Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon ujmp » Di 23. Nov 2010, 17:36

stine hat geschrieben:
ujmp hat geschrieben:Es wäre vermutlich auch billiger, die sehr kleine Minderheit von Arbeitsscheuen hinzunehmen, als sie mit teuren Aufpassern zum Arbeiten zu zwingen (da kommt sowieso nichts Vernünftiges raus).
Um ein paar Unvermittelbare geht es doch gar nicht, die kann sich ein Land wie Deutschland locker leisten. (Vollbeschäfigung heißt auch nicht, dass 100% der Arbeitsfähigen auch arbeiten). Es geht darum, dass ein Staat es sich nicht leisten kann, Arbeit zu kreieren oder auf Billiglohn draufzuzahlen.
Arbeit die der Markt nicht hergibt, kann auch nicht bezahlt werden. Wenn man anfängt, von den eingenommenen Steuern Arbeitslöhne aufzustocken oder staatlich bezahlte Arbeitsbeschaffung zu betreiben, dann unterstützt man die Unternehmer, die dann auch im eigenen Land billig produzieren können und sich die weiten Transporte sparen.

Das sehe ich auch so. Nur leider wird die Diskussion in diese Richtung angeheizt. Man stigmatisiert Hartz-IV-Empfänger als Schmarotzer um vom eigenen politischen Versagen abzulenken. Die Sozialausgaben steigen auch nicht hauptsächlich wegen dieses Transfers. Sie steigen viel mehr wegen der Bevölkerungsentwicklung durch die Zuschüsse zur Rentenkasse.

stine hat geschrieben:Ein Zweites ist die dann notwendige Erhöhung der Steuereinnahmen, um solcherlei überhaupt bezahlen zu können. Die arbeitende Mitte fühlt sich ausgenutzt und verliert den Anreiz überhaupt noch zu buckeln.
Arbeit um der Arbeit willen ist unwirtschaftlich und kann auf Dauer nicht funktionieren.

Die Mehrheit sollte anerkennen, dass sie im Grunde dafür bezahlt, ihren Arbeitsplatz nicht teilen zu müssen. Das sehen auch sehr viele ein und sind deshalb für Sozialleistungen, auch wenn sie sie nicht selbst beanspruchen. Jedenfalls meine ich, dass man das Problem der Sozialausgaben nicht lösen kann, in dem man sie kürzt. Man muss sie überflüssig machen, in dem man Arbeitsplätze schafft. Es ist eigentlich ein Umbau der Gesellschaft notwendig.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Zappa » Di 23. Nov 2010, 18:07

Lumen hat geschrieben:Die Krankenkasse nimmt Geld ein, damit es unter den krank gewordenen wieder ausgeteilt werden kann.


Das ist nun ausgerechnet kein gutes Beispiel, da die Krankenversicherung gar keine Versicherung ist. Dies wäre sie nur beim FDP-Modell (Kopfpauschale). In Wahrheit wird hier Geld von oben nach unten verschoben, allerdings nur bis zur Beitragsbemessungsgrenze und nur für Lohneinkommen. Genauer also wird Geld von der Mitte nach oben und unten verschoben.

Ich habe aber eher prinzipiell ein Problem mit der ganzen Verschieberei von Geld (sei es von der Mitte nach unten der von unten nach oben), denn die Verschieberei an sich kostet noch Geld und ist ineffektiv (Stichwort: Bürokratie). Viele Dinge ließen sich einfacher und gerechter durch einfache Versicherungen und direkte Belastungen lösen.

So in die Richtung einheitlicher Mehrwertsteuersatz, Abschaffung aller Subventionen und Vereinfachung des Steuersystems. Ich weiß, dass ist naiv, aber man wird doch mal träumen dürfen ...
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Di 23. Nov 2010, 18:52

Zappa hat geschrieben:So in die Richtung einheitlicher Mehrwertsteuersatz, Abschaffung aller Subventionen und Vereinfachung des Steuersystems. Ich weiß, dass ist naiv, aber man wird doch mal träumen dürfen ...


… und kann weniger ausgetrickst werden. Auf der anderen Seite muss man sehen, dass die Bedeutung von Geld relativ ist. Ein einheitlicher Mehrwertssteuersatz steuert ja nix mehr. Der Sinn der Sache war einmal, Grundnahrungsmittel weniger zu belasten als Luxusgüter.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Zappa » Di 23. Nov 2010, 19:43

Lumen hat geschrieben: Der Sinn der Sache war einmal, Grundnahrungsmittel weniger zu belasten als Luxusgüter.


Weiß ich und damals hat das Sinn gemacht. Was aber macht daraus eine bürokratische Planwirtschaft sogar unter günstigsten Rahmenbedingungen (ständig wachsender Wohlstand unter Friedensbedingungen)? Ein komplexes Regelungswerk aus hunderten, sich teilweise widersprechenden Vorschriften, deren Steuerung Millionen verschlingt.

Keine Planung ohne ineffiziente Bürokratie. Und deswegen sollte man sich sehr sorgfältig überlegen, wo Planung unbedingt notwendig ist.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Di 23. Nov 2010, 20:38

Lumen hat geschrieben:Grundnahrungsmittel weniger zu belasten als Luxusgüter.
Grundbedürfnisse (= die meisten Nahrungsmittel (nicht nur Grundnahrungsmittel), Bücher, Zeitungen u.a.), wobei auch die Kunst dazu gezählt wird (die ein Luxus ist, aber damit wollte man eher die Kunst/die Künstler fördern).
Bedenken darf man dabei, dass die Mehrwertsteuer erst 1968 eingeführt wurde, vorher war es eine kumulative Allphasenumsatzsteuer. Es ist also kein Relikt aus den Zeiten tatsächlich enger Gürtel.
(Der Sinn "damals" war wohl eher simpel wie im alten Rom: Gib dem Plebs Brot und Spiele und es ist ruhig - okay, 68 war es nicht ganz ruhig, hatte aber damit nichts zu tun und zum Zeitpunkt des Beschlusses der Mehrwertsteuereinführung hat man es ja auch nicht gewusst. Aber vielleicht wäre "ohne" und nach dem Wegfall der Brotpreisbindung es noch unruhiger geworden :mg: )
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Di 23. Nov 2010, 21:15

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Grundnahrungsmittel weniger zu belasten als Luxusgüter.
Grundbedürfnisse (= die meisten Nahrungsmittel (nicht nur Grundnahrungsmittel), Bücher, Zeitungen u.a.), wobei auch die Kunst dazu gezählt wird (die ein Luxus ist, aber damit wollte man eher die Kunst/die Künstler fördern).
Bedenken darf man dabei, dass die Mehrwertsteuer erst 1968 eingeführt wurde, vorher war es eine kumulative Allphasenumsatzsteuer. Es ist also kein Relikt aus den Zeiten tatsächlich enger Gürtel.


Stimmt, Grundbedürfnisse ist das richtige Wort. Es wurden bestimmte Dinge weniger besteuert, weil damit offenbar bestimmte politische Ziele verknüpft waren. Diese Ziele sind wohl einigermaßen nachvollziehbar. Natürlich laden solche subjektiven Begriffe wie Grundbedürfnisse zu Tricksereien ein. Ich bin ich ebenfalls für eine Vereinfachung der Steuern, die auf festeren Definitionen fußen. Auch kann man darüber nachdenken, Steuern generell umzulegen und damit zu vereinfachen. Neben der Beseitigung von Schlupflöchern sehe ich aber vor allem noch einen anderen Grund. Im globalen Wettbewerb der Standorte und einer schon jetzt undurchschaubaren Wirtschaftswelt werden auch Standorte Marken werden (müssen), oder genauer die Verwaltungseinheit die Steuern/Abgaben erhebt. Ich nehme an, es wird eine ähnliche Entwicklung einsetzen wie das in der Design Geschichte bereits bei Gütern war. Als die Merkmale sich aneinander anglichen kam es auf die Marke an. Unternehmen sind letztlich von Menschen gesteuert und die können nur bestimmte Informationen verarbeiten, eine Firma wird nicht ernsthaft prüfen, ob es sich lohnt in Burkina Faso einen Standort aufzumachen. Das Image eines Landes wird bereits eine Rolle spielen, wo genauere Informationen eingeholt werden. Je näher die Eckdaten rücken oder je unüberschaubarer oder auch riskanter die Situation wird, umso eher wird eine Art der Gewohnheit und Sicherheit wichtig werden, diese wird wiederum durch Marken transportiert. Es ist daher ein Nachteil, wenn ein Land wie Deutschland vordergründig ungünstig aussieht, aber faktisch mit allem drum und dran sehr günstig wäre.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Mi 24. Nov 2010, 08:09

Zappa hat geschrieben:Ich habe aber eher prinzipiell ein Problem mit der ganzen Verschieberei von Geld (sei es von der Mitte nach unten der von unten nach oben), denn die Verschieberei an sich kostet noch Geld und ist ineffektiv (Stichwort: Bürokratie). Viele Dinge ließen sich einfacher und gerechter durch einfache Versicherungen und direkte Belastungen lösen.
Die Regeln und die regelmäßigen Ausnahmen von der Regel und die Sonderregeln und der Passierschein A38 das ist inzwischen so aberwitzig und so aberwitzig teuer, dass wir laut Bund der Steuerzahler mehr Geld für Verwaltung ausgeben, als wir dafür einnehmen. Allerdings sieht der Beamtenbund das wieder ganz anders...

Warum Sozialismus nicht funktioniert, ist mE auch ein tief psychologischer Aspekt. Nehmen wir einmal an, in einer Schulklasse bekämen die Schüler, ohne gute oder schlechte Schüler zu berücksichtigen, immer die Durchschnittsnote auf ihre Arbeiten. Die Faulen werden in ihrem Nichtstun bestätigt (na bitte, es geht doch!) und die Fleißigen werden damit regelmäßig bestraft (hab alles gewusst und doch nur eine 3,5). Wie sowas langfristig ausgeht, kann sich jeder vorstellen, der Frust der Fleißigen wächst und der Durchschnitt verschlechtert sich weiter. (Experiment an einer ungarischen Schule)
Alle Tiere, auch das Tier Mensch, sind in ihrem Tun auf Belohnung, auf Erfolg ausgerichtet; wenn der Erfolg nicht eintritt, unterbleibt die Anstrengung automatisch. Den Erfolg derer, die sich nicht anstrengen, wertet man allgemein nicht als persönlichen Erfolg. Niemand denkt: Nur weil ich fleißig bin, gehts meinem Nachbarn gut, das freut mich aber total!

Die Gesellschaft ist ein abstraktes Erfolgsmodell und weil das Tier Mensch kein staatenbildendes Insekt ist, ist der Gesamterfolg kein Ansporn für den Einzelnen. Für Steuern und für Abgaben zu arbeiten, die dann verteilt oder nicht verteilt werden (wer weiß das schon) macht für den Einzelnen keinen Sinn. Das funktioniert nur in kleineren Verbänden, wo die Anerkennung nachvollziehbar bleibt.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Zappa » Mi 24. Nov 2010, 16:58

stine hat geschrieben: Warum Sozialismus nicht funktioniert, ist mE auch ein tief psychologischer Aspekt.


Ich denke der Aspekt ist sehr wichtig und ich stimme Dir vollkommen zu.

Dazu kommt ein sehr praktische Aspekt: Ein planwirtschaftlicher Ansatz ist zwangsläufig unendlich komplex und die dafür benötigte Bürokratie unendlich groß, mächtig und die Freiheit des Individuums wird praktisch vollständig aufzuheben sein.

Unser Staat schafft es ja noch nicht einmal das Steueraufkommen zu schätzen. Jetzt kämen dazu ja noch eine vollkommene Abschätzung der Aufwendungen sowie die Auswirkungen von Einnahmen und Ausgaben auf Produktivität und Motivation der Menschen etc. pp. Das ist vollkommen absurd sowas regeln zu wollen.

Wobei noch verschärfend die systemimmanente Inneffizienz und Kostentreiberei der Bürokratie komme: Da es keine wirklich messbaren Erfolgskriterien gibt, misst sich ein Bürokrat an seinem Gehalt, der Höhe der vom ihm verursachten Ausgaben und an der Größe seiner Abteilung. Dies führt zu einem ständigen Wettkampf in Richtung noch teurerer Inneffizienz.

Man sieht das schön an der Geschichte der BRD. Vom schlanken aber aufbruchsfähigen Staat 1945 zu einem immer komplexeren, sich selbst lähmenden Bürokratiemonster 2010. Natürlich haben wir heute einen höheren Lebensstandard und mehr Sicherheit, die Einschränkung der Freiheit empfinde ich aber mittlerweile als so groß, dass das System beginnt in die falsche Richtung zu kippen.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon donquijote » Mi 24. Nov 2010, 18:43

stine hat geschrieben:Warum Sozialismus nicht funktioniert, ist mE auch ein tief psychologischer Aspekt. Nehmen wir einmal an, in einer Schulklasse bekämen die Schüler, ohne gute oder schlechte Schüler zu berücksichtigen, immer die Durchschnittsnote auf ihre Arbeiten. Die Faulen werden in ihrem Nichtstun bestätigt (na bitte, es geht doch!) und die Fleißigen werden damit regelmäßig bestraft (hab alles gewusst und doch nur eine 3,5). Wie sowas langfristig ausgeht, kann sich jeder vorstellen, der Frust der Fleißigen wächst und der Durchschnitt verschlechtert sich weiter. (Experiment an einer ungarischen Schule)
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Solche Überlegungen sind auch aus der sog. Tragic of the Commons (Garrit Hardin) bzw. der Tragik der Allmende abgeleitet worden: Wenn alle Dorfbewohner gemeinsam ein Feld bestellen, der Ertrag dann aber durch alle paritätisch geteilt wird, haben die Faulen den größten Nutzen. Diese würden sukzessive in der Zahl und Intensität zunehmen.

Ein ähnliches Problem ist das sog. Trittbrettfahrerproblem. Wenn alle für eine Fahrt mit der U-Bahn bezahlen müssen, jedoch niemand kontrolliert, wird es immer mehr Schwarzfahrer geben, da sie den größten Nutzen haben.

Deshalb noch einmal: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?
Antwort: Darum!
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Do 25. Nov 2010, 19:25

Das erscheint mir vergleichsweise trivial, oder ist ein Fehlschluss. Die Argumentation zielt nicht auf den Sozialismus, sondern auf Faulheit, oder mangelnde Konsequenzen auf faules Verhalten ab. Es enthält die Annahme, dass z.B. Leute, die auf dem Feld nicht mithelfen wollen, trotzdem den vollen Anteil abbekommen. Ich kenne die Theorie nicht gut genug um mit Sicherheit sagen zu können, dass es im Sozialismus keinerlei Konsequenzen gibt. Ich kann mir das ehrlich gesagt nicht vorstellen.

stine hat geschrieben:st mE auch ein tief psychologischer Aspekt.


In den Beispielen, die ich kenne, schien der Druck mitzumachen eher höher zu sein, weil soziale Faktoren (Gemeinschaftsgedanke) viel höher war. Die Lebensform ist anscheinend eine andere, die sich mit dem modernen Eigenbrödlertum nicht vergleichen lässt. Es ist vielleicht am ehsten mit einer Zweck-WG vergleichbar. Da können sich einzelne Mitbewohner auch nicht tagelang ausklinken. Gemeinschaftliche Aktivitäten, gemeinsam Essen und so fort ist quasi Pflicht. Wenn da jemand faul ist, tolerieren das die anderen Mitglieder nicht, sondern auch hier kommen »tief psychologische Aspekte« ins Spiel: sie werden nämlich sauer, die sich dann auch in physikalische Aspekte verwandeln können: es gibt einen Arschtritt. :D

In einer beliebigen Firma ist die Situation übrigens kein deut anders. Viele Angestellte könnten ihre Tätigkeit mehr oder weniger einstellen, auf dem Konto passiert nichts. Wenn zuviele das machen, geht die Firma in die Binsen, so wie auch das Unternehmen-Feld in die Binsen gehen würde. The End.

Ich fresse ein Besen, wann das wirklich die beste Argumentation gegen Sozialismus sein soll (nein, ich bin kein Sozialist, nur Teufels Anwalt).

Nachtrag: Der oben genannte Link zur Tragik der Allmende geht anscheinend um etwas ganz anderes.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Do 25. Nov 2010, 21:20

Lumen hat geschrieben:Es ist vielleicht am ehsten mit einer Zweck-WG vergleichbar. Da können sich einzelne Mitbewohner auch nicht tagelang ausklinken. Gemeinschaftliche Aktivitäten, gemeinsam Essen und so fort ist quasi Pflicht. Wenn da jemand faul ist, tolerieren das die anderen Mitglieder nicht, sondern auch hier kommen »tief psychologische Aspekte« ins Spiel: sie werden nämlich sauer, die sich dann auch in physikalische Aspekte verwandeln können: es gibt einen Arschtritt. :D
In einer WG kennt einer den anderen. Man lebt nebeneinander und kann sich auf die Finger schauen. Im Sozialismus lebt eine große Gesellschaft. Es ist nicht offensichtlich, wer was tut und wer nicht. Nur der Gesamthaushalt ist als Ergebnis sichtbar.

Lumen hat geschrieben:In einer beliebigen Firma ist die Situation übrigens kein deut anders. Viele Angestellte könnten ihre Tätigkeit mehr oder weniger einstellen, auf dem Konto passiert nichts. Wenn zuviele das machen, geht die Firma in die Binsen, so wie auch das Unternehmen-Feld in die Binsen gehen würde. The End.
Eben.

Und weil immer alle zielorientiert arbeiten müssen und weil jeder das nur tut, wenn er einen perönlichen Vorteil davon hat, darum funktioniert der Sozialismus auch nicht. Der Erfolg einzelner kann nicht verlustfrei verteilt werden.

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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Fr 26. Nov 2010, 00:43

Das leuchtet mir nicht ein. Auch heutige Firmen übersteigen bei weitem die Dunbar-Zahl, oder sind offenkundig größer als dass jeder jeden kennt oder jeder effektiv überwacht werden könnte. Klappt irgendwie trotzdem halbwegs. Schon aus organisatorischen Gründen müssen kleinere Einheiten gebildet werden — Teams, Abteilungen und so weiter. Auch auf Gesetze oder Regeln wird man nicht völlig verzichten und selbst wenn die Regeln bloß implizit sind, werden sie Konsequenzen haben. Jedenfalls kann ich hier kein Argument erkennen. Wenn in Wahrheit der historische Sozialismus gemeint ist, dann zielt die Argumentation auf Fehler in dessen Aufbau ab. Soweit ich weiß, gab es da einen Unterschied.

Was wäre wenn: alle Firmen der Welt würden ab morgen den jeweils dort Angestellten übergeben. Es gäbe einen Verteilungsschlüssel, also ein Punktesystem, das festlegt was jeder jeden Monat anteilsmäßig verdient. Es gibt weiterhin Abteilungsleiter, Chefs, Gebäudereiniger, Pförtner und so weiter. Die gesamten Profite der Firma, also der wirkliche Überschuss wandert in einen Topf. Wie auch jetzt, unterhält die Firma natürlich eigene Konten für das operative Geschäft, zukünftige Investitionen und so weiter. In regelmäßigen Intervallen, also wochenweise oder monatsweise wird der Topf vollkommen mittels des Schlüssels aufgeteilt. Das ist dann das Gehalt. Es ist nicht mehr konstant, sondern schwankt mitunter stark, aber jeder müsste sich dann privat eine Kriegskasse aufbauen (wow, das müsste ja der feuchte Traum der FDP sein). Auch Gehaltserhöhungen gibt es: dann bekommt der Angestellt ein paar mehr Punkte mehr (was dann aber die Profite der anderen verwässert). Die Punktemenge müsste man an die Granularität anpassen, die man braucht. Eine Abteilung könnte selbst entscheiden, ob sie weitere Mitarbeiter braucht (das würde wieder die Profite aller ein bisschen schmälern). Wichtige Entscheidungen müssten demokratisch informiert sein (kann aber immer noch einen Chef geben, der das letzte Wort hat). Wenn ein Chef sich als Kontraproduktiv erweist, also die Arbeiter und Angestellten auf ihrem Konto merken, dass High-Level Entscheidungen offenbar fruchtlos waren, hätten sie auch direkt ein Interesse diese Person auszutauschen oder gar die Firma zu wechseln (da sich Unternehmensfehler bemerkbar machen). Eine gleichgültige Haltung, gar innere Kündigung wäre unwahrscheinlich.

Vielleicht wäre das nicht mehr richtig Sozialismus (das weiß ich nicht), aber eine solche Aufteilung erschient mir auf dieser Komplexitätsstufe zumindest nicht völlig abwegig. Natürlich besteht ein System aus noch ein paar mehr Faktoren als nur eine Firma, aber soweit erstmal. Ob ich das selbst gut finde, sei mal dahin gestellt (ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher und habe auch noch nicht weiter darüber nachgedacht). Klar, das ein Wort wie Sozialismus sofort auf sächsisch im inneren Ort erschallt, mit ein wenig Fantasie kann man sich aber vom Ostblock- und DDR Mief lösen.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Fr 26. Nov 2010, 08:21

Lumen hat geschrieben:Was wäre wenn: alle Firmen der Welt würden ab morgen den jeweils dort Angestellten übergeben.
Henry Ford hat das Modell schon um 1900 so gedacht und ins Leben gerufen. Er stand mit den Gewerkschaften deswegen auf Kriegsfuß.
Sinn dieses Modells war allerdings nicht dass es allen gut ging, das war ein schöner Nebeneffekt, sondern Sinn war, dass er damit auch die Käuferschaft für seine eigene Produktion erhöhte.
Aktiengesellschaften, die einen Teil des Gehalts als Vorzugsaktien an die Mitarbeiter streuen, verfahren ebenso nach diesem Prinzip.
Allerdings haben Spekulanten und nimmersatte Vorstände das Prinzip nachhaltig zerstört.

Nochmal zur Umverteilung von erwirtschafteten Gewinnen an schlechtere Wirtschafter: Deutschlandweit ist es schon ein Aufreger, wenn schlechter wirtschaftende Bundesländer von besserwirtschaftenden am Leben gehalten werden müssen. In der Regel brüsten sich solche Schlechtergestellten noch mit ihrem Sozialtransfers, die sie leisten müssen. (Beispiel: Berlin) Künftig könnte es also soziale Bundesländer geben, die nur umverteilen, statt zu erwirtschaften, und wenn sie ein Minus schreiben, bekommen sie einen Länderausgleich aus den wirtschaftlich besser gestellten Bundesländern, die Gewinn machen. Welche Bundesländer damit keine Probleme haben werden, dürfte auf der Hand liegen.
Und die Menschen könnten dann entscheiden, in welches Bundesland sie ziehen wollen. Man könnte aufgrund ihres Wohnortes auf ihre Regsamkeit spekulieren.

Jetzt kann man das auch noch europaweit beobachten: Wer sein Land ausbluten lässt, weil er einfach keine Ideen und schlechtes Management hat, der kommt unter den "Eurorettungsschirm". Klar, wenn das immer so einfach geht, braucht sich niemand mehr anstrengen.
Das Ergebnis ist wie bereits gesagt: Der Erfolg einzelner kann nicht verlustfrei verteilt werden!

Es kommt halt darauf, mit was man sich zufrieden gibt und ob man langfristig gewillt ist, den Verlust der anderen zu tragen.
Der Frust inzwischen wächst.

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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Fr 26. Nov 2010, 12:34

stine hat geschrieben:Jetzt kann man das auch noch europaweit beobachten: Wer sein Land ausbluten lässt, weil er einfach keine Ideen und schlechtes Management hat, der kommt unter den "Eurorettungsschirm". Klar, wenn das immer so einfach geht, braucht sich niemand mehr anstrengen. Das Ergebnis ist wie bereits gesagt: Der Erfolg einzelner kann nicht verlustfrei verteilt werden!


In der Tat, doch wird wieder der Privatmensch mit einem Unternehmen oder einem Land verrührt. Der Kern der Kritik am »freien Markt«, die ich bisher vorgetragen habe geht genau in diese Richtung: er ist eine Fiktion. Die Fehler und Umstände stapeln sich bei den Menschen an der Basis. Wir sind nicht im Fußball, wo bei schlechten Ergebnissen der Trainer in Zweifel gezogen wird.
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Mo 29. Nov 2010, 08:08

Lumen hat geschrieben:Die Fehler und Umstände stapeln sich bei den Menschen an der Basis.
Aber DAS genau ist doch der Punkt: Weil der (gemeine) Mensch an der Basis (meistens) nur auf sein eigenes Wohl sieht und vielleicht noch das seiner Familie im Auge hat, kann es im Ganzen nicht funktionieren.
In einem funktionierendem Sozialismus müsste jeder sein Tun immer auf eine Ganzes ausrichten, auf eigenen Wohlstand oder Gewinnanhäufung zugunsten aller verzichten. Sich äußerlich und innerlich immer nach der Masse richten, keine privaten Zuwächse, keine Unterschiede in Kleidung und Bildung hervorheben, freiwilliger Verzicht auf irgendeine Besserstellung der eigenen Person oder der eigenen Familie, den Leistungswillen und die eigenen Fähigkeiten stets zugunsten aller, nie aber für eigenen Gewinn, einsetzen.
Der Mensch, der sowas bringt, ist ein ganz anderer, als der feststellbare, denn teilen möchte nach wie vor immer der Ärmere mit dem Reicheren, nie umgekehrt.

Wenn Reiche freiwillig teilen würden, bräuchte es keine Religionen mehr. :mg:

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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 29. Nov 2010, 09:08

Und deshalb teilen ja Bischöfe so gerne. Sie Teilen zum Beispiel mit Waisenkindern ihre Kunstwerke ...
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Mo 29. Nov 2010, 10:07

@1vonMrd: Hat irgendjemand hier behauptet, dass Kirche sozialistisch wäre?
Nein.
Im Gegenteil: Die Kirche macht vor, wie es funktioniert: Einsammeln, sich bedienen und den Rest wieder verteilen. Hierarchien schaffen, um der Vielmeinerei ein letztes Wort zu geben, durch Kopmpetenzfestlegung Verwirrung verhindern und die Masse mit geistlicher Nahrung abspeisen.
Gerade an der kirchlichen Hierarchie kann man erkennen, dass Sozialismus kein Thema ist, denn diese Struktur ist die einzige, die sich über hunderte von Jahren gehalten hat.


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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Gandalf » Mo 29. Nov 2010, 19:48

stine hat geschrieben:
Es kommt halt darauf, mit was man sich zufrieden gibt und ob man langfristig gewillt ist, den Verlust der anderen zu tragen.
Der Frust inzwischen wächst.

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Bei 4 sozialistischen + 1 Lobbypartei im Bundestag sehe ich ebenfalls "schwarz": Es wird verteilt bis alle gleich arm sind (und manche etwas gleicher)
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon Lumen » Di 30. Nov 2010, 10:52

stine hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Die Fehler und Umstände stapeln sich bei den Menschen an der Basis.
Aber DAS genau ist doch der Punkt: Weil der (gemeine) Mensch an der Basis (meistens) nur auf sein eigenes Wohl sieht […]


Das sind Strohmänner. Ferner wird jede Art von Zusammenarbeit irgendwo, irgendwie koordiniert. Dort passieren die entscheidenen Sachen. Ein Einzelner ist nur auf dem Klo und im Sarg allein. Das hier ist doch die misanthropische Rhetorik vom gierigen Einzelnen — der Dreistigkeit oberste Krone — in seiner Gier wohlmöglich sogar an der Wirtschaftskriese verantwortlich gewesen sein soll.

Natürlich verfolgt der Einzelne sein Wohl in gewissen Bahnen. Aber jede Menschengruppe die koordiniert etwas zuwege bringen will, braucht irgendeine Art der Koordination, somit Organisation, somit Regeln. Warum sollte es also keine Regeln geben?
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Re: Warum funktioniert der Sozialismus nicht?

Beitragvon stine » Di 30. Nov 2010, 13:18

Die Regeln alleine regeln nichts, wenn niemand für die Einhaltung der Regeln verantwortlich ist und sie exekutiv einfordert.
Es sind auch nicht nur die gierigen Manager, die das System Sozialismus scheitern lassen.
Als Mensch an der Basis kann ich dir aus eigener Erfahrung sagen, dass nichts von Wert ist, was nicht irgendwem in Privatbesitz gehört. Es wird an unterster Stelle gehamstert, was geht. Da werden Kopien gemacht, Kopierpapier mitgenommen, Kugelschreiber, Schnellhefter und Klammern eingesteckt, private Telefongespräche geführt, Putzmittel entwendet, Verunreinigungen hinterlassen, Müll weggeworfen, Mauern kaputt gekratzt, die Kaffeemaschine interessiert nur, solange vorne was rauskommt, (wie es hineinkommt und wer säubert ist Automation), da werden Schlüssel verschlampt, private Lebensmittel abgerechnet, in Überstunden muss die "echte" Arbeit getan werden, usw usf. Die Wenigsten fühlen sich für irgendwas verantwortlich.
Die (meisten) Menschen sind nur an ihrem eigenen Vorteil interessiert und das in jeder Schicht unserer Gesellschaft. Man kann sagen, das ist eine ureigene menschliche Eigenschaft, die dem Sozialismus per se entgegensteht.

Lumen hat geschrieben:Aber jede Menschengruppe die koordiniert etwas zuwege bringen will, braucht irgendeine Art der Koordination, somit Organisation, somit Regeln.
Und eben vor allem jemanden der für die Einhaltung dieser Regeln sorgt.
Und wer wäre das im Sozialismus? Wer hätte da die Vormachtstellung?
Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind nicht typisch menschlich. Menschlich dagegen ist: Hierarchien schaffen, eigene Vorteile ergreifen und sich abgrenzen.
Wer etwas anderes behauptet ist Optimist. :mg:

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