provinzler hat geschrieben:Wir regeln zwar, welche Krümmung Gurken haben dürfen
An der Stelle muss ich mal kurz einhaken, weil das eine der vielen Mythen rund um die EU ist, auf die sich ein paar Journalisten Anfang der 90er eingeschossen haben und die danach ein eigenständiges, jedoch mit der Realität wenig zu tun habendes Mem geworden war.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1677/88 vom 15. Juni 1988 legt keineswegs fest, wie stark eine Gurke gekrümmt sein darf, damit sie verkauft werden darf, sondern teilt Gurken in verschiedene Güteklassen ein. Es gab ähnliche Verordnungen auf staatlicher Ebene in mehreren europäischen Ländern schon weit früher und es gab/gibt Normsysteme auch für andere Früchte. Dass die Gurke immer herhalten muss, liegt nur daran, dass es so schön absurd klingt, dass die EU angeblich den Krümmungsgrad der Gurke vorschreiben würde.
Was die EU getan hat, war auf einen Bedarf des Lebensmittelhandels, also der Privatwirtschaft (!), zu reagieren, der einen Bedarf an Normen für eine einfachere Abwicklung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen angemeldet hatte. Bei der obersten Klasse durfte der Krümmungsgrad in der Tat nur äußerst gering (<0,5 cm) sein. Das heißt aber nicht, dass der Handel mit gekrümmten Gurken dadurch verboten worden wäre. Dass man fast nur gerade Gurken der "besten" Norm findet, hat schlichtweg mit deren besserer Transport- und Lagerungsfähigkeit sowie mit den Wünschen der Verbraucher nach möglichst makellosen Früchten zu tun. Anders gesagt, es war eine Marktentscheidung für die gerade Gurke, bei der die EU lediglich das Klassifizierungssystem beigesteuert hatte. Die großen Ketten benutzen dieses System auch nach seiner Abschaffung munter als internen Standard weiter und die ganzen Wirtschafts- und Bauernverbände hatten sich 2009 für die Beibehaltung des Systems ausgesprochen. Dass die EU es dennoch abgeschafft hat, war eine reine Reaktion auf den unrettbaren Ruf dieser Verordnung, der entgegen der sachfernen Polemik in den Medien und v.a. im Kabarett nichts mit Wirtschaftsfeindlichkeit zu tun hatte, sondern lediglich so beliebt war, weil die Verordnung vordergründig so wunderbar das Feindbild EU unterstützte.