Verlangt Diskurs nach Resultat?

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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Nanna » Di 23. Okt 2012, 00:22

Lumen hat geschrieben:Versetzen wir uns nicht ständig in andere Personen, und sind diese Sichtweisen nicht genauso echt, wie die, die wir "ich" nennen?

Ich glaube nicht, dass jemand hier leugnet, dass diese Sichtweisen bzw. Erfahrungen echt sind. Der Knackpunkt, um den es geht, ist der, ob diese Sichtweisen objektivierbar sind. Und da sagt Vollbreit meines Erachtens völlig zu Recht "nein".
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Lumen » Di 23. Okt 2012, 01:32

Wenn ich kurzzeitig Vollbreit's Gedanken vollständig emulieren könnte (statt nur teilweise, wie Menschen es routinemäßig tun), würde ich bestimmte Dinge durchmachen, die ich auf einem Zettel schreiben könnte. Dann könnte Ganimed dies wiederholen und dürfte dann die gleichen Dinge durchmachen, und sein Zettel wäre mit meinem identisch. Das wäre ziemlich objektiv. Der Vorgang im Schädel unterscheidet sich wahrscheinlich nicht grundlegend von den Dingen, die sonst so im Universum passieren. Ob ich das Ganze nun "von innen" erlebe, oder von außen ein Konnektom in seinem gegenwärtigen Zustand beschreibe, spielt keine Rolle. Falls doch, müsste das viel eher belegt werden.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Nanna » Di 23. Okt 2012, 02:11

Lumen hat geschrieben:Ob ich das Ganze nun "von innen" erlebe, oder von außen ein Konnektom in seinem gegenwärtigen Zustand beschreibe, spielt keine Rolle.

Ich halte eigentlich nichts von Anwendung von Gewalt in Diskussionen, aber dürfte ich dir freundlicherweise einen Nagel in den Fuß rammen, um dir den Unterschied ein wenig anschaulicher zu machen? ;-)

Lumen hat geschrieben:Falls doch, müsste das viel eher belegt werden.

Aber darüber, dass eben genau das nicht geht, reden wir doch die ganze Zeit... und eigentlich sollte für dich als jemanden, der qualitativ empfindet (Qualia-Erlebnisse hat) auch selbstevident sein, dass zwischen "Au, fuck, Nagel im Fuß" *schrei* und "Kuck mal, der Lumen hat 'nen Nagel im Fuß." ein Unterschied besteht, insbesondere, wenn man an der Stelle Lumen ist.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 09:26

ganimed hat geschrieben:Gerade heute wieder in meinem Lieblingspodcast "Braincast" gehört, wo es um "Borderline" ging. Irgendein Frontal-Lappen (Namen habe ich vergesssen) ist immer dann beteiligt, wenn der Mensch ein schlechtes Gefühl bei einer Sache hat. Hier war es ein Borderline-Patient, der bei einem Vertrauensspiel ein ungutes Gefühl hatte. Dieser Lappen könnte also ein wichtiges Puzzlestück sein bei der Frage, was ist eigentlich die objektive Beschreibung eines "schlechten Bauchgefühls"?


Ja, sicher ist es möglich da an bestimmte Daten zu kommen.
Aber das eine oder andere Gefühl objektiv darzustellen, bzw. Parameter zu finden, die auf dieses Gefühl verweisen, ist ja eine altbekannte Sache: Hautwiderstand, Pupillengröße, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck und mit Sicherheit auf bestimmte Hirnareale liefern da Hinweise, man sollte aber diese Hinweise davon trennen, ein präzise Sprache zu haben.

Kennst Du Paul Ekman? Ekman objektiviert auch. Er kümmert sich um Mikroemotionen. Unwillkürliche Gesichtsausdrücke die für einen kurzen Moment unser wahres emotionales Empfinden spiegeln, bevor sich unsere gespielte Fassade wieder drüberlegen kann.
Kann man lernen, wenn man weiß, worauf man achten muss und Ekman hat es gelernt. Das hat ihm irgendwie den Ruf eines Dämons eingebracht, der Gedanken lesen kann.
Er hat’s auch nach allen Regeln der Kunst haarklein dokumentiert.

Eines weiß er aber auch sehr genau, nämlich, wo die Grenzen liegen. Er beschreibt in dem Buch „Ich weiß, dass du lügst“ sehr genau die Schlüsse, die man aus solchen Daten ziehen kann und darf und er beschreibt, wo die Grenzen liegen.

Und es gibt andere Systeme: Alexander Lowen und sein Team, haben es geschafft, anhand eines simplen Bogenstandes, durch den sich die Körperspannungen bestimmter Regionen ablesen lassen, psychische Erkrkankungen zu diagnostizieren. Wollte keiner glauben, auf einem Seminar unter Fachkollegen machte man den Test, dem Team wurden fremde Patienten vorgestellt, von denen die Diagnose bekannt war und Lowen und Co. hatten die richtige Diagnose tatsächlich „auf einen Blick“.

In psychosomatischen Richtungen geht man ebenfalls so vor, dass man analog schließt, in manchen Systemen über die Symptome im engeren psychosomatischen Sinne hinaus. Denn wie jemand geht, spricht, schaut, sitzt, sich kleidet… alles sagt ja etwas über ihn aus. Man muss nur wichtig und unwichtig trennen.

Die Psychoanalytiker der neuen Generation (die der Objektbeziehungstheorie folgen) sind darauf trainiert, die Gegenübertagung (die Summe der Eindrücke, die der Patient beim Therapeuten/Analytiker hinterlässt) zu deuten und können so bestimmte Muster aufdecken.

Das kann man fraglos auch mit Hirnscans, wenn man weiß, was man damit sehen kann und was nicht. Affektstürme, die beim Borderliner zum Krankheitsbild gehören, diagnostizieren zu können, ist ja schon mal was, aber unsere Emotionen sind ja recht simpel und es geht bei der Behauptung um nicht weniger, als die Gedanken eines Individuums also eines Einstein über Physik, eines Rawls über Gerechtigkeitsphilosophie, eines Karajan über Musik darstellen zu können.
Man weiß aber noch nicht mal gesichert, ob jemand bei einer Aussage lügt, oder nicht.
Denn emotionale Erregung bei der Frage, nach einem Mord, würde ich wohl auch empfinden, wenn ich wüsste, dass alles von diesem Test abhängt und da sind Fehler eben nicht gesichert auszuschließen. Dies alles in ausführlich beschreibt Ekman, vielleicht könnte Dich das Taschenbuch weiter bringen.


ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ich behaupte hier nicht – da es sich um einen prinzipiellen Einwand handelt – dass das technisch nicht geht.

Das verstehe ich nicht. In meiner Welt ist ein prinzipieller Einwand stärker als ein technischer.


Ja, in meiner auch.

ganimed hat geschrieben:Will sagen: es kann sein, dass es prinzipiell geht aber technisch nicht. Umgekehrt kann es meiner Ansicht nach nicht sein. Wenn etwas technisch geht dann immer auch prinzipiell.


Ja, aber man kann ja so tun als ob.
Ist wie mit dem Gedankenspiel des Kompatibilismus. (Will ich jetzt nicht inhaltlich drauf einsteigen.)
Weder weiß irgendwer, ob die Welt durch und durch determiniert ist, noch kann man eine göttliche Perspektive einnehmen, die all die „Kausalfäden“ entwirren und lesen kann.
Dennoch kann man davon ausgehen, dass es für so sein könnte und sich fragen, was daraus folgen würde.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Nehmen wir also an, es ginge. Mein Empfinden, sei bis ins letzte Fitzelchen objektivierbar. Wer soll nun eigentlich mit diesen Daten etwas anfangen?

Die einzige Anwendung, die dir einfällt, scheint zu sein, dass man das objektiv beschriebene Erleben wieder in ein subjektiv erlebtes Erleben zurücktransferiert, irgendwie. Dass ich also mit dieser Methode das erlebe was du erlebst. Und dann konstruierst du den weit hergeholten Einwand, dass dieses Nach-Erleben ja niemals ganz echt sei, oder wenn es ganz echt sei ich dabei mein Ich verlöre.


Genau.

ganimed hat geschrieben:Gegenargument 1) es gibt ja auch andere Anwendungen:
1 a) Simulation: ich lasse einen Computer dein Denken simulieren. Dein Einwand stimmt: der Computer kann ohne Körper nicht wirklich alles simulieren. Aber entweder ich simuliere einen Körper dazu (mehr oder weniger komplett) oder ich simuliere eben nur Gedanken und Emotionen ohne neuen Input.


Gut, aber wer weiß dann was genau über mich?
Die objektiven Daten wollen ja keine Parallelwelt schaffen, sondern Erkenntnisse generieren.

ganimed hat geschrieben:1 b) Verständnis: ich simuliere gar nichts, sondern verstehe endlich, welches Hormon wo fehlt, wenn der Patient Angst vor Widerspruchsargumenten hat.


Das ist der zweite Schritt vor dem ersten. Du unterstellst in dem Beispiel, dass meine Weltsicht pathologisch ist und versuchst zu heilen, bevor die Krankheit überhaupt als solche festgeschrieben ist.

Beispiel: Dopamin steht neurobiologisch in einem engen Zusammenhang mit dem Erkennen von Mustern. Parkinsonpatienten, die entweder zu wenig Dopamin herstellen können oder zu wenig oder geschädigte Rezeptoren haben, habe große Schwierigkeiten Neues zu behalten. Kinder die wenig Dopamin haben, lernen schlechter, können ebenfalls Prinzipien weniger gut , Muster erkennen.
Am anderen Ende des Spektrum stehen Halluzinationen die u.a. dann auftauchen, wenn der Körper zu viel Dopamin zugeführt bekommt. Man sieht dann Muster und Zusammenhänge die gar nicht da sind und nichts anderes ist ein Kriterium der Paranoia. Überall sieht man geheime Muster und Zusammenhänge, auch da wo eben keine sind.

Oder anders gesagt: Wo andere keine sehen.
Und genau hier wird es kompliziert. Wo genau ist die Grenze zur Pathologie?
Klar, wenn mich Monster verfolgen, die niemand sieht, der Fernsehsprecher mir geheime Zeichen gibt, die mich vor der Weltverschwörung von Al Kaida und dem Papst warnen sollen, dann steht der Verdacht im Raum, dass da was nicht stimmt.
Aber wusstest Du, dass es bei Mathematikern überdurchschnittliche viele Schizophrene gibt (und psychotische Paranoia ist eine Untergrupe der Schizophrenie)? Die sehen, mindestens mal statistisch, auch Muster, wo keine sind. Bzw., wo andere keine sehen. Aber sind sie deshalb schon gaga? Genau deshalb sind sie ja gute Mathematiker. Die sehen was, was andere nicht sehen, nicht erkennen können. Und ein anderes Kriterium für Pathologie haben wir gar nicht. Wenn ich einen strahlend schönen Engel sehe, aber außer mir niemand, habe ich eine Halluzination. Warum? Weil ihn außer mir niemand sieht. Wenn ich einen Zusammenhang sehe, den sonst keiner sieht, bin ich suspekt, wenn ich ihn öffentlich mache.

Das differenziertere Kriterium ist darum auch, ob ich verstehen kann, dass es anderen merkwürdig vorkommen muss, dass ich diese Gedankenhabe oder Dinge sehe, die andere nicht sehen. Ist das gewährleistet, bin ich nicht psychotisch. Also Vorsicht mit Pathologiesierungen und „Heilungen“ von Bewusstseinszuständen. Wenn Du mal siehst, welche Geistesgrößen, die wir heute verehren, salopp gesagt schwer einen an der Waffel hatten und zwar quer durch en Garten: Politiker, Künstler, Philosophen, Wissenschaftler, Du würdest vermutlich staunen.
Die alle gesund zu normieren, hieße der Welt viele Erkenntnisse und Impulse zu nehmen.

Was da richtig und falsch ist, wo die Grenze liegt, sagt einem niemand, es gibt keine Normwert für Dopamin, in dem Sinne, dass man sagt, dass es hier pathologisch wird. Obendrein ist Dopamin einer einer von 15 oder mehr Neurotransmittern, deren Wirkung und vor allem Wechselwirkungen mit den anderen Neurotransmittersystemen höchstens in groben Ansätzen erforscht ist.

ganimed hat geschrieben:1 c) Nachbau: ich kann mit der objektiven Beschreibung bestimmt ganz passable künstliche Intelligenzen im Computer programmieren


Das Deutungsproblem umgehst Du damit aber nicht.
Nehmen wir an, Du würdest alle meine und Deine Daten in einen Computer runterladen (übrigens ist diese Methoden grausam gescheitert, bei den Programmierern. Das waren die feuchten Träume eines Frank J. Tipler, ein honoriger Physiker und grauenhafter Reduktionist. Ganz wissenschaftlich hat er seinem Buch „Die Physik der Unsterblichkeit“ – kruder, szientistischer Unsinn – 150 Seiten Formeln angehängt die „beweisen“ sollten, dass er richtig gerechnet hat. Das Problem, dieser Ansatz, Wissen und Fähigkeiten von oben zu programmieren, ist gnadenlos gescheitert. Nicht an der nächsten größten Primzahl, sondern daran, einen Arm in dunkelblauem Hemd von der Sofalehen auf der er liegt zu unterscheiden.) und dann ganimed und Vollbreit diskutieren über Hirnforschung ablaufen lassen, dann würdest Du ja nur unsere Welt wiederholen.
Du könntest vielleicht sehen, wie die Diskussion ausgeht, aber was wäre an Wissen gewonnen? Abgesehen mal von den chaotischen Systemen und den minimal anderen Anfangsbedingnungen…

ganimed hat geschrieben:Gegenargument 2) selbst wenn das Nacherleben nicht 100% klappt und klappen kann, so what?
Wenigstens klappt es ein wenig. Und das ist doch schon toll. Es ist doch abstrus zu argumentieren, dass man dein Denken nicht objektiv beschreiben kann, weil man diese Beschreibung bei einer bestimmten Anwendung nicht optimal nutzen kann. Die Beschreibung ist jedenfalls doch da, sagst du ja selbst.


Ja, im Gedankenexperiment.
Aber in der Realität auch? Darum ging es.
Aber gesetzt, sie wäre da: Wer hat genau was davon, wenn man es nicht auswerten kann?
Denn, wie man es auswerten soll, da kommt ja dann doch wieder ein bewusstes Wesen ins Spiel.
Und dann kommt man in die Problematik rein, die ich skizzierte.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Entweder als Schrift, dann käme heraus, dass ein schreckhaftes „Huch“ als Zeichenfolge „§&§=((=“ objektiviert werden kann, was ein schreckhaftes „Huch“ bedeutet. Dann sind wir, wo wir waren.
Oder man lässt Dich mein Huch-Erleben direkt erleben und wir sind beim oben skizzierten Problem.

Der Computer könnte der Beobachter sein (wie oben in den Anwendungen (a) und (c) skizziert.


Schön, aber Computer wissen nichts. Schon gar nicht, wie ein Subjekt empfindet.
Würde er auf einer anderen als organischen Basis Bewusstsein entwickeln – was ich mir übrigens sehr gut vorstellen kann –, bestünde wieder das Empathieproblem. Kann der wirklich empfinden, wie ich? Oder anders: Wenn der alle meine Daten hat, weiß der dann genau wie ich empfinde? Das ist das Qualiaproblem. Gibt es eine prinzipielle Differenz des Wissens über einen Zustand und dem Erleben des Zustandes. Ist eine schwieirge Debatte und kommt drauf an, wie man Wissen definiert.
„Mary Mary, quite contrary.“ (Ist von Dennett)

ganimed hat geschrieben:Der braucht keine höchst verlustbehaftete Rückübersetzung von „§&§= nach "Huch".


Nee, aber wenn er empfindet, dann ist er selbst ein Subjekt (ab einem bestimmten Niveau).
Empfindet er nicht und ist nur eine doofe Blechdose, die mich zwar bei Schach nass macht und an deren Faktenwissen ist nicht ranreichen kann, aber woher sollte das Ding wissen, was subjektives Erleben für mich (oder sonst wen) ist?
Selbst wenn man rausfindet, bewusstes Erleben ist in der Neurosprache der Zukunft die Darstellung „?%§(%“, ja was dann? Dann kann man prüfen, ob jemand bewusst ist, nämlich immer, wenn bei der Analyse diese Zeichenfolge dargestellt werden kann. Aber weiß man besser als heute, was Bewusstsein ist? Wenn ja, warum?

ganimed hat geschrieben:Oder ein Wissenschaftler schaut sich 3 Jahre lang das „§&§= an und kommt dann zu einer neuen Erkenntnis, ruft selber "Huch" und weiß endlich, welches Hormon fehlt wenn jemand hm hm hm...


Warum fehlt? Warum sollte eine normale Reaktion etwas sein, was behandlungsbedürftig ist?
Muss man Gähnen, Laufen und Lesen auch behandeln?

ganimed hat geschrieben:Fazit: ich kann deine prinzipiellen Probleme mit der Objektivität nicht ganz nachvollziehen. Und wenn du keine technischen Grenzen siehst, eine objektive Sprache zu finden, verstehe ich noch nicht, wo denn dann das Problem liegt?


Doch, Du kannst das eigentlich ganz gut nachvollziehen.
Den Feinheiten kommen wir ja vielleicht näher.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 10:04

Lumen hat geschrieben:Versetzen wir uns nicht ständig in andere Personen, und sind diese Sichtweisen nicht genauso echt, wie die, die wir "ich" nennen? Schließlich läuft die Simulation einer anderen Person auf derselben Hardware, wie das Original im Schädel einer anderen Person.


Du meinst, wir hätten alle identische Gehirne? Nein, haben wir nicht.

Lumen hat geschrieben:Anders gesagt, können wir andauernd die Sichtweise wechseln und uns andauernd in andere Personen hineinversetzen.


Was wir sehen, ist unsere Phantasie über den anderen.
Wir fühlen uns bestätigt, wenn der andere das tut, was wir uns in unserer Phantasie ausgemalt haben. Aber das hineinversetzen hat seine Grenzen.

Ich habe mal gelesen, dass Karajans Herz an der Musik hing und zwar bis in die physiologische Nachweisbarkeit. Soll heißen, man hat über längere Zeit seine Körperreaktionen untersucht und stellte fest, dass sein Herz, beim dirigieren auf bestimmte (körperlich nicht sehr anstregende) Musikpassagen stark reagierte, während ihn andere (körperlich anstrengendere) Passagen und auch Fehlstarts beim Fliegen und andere Alltagssituationen herzmäßig so gut wie gar nicht zu berühren schienen. Natürlich versetzen mich diese Informationen in die Lage sínnvoll über Karajans objektive Reaktionen zu reden, aber weiß ich aufgrund dieser Informationen wie es ist Karajan zu sein? Selbst wenn ich detailliertere Informationen über ihn hätte, sein Musikempfinden bliebe mir verschlossen.

Weißt Du was über die Innenwelt von Gauß? Ich nicht, da komme ich nicht rein.
Ich kann glauben und grob nachvollziehen, dass Mathematiker Formeln schön finden können und einen ästhetischen Genuss daran haben. Ich kann das übertragen von Bereichen, in denen mir das möglich ist, aber ansonsten ist mir seine Welt verschlossen.

Empfinden wie jemand mit einer antisozialen Persönlichkeit. Ganz schwer, obwohl primitiv. Man muss ja jede Gewissensregung radikal streichen können. Annäherungen an diesen Kosmos sind sicher möglich, aber ganz rein? Eher nicht.

Lumen hat geschrieben:Das reicht vom stillen und unsichtbaren Beobachter einer Krimiszene eines Films bis hin zu der Überlegung ob unsere Mutter das Geschenk mögen wird, was wir gedenken zu kaufen (wobei wir da kurzzeitig sie werden und uns überlegen, ob wir das Geschenk für uns kaufen würden).


Klar, Empathieleistungen sind möglich, keine Frage.
Sogar ihre Abfolge von gar nicht* bis zu den verschiedenen sich erweiternden konzentrischen Kreisen die Empathie annehmen kann. Das geht ganz kognitiv los, Piaget hat das schön beschrieben. Dieses „Einfühlen“ ist ja eher ein „Eindenken“.
Und ja, es gibt Grenzerfahrungen, die einem das Gefühl geben, mit einem (oder mehreren) anderen zu verschmelzen. In einer Therapie, beim Sex, bei Massenregressionen, bei intensiven Gesprächen, auch spontan…
Es gibt, davon unterschieden, das Gefühl mit einem anderen, den wir eben kennen lernen, auf einer Wellenlänge zu sein, im Sinne von „Ich hatte sofort das Gefühl, dass wir uns irgendwie schon immer kannten.“ Jeder wird diese Erfahrungen in Ansätzen kennen und da kann es sich um verschiedenen Arten der Idealisierung handeln, die man näher betrachten muss und die man öfter bei narzisstischer Pathologie findet. Die Illusion den anderen supergenau zu kennen und dabei die Oberflächlichkeit der eigenen Empfindungen nicht sehen zu können.

Lumen hat geschrieben:Außerdem funktioniert das mit frühere "ichs", sei es von vor drei Minuten oder drei Jahren offenbar genau gleich. Wir sind auch noch andere ichs, ob wir auf der Arbeit sind oder als Eltern und wir können uns auch in diese Hineinversetzen, als seien es andere Personen.


Ja und nein.
Wir spielen andere Rollen bei der Arbeit, bei der Freundin, unter Sportskollegen, in der Kneipe, beim Professor und so weiter. Aber es ist die Frage, inwieweit wir in diesen Rollen (opportunistisch) aufgehen oder ein „Markenkern“ von uns eben erhalten bleibt.
Ob man dem Professor sagt, dass man seine Ansichten zum Kotzen findet, ist ja noch mal eine andere Sache, aber man kann die Äußerung wirklich als schmerzhaft empfinden oder windelweich genau jeden Unsinn mit „Ja, Herr Professor, genau meine Meinung“ (ich habe nämlich keine eigene) kommentieren.
Konzepte zu verstehen und kritiklos zu billigen oder sie zu verstehen und sie kritisch zu reflektieren und um die Konsequenzen zu wissen, das ist ein Unterschied.
Konzepte nicht zu verstehen, aber der Auffassung zu sein, man verstünde sie ausgezeichnet, ist noch mal was anderes, aber diese empathische Minderleistung wird einem in der Regel nicht nur nicht bewusst, sondern sie wird eben überkompensiert.
Kurz und gut, eine breite Spielwiese.


*Es wäre ürbigens spannend ein autistisches gar nicht von einem antisozialen gar nicht zu unterscheiden.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 10:49

Lumen hat geschrieben:Wenn ich kurzzeitig Vollbreit's Gedanken vollständig emulieren könnte (statt nur teilweise, wie Menschen es routinemäßig tun), würde ich bestimmte Dinge durchmachen, die ich auf einem Zettel schreiben könnte.


Nein, denn wenn Du das tust, kannst Du nicht ich sein.
Ich schreibe mein gegenwärtiges Erleben nämlich nicht auf einen Zettel.
Aber, Du könntest nahe dran kommen, mit einem Anteil Rest-Lumen, sozusagen.
Und dann Nanna, ganimed, stine, Agent, ujmp…
Und dann bildet ihr den Mittelwert, das hatte ich ja schon dargestellt.
Nur mein Empfinden, ist sicher nicht die Quersumme anderer Eindrücke.

Lumen hat geschrieben:Der Vorgang im Schädel unterscheidet sich wahrscheinlich nicht grundlegend von den Dingen, die sonst so im Universum passieren. Ob ich das Ganze nun "von innen" erlebe, oder von außen ein Konnektom in seinem gegenwärtigen Zustand beschreibe, spielt keine Rolle. Falls doch, müsste das viel eher belegt werden.


Von dem abgesehen, was Nanna schon richtigerweise schrieb.
Es stimmt ja zum Teil, was Du sagst. Genau das ist ja Wittgensteins Argument, über die Unmöglichkeit einer Privatsprache. Warum kann ich überhaupt sagen, dass ich Schmerzen habe?
Nicht, weil ich, wie man zunächst denken könnte, Schmerzen empfinden kann, denn dann wüste ich ja immer noch nicht, dass das was ich empfinde Schmerzen sind („Schmerzen haben“ genannt wird).

Und wie lerne ich, was Schmerzen sind? Ich sehe jemanden, der von sich oder über den man sagt, er habe Schmerzen. Und ich sehe sein Verhalten. Sein verzerrtes Gesicht, sein sich krümmen, sein plötzliches „Au“, sein hektisches Zurückziehen der Hand und das nachfolgende Schütteln derselben. Ich sehe Tränen, höre Schluchzen und so weiter und immer höre ich in dem Zusammenhang „Ich habe solche Schmerzen“ oder „Mensch, tut das weh“ oder „Mein Gott, der muss Schmerzen haben, wie Sau“ oder „Verflixt, das hat ihr bestimmt weh getan“.

So lernt man, also jeder, öffentliche Sprachspiele und durch diese sich selbst kennen. Das wollte Wittgenstein sagen und Habermas bestätigt es. Durch die individuierenden Blicke und Bemerkungen der anderen werden wir uns erst unserer selbst gewahr und bewusst. Das ist erst mal sehr kontraintuitiv, viel „natürlicher“ ist eben Descartes Ansicht, eines primären Ich, das sich dann irgendwann fragt – folgerichtig, aber von falschen Voraussetzungen ausgehend –, ob die Welt wohl wirklich existiert.

Aber Wittgenstein in Ehren, dies ist er der erste Schritt, der Drill, die Abrichtung, so nennt er’s.
Und irgendwann kehrt sich die Geschichte um und wir erforschen unsere Innenwelt immer präziser (noch immer mit derselben öffentlichen Sprache), aber es kommt zu eigenen Verknpüfungen von Begriffen mit anderen Begriffen, mit Assoziationen. Und das ist eine persönliche Note, die ein anderer empathisch nachvollziehen kann, aber eben nur in Grenzen.

Technisch, was den semantishen Part angeht, liegt das m.E. da dran, mit welchen anderen Begriffen ein Begriff logisch oder inferentiell verknüpft ist. Hier können wir unsere unterschiedlichen Assoziationen zu dem Begriff „Christentum“ konstruktiv nutzen.

Meine Assoziationen wären vielleicht: Kirchen, Männer in Roben, Weihrauch, Orgelmusik…
Deine wären vielleicht: Gräueltaten, Folter, Inquisition…

Und vermutlich würde ich die auch haben, wie Du wohl auch die Assoziationen Weihrauch und Orgel, nur eben in späterer Abfolge und mit unterschiedlichen Emotionen verknüpft.
Und wir wissen von einander, dass wir den Begriff unterschiedlich ausschmücken, wir würden ihn aber beide, an passender (sozialperspektivisch „richtiger“) Stelle verwenden. Wir würden erkennen, dass es sich nicht ums Christentum handelt, wenn der Muezzin vom Dach ruft.

Wohl bei keinem von uns würde beim Begriff „Christentum“ die Assoziation auftauchen: Elektronenwolke, Spitzmaulnashorn, Modus Ponens, Radiowecker.
Wo dies passieren würde, hätte der andere die Berechtigung nachzufragen: „Wieso denkst Du bei „Christentum“ an Spitzmaulnashörner?“ Es könnte eine Antwort geben: „Weil ich mal mit einem Theologiestudenten an einer Safari teilgenommen habe“ oder man hat keine Antwort, das wirkt dann komisch und wenn es öfter auftaucht wirr.

Mit anderen Worten, es sind nur minimale Abweichungen möglich, damit unser Sprachgerüst nicht auseinanderfliegt, aber diese minimalen Abweichungen sind auch nötig, damit wir überhaupt etwas haben, über das wir reden können. Wären wir alle gleich, worüber sollten wir uns austauschen? Was gesagt werden könnte, würde ja jeder denken. Ein paar Monate könnte man sich noch wechselseitig versichern, dass man tatsächlich so denkt, wie der andere und dann beginnt das ewige Schweigen.

Dass das alles den Regeln folgt, denen auch Kometen folgen, mag ja sein, erklärt nur nichts.
Darum führt man ja Begriffe ein, wie „Intention“ oder „Erbkoordination“ oder „Neurose“.
Weil sie eben bestimmte Komplexe mit einem Begriff abbilden.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Zappa » Di 23. Okt 2012, 16:57

Vollbreit hat geschrieben:Und wie lerne ich, was Schmerzen sind? Ich sehe jemanden, der von sich oder über den man sagt, er habe Schmerzen. Und ich sehe sein Verhalten. Sein verzerrtes Gesicht, sein sich krümmen, sein plötzliches „Au“, sein hektisches Zurückziehen der Hand und das nachfolgende Schütteln derselben. Ich sehe Tränen, höre Schluchzen und so weiter und immer höre ich in dem Zusammenhang „Ich habe solche Schmerzen“ oder „Mensch, tut das weh“ oder „Mein Gott, der muss Schmerzen haben, wie Sau“ oder „Verflixt, das hat ihr bestimmt weh getan“.


Stimmt im Prinzip, wobei die moderne Sprachforschung die Möglichkeit sich emotional in den Anderen hineinzuversetzen und zu verstehen, dass sich dieser auch in einen selbst hineinversetzen kann, und zu verstehen, dass der anderer versteht, dass ich verstehe, dass er sich in mich hineinversetzen kann etc. pp. als Grundvoraussetzung der Sprachentwicklung versteht.

Sprache wird also nicht einfach empirisch durch Drill erlernt, sondern diese besonderer Art des Verstehens (intentionales Verstehen) ist die Vorraussetzung für die Sparchentstehung. (-> M Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation).
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Lumen » Di 23. Okt 2012, 17:21

Nanna hat geschrieben:
Lumen hat geschrieben:Ob ich das Ganze nun "von innen" erlebe, oder von außen ein Konnektom in seinem gegenwärtigen Zustand beschreibe, spielt keine Rolle.

Ich halte eigentlich nichts von Anwendung von Gewalt in Diskussionen, aber dürfte ich dir freundlicherweise einen Nagel in den Fuß rammen, um dir den Unterschied ein wenig anschaulicher zu machen? ;-)


Auf die Gefahr hin, dass das wie eine Binse erscheint. Um den Regen, der an der Scheibe herunterrinnnt, vor der Landschaft zu sehen, muss man sich wohl oder übel nach Innen begeben und rausgucken. Ich kann das nicht von Außen sehen. Um bei dem Beispiel zu bleiben, wäre Vollbreit zuvor in einen Nagel getreten und emuliere ich Vollbreits Erlebnisse vollständig ("Replay"), so fühlte ich dasselbe, so wie Vollbreit es erlebt hatte. Würde Ganimed [mit vollständigem Vollbreit Bewusstsein] das Experiment wiederholen (aber nun selbst in den Nagel treten), würde er ebenfalls genau dasselbe erleben (Schmerz im Fuß), aber es wäre nicht vollständig identisch, denn Ganimed hätte das ja bereits schonmal erlebt und vielleicht ist zweimal in einen Nagel treten nur noch halb so schlimm. Würde ich als Vollbreit statt in den Nagel zu treten einen Zettel schreiben, und würde Ganimed das gleiche machen (wieder nach mir Vollbreit emulierend), so dächte Vollbreit-Ganimed dann, dass er ja bereits einen Zettel geschrieben hätte, und er könnte dann, dank neuer Erkenntnisse den Zettel ändern oder meinen, dass ja bereits alles draufsteht. Auch, dass sich ein System ändert, obwohl es konzeptionell gleich bleibt ist eine bekannte Analogie, wie derselbe Fluß in den man nie zweimal hineinsteigen kann (weil das Wasser fließt und beim nächsten mal "anderes" Wasser durch den Fluss fließt). Ich kann den Schmerz im Fuß nicht auf einem Bildschirm sehen, aber ich kann sehen, welche Areale des Gehirns aktiviert werden, und das werden bei identischen Situationen bei jeder Person jeweils ähnliche Bereiche sein, wobei —wie oben geschriebem— das System sich fortwährend ändert (beim zweiten mal in den Nagel treten ist es anders, aber nicht völlig anders).

Was jetzt mit Quersummen gemeint ist, lässt sich ja auch für eine Person oder Situation sagen und man braucht den "Versuchsaufbau" garnicht. Denn das Erleben ist für eine Person ja immer anders, vielleicht ist da nur die Monotonie nach der tausenden Widerholung konsistent. Aber die Monotonie ist nicht das charakteristische, wenn man etwas (zumal beim ersten Mal) erlebt. Finde ich nicht mysteriös, siehe Fluß.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 17:34

Zappa hat geschrieben:Stimmt im Prinzip, wobei die moderne Sprachforschung die Möglichkeit sich emotional in den Anderen hineinzuversetzen und zu verstehen, dass sich dieser auch in einen selbst hineinversetzen kann, und zu verstehen, dass der anderer versteht, dass ich verstehe, dass er sich in mich hineinversetzen kann etc. pp. als Grundvoraussetzung der Sprachentwicklung versteht.


Dafür brauchst Du erst mal Konzepte von sich selbst und anderen.
Es ist gegenwärtig unklar, inwieweit sprachliche Konzepte eine Folge oder Voraussetzung für ein Ichempfinden sind.
Bzw. es gibt einfach verschiedene Ebenen von Ichempfinden.

Zappa hat geschrieben:Sprache wird also nicht einfach empirisch durch Drill erlernt, sondern diese besonderer Art des Verstehens (intentionales Verstehen) ist die Vorraussetzung für die Sparchentstehung. (-> M Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation).


Ich glaube auch, dass es stimmt, dass das Lernen von Sprache in besonderer Weise auch mit dem emotionalen Gehalt verknüpft ist. Ich glaube selbst, dass die gesprochene Sprache überhaupt nur möglich ist, weil wir die nonverbale Sprache der Affekte angeborenerweise beherrschen.

Das ist natürlich philosophisch unbefriedigend, weil es den entscheidenden Schritt, wie man überhaupt in das bewusste Verstehen einer Sprache hineinkommt, nicht erklärt.
Auch ist nicht klar, wie sich ein nichtsprachliches Ich konstituiert.

Dass man allerdings Theorie über Systeme (Menschen) entwirft, denen man die Fähigkeit zuschreibt ihrerseits Theorien über sich selbst und andere Systeme (Menschen) zu entwickeln, ist in der Philosophie angekommen. Ich berichte da auch nicht von der Front, das ist nur Nachlese:
http://www.ruhr-uni-bochum.de/philosoph ... _t_web.pdf

Das kennt die Entwicklungspsychologie auch.
Zunächst versetzt man sich in die reine Wahrnehmungsperspektive des anderen.
Dieses Experiment von Piaget mit der Karte, die auf der einen Seite rot, auf der anderen grün ist, kennst Du?
Dann lernt man sich in immer komplexere Konzepte des anderen einzudenken. Dass dem weh tut, was mir weh tut, muss man ja nicht wissen und auch das „Mitleid“ per Spiegelneuronen, die heute für alles herhalten müssen, ist je erst mal nur mein Empfinden. Zu wissen, dass ich so empfinde, weil der andere so empfindet ist ja schon wieder ein kognitiver Akt.

Naja und wenn man weiß, dass man selbst Vorstellungen über andere anstellt, ist es natürlich kein sonderlich kühner Schritt, von anderen die so aussehen und reden wie ich und weitgehend dasselbe tun, anzunehmen, dass sie gelegentlich auch Vorstellungen von anderen haben, auch wenn man das streng genommen nie genau wissen kann – so heißt es (was m.E. auch nicht stimmt, aber ein anderes Thema ist).

Kurz und gut, ich fand schon immer, dass Wittgenstein da zu kurz gesprungen ist.
Die Philosophie muss sich lösen, von dem Trend alles auf der Vernunftbasis erklären zu wollen.
Die Versuche sind zwar gut, aber letztlich doch nicht überzeugend, der Mensch ist nur in Teilen ein vernünftig Wesen. Das könnten sie wirklich von den Hirnforschern lernen, wenn man diese davor beschützt, ihre eigenen Daten zu interpretieren. ;-)
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 17:55

Lumen hat geschrieben:Um bei dem Beispiel zu bleiben, wäre Vollbreit zuvor in einen Nagel getreten und emuliere ich Vollbreits Erlebnisse vollständig ("Replay"), so fühlte ich dasselbe, so wie Vollbreit es erlebt hatte.


Ja, aber wenn Du ich wärest, könntest Du Dich nicht daran erinnern.

Lumen hat geschrieben:Würde Ganimed [mit vollständigem Vollbreit Bewusstsein] das Experiment wiederholen (aber nun selbst in den Nagel treten), würde er ebenfalls genau dasselbe erleben (Schmerz im Fuß), aber es wäre nicht vollständig identisch, denn Ganimed hätte das ja bereits schonmal erlebt und vielleicht ist zweimal in einen Nagel treten nur noch halb so schlimm.


Stimmt. So kann man es auch sehen, dass mein Bewusstsein sozusagen erlebens weiterläuft.
Ich dache eher es wird runterladen und jeder spielt es in sein System/Erleben identisch ein.
Also jeder erlebt Vollbreit nur einmal.

Lumen hat geschrieben:Würde ich als Vollbreit statt in den Nagel zu treten einen Zettel schreiben, und würde Ganimed das gleiche machen (wieder nach mir Vollbreit emulierend), so dächte Vollbreit-Ganimed dann, dass er ja bereits einen Zettel geschrieben hätte, und er könnte dann, dank neuer Erkenntnisse den Zettel ändern oder meinen, dass ja bereits alles draufsteht.


Ist allerdings schwierig durchzuhalten, denn eigentlich müsste ich ja dann, bei jedem Versuch Schmerzen spüren, obwohl ich gar nicht mehr reintrete in den Nagel.

Lumen hat geschrieben:Auch, dass sich ein System ändert, obwohl es konzeptionell gleich bleibt ist eine bekannte Analogie, wie derselbe Fluß in den man nie zweimal hineinsteigen kann (weil das Wasser fließt und beim nächsten mal "anderes" Wasser durch den Fluss fließt). Ich kann den Schmerz im Fuß nicht auf einem Bildschirm sehen, aber ich kann sehen, welche Areale des Gehirns aktiviert werden, und das werden bei identischen Situationen bei jeder Person jeweils ähnliche Bereiche sein, wobei —wie oben geschriebem— das System sich fortwährend ändert (beim zweiten mal in den Nagel treten ist es anders, aber nicht völlig anders).


Ja, jeder erlebt ein wenig anders, glaube ich auch.
Aber das ist auch schon das Problem. Ein Fußballer, ein Seiltzänzer, eine Bodenturnerin werden anders ausgeprägte Areale ihrer Füße haben, als ich Schuhträger, der nicht mit seinen Füßen arbeitet.
Auch der Tritt in den Nagel hätte andere Konsequenzen, bei jenen und bei mir.
Insofern ist zwar eine grobe Zuordnung von, wird wohl Schmerzen im rechten Fuß haben, sicher möglich, aber die damit verknüpfte Bedeutung („Scheiße, in der Wochen ist Olympia, jetzt ist alles aus.“) wird nicht so leicht erkennbar sein und sich immer mehr individualisieren.
Über Mittelwerte („Endlich Krankenschein“, „Aua, bin ich Tetanus geimpft?“ …) wird man da nicht dran kommen.

Lumen hat geschrieben:Was jetzt mit Quersummen gemeint ist, lässt sich ja auch für eine Person oder Situation sagen und man braucht den "Versuchsaufbau" garnicht. Denn das Erleben ist für eine Person ja immer anders, vielleicht ist da nur die Monotonie nach der tausenden Widerholung konsistent.


Jein. Und bei zu viel Monotonie würde man was ändern.

Lumen hat geschrieben:Aber die Monotonie ist nicht das charakteristische, wenn man etwas (zumal beim ersten Mal) erlebt. Finde ich nicht mysteriös, siehe Fluß.


War auch nicht so gedacht, dass es mysteriös wirken sollte.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Zappa » Di 23. Okt 2012, 18:25

Vollbreit hat geschrieben:Es ist gegenwärtig unklar, inwieweit sprachliche Konzepte eine Folge oder Voraussetzung für ein Ichempfinden sind.


Das ist nicht meine Kenntnis der aktuellen Diskussionslage der Sprachwissenschaften. Hiernach ist Sprache eindeutig Folge eines Ichempfindens. Ich könnte mir auch kein sprechendes "Vor-Ich" vorstellen.

Vollbreit hat geschrieben:Auch ist nicht klar, wie sich ein nichtsprachliches Ich konstituiert.


Nach Tomasello über Gestik. Gestik kommt vor der Sprache, aus fortschrittlichen Teilen der Gestik entwickelt sich die Sprache.

Vollbreit hat geschrieben:Dass dem weh tut, was mir weh tut, muss man ja nicht wissen und auch das „Mitleid“ per Spiegelneuronen, die heute für alles herhalten müssen, ist je erst mal nur mein Empfinden. Zu wissen, dass ich so empfinde, weil der andere so empfindet ist ja schon wieder ein kognitiver Akt.


Und das reicht offenbar nicht aus um Sprache zu erwerben, denn das können Affen auch. Sprache (oder fortschrittliche Gestik) setzt voraus, dass ich weiß, dass der Andere weiß, dass ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß ...

Nur auf diesem Weg ist die Abstraktion möglich, die Sprache konstituiert.

Vielleicht hilft die Parabel von Quine (die hier auch schon erwähnt wurde): Sprache kann ich in einer vollkommen fremden Welt nur erwerben, wenn ich mit den Lautäußerungen Handlungen assoziiere, die intentionale Wesen gemeinsam begangen haben. Wenn der Einheimische zu mir "gavagai" sagt und ich aus gemeinsamen Handlungen weiß, dass ich einmal einen Eimer und einmal einen Speer zum Fischfangen anschleppen soll, kann ich den Code knacken und versuchsweise annehmen, dass "gavagai" so etwas wie holen oder besorgen meint (wenn ich den Eimer anschleppe und Unmut erlebe, meint "gavagai" vielleicht doch eher Speer). Diese Kommunikation funktioniert aber nur zwischen verschiedenen Ichs, die wissen das der Anderer ebenfalls ein Ich mit Intentionen ist und wenn die beiden Ichs, voneinander annehmen Intentionen zu haben. Ansonsten sind die Handlungen mindestens einer Person lediglich nur instinktgetrieben und die beiden können nicht gemeinsam den Code knacken.

Vollbreit hat geschrieben:Die Philosophie muss sich lösen, von dem Trend alles auf der Vernunftbasis erklären zu wollen.
Die Versuche sind zwar gut, aber letztlich doch nicht überzeugend, der Mensch ist nur in Teilen ein vernünftig Wesen. Das könnten sie wirklich von den Hirnforschern lernen, wenn man diese davor beschützt, ihre eigenen Daten zu interpretieren. ;-)


Da gebe ich Dir Recht, zumal man mittlerweile ziemlich genau weiß, dass es keine emotionslose Vernunft gibt. Macht ja auch Sinn, Emotionen sind evolutionär älter und die höheren (sorry :mg:) kognitiven Funktionen sind diesen älteren aufgesetzt, d.h. alle Informationen werden natürlich vorab (unbewusst) gefiltert und dann emotional getränkt.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Di 23. Okt 2012, 21:39

Zappa hat geschrieben:Das ist nicht meine Kenntnis der aktuellen Diskussionslage der Sprachwissenschaften. Hiernach ist Sprache eindeutig Folge eines Ichempfindens. Ich könnte mir auch kein sprechendes "Vor-Ich" vorstellen.


Du hast Recht und ich mich blöde ausgedrückt.
Es gibt natürlich ein nichtsprachliches Ich, dann ein sprachliches und noch mal ein reflexives, wenigstens.

Ich meinte auch eher das hier:
Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Auch ist nicht klar, wie sich ein nichtsprachliches Ich konstituiert.


Nach Tomasello über Gestik. Gestik kommt vor der Sprache, aus fortschrittlichen Teilen der Gestik entwickelt sich die Sprache.


Es ist Brandom, der diese Reihenfolge (der ich intuitiv zustimmen würde, aber Brandoms Argumente sind gut) infrage stellt.
Er sagt, dass hinweisende Gesten nur darum funktionieren, weil man das gestisch Bezeichnete, als isoliertes singuläres Subjekt erkennen kann. Dass dieses Erkennen keineswegs so einfach und selbstverständlich ist, dafür steht ja Quines „gavagai“.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Dass dem weh tut, was mir weh tut, muss man ja nicht wissen und auch das „Mitleid“ per Spiegelneuronen, die heute für alles herhalten müssen, ist je erst mal nur mein Empfinden. Zu wissen, dass ich so empfinde, weil der andere so empfindet ist ja schon wieder ein kognitiver Akt.


Und das reicht offenbar nicht aus um Sprache zu erwerben, denn das können Affen auch. Sprache (oder fortschrittliche Gestik) setzt voraus, dass ich weiß, dass der Andere weiß, dass ich weiß, dass er weiß, dass ich weiß ...

Nur auf diesem Weg ist die Abstraktion möglich, die Sprache konstituiert.


Das erscheint mir fast des Guten zuviel.
Autisten sprechen ja auch. Aber ich würde gerne mehr drüber erfahren.

Zappa hat geschrieben:Vielleicht hilft die Parabel von Quine (die hier auch schon erwähnt wurde): Sprache kann ich in einer vollkommen fremden Welt nur erwerben, wenn ich mit den Lautäußerungen Handlungen assoziiere, die intentionale Wesen gemeinsam begangen haben. Wenn der Einheimische zu mir "gavagai" sagt und ich aus gemeinsamen Handlungen weiß, dass ich einmal einen Eimer und einmal einen Speer zum Fischfangen anschleppen soll, kann ich den Code knacken und versuchsweise annehmen, dass "gavagai" so etwas wie holen oder besorgen meint (wenn ich den Eimer anschleppe und Unmut erlebe, meint "gavagai" vielleicht doch eher Speer).


Ich glaube, das ist irgendwie haarscharf an Quine vorbei.
Der Clou von gavagai ist ja, dass er die Unmöglichkeit beschreiben soll bei Übersetzungen sicher zu sein, dass richtig übersetzt ist. (Aber vielleicht meintest Du das so?)Selbst wenn, Du zufällig das bekommst, was Du willst, wenn Du danach fragst, ist nicht gesichert, dass Du damit die Sprache wirklich in dem Sinne verstanden hast, wie Du es meintest. Das hat Quine zwar – und nicht nur das – elend auf die Spitze getrieben, Recht hat er dennoch.
Ist aber so ein wenig wie mit Hume. Induktionsschlüsse sind formallogisch für die Urne, dennoch, Thema Sprache, überleg mal, wie wir alle Sprache lernen – richtig, induktiv.

Das eigentliche ungelöste Rätsel ist aber die Neogenese der Sprache.
Dem anderen auf Nachfrage zu sagen, was man genau meint, klappt eben dann nicht, wenn das dafür nötige sprachliche Instrumentarium noch gar nicht existiert. Und inwieweit Gesten da eine Lücke füllen können, ist umstritten. Und das Umstrittenseins ist m.E. sehr begründet.
Wie gesagt die Fähigkeit Bedeutetes zu erkennen, setzt voraus logische Einzeldinge auch semantisch isolieren zu können, glaubt man Brandom, aber soweit ich das verstehe kann ich ihm da zustimmen.

Der Trick der Evolutionsbiologen besteht darin, diese Frage ein fach unbeantwortet zu lassen und zu sagen, dass seien 1.000 kleine Schritte gewesen und wenn doch noch einer nachfragt, dann waren es eben 10.000 klitzekleine Schritte. Ich finde das – Thema, meine Ungdeuld mit Biologen – völlig okay, wenn man die Antwort nicht weiß, ich weiß sie auch nicht.
Aber die Mischung aus dümmlich zur Schau gestellter Arroganz, bei einer gleichzeitigen Unfähigkeit überhaupt das Problem zu erkennen (ich rede nicht von der Lösung), die ist schon etwas eklig.

Zappa hat geschrieben:Diese Kommunikation funktioniert aber nur zwischen verschiedenen Ichs, die wissen das der Anderer ebenfalls ein Ich mit Intentionen ist und wenn die beiden Ichs, voneinander annehmen Intentionen zu haben.


Wie soll das ohne sprachliche Konzepte gehen?
Was schlägt Tomasello, der ein ehrenwerter Forscher ist, soweit ich das sehe und der nicht unter meine Pauschalattacke, die keinen interessiert, fällt, denn da vor?

Zappa hat geschrieben:Ansonsten sind die Handlungen mindestens einer Person lediglich nur instinktgetrieben und die beiden können nicht gemeinsam den Code knacken.


Okay, aber warum reicht Sprache nicht?
Sprache ist ja nun nicht instinktgetrieben, aber einer bestimmten Komplexitätsstufe.
Wie gesagt, die Grenze ist das wohl das „Verstehen“, was bedeutet, sein Sagen und Tun prinzipiell begründen zu können.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Philosophie muss sich lösen, von dem Trend alles auf der Vernunftbasis erklären zu wollen.
Die Versuche sind zwar gut, aber letztlich doch nicht überzeugend, der Mensch ist nur in Teilen ein vernünftig Wesen. Das könnten sie wirklich von den Hirnforschern lernen, wenn man diese davor beschützt, ihre eigenen Daten zu interpretieren. ;-)


Da gebe ich Dir Recht, zumal man mittlerweile ziemlich genau weiß, dass es keine emotionslose Vernunft gibt.


Ja, Spock ist out. Heißt ja auch Data, oder so.
Wirkte ja schon immer als Karikatur, heute weiß man warum.
Im Gegenzug gibt es übrigens so eine Art Intelligenz der Emotionen.

Zappa hat geschrieben:Macht ja auch Sinn, Emotionen sind evolutionär älter und die höheren (sorry :mg:) kognitiven Funktionen


Sorry? Warum denn das?
Ich bin kein Bauchgefühl und Herzensintelligenz-Fetischist.
Spiritualität hat für mich nichts mit süßlicher Gefühligkeit, Licht und Liebe zu tun, falls das gemeint war.

Zappa hat geschrieben:sind diesen älteren aufgesetzt, d.h. alle Informationen werden natürlich vorab (unbewusst) gefiltert und dann emotional getränkt.


Ja und nur was emotional besetzt ist, wird auch behalten.
Ist eigentlich ein alter Hut.
Ärgerlich fand ich diese hirnrissige Abgrenzung der Philosophie gegen alles andere.
Aber inzwischen weht da ein erfreulich pragmatischer Wind und sogar Spiritualität ist in einem Ausmaß salonfähig, wie ich es noch vor 10 Jahren nie geglaubt hätte.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » Mi 24. Okt 2012, 00:12

Nanna hat geschrieben:Mir scheint, ganimed, dass dein Problem ist, dass du zwischen einem subjektiven Erlebnis und einer deskriptiven Darstellung dieses Erlebnisses keinen Unterschied zu erkennen vermagst.

Doch, ich vermag einen Unterschied zu erkennen. Ich behaupte natürlich nicht, dass beides das gleiche ist. Ich behaupte nur, dass beides äquivalent ist, ineinander überführbar, auf den exakt gleichen biochemischen Vorgängen beruhend. Ich sehe also sozusagen die Vergleichbarkeit (kein Gleichmacherei), die ihr offenbar nicht so gut seht. Und das soll mein Problem sein? Wieso das denn? Es wäre nur ein Problem, wenn die Äquivalenz nicht vorhanden wäre und ich sie mir sozusagen nur einbildete. Also bitteschön: untermauere doch bitte einmal deine Behauptung. Wieso ist meine Sichtweise problematisch? Was ist daran falsch? Wieso kann man subjektives Erleben nicht 1:1 objektiv beschreiben?

Nanna hat geschrieben:Dir scheint nicht so recht klar zu werden, welche prinzipiellen Implikationen ein Perspektivenwechsel hat, dass das eben, wie Vollbreit und ich meinen, nicht eine Trivialität darstellt, sondern keinen Stein in deiner Argumentation auf dem anderen lässt.

Mal angenommen, diese prinzipiellen Implikationen würden wirklich vorhanden sein und mir nur nicht klar werden. Dir scheinen sie aber klar zu sein. Ich empfinde es schon als ein wenig unfreundlich, sie mir dann aber so konsequent vorzuenthalten. Es ist ein wenig mühsam, dir immer alles aus der Nase ziehen zu müssen. Wieso deutest du nicht wenigstens an, was du hier meinen könntest? Oder ok, ich frage wieder einmal explizit nach: welche prinzipiellen Implikationen hat ein Perspektivwechsel?

Nanna hat geschrieben:Nur so gesagt, um mal einigermaßen zu destillieren, wo der Kern des Streitpunktes liegt. Dasselbe Problem beschäftigt uns ja auch im anderen Thread.

Ich erkenne gewisse Übereinstimmungen, gewisse Muster. Dass beide Threads einen gemeinsamen Kern-Streitpunkt haben, wusste ich noch nicht. Das Muster, dass ich sehe, ist eher formaler Natur. Du behauptest etwas (es gibt keine objektiven Maßstäbe, Implikationen eines Perspektivwechsels sind nicht trivial), ich frage nach Argumenten, Erläuterungen und Begründungen für diese Behauptungen und du nennst sehr grundsätzliche, wissenschaftstheoretische Bedenken, erläuterst diese auch wunderbar, kommst aber irgendwie nicht wieder zurück zu dem Punkt, wo du deine eigentliche Behauptung einfach mal erläutern, illustrieren oder überzeugend vertreten könntest. So ungefähr ist jedenfalls meine Erlebnisperspektive. Zum Beispiel könnte ich wetten, dass du auf meine Frage, welche prinzipiellen Implikationen ein Perspektivwechsel hat, niemals mit einer kurzen, knackigen Aufzählung der Implikationen antworten wirst. Finde ich schade.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon ganimed » Mi 24. Okt 2012, 00:39

Vollbreit hat geschrieben:Ja, sicher ist es möglich da an bestimmte Daten zu kommen.
Aber das eine oder andere Gefühl objektiv darzustellen, bzw. Parameter zu finden, die auf dieses Gefühl verweisen, ist ja eine altbekannte Sache: Hautwiderstand, Pupillengröße, Atemfrequenz, Herzfrequenz, Blutdruck und mit Sicherheit auf bestimmte Hirnareale liefern da Hinweise, man sollte aber diese Hinweise davon trennen, ein präzise Sprache zu haben.

Sehr indirekte Paramter wir Atemfrequenz zum Beispiel, werden in der Tat niemals reichen, den Vorgang der Angst genau zu beschreiben. Das liegt daran, weil nur ein winziger Zusammenhang besteht zwischen der Angst und der Atemfrequenz. Die meisten Informationen über den Vorgang Angst sind dabei natürlich nicht mehr in der Atemfrequenz zu finden. Das sind natürlich auch die Grenzen, an die dieser Paul Ekman stößt. Er sieht ja nicht die Gedanken, sondern möglicherweise (so ganz glaube ich den Klimbim auch Anhieb lieber erstmal nicht) nur ein paar indirekte Indikatoren. Diese Methode ist mindestens so ungenau, wie der Informationsverlust zwischen wirklichem Geschehen (neuronalen Gedankenvorgängen) und dem sehr indirekten Indikatoren (unwillkürliche Gesichstmuskelveränderungen unter der Hautoberfläche) groß ist. Völliger Blödsinn aus meiner Sicht, aus dieser Ungenauigkeit auf die Unmöglichkeit zu schließen, jemals die originalen, wirklichen neuronalen Vorgänge zu beschreiben.

Auch das Erleben-Thema geht mir in eine völlig unverständliche Richtung. Ob Vollbreit Schmerz direkt erlebt oder (ausgerechnet) Lumen mit ihm nur mitfühlt ist selbstverständlich ein Unterschied. Aber was um alles in der Welt hat das damit zu tun, ob es prinzipiell vielleicht möglich ist, die neuronalen Vorgänge bei Vollbreit zu beschreiben? Welche Schmerzrezeptoren in Vollbreits Fuß feuern genau wann und wie intensiv? Was kommt davon auf welchen Wegen ins Gehirn? Was genau passiert dann? Welche Neuronen reagieren wie? Welche Botenstoffe werden in welchen Mengen wo genau ausgeschüttet? Welche Signale werden von wem wohin geschickt? Welche Prozesse werden wo angestoßen, wie beeinflusst? Was passiert sonst noch?
Eine Menge Holz. Aber es ist biochemisches Holz. Es ist nicht unsichtbar, es ist beobachtbar. Die Mechanismen sind wiederholbar. Es ist messbar. Alles was ihr wollt. Erkläre mir mal einer bitte, welche philosophischen Bedenken es gibt, dass diese naturwissenschaftliche Forschung nicht immer weiter geht und immer genauer beschreibt, was passiert, wenn ein Mensch eine starke Schmerzreaktion in seinem Fuß verspürt? Wo soll da bitte eine prinzipielle Erkenntnisgrenze sein?

Ich kann mir nur ein Argument denken, dass eine prinzipielle Schranke rechtfertigen würde. Wenn man annimmt, dass solche Dinge wie Bewusstsein, Erleben und Qualia eben nicht vollständig auf neuronalen Aktivitäten, elektischen Signalen, Hormonspiegeln und anderen körperlichen Reaktionen beruhen. Wenn man annimmt, dass auf einer nicht körperlichen sondern geistigen Ebene etwas passiert, unabhängig von den biochemischen Molekülen. Kurz: wenn man ein Dualist ist.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Mi 24. Okt 2012, 08:33

ganimed hat geschrieben:Sehr indirekte Paramter wir Atemfrequenz zum Beispiel, werden in der Tat niemals reichen, den Vorgang der Angst genau zu beschreiben. Das liegt daran, weil nur ein winziger Zusammenhang besteht zwischen der Angst und der Atemfrequenz. Die meisten Informationen über den Vorgang Angst sind dabei natürlich nicht mehr in der Atemfrequenz zu finden. Das sind natürlich auch die Grenzen, an die dieser Paul Ekman stößt. Er sieht ja nicht die Gedanken, sondern möglicherweise (so ganz glaube ich den Klimbim auch Anhieb lieber erstmal nicht) nur ein paar indirekte Indikatoren.


Er sieht den Körper, nichts anderes sehen Hirnforscher auch, nur weitaus indirekter.
Ist Dir das eigentlich wirklich nicht klar? Du meinst, die hätten den Blick in die Schaltzentrale, doch in Wirklichkeit sehen die so gut wie nichts. Das Gehirn tut nichts, er wird bei Scham nicht mal rot, Deine Wangen schon. Warum soll man sich besser eine Zigarette drehen können, wenn man es mit Fäustlingen und Pinzetten tut?

Darum sind die überaus sensationellen Ergebnisse auch so ausgesprochen dürftig und müssen seit fast 25 Jahren so entsetzlich gehypet werden. (Die 1990er als Jahrzehnt des Gehirns.) Wirkliche Durchbrüche brauchen keine Überlegenheitsrhetorik, Seife und Glühbirne haben sich einfach durchgesetzt.

Die Wahrheit ist doch, dass man auf dem Weg nach viel Geld und Aufsehen und Forschung so gut wie nichts auf den Weg gebracht hat, weder theoretisch noch praktisch.
Wo ist denn die neue Hirnsprache? Es gibt sie nicht. (Die Begründung warum es sie auch in 50 Jahren nicht geben wird, kannst Du bei Putnam in „Repräsentation und Realität“nachlesen.) Wo sind denn die neuen Therapiemethoden? Es gibt sie nicht. Hirnschrittmacher, transkranielle Magnetstimulation, Hirnoperationen, kannst Du alles in der Pfeife rauchen. Klar kann man da heute mehr als vor 30 Jahren, so wie in der Orthopädie eben auch, aber sonst?
Wo ist denn das neue Menschenbild, die Revolution des Strafrechts und so weiter? Ist doch alles Pillepalle. Warum kann mir niemand eine Antwort auf die einfache Frage geben, was denn nun die Erkenntnis man sei kein Ich und einen freien Willen habe man gleich gar nicht, eigentlich ändert?
Gib doch mal Butter bei die Fische.

Ist ja wirklich beeindruckend, da stellt man – in der medialen Inszenierung – alles vom Kopf auf die Füße und keiner merkt es. Was genau hat sich denn in den letzten 10 Jahren in unser aller Leben geändert? Klar, weil alle Angst vor den Folgen haben, haha, kurz gelacht. Es schafft ja noch nicht mal einer zu formulieren, was die Folgen sein könnten, sehen tut man sie eh nicht.


ganimed hat geschrieben:Diese Methode ist mindestens so ungenau, wie der Informationsverlust zwischen wirklichem Geschehen (neuronalen Gedankenvorgängen) und dem sehr indirekten Indikatoren (unwillkürliche Gesichstmuskelveränderungen unter der Hautoberfläche) groß ist. Völliger Blödsinn aus meiner Sicht, aus dieser Ungenauigkeit auf die Unmöglichkeit zu schließen, jemals die originalen, wirklichen neuronalen Vorgänge zu beschreiben.


Aus Deiner Sicht, die ist aber kurzsichtig.
Neuronale Vorgänge sind nicht das wirkliche Geschehen. Sie sind nicht wirklicher als Regen oder Achselnässe, sie sind einfach viel komplizierter zu erforschen. Das wirkliche Geschehen liegt vor Dir, darum gibt es sowas wie die Gegenübertragung, beschäftige Dich damit wenn es Dir um Erkenntnisse geht.
Beeindruckend ist nur, wie viele von den sogar intelligenten Leuten den Mist glauben. Wenn Heidegger nicht auch so krudes Zeug verzapft hätte, müsste man Dich eigentlich mit „Sein und Zeit“ ein Jahr auf eine Almhütte schicken.
Sich selbst zum einzig beobachtenden Subjekt in einer Welt allein von Objekten (oder Systemen) zu machen (=Dualismus) und diesen theoretischen Irrsinn dadurch zu verschärfen, dass man dem unhintergehbaren Subjekt, was man ist, noch die Existenz abzusprechen versucht, indem man es auch nur zum System umdichtet (das aber eerstaunlicherweise seine Subjekteigenschaften im realen Leben nciht loswird), das ist schon ein echter Kunstgriff, leider ins Klo. Das hat Heidegger erkannt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Subjekt-Objekt-Spaltung
http://de.wikipedia.org/wiki/Sein_und_Zeit
Heidegger lässt das Subjekt auch gegen die Wand fahren, Luhmann tut es auch, aber auch ungleich anderem Niveau, der dualistischen Spaltung fallen sie jedenfalls nicht zum Opfer, oder wenn, dann intelligenter.
Oder nimm den Buddhismus. Der glaubt auch nicht an ein Subjekt, aber der hat gleich ein ganzes Bündel an Praktiken geschaffen, die sich einzig um diese Erkenntnis drehen. Da folgt was draus und zwar konkret. Empathietraining auf allen Ebenen, Meditation zum Zwecke der Einsicht, Übungen in Bescheidenheit und Demut, also, wer will, der kann.

Hirnforscher bringen immerhin das Kunststück zustande egomanische Züge zu entwickeln , die aus ihrer Erkenntnis resultieren sollen, dass niemand ein Ich hat. Und alle schnalzen mit der Zunge anstatt in Gelächter auszubrechen.

ganimed hat geschrieben:Auch das Erleben-Thema geht mir in eine völlig unverständliche Richtung. Ob Vollbreit Schmerz direkt erlebt oder (ausgerechnet) Lumen mit ihm nur mitfühlt ist selbstverständlich ein Unterschied. Aber was um alles in der Welt hat das damit zu tun, ob es prinzipiell vielleicht möglich ist, die neuronalen Vorgänge bei Vollbreit zu beschreiben?


Nun, die Daten müssen ausgewertet werden. Das ist wie mit einem EKG. Signale des Herzens werden in Zacken auf Papier übersetzt, die kannst Du auch noch 11 Mal in andere Bilder oder Sprachen übersetzen, wenn der fehlt, der das deuten kann, ist nichts gewonnen. Darum geht es.

ganimed hat geschrieben: Welche Schmerzrezeptoren in Vollbreits Fuß feuern genau wann und wie intensiv?


Völlig unwichtig.

ganimed hat geschrieben:Was kommt davon auf welchen Wegen ins Gehirn? Was genau passiert dann? Welche Neuronen reagieren wie? Welche Botenstoffe werden in welchen Mengen wo genau ausgeschüttet? Welche Signale werden von wem wohin geschickt? Welche Prozesse werden wo angestoßen, wie beeinflusst? Was passiert sonst noch?
Eine Menge Holz. Aber es ist biochemisches Holz.


Nö.
Warum sollte man eigentlich alles auf das Hirn beschränken? Teile des ZNS reagieren ja dezentral und quasiautonom und auch die brauchen ihre Daten, die sie durch „Außenbezirke“ empfangen und und glaubst Du im Ernst, dass die Umwelt damit nichts zu tun hat?
Die Hirnforscher sind längst schon einen Schritt weiter bei den Embodiement-Theorien.
http://de.wikipedia.org/wiki/Embodiment
Die haben den Quatsch schon selbst hinter sich gelassen.

ganimed hat geschrieben:Es ist nicht unsichtbar, es ist beobachtbar. Die Mechanismen sind wiederholbar. Es ist messbar. Alles was ihr wollt. Erkläre mir mal einer bitte, welche philosophischen Bedenken es gibt, dass diese naturwissenschaftliche Forschung nicht immer weiter geht und immer genauer beschreibt, was passiert, wenn ein Mensch eine starke Schmerzreaktion in seinem Fuß verspürt? Wo soll da bitte eine prinzipielle Erkenntnisgrenze sein?


Zwischen Deinen Ohren.
Du musst es verstehen wollen. Aber da Du ja keinen freien Willen hast und anders programmiert bist, Schade.
Sei mal Wissenschaftler und versuch aktiv die eigenen Ideen zu falsifizieren.
Kümmer Dich mal darum, was Bewusstsein ist, wie sich ein Ich konstituiert, wie Erkenntnisse zustande kommen. Beschäftige Dich mich Heidegger, Wittgenstein, Habermas, Davidson, Brandom.
Kommt halt drauf an, wie groß Du einsteigen willst. Es gibt auch eine nette Vorlesung von Metzinger auf youtube. „Philosophie des Bewusstseins.“ Zig Stunden, nicht zu schwer, nicht zu leicht.
Oder hör Dir in Deinem Leib und Magen podcast auch mal Stephan Schleim an.
Er hat sich auch in einer der letzten Ausgaben von „Gehirn & Geist“ die Neuromythen vorgeknöpft, zu denen auch der Willensquatsch gehört.
Oder lies „Philosophie und Neurowissenschaften“ von Sturma (Hrsg.) – darin auch ein Beitrag vn dem Emergenzforscher Achim Stephan, oder „Hirnforschung und Willensfreiheit“ von Geyer (Hrsg.). Oder beschäftige Dich mal mit ernsthafter Pychologie, hier würde ich an erster Stelle Otto Kernberg nennen, der hat ein riesen Institut hinter sich, an dem Hirnforschung routinemäßig dazugehört.
Es liegt eigentlich nur an Dir.

ganimed hat geschrieben:Ich kann mir nur ein Argument denken, dass eine prinzipielle Schranke rechtfertigen würde. Wenn man annimmt, dass solche Dinge wie Bewusstsein, Erleben und Qualia eben nicht vollständig auf neuronalen Aktivitäten, elektischen Signalen, Hormonspiegeln und anderen körperlichen Reaktionen beruhen.


Dann ist es vielleicht Zeit das eigene Denken upzudaten.

ganimed hat geschrieben:Wenn man annimmt, dass auf einer nicht körperlichen sondern geistigen Ebene etwas passiert, unabhängig von den biochemischen Molekülen. Kurz: wenn man ein Dualist ist.


Naja, mit dem Dualismus, das hatte wir schon mal.
Bin erst mal offline.
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Zappa » Mi 24. Okt 2012, 19:33

Vollbreit hat geschrieben:Er sagt, dass hinweisende Gesten nur darum funktionieren, weil man das gestisch Bezeichnete, als isoliertes singuläres Subjekt erkennen kann. Dass dieses Erkennen keineswegs so einfach und selbstverständlich ist, dafür steht ja Quines „gavagai“.


Ist nach Tomasello ja auch nur eine Vorstufe. Menschenaffen beherrschen durchaus Zeigegesten, weil Sie verstehen, dass andere Individuen durchaus dafür nützlich sind eigene Ziele zu verfolgen. So nach dem Motto: Ich will die Banane außerhalb des Käfigs, der Mensch dort kann mir helfen und wenn ich auf die Banane zeige, dann bekomme ich die evtl. gereicht.

Aber schon die nächste Stufe (inkonographische Geste) setzt mehr voraus: Hier muss ich verstehen, dass der Andere versteht, dass die Geste "für etwas steht"- Ich zeige also nicht auf etwas, dass ich im Moment will, sondern die Geste steht für etwas, was im Moment nicht da oder nicht sichtbar ist oder steht für eine eine symbolischer (nicht konkrete) Handlung. Nach den Belegen, die Tomasello zitiert, können Menschenaffen das nicht, Menschen aber so ungefähr ab 12 Monaten.

Vollbreit hat geschrieben:Autisten sprechen ja auch. Aber ich würde gerne mehr drüber erfahren.


Das ist auch ein Thema, das Tomasello brennend zu interessieren scheint. Gestisch gibt es offenbar messbare unterschiede zwischen autistischen und nicht-autistischen Kindern, aber ich kann das im Moment nicht so ganz wiedergeben.

Vollbreit hat geschrieben:Der Clou von gavagai ist ja, dass er die Unmöglichkeit beschreiben soll bei Übersetzungen sicher zu sein, dass richtig übersetzt ist. (Aber vielleicht meintest Du das so?)


Naja, nicht ich meine das so, sondern so meine ich Tomasello verstanden zu haben: Wenn ich die fremde Sprache so dechiffriere, dass ich gemeinsames, intentionales Handeln damit begleiten oder sogar initiieren kann, bin ich mir sicher auf dem richtigen Weg zu sein. Ein Kopfnicken oder Lächeln einer fremden Spezies (was auch immer das sein mag) kann ja alles bedeuten, aber wenn wir gemeinsam kommunikativ handeln, dann sind wir auf dem richtigen Weg und bekommen eine empirische Bestätigung, das die Kommunikation klappt. K. hat nach Tomasello sowieso vorrangig die Aufgabe, bzw. vor allem die Wurzel, kooperatives Verhalten zu ermöglichen.


Vollbreit hat geschrieben:Ist aber so ein wenig wie mit Hume. Induktionsschlüsse sind formallogisch für die Urne, dennoch, Thema Sprache, überleg mal, wie wir alle Sprache lernen – richtig, induktiv.


Nicht induktiv, sondern intentional kooperativ. Es ist sozusagen ein lernendes und sich selbst verstärkendes System (sowas gibt es ja auch schon in der Informatik). Ich glaube sowieso, dass Du das mit dem Induktiv und Deduktiv zu streng siehts, kann das aber nicht so gut belegen :mg:

Vollbreit hat geschrieben:Das eigentliche ungelöste Rätsel ist aber die Neogenese der Sprache. ... Der Trick der Evolutionsbiologen besteht darin, diese Frage ein fach unbeantwortet zu lassen und zu sagen, dass seien 1.000 kleine Schritte gewesen und wenn doch noch einer nachfragt, dann waren es eben 10.000 klitzekleine Schritte. Ich finde das – Thema, meine Ungdeuld mit Biologen – völlig okay, wenn man die Antwort nicht weiß, ich weiß sie auch nicht.


Ja, aber ist das Vorgehen der Biologen nicht rationaler als deins? Sie haben halt gelernt auf die Fakten zu schauen, nach missing links zu suchen und langsam das Puzzle zusammen zu setzen. Es gibt sicher nicht den einen Moment in der Evolutionsgeschichte in dem die Sprache geboren wurde.

Vollbreit hat geschrieben:Wie soll das ohne sprachliche Konzepte gehen?
Was schlägt Tomasello, der ein ehrenwerter Forscher ist, soweit ich das sehe und der nicht unter meine Pauschalattacke, die keinen interessiert, fällt, denn da vor?


Ich fühle mich jetzt etwas überfordert das Ganze kompetent und knapp wieder zu geben (deswegen der Tipp das Buch zu lesen, ist mit Ausnahme des vorletzten Kapitels auch recht interessant geschrieben), aber ich mach mal einen Versuch:

Das Ganze ist natürlich ein evolutionärere, sich insbesondere in der kulturellen Evolution selbst verstärkender Effekt, aber nach Tomasello sind bestimmte Ich-Fähigkeiten Voraussetzungen fürt die gestische oder sprachliche Kommunikation.

Stufe 1 ist das Wollen ("Ich will Banane"), das setzt natürlich schon ein Ich-Beswusstsein voraus ("Ich bin Ich und da drumherum ist etwas Anderes, aber da gibt es Akteure, die ich einspannen kann"). Das erklärt die Zeigebewegungen: "Wenn ich auf Banane zeige, gibt mir der Akteur vielleicht das gewünschte".

Stufe 2 ist das Erkennen des Akteurs als anderes Ich ("Wenn ich Banane will und dafür mit Akteur kommunizieren muss, dann muss ich seine Aufmerksamkeit gewinnen"). Dafür gibt es die Aufmerksamkeitsgesten. Ich verschaffe mir erst Aufmerksamkeit und zeige dann auf das was ich will. Das ist schon der Beginn einer etwas komplexeren Kommunikation und das beherrschen schon Menschenaffen.

Stufe 3: Gemeinsames, intentionales Handeln. Nicht Ich habe ein Ziel, sondern wir haben gemeinsam ein Ziel. Ein riesiger Schritt (vor dem Biologen sicher 1000 andere Schritte einfordern): Nicht ich will etwas und spanne den anderen als (soziales?) Werkzeug ein, sondern wir wollen gemeinsam etwas. Ich beginne zu verstehen, dass auch der anderer Intentionen hat und er weiß, dass auch ich Intentionen habe, gemeinsam können wir ein Ziel erreichen. Das könne offenbar nur Menschen.

Jetzt kann die Zeigegeste sehr verschiedenes bedeuten: "Ich will Banane", "Haha, ich weiß, dass Du Bananen nicht verträgst", "Achtung Banane, hier kann ein Feind des anderen Stammes auch sein, da die Bananen besonders mögen". Die unterschiedliche Komplexität des Zeigezeichens ergibt sich (a) aus der gemeinsam gewissen Intentionalität (ich zeige nicht nur wild in der Gegend rum oder weil ich ein plumpes Interesse habe, sondern weil ich gemeinsam was mit Dir was erreichen will), (b) aus gemeinsamer Erfahrung (sonst wird die unterschiedliche Interpretation der Zeigegeste unmöglich und vor allem das Wissen des Zeigenden, das der Andere die Intention der Zeigegeste auch korrekt interpretiert) und (c) aus dem Wissen, dass der andere das auch weiß (Nur wenn der Andere auch weiß, dass ich weiß, dass der anderer Stamm Bananen besonders mag, kann er meine Zeigegeste als Warnung interpretieren. Und nur wenn ich weiß, dass er das weiß, dass ich das weiß, kann ich wissen, dass die Warnung ankommt).

Und so geht das Schritt für Schritt weiter, bis zu Sprachentwicklung (die nach Tomasello eine teilweises Ersetzen von Gesten durch Laute ist).

Lies vielleicht mal da Buch und dann kann man die Diskussion hier evtl. auch abspalten, würde mich auf jeden Fall weiter brennend interessieren!
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Re: Verlangt Diskurs nach Resultat?

Beitragvon Vollbreit » Sa 3. Nov 2012, 23:02

Zappa hat geschrieben:Menschenaffen beherrschen durchaus Zeigegesten, weil Sie verstehen, dass andere Individuen durchaus dafür nützlich sind eigene Ziele zu verfolgen. So nach dem Motto: Ich will die Banane außerhalb des Käfigs, der Mensch dort kann mir helfen und wenn ich auf die Banane zeige, dann bekomme ich die evtl. gereicht.


Schon klar, aber das ist ja gerade das Problem.
Was Du so locker mit ein paar Worten ausdrückst, ist kann eine riesige Leistung, die eben voraussetzt, was sehr komplex ist: Wollen, außerhalb, Hilfe sind nur ein paar Beispiele.

Zappa hat geschrieben:Aber schon die nächste Stufe (inkonographische Geste) setzt mehr voraus: Hier muss ich verstehen, dass der Andere versteht, dass die Geste "für etwas steht"- Ich zeige also nicht auf etwas, dass ich im Moment will, sondern die Geste steht für etwas, was im Moment nicht da oder nicht sichtbar ist oder steht für eine eine symbolischer (nicht konkrete) Handlung. Nach den Belegen, die Tomasello zitiert, können Menschenaffen das nicht, Menschen aber so ungefähr ab 12 Monaten.


Ja.
Und das Bezeichnete, muss man ja auch erst mal erkennen.
Klärende Fragen fallen ja aus.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Autisten sprechen ja auch. Aber ich würde gerne mehr drüber erfahren.


Das ist auch ein Thema, das Tomasello brennend zu interessieren scheint. Gestisch gibt es offenbar messbare unterschiede zwischen autistischen und nicht-autistischen Kindern, aber ich kann das im Moment nicht so ganz wiedergeben.


Die Tage hörte ich im Radio, dass Autisten anderen Menschen wohl nicht in die Augen schauen (können).
Man weiß noch nicht genau warum. Fest steht wohl, dass sie Emotionen wie Vokabeln lernen können, aber mit dem Gefühl nie in Empathie gehen, komplexere Emotionen wohl nicht empfinden können.
Das Buch von Temple Grandin (einer austischen Professorin für Biologie) fand ich sehr interessant.
Für sie sind Autisten, wie Tiere, was das Empfinden angeht, auch ihnen fehlt die Ambivalenz in den Empfindungen. Dürfte man als Nichtautist natürlich so nicht formulieren, aber sie kann ihre Fähigkeit, die Welt wie ein Tier zu sehen, praktisch anwenden, mit Erfolg.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Der Clou von gavagai ist ja, dass er die Unmöglichkeit beschreiben soll bei Übersetzungen sicher zu sein, dass richtig übersetzt ist. (Aber vielleicht meintest Du das so?)


Naja, nicht ich meine das so, sondern so meine ich Tomasello verstanden zu haben: Wenn ich die fremde Sprache so dechiffriere, dass ich gemeinsames, intentionales Handeln damit begleiten oder sogar initiieren kann, bin ich mir sicher auf dem richtigen Weg zu sein.


Jein.
Das zeigt eigentlich nur an, dass Du meinst, verstanden worden zu sein, aber Quine will im Grunde zeigen, dass diese empirischen Richtigkeiten kein Beleg sind, dass Du die Sprache kapiert hast.
Letzten Endes will er (zu dieser Zeit noch) auf einen Holismus hinaus (den er später selbst kassierte, zugunsten von Begriffsclustern). Weniger geht aber nicht.

Zappa hat geschrieben:Ein Kopfnicken oder Lächeln einer fremden Spezies (was auch immer das sein mag) kann ja alles bedeuten, aber wenn wir gemeinsam kommunikativ handeln, dann sind wir auf dem richtigen Weg und bekommen eine empirische Bestätigung, das die Kommunikation klappt. K. hat nach Tomasello sowieso vorrangig die Aufgabe, bzw. vor allem die Wurzel, kooperatives Verhalten zu ermöglichen.


Kann man so sehen.
Eine gezieltere Umsorgung (Mutter weiß, was fehlt) für eine biologisch wertvolles Gut, das reduzierter und seltener „produziert“ wird, ist eine Deutung, die mir noch einfällt, aber in die gleiche Richtung geht.

Zappa hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ist aber so ein wenig wie mit Hume. Induktionsschlüsse sind formallogisch für die Urne, dennoch, Thema Sprache, überleg mal, wie wir alle Sprache lernen – richtig, induktiv.


Nicht induktiv, sondern intentional kooperativ. Es ist sozusagen ein lernendes und sich selbst verstärkendes System (sowas gibt es ja auch schon in der Informatik). Ich glaube sowieso, dass Du das mit dem Induktiv und Deduktiv zu streng siehts, kann das aber nicht so gut belegen :mg:


Nee, das wollte ich ja auch sagen. Formal sollte vieles nicht klappen, oder kein letztgültiger Beweis sein, was aber prima klappt. Ich gehöre dann eher zu der Fraktion, der die Logik am A… vorbei geht, wie gesagt, wenn es logisch „nicht klappen kann“, aber praktisch klappt. Was soll man auch sonst machen?

Zappa hat geschrieben:Ja, aber ist das Vorgehen der Biologen nicht rationaler als deins? Sie haben halt gelernt auf die Fakten zu schauen, nach missing links zu suchen und langsam das Puzzle zusammen zu setzen. Es gibt sicher nicht den einen Moment in der Evolutionsgeschichte in dem die Sprache geboren wurde.


Es kommt nicht auf den Moment oder das Areal an, aus philosophischer Sicht, selbst wenn es den/das gibt, sondern um die denkerische Fähigkeit, die damit verbunden ist.
Die eine Frage ist die, was ich neurologisch benötige, damit ich meinetwegen ein Ichempfinden habe oder räumlich sehen kann, oder was auch immer.
Psychologen fragen eher, was dieses Ich kann, was es tut und ausmacht, sie haben präzise Antworten gefunden.
Philosophen fragen, was z.B. nötig ist, um Erkenntnisse haben zu können, Kant hat ja hier Großes geleistet.

Es geht nicht darum die Fakten zu leugnen, sondern der Sache auch philosophisch nachzugehen, was durchaus auch einen praktischen Wert hat, wenn man sieht, wie sich die Neurobiologen bei diesen Fragen mitunter verrannt haben.

Auch die Philosophen mitunter Schnarchnasen gewesen, das soll nicht verheimlicht werden.

Zappa hat geschrieben:Das Ganze ist natürlich ein evolutionärere, sich insbesondere in der kulturellen Evolution selbst verstärkender Effekt, aber nach Tomasello sind bestimmte Ich-Fähigkeiten Voraussetzungen fürt die gestische oder sprachliche Kommunikation.


Und hier kommt eben der Punkt ins Spiel, was es bedeutet, Ich zu sein. Finde ich ungeheuer spannend.
Kant stopft ja alles in die synthetische Einheit des Ich, d.h. bei ihn ordnet das Ich auf wundersame Weise auch alles, nur hat Kant eben den Weg zur Sprache noch nicht gefunden, er ist, was das angeht, auf halbem Wege verreckt. Er erkannte, dass der Begriff nur im Kontext des Satzes einen Sinn ergibt, aber erst Quine und Wittgenstein (und irgendwie de Saussure) haben hier durchgezogen und formuliert, dass der Satz erst im Kontext weiterer Sätze Sinn ergibt.
Kann man noch viel zu schreiben, mal sehen, was sich so organisch ergibt.

Zappa hat geschrieben:Stufe 1 ist das Wollen ("Ich will Banane"), das setzt natürlich schon ein Ich-Beswusstsein voraus ("Ich bin Ich und da drumherum ist etwas Anderes, aber da gibt es Akteure, die ich einspannen kann"). Das erklärt die Zeigebewegungen: "Wenn ich auf Banane zeige, gibt mir der Akteur vielleicht das gewünschte".


Und da würde Brandom wohl Einspruch erheben.
Deute mal einem Hund auf etwas „da hinten“, der guckt, wenn er nicht traininert ist, auf Deinen Finger, weil der das was das Deuten meint, nicht kapiert.
Der Affe vielleicht deshalb, weil er auch deuten kann.
Aber dass das Deuten an sich etwas meint … hm.
Irgendwo habe ich mal gelesen, es sei aus dem Werfen entstanden, weiß der Geier, ob’s stimmt.

Zappa hat geschrieben:Stufe 2 ist das Erkennen des Akteurs als anderes Ich ("Wenn ich Banane will und dafür mit Akteur kommunizieren muss, dann muss ich seine Aufmerksamkeit gewinnen"). Dafür gibt es die Aufmerksamkeitsgesten. Ich verschaffe mir erst Aufmerksamkeit und zeige dann auf das was ich will. Das ist schon der Beginn einer etwas komplexeren Kommunikation und das beherrschen schon Menschenaffen.


Das ist eigentlich auch schon wahnsinnig kompliziert.
Aber gut, Tomasello weiß wohl, wovon er redet.

Zappa hat geschrieben:Stufe 3: Gemeinsames, intentionales Handeln. Nicht Ich habe ein Ziel, sondern wir haben gemeinsam ein Ziel. Ein riesiger Schritt (vor dem Biologen sicher 1000 andere Schritte einfordern): Nicht ich will etwas und spanne den anderen als (soziales?) Werkzeug ein, sondern wir wollen gemeinsam etwas. Ich beginne zu verstehen, dass auch der anderer Intentionen hat und er weiß, dass auch ich Intentionen habe, gemeinsam können wir ein Ziel erreichen. Das könne offenbar nur Menschen.


Jepp.
Exakt damit beginnt Brandom sein Buch („Expressive Vernunft“)und fragt, was wir eigentlich meinen, wenn wir „Wir“ sagen. Das scheint es zu sein, was uns von anderen trennt.
Soweit ich weiß haben auch Tiere eine Wir-Instanz, aber sehen den anderen eher als Konkurrenten.
De Waal machte jüngst Experimente, in denen Affen von sich auch teilten, das bringt noch mal Schwung in den Laden , aber es geht ja nicht um alberne Abgrenzungen von Tier und Mensch, sondern um das, was uns verbindet, wenn wir „Wir“ sagen.
Die Antwort ist, das „Geben und Verlangen von Gründen“. Später führt er aus:

Robert Brandom hat geschrieben: „Wir sind empfindende Wesen, genau wie wir verstehende sind, aber unsere Entscheidungsfähigkeit ist anders als die jener Wesen, die keine Gründe geben, oder nach Gründen verlangen können. Unter einer physiologischen Beschreibung ist unser Empfinden vielleicht kaum von dem nichtdiskursiver Wesen unterscheidbar. Doch wir empfinden nicht nur, wir nehmen auch wahr. Das heißt, unsere unterscheidende Reaktion auf sensorische Reizung schließt die nichtinferentielle Anerkennung propositional gehaltvoller doxastischer Festlegungen ein. Durch die Wahrnehmung und wenn entsprechend geschult und situiert, finden wir uns selbst als Wesen vor, die auf passive Weise bestimmte Positionen im Raum der Gründe einnehmen.
Wir sind praktische Wesen, genau wie wir sprachliche sind, aber unser zielgerichtetes Tun ist anders als das der Wesen, die keine Gründe geben oder nach Gründen verlangen können. Unter einer physiologischen Beschreibung mag sich unsere motorische Aktivität kaum von der nichtdiskursiver Wesen unterscheiden. Aber wir bringen nicht nur Performanzen hervor, sondern wir vollziehen Handlungen. Unsere Performanzen schließen nichtinferentielle Reaktionen auf Anerkennungen propositional gehaltvoller praktischer Festlegungen ein. Durch das Handeln und wenn entsprechend geschult und situiert, sind wir in der Lage auf die besonderen Positionen, die wir im Raum der Gründe einnehmen, aktiv zu reagieren, indem wir die nichtdiskursive Umgebung verändern. Unsere Verwandten im Tierreich, die Vorfahren-Primaten und ihre heutigen Abkömmlinge – durchaus empfindende und zielgerichtete, aber keine diskursiven Wesen -, sind als Wahrnehmende und Handelnde nur in einem abgeleiteten Sinn interpretierbar. Ein Interpret kann ihrem Verhalten einen Sinn geben, indem er ihnen propositional gehaltvolle intentionale Zustände unterstellt, doch sein Verständnis dieser Zustände und ihrer Signifikanz leitet sich aus seiner Beherrschung der reicheren Praktik des Gebens und Verlangens von Gründen für solche doxastischen und praktischen diskursiven Festlegungen ab, die diesen weniger komplexen Wesen nicht zuerkannt werden. Die Tätigkeiten, an denen sie gemäß der Interpretation teilhaben, reichen nicht hin, ihren Zuständen, Einstellungen und Performanzen irgend etwas zu verleihen, was als propositionaler Gehalt erkennbar wäre. Unsere diskursiven Praktiken machen uns semantisch autonom in einem Sinn, der auf jene nichtdiskursiven Praktiken nicht zutrifft.“
(S. 400f, Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp)


Zappa hat geschrieben:Jetzt kann die Zeigegeste sehr verschiedenes bedeuten: "Ich will Banane", "Haha, ich weiß, dass Du Bananen nicht verträgst", "Achtung Banane, hier kann ein Feind des anderen Stammes auch sein, da die Bananen besonders mögen". Die unterschiedliche Komplexität des Zeigezeichens ergibt sich (a) aus der gemeinsam gewissen Intentionalität (ich zeige nicht nur wild in der Gegend rum oder weil ich ein plumpes Interesse habe, sondern weil ich gemeinsam was mit Dir was erreichen will), (b) aus gemeinsamer Erfahrung (sonst wird die unterschiedliche Interpretation der Zeigegeste unmöglich und vor allem das Wissen des Zeigenden, das der Andere die Intention der Zeigegeste auch korrekt interpretiert) und (c) aus dem Wissen, dass der andere das auch weiß (Nur wenn der Andere auch weiß, dass ich weiß, dass der anderer Stamm Bananen besonders mag, kann er meine Zeigegeste als Warnung interpretieren. Und nur wenn ich weiß, dass er das weiß, dass ich das weiß, kann ich wissen, dass die Warnung ankommt).

Und so geht das Schritt für Schritt weiter, bis zu Sprachentwicklung (die nach Tomasello eine teilweises Ersetzen von Gesten durch Laute ist).

Lies vielleicht mal da Buch und dann kann man die Diskussion hier evtl. auch abspalten, würde mich auf jeden Fall weiter brennend interessieren!


Wie heißt das Buch denn eigentlich?
Ich finde es auch spannend, das Phänomen von allen Seiten zu betrachten, können wir gerne weiter diskutieren.
Der Zusammenhang zwischen Sprache, Gesten, Ich, Bewusstsein und so weiter ist eine Quelle die nie versiegt, wie es scheint.
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