ujmp hat geschrieben:"Näherung" setzt aber ein Ziel voraus, und dieses Ziel ist die angenommene, von mir unabhängige Realität. Wir müssen so bescheiden sein und unsere Vorstellungen als vorläufig ansehen. Was der Indikator ist hab ich ja schon zig mal erklärt: Aus einer Theorie müssen sich Erwartungen ableiten lassen, die stimmen.
Das ist soweit in Ordnung.
Wofür ich Deinen Blick schärfen möchte, ist die Idee, dass es dabei um Modelle geht, wie wir uns Welt erklären, nicht wie Welt oder Realität wirklich ist.
Im Grunde gibt es für Carnaps „Glücksfall“, ich zitiere die Kritik von Adorno daran noch einmal, damit neuere Leser wissen, worum es geht:
Adorno hat geschrieben:„Carnap, einer der radikalsten Positivisten, hat es einmal als Glücksfall bezeichnet, dass die Gesetze der Logik und der reinen Mathematik auf die Realität zutreffen. Ein Denken, das sein ganzes Pathos an seiner Aufgeklärtheit hat, zitiert an zentraler Stelle einen irrationalen – mythischen – Begriff wie den des Glücksfalls, nur um die freilich an der positivistischen Position rüttelnde Einsicht zu vermeiden, dass der vermeintliche Glücksumstand keiner ist, sondern Produkt des naturbeherrschenden oder, nach der Terminologie von Habermas „pragmatischen“ Ideals von Objektivität. Die von Carnap aufatmend registrierte Rationalität der Wirklichkeit ist nichts als die Rückspiegelung subjektiver Ratio.“
(Adorno in „Der Positivismusstreit in der Deutschen Soziologie“, Luchterhand, 1972, S.30)
Worin besteht der Glücksfall, noch mal mit anderen Worten: Die durch Zeit und Zufall entstandenen Primaten vom Ende der Welt begannen irgendwann zu sprechen. In diese Sprache eingeflochten, ist eine logische Struktur. Logik ist nichts, was ein par 1000 Jahre später erfunden wurde, die immer schon in der Sprache liegende logische Struktur wurde lediglich ausdifferenziert und gesondert untersucht, ähnlich wie bei der Grammatik, wo niemand daherkam und sagte: „Lass uns mal Hauptwörter erfinden“. Diese Logik, es hätte auch jede andere sein können, passt nun eigenartig gut zur Natur, so gut, dass Berechnungen am Zettel, Prognosen über empirische Sachverhalte zulassen, die Geschichte mit Einstein und dem Merkur, dessen Gravitation das Licht eines dahinterliegenden Sterns wie durch eine optische Linse ablenkte.
Wie kommt das eigentlich, dass die zufällige Logik (es gibt beliebig viele andere Logiken), zufälliger Primaten, so erstaunlich gut zur empirischen Welt passt?
Mir fallen 3 mögliche Antworten ein.
Erstens, könnte Gott in seiner Weisheit dem Menschen genau die Logik gegeben haben, die die Welt am besten beschreibt. Möglich, ich halte es für nicht sehr wahrscheinlich.
Zweitens, könnte es sein, dass das Universum eine durch und durch logisch-mathematisch-rationale Maschine oder Angelegenheit ist, deren geheime Naturgesetze wir zwar nicht alle kennen, aber wir kennen einige und aus dem was wir kennen, dürfen wir schließen, das auch der Rest vollkommen gesetzmäßig abläuft.
Von Beginn des Universums an gibt es Naturgesetze, die wir nach und nach entschlüsseln, in kleinen Schritten, durch Irrtümer, die jedoch letztlich der Wahrheit immer näher kommen, dass es immer bessere Irrtümer sind. Das müsste Deiner Variante entsprechen und die ist nicht ohne Charme.
Jedoch auch nicht ohne Probleme: Dieses Universum hätte im Grunde keinen Raum für echte Zufälle.
Zufall wäre eine Gesetzmäßigkeit, die wir noch nicht erkannt haben und auch wenn in chaotischen Systemen minimal veränderte Anfangsbedingungen starke Abweichungen bei den Endergebnissen produzieren, so heißt das in keinem Fall, dass diese Systeme wirklich chaotisch sind, sie sind im Gegenteil hoch geordnet. Weder Wetter, noch Lottozahlen, noch radioaktiver Zerfall, noch Mutationen sind echte Zufälle, nichts davon findet außerhalb der Naturgesetzlichkeit statt.
Wenn dem so ist, ist das Universum dann nicht vollkommen determiniert?
Und wenn das der Fall sein sollte, inwieweit ist es wahr, dass die Evolution ungerichtet ist?
Wäre dann nicht die religiöse Intuition eines Universums, das determiniert ist, durch Gott oder karmische Bezüge oder eine andere Form der Ordnung zumindest näher an der Wahrheit, als die Vision eines ungerichteten Universums?
Das alles würde in sich zusammenfallen, wenn es echte Zufälle gibt (die mehr oder anders sind, als Gesetzmäßigkeiten, die wir nicht beschreiben können), ich finde es nur schwierig zu beschreiben, wie diese Zufälle aussehen sollen.
Drittens, könnte es sein, dass Adorno und Habermas richtig liegen, die, an Kant anknüpfend, behaupten, dass sowohl unser Blick in die empirische Welt, als auch die inneren Gesetzmäßigkeiten der Logik, durch uns in die Welt projiziert werden (die „Kategorien“ bei Kant, die „Rückspiegelung subjektiver Ratio“ bei Habermas/Adorno). Das würde den Glücksfall, ein geniales und hochgradig unwahrscheinliches Zusammentreffen von „Gegebenem“ (empirische Welt) und „Erfundenem“ (Logik und Mathematik) freilich entzaubern. Naturbeobachtung wäre dann Selbstbeobachtung, was wir dort finden, ist genau das, was uns unsere Psyche zu finden erlaubt, es sind „die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis“ (Kant), die hier die Grenzen setzen.
Was die Bedingungen von einer Wahrheit oder Realität angeht, müssten wir freilich bescheidener werden. Wenn’s so schön passt, wäre das mitnichten ein Hinweis auf die Realität dahinter, sondern lediglich auf die Lebenswirklichkeit der Gemeinschaft der Subjekte.
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:Wir können unsere Näherungen aber auf ihre Zweckmäßigkeit hin beurteilen, verbessern oder ggf. fallen lassen.
Ja, beim Feuermachen und Eierkochen. Aber beim Gottesbegriff?
Da genau so, davon rede ich ja die ganze Zeit: Fallen lassen!
Gut, beim Ich, beim freien Willen, bei den Fragen nach Zeit, Kausalität und so weiter?
Es ist schon richtig, man braucht sich um all das nicht zu kümmern, die meisten Menschen tun es ja auch nicht. Nur ist die Anweisung bestimmte Fragen einfach aus dem Leben auszublenden und sich auf Brot und Spiele und Eierkochen und Schalter umdrehen zu beschränken, im Grunde eine totale Absage an Philosophie und Wissenschaft.
Unbegründet bleibt auch, warum man das tun sollte. Liegt für einige nicht genau darin der Reiz?
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:aber dass ja/nein Kategorien ihre Grenzen haben.
Ja natürlich, aber
welche Grenzen denn? Ich warte immer noch auf eine eigene Meinung von dir!
Die Welt wird dann schwarz oder weiß und es gibt nichts dazwischen. Man sitzt im der eigenen Zwangsjacke, ausgeliefert dem Taumel der Affekte.
ujmp hat geschrieben: Vollbreit hat geschrieben:Ein Begriff mit veränderlichem Inhalt ist für eine Diskussion ziemlich unbrauchbar, meinst Du nicht?
Deshalb diskutiere ich ja auch nicht über "Natur" das "Ganze" usw. -
du wolltest das machen!
Eigentlich diskutierst Du gar nicht, denn bei allem was über die Alltagspraxis hinausgeht, biegst Du wieder zum Eierkocher und Lichtschalter ab. Gewiss, man muss das nicht tun und ich würde sogar jedem der in der Gefahr steht den Boden unter den Füßen zu verlieren, raten sich erst mal ein paar Jahre genau mit den Herausforderungen des Alltags auseinanderzusetzen. Das erdet und tut gut, aber dennoch scheint es Menschen zu geben, die das Bedürfnis verspüren, mehr wissen zu wollen.
Andere steigen auf Berge oder durchstoßen andere Grenzen.
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Aha, und darum lehnst Du das Über-Ich ab?
Könnte es auch daran liegen, dass Du nicht sehr viel darüber zu sagen weißt?
Egal, ist eine spezielle Geschichte, die man nicht kennen muss.
Ich hab noch zu DDR-Zeiten drei Bände Sigmund Freud gelesen. Da war ich zwar sehr Grün hinter den Ohren und bin dann ziemlich lange mit falschen Meinungen herumgelaufen. Ich nehme bis heute jeden Kommentar zu Freuds Lehren mit Interesse auf. Das sind aber seit langem schon nur noch kritische Kommentare.
Freuds Vorstellungen vom Über-Ich sind längst nicht mehr allein maßgeblich in der Psychoanalyse.
Sie sind nicht völlig vom Tisch, aber wurden ergänzt, vor allem durch Melanie Klein, die zeigen konnte, dass das Über-Ich nicht erst in der ödipalen Phase (auch das Phasenmodell wurde kassiert) so vom 4. bis 6. LJ entsteht, sondern bereits im 1. Lebensjahr angelegt ist, durch die Art und Weise, wie das Kind seine Umwelt erlebt. Die andere Ergänzung erfuhr Freuds Modell durch Edith Jacobson, die zeigen konnte, dass sich das Über-Ich aus drei Schichten aufbaut, wiederum gemäß der Art, wie das Kind seine Mitwelt erlebt, erst willkürlich eingreifend (erste Schicht der
Verbote), dann mit der Möglichkeit ein ideales, perfektes Kind zu werden (zweite Schicht, wenn das Kind
Gebote verstehen kann) und schließlich eine realistische Schicht, die die ersten beiden ausbalanciert, so dass im besten Fall ein Fehler nicht als Untergang der Welt erlebt wird und man gleichzeitig zur realistischen Selbstkritik fähig ist und nicht grandios und perfekt bleiben muss.
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:Wie ein Vergleich aussieht? Ich vergleiche die Größe von zwei Blättern Papier, in dem ich sie genau übereinanderlege und prüfe, ob eines übersteht. Meine Erwartung ein gleichgroße Bögen ist, dass ich mit bloßem Auge keinen Unterschied wahrnehme.
Du verstehst nicht worum es geht. Du sagst, vergleichen ist, wenn man vergleicht. Das ist richtig, aber absolut nichtssagend. Über-Ich ist, wenn man das Über-Ich merkt.
.
Es gibt hoffentlich gewieftere Erwiderungen auf meine Sichtweise. Mit "nichtssagend" meinst du wohl, dass es nicht das sagt, was du hören möchtest. Das Intelligente an meiner Darstellung ist, dass ich mich auf die
Erwartung beziehe. Das entzieht der philosphischen Sophisterei den Boden. Die Brisanz von dieser Idee wurde hier leider nur noch nicht gewürdigt.
Dass eine Tautologie nichts erklärt, ist keine Sophisterei.
Komm mal runter, Du gibst doch immer den Bescheidenen.
Wenn Du an Deine Grenzen stößt, meinst Du immer, die anderen würden Deine genialen Einfälle nicht verstehen, versuch’s mal mit der naheliegenderen Deutung, dass Du da was aufzuholen hast.
Ist ja nicht schlimm, nur so lernt man, aber nicht wenn man sich dagegen sperrt.
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:ujmp hat geschrieben: Kausalität? Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss rum, und der Motor springt - wie erwartet - an. Wo kann ich dir sonst noch weiterhelfen?
Das ist also Kausalität? Da müht sich alle Welt so ab und dabei ist es so einfach.
Du hattest mich aufgefordert, auf Kausalität zu zeigen und nicht dazu zu sagen, was Kausalität ist. Ich vermute eher ein indeterministisches Universum der Propensitäten. Als Näherung im oben beschriebenen Sinn ist das Kausalitätsmodell aber praktikabel.
Das ist ein spannender Punkt, den ich gerne weiter diskutieren würde.
Wie stellst Du Dir ein indeterministisches Universum vor?
Je mehr ich darüber nachdenke, im Zuge der Willensfreiheitsdiskussion geschehen, umso weniger Raum sehe ich für den Indeterminismus.
Vor allem würde mich hier interessieren, wie Indeterminismus und Naturgesetze, die vermutlich auch Deiner Meinung nach immer und überall gelten, zusammen zu denkensind.
ujmp hat geschrieben: Vollbreit hat geschrieben:ujmp hat geschrieben:Deine Kategorisierungen klingen nicht sehr kompetent. Und wir haben hier wieder die nervige Gehaltserweiterung meiner Aussagen. Du ziehst dich immer wieder auf die Verallgemeinung meiner Aussagen zurück. Das ist ein Strohmann.
Du widersprichst Dir in einer Tour und merkst das nicht mal, kehr erst mal vor der eigenen Tür, Du prüfst doch angeblich Deine Einstellungen, viel ist davon nicht zu merken..
Du konnest mir, so weit ich sehe, keinen Widerspruch nachweisen.
Es ist vollkommen müßig irgendwem Widersprüche nachweisen zu wollen.
Du oder Ich haben auch Darth bisher nie einen einzigen Widerspruch nachweisen können, er zieht hier völlig unbeirrt (und unbeirrbar) seine Runden. Es ist auch völlig in Ordnung, dass die Psyche die eigene Sichtweise schützt, wäre man sich 24/7 all der Inkonsistenzen usw. bewusst mit denen man durchs Leben geht, das wäre kein gutes Gefühl. Nur im philosophischen Diskurs und anderen Bereichen gelten eben andere Spielregeln, da geht es sich darum, das eigene Wohlgefühl zu kultivieren, sondern hier hätte man die Chance zum Erkennntiszuwachs, wenn man sich drauf einlassen kann.
Ich glaube es ist vollkommen normal, dass man wie ein Verrückter um die Richtigkeit der eigenen Einstellungen kämpft, manche schaffen den Schritt daraus, andere nicht.
Ein innerer Indikator ist, ob Kritik – in der Sache, nicht auf die Person bezogen – als Bereicherung empfunden wird, oder eher als Angriff. Wenn Du Dich angstvoll darauf zurückziehst, dass Dir ja bisher niemand einen Fehler nachweisen konnte, dann hast Du nicht mal Popper richtig verstanden.
Dass kann Dir jeder Gläubige mit Fug und Recht auch um die Ohren hauen, Du kannst ihm nicht beweisen, dass es Gott nicht gibt und das stimmt.
Aber genau darum sind, „du kannst mir nicht das Gegenteil beweisen“ Aussagen auch so fruchtlos.
Und die Frage im Anschluss an Wittgenstein (Woran erkennst Du, dass Du „Schmerz“ richtig benennst? - Ah, hier kann ich mich sofort erfreut selbst korrigieren, ich sehe, dass Du eine eigene, lnage antwort geschrieben hast) hast Du wieder verschludert, wie Du übrigens die meisten heißen Eisen gekonnt umschiffst. Ich habe keine Lust Dir Dein Weltbild zu zerdeppern, wenn Dir das Kummer und Not bereitet, wirklich nicht, nur wer sich auf den Diskurs einlässt, muss eben auch ab und zu seine Position kritisieren lassen und jenseits aller Schmerzen und Krämpfe die es bereitet sich eigene Irrtümer und Unzulänglichkeiten einzugestehen, wartet immerhin der Lohn zu erkennen, dass Kritik bereichernd erlebt werden kann, wirklich als Geschenk.