Hallo Darth.
Frohes neues Jahr erst mal.
Ich richte mich in meiner Antwort immer nach meinem Empfinden, inwieweit ich meine, dass mein jeweiliges Gegenüber ein echtes Interesse am Thema hat.
Sehe ich ein Interesse bin ich gerne zu ausführlicheren Antwort bereit, habe ich den Eindruck, dass das durch den „Philosophie ist sowieso Quatsch“-Wolf gedreht wird, schenke ich mir in der Regel die Mühe, da ich keinen zwingen kann und will, sich für Themen zu interessieren, die ihm nicht behagen oder die er nicht versteht.
In einem hast Du recht. Philosophie ist immer auch Philosophiegeschichte, d.h. ein Name steht da oft für ein Programm, was in der Naturwissenschaft weniger der Fall ist. Schwer immer die Positionen darzustellen, weil das dann fürchterlich ausufern würde, aber Du wirst sehen, dass es in der Philosophie einen Kanon gibt, von Leuten, die immer wieder genannt werden. Bei fast allen geschieht das zurecht und der Weg entsteht beim gehen, d.h. indem man immer wieder drauf achtet, wer in welchem Kontext genannt wird und einfach mal in die Ideenwelt des einen oder anderen eintaucht.
Eine Ultrakurzeinführung kann man aus zwei Richtungen geben, zeitlich und strömungs- oder linienmäßig.
Von Beginn an gibt es eigentlich die Linien der Empiristen und der Idealisten – ich nenn' die mal so, man könnte auch Rationalisten sagen.
Erstaunlich, dass sich nach 2500 Jahren im Grunde wenig daran geändert hat. Das zieht sich als roten Faden durch und Plato steht im Lager der Idealisten, Aristoteles im Lager der Empiristen.
Hume und Kant sind wieder so sich ergänzende Antipoden, Hume für die Empiristen, von Kant sagen die einen er hätte Empirismus und Idealismus vereint, die anderen sagen, er sei eher Idealist, auf jeden Fall bereitete Kant wesentliche Gedanken vor und man kann sich streiten wie fertig oder nur angedacht man z.B. den Konstruktivismus oder Holismus bei ihm findet. Kant versucht aber erkennbar, Empirismus und Idealismus zu vereinen, die Pointe bei ihm ist oft, dass es vernünftig sein soll, dies oder jenes zu tun und dieses transzendentale (nicht transzendente) Reich der reinen Vernunft ist es dann auch, was vielen Empiristen nicht behagt.
Neuerdings – also seit einigen Jahrzehnten - gibt es den Trend der Detranszendentalisierung, was bedeutet, dass Kants Ideenwelt (mit „Ding an sich“ und so) abgerüstet und ausgeräumt wird, zugunsten sozialperspektivischer Spiele oder Zuschreibungen.
Was aber bleibt, ist der alte Streit von Empirismus gegen Idealismus (der inzwischen eher Sprachpragmatismus heißt) bis in unsere Tage.
Und da sagt die eine Fraktion, grob gesagt: Naja Bewusstsein, das sieht doch wohl jeder, ist nicht vom Himmel gefallen, sondern ist, wie alles andere auch, ein Produkt der Evolution, vom Einfachen zum immer Komplexeren, fertig, der Rest ist Detailarbeit.
Und doch wird man Kant nicht los, der darauf hinweist, dass bei all dem, von dem uns der Empirismus erzählt, dass es schlicht aus der Erfahrung kommt und einfach geordnet werden muss, eines immer schon vorausgesetzt wird: dass da nämlich eine ordnende (synthetische) Instanz bereits existiert.
Drehen wir das Bild mal um 90° dann mache ich jetzt einen sehr subjektiven und groben bis brutalen Schnitt. In meiner Wahrnehmung gibt es eine Philosophie vor der linguistischen Wende und eine vollkommen andere danach. Das tut erstens all den großen Philosophen unrecht, die davor waren und die zum Kanon gehören, aber Philosophie wird oft und gerne mit „den alten Griechen“ assoziiert, es ist ein eigenes Thema sie alle gebührend zu würdigen aber mit der linguistischen Wende wurde alles anders, kein Stein blieb auf dem anderen und mit den Griechen hat das wenig zu tun. (Lustigerweise ist diese Wende in einem Rückzugsgefecht entstanden und aus der Not geboren. Ein um die andere Disziplin kam der Philosophie an die empirischen Wissenschaften abhanden und übrig blieb als Spielfeld fast nur noch Sprache.) Nun ist für die einen die linguistischen Wende ein epochaler Wandel, für die anderen der größte Unfug, den es gibt.
Ein kardinales Missverständnis wäre es, zu glauben, linguistische Wende hieße, die Welt sei aus Begriffen gemacht oder, wenn sich die Begriffe veränderten, veränderte sich auch die Welt. Irgendwie werden immer de Saussure, den keine Sau kennt, Wittgenstein und auch Heidegger und Zusammenhang mit dieser Wende genannt.
Ohne auf die Inhalte einzugehen, will ich noch ein kleines Detail erwähnen. Irgendwann war einigen klar, dass die linguistische Wende den Bogen überspannte und es kam zu dem was man pragmatische Wende innerhalb der linguistischen Wende nannte und entstanden ist die Sprachpragmatik, von der schon die Rede war, m.E. die stärkste Kraft der aktuellen Philosophie.
Einer der aktuellen Starphilosophen, Robert Brandom – Sprachpragmatiker, durchaus eher der Humeschen Tradition zuzuordnen – ist da ein Brückenbauer, vor allem sieht er klipp und klar die Grenzen des Naturalismus, die nach seiner Auffassung wesentlich darin bestehen, dass wir uns nicht in einer objektiv gegebenen Welt vorfinden, derer wir uns einfach bedienen können, sondern, dass wir in eine Welt der Sprachspiele und damit ein verstehendes und normatives Gefüge geboren werden, dass die empirischen Dinge ordnet und uns - mehr implizit als explizit - sagt, wie wir mit ihr umgehen sollen. (Auf dieses Verhältnis von Lebenswelt, Alltagswelt und objektiver Welt, geht auch Habermas ein.)
Damit sind wir mitten im Herzen der aktuellen Kritik am Naturalismus, auch wenn das jetzt noch nicht erkennbar ist, ich werde es weiter ausführen.
Ganz kurz angerissen, sind wir nicht einfach nur Wesen, die einander beobachten und des anderen Verhalten analysieren, dieser behavioristische Ansatz ist viel zu grobschlächtig, sondern wir schreiben einander Einstellungen zu (was übrigens früh und gut Dennett erkannt hat) und agieren komplex auf der Ebene von Zuschreibungen (von normativen Einstellungen) und Festlegungen (dessen, was aus diesen folgt) als Wesen, die fähig sind, einander Gründe zu geben.
Nächster und letzter Schnitt: Für die meisten Brights mag das weit weg klingen, doch die Parallelen sind erstaunlicherweise näher als man denkt. Dawkins hat mit dem Konzept der egoistischen Gene – das ich, wie erwähnt vollkommen unzureichend und grob finde, sobald man Menschen betrachtet – von der Struktur her den Modus gefunden, der in einem erheblichen Maße die linguistische Wende ausmacht.
Früher dachte man Gene und Sprache seien etwas, was der Mensch besitzt, doch Wittgenstein, Heidegger, der (von den Biologen Varela und Maturana geprägte) Soziologe Luhmann und zuletzt Dawkins sehen den Menschen als etwas, der von Sprache oder Genen besessen wird, als etwas, in dem und durch den sich überindividuelle Muster ausdrücken.
Die gute Botschaft ist: Wer Dawkins' Idee der egoistischen Gene wirklich versteht, kann im Grunde sofort anknüpfen an die Ideen eines Heidegger, Luhmann und vermutlich auch Wittgenstein, der Haken an der Sache ist, dass alle dasselbe Problem teilen. Eben weil das Ich nur noch Ausdrucksmittel für überindividuelle Muster ist, wird das Ich marginalisiert, manchmal bis zur Unkenntlichkeit und dann fragt man sich, ob es das Ich oder Subjekt eigentlich wirklich gibt und wozu das Ding nötig ist.
War da was? Ja, Kants ewig gültiger Einspruch. Das was die Empiristen (und in Gestalt konstruktivistischer Neurobiologen – die wie Gerhard Roth aus der Luhmann Schule kommen) irgendwann nicht mehr erkennen können, ist doch noch immer die Voraussetzung die still mitgedacht wird und natürlich immer die andere Seite des gesamten Projekts objektiver Forschung.
Und da ist noch was. Das Ich ist nicht einfach etwas, was sich gemäß überindividueller Muster zu verhalten gezwungen sieht, sondern es ist die ganze Zeit hochaktiver, verstehender Teilnehmer sehr komplexer Sprachspiele. Wissenschaftliche Forschung ist eines dieser Spiele. Und so kann Habermas in 2012 sagen :
„Das Mentale lässt sich zwar
als Objekt betrachten, aber zugänglich ist es nur
im Vollzugsmodus als tätiger und rezipierender Geist.“ (2012, S.35, ebd)
Und Brandom in einem Interview:
Robert Brandom hat geschrieben:One of the central tasks of philosophy is to understand the normativity of human belief and agency, the dimension of responsibility it involves, the way we bind ourselves and make ourselves subject to assessments of the correctness or appropriateness of our attitudes. I don’t think there is a natural scientific story to be told about this sort of conceptual normativity. But that is not to say that it is super natural. I think it is an essentially social phenomenon: we brought commitments and entitlements into the world when we started to take or treat each other in practice not only as doing things, but as committed or entitledto do them. One can no more understand this normative dimension of our activity by looking into our brains than one can understand what it is to join a political party or to mortgage one’s house by studying carefully the marks on paper that constitute the signature by which (in the right social setting) one did those things.
(
http://filosofia.dafist.unige.it/epi/hp ... _inter.pdf S.2f)
Beim Blick ins Hirn sieht man keine Normen, natürlich nicht. Alles was wir in Sprachspielen tun, das Begriffsgebäude, was wir errichten, fällt beim Blick uns Hirn völlig in sich zusammen (weil die Rekonstruktion semantischer und kausaler Ketten vom gereizten Erfolgsorgan aus nicht mehr möglich ist: man weiß nicht was es letztlich war, was die Nervenzellen zum reagieren brachte, schon die Absicht hinter dem Glockenklang - oder war es nur ein zufälliges Geräusch? -, der den Speichel fließen lässt, wird unerkennbar, in stinknormalen semantischen Spielen jedoch keinesfalls, da kann man sagen, man habe einen Hund auf einen Glockenklang konditioniert) und doch, die ewige Pointe, bilden genau diese Sprachspiele den Hintergrund vor dem sich auch die empirische Wissenschaft entfaltet und überhaupt erst entfalten kann.
Hoffe, Du kannst mit dem Update was anfangen.