Hallo Nanna,
du sprichst mir mit deinem Beitrag wirklich aus der "Seele" (was immer das ist).
Ich habe es allerdings immer gerne, wenn an abstrakte philosophische Gerippe auch etwas konkretes Fleisch kommt. Vielleicht schaffe ich das ja sogar in deinem Sinne, wenn auch nur in der mir eigenen, schamlosen Art.
Dazu wollte ich mir dein Problem mit dem Wert "Freundschaft" mal vornehmen, auch um mir was von der "Seele" (s.o.) zu schreiben, denn da hatte ich just gestern ein etwas ernüchterndes Erlebnis.
Nanna hat geschrieben:Mir ist bekannt, dass es mit der Axiologie einen ganzen Philosophiezweig gibt, der sich damit beschäftigt, aber ich krieg's trotzdem nicht hin, mir klarzumachen, was z.B. der Wert Freundschaft sein soll.
Stine hat da ja durchaus schon einen wunden Punkt angesprochen:
stine hat geschrieben:Ich selbst liebe meine Freunde und muss dennoch nicht mit jedem von ihnen Sex haben.
Eine solche Tendenz gibt es tatsächlich unter Schwulen, möglicherweise inzwischen auch nicht mehr nur unter Schwulen und Lesben, sondern, heterosexuelle Veranlagung vorausgesetzt, auch in den Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts:
Die Bereitschaft, sich gegenseitig als "Freunde" nur zu erkennen, wenn man bereit ist, auch einmal ein Nümmerchen miteinander zu schieben oder wenigstens irgendwann schon einmal geschoben hat.
Es geht schon damit los: Als meinen besten Freund würde ich einen ganz bestimmten "Ex" bezeichnen, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass diese Stelle bei
ihm wiederum ein ganz anderer
seiner "Verflossenen" einnimmt.
Und: Ich tue mich sehr schwer, überhaupt Freundschaften aufzubauen und zu halten, ohne dass es da eine sexuelle Komponente gab oder gibt.
Was sind Freunde? Rein etymologisch sind das »sich an- und übereinander "Freu(e)nde"«. Konkret sind es doch wohl aber eher solche Leute, auf deren Hilfe man sich verlassen kann und denen man selbst auch gerne hilft.
Meinem bewussten "besten Freund" (unsere intime Beziehung fing vor 15 Jahren an und endete vor 12) habe ich z.B., seit ich ihn kenne, bei jedem Umzug geholfen, teilweise auch bei Umzügen seiner Freunde. Umgekehrt hat er auch bisher bei jedem meiner Wohnungswechsel mit Hand angelegt. Wenn er in Urlaub ist, gieße ich seine Blumen. Er wohnt ca 5 Km entfernt, in der Innenstadt.
Die Blumen gieße ich auch bei meinen heterosexuellen, ca. 10 Jahre jüngeren Nachbarn auf derselben Etage gegenüber, wenn die im Urlaub sind. Er wohnt schon länger in der Wohnung als ich (also mindestens 11 Jahre), sie seit ca. 8 Jahren. Sie verwickelt mich häufig in lange Gespräche an der Wohnungstür z.B., wenn wir ein Paket für den/die jeweils andere entgegengenommen haben und es später überreichen. Bis zu einem gewissen, teilweise auch recht privaten Grad lasse ich mich darauf auch gerne ein, aber oft wird es mir auch etwas lästig. Als Freunde würde ich beide (bisher) nicht bezeichnen, obwohl ich weiß, dass wir uns gegenseitig für unsere Zwecke aufeinander verlassen können. Wir siezen uns.
Letzten November ist ein anderer Schwuler in meinem Alter direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite eingezogen. Mitbekommen habe ich das aber erst vor zwei Monaten, als sein jüngerer Freund, der jetzt bei ihm eingezogen ist, mich in einem Schwulenportal anchattete und das Google-Earth-Plugin einen Abstand von 0,03 Kilometern seines Wohnsitzes zu meinem in seinem Profil anzeigte.
Mit beiden Nachbarn habe ich seitdem ein wenig über dieses Gay-Portal gechattet. Beide waren auch mittlerweile separat zum Essen hier. Den älteren hatte ich an Christi Himmelfahrt -mangels anderer gerade verfügbarer Freunde- gezielt eingeladen, um ein Photo von mir zu machen, wie ich die erste Anti-HIV-Tablette schlucke, die ich jetzt wahrscheinlich auch bis zu meinem Lebensende schlucken muss. Den jüngeren lud ich vor einigen Wochen ein, weil wir -beide Strohwitwer- zusammen in meine Stammsauna gehen wollten. Zu sexuellen Kontakten ist es weder mit dem einen noch mit dem anderen Nachbarn von Gegenüber bisher gekommen, obwohl ich den Eindruck habe, dass beide nicht abgeneigt wären.
Gestern chattet mich der ältere, der es immer noch nicht geschafft hat, mir das bewusste Photo zukommen zu lassen, mal wieder an. Ich habe euch die Chat-Korrespondenz mal hier kopiert, weil ich denke, sie sagt viel darüber aus, woran es vielleicht wirklich bei den neuen Sitten (möglicherweise nicht nur bei uns Schwulen) krankt.
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:nabend herr nachbar (Winke-Smiley)
Gernot Back hat geschrieben:Hallo [Vorname],
gehst du heute eigentlich zu den "Kölner Lichtern"?
Das Wetter lässt ja alle so unentschlossen, dass ich auch noch solo bin und letztlich auch nicht weiß, ob ich hinwill. Hinzu kommt, dass die Endveranstaltung diesmal eine Brücke weiter rheinabwärts stattfindet, was mein ganzes Konzept durcheinanderbringt!
Gruß Gernot
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:nö, da gehe ich nicht hin. bin strohwitwer heute und werde wohl gleich mal ins [einige Szenelokale in Köln] gehen...
Gernot Back hat geschrieben:Dahin wäre ich ja im Anschluss sehr wahrscheinlich auch gepilgert. Aber:
Wir finden bestimmt auch mal was Gemeinsames, von VORN HEREIN!
Lieben Gruß
Gernot
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:darauf könnte ich jetzt etwas schlüpfriges erwidern, so rattig, wie ich bin...
Gernot Back hat geschrieben:Ich bin diesbezüglich heute schon versorgt. Ich komme gerade vom Antrittsbesuch bei meinem "Schwiegervater" zurück. An seinem Sohn "arbeite" ja schon ich seit drei Jahren mit Höhen und Tiefen. Jetzt scheint es endlich etwas Ernsteres zu werden.
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:vergib mir meine neugier: ist der junior hier [in diesem Gay-Portal] auch zu sehen?
Gernot Back hat geschrieben:Ja, aber das weiß ich auch erst seit Neuestem, der treibt sich ja üblicherweise nur bei [anderes Gay-Portal] herum, was wiederum ich strikt meide.
Man kann [Vorname von Gernots Freund] sogar in der Wikipedia bewundern, was ich wohl nie schaffen werde mit meiner Kunst!
Der "Junior" ist nur knapp drei Jahre jünger als ich!
Gruß Gernot
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:der [Übersetzung des Vornamens von Gernots Freund], soso. ich hoffe, dass er seinem namen ehre macht (Grinse-Smiley)
Gernot Back hat geschrieben:Nun, ich hatte zwischenzeitlich arge Zweifel. Wie gesagt, drei Jahre "arbeite" ich schon an ihm und erst vor einem halben Jahr hat er mich in die tiefste Krise gestürzt, die schließlich im Januar dazu führte, dass ich mich nach 25 Jahren Verweigerung doch endlich HIV-testen ließ.
Er ist selbst positiv und das hat er doch gut gemacht muss ich im Nachhinein sagen, denn es war bei mir jetzt gerade die richtige Zeit, meine Blutwerte nicht noch weiter runterkommen zu lassen, was ja sonst noch übel hätte ausgehen können.
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:ab und an braucht man eben jemanden, der einem den kopf wäscht (Grinse-Smiley)
Gernot Back hat geschrieben:Ich glaube gar nicht einmal, dass [Vorname von Gernots Freund] das bewusst gemacht hat.
Jedenfalls bin ich prinzipiell in vielerlei Hinsicht eine Wellenlänge mit ihm und konnte deshalb einfach nicht verstehen, warum irgendetwas zwischen uns stehen sollte. Jetzt weiß ich es: Es war sein geklärter HIV-Status und mein ungeklärter.
Er hatte seine Blutwerte übrigens zuvor noch viel bedrohlicher runterkommen lassen, weil er zuerst jahrelang ebenso ein Test- und danach -anders als ich- sogar auch noch ein Therapie-Verweigerer war.
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:öhm... meinst du wirklich, dass mich deine oder seine blutwerte interessieren???
Gernot Back hat geschrieben:[Vorname von Gernots Nachbar]!
Es liegt mir fern, dir irgendein Thema aufdrängen zu wollen. Ich habe dir lediglich geschrieben, was mich derzeit bewegt. Wir können das in Zukunft aber auch komplett sein lassen.
Nur, weil wir in 30 Meter Entfernung voneinander wohnen, müssen wir uns ja auch nicht unbedingt auch noch in anderer als geografischer Hinsicht so eng aufeinander einlassen.
Ich bin da ganz zwanglos. Die Entscheidung überlasse ich dir!
Gruß Gernot
GernotsMitschwulerNachbar hat geschrieben:na deswegen schreibe ich das ja (Zwinker-Smiley)
So geht's mitunter ab bei unsereinem, wenn wir uns anfreunden wollen.
Ich habe meinen Nachbarn nun, anders als seinen jüngeren Freund aus der "Favoritenliste" in diesem Gay-Portal gelöscht, sodass ich nicht mehr sehe, wann er online ist. Ich könnte ihn auch noch auf die Ignorieren-Liste setzen, sodass eine Kontaktaufnahme gar nicht mehr möglich wäre, aber ich bin halt doch anders als die meisten meiner Mitschwulen und mache das nicht.
Auf Facebook habe ich auch lauter Arbeitskollegen in der Freundesliste, mit denen mich über die Arbeit hinaus nichts verbindet.
So sieht das aus. Aber ich will auch an dieser Front nun einiges in meinem Leben ändern.
Mich würde nach dieser weitschweifigen Beichte über mich und einige Mitschwule interessieren, ob auch andere Brights hier Handlungsbedarf sehen. Ich verstehe die Bewegung ja auch als dem Humanismus verpflichtet. Es ist ja wirklich nicht alles "Gold" bei "losen" Sitten.
Gruß Gernot