ganimed hat geschrieben:Gerade heute wieder in meinem Lieblingspodcast "Braincast" gehört, wo es um "Borderline" ging. Irgendein Frontal-Lappen (Namen habe ich vergesssen) ist immer dann beteiligt, wenn der Mensch ein schlechtes Gefühl bei einer Sache hat. Hier war es ein Borderline-Patient, der bei einem Vertrauensspiel ein ungutes Gefühl hatte. Dieser Lappen könnte also ein wichtiges Puzzlestück sein bei der Frage, was ist eigentlich die objektive Beschreibung eines "schlechten Bauchgefühls"?
Ja, sicher ist es möglich da an bestimmte Daten zu kommen.
Aber das eine oder andere Gefühl objektiv darzustellen, bzw. Parameter zu finden, die auf dieses Gefühl verweisen, ist ja eine altbekannte Sache: Hautwiderstand, Pupillengröße, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck und mit Sicherheit auf bestimmte Hirnareale liefern da Hinweise, man sollte aber diese Hinweise davon trennen, ein präzise Sprache zu haben.
Kennst Du Paul Ekman? Ekman objektiviert auch. Er kümmert sich um Mikroemotionen. Unwillkürliche Gesichtsausdrücke die für einen kurzen Moment unser wahres emotionales Empfinden spiegeln, bevor sich unsere gespielte Fassade wieder drüberlegen kann.
Kann man lernen, wenn man weiß, worauf man achten muss und Ekman hat es gelernt. Das hat ihm irgendwie den Ruf eines Dämons eingebracht, der Gedanken lesen kann.
Er hat’s auch nach allen Regeln der Kunst haarklein dokumentiert.
Eines weiß er aber auch sehr genau, nämlich, wo die Grenzen liegen. Er beschreibt in dem Buch „Ich weiß, dass du lügst“ sehr genau die Schlüsse, die man aus solchen Daten ziehen kann und darf und er beschreibt, wo die Grenzen liegen.
Und es gibt andere Systeme: Alexander Lowen und sein Team, haben es geschafft, anhand eines simplen Bogenstandes, durch den sich die Körperspannungen bestimmter Regionen ablesen lassen, psychische Erkrkankungen zu diagnostizieren. Wollte keiner glauben, auf einem Seminar unter Fachkollegen machte man den Test, dem Team wurden fremde Patienten vorgestellt, von denen die Diagnose bekannt war und Lowen und Co. hatten die richtige Diagnose tatsächlich „auf einen Blick“.
In psychosomatischen Richtungen geht man ebenfalls so vor, dass man analog schließt, in manchen Systemen über die Symptome im engeren psychosomatischen Sinne hinaus. Denn wie jemand geht, spricht, schaut, sitzt, sich kleidet… alles sagt ja etwas über ihn aus. Man muss nur wichtig und unwichtig trennen.
Die Psychoanalytiker der neuen Generation (die der Objektbeziehungstheorie folgen) sind darauf trainiert, die Gegenübertagung (die Summe der Eindrücke, die der Patient beim Therapeuten/Analytiker hinterlässt) zu deuten und können so bestimmte Muster aufdecken.
Das kann man fraglos auch mit Hirnscans, wenn man weiß, was man damit sehen kann und was nicht. Affektstürme, die beim Borderliner zum Krankheitsbild gehören, diagnostizieren zu können, ist ja schon mal was, aber unsere Emotionen sind ja recht simpel und es geht bei der Behauptung um nicht weniger, als die Gedanken eines Individuums also eines Einstein über Physik, eines Rawls über Gerechtigkeitsphilosophie, eines Karajan über Musik darstellen zu können.
Man weiß aber noch nicht mal gesichert, ob jemand bei einer Aussage lügt, oder nicht.
Denn emotionale Erregung bei der Frage, nach einem Mord, würde ich wohl auch empfinden, wenn ich wüsste, dass alles von diesem Test abhängt und da sind Fehler eben nicht gesichert auszuschließen. Dies alles in ausführlich beschreibt Ekman, vielleicht könnte Dich das Taschenbuch weiter bringen.
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Ich behaupte hier nicht – da es sich um einen prinzipiellen Einwand handelt – dass das technisch nicht geht.
Das verstehe ich nicht. In meiner Welt ist ein prinzipieller Einwand stärker als ein technischer.
Ja, in meiner auch.
ganimed hat geschrieben:Will sagen: es kann sein, dass es prinzipiell geht aber technisch nicht. Umgekehrt kann es meiner Ansicht nach nicht sein. Wenn etwas technisch geht dann immer auch prinzipiell.
Ja, aber man kann ja so tun als ob.
Ist wie mit dem Gedankenspiel des Kompatibilismus. (Will ich jetzt nicht inhaltlich drauf einsteigen.)
Weder weiß irgendwer, ob die Welt durch und durch determiniert ist, noch kann man eine göttliche Perspektive einnehmen, die all die „Kausalfäden“ entwirren und lesen kann.
Dennoch kann man davon ausgehen, dass es für so sein könnte und sich fragen, was daraus folgen würde.
ganimed hat geschrieben: Vollbreit hat geschrieben:Nehmen wir also an, es ginge. Mein Empfinden, sei bis ins letzte Fitzelchen objektivierbar. Wer soll nun eigentlich mit diesen Daten etwas anfangen?
Die einzige Anwendung, die dir einfällt, scheint zu sein, dass man das objektiv beschriebene Erleben wieder in ein subjektiv erlebtes Erleben zurücktransferiert, irgendwie. Dass ich also mit dieser Methode das erlebe was du erlebst. Und dann konstruierst du den weit hergeholten Einwand, dass dieses Nach-Erleben ja niemals ganz echt sei, oder wenn es ganz echt sei ich dabei mein Ich verlöre.
Genau.
ganimed hat geschrieben:Gegenargument 1) es gibt ja auch andere Anwendungen:
1 a) Simulation: ich lasse einen Computer dein Denken simulieren. Dein Einwand stimmt: der Computer kann ohne Körper nicht wirklich alles simulieren. Aber entweder ich simuliere einen Körper dazu (mehr oder weniger komplett) oder ich simuliere eben nur Gedanken und Emotionen ohne neuen Input.
Gut, aber wer weiß dann was genau über mich?
Die objektiven Daten wollen ja keine Parallelwelt schaffen, sondern Erkenntnisse generieren.
ganimed hat geschrieben:1 b) Verständnis: ich simuliere gar nichts, sondern verstehe endlich, welches Hormon wo fehlt, wenn der Patient Angst vor Widerspruchsargumenten hat.
Das ist der zweite Schritt vor dem ersten. Du unterstellst in dem Beispiel, dass meine Weltsicht pathologisch ist und versuchst zu heilen, bevor die Krankheit überhaupt als solche festgeschrieben ist.
Beispiel: Dopamin steht neurobiologisch in einem engen Zusammenhang mit dem Erkennen von Mustern. Parkinsonpatienten, die entweder zu wenig Dopamin herstellen können oder zu wenig oder geschädigte Rezeptoren haben, habe große Schwierigkeiten Neues zu behalten. Kinder die wenig Dopamin haben, lernen schlechter, können ebenfalls Prinzipien weniger gut , Muster erkennen.
Am anderen Ende des Spektrum stehen Halluzinationen die u.a. dann auftauchen, wenn der Körper zu viel Dopamin zugeführt bekommt. Man sieht dann Muster und Zusammenhänge die gar nicht da sind und nichts anderes ist ein Kriterium der Paranoia. Überall sieht man geheime Muster und Zusammenhänge, auch da wo eben keine sind.
Oder anders gesagt: Wo andere keine sehen.
Und genau hier wird es kompliziert. Wo genau ist die Grenze zur Pathologie?
Klar, wenn mich Monster verfolgen, die niemand sieht, der Fernsehsprecher mir geheime Zeichen gibt, die mich vor der Weltverschwörung von Al Kaida und dem Papst warnen sollen, dann steht der Verdacht im Raum, dass da was nicht stimmt.
Aber wusstest Du, dass es bei Mathematikern überdurchschnittliche viele Schizophrene gibt (und psychotische Paranoia ist eine Untergrupe der Schizophrenie)? Die sehen, mindestens mal statistisch, auch Muster, wo keine sind. Bzw., wo andere keine sehen. Aber sind sie deshalb schon gaga? Genau deshalb sind sie ja gute Mathematiker. Die sehen was, was andere nicht sehen, nicht erkennen können. Und ein anderes Kriterium für Pathologie haben wir gar nicht. Wenn ich einen strahlend schönen Engel sehe, aber außer mir niemand, habe ich eine Halluzination. Warum?
Weil ihn außer mir niemand sieht. Wenn ich einen Zusammenhang sehe, den sonst keiner sieht, bin ich suspekt, wenn ich ihn öffentlich mache.
Das differenziertere Kriterium ist darum auch, ob ich verstehen kann, dass es anderen merkwürdig vorkommen muss, dass ich diese Gedankenhabe oder Dinge sehe, die andere nicht sehen. Ist das gewährleistet, bin ich nicht psychotisch. Also Vorsicht mit Pathologiesierungen und „Heilungen“ von Bewusstseinszuständen. Wenn Du mal siehst, welche Geistesgrößen, die wir heute verehren, salopp gesagt schwer einen an der Waffel hatten und zwar quer durch en Garten: Politiker, Künstler, Philosophen, Wissenschaftler, Du würdest vermutlich staunen.
Die alle gesund zu normieren, hieße der Welt viele Erkenntnisse und Impulse zu nehmen.
Was da richtig und falsch ist, wo die Grenze liegt, sagt einem niemand, es gibt keine Normwert für Dopamin, in dem Sinne, dass man sagt, dass es hier pathologisch wird. Obendrein ist Dopamin einer einer von 15 oder mehr Neurotransmittern, deren Wirkung und vor allem Wechselwirkungen mit den anderen Neurotransmittersystemen höchstens in groben Ansätzen erforscht ist.
ganimed hat geschrieben:1 c) Nachbau: ich kann mit der objektiven Beschreibung bestimmt ganz passable künstliche Intelligenzen im Computer programmieren
Das Deutungsproblem umgehst Du damit aber nicht.
Nehmen wir an, Du würdest alle meine und Deine Daten in einen Computer runterladen (übrigens ist diese Methoden grausam gescheitert, bei den Programmierern. Das waren die feuchten Träume eines Frank J. Tipler, ein honoriger Physiker und grauenhafter Reduktionist. Ganz wissenschaftlich hat er seinem Buch „Die Physik der Unsterblichkeit“ – kruder, szientistischer Unsinn – 150 Seiten Formeln angehängt die „beweisen“ sollten, dass er richtig gerechnet hat. Das Problem, dieser Ansatz, Wissen und Fähigkeiten von oben zu programmieren, ist gnadenlos gescheitert. Nicht an der nächsten größten Primzahl, sondern daran, einen Arm in dunkelblauem Hemd von der Sofalehen auf der er liegt zu unterscheiden.) und dann ganimed und Vollbreit diskutieren über Hirnforschung ablaufen lassen, dann würdest Du ja nur unsere Welt wiederholen.
Du könntest vielleicht sehen, wie die Diskussion ausgeht, aber was wäre an Wissen gewonnen? Abgesehen mal von den chaotischen Systemen und den minimal anderen Anfangsbedingnungen…
ganimed hat geschrieben:Gegenargument 2) selbst wenn das Nacherleben nicht 100% klappt und klappen kann, so what?
Wenigstens klappt es ein wenig. Und das ist doch schon toll. Es ist doch abstrus zu argumentieren, dass man dein Denken nicht objektiv beschreiben kann, weil man diese Beschreibung bei einer bestimmten Anwendung nicht optimal nutzen kann. Die Beschreibung ist jedenfalls doch da, sagst du ja selbst.
Ja, im Gedankenexperiment.
Aber in der Realität auch? Darum ging es.
Aber gesetzt, sie wäre da: Wer hat genau was davon, wenn man es nicht auswerten kann?
Denn, wie man es auswerten soll, da kommt ja dann doch wieder ein bewusstes Wesen ins Spiel.
Und dann kommt man in die Problematik rein, die ich skizzierte.
ganimed hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Entweder als Schrift, dann käme heraus, dass ein schreckhaftes „Huch“ als Zeichenfolge „§&§=((=“ objektiviert werden kann, was ein schreckhaftes „Huch“ bedeutet. Dann sind wir, wo wir waren.
Oder man lässt Dich mein Huch-Erleben direkt erleben und wir sind beim oben skizzierten Problem.
Der Computer könnte der Beobachter sein (wie oben in den Anwendungen (a) und (c) skizziert.
Schön, aber Computer wissen nichts. Schon gar nicht, wie ein Subjekt empfindet.
Würde er auf einer anderen als organischen Basis Bewusstsein entwickeln – was ich mir übrigens sehr gut vorstellen kann –, bestünde wieder das Empathieproblem. Kann der wirklich empfinden, wie ich? Oder anders: Wenn der alle meine Daten hat, weiß der dann genau wie ich empfinde? Das ist das Qualiaproblem. Gibt es eine prinzipielle Differenz des Wissens über einen Zustand und dem Erleben des Zustandes. Ist eine schwieirge Debatte und kommt drauf an, wie man Wissen definiert.
„Mary Mary, quite contrary.“ (Ist von Dennett)
ganimed hat geschrieben:Der braucht keine höchst verlustbehaftete Rückübersetzung von „§&§= nach "Huch".
Nee, aber wenn er empfindet, dann
ist er selbst ein Subjekt (ab einem bestimmten Niveau).
Empfindet er nicht und ist nur eine doofe Blechdose, die mich zwar bei Schach nass macht und an deren Faktenwissen ist nicht ranreichen kann, aber woher sollte das Ding wissen, was subjektives Erleben für mich (oder sonst wen) ist?
Selbst wenn man rausfindet, bewusstes Erleben ist in der Neurosprache der Zukunft die Darstellung „?%§(%“, ja was dann? Dann kann man prüfen, ob jemand bewusst ist, nämlich immer, wenn bei der Analyse diese Zeichenfolge dargestellt werden kann. Aber weiß man besser als heute, was Bewusstsein ist? Wenn ja, warum?
ganimed hat geschrieben:Oder ein Wissenschaftler schaut sich 3 Jahre lang das „§&§= an und kommt dann zu einer neuen Erkenntnis, ruft selber "Huch" und weiß endlich, welches Hormon fehlt wenn jemand hm hm hm...
Warum fehlt? Warum sollte eine normale Reaktion etwas sein, was behandlungsbedürftig ist?
Muss man Gähnen, Laufen und Lesen auch behandeln?
ganimed hat geschrieben:Fazit: ich kann deine prinzipiellen Probleme mit der Objektivität nicht ganz nachvollziehen. Und wenn du keine technischen Grenzen siehst, eine objektive Sprache zu finden, verstehe ich noch nicht, wo denn dann das Problem liegt?
Doch, Du kannst das eigentlich ganz gut nachvollziehen.
Den Feinheiten kommen wir ja vielleicht näher.