provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Reden wir jetzt über das Prinzip oder über konkrete Zahlen? Denn wenn du argumentierst, dass bereits 1% so schlimm sind wie 75%, weil in jedem Fall dein Recht auf Eigentum verletzt wird, sind Zahlen egal, dann müssen wir erst mal über's Prinzip reden.
Ich wüsste nich wieso das eine das andre ausschließt. Wenn mir jemand unerwünschterweise ans Gesäß fasst ist das daneben, wenn auch eine andre Qualität als erzwungener Geschlechtsverkehr. Mein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird in beiden Fällen verletzt, nur in unterschiedlichem Ausmaß.
Siehst du nun einen Unterschied zwischen einer minimalen Verletzung und einer gravierenden oder nicht?
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben:Also konkrete Zahlen? Ok. Wo wäre denn deine Schmerzgrenze?
25-30% realer Belastung wär so ein Punkt, mit dem ich mich vermutlich einigermaßen anfreunden könnte.
Was könnten wir davon alles bezahlen?
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Wenn es dir zu anstrengend ist, kein Zyniker zu sein, dann ist das dein gutes Recht, aber schieb es nicht auf die Welt. Eigenständigkeit und so, solltest gerade du exzellent verstehen.
Was heißt auf die Welt schieben. Wieso ist es eigentlich nicht eigenständig wenn ich beschließe, die Welt so zu behandeln, wie sie anscheinend behandelt werden will?
Erstens ist es nicht an dir, zu entscheiden, was "die Welt" will. Überhaupt ist das eine Art kollektivistischen Denkens, die ich bei zuletzt vermutet hätte.
Zweitens ist es ein performativer Selbstwiderspruch, zu behaupten, man habe eigenständig entschieden, sei aber von der Welt mehr oder weniger zu dieser Entscheidung gezwungen worden.
provinzler hat geschrieben:Nanna hat geschrieben: Du hast, und das ist für mich Fakt, überzogene Erwartungen an Wirklichkeit und Gesellschaft, und da leicht sichtbar ist, dass die radikalen Veränderungen, von denen du träumst, nicht eintreten werden, ist die Frustration vorprogrammiert.
Wenn die Forderung nach einem Verzicht auf initierende Gewalt nun schon überzogen ist, mit welchem Recht reden wir dann eigentlich von Zivilisation?
Wo bist du denn initierender Gewalt ausgesetzt?
Darth Nefarius hat geschrieben:Stärke ist nur ein Mittel zum Zweck, genauso wie das System. Dabei passieren auch mal Fehler und kleinere Erfolge, die ich durchaus zur Kenntnis nehme - weswegen ich mir insofern nicht im Klaren bin, was genau der Unterschied zwischen deinem Standpunkt uund dem meinen sein soll (außer dass du meinst, es wären 2 unterschiedliche; in praktischer Anwendung sehe ich keinen Unterschied). Was hat es denn deiner Meinung nach für einen Nutzen, wenn die beiden bei ihren radikalen Positionen und Idealen bleiben, wenn sie dann doch nur Kompromisse eingehen sollen?
Wir sind uns beide ähnlich darin, dass wir pragmatisch denken und in einer Verhandlungssituation gehe ich davon aus, dass wir ganz brauchbare, sachorientierte Kompromisse aushandeln könnten. Wir haben aber offenbar unterschiedliche Vorstellungen davon, was ein gutes Leben ausmacht, was das Ziel persönlicher Entwicklung sein sollte und welche Prioritäten man im sozialen Umgang setzen sollte. Du repräsentierst halt eher das Sith-Denken und ich eher das Yedi-Denken.
provinzler hat geschrieben:Zielsetzungen sind nur wünschenswert, wenn sie einen Nutzen für sich und vielleicht noch für andere haben. Nur weil sie nicht von der Titte "Anarchismus" entwöhnt werden können, bedeutet es nicht, dass diese Unreife etwas erhaltenswertes darstellt. Mag sein, dass diese Erkenntnis für die ein Lebenstrauma darstellen könnte, aber darüber müssen sie hinwegkommen, wenn sie auch nur irgendeine Freude am realen Leben wollen!
Da kommen wir eben an den Punkt, wo wir unterschiedliche Ansichten haben. Ich respektiere provinzlers andere Perspektive und habe nicht das Verlangen, ihn in seiner Identität umbauen zu müssen. Wenn er sich mit gewissen Sichtweisen selbst blockiert, worin wir beide wohl einer Meinung zu sein scheinen, dann ist das zuallererst mal sein eigenes Problem und ob er das auch so sieht und ggf. ändern will, bleibt ihm überlassen. Wenn es zu seinem Charakter gehört, großes Gewicht auf die individuelle Selbstbestimmung zu legen, will ich das nicht ändern. Wer bin ich denn? Er setzt da halt andere Schwerpunkte als ich. Mein Lebensthema ist mehr Verständigung und faire, aber auch verpflichtende Regeln für starke Gemeinschaften aushandeln. Was ich versuche, ist, ihm zu helfen, eine weniger quälende Perspektive einnehmen zu können, ohne deshalb die eigenen Prioritäten verraten zu müssen.
Darth Nefarius hat geschrieben:provinzler hat geschrieben:Klar wer deine Meinung nicht teilt ist grundsätzlich unreif...
Und da soll man nicht zynisch werden...
Ich habe nicht deinen Zynismus kritisiert, sondern Nannas widersprüchlichen Liberalismus gegenüber unsinnigen Positionen. Ich hab ja schon begriffen, dass euch beiden gleich "Faschismus" aus dem Mund oder durch den Kopf schießt, wenn man den Staat nur erwähnt - aber bei ihm habe ich nicht begriffen, wieso man alles schönreden muss. Meine Deutung, dass er ein Softy ist und immer will, dass alle sich schön vertragen, scheint mir zwar bei seiner Funktion als Administrator und den bekannten Diskussionen plausibel, aber nicht befriedigend genug, um ihn nicht doch darauf anzusprechen. Ich gehe einfach wohlwollend davon aus, dass ein relativ intelligenter Mensch möglichst wenige Widersprüche in seinem Weltbild zulassen will - aber da bin ich wohl zu optimistisch.
Oder zu engstirnig.
Ich kann gut Perspektiven wechseln. Dass provinzler anders denkt als ich empfinde ich nicht als Bedrohung. Ich finde es schade, wenn er sich die ganze Zeit selbst quält, und nicht sieht, dass er einen Teil dieses Gedankengefängnisses auch selbst errichtet, indem er einen Großteil seiner Identität über seine Opposition zum Staat definiert. Es braucht manchmal eine Weile, bis man versteht, dass das, wovor man Angst hat, was man ablehnt oder was man für sein Leid verantwortlich macht, stark definiert, was für ein Selbstbild man hat und worin man seinen Zweck in der Welt sieht. Man sieht dann irgendwann auch nur noch die Aspekte, über die man sich definiert. Wer seine Identität an seiner Opposition dem Staat gegenüber festmacht, wird z.B. selbst dann, wenn der Staat die sinnvollsten Sachen mit dem Steuergeld anstellt, Schwierigkeiten haben, dieses Gute (für dich: den Nutzen) zu sehen, sondern auf die Verärgerung über die angeblich unrechtmäßige Aneignung des Geldes fixiert bleiben.
Was die Widersprüche im Weltbild angeht: Ich habe mein Weltbild über die letzten 15 Jahre so radikal und regelmäßig angepasst, dass ich mich irgendwann ganz pragmatisch vom Anspruch gelöst habe, ein vollständiges Bild der Welt erzeugen zu können. Letztlich ist meine Perspektive eh so eingeschränkt und speziell, dass die Frage für mich nicht längst mehr ist, eine
theory of everything zu haben, sondern einen sinnvollen Kompass für das Leben zu erstellen. Ich glaube, ich irritiere gerade deshalb viele hier, weil ich schnell verschiedene Blickwinkel durchschalten kann und das verbindende Element identifizieren kann, allerdings ohne mich immer konkret festzulegen. Mein großes Lebensthema ist das Öffnen von Kommunikationsräumen, wo Verbindungen zwischen unterschiedlichen Perspektiven geknüpft werden können. Dafür braucht man eine gewisse weltanschauliche Flexibilität, die Widersprüche und Graustufen aushalten kann, und das ist, glaube ich, eine meiner Stärken. So ganz privat habe ich natürlich auch meine recht klare Vorstellung davon, wie die Welt funktioniert, aber ich muss davon nicht gleich jeden überzeugen. Das Universum funktioniert, wie es funktioniert, und sollte ich einigermaßen richtig vermuten, wie es funktioniert, tut es das auch ohne, dass ich Andere davon überzeuge.
Du irrst dich übrigens in dem Punkt, dass ich will, dass sich alle vertragen. Welchen Sinn hätte ein Diskussionsforum dann? Ich habe aber den Wunsch, dass eine Diskussion vorankommt, und nicht dass man sich monatelang dieselben Argumente immer und immer wieder an den Kopf klatscht. Konstruktiver Streit ist dagegen eine feine Sache. Und klar bin ich ein Softy. Nur halt einer mit Durchsetzungskraft.