Tante Seltsam hat geschrieben:Nachsatz: Ich bin die Tante Seltsam, weil die anderen mich oft für seltsam halten. Das liegt daran, weil ich (deren Meinung nach) zu viel infrage stelle.
Das ist eine gute Einstellung, es mag einigen naturgemäß aber nicht passen, dass man ihr Fundament auch hinterfragt, was aber die Konsequenz eines solchen Wesens wie dir ist. Ich hinterfrage auch gerne, aber die Reaktionen meiner Umgebung gehen über ein "seltsam" hinaus, ich erlebe manchmal, bzw. habe früher deswegen Anfeindungen erlebt, jetzt versuche ich subtiler vorzugehen.
Nun aber zu unserem Dissenz:
Tante Seltsam hat geschrieben:Ich sprach vom psychologischen Nutzen der Religion. Damit meinte ich Aspekte, die hier schon erwähnt wurden, z.B. sozialer Kitt. Ich unterscheide aber auch zwischen Religion und Spiritualität. Religion ist enger definiert und hat etwas mit dem Glauben an übernatürliche Kräfte oder Personen zu tun und mit mehr oder weniger festen Strukturen und Dogmen, die oft eine Einengung der Menschen bedeuten.
Ja, einige Dinge haben einen Nutzen, aber es gehört auch zur hinterfragenden Natur, deren Nachteile zu kennen. Ich habe in einem anderen Thema die Religion mit dem Faschismus verglichen (deshalb will ich hier nicht nochmal die Parallelen erwähnen), letzteres hat genaugenommen ähnliche Wirkungsweisen und Ausprägungen wie ersteres. Auch der Faschismus hatte seine Vorteile, die Nachteile überwiegen aber in meinem Urteil, so ist es auch bei der Religion. Psychologisch haben beide ihre beruhigende, anspruchslose Seite, die das Individuum einfach nicht zum Denken zwingt, nicht zum Hinterfragen, sondern zum glauben, gehorchen. Das ist wohl der Grund, warum solche einfachen Systeme eine Zeit lang beliebt waren, bis man damit auf die Fresse geflogen ist. Das Individuum steht nicht alleine da, die Umgebung wird durch die Verhaltensweise und die Philosophie beeinflusst. Wenn also jemand mit solchen Hirngespinsten rumläuft, ist nicht nur das von ihm empfundene Glück der einzige Effekt. Bei konsequentem Ausleben und mit ausreichender Naivität wird das eigene Glück zum einzig wahren und besten Glück erklärt, ein Glück, das die anderen auch erleben sollen, ob sie wollen oder nicht. Das Ergebnis ist ein Glaubenseifer, der das Individuum zum Missionieren zwingt, dabei auf verschiedenen Wegen (die sich im Übrigen in faschistischen Systemen sehr mit religiösen decken).
Wenn du den psychologischen Nutzen von Religion betrachtest, darftst du nicht die Wirkung von Ritualen vergessen, also die Dogmen und Strukturen, die sich etabliert haben. Ich vergesse sie nicht, deshalb erwähne ich nicht nur den inhaltlichen Nonsens, sondern auch den formellen der Religiösität. Routine, die nicht zum denken zwingt ist sehr beruhigend, wenn in den amerikanischen Klassenzimmer täglich auf die Flagge geschworen wird, ist das bestimmt sehr beruhigend für die Schüler, für mich ist es aber das Gegenteil, weil es dann Parallelen zu anderen Bräuchen im Deutschland vergangener Tage aufweist. Gehrinwäsche im Allgemeinen ist schon sehr beruhigend, oder was soll das sonst sein?
Der soziale Kitt ist auch im Faschismus vorhanden gewesen, unter Kameraden, unter Genossen ist er bestimmt auch sehr gefestigt gewesen.
Ich habe also nochmal klar gemacht, dass ich die Vorteile nicht übersehe, aber nur, weil mir die Nachteile überwiegen, vergesse ich diese nicht. Die von mir genannten Parallelen sollten einen Hinweis auf die Nachteile bieten. Abwägen ist für eine kritische Person wichtig.
Zur Spiritualität:
Tante Seltsam hat geschrieben:Das Wort Spiritualität bedeutet im Kern eine Auseinandersetzung mit höheren Dingen, dazu gehören Fragen nach dem Sinn, nach dem Woher und Wohin, nach Ethik etc. Die spirituelle Praxis eines Menschen kann kultische Handlungen und/oder den Glauben an einen Gott einschließen, aber darum geht es nicht primär. Der Schwerpunkt ist hier anders gesetzt, es geht vor allem um eine individuelle Auseinandersetzung mit den genannten Fragen, wobei die Antworten offen sind. Z.B. kann man die Meditation als eine spirituelle Praxis bezeichnen, und das hat mit Glauben überhaupt nichts zu tun, dient aber dazu, den Alltag zu transzendieren. So kann ich mich selbst als spirituell bezeichnen, bin dabei aber nicht gläubig oder religiös. Zumindest im englischsprachigen Raum wird der Begriff Spiritualität oft so verwendet, aber ich habe festgestellt, dass er hierzulande auch gern von Esoterikern benutzt wird, die dann eher Tischerücken und so etwas im Sinn haben. Das hat mit der eigentlichen Bedeutung nichts zu tun.
Nein, ich würde das eher als Philosophie bezeichnen. Die Fragen implizieren meist schon eine Antwort. Wenn ich also frage:"Wie viele Götter gibt es?", impliziere ich, dass es Götter gibt. Wenn ich frage:"Was ist
der Sinn des Lebens?", impliziere ich, dass es
den Sinn gibt. Wenn ich frage:"Was soll ich tun?", impliziere ich, dass ich etwas tun soll. Die Fragen sind nicht immer grundlegend, sie spiegeln oft eine vorgefertigte Meinung wider. Abgesehen davon, geht es eben um die Antworten. Das Fragen macht den Menschen nicht glücklich, das Finden von Antworten aber schon. Durch diese Priorität werden Antworten beliebig, solange sie glücklich machen. So verstehe ich das Sprichwort:"Wer suchet, der findet." Die Antworten sind zwar unter diesem Aspekt beliebig, aber bestimmt nicht offen, erst recht nicht unichtig. Wenn du von Meditation, anstatt "Ruhefinden" redest, setzt du bestimmtes gleich, was aber nicht gleich ist. Du meinst wohl "Ruhefinden", aber sagst "Meditation". Transzendieren ist auch unglücklich gewählt. Es ist ein Unterschied, mit welcher Einstellung ich bestimmte Sachen tue. Wenn ich zu jemandem freundlich bin, muss ich nicht nach einer Moral handeln, ich kann mir auch dabei etwas denken, z.Bsp. einen späteren Nutzen dieser Person. Somit kann ich, trotz einer verwandten Handlung aufgrund der unterschiedlichen Motivationen (Moralismus, Utilitarismus), nicht mehr diesen Handlungen beidemale "Selbstlosigkeit" zuschreiben. Auch wenn der Begriff im englischsprachigen Raum so verwendet wird, ist das nicht die ethymologisch korrektere Anwendung. "Spiritus" setzt einen Dualismus vorraus. Genaugenommen ist "Esoterik" eher der ungläubigere Begriff, wenn wir z.Bsp. an Raumdesign denken.
Tante Seltsam hat geschrieben:Darth Nefarius hat geschrieben:Religion und sonstwelche kultischen Handlungen sind eher gefährlich als nützlich (es gibt genug Sachen, die die kultischen und religiösen Handlungen nicht nur ersetzen, sondern auch noch sehr viel effizienter sind),...
Welche denn?
Also, der Regentanz kann durch Wettervorhersagen und mit Salzen gefüllte Artilleriegeschosse gut ersetzt werden. Die heilenden Hände von sonstwelchen Priestern können nicht mit denen von Medizinern mithalten. Beten ist nicht so effizient, wie machen, glauben nicht so, wie denken.
Tante Seltsam hat geschrieben:Ich meinte nicht, dass man daraus die Richtigkeit eines Kultes oder Glaubens erkennen könnte. Sondern ich meinte damit, dass in vielen mythischen Geschichten etwas über die menschliche Natur ausgesagt wird. Sie sind so eine Art ‚Erfahrungskonzentrat’, und funktionieren so ähnlich wie Fabeln. Das heißt, der Mythos beschreibt in einer abstrakteren Form eine Erfahrung, die viele Menschen aus ihrem Leben kennen. So würde ich es zusammenfassen. Die Beschäftigung mit den Mythen kann mich deshalb dabei unterstützen und weiterbringen, mich selbst und andere besser zu verstehen, wenn das mein Wunsch ist. Sozusagen komplementär zur Psychologie.
Ja, aus schlechten Erfahrungen und Fehlern kann man immer lernen, ich muss diese Fehler aber deshalb nicht gut finden und sie immer wiederholen. Fehler zu machen ist auch ein Umweg, man muss nicht Fabeln oder Märchen nehmen, um etwas über die menschliche Natur zu lernen, und das auch nur pberflächlich. es gibt wissenschaftliche Abhandlungen, philosophische Traktate, die dem Ganzen wesentlich besser auf den Grund gehen. Man muss nicht sitzenbleiben, um aus der Schule etwas mitzunehmen. Nicht nur Erfahrungen können weitergegeben werden, sondern auch Gedanken, die in einer bestimmten Intention vermittelt werden. Komplementär ist das vielleicht, ein Taschenrechner ist auch zu einem Laptop komplementär, es kommt immer auf den Anspruch an, den man hat, um ein bestimmtes Wissen zu erhalten.
Tante Seltsam hat geschrieben:Der Unterschied ist, dass ein Mythos eine Erzählung ist, die den Leser oder Hörer dazu einlädt, sich in die Handlung hineinzuversetzen, wie bei einem Roman, dadurch hat man einen anderen Zugang zu dem Material, als wenn man zum gleichen Thema z.B. eine psychologische Studie liest.
Mir fallen da Ovids Metamorphosen aus dem damaligen Lateinunterricht ein. Das Einladen erfolgt aber durch eine bestimmte Einstellung, einige fühlen sich durch den Papst eher eingeladen zuzuhören, als durch den letzten Nobelpreisträger in Physik. Das hängt alles von der Person ab und ihrem Willen/Unwillen, bestimmte Sachen zu hören, oder über sie nachzudenken. Ich fühle mich persönlich eher durch eine wissenschaftliche Abhandlung angesprochen, da bleibt man mit ach so tollen Erkenntnissen nicht oberflächlich und muss nicht einen Haufen Doktrin und Müll rausfiltern.