Zappa hat geschrieben:Die Rolle des Bundespräsidenten ist für Krisensituationen gedacht und die Konstrukteure unserer Verfassung waren Experten für politische Krisen. Man sollte es sich also sehr gut überlegen, ob man auf deren Lebenserfahrung vorlaut pfeift.
Das will ich nicht sagen, man sollte nur niemals aus der Lebenserfahrung selbst begründen und schon gar nicht irgendwie nachlässig in der stetigen Überprüfung werden oder sich dazu hinreißen lassen, etwas deswegen nicht zu hinterfragen, weil man es auf irgendeine Weise idealisiert (ob mit einem historischen Kontext, wo es vielleicht tatsächlich erstmal eine günstige Aushilfslösung war, oder auch andere Sachen).
Ich bin nicht irgendwie politisch naiv. Ich bin auch niemand, der sagt, wir brauchen eine Revolution und sofort irgendwelche radikalen Veränderungen, aber es laufen eine Menge Dinge fatal schief und wir steuern ziemlich sicher gerade auf die nächste gewaltige Krise zu und auf solch eine „Lösung“ wie letztes Mal habe ich keine Lust. Das wollte ich noch gesagt haben.
Nanna hat geschrieben:Teh Asphyx hat geschrieben:Der Themenkomplex Medien wäre schon wieder einen eigenen Thread wert. Ich finde, da lässt sich noch eine Menge mehr zu sagen.
Tu dir keinen Zwang an!
Ich muss erstmal mit den Diskussionen, bei denen ich gerade beteiligt bin, „fertig“ werden, ich komme gerade schon kaum noch nach, aber dann werde ich das machen, so wie die anderen Themen, die ich auch schon irgendwo mehr oder weniger versprochen hatte. Ich hab das auf jeden Fall noch alles im Hinterkopf.
Nanna hat geschrieben:Ja, ich denke, da sind wir uns einig. Die Medien nehmen durchaus eine Wächterfunktion ein und erfüllen diese Aufgabe auch, aber daneben haben sie eben auch eine eigene, innere und vor allem unpolitische Logik, die sich an anderen Voraussetzungen und Zielen ausrichtet als an den Bedürfnissen des parlamentarischen politischen Systems.
Was bedeutet eigentlich für Dich „politisch“ oder „Politik“ genau?
Ich kenne da inzwischen ein sehr weites Feld unterschiedlicher Definitionen und war auch das eine oder andere Mal selbst sehr überrascht, was so alles politisch sein kann.
Nanna hat geschrieben:Insofern nützt mir die Wahrscheinlichkeit hier durchaus etwas, vor allem dann, wenn meine Prüfungsmöglichkeiten beschränkt sind, was sie in der Praxis fast immer sind.
Schon, ich gehe auch von Wahrscheinlichkeiten aus, aber erstens darf das nie als Begründung dienen und zweitens halte ich es für sehr Gesund in letzter Instanz immer Skeptiker zu bleiben.
Problematisch finde ich eigentlich immer bei solchen politischen Entscheidungen, dass der Rahmen der Auswirkungen viel zu groß und abstrakt ist, als dass ich wirklich jemanden vertrauen könnte, dass er da eine Übersicht hat. Auch was die Prämissen aus dem soziologischen und psychologischen Paradigma angeht, habe ich meine Skepsis.
Ich denke zum Beispiel, dass das, was im Realsozialismus schiefging, nichts mit irgendwas, was der dahinterstehenden Theorie an sich inhärent ist, zu tun hat, sondern etwas ist, was grundsätzlich in jedem System schief gehen kann und umso schlimmere Ausmaße annimmt, je größer das System ist. Das ist für mich auch der fundamentale Unterschied zum Faschismus/Nationalsozialismus, wo eh schon angekündigt wurde, dass das, was man vorhat, nicht unbedingt gerade zum Wohle
aller führen wird (höchstens zum Wohle derer, die hinterher übrig bleiben). Anders gesagt, die Faschisten haben gesagt „Wir werden große Scheiße bauen“ und haben es auch gemacht, die Sozialisten haben gesagt „Wir werden etwas Gutes tun“ und es ging fatal schief und das ist hier ebenso wenig ausgeschlossen.
(Ich dachte mir, dass das noch hier hin kann, weil das mit der Begründung zur Existenz des Amtes und meiner Kritik daran zusammenhängt)
Nanna hat geschrieben:Generell sollte man die Fähigkeiten von Geheimdiensten nicht zu sehr überschätzen, Nordkorea ist sicherlich ein schwer zu infiltrierendes Land. Von mir aus können wir auch das in einen anderen Thread verlagern.
Gerne.
Das mit den Geheimdiensten sehe ich auch so, „nicht zu sehr“ ist auch gut formuliert, da man sie auch nicht unterschätzen sollte. Aber es gibt halt weitaus mehr Schwierigkeiten, ein kleines, geschlossenes und unvernetztes Land auszuspionieren als eines, das internationale Kontakte unterhält.
Nanna hat geschrieben:Ok, mein Fehler. "Funktionieren" meine ich in dem Zusammenhang in dem Sinne, dass es "gute" Ergebnisse produziert. Was ich unter guten Ergebnissen verstehe, deckt sich im weitesten mit dem, was unter
good governance verstanden wird.
Ansonsten hast du natürlich recht.
Okay, alles klar.
Nanna hat geschrieben:Wie schon in anderen Threads: Was passiert anschließend? Auch das könntest du gerne mal in einem eigenen Thread darstellen. Von mir aus auch einfach nur brainstormen, was dir so vorschweben würde, es muss ja noch nichtmal konsistent ausgearbeitet sein. Ich kann mir einfach nur extrem schwer vorstellen, wie gesellschaftliches Zusammenleben ohne Rechtssicherheit, eine Verwaltung und Verhandlungsinstitutionen funktionieren soll.
Okay, das muss nur auch noch ein klein wenig warten (siehe oben).
Nanna hat geschrieben:Dass du es nicht verstehst, habe ich dir auch nicht unterstellt und dass dieser Punkt für dich nicht relevant war, war nicht als gezielter Ausschluss gedacht, sondern nur als Hinweis, dass sich das Folgende sich an diejenigen richtet, die sich um die inneren Abläufe des Systems sorgen. Wenn ich mir vorstelle, ich wäre ein Kardinal, warum sollte ich einen Atheisten mit der Frage behelligen, ob die Kirche grün oder blau dekoriert werden soll, wenn der sowieso dafür ist, dass die Kirche abgerissen wird?
(Was das in den Klammern angeht: Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das als Kritik oder Kompliment auffassen soll; vor allem, weil es nun wirklich nicht so ernst gemeint war)
Sorry, ich hab hier etwas überreagiert, weil ich gerade etwas genervt davon war, dass mir gerade an allen Stellen irgendwie unterstellt würde, ich sei zu naiv, jung o.ä. und man müsse mich deshalb nicht ernst nehmen.
Trotzdem bin ich mir bei Dir manchmal echt nicht sicher, ob Du nicht durch die Blume doch ganz schön austeilst.
Um die Frage mit dem Kardinal aber noch zu beantworten: Der Atheist könnte auch einsehen, dass er den Konflikt nicht löst, indem er die Kirche abreißt, sondern um sich verständigen zu können, sich auch auf die Weltsicht des Kardinals einlassen muss, damit er überhaupt erwarten kann, dass der Kardinal sich auf ihn einlässt und vielleicht wäre die mögliche Wirkung einer bestimmten Farbe auf die Gemeinde ein guter Punkt, um eine Verständigung aufzubauen und der Kardinal wird vielleicht überrascht sein, dass der Atheist sich auch Gedanken über Zwischenmenschliches machen kann.
Nanna hat geschrieben:Dinge, die Nachteile bedeuten, werden selektiert, aber Dinge, die einfach nur da sind, können genausogut erhalten bleiben, weil kein Selektionsdruck besteht.
Das stimmt so nicht. Auch Nachteile bleiben oft genug erhalten, solange ein Lebewesen überlebensfähig ist. Bei Elefanten überwiegen die Nachteile sogar fast. Das gleiche gilt auch für politische Systeme, die können auch voller Lücken und Fehler sein und sich sehr nachteilig gestalten, trotzdem dabei in irgendeiner Weise überlebensfähig sein und das zum Leidwesen der Menschen, die dadurch beeinträchtigt sind. Womit ich jetzt nicht sagen will, dass das Amt des Bundespräsidenten solch ein Leid auslöst.
Nanna hat geschrieben:Der Widerspruch würde bestehen, falls dieser Modus der Krisensicherung sich als ineffektiv erwiesen hätte - hat er aber bisher nicht. Baust die Notbremse irgendwo aus, nur weil man sie für Jahre noch nie gebraucht hat?
Es geht ja nicht darum, irgendwas einfach auszubauen, sondern Du sprachst ja von einer alternativen Lösung. Ich würde schon etwas effizienteres in Betracht ziehen, das mir die gleichen Sicherheiten bietet, jetzt auf die Notbremse bezogen, finde den Vergleich aber auch schwierig, weil es doch recht verschiedene Dinge sind, die hier verglichen werden (vor allem in ihrer Komplexität).
Nanna hat geschrieben:Das mit der weisen Vorausplanung ist so eine Sache. Die Zukunft lässt sich halt nicht vorhersehen.
Jedenfalls nicht sicher, das sehe ich genauso.
Nanna hat geschrieben:Politiker entscheiden unter den Bedingungen enormer Unsicherheit (fehlende Information bzw. unstrukturierte Information), Ambivalenz (Nebeneinander widersprüchlicher Anforderungen), Ambiguität (damit ist keiner der vorangehenden Begriffe gemeint, sondern, dass a) das zu lösende Problem nicht klar erkannt ist und seine Definition vage ist und sich laufend verschiebt, b) es mehrere (gleichwertige) Möglichkeiten gibt, das Problem anzugehen und c) mehr Information die Ambiguität nicht reduziert) und vor allem unter Zeitdruck (und das ist nicht so trivial! Wenn das metaphorische Haus brennt aka der Planet sich aufheizt oder die Zahl der Verkehrstoten rapide steigt, kann man nicht zwei Jahrzehnte diskutieren, bis alle mal ihren Senf dazugegeben haben).
Das Problem, das ich hier zwischen uns beiden heraufziehen sehe, ist, dass wir einen gewaltigen Dissens darüber haben, was Probleme verursacht. Ich habe den Eindruck, du siehst das politische System als massiven Verursacher von Problemen, während ich die Problemursachen anderswo verorte (simplifiziert: im Leben an sich) und das politische System als zwar unvollkommenes, aber relativ gut funktionierendes Problemlösesystem ansehe. Da werden wir Schwierigkeiten haben, zu einer Verständigung zu finden.
Das klingt mir ein wenig nach dem Leviathan-Argument von Hobbes. Das Problem ist hier auf jeden Fall genauso, dass Du aus dem schon existierenden Staat heraus auf das Leben an sich schließt (bei Hobbes ist es der Naturzustand), was ich auch im „Ursachen …“-Thread angemerkt habe. Ich gebe zu, dass ich nicht weiß, wie das „Leben an sich“ überhaupt aussieht, ich bezweifle sogar, dass es das überhaupt gibt. Aber das sparen wir uns auch lieber für den anderen Thread.
Nanna hat geschrieben:Ich mag das nationale Zeug auch nicht. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin ein großer Fan des staatlichen Systems, aber kein Fan des Nationalstaats. Ich denke aber trotzdem, dass man damit ein wenig von dem abfangen kann, was da "im Volk" so gärt und der Bundespräsident ist halt nun wirklich harmlos.
Wie stellst Du Dir staatliches System ohne Nationalstaat vor? Das klingt auf jeden Fall interessant.