Ausfertigung zu dokumentieren, dass man den Arsch abgewischt hat.

Und dann stirbt die Oma, weil es jemand vergessen hat und es keinem aufgefallen war, und ein Privatmann überzieht das private Pflegeheim mit Klagen und gewinnt, weil das Pflegeheim nicht den Hauch eines Beleges über die durchgeführte Arbeit hat. Schon aus Eigeninteresse würde das Pflegeheim so ausführlich dokumentieren, weil nämlich am Ende nicht als erstes die Pflegeheime bankrott gehen, die die schlechteste Arbeit machen, sondern die, die die meisten Rechtsstreite gegen Angehörige verlieren.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Zappa » Mi 4. Dez 2013, 17:20

Nanna hat geschrieben: ... und ein Privatmann überzieht das private Pflegeheim mit Klagen und gewinnt, weil das Pflegeheim nicht den Hauch eines Beleges über die durchgeführte Arbeit hat.

Und das sollte man mal generell ändern!

Es ist so wie Provinzler sagt, wir dokumentieren uns nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich zu Tode um potentielle Rechtsansprüche abzuwehren und die Horden von Beratern und Qualitätsmanagern mit Daten zu füttern. Ein Irrsinn!
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Mi 4. Dez 2013, 17:38

Nanna hat geschrieben:Und dann stirbt die Oma, weil es jemand vergessen hat und es keinem aufgefallen war, und ein Privatmann überzieht das private Pflegeheim mit Klagen und gewinnt, weil das Pflegeheim nicht den Hauch eines Beleges über die durchgeführte Arbeit hat.

Und genau diese Beweislastumkehr ist ein Verstoß gegen den alten Rechtsgrundsatz "in dubio pro reo".
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Nanna » Fr 6. Dez 2013, 16:52

Zappa hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: ... und ein Privatmann überzieht das private Pflegeheim mit Klagen und gewinnt, weil das Pflegeheim nicht den Hauch eines Beleges über die durchgeführte Arbeit hat.

Und das sollte man mal generell ändern!

Es ist so wie Provinzler sagt, wir dokumentieren uns nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich zu Tode um potentielle Rechtsansprüche abzuwehren und die Horden von Beratern und Qualitätsmanagern mit Daten zu füttern. Ein Irrsinn!

Das mag sein, aber ich sehe keinen Weg da raus. Wirksam kannst du dich gegen den Vorwurf eines Kunstfehlers in der Medizin und der Pflege nur dadurch absichern, dass du lückenlos belegen kannst, dass du dich an standardisierte Verfahren gehalten hast. Selbst, wenn man (@provinzler) "in dubio pro reo" konsequent anwendet, wird das nicht verschwinden, weil niemand zu Häusern gehen würde, die sich nicht von sich aus vertraglich zu einer entsprechenden Dokumentation verpflichteten. Privat oder staatlich organisiert ist hier völlig irrelevant, weil der Kern des Problems in der Spezialisierung und Prozessorientierung der Pflege liegt. Überall da, wo man standardisierte Verfahren einführt, ist aber einer bestimmten Größe des Betriebs bzw. Anzahl der Beteiligten eine Dokumentation notwendig, um Arbeitsstände zuverlässig übergeben zu können (sonst bricht wirklich das Chaos aus). Solches streamlining hat halt auch seine Schattenseiten, weil im Prinzip nur noch atomisierte Arbeitsschritte ausgeführt werden und man dann sein Häkchen setzt, dass man es wirklich gemacht hat. Daraus und aus der Tatsache, dass 200 ml Flüssigkeitsaufnahme sich messen lassen und drei freundliche Wort nicht, ergibt sich dann auch diese Roboterhaftigkeit der Pflege.

Klar, mehr als dass ein Liter Flüssigkeit getrunken wurde, wird mit einer solchen Pflege nicht erreicht, aber das ist nunmal das, was ein standardisiert arbeitender Pflegeapparat am ehesten leisten kann. Und dass damit Bürokratie einhergeht, ist das Normalste der Welt. Für etwas Besseres bräuchtest du vermutlich eine sehr anders angelegte Pflege, vielleicht z.B. mehr in Richtung Mehrgenerationenwohnen, wo in WGs mit alten Menschen jüngere Pfleger wohnen und entsprechend emotionale Beziehungen aufbauen. Das hat aber auch seine ganz eigenen Tücken und geht auch nicht für jeden. Bloß die Bürokratie zu entrümpeln wird vielleicht punktuelle Verbesserungen bringen, aber sicher nicht die massiven Landgewinne, von denen ihr da träumt. Automatisierte Dokumentation mit einem Wald von Sensoren könnte noch eine Alternative sein, die in den kommenden Jahren realisierbar wird, aber das ist mehr Zukunftsträumerei als ein konkretes Konzept für die Gegenwart.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Vollbreit » Sa 7. Dez 2013, 12:14

Zappa hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: ... und ein Privatmann überzieht das private Pflegeheim mit Klagen und gewinnt, weil das Pflegeheim nicht den Hauch eines Beleges über die durchgeführte Arbeit hat.

Und das sollte man mal generell ändern!

Es ist so wie Provinzler sagt, wir dokumentieren uns nicht nur im Gesundheits- und Pflegebereich zu Tode um potentielle Rechtsansprüche abzuwehren und die Horden von Beratern und Qualitätsmanagern mit Daten zu füttern. Ein Irrsinn!

Richtig, aber wie?
Dasselbe Phänomen, überall, alle sind in Watte gepackt, bereit wegen jeder Schramme eine Prozesslawine loszutreten.
Die Gegenwehr ist die Hyperdokumentation.


Nanna hat geschrieben:Solches streamlining hat halt auch seine Schattenseiten, weil im Prinzip nur noch atomisierte Arbeitsschritte ausgeführt werden und man dann sein Häkchen setzt, dass man es wirklich gemacht hat. Daraus und aus der Tatsache, dass 200 ml Flüssigkeitsaufnahme sich messen lassen und drei freundliche Wort nicht, ergibt sich dann auch diese Roboterhaftigkeit der Pflege.

Korrekt.
Hinzu kommt, dass man Häkchen auch setzen kann, wenn man der Oma nichts zu trinken gegeben hat.

Nanna hat geschrieben:Klar, mehr als dass ein Liter Flüssigkeit getrunken wurde, wird mit einer solchen Pflege nicht erreicht, aber das ist nunmal das, was ein standardisiert arbeitender Pflegeapparat am ehesten leisten kann. Und dass damit Bürokratie einhergeht, ist das Normalste der Welt.
Und dennoch etwas, unter dem Pflegekräfte leiden.

Nanna hat geschrieben:Für etwas Besseres bräuchtest du vermutlich eine sehr anders angelegte Pflege, vielleicht z.B. mehr in Richtung Mehrgenerationenwohnen, wo in WGs mit alten Menschen jüngere Pfleger wohnen und entsprechend emotionale Beziehungen aufbauen.
Erst mal würden mehr Pflegekräfte helfen, aber der Beruf ist nicht sonderlich attraktiv, so dass die Verweildauer in der Pflege recht kurz ist, 8 Jahre im Schnitt, die ambitionierten gehen noch eher, weil sie sich das so nicht vorgestellt haben.
Die Mehrgenerationenwohnungen sind an sich ein gutes Modell, die Frage ist allerdings, welchen Nutzen die Jüngeren davon haben?

Nanna hat geschrieben:Das hat aber auch seine ganz eigenen Tücken und geht auch nicht für jeden. Bloß die Bürokratie zu entrümpeln wird vielleicht punktuelle Verbesserungen bringen, aber sicher nicht die massiven Landgewinne, von denen ihr da träumt.
Nein, das ist das altbekannte Demographieproblem in Reinform. Proportional mehr alte Menschen als junge, die versorgt werden müssen, was a) Geld kostet und b) Pflegekräfte erfordert. Da das nicht zu finanzieren ist, floriert der graue Markt mit Pflegekräften aus Polen und demnächst Rumänien und Bulgarien. Wer sich auch das nicht leisten kann, pflegt halt selbst und ich danach in aller Regel kaputt und eigentlich immer heillos überfordert.
Drei bis vier mal nachts aufzustehen um den Ehemann zu lagern, damit er sich nicht wundliegt (https://de.wikipedia.org/wiki/Dekubitus), ist nichts, was die Gesundheit fördert.
Immerhin, dann kackt die Oma selbst schneller ab und verbraucht weniger Rente, das ist gesamtgesellschaftlich nützlich.

Nanna hat geschrieben:Automatisierte Dokumentation mit einem Wald von Sensoren könnte noch eine Alternative sein, die in den kommenden Jahren realisierbar wird, aber das ist mehr Zukunftsträumerei als ein konkretes Konzept für die Gegenwart.
Stimmt, da könnte man die NSA Überwachung dann mal konstruktiv nutzen und das Berufsbild würde noch mal deutlich attraktiver geworden. :/
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Sa 7. Dez 2013, 13:21

Nanna hat geschrieben: Selbst, wenn man (@provinzler) "in dubio pro reo" konsequent anwendet, wird das nicht verschwinden, weil niemand zu Häusern gehen würde, die sich nicht von sich aus vertraglich zu einer entsprechenden Dokumentation verpflichten.

Naja, diese Entwicklung beobachten wir ja nicht nur im Pflegesektor (auch wenn man da die Absurdität am Besten demonstrieren kann), wir erleben das bei der Kleinkindbetreuung (Stichwort: Oma-Diplom), wir erleben das beim sogenannten Verbraucherschutz im Finanzsektor (da hab ich mich hier glaub ich schon genug drüber ausgelassen), wir erleben dass in den immer weiter ausufernden Compliance-Abteilungen. Wir sind soweit, dass Männern auch hierzulande schon empfohlen wird, aus dem Lift auszusteigen, wenn sie sonst mit einer Frau dort allein wären, weil eine (auch völlig unberechtigte) Klage wegen sexueller Belästigung fast nicht zu gewinnen sei.
Ich hab kürzlich von Gerald Hörhan das "Null-Bock-Komplott" gelesen. Spannendes Buch, wo mir regelmäßig das Lachen im Hals stecken blieb. Er schildert beispielsweise einen sich anbahnenden One-Night-Stand mit einer Bankerin, die aber vorher noch abklopfen muss, ob dieses Treffen gegen irgendwelche Compliance-Vorschriften ihres Arbeitgebers verstößt. Und die Firmen machen das nicht zum Spaß (sowas kostet Geld), sondern nach dem Cover-Your-Ass Prinzip um langwierige (kostspielige) Prozesse zu vermeiden. Das ist schon (ein zugegebenermaßen schleichend entstandenes) Problem unserer Rechtsordnung. Das wird aber nicht so weitergehen können. Denn das blockiert jegliche Kreativität und damit letztlich den Fortschritt. Vielleicht auch einfach das Signal für das Ende der große Ära des Okzidents. So wie vor paar hundert Jahren die kaiserlichen Bürokraten in China schrittweise alles verboten was ihren Horizont überstieg, und das im 13. Jahrhundert hochtechnologisierte China stückweise auf die primitivste Stufe zurückfiel...
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Zappa » Di 10. Dez 2013, 21:38

Nanna hat geschrieben: Das mag sein, aber ich sehe keinen Weg da raus.

Ich schon: Konsequente, externe Validierung der Ergebnisqualität und Offenlegung derselben.

Dieses stumpfe Dokumentieren der Prozessqualität (mit den möglichen und tatsächlichen Schummeleien wie von @Vollbreit angedeutet) ist doch bürokratisch-infantile Kinderkacke!
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Vollbreit » Di 10. Dez 2013, 22:49

Zappa hat geschrieben:Dieses stumpfe Dokumentieren der Prozessqualität (mit den möglichen und tatsächlichen Schummeleien wie von @Vollbreit angedeutet) ist doch bürokratisch-infantile Kinderkacke!
Das Urteil mag man teilen, aber wie so oft kann man die Uhr schlecht zurückdrehen.

Zappa hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Das mag sein, aber ich sehe keinen Weg da raus.

Ich schon: Konsequente, externe Validierung der Ergebnisqualität und Offenlegung derselben.

Da berufst Du Dich doch auf Instanzen, die bereits versagt haben.
Wir ersticken doch in Zertifikationen, vorhin lief in den Nachrichten ein Bericht über die Verurteilung des franz. Herstellers der Silikonimplantate.
Eine betroffene Frau sagte, das sei doch alles zertifiziert und gewesen.

Dass man sich darüber schwarz ärgern kann, dass man in wirtschaftlich und ideologisch relevanten Bereichen (wie es die Medizin nun mal ist) den Begriff seriöse Forschung de facto vergessen kann, das will ich ja noch teilen, ich find's auch ärgerlich, aber nicht anzuerkennen, dass es so ist, finde ich, ehrlich gesagt dann irgendwann auch nicht mehr erwachsen.

Du glaubst, dass medizinische Forschung im Großen und Ganzen sehr seriös und gewissenhaft abläuft, mit gelegentlichen ärgerlichen Ausrutschern, im, sagen wir einstelligen Prozentbereich? Oder was glaubst Du, welchen Umfang Einflussnahmen, geschönte Statistiken, selektive Auswertungen und dergleichen haben?

Es geht um Kohle, man spart am meisten, wenn die Arbeit die früher von 5 Leuten gemacht wurde, von 2 bis 3 Leuten gemacht wird. Die Sparerei am falschen Ende ist nicht wirklich schön, gemacht wird sie trotzdem.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon Nanna » Di 10. Dez 2013, 23:11

Zappa hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben: Das mag sein, aber ich sehe keinen Weg da raus.

Ich schon: Konsequente, externe Validierung der Ergebnisqualität und Offenlegung derselben.

Wenn ein konkreter Schaden entstanden ist, beispielsweise ein Pflegepatient aufgrund von Dehydrierung ins Krankenhaus muss, ist es zur Klärung der rechtlichen Verantwortung belanglos, ob die Pflegeeinrichtung eine gute allgemeine Zertifizierung erhalten hat. Auch gut zertifizierte Häuser müssten sich durch entsprechende Dokumentation absichern. Das Problem liegt, wie provinzler nicht ganz zu Unrecht andeutet, in der Rechtspraxis begründet. Die Pflege ist nur ein Spezialfall dieser Problematik und die Bürokratie ein Symptom, das eigentliche Problem ist ein juristisches, nämlich die Frage, wie in solchen Fällen die Beweislage zu sichern und zu bewerten ist.

Vollbreit hat geschrieben:Die Sparerei am falschen Ende ist nicht wirklich schön, gemacht wird sie trotzdem.

Richtig. Zertifizierte Pflegeheime mit freundlichen, gut bezahlten und in ausreichender Anzahl vorhandenen Pflegekräften gibt es übrigens auch heute schon. Kostet halt entsprechend und ist für den Durchschnittspflegefall nicht zu bezahlen. Für den Rest gibt's Verwahrstationen in unterschiedlicher Qualität, wo das dokumentierte, technische Am-Leben-Halten der Grundstandard ist und man mit Glück vielleicht noch das ein oder andere Extra an menschlicher Zuwendung dazu bekommt.
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Re: Gerechtigkeit(en)

Beitragvon provinzler » Fr 13. Dez 2013, 11:51

Nanna hat geschrieben: Das Problem liegt, wie provinzler nicht ganz zu Unrecht andeutet, in der Rechtspraxis begründet. Die Pflege ist nur ein Spezialfall dieser Problematik und die Bürokratie ein Symptom, das eigentliche Problem ist ein juristisches, nämlich die Frage, wie in solchen Fällen die Beweislage zu sichern und zu bewerten ist.


Unser Rechtssystem ist in einigen Punkten dringen revisionsbedürftig, weil es mit der Realität einfach schon lange nicht mehr klarkommt. Das Urheberrecht in seiner jetzigen Form mit den heutigen technischen Realitäten ist totaler Irrsinn (wenn Forenbetreiber wegen einzeiligen Karl-Valentin-Zitaten vierstellige Summen zahlen müssen). Eng damit verwandt ist das absurde Abmahnwesen. Das stammt alles aus dem 19. Jahrhundert wo es nicht so viele Anwälte gab, und allein daher schon der Druck sein Geld als Jurist mit solchem Zeugs zu verdienen nicht so groß war.
Im 19. Jahrhundert gabs es jahrelange Bemühungen, anderen Ende das BGB und andre elementare Gesetzestexte standen, die seinerzeit neue Standards setzten. Manches davon wäre nun dringend revisionsbedürftig. Es ist symptomatisch für unsere gegenwärtige Situation, dass genau für solche längerfristig angelegten Dinge keine Ressourcen mehr da sind, obgleich wir viel reicher sind als vor 150 Jahren. Aber im Moment ist irgendwie der Großteil der geistigen Eliten damit beschäftigt, den Ast auf dem wir sitzen systematisch abzusägen. Man darf gespannt sein, wie sich das entwickelt. Aber ich sehe einige Probleme auf uns zu kommen. Der Crash des Rechtsstaates ist eins davon.
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