Harter atheistischer Determinismus

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 10. Jan 2014, 19:29

ice hat geschrieben:Die Quantentheorie postuliert nun, dass nicht nur alle radioaktive Zerfälle, sondern im Grunde alle Naturprozesse, auf dem perfekten Zufall beruhen. Und genau das bezweifle ich, weil ich einfach philosophisch nicht verstehe, was ein reiner, purer, blinder, perfekter, absoluter Zufall sein soll.

Ich habe mir mal den von Myron verlinkten Artikel über kausalen Determinismus in der SEP durchgelesen und auch den über die Bohm'sche Mechanik. Nicht dass ich behaupten möchte, ich hätte bei Letzterem alles verstanden, aber zusammengefasst würde ich sagen, dass Determinismus auch nach heutigen Erkenntnissen in der Physik eine nicht widersprüchliche Auffassung ist und insofern ein bisschen zurückrudern.

Reiner, purer, blinder, perfekter, absoluter Zufall wäre, wenn wir diese Definition des Determinismus hernehmen: "eine Welt ist dann determiniert, wenn alle Ereignisse in ihr (hypothetisch) eindeutig auf einen vorherigen Weltzustand und auf (Natur)-Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden können", dann ein Ereignis, das prinzipiell nicht auf einen vorherigen Weltzustand und auf (Natur)-Gesetzmäßigkeiten zurückgeführt werden könnte. Würdest Du das anders sehen? und wenn nicht: wieso ist das für Dich nicht vorstellbar?

ice hat geschrieben:Ich kann mich durchaus anschließen an deiner und @Vollbreits Definition von Freiheit, weil ich das "Gefühl" kenne, frei von äußeren und inneren Zwängen erwägen, überlegen und reflektieren zu können. Zu diesem "Gefühl" kommt aber jetzt meine Vermutung, dass dieses bewusste Erwägen, Überlegen und Reflektieren ein determinierter Prozess ist, wie andere unbewusste Prozesse im Gehirn und physikalische Prozesse in der Umwelt auch. Nur können wir diese Determiniertheit unseres Bewusstseins nicht wirklich denken, weil wir ja ständig das "Gefühl" der Freiheit bei unseren Entscheidungen haben. Ich halte nun dieses "Gefühl" der Freiheit für eine von unserem Gehirn "gemachte" Illusion/Täuschung.

Warum? Frei von äußeren und inneren Zwängen zu sein und überlegen und reflektieren zu können steht ja soweit noch in keinem Gegensatz zu Determinismus, d.h. solange sich das Gefühl der Freiheit nur darauf beschränkt, ist es keine Täuschung, keine Illusion. Es müsste also etwas Zusätzliches hinzukommen, eine notwendige Bedingung, damit etwas in Deinem Sinne (bzw. in einem mit Determinismus unvereinbaren Sinne) frei wäre.

Vielleicht können wir das ein bisschen abkürzen: normalerweise vertreten Inkompatibilisten (= die Ansicht, dass Determinismus und Freiheit sich ausschließende Gegensätze seien) zusätzlich als notwendige Bedingung für Freiheit entweder PAP (Prinzip der alternativen Moglichkeiten) oder UR (ultimate Responsibility = ultimative Verantwortung), (aber meist nur eines von dem, nicht beides gleichzeitig). Wobei UR nichts mit Determinismus zu tun hat, (UR ist prinzipiell unmöglich, weil das bedeutete, dass man sich wie Phönix aus der Asche selber erschaffen müsste), und PAP meiner Ansicht nach nicht verstehbar ist, ein Konzept, das nicht klar ist und auch nicht klar dargestellt werden kann. Es reicht dabei nicht, zu sagen, PAP sei zwar nicht klar, aber PAP wäre mit Determinismus unvereinbar, weil es in einer determinierten Welt nie anders kommen kann, als es kommt. Wenn PAP ein unverständliches Konzept ist, dann ist nicht klar, wieso es eine notwendige Voraussetzung für Freiheit sein solle.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Fr 10. Jan 2014, 19:42

fopa hat geschrieben:Was ich geäußert habe, ist mein Nichteinverständnis mit dem Begriff des "freien Willens" der Kompatibilisten. Das macht mich aber nicht zu einem Inkompatibilisten in dem Sinne, dass ich Lebewesen mit Bewusstsein dieses Bewusstsein oder das Gefühl "freier" Entscheidungsfähigkeit absprechen würde.

Inkompatibilismus ist die Ansicht, dass es in einer determinierten Welt keine echte Freiheit geben kann, Determinismus echte Freiheit ausschlösse. Nun ist "ein Gefühl haben, x zu sein" etwas anderes, als tatsächlich x zu sein. Ich kann z.B. das Gefühl haben, etwas gut verstanden zu haben, das muss aber deswegen, weil ich dieses Gefühl habe, nicht der Fall sein, d.h. ich kann mich irren.

fopa hat geschrieben:Wenn mit Freiheit das Gefühl von Freiheit gemeint ist, bin ich mit dem Begriff vollkommen einverstanden. Letztlich ist es das ja auch, was Hume meint... denke ich.

Selbstverständlich meinen Kompatibilisten nicht nur ein Gefühl von Freiheit. Kompatibilisten meinen, dass ihr Freiheitsbegriff, der mit Determinismus kompatibel ist, alle notwendigen und hinreichenden Bedingungen enthält, um echte Freiheit zu sein, dass da nichts Wesentliches mehr hinzukommen kann.

Schwierig ist es nun, diesen Freiheitsbegriff mit einem inkompatibilistischen zu vergleichen, solange der Inkompatibilist die notwendigen und hinreichenden Bedingungen für seinen Freiheitsbegriff nicht nennt. Auch kann man zu einem Nichteinverständnis zum kompatibilistischen Freiheitsbegriff nichts weiter sagen, solange das nicht irgendwie begründet wird.
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ice » Fr 10. Jan 2014, 19:48

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ich kann mich durchaus anschließen an deiner und @Vollbreits Definition von Freiheit, weil ich das "Gefühl" kenne, frei von äußeren und inneren Zwängen erwägen, überlegen und reflektieren zu können. Zu diesem "Gefühl" kommt aber jetzt meine Vermutung, dass dieses bewusste Erwägen, Überlegen und Reflektieren ein determinierter Prozess ist, wie andere unbewusste Prozesse im Gehirn und physikalische Prozesse in der Umwelt auch.

Hier fehlt ein wichtiges Komma.
Entweder Du willst sagen „...wie andere, unbewusste Prozesse …“, dann kann der Kompatibilist abnicken und sagen: Ja, auch Erwägen, Überlegen und Reflektieren sind determiniert (oder könnten es zumindest sein) . Aber Freiheit und Determinismus schließen einander ja auch nicht aus.

Willst Du aber sagen „...wie andere unbewusste Prozesse …“, dann würde ich sagen, dass „dieses bewusste Erwägen, Überlegen und Reflektieren“ eben nicht unbewusst ist.


Ja stimmt, da habe ich schlampig formuliert. Erwägen, Überlegen und Reflektieren sind bewusste Prozesse. Ein Großteil der Prozesse im Gehirn laufen aber unbewusst ab.

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:„Nur können wir diese Determiniertheit unseres Bewusstseins nicht wirklich denken, weil wir ja ständig das "Gefühl" der Freiheit bei unseren Entscheidungen haben.

Doch wir können das denken, vielleicht nicht bis ins Detail, aber prinzipiell schon.
Und ich meine, dass wir frei sind und nicht einfach nur so ein Gefühl haben.
Wie Agent schon anmerkte, Du musst sagen, was Freiheit für Dich ist, dann kann man schauen, wo die Unterschiede liegen.


Freiheit bedeutet für mich Abwesenheit von innerem und äußerem Zwang, sodass ich denken und handeln kann, wie ich will.
Der springende Punkt ist dann für mich, dass ich diese inneren und äußeren Zwänge sowie den Willen als determiniert ansehe.

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ich halte nun dieses "Gefühl" der Freiheit für eine von unserem Gehirn "gemachte" Illusion/Täuschung.

Ich nicht, denn ich glaube nicht an dieses Gefühl.
Wo liegt denn für Dich der Unterschied zwischen gefühlter und wahrer Freiheit?


Im Grunde gar keiner. Es gibt da für mich keinen Unterschied.

Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Diese Illusion/Täuschung ist eng verknüpft an unser subjektives "Ich"-Bewusstsein, das ich ebenfalls für eine Täuschung halte.

Ich halte unser Ichbewusstsein für das einzige, dessen wir uns überhaupt sicher sein können.
Ich kann mir jetzt kein Szenario denken, in dem ich nicht vorkomme. Auch wenn ich über meinen Tod nachdenke oder darüber, was wäre, wenn ich nie geboren worden wäre, so kann ich das nur jetzt tun, vor dem zweifelsfreien Hintergrund meiner Existenz und das ist eine Denkende und also kann ich sagen, dass ich existiere.


Unser "Ich"-Bewusstsein ist laut Thomas Metzinger ein virtuelles Werkzeug:

"Wir sind Ego-Maschinen, natürliche Informationsverarbeitungssysteme, die im Verlauf der biologischen Evolution auf diesem Planeten entstanden sind. Das Ego ist ein virtuelles Werkzeug: Es hat sich entwickelt, weil wir mit seiner Hilfe unser eigenes Verhalten kontrollieren und vorhersagen und das Verhalten anderer verstehen konnten.
...
Wir sind Ego-Maschinen, aber wir haben keine Selbste. Wir können den Ego-Tunnel nicht verlassen, weil es niemanden gibt, der ihn verlassen könnte. Das Ego und sein Tunnel sind repräsentationale Phänomene: Sie sind nur eine von vielen möglichen Weisen, in denen bewusste Wesen ein Modell der Wirklichkeit erzeugen können. Letztlich ist subjektives Erleben ein biologisches Datenformat, also eine hochgradig spezifische Weise, Information über die Welt darzustellen, eine innere Weise des Gegebenseins, und das Ego ist lediglich ein komplexes physikalisches Ereignis - ein Aktivierungsmuster in unserem zentralen Nervensystem.
...
Wir sind selbst-lose Ego-Maschinen."

(Thomas Metzinger "Der Ego-Tunnel", S. 289)
Benutzeravatar
ice
 
Beiträge: 82
Registriert: Sa 29. Dez 2012, 20:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 10. Jan 2014, 21:52

ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn wir uns einig sind, dass es Ausnahmen von der Regeln gibt, dann sollten wir uns auch einig sein, dass es eine Regel gibt und die lautet einfach, dass wir voneinander stillschweigend erwarten, dass wir wissen was wir tun und Verantwortung übernehmen.


Da sind wir uns ja vollkommen einig. Auch ich befolge diese Regel meistens - weiß (hoffentlich) was ich tue und trage Verantwortung (im Rahmen meines Handlungsspielraums). Aber ich weiß auch, dass diese Fähigkeit/Regel nicht vom Himmel gefallen ist, sondern sie ist uns im persönlichen Umfeld beigebracht worden: von den Eltern in der Erziehung , während der Ausbildung - also während des Sozialisierungsprozesses in unserem Kulturraum mit Traditionen/Konventionen. Auf all diese Einflüsse hat keiner eine Wahl.
Ja, davon gehen wir aus, dass niemand hier eine Wahl hatte.
Unterstellen wir das also.

ice hat geschrieben:Nun kommt irgendwann der Zeitpunkt (bei einem früher, beim anderen später oder gar nicht), wo man über all diese Dinge nachdenken/reflektieren kann. Und dann kann gefragt werden, wie bin ich zu dem geworden, der ich bin.
Ja.

ice hat geschrieben:Wenn dann noch das Glück hinzukommt, dass man (sehr viel) Zeit zum Lesen und Kommunizieren hat, dann kommt man vielleicht zu der Einsicht, dass vieles von dem, wie man ist (mit all den Fähigkeiten und Regeln zum Handeln), festgelegt war/ist. Von da ist es dann nur ein kleiner Sprung zu der (seltsamen) Idee des allumfassenden Determinismus.
Soweit, ja.
Aber frei ist man = reflektieren kann man dennoch.

ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das muss nichts Großes sein, Post rausnehmen und Blumen gießen, wenn der Nachbar im Urlaub ist, wissen, wie man ein Essen kocht, freundlich ist, wie man sich beim Bäcker verhält... und wir haben einen sehr genauen Sensor für Abweichungen.


Ja, die meisten Menschen, die ich kenne bzw. mit denen ich in Kontakt trete, sind freundlich, hilfsbereit und nett. Wir haben in der Tat einen sehr genauen und feinen Sensor für Abweichungen aller Art. Aber könnte nicht auch diese Sensibilität eine Fähigkeit sein, die sich im Leben ganz automatisch entwickelt (hat)?
Hat sie mit Sicherheit.
Aber, dass sich etwas (natürlich) entwickelt hat, heißt ja nicht, dass nicht am Ende der Kette ein hochwertiges „Produkt“ (was für sich selber sorgen kann) stehen kann.

ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Und da sollen wir nur Statisten, stumme und ohnmächtige Beobachter unserer eigenen Handlungen sein?


Wir sind eben nicht nur Statisten oder Zuschauer, sondern auch Akteure auf der Lebensbühne. Wir handeln aktiv und haben die Fähigkeit, dieses Handeln zu beobachten und zu reflektieren.
Ja, aber warum sollen wir dann nicht auch verantwortlich für unser Tun sein? Darum dreht es sich doch.

ice hat geschrieben:"Zeitlebens sind wir in der Lage von Leuten, die zu spät ins Theater kommen - in einem Zwischenakt wird die Tür noch einmal halb geöffnet, wir zwängen uns atemlos in den Raum und suchen im Dunkeln nach dem eigenen Platz. Den Anfang der Handlung haben wir verpasst, und für den Augenblick kann nicht mehr geschehen, als dass wir von nun an ihrem Gang so aufmerksam wie möglich folgen."
(Peter Sloterdijk in "Zur Welt kommen - Zur Sprache kommen", S. 12)
Ja, ich mag den Sloterdijk ohnehin ganz gerne.
Es ist das, was ich retrospektiv nennen würde. Nach und nach kapieren wir erst, was hier gespielt wird, sind mal Zuschauer, mal haben wir die Nebenrolle, mal die Hauptrolle... und erstaunlicherweise haben wir das irgendwie zu einem hohen Anteil noch selbst inszeniert.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Fr 10. Jan 2014, 22:20

ice hat geschrieben:Ja stimmt, da habe ich schlampig formuliert. Erwägen, Überlegen und Reflektieren sind bewusste Prozesse. Ein Großteil der Prozesse im Gehirn laufen aber unbewusst ab.
Das ist eigentlich kein Problem, solange nicht bestritten wird, dass es bewusste Prozesse geibt,.

ice hat geschrieben:Freiheit bedeutet für mich Abwesenheit von innerem und äußerem Zwang, sodass ich denken und handeln kann, wie ich will.

So sehen es die Kompatibilisten.

ice hat geschrieben:Der springende Punkt ist dann für mich, dass ich diese inneren und äußeren Zwänge sowie den Willen als determiniert ansehe.

So auch.
Bei Deiner Formulierung klingt an, dass Du das Gefühl haben könntest, es ginge nur frei oder determiniert.
Denkst Du das oder ist das meine Phatansie?

ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ice hat geschrieben:Ich halte nun dieses "Gefühl" der Freiheit für eine von unserem Gehirn "gemachte" Illusion/Täuschung.

Ich nicht, denn ich glaube nicht an dieses Gefühl.
Wo liegt denn für Dich der Unterschied zwischen gefühlter und wahrer Freiheit?


Im Grunde gar keiner. Es gibt da für mich keinen Unterschied.

Das ist unterm Strich auch meine Position. Wer sich frei fühlt, ist es auch (und es müssen schon gravierende Gründen dagegen sprechen – die es aber gibt – um jemandem dies abzusprechen).

ice hat geschrieben:Unser "Ich"-Bewusstsein ist laut Thomas Metzinger ein virtuelles Werkzeug:

"Wir sind Ego-Maschinen, natürliche Informationsverarbeitungssysteme, die im Verlauf der biologischen Evolution auf diesem Planeten entstanden sind. Das Ego ist ein virtuelles Werkzeug: Es hat sich entwickelt, weil wir mit seiner Hilfe unser eigenes Verhalten kontrollieren und vorhersagen und das Verhalten anderer verstehen konnten.
...
Wir sind Ego-Maschinen, aber wir haben keine Selbste. Wir können den Ego-Tunnel nicht verlassen, weil es niemanden gibt, der ihn verlassen könnte. Das Ego und sein Tunnel sind repräsentationale Phänomene: Sie sind nur eine von vielen möglichen Weisen, in denen bewusste Wesen ein Modell der Wirklichkeit erzeugen können. Letztlich ist subjektives Erleben ein biologisches Datenformat, also eine hochgradig spezifische Weise, Information über die Welt darzustellen, eine innere Weise des Gegebenseins, und das Ego ist lediglich ein komplexes physikalisches Ereignis - ein Aktivierungsmuster in unserem zentralen Nervensystem.
...
Wir sind selbst-lose Ego-Maschinen."

(Thomas Metzinger "Der Ego-Tunnel", S. 289)

Halte ich von A bis Z für falsch. Was ich bin, empfinde ich. Ich bin müde, hungrig, habe Sehnsucht, Liebeskummer, phantasiere über Beziehungen, Zukünftiges, Bedeutungen.
Wenn man das nun lieblos auf Funktionalismen runterbricht, was ist damit gewonnen? Ist das die „wahre Sichtweise“? Woher weiß Metzinger das, der kennt mich doch gar nicht? Und wenn Du sagst, dass er mich auch gar nicht meint, dann glaube ich das, aber genau das ist das Problem. Was uns einzigartig macht, ist ja unsere genau das, was Metzinger völlig durch die Lappen geht. Das, was Dich ausmacht oder eben mich.
In der Psychologie fragt man einen Menschen, was ihn – seiner Meinung nach - ausmacht, von anderen unterscheidet und diagnostiziert anhand der Antwort ob eine Ich-Schwäche vorliegt, die man sehr ernst nimmt.

Ich möchte diese ganzen „Es gibt kein Ich“-Leute immer fragen, warum sie glauben, dass Psychologen das tun.
Ein echter Ichverlust ist ein psychiatrischer Notfall, eine psychotische Episode, liegt die vor, sieht man sich manchmal berechtigt, diese Leute einzusperren, festzuschnallen oder unter schwere Medikamente zu setzen. Warum eigentlich, wenn uns Hirnforscher, Neurologen also, die nächsten beruflichen Verwandten der Psychiater erzählen, eigentlich hätten wir eh kein Ich oder keinen Willen? Dann ist doch so gesehen gar nichts passiert.
Auch einmal legen wir auf das Vorhandensein einer „intakten“ Illusion größten Wert.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon AgentProvocateur » Sa 11. Jan 2014, 00:46

ice hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wo liegt denn für Dich der Unterschied zwischen gefühlter und wahrer Freiheit?

Im Grunde gar keiner. Es gibt da für mich keinen Unterschied.

Das finde ich merkwürdig und nicht nachvollziehbar. Abstrakt gesagt: aus "ich fühle x" folgt nicht, dass x tatsächlich der Fall ist, das kann daher nicht dasselbe sein.

Konkretes Beispiel in diesem Zusammenhang: jemand wird hypnotisiert. Der Hypnotiseur gibt dem Hypnotisierten den Befehl, er solle, wenn er wieder wach ist, seine Schuhe ausziehen und auf den Tisch stellen. Der Hypnotiseur weckt den Hypnotisierten aus seiner Hypnose, der zieht daraufhin seine Schuhe aus und stellt sie auf den Tisch. Gefragt, warum er das tat, antwortet er: "nun, ich wollte meine schönen Schuhe zeigen". Gefragt, ob er das aus eigenem Entschluss und somit freiwillig tat, sagt er: "ja, das war meine Entscheidung".

Konfrontiert mit der Schilderung des vom Hypnotiseurs gegebenen Befehles wird er seine Meinung bezüglich Freiwilligkeit/"auf dem eigenen Mist gewachsen" evtl. revidieren. Was nicht unlogisch wäre, daher kann "ich fühle x" und "x ist tatsächlich der Fall" nicht dasselbe sein.

Oder so gesagt: man kann logischerweise nicht diese Aussagen gleichzeitig vertreten:

1. Determinismus und Freiheit sind widersprüchlich, können nicht gleichzeitig wahr sein, d.h. in einer determinierten Welt kann es keine Freiheit geben
2. In einer determinerten Welt ist es problemlos möglich, dass jemand ein Gefühl von Freiheit hat
3. Ein Gefühl von Freiheit ist dasselbe wie Freiheit

Und noch anders gesagt: ein Inkompatibilist, also jemand, der die 1 vertritt, kann nicht auch die 2 und die 3 vertreten. Das ist logisch widersprüchlich. Daher muss der Inkompatibilist eine seiner Ansicht nach notwendige Bedingung für Freiheit in seinem Sinne nennen können, die zusätzlich zu den oben genannten Bedingungen des kompatibilistischen Freiheitsbegriffes hinzukommt, (denn diese sind mit Determinismus vereinbar), die mit Determinismus unvereinbar ist. (Oder aber er nennt ganz andere notwendige und hinreichende Bedingungen für Freiheit in seinem Sinne.)

So wie ich das sehe, kommt dafür nur PAP, (siehe oben), in Betracht, (oder aber, wie gesagt, der Vollständigkeit halber und rein hypothetisch: völlig andere Bedingungen), aber wie oben schon gesagt, reicht es nicht, PAP als nicht nachvollziehbares Konzept einfach nur zu postulieren, es muss vielmehr PAP erst mal verständlich gemacht werden können, (ansonsten ist PAP notwendigerweise irrelevant, denn ein unverständliches Konzept kann schlecht als notwendige Bedingung für irgendwas in irgendeinem Argument als Prämisse auftauchen).
Benutzeravatar
AgentProvocateur
 
Beiträge: 731
Registriert: Di 13. Nov 2007, 01:46

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon fopa » Sa 11. Jan 2014, 08:27

@Agent
Ich denke, dein letzter Beitrag bringt endlich ein wenig Klarheit in die Sache. Bloß wäre es schön gewesen, wenn du zusätzlich deinen kompatibilistischen Freiheitsbegriff sauber definiert hättest. Das hat aber nun @Vollbreit getan. (Ich vermute, das entspricht auch deinen Vorstellungen.) Jedenfalls kann man nicht einfach davon ausgehen, dass bei solch ambivalenten Begriffen alle dieselben Vorstellungen haben.

AgentProvocateur hat geschrieben:So wie ich das sehe, kommt dafür nur PAP, (siehe oben), in Betracht, (oder aber, wie gesagt, der Vollständigkeit halber und rein hypothetisch: völlig andere Bedingungen), aber wie oben schon gesagt, reicht es nicht, PAP als nicht nachvollziehbares Konzept einfach nur zu postulieren, es muss vielmehr PAP erst mal verständlich gemacht werden können, (ansonsten ist PAP notwendigerweise irrelevant, denn ein unverständliches Konzept kann schlecht als notwendige Bedingung für irgendwas in irgendeinem Argument als Prämisse auftauchen).
Es macht auch in einer Diskussion wenig Sinn, Konzepte, die man selbst für unplausibel hält, für nicht-definierbar zu erklären. Das sind nämlich zwei unterschiedliche Eigenschaften.
Beispielsweise könnte ich mit einem Christen über einen "persönlichen Gott" diskutieren, wenn er mir erklärt, was er damit meint - und sei es noch so unplausibel und unlogisch.

Zurück zum Freiheitsbegriff. Um von nun an Missverständnisse zu vermeiden, versuche ich einmal, zwei Freiheitsbegriffe zu definieren - egal, ob man glaubt, diese Freiheit existiere real oder nicht.
Def.: Mit Frht_a sei die Fähigkeit bezeichnet, unter identischen inneren und äußeren Umständen unterschiedliche Entscheidungen treffen zu können (PAP).
Satz: Frht_a ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, Entscheidungen (zumindest zu einem gewissen Grad) unabhängig von inneren und äußeren Umständen treffen zu können
Def.: Mit Frht_b sei eine Situation bezeichnet, in der die inneren und äußeren Umstände derart sind, dass eine Entscheidung oder eine Handlung den Wünschen, Bedürfnissen oder dem Bestreben der entscheidenden bzw. handelnden Person nicht zuwider läuft.

Ich hoffe, ihr seid mit diesen Definitionen einverstanden.

Meine Behauptung ist, dass gemeinhin/umgangsprachlich unter einem "freien Willen" eine Entscheidungsfähigkeit gemäß Frht_a verstanden wird. (Ja, @Agent, du bist anderer Ansicht.) Ein solcher Begriff von Willensfreiheit wäre mit dem Determinismus inkompatibel.

Verstünde man unter dem Begriff der "Willensfreiheit" gemeinhin Frht_b, so könnte auch ich mich guten Gewissens als Kompatibilist bezeichnen, denn dieser Freiheits-Begriff widerspricht dem Determinismus nicht. Aber "Freiheit" wird nun mal unterschiedlich verstanden. Deswegen bin ich mit dem Begriff vorsichtig und spreche lieber vom "Gefühl einer freien Entscheidung", was im Fall des Kompatibilismus und bezogen auf Frht_b dasselbe ist.
Denn @Agent: Deine Behauptung "Abstrakt gesagt: aus "ich fühle x" folgt nicht, dass x tatsächlich der Fall ist, das kann daher nicht dasselbe sein." ist im Allgemeinen falsch. Korrekt wäre die Behauptung: Aus "Ich fühle x" folgt nicht, dass x tatsächlich der Fall ist. Daraus folgt aber nicht, dass es nicht dasselbe sein kann. Die logische Aussage ist lediglich, dass das Gefühl nicht den tatsächlichen Fall impliziert.
In der Situation Frht_b ist das Gefühl, Entscheidungen treffen zu können, logisch identisch mit der Fähigkeit, Entscheidungen treffen zu können. Denn wenn wir uns zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht frei gefühlt haben, hat die Situation Frht_b nicht vorgeherrscht (A=>B). Anders herum (B=>A), gesetzt, Situation Frht_b herrschte zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht vor, so können wir auch nicht das Gefühl einer freien Entscheidung gehabt haben.
Wenn du anderer Ansicht bist, möchte ich dich bitten, mit ein Gegenbeispiel aufzuzeigen, das diese Aussage widerlegt.

Anders sieht es natürlich aus, wenn man unter Freiheit die Fähigkeit Frht_a versteht. Dann ist lediglich das Gefühl, Frht_a zu besitzen, mit dem Determinismus kompatibel. Das Gefühl, freie Entscheidungen zu treffen, ist also immer mit dem Determinismus vereinbar, unabhängig vom Begriff der Willensfreiheit. Deshalb ziehe ich diesen Terminus im Allgemeinen vor. Letztlich liegt es - wie so oft - daran, dass Begriffe und Definitionen nicht allgemein geteilt werden, sondern das Gegenüber möglicherweise etwas ganz anderes darunter versteht.
Benutzeravatar
fopa
 
Beiträge: 283
Registriert: Fr 14. Dez 2012, 09:37

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jan 2014, 08:33

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:"Ursache" und "Grund" sind Begriffe, die vermutlich auf der selben Art Erfahrung beruhen, nämlich dass bestimmte Klassen von Ereignissen in regelmäßigen Mustern aufeinander folgen. Es sind doch ziemlich austauschbare Begriffe!
Ziemlich, aber nicht austauschbar.
Einen Grund zu haben impliziert ein Motiv, eine Intention zu haben, eine Ursache nicht.

Ach wo, das ist doch nur ein Streit um Wörter. Du stellst immer die Frage nach dem "Warum?".
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 09:30

AgentProvocateur hat geschrieben:Konkretes Beispiel in diesem Zusammenhang: jemand wird hypnotisiert. Der Hypnotiseur gibt dem Hypnotisierten den Befehl, er solle, wenn er wieder wach ist, seine Schuhe ausziehen und auf den Tisch stellen. Der Hypnotiseur weckt den Hypnotisierten aus seiner Hypnose, der zieht daraufhin seine Schuhe aus und stellt sie auf den Tisch. Gefragt, warum er das tat, antwortet er: "nun, ich wollte meine schönen Schuhe zeigen". Gefragt, ob er das aus eigenem Entschluss und somit freiwillig tat, sagt er: "ja, das war meine Entscheidung".
Willkommen bei der Geburtsstunde der Psychoanalyse, genau das ist bei Charcots Hypnoseexperimenten reihenweise passiert und Freud war einer der Augenzeugen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Konfrontiert mit der Schilderung des vom Hypnotiseurs gegebenen Befehles wird er seine Meinung bezüglich Freiwilligkeit/"auf dem eigenen Mist gewachsen" evtl. revidieren.
Und meistens tut er das nicht, sondern schwört Stein und Bein, dies sei einzig und allein sein Wunsch gewesen und wird eine passable Geschichte anbieten, die erläutert, warum genau das sein eigener Wunsch war. Freud kam das komisch vor und den Mechanismus etwas zu erklären, was gut klingt aber vermutlich nicht stimmt, nennt man Rationalisierung.

AgentProvocateur hat geschrieben:Was nicht unlogisch wäre, daher kann "ich fühle x" und "x ist tatsächlich der Fall" nicht dasselbe sein.

Warum?
Es könnte sein, dass man jemandem einen absurden posthypnotischen Befehl gibt der tatsächlich den den Wünschen des Hypnotisierten entspricht, auch wenn das unwahrscheinlich ist.
Aber wichtiger: Wenn der aufrichtig denkt, dass es sein Wunsch ist und jeder der Zeugen des Experiments meint, er müsse sich irren, dann kann der das dennoch weiterhin fühlen und denken, die anderen wollten ihn veräppeln. Die Mehrheit würde sagen, dass der Mann sich irren muss, aber was besagt das schon?

Und damit sind wir im Grunde genau an der Stelle, auf die ich immer hinaus wollte: Gesetzt, der Mann ist hypnotisiert und irrt sich in der Annahme, es sei sein Wunsch gewesen, die Schuhe auf den Tisch zu stellen.
Was ist aber, wenn die Situation nicht so eindeutig ist und einfach Ansicht gegen Ansicht steht? War Thomas Mann als Vater eine spröder Tyrann (wie viele seiner Kinder sagen) oder ein warmherziger, liebevoller Vater, wie Tochter Elisabeth sagt? Wahr ist, was den Fakten entspricht, aber was sind hier die Fakten? Wer bestimmt welche Sicht „richtig“ ist?

Was wenn Du Dich frei fühlst, aber Dir jemand erklärt Du seist das bestimmt nicht, sondern Du verbrächtest viel zu viel Zeit im Internet, in albernen Foren, das hätte eindeutigen Suchtcharakter und Du würdest Deine wahren Motive ganz einfach nicht kennen, was dann?
Du könntest gute Gründe liefern, warum Du das tust, aber, siehe oben, siehe Freud, siehe „wir sind doch alle nur konditioniert“, siehe „wir sind doch alle nur genetisch motiviert“ oder oder oder Du könntest Dich ganz einfach irren.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 09:33

fopa hat geschrieben:@Agent
Ich denke, dein letzter Beitrag bringt endlich ein wenig Klarheit in die Sache. Bloß wäre es schön gewesen, wenn du zusätzlich deinen kompatibilistischen Freiheitsbegriff sauber definiert hättest. Das hat aber nun @Vollbreit getan. (Ich vermute, das entspricht auch deinen Vorstellungen.)

Ja, aber ich bin diesbezüglich bei Agent in die Lehre gegangen, wenn unsere Gedanken sich überschneiden, dann habe ich das von ihm, nicht umgekehrt.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 09:59

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:"Ursache" und "Grund" sind Begriffe, die vermutlich auf der selben Art Erfahrung beruhen, nämlich dass bestimmte Klassen von Ereignissen in regelmäßigen Mustern aufeinander folgen. Es sind doch ziemlich austauschbare Begriffe!
Ziemlich, aber nicht austauschbar.
Einen Grund zu haben impliziert ein Motiv, eine Intention zu haben, eine Ursache nicht.

Ach wo, das ist doch nur ein Streit um Wörter. Du stellst immer die Frage nach dem "Warum?".

Tust Du hier im Forum je etwas anderes, als Dich um Wörter, besser Begriffe zu streiten?

Der wichtige Sprung ist der. Begriffe sind nicht einfach nur so daher gesagt, sondern mit Sprachspielen verknüpft.
Es ist nicht folgenlos etwas zu versprechen und es dann nicht zu tun oder sich dauernd zu widersprechen, da mit Äußerungen weitere implizite Festlegungen logisch verbunden sind, die sich aus behauptenden Äußerungen ergeben. Die einfach Aussage „Das ist rot“ behauptet zugleich implizit eine Aussage über Farben zu sein (und nicht über Gerüche oder Automarken) und dass man das unterscheiden kann, sie behauptet, dass etwas nicht blau ist und man die Fähigkeit hat, das ebenfalls zu unterscheiden.
Und das Wort „rot“ zu sagen, was im Zweifel jeder Ara kann und „rot“ zu meinen, sich der impliziten Festlegungen bewusst zu sein und zu wissen, was man damit meint, wenn man etwas sagt, ist ein Unterschied.

Es wäre möglich einem Beo den Satz „Frau Merkel ist eine schlechte Kanzelerin“ beizubringen, das würden wir skurril oder lustig finden, aber wir würden uns nicht dazu aufgefordert fühlen, mit ihm in eine politischen Diskussion einzusteigen. Warum nicht? Weil wir wissen, oder uns recht sicher sind, dass der Vogel nur einen Satz auswendig gelernt hat und nicht weiß, was er sagt, das allein macht die Komik aus.
Genau das meinen wir aber nicht, wenn wir miteinander reden und uns wechselseitig ernst nehmen.
Wir glauben, dass der andere sagt, was er denkt und denk, was er sagt und versteht, was er sagt und sich um die impliziten Festlegungen die aus dem Gesagten folgen festgelegt weiß und wir reagieren allergisch, wenn jemand das andauernd und ohne gute Gründe durchbricht. (Es hat Folgen für unseren sozialen Kontostand.)

Die Ursache, dass der Vogel Frau Merkel erwähnt, ist, dass er die motorischen Fähigkeiten zur Sprachimitation hat und dass er einen Satz x mal gehört hat und vielleicht durch Futter oder Lob operant konditioniert wurde. Eine Intention dürfen wir dem Vogel auf zusprechen, vermutlich „erfreut“ ihn das Lob oder das Futter, aber das Motiv zu unterstellen, er wolle mit uns in eine politische Diskussion einsteigen müsste näher begründet werden. Da ein Beo Laute bilden kann, die unseren Wörtern entsprechen, könnte er also auch prinzipiell diskutieren – er kann's halt nicht, weil er mindestens auf dieser Komplexitätsebene nicht mehr mithalten kann.

Das Spiel des Gebens und Nehmens von Gründen, was uns definiert, ist ihm unzugänglich... auch bei guter Aussprache.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jan 2014, 10:21

Vollbreit hat geschrieben:Tust Du hier im Forum je etwas anderes, als Dich um Wörter, besser Begriffe zu streiten?

Der wichtige Sprung ist der. Begriffe sind nicht einfach nur so daher gesagt, sondern mit Sprachspielen verknüpft. [usw.,usw.]

Das ist alles irrelevant in Bezug auf meine Entgegnung an Nanna. Aber, mag ja sein, dass du nicht in der Lage bist, die Begriffe aus deinen Sprachspielen heraus zu lösen. Man spricht von "Motiven" oder "Ursachen" in verschiedenen Kontexten, die sich evtl. oft nicht überschneiden. Das begründet aber nicht die Aussage, dass es verschiedene Dinge sind. Was diese und verwandte Begriffe gemeinsam haben, ist, dass sie das Fragen nach dem "Warum?" beantworten. Ob diese Gründe nun "Motiv", "Wille", "Schwerkraft", "Potenzgesetz" oder wie auch immer heißen - du kannst weder Denken noch Handeln, wenn du keinen Grund hast - oder genauer gesagt: du kannst dies nicht denken, - genau so wenig, wie du dir einen Gegenstand ohne Ausdehnung denken kannst. Dein Gehirn zwingt dich, einen Grund zu finden - und erfindet ihn unter Umständen.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 11:06

ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Tust Du hier im Forum je etwas anderes, als Dich um Wörter, besser Begriffe zu streiten?

Der wichtige Sprung ist der. Begriffe sind nicht einfach nur so daher gesagt, sondern mit Sprachspielen verknüpft. [usw.,usw.]

Das ist alles irrelevant in Bezug auf meine Entgegnung an Nanna. Aber, mag ja sein, dass du nicht in der Lage bist, die Begriffe aus deinen Sprachspielen heraus zu lösen.
Sprache ist wesentlich holistisch, der Ansicht ist seit Wittgenstein und Quine im Grunde jeder. Quine hat seinen Holismus zwar später abgemildert, aber weniger als Cluster geht nicht.

ujmp hat geschrieben:Man spricht von "Motiven" oder "Ursachen" in verschiedenen Kontexten, die sich evtl. oft nicht überschneiden. Das begründet aber nicht die Aussage, dass es verschiedene Dinge sind. Was diese und verwandte Begriffe gemeinsam haben, ist, dass sie das Fragen nach dem "Warum?" beantworten. Ob diese Gründe nun "Motiv", "Wille", "Schwerkraft", "Potenzgesetz" oder wie auch immer heißen - du kannst weder Denken noch Handeln, wenn du keinen Grund hast - oder genauer gesagt: du kannst dies nicht denken, - genau so wenig, wie du dir einen Gegenstand ohne Ausdehnung denken kannst. Dein Gehirn zwingt dich, einen Grund zu finden - und erfindet ihn unter Umständen.
Zum Teil ist das so, siehe meine Antwort an Agent.
Aber ganz so unwissend ist man da nicht.
Man kann biologisch motiviert sein und es wissen oder nicht wissen. Bspw. zeigen hungrige Tiere eine Unruhe, die angeblich ihren Aktionsradius vergrößert, was dazu führt, dass sie schneller auf Nahrung treffen, ist dies der Fall sinkt das Erregungslevel wieder. Zu wissen, dass man Hunger hat und dass es „Hunger“ ist, den man hat, ist aber etwas anderes.
Klar ist, dass unser Motivationssystem aus dem Tierreich kommt, es sind die Affekte, die zunächst als Bausteine der Triebe fungieren und höhere Säugetiere waren dann erstmals auch in der Lage diese Affekte zu zeigen, was immense Vorteile bei der Brutpflege mit sich brachte.

Zu äußern, dass jemand der keinerlei Antrieb hat auch nichts tut, ist entweder eine Banalität oder ein Selbstwiderspruch:
Man kann sich aussuchen, wie man Roth verstehen möchte, wenn er sagt:
Gerhard Roth hat geschrieben:Meine beiden Kernaussagen lauten: (1) Vernunft und Verstand allein, ohne Gefühle, bewegen nichts; (2) Gefühle haben bei der Handlungssteuerung das erste und das letzte Wort.
http://home.arcor.de/eberhard.liss/hirn ... fuehle.htm


Die wortreichen Ausführungen täuschen ein wenig darüber hinweg, dass es banal ist zu behaupten, dass ein komplett Unmotivierter nichts tut und selbstwidersprüchlich zu erklären, was wir doch nicht verstehen können, wenn unsere Vernunft nur eine Marginalie ist, die uns Gründe finde lässt für Dinge, die anderswo angeblich längst entschieden sind. Wenn es zugespitzt heißen soll, der Mensch sei Argumenten gegenüber unempfänglich, warum erklärt Roth dann so viel?
Wen oder was will er erreichen, wenn das doch alles nichts bewirkt, weil der nächste Schlüsselreiz alle Worte hinwegfegt.

Aber zu behaupten, alle Gründe seien erfunden führt in einen Selbstwiderspruch da er auf metaphysischen Vorannahmen beruht und unterstellt, dass jeder diese zu teilen habe. Und gute Gründe zu bringen um zu belegen, dass gute Gründe nichts bewirken ist erkennbar selbstwidersprüchlich. Wenn Roth nur beliebt sein will (das könnte ihn ja motivieren, er weiß ja nicht, was sein Gehirn so vor hat) sollte er lieber Speiseeis an Kinder verteilen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jan 2014, 11:32

Vollbreit hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Tust Du hier im Forum je etwas anderes, als Dich um Wörter, besser Begriffe zu streiten?

Der wichtige Sprung ist der. Begriffe sind nicht einfach nur so daher gesagt, sondern mit Sprachspielen verknüpft. [usw.,usw.]

Das ist alles irrelevant in Bezug auf meine Entgegnung an Nanna. Aber, mag ja sein, dass du nicht in der Lage bist, die Begriffe aus deinen Sprachspielen heraus zu lösen.
Sprache ist wesentlich holistisch, der Ansicht ist seit Wittgenstein und Quine im Grunde jeder. Quine hat seinen Holismus zwar später abgemildert, aber weniger als Cluster geht nicht.

Falls du meinst, es kommt nur darauf an "Sprachspiele" abzuspulen (wonach es in der Tat gelegentlich aussieht), hast du die beiden Herren gewiss missverstanden. Sprachspiele sind qualitativ nichts weiter als "Begriffe mit Leerzeichen", beide repräsentieren letztlich nichts anderes als mehr oder weniger komplexe Vorstellungen.

Selbstverständlich kann man beliebige Begriffe - und wenn es dir hilft: auch Sprachspiele- auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersuchen. Das ist nicht nur möglich sondern auch notwendig, sonst läuft man Gefahr, eine Sache mit sich selbst zu erklären.
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Sa 11. Jan 2014, 12:14

ujmp hat geschrieben:Du betonst moralische Gründe und sie kausale.

Nein, ich meine Gründe als Begründungen von Haltungen und Taten, die ich mittels Sprache verfertigen kann. Die müssen nicht normativ sein (übrigens: normativ != moralisch), sondern können auch deskriptiv sein ("Ich bin auf die Straße gefallen, weil mein Freund mich versehentlich geschubst hat."). Und dann ist es übrigens völlig unsinnig, "kausal" und "moralisch" als Gegenpaar zu behandeln. Wenn ich mich weigere, an einem Betrug teilzunehmen, dann ist der moralische Grund dafür gleichzeitig auch kausal. Dass er in der physischen Welt durch korrespondierende Teilchenbewegungen in meinem Hirn abgebildet wird, tut dem keinen Abbruch.

ujmp hat geschrieben:Wir können uns nicht zugleich vorstellen, dass unser bewusstes Handeln nicht von unserem Willen abhängt und dass es auch keine äußere Ursache hat.

Das wäre radikaler Zufall, das kann ich mir in der Tat schlecht vorstellen.

ujmp hat geschrieben:Soziobiologen könnten dir außerdem vermutlich im Detail nachweisen, dass der Grund für deine Moral die Optimierung von Reproduktionschancen ist und dass deine Überlegungen darüber reines "Sprachverhalten" sind.

Mein lieber Popper-Freund, Nachweise in dieser Güteklasse sind denen vorbehalten, die Systeme auf innere logische Konsistenz prüfen und Prämissen einfach mal annehmen dürfen, also Mathematikern und manchen Teilen der Philosophie. Ein Soziobiologe kann ein überzeugendes Modell präsentieren, das letztlich nicht aussagt "so ist es", sondern "so können wir einen Mechanismus modellieren und erklären". Die Überlegungen der Soziobiologen sind, wenn man deiner Entwertung sprachlicher Reflexion folgt, nicht weniger das "Sprachverhalten" eines dummen Stücks Materie als meine. Ich denke, das wird weder den Soziobiologen noch mir gerecht.

Im Übrigen irritiert es mich doch sehr, dass du dich derart an essentialistischen Vorstellungen festklammerst.

ujmp hat geschrieben:"Ursache" und "Grund" sind Begriffe, die vermutlich auf der selben Art Erfahrung beruhen, nämlich dass bestimmte Klassen von Ereignissen in regelmäßigen Mustern aufeinander folgen. Es sind doch ziemlich austauschbare Begriffe!

Gut, wenn solcher Reduktionismus dich glücklich macht, will ich dich mal nicht länger aufhalten.

ujmp hat geschrieben: [@Vollbreit] Das ist alles irrelevant in Bezug auf meine Entgegnung an Nanna.

Nö, ich finde das eigentlich alles recht relevant.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 11. Jan 2014, 12:14

ice hat geschrieben:Weißt du vielleicht, was in der Evolutionstheorie der neueste Stand der Forschung (was Mutationen und Mutagene anbelangt) ist? Es wird ja oft in der populärwissenschaftlichen Literatur von "Zufall und Notwendigkeit" in der Evolution gesprochen. Ich frage mich, wo und was genau der "Zufall" in der Evolution sein soll...

Sorry, dass ich "so spät" (für die Verhältnisse hier im Forum) antworte, wo man in kürzester Zeit mit Kommentaren nur noch so zugemüllt wird und dann sein eigenes Wort nicht mehr findet. Zur Antwort:
Ja, zufällig weiß ich wohl mehr als die meisten hier im Forum über Genetik und Mutation, sowie Mutagene (ich studiere Biochemie und besitze auch eine zertifizierte Gefahrenstoffsachkunde). Wie gesagt, aus genannten Gründen ist "Zufall" nur ein Platzhalter, genauso wie "Epigenetik" - diejenigen, die es besser wissen, benutzen diese Worte nicht, speisen damit aber diejenigen ab, bei denen Erklärungen zu lange dauern würden oder nicht erwünscht sind.
Ich wünsche jedenfalls noch viel Glück bei der Diskussion mit diesen Geisteswissenschaftlern, die zu viel Zeit haben - ich bin es Leid, mich in solchen Diskussionen zu verlieren um sowieso immer wieder das gleiche zu schreiben und zu lesen.
Benutzeravatar
Darth Nefarius
 
Beiträge: 2625
Registriert: Di 22. Nov 2011, 16:23

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 12:19

ujmp hat geschrieben:Falls du meinst, es kommt nur darauf an "Sprachspiele" abzuspulen (wonach es in der Tat gelegentlich aussieht), hast du die beiden Herren gewiss missverstanden.
Das ist immer möglich, aber damit es glaubwürdig erscheint, solltest Du es belegen können.
Wo habe ich mich geirrt, was wollten Wittgenstein und Quine eigentlich sagen?

Dir würde er z.B. sagen:
Ludwig Wittgenstein hat geschrieben:„An dieser Stelle tritt jedoch noch eine Verwechslung auf und zwar die zwischen Grund und Ursache. Zu dieser Verwechslung wird man durch den zweideutigen Gebrauch des Wortes „warum“ verleitet. So ist man, wenn die Kette der Gründe beendet ist und gleichwohl die Frage „warum?“ gestellt wird, geneigt, eine Ursache statt eines Grundes anzugeben. Wenn du z.B. auf die Frage „Warum hast du diese Farbe gerade so gemalt, als ich dir aufgab einen roten Fleck zu malen?“ antwortest: „Mir wurde ein Muster dieser Farbe gezeigt und gleichzeitig wurde das Wort ‚rot‘ zu mir gesagt; und deshalb kommt mir nun immer dieser Farbe in den Sinn, wenn ich das Wort ‚rot‘ höre“; dann hast du eine Ursache für deine Handlung angegeben und keinen Grund.“
(Wittgenstein, Das blaue Buch, 1958, dt. Suhrkamp 1984, S.34)


ujmp hat geschrieben:Sprachspiele sind qualitativ nichts weiter als "Begriffe mit Leerzeichen", beide repräsentieren letztlich nichts anderes als mehr oder weniger komplexe Vorstellungen.
Dann versuch mal herauszufinden, ob die etwas komplexeren Vorstellungen auch ohne Sprache möglich sind. Denken ist zu einem sehr erheblichen Teil inneres Reden.

ujmp hat geschrieben:Selbstverständlich kann man beliebige Begriffe - und wenn es dir hilft: auch Sprachspiele- auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin untersuchen. Das ist nicht nur möglich sondern auch notwendig, sonst läuft man Gefahr, eine Sache mit sich selbst zu erklären.
Du hast die Bedeutung von „Begriff“ m.E. nicht erfasst.
Für Dich scheint es tatsächlich irgendwas beliebig Dahergesagtes zu meinen und damti befindest Du Dich m.E. auf dem Holzweg.
Du müsstest wenigstens darstellen können, was mit Sprachspielen und Begriffen üblicherweise gemeint ist um nicht einen zu einseitigen und unterkomplexen Eindruck zu machen.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Nanna » Sa 11. Jan 2014, 12:27

Vollbreit hat geschrieben:Die wortreichen Ausführungen täuschen ein wenig darüber hinweg, dass es banal ist zu behaupten, dass ein komplett Unmotivierter nichts tut und selbstwidersprüchlich zu erklären, was wir doch nicht verstehen können, wenn unsere Vernunft nur eine Marginalie ist, die uns Gründe finde lässt für Dinge, die anderswo angeblich längst entschieden sind. Wenn es zugespitzt heißen soll, der Mensch sei Argumenten gegenüber unempfänglich, warum erklärt Roth dann so viel?
Wen oder was will er erreichen, wenn das doch alles nichts bewirkt, weil der nächste Schlüsselreiz alle Worte hinwegfegt.

Mal ganz davon abgesehen, dass ich das für einen sehr wichtigen und zentralen Einwand halte, wo Roth einen kollosalen performativen Selbstwiderspruch offenbart, würde ich auch gerne noch anmerken, dass ich es auch aus biologischer Sicht für unplausibel halte, dass der Mensch evolutionär ein derart ausgefeiltes Instrumentarium für Vernunftdenken entwickelt haben soll, wenn dieses lediglich dazu da wäre, Gründe für Verhalten zu konstruieren, das bereits auf niedrigeren Ebenen ausgelöst wurde und bereits feststeht. In dem Fall könnte man es ja auch einfach tun, ohne jedes Mal innere und äußere Reden darüber zu schwingen. Das Hirn macht 2% der Körpermasse aus, entnimmt dem Blut aber 2/3 der Glukose, in Spitzenzeiten sogar bis zu 90%. Es scheint mir schwer vorstellbar, dass eine Spezies derartig viel Energie für etwas verbrennen würde, was eigentlich überflüssig ist.
Benutzeravatar
Nanna
Mitglied des Forenteams
Mitglied des Forenteams
 
Beiträge: 3338
Registriert: Mi 8. Jul 2009, 19:06

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon ujmp » Sa 11. Jan 2014, 13:07

Ludwig Wittgenstein hat geschrieben:„An dieser Stelle tritt jedoch noch eine Verwechslung auf und zwar die zwischen Grund und Ursache. Zu dieser Verwechslung wird man durch den zweideutigen Gebrauch des Wortes „warum“ verleitet. So ist man, wenn die Kette der Gründe beendet ist und gleichwohl die Frage „warum?“ gestellt wird, geneigt, eine Ursache statt eines Grundes anzugeben. Wenn du z.B. auf die Frage „Warum hast du diese Farbe gerade so gemalt, als ich dir aufgab einen roten Fleck zu malen?“ antwortest: „Mir wurde ein Muster dieser Farbe gezeigt und gleichzeitig wurde das Wort ‚rot‘ zu mir gesagt; und deshalb kommt mir nun immer dieser Farbe in den Sinn, wenn ich das Wort ‚rot‘ höre“; dann hast du eine Ursache für deine Handlung angegeben und keinen Grund.“
(Wittgenstein, Das blaue Buch, 1958, dt. Suhrkamp 1984, S.34)


Das ist bestenfalls eine Wiederholung von Schopenhauers "Die vierfache Wurzel des Satzes vom Grund", im schlimmsten Fall Wortstreiterei. Wenn man Wittgensteins Sprachspielerei missversteht, werden die Grenzen einer Welt sozusagen eine sich selbst erfüllende Prophezeiung - aber, so dumm war der Mann nicht. Man kann seine Sprache und damit seine Grenzen jederzeit erweitern. Vollbreits Verweis auf Sprachspiele war jedenfalls eine komplette Leeraussage!

Mir ist schon klar, dass "Motiv" und "Ursache" unterschiedliche Qualitäten haben, sie haben aber auch gemeinsame Qualitäten. Vom Standpunkt eines "Harten atheistischen Determinismus" aus, könnte man sagen, dass z.B. ein "Bedürfnis" (z.B. zu essen) einen kausalen Grund in der physischen Beschaffenheit des Organismus hat. Dieses ist wiederum eine kausale Ursache für den Willen und dieser wiederum eine kausale Ursache für ein Motiv und dieses für ein Argument. Die Befürworter des Determinismus argumentieren, dass unser Gehirn möglicherweise solche Denkmuster herausgebildet hat, gerade weil die Welt tatsächlich solchen Mustern entspricht.

Worauf ich hinaus wollte war eigentlich, dass wir uns gar nichts anderes vorstellen können, als dass Dinge einen Grund haben. Oder anders gesagt: Wie denn sonst, wenn nicht determiniert?
Benutzeravatar
ujmp
 
Beiträge: 3108
Registriert: So 5. Apr 2009, 19:27

Re: Harter atheistischer Determinismus

Beitragvon Vollbreit » Sa 11. Jan 2014, 13:33

Nanna hat geschrieben:... dass ich es auch aus biologischer Sicht für unplausibel halte, ...


Du befindest Dich in guter Gesellschaft:
Jürgen Habermas hat geschrieben:Gegen den Epiphänomenalismus des bewussten Lebens hat John Searle den naheliegenden Einwand erhoben: “Die Prozesse der bewussten Rationalität sind ein so wichtiger Teil unseres Lebens, und vor allem ein biologisch so kostspieliger Teil unseres Lebens, dass es sich damit so anders verhielte als alles, was wir von der Evolution wissen, wenn ein Phänotyp dieser Größenordnung überhaupt keine funktionale Rolle im Leben und für das Überleben des Organismus spielen würde.” Gerhard Roth hat vermutlich diesen Einwand vor Augen, wenn er das Selbstverständnis von Aktoren, insbesondere die Handlungsfreiheit, die das “virtuelle Ich” sich selber zuschreibt zur Illusion erklärt, jedoch gleichzeitig davor warnt, Ichbewusstsein und Willensfreiheit als bloße Epiphänomene zu begreifen.
Diese Warnung passt mit Roths eigenen Prämissen schlecht zusammen. Eine eigenständige kausale Rolle des bewussten Lebens fügt sich in den Rahmen eines reduktionistischen Forschungsansatzes nur unter der Voraussetzung ein, dass man ”Geist und Bewusstsein […] als physische Zustände auffasst”, die mit andern physischen Zuständen “in Wechselwirkung stehen”.
(J.Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion, Suhrkamp 2005, S.169)


Eine kernige These rauszuhauen und diese im gleichen Text wieder zu kassieren, ist freilich ein Vorgehen, das man bei Roth öfter mal findet:
Gerhard Roth, in der Einleitung hat geschrieben:Sie engen unseren Verstand und unsere Einsicht ein, verstellen uns den Blick auf die Realität und verhindern damit oft ein individuell und gesellschaftlich zweckmäßiges Verhalten. In solchen Fällen erscheinen Gefühle als etwas Unvernünftiges, Kurzsichtiges, Übereiltes, kurzum Negatives.
Entsprechend lautet der Ratschlag seit dem Altertum: Lass deinen Verstand walten! Sei vernünftig! Gib nicht deinen unmittelbaren Impulsen nach!

Wie ich im folgenden zeigen werde, unterliegt dieser Anschauung ein tiefes Missverständnis der Funktion der Gefühle und der Beziehung zwischen Vernunft/Verstand und Gefühlen.
Meine beiden Kernaussagen lauten: (1) Vernunft und Verstand allein, ohne Gefühle, bewegen nichts; (2) Gefühle haben bei der Handlungssteuerung das erste und das letzte Wort.

Gerhard Roth, in der Abschlussbetrachtung hat geschrieben:Allerdings sollte dies nicht als eine Abwertung vernünftigen, insbesondere auch logischen Denkens verstanden werden. Verstand und Vernunft sind außerordentlich wichtig, wenn es darum geht, nicht spontan und voreilig zu reagieren, sondern komplexe Situationen genau zu analysieren und entsprechend komplexe Handlungsplanung zu betreiben. Insofern ist der Ratschlag "Folge Deinem Verstand!" meist ein guter Rat. Jedoch ist mit dem Einsatz vernünftigen Denkens keineswegs garantiert, dass das limbische System den Resultaten dieses Einsatzes auch folgt. Dies hängt ausschließlich davon ab, welche Vor- und Nachteile sich das limbische System im Lichte der bisherigen Erfahrungen davon verspricht, und diese in dem Maße wirksam, in dem sie mit starken positiven oder negativen Gefühlen verbunden sind. Insofern regieren immer Emotionen als Ausdruck der gesamten bisherigen Erfahrungen unser Handeln, so sehr wir uns auch um Vernunft bemühen.

Quelle: http://home.arcor.de/eberhard.liss/hirn ... fuehle.htm
Was ist jetzt noch mal die Aussage des Ganzen?

Man kann das aber auch biologisch und nutzenorientiert wenden und zu klaren Aussagen kommen. Der Archäologie und Historiker Ian Morris aus Stanford tut das:
Ian Morris hat geschrieben:Tiere, die sich ihres eigenen Körpers gewahr wahren – merkten, wo sie selbst aufhörten und die übrige Welt begann -, schlugen sich im evolutionären Wettstreit besser als solche, die sich ihrer Außengrenze nicht bewusst waren, und diejenigen, die sich ihres einen Gewahrseins gewahr wurden, schlugen sich sogar noch besser. Das Gehirn wurde sich des Tiers, in dem es seinen Sitz hatte, bewusst, begann dieses Individuum zu begreifen, brachte Hoffnungen, Ängste und Träume hervor. Das Tier wurde zum “Ich”, und der Geist hatte seinen Auftritt auf der Weltbühne.
(Ian Morris, Krieg – Wozu er gut ist, Campus Verlag 2013, S.357)

Klar ist er auch hier:
Ian Morris hat geschrieben:Kultur ist das Produkt der biologischen Evolution unserer großen, flinken Gehirne, aber Kultur selbst unterliegt ebenfalls einer Evolution. Die biologische Evolution wird durch genetische Mutation vorangetrieben, wobei über Tausende oder gar Millionen von Jahren die Mutationen, die am besten funktionieren die weniger guten verdrängen. Die kulturelle Evolution verläuft sehr viel rascher, denn im Unterschied zur biologischen ist sie gerichtet. Menschen stehen vor Problemen, schon machen sich ihre kleinen grauen Zellen an die Arbeit: Ideen werden geboren. Die meisten Ideen sind genau wie die meisten genetischen Mutationen für die Welt im Allgemeinen kaum von Bedeutung, und manche sind schlicht schädlich, aber im Laufe der Zeit stechen auch hier nutzbringende Ideen weniger nutzbringende aus.
(ebd. S.380)


ujmp könnte hier an Popper anknüpfen (Evolution der Theorien) und Wittgenstein besser verstehen, weil Natur und Kultur nicht deckungsgleich sind und auch nicht denselben Mechanismen folgen, denn Ideen werden verhandelt, sind zielgerichtet, können in andere Kontexte gestellt und aufbewahrt werden, genetische Mutationen nicht.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Sa 11. Jan 2014, 13:48, insgesamt 1-mal geändert.
Benutzeravatar
Vollbreit
 
Beiträge: 2413
Registriert: Mi 30. Nov 2011, 11:48

VorherigeNächste

Zurück zu Philosophie

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 20 Gäste

cron