Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 8. Jun 2010, 06:08

darwin upheaval hat geschrieben:"The dogmatism paradox shows how new knowledge can undermine old knowledge."


…but it doesn't show that knowledge can become false knowledge!
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 8. Jun 2010, 06:15

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Da sich El Schwalmo von länglichen Zitaten beeindrucken lässt

beeindrucken lassen würde ich mich, wenn aus Deinem Posting hervorgehen würde, dass Du verstanden hast, was Myron Dir sagen will.
Das mit den 'kleinen Brötchen' betrifft eher Dich. Es spielt keine Rolle, ob es große Brötchen gibt.


[MOD] Jungs, ich mahne euch erneut zur Sachlichkeit! [/MOD]
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Di 8. Jun 2010, 06:25

Myron hat geschrieben:[MOD] Jungs, ich mahne euch erneut zur Sachlichkeit! [/MOD]

meiner Meinung nach sind Tatsachenbehauptungen gestattet.

Die 'kleinen Brötchen' sind das, was Darwin Upheaval umtreibt: Wie gelange ich im Bereich der Naturwissenschaften zu den Aussagen, die man dort als 'Wissen' bezeichnet.

Du bist Philosoph, Dich interessieren ganz andere Fragen ('große Brötchen'): Was ist überhaupt 'Wissen'? Wann ist es gerechtfertigt, von 'Wissen' zu sprechen und so weiter.

Es könnte sein, dass 'Wissen' in diesem Sinn, zumindest in bestimmten Bereichen, gar nicht möglich ist ('es gibt keine großen Brötchen'). Um über derartige Fragen aber sinnvoll diskutieren zu können, braucht man einen bestimmten fachwissenschaftlichen Hintergrund. Du hast ihn.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 8. Jun 2010, 09:55

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Vielleicht kommst Du auch noch darauf, was "Wissenschaftsrevisionismus" bedeuten könnte?

vielleicht kommst auch Du noch darauf, was eine mäeutische Frage ist.


Ich weiß, Du stellst Dich gern blöd und meinst, das sei "Mäeutik". Aber glaub mir: Das kommt wirklich nur blöd. Du solltest Dich gelegentlich bei akademischen Philosophen darüber informieren, was "Wissenschaftsrevisionismus" bedeuten könnte, anstatt mit versteckter "Mäeutik" meinen zu müssen, mir zu sagen, dass es den Begriff gar nicht "gibt".
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon darwin upheaval » Di 8. Jun 2010, 10:07

El Schwalmo hat geschrieben:meiner Meinung nach sind Tatsachenbehauptungen gestattet.


Stellen wir doch mal die Tatsachen klar: Du bist ein Zaungast, der bestenfalls in einer der unteren Ligen spielt. Inhaltlich hast Du, soweit man Deine Beiträge hier verfolgt, nichts geliefert. Mit Philosophie, die Deinen Agnostizismus übersteigt, konntest Du doch noch nie etwas anfangen, Du hast es noch nicht mal geschafft, Mahners Philosophie (z. B. die Bedeutung des "ontologischer Naturalismus") korrekt zu rezipieren. Das einzige, was Dich hier in der Diskussion hält, ist die Tatsache, dass Du mich gern öffentlich anpinkelst, weil Du Dir offenbar anders keinen Oxytocin-Ausstoß mehr verschaffen kannst. Zu dem Paradoxon und all dem anderen, was ich gegen Myrons Position einzuwenden hatte, fiel Dir bezeichnenderweise nichts ein. Mit welcher Legitimation schwingst Dich eigentlich aufs Richterstühlchen?
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 8. Jun 2010, 10:50

Myron hat geschrieben:Noch einmal: Fehlbares Wissen ist nicht gleich falsches Wissen!


Wenn Wissen fehlbar ist, ist es nur eine logische Konsequenz dass es auch falsches Wissen gibt! Wissen, das wir heute als Wissen vertreten, kann sich in 100 Jahren als falsch herausstellen, ergo ist das heutige Wissen möglicherweise falsches Wissen. Du kannst dann natürlich sagen, dass es sich dann eben nicht um Wissen handelt. Aber dann ist jedes Wissen vor vornherein nicht existent, weil die Anforderungen, die Du an Wahrheiten (und Wissen) stellst, von den Naturwissenschaftlern gar nicht erbracht werden können.

Die Crux ist, dass Du Erkenntnistheorie mit Ontologie vermischst: Wenn x nicht existiert, kann es Dir zufolge kein Wissen über x geben. Wenn wir y als x erkennen (das ist ein Axiom der Evolutionären Erkenntnistheorie), dann wäre logischerweise weder Wissen über x noch über y möglich, denn x existiert nicht sondern ist in Wahrheit y, und y erkennen wir nicht so, wie es ist.


Myron hat geschrieben:Das heißt, auch das fehlbare "Vermutungswissen" ist wahrheitsabhängig!


Nur gibt es eben keine sicheren Wahrheiten, sondern nur hypothetisch Wahres.


Myron hat geschrieben:Dein Denkfehler besteht darin, dass du meinst, der fallibilistische Standpunkt erfordere die Ablehnung des Axioms Kp –> p, was aber gar nicht der Fall ist.
Die Fallibilisten lehnen es de facto nicht ab!
Folglich ist meine Argumentation zugunsten dieses Axioms nicht per se eine Argumentation gegen den Fallibilismus und für den Infallibilismus!


Dieser Satz ist nicht verstehbar. Wenn Wissen fehlbar ist, dann ist logischerweise auch die Hypothese, wonach p existiere, fehlbar. Damit wäre die Existenzhypothese x vom Wissen über x entkoppelt.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:"Evolutionary epistemology is inseparably connected with hypothetical realism. This is a modest form of critical realism. Its main tenets are: All knowledge is hypothetical, i.e., conjectural, fallible, preliminary..... According to this position all knowledge is hypothetical, i.e., uncertain. This claim is itself part of a theory, hence of knowledge. It must therefore apply to itself. But this must lead -it is said- to a contradiction" [Vollmer 1987, p. 188].
(http://www.unav.es/cryf/english/conocim ... lismo.html)


Die Hypothetizität hypothetischen (fehlbaren, unsicheren) Wissens kann doch nur darin bestehen, dass ein aus guten Gründen für wahr und damit für Wissen gehaltener Glaube sich unerwarteterweise als falscher Glaube (nicht als falsches Wissen!) und damit als Scheinwissen herausstellen könnte.


"Wissen" kann doch nicht beliebig seinen Status wechseln, einmal Wissen und einmal Glaube sein, je nachdem, wie die Datenlage aussieht. Wissen wäre dann a priori immer nur Scheinwissen, weil wir davon ausgehen müssen, dass der Wissensfortschritt auch immer neue Theorien und neues Wissen bringt, das mit dem alten Wissen (partiell) inkompatibel ist. Die Wissenschaftsgeschichte hat es doch gezeigt: Keine einzige Theorie hat sich als restlos "wahr" erwiesen, sondern bestenfalls immer nur partiell als wahr. Folglich müsste ein fiktiver Geschichtsschreiber, der seit der Antike den Wissensfortschritt kommentiert, ständig einräumen: "Hier, da, und dort, und natürlich auch in 10.000 anderen Fällen, wo wir von "Wissen" sprachen, da haben wir uns geirrt, da hat sich das Wissen ständig als Scheinwissen entpuppt". Das Unternehmen Wissenschaft würde demnach nur unablässig Scheinwissen anhäufen, nicht Wissen.

Nein, ich bleibe dabei: Wenn man den Wahrheitsbegriff in den Wissenbegriff hinein nimmt, dann kann es so etwas wie Poppers "hypothetisches Wissen" oder "fehlbares Wissen" (Fallibilismus) nicht geben, sondern nur Scheinwissen.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Vollmer's answer points out first that hypothetical realism claims all synthetic statements to be hypothetical, and continues:
"…According to hypothetical realism it is of the very essence of synthetic statements to be possibly false. …" [Vollmer 1987, p. 189]."
(http://www.unav.es/cryf/english/conocim ... lismo.html)


Das heißt ja nur, dass keine synthetische Aussage eine (logisch) notwendige Wahrheit...


... und damit gemäß Deiner Definition auch kein Wissen ist. Zur Erinnerung, Du knüpfst an den Wissensbegriff der Begriff des Wahren und des Sicheren. Das gibt es in den empirischen Wissenschaften aber nicht.


Myron hat geschrieben:(Apropos, ich erinnere daran, dass [](Kp –> p) nicht mit Kp –> []p verwechselt werden darf. Das heißt, Wissen impliziert notwendigerweise Wahrheit, aber Wissen impliziert nicht notwendigerweise notwendige Wahrheit.)


Dann einigen wir uns doch darauf, dass es nur relatives Wissen gibt, das sich in einem anderen Kontext auch als falsch erweisen kann. Das Wissen, dass morgens die Sonne aufgeht, ist wahres Wissen im Kontext naiver empirischer Wahrnehmung und falsches Wissen vor dem Hintergrund des kopernikanischen Weltmodells.

Myron hat geschrieben:(
darwin upheaval hat geschrieben:"… science is first and foremost a body of factual and theoretical knowledge about the world (Gooding 1992:65f.). The self-assigned task of the philosopher is to prescribe some „method of science“ that will lead scientific knowledge to approximate [!] Truth through gradual improvements."
(http://www.jstor.org/pss/1389440)


"factual knowledge"—Es sollte einleuchten, dass Tatsachenwissen das Vorhandensein entsprechender Tatsachen voraussetzt,


Du solltest Dir unsere erkenntnistheoretische Situation vor Augen halten: A erkennt x als y.

Wir erkennen nur y, aber nicht x, und folglich ist alles Wissen, das wir erlangen können, Wissen über y. Tatsächlich aber existiert nicht y, sondern x. Das falsifiziert Deine Position, es sei denn, Du räumst ein, dass es überhaupt kein Wissen gibt. Damit wären wir wieder bei der Frage, ob Dein Wissensbegriff nicht eher ein Unbegriff ist.


Myron hat geschrieben:"Vermutungswissen:
Eine andere Möglichkeit ist die von Karl Popper entwickelte: weiter nach Erkenntnis und damit nach inhaltlicher Wahrheit zu streben, aber den Anspruch auf absolute Begründung und damit auf Gewissheit aufzugeben. Unser gesamtes Wissen besteht dann aus Hypothesen, deren Wahrheit nie sicher ist ('Vermutungswissen'), die wir aber dennoch strengen Prüfungen aussetzen können, damit sie auch zukünftigen Prüfungen immer standhalten werden. Als Beispiel mag die Newtonsche Mechanik dienen. Sie hat 200 Jahre lang das physikalische Denken beherrscht, bis die Einsteinsche Theorie an ihre Stelle trat. Warum wurde die Newtonsche Auffassung so lange als sicher akzeptiert? Weil sie eine solche Fülle von Tatsachen einheitlich erklärte, dass man sich kaum vorstellen konnte, es seien Irrtümer in ihr enthalten. Sie ließ sich daher ohne Schwierigkeiten im Sinne des klassischen Erkenntnisideals deuten. Nun zeigte sich aber, dass die Einsteinsche Theorie außer den Tatsachen, die mit Hilfe der Newtonschen erklärbar waren, noch weitere erklären (und sogar vorhersagen) konnte, mit denen die Newtonsche nicht fertig wurde. Überdies ist sie mit der Newtonschen unvereinbar, so dass nicht beide zugleich wahr sein können. Man kann sich hier zwar so helfen, dass man behauptet, die Newtonsche Theorie sei nur annähernd wahr, sie liefere also sogenannte approximative Erklärungen, aber das bedeutet u.a. auch, dass sie – strenggenommen – falsch ist. [meine Beton.]"


(Albert, Hans. "Kritischer Rationalismus." In Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hrsg. v. Helmut Seiffert u. Gerard Radnitzky, 177-182. München: dtv, 1992. S. 180-81)


Das ist dann der Offenbarungseid Deines Wahrheitsbegriffs, denn es steht streng genommen fest, dass auch die Einsteinsche Theorie, und keine der noch kommenden Theorien, Wissen nach Deinen Bedingungen liefert. Weil Theorien eben von Hause aus nur approximative Erklärungen liefern und daher - streng genommen - falsch sind.

Dass die Einsteinsche Theorie mit der Newtonschen "unvereinbar" sei, halte ich übrigens für falsch, aber das nur am Rande. Beide Theorien sind approximativ wahr, und die eine enthält die andere als Spezialfall.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 8. Jun 2010, 12:26

El Schwalmo hat geschrieben:Du bist Philosoph, Dich interessieren ganz andere Fragen ('große Brötchen'): Was ist überhaupt 'Wissen'? Wann ist es gerechtfertigt, von 'Wissen' zu sprechen und so weiter.

Es könnte sein, dass 'Wissen' in diesem Sinn, zumindest in bestimmten Bereichen, gar nicht möglich ist ('es gibt keine großen Brötchen'). Um über derartige Fragen aber sinnvoll diskutieren zu können, braucht man einen bestimmten fachwissenschaftlichen Hintergrund. Du hast ihn.


Ups. Ist "Mensch mit fachwissenschaftlichem Hintergrund" dasselbe wie "akademischer Philosoph"?

Du als Lehrer bist ein Mensch ohne fachwissenschaftlichen Hintergrund und erlaubst Dir Urteile darüber, zu welchen Schlüssen ein Mensch mit bestimmtem fachwissenschaftlichem Hintergrund (was immer das sein soll) gelangen muss. Dass diese Auffassung möglicherweise konträr zu den Auffassungen anderer Menschen mit eben diesem fachwissenschaftlichem Hintergrund sein könnte, kehrst Du dabei sorgfältig unter den Teppich. Aber das dann halt eben keine Menschen mit fachwissenschaftlichem Hintergrund. Wie wäre es, wenn Du zur Abwechslung mal Argumente gelten lassen, oder, noch besser, selbst Argumente entwickeln würdest? Das ist ein paar Nummern schwieriger, als selbst nur Kritik zu üben.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon smalonius » Di 8. Jun 2010, 19:10

darwin upheaval hat geschrieben:Wissen, das wir heute als Wissen vertreten, kann sich in 100 Jahren als falsch herausstellen, ergo ist das heutige Wissen möglicherweise falsches Wissen.

Ob und wenn ja, wieviel Neanderthaler im Menschen steckt, ist ein schönes aktuelles Beispiel für eine Frage, die mal so, mal anders beantwortet wird.

Andere Fragen jedoch kann immer genauer beantworten, vor allem wenn man die Entwicklung über Zeiträume von Jahrhunderten betrachtet. Zumindest die Wissenschaften, in denen sich Experimente beliebig oft wiederholen lassen, sind hier im Vorteil.

darwin upheaval hat geschrieben:Die Wissenschaftsgeschichte hat es doch gezeigt: Keine einzige Theorie hat sich als restlos "wahr" erwiesen, sondern bestenfalls immer nur partiell als wahr. Folglich müsste ein fiktiver Geschichtsschreiber, der seit der Antike den Wissensfortschritt kommentiert, ständig einräumen: "Hier, da, und dort, und natürlich auch in 10.000 anderen Fällen, wo wir von "Wissen" sprachen, da haben wir uns geirrt, da hat sich das Wissen ständig als Scheinwissen entpuppt". Das Unternehmen Wissenschaft würde demnach nur unablässig Scheinwissen anhäufen, nicht Wissen.

Wissenschaft besteht nicht nur aus Theorien, sondern auch aus den Meßergebnissen und Widerlegungen, die wir bisher angehäuft haben.

- Wasser ist am Dichtesten bei vier Grad Celsius.
- In den 40iger Jahren des letzen Jahrhunderts fand man ein Skelett, dem man den Namen Lucy gab.
- Es gibt schwarze Schwäne.
- Träge und schwere Masse unterscheiden sich höchstens um den Faktor 10 hoch minus 10.
- Die beobachtete Rotationsgeschwindigkeit der Milchstraße passt nicht zu unserem Modell.

darwin upheaval hat geschrieben:Dass die Einsteinsche Theorie mit der Newtonschen "unvereinbar" sei, halte ich übrigens für falsch, aber das nur am Rande. Beide Theorien sind approximativ wahr, und die eine enthält die andere als Spezialfall.

Denke ich auch. Und insbesondere Kraft = Gegenkraft gilt immer noch.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Di 8. Jun 2010, 20:02

smalonius hat geschrieben:Denke ich auch. Und insbesondere Kraft = Gegenkraft gilt immer noch.

schon, aber die zentralen Punkte waren absoluter Raum und absolute Zeit. Schau beispielsweise bei Kant, wie sich diese Prämissen auswirkten.

Wissenschaftshistorisch hat derartige Überlegungen am Beispiel der Evolutionstheorien meisterhaft

Kellogg, V.L. (1907) 'Darwinism To-Day. A Discussion of Present-Day Scientific Criticism of the Darwinian Selection Theories, Together With a Brief Account of the Principal Other Proposed Auxiliary and Alternative Theories of Species-Forming' New York, Henry Holt


dargestellt, der 'auxiliary' (also Ergänzungen oder Spezialfall im Rahmen einer umfassenden Theorie) und 'alternative' (so unterschiedlich, dass eine Theorie 'falsch' wird, wenn die andere gilt) unterscheidet. Es kommt dann halt darauf an, was man in den Vordergrund stellt: Absoluten Raum und Zeit, oder andere Bereiche.
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Zappa » Di 8. Jun 2010, 20:27

Ist doch andererseits ein schönes Beispiel dafür, dass es oft besser ist, wenn die Teilnehmer einer Diskussion sich nicht kennen :mg:
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Di 8. Jun 2010, 20:37

smalonius hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Wissen, das wir heute als Wissen vertreten, kann sich in 100 Jahren als falsch herausstellen, ergo ist das heutige Wissen möglicherweise falsches Wissen.

Ob und wenn ja, wieviel Neanderthaler im Menschen steckt, ist ein schönes aktuelles Beispiel für eine Frage, die mal so, mal anders beantwortet wird.

Andere Fragen jedoch kann immer genauer beantworten, vor allem wenn man die Entwicklung über Zeiträume von Jahrhunderten betrachtet. Zumindest die Wissenschaften, in denen sich Experimente beliebig oft wiederholen lassen, sind hier im Vorteil.


Schon, aber die Diskusison verliefe eine Ebene abstrakter: Gibt es "Wissen" ohne Wahrheit und ohne Sicherheit? Myron vertritt die Definition des "mainstreams", ich dagegen würde den Begriff des Wahren und des Sicheren vom Wissensbegriff entkoppeln, weil das mit Poppers "hypothetischem Wissen" besser harmoniert. Das scheinen die anderen hier anders zu sehen. Wir werden uns halt wieder mal nicht einig.


smalonius hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Die Wissenschaftsgeschichte hat es doch gezeigt: Keine einzige Theorie hat sich als restlos "wahr" erwiesen, sondern bestenfalls immer nur partiell als wahr. Folglich müsste ein fiktiver Geschichtsschreiber, der seit der Antike den Wissensfortschritt kommentiert, ständig einräumen: "Hier, da, und dort, und natürlich auch in 10.000 anderen Fällen, wo wir von "Wissen" sprachen, da haben wir uns geirrt, da hat sich das Wissen ständig als Scheinwissen entpuppt". Das Unternehmen Wissenschaft würde demnach nur unablässig Scheinwissen anhäufen, nicht Wissen.

Wissenschaft besteht nicht nur aus Theorien, sondern auch aus den Meßergebnissen und Widerlegungen, die wir bisher angehäuft haben.

- Wasser ist am Dichtesten bei vier Grad Celsius.
- In den 40iger Jahren des letzen Jahrhunderts fand man ein Skelett, dem man den Namen Lucy gab.
- Es gibt schwarze Schwäne.
- Träge und schwere Masse unterscheiden sich höchstens um den Faktor 10 hoch minus 10.
- Die beobachtete Rotationsgeschwindigkeit der Milchstraße passt nicht zu unserem Modell.


Sicher. Aber es gäbe, abgesehen von ein paar niederrangigen Beobachtungsaussagen vielleicht, in der Wissenschaft so gut wie überhaupt kein Wissen, weil die übliche Definition bezüglich Wahrheit und Sicherheit Anforderungen an "Wissen" stellt, die die Naturwissenschaften üblicherweise nicht erbringen können. Wenn man dann auch noch Newtons Theorie als "falsch" deklariert, nur weil sie imperfekt ist, dann ist auch dieses Wissen letztlich nur Scheinwissen. Komisch nur, dass dann Flugzeuge überhaupt in der Luft bleiben, wurden diese doch offensichtlich nach falschen Gleichungen bzw. Scheinwissen konstruiert. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung muss es also zwischen "schwarz" und "weiß" (falsch und wahr) noch ein paar Grau-, wenn nicht sogar Farbabstufungen geben. Oder anders gesagt, die Newtonsche Mechanik ist weder völlig falsch noch völlig wahr, sie ist partiell wahr, weil sie in bestimmter Hinsicht eben doch mit etlichen Fakten korrespondiert.


smalonius hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Dass die Einsteinsche Theorie mit der Newtonschen "unvereinbar" sei, halte ich übrigens für falsch, aber das nur am Rande. Beide Theorien sind approximativ wahr, und die eine enthält die andere als Spezialfall.

Denke ich auch. Und insbesondere Kraft = Gegenkraft gilt immer noch.


Nicht nur das - die ganze Mechanik ist ja nach wie vor korrekt. Vorausgetzt, man bleibt im knapp subrelativistischen und makroskopischen Bereich.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 8. Jun 2010, 21:58

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn Wissen fehlbar ist, ist es nur eine logische Konsequenz dass es auch falsches Wissen gibt! Wissen, das wir heute als Wissen vertreten, kann sich in 100 Jahren als falsch herausstellen, ergo ist das heutige Wissen möglicherweise falsches Wissen. Du kannst dann natürlich sagen, dass es sich dann eben nicht um Wissen handelt.


Das ist der Punkt. Wenn sich etwas, das heute als (fehlbares) Wissen gilt, irgendwann als falsch herausstellt, dann war es eben nicht wirklich Wissen, sondern nur ein falscher Glaube.
Musgrave drückt es doch klar aus:

"If I am to know that there is someone outside the door, then there really must be someone outside the door. Before the belief is entitled to be called 'knowledge', what is believed must be true. If I say 'I know that P' and then find out that P is false, I will withdraw my claim to knowledge: I will say that I thought I knew that P but did not really know it."

(Musgrave, Alan. Common Sense, Science and Scepticism: A Historical Introduction to the Theory of Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. p. 2)

"…Man vergisst eben immer den Ausdruck 'Ich glaubte, ich wüsste es'."

(L. Wittgenstein, Über Gewissheit, §12)

darwin upheaval hat geschrieben:Aber dann ist jedes Wissen vor vornherein nicht existent, weil die Anforderungen, die Du an Wahrheiten (und Wissen) stellst, von den Naturwissenschaftlern gar nicht erbracht werden können.


Wie gesagt, wer auf fehlbares Wissen setzt, geht zwangsläufig ein epistemisches Risiko ein.
Ich sage jedoch nicht, dass die Wissenschaftler deshalb kein Recht haben, Wissensansprüche zu erheben. Dass sich fehlbares Wissen als Scheinwissen erweisen könnte, bedeutet ja nicht unbedingt, dass dieser Fall jemals eintritt.
(Daran ändert auch die geschichtliche Tatsache nichts, dass er oft eingetreten ist.)

darwin upheaval hat geschrieben:Die Crux ist, dass Du Erkenntnistheorie mit Ontologie vermischst: Wenn x nicht existiert, kann es Dir zufolge kein Wissen über x geben.


Ja, über nichtexistente Sachen oder Sachverhalte kann es selbstverständlich kein Wissen geben.
(Ein Satz wie "Ich weiß, dass Sherlock Holmes ein Detektiv ist" ist zu lesen als "Ich weiß, dass Sherlock Holmes der Erzählung nach ein Detektiv ist".)

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn wir y als x erkennen (das ist ein Axiom der Evolutionären Erkenntnistheorie), dann wäre logischerweise weder Wissen über x noch über y möglich, denn x existiert nicht sondern ist in Wahrheit y, und y erkennen wir nicht so, wie es ist.


Ich verstehe dieses Axiom (noch) nicht.
Wofür stehen "x" und "y"?

darwin upheaval hat geschrieben:Wenn Wissen fehlbar ist, dann ist logischerweise auch die Hypothese, wonach p existiere, fehlbar. Damit wäre die Existenzhypothese x vom Wissen über x entkoppelt.


Das Wissen, dass p, hängt freilich von der Existenz von p als einer wahren Aussage oder einem bestehenden Sachverhalt (= Tatsache) ab, wobei die Existenz einer Aussage nicht von deren Wahrheit abhängt, während nicht bestehende Sachverhalte nichtexistente Sachverhalte sind.

darwin upheaval hat geschrieben:"Wissen" kann doch nicht beliebig seinen Status wechseln, einmal Wissen und einmal Glaube sein, je nachdem, wie die Datenlage aussieht.


"Propositional knowlege is a species of belief."

("Knowledge, Concept of." In The Shorter Routledge Encyclopedia of Philosophy, edited by Edward Craig, 524-532. London: Routledge, 2005. p. 525)

darwin upheaval hat geschrieben:Wissen wäre dann a priori immer nur Scheinwissen, weil wir davon ausgehen müssen, dass der Wissensfortschritt auch immer neue Theorien und neues Wissen bringt, das mit dem alten Wissen (partiell) inkompatibel ist. Die Wissenschaftsgeschichte hat es doch gezeigt: Keine einzige Theorie hat sich als restlos "wahr" erwiesen, sondern bestenfalls immer nur partiell als wahr.


Tja, das ist das praktisch nicht kalkulierbare epistemische Risiko, wovon ich oben gesprochen habe.
Aus fallibilistischer Sicht haben wir niemals eine 100%ige Garantie, dass dasjenige, das gegenwärtig als Wissen gilt, sich niemals als Scheinwissen herausstellen wird.
Ob allerdings deine wissenschaftsgeschichtlich begründete "pessimistische Metainduktion" zutreffend ist, ist eine offene Frage, denn "fehlbar" impliziert nicht "falsch". Der Fallibilist kann sich immerhin damit trösten, dass aus "kann sich als falsch herausstellen" nicht "wird sich als falsch herausstellen" folgt.

darwin upheaval hat geschrieben:Folglich müsste ein fiktiver Geschichtsschreiber, der seit der Antike den Wissensfortschritt kommentiert, ständig einräumen: "Hier, da, und dort, und natürlich auch in 10.000 anderen Fällen, wo wir von "Wissen" sprachen, da haben wir uns geirrt, da hat sich das Wissen ständig als Scheinwissen entpuppt". Das Unternehmen Wissenschaft würde demnach nur unablässig Scheinwissen anhäufen, nicht Wissen.


Tja, das wäre dann eben unser Pech.
Ich bin aber gar nicht so pessimistisch eingestellt, denn ich kann mir z.B. beim besten Willen nicht vorstellen, dass eines Tages ein Chemiker verkünden wird: "Wir haben herausgefunden, dass Wasser doch nicht aus H2O besteht!"

"In the empirical sciences matters regularly remain controversial, in greater or lesser degree, for a very much longer time than [in the rational sciences]. Even apparently very well established results, such as Newton's law of gravitation once seemed to be, can turn out to be no more than good approximations to the truth under a wide range of observable conditions. And the achieving of these new results can send reverberations back concerning the truth-value of what was before accounted secure knowledge. Nevertheless, there are established truths. It is known that water is composed of water molecules, and that these molecules are made up of two atoms of hydrogen and one of oxygen. It is known that mankind has evolved over a great period of time, from simpler organisms, and (perhaps to trail my coat a little) known that the causal mechanism of natural selection has played a very considerable part, at least, in that evolution. And for many scientific propositions where knowledge is lacking, there can be rational belief, cases where a high degree of rational assurance can be assigned to that belief."

(Armstrong, D. M. Truth and Truthmakers. Cambridge: Cambridge University Press, 2004. p. 32)

darwin upheaval hat geschrieben:Nein, ich bleibe dabei: Wenn man den Wahrheitsbegriff in den Wissenbegriff hinein nimmt, dann kann es so etwas wie Poppers "hypothetisches Wissen" oder "fehlbares Wissen" (Fallibilismus) nicht geben, sondern nur Scheinwissen.


Ohne die Wahrheit der geglaubten Aussagen gibt es weder fehlbares noch unfehlbares Wissen. Nichts für ungut, aber du scheinst, was diesen Punkt betrifft, einen Knoten im Kopf zu haben.
Hier ist die fallibilistische Definition von "Wissen", die sich von der infallibilistischen nur darin unterscheidet, dass nicht verlangt wird, dass die Beweise die Wahrheit des zu beweisenden Glaubens 100%ig, d.h. mit logischer Sicherheit garantieren:

"S knows P iff
(a) S believes P,
(b) S's belief in P is fallibly justified,
(c) P is true,
(d) (b) ensures that (a)-and-(c) are not jointly an accident.

In a nutshell, propositional knowledge consists in believing true propositions on the basis of fallible evidence which ensures that one has not accidentally believed the truth."


(Sturgeon, Scott. "Knowledge." In Philosophy: A Guide through the Subject, edited by A. C. Grayling, 10-26. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 17)

darwin upheaval hat geschrieben:Dann einigen wir uns doch darauf, dass es nur relatives Wissen gibt, das sich in einem anderen Kontext auch als falsch erweisen kann. Das Wissen, dass morgens die Sonne aufgeht, ist wahres Wissen im Kontext naiver empirischer Wahrnehmung und falsches Wissen vor dem Hintergrund des kopernikanischen Weltmodells.


Wie du bereits bemerkt haben dürftest, finde ich die kontextualistische Epistemologie attraktiv, der zufolge Wissenszuschreibungen kontextrelativ sind. Im Kontext der lebensweltlichen Erfahrungen, der keine strikten epistemologisch-methodologischen Standards voraussetzt, darf den Leuten das Wissen zugeschrieben werden, dass die Sonne morgens im Osten aufgeht. Im wissenschaftlichen Kontext ist dieses "Volkswissen" jedoch als Scheinwissen zu betrachten.

"In very general terms, epistemological contextualism maintains that whether one knows is somehow relative to context. Certain features of contexts—features such as the intentions and presuppositions of the members of a conversational context—shape the standards that one must meet in order for one’s beliefs to count as knowledge. This allows for the possibility that different contexts set different epistemic standards, and contextualists invariably maintain that the standards do in fact vary from context to context. In some contexts, the epistemic standards are unusually high, and it is difficult, if not impossible, for our beliefs to count as knowledge in such contexts. In most contexts, however, the epistemic standards are comparatively low, and our beliefs can and often do count as knowledge in these contexts. The primary arguments for epistemological contextualism claim that contextualism best explains our epistemic judgments—it explains why we judge in most contexts that we have knowledge and why we judge in some contexts that we don’t—and that contextualism provides the best solution to puzzles generated by skeptical arguments."

(http://www.iep.utm.edu/contextu)

darwin upheaval hat geschrieben:Du solltest Dir unsere erkenntnistheoretische Situation vor Augen halten: A erkennt x als y.
Wir erkennen nur y, aber nicht x, und folglich ist alles Wissen, das wir erlangen können, Wissen über y. Tatsächlich aber existiert nicht y, sondern x. Das falsifiziert Deine Position, es sei denn, Du räumst ein, dass es überhaupt kein Wissen gibt. Damit wären wir wieder bei der Frage, ob Dein Wissensbegriff nicht eher ein Unbegriff ist.


Ich kann dir, wie gesagt, hier leider nicht folgen.

"x erkennt y als z" kann bedeuten:

1. "x erkennt, dass der Gegenstand y mit dem Gegenstand z identisch ist"

2. "x erkennt, dass der Gegenstand y zur Art z gehört"

Oder meinst du etwas ganz anderes?

darwin upheaval hat geschrieben:Dass die Einsteinsche Theorie mit der Newtonschen "unvereinbar" sei, halte ich übrigens für falsch, aber das nur am Rande.


Ich bin kein Physiker, aber ich wüsste nicht, wie sich die Newton'sche und die Einstein'sche Konzeption von Raum und Zeit unter einen Hut bringen ließe.

Myron hat geschrieben:Beide Theorien sind approximativ wahr, und die eine enthält die andere als Spezialfall.


Gibt es eigentlich eine präzise Definition des Begriffs der approximativen Wahrheit?
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Re: Naturalismus, Wissenschaft und Erkenntnistheorie

Beitragvon Myron » Di 8. Jun 2010, 22:06

[MOD]@darwin upheaval & El Schwalmo: Ich habe vier völlig unsachliche und belanglose Beiträge gelöscht.[/MOD]
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Di 8. Jun 2010, 22:16

Myron hat geschrieben:Ich kann dir, wie gesagt, hier leider nicht folgen.

"x erkennt y als z" kann bedeuten:

1. "x erkennt, dass der Gegenstand y mit dem Gegenstand z identisch ist"

2. "x erkennt, dass der Gegenstand y zur Art z gehört"

Oder meinst du etwas ganz anderes?

ich bilde mir ein, diese Formulierung in Diskussion mit Dir (damals ging es um Agnostizismus) auch schon verwendet zu haben.

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, geht das auf Stegmüller zurück. Erkennen ist eine dreistellige Relation:

A erkennt B als C

und nicht

A erkennt B

A ist das erkennende Subjekt, B der Gegenstand und C das mentale Konzept, das A sich von B gemacht hat. Das bedeutet, dass der Gegenstand (im Prinzip 'Ding an sich') nicht direkt erkennbar ist, aber mit unseren Untersuchungsmethoden wechselwirkt. Wir messen sozusagen C an B, ohne zu wissen, wie B beschaffen ist. C kann durch Eigenschaften von B scheitern. Wir vergleichen aber eigentlich immer nur unterschiedliche C's und nicht C mit B. Ein bestimmtes C 'passt' dann zu B, 'stimmen' wäre, wenn hinsichtlich C und B irgendwas in Richtung adaequatio-These zutreffen würde. Nach der EE kommen wir Menschen immer nur zu Passungen und wissen nie, ob diese stimmen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon Myron » Di 8. Jun 2010, 22:22

darwin upheaval hat geschrieben:Gibt es "Wissen" ohne Wahrheit und ohne Sicherheit? Myron vertritt die Definition des "mainstreams", ich dagegen würde den Begriff des Wahren und des Sicheren vom Wissensbegriff entkoppeln, weil das mit Poppers "hypothetischem Wissen" besser harmoniert. Das scheinen die anderen hier anders zu sehen. Wir werden uns halt wieder mal nicht einig.


Wahrheit ist eine Sache und Sicherheit eine andere!
Die Fallibilisten, zu denen du dich ja offenkundig zählst, glauben an Wissen ohne Sicherheit, aber nicht an Wissen ohne Wahrheit. Hier noch einmal ein Zitat des Popper-Schülers Alan Musgrave:

"Why 'conjectural knowledge'? Why not just 'conjectures'?'
The answer is plain: 'conjecturally know' means more than 'conjecture' or 'guess' or 'believe'. Conjectural knowledge requires truth: the fallibilist accepts that 'I know that P' entails 'P is true', accepts that 'false knowledge' is a contradiction in terms.
"
———
"Warum 'Vermutungswissen'? Warum nicht einfach 'Vermutungen'?
Die Antwort liegt auf der Hand: 'Vermutungswissen besitzen' bedeutet mehr als 'vermuten' oder 'annehmen' oder 'glauben'. Vermutungswissen erfordert Wahrheit: Der Fallibilist akzeptiert, dass 'Ich weiß, dass P' 'P ist wahr' impliziert, akzeptiert, dass 'falsches Wissen' ein begrifflicher Widerspruch ist."

[© meine Übers.]

(Musgrave, Alan. Common Sense, Science and Scepticism: A Historical Introduction to the Theory of Knowledge. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. pp. 299-300)
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Mi 9. Jun 2010, 09:49

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nein, ich bleibe dabei: Wenn man den Wahrheitsbegriff in den Wissenbegriff hinein nimmt, dann kann es so etwas wie Poppers "hypothetisches Wissen" oder "fehlbares Wissen" (Fallibilismus) nicht geben, sondern nur Scheinwissen.


Ohne die Wahrheit der geglaubten Aussagen gibt es weder fehlbares noch unfehlbares Wissen. Nichts für ungut, aber du scheinst, was diesen Punkt betrifft, einen Knoten im Kopf zu haben.


Nix Knoten, im Bungeschen System ist alles konsistent. Der Knoten entsteht nur, weil Du über die herkömmliche Definition nicht hinwegkommen willst oder kannst. Du setzst die Prämisse "ohne Wahrheit kein Wissen" als Dogma voraus und konstatierst, dass jeder, der eine andere Wissensdefinition favorisiert einen "Knoten im Kopf" haben müsse. Auch eine Art, die Diskussion "per default" zu gewinnen, wie El Schwalmo gern sagt.


Myron hat geschrieben:Hier ist die fallibilistische Definition von "Wissen", die sich von der infallibilistischen nur darin unterscheidet, dass nicht verlangt wird, dass die Beweise die Wahrheit des zu beweisenden Glaubens 100%ig, d.h. mit logischer Sicherheit garantieren:

"S knows P iff
(a) S believes P,
(b) S's belief in P is fallibly justified,
(c) P is true,
(d) (b) ensures that (a)-and-(c) are not jointly an accident.

In a nutshell, propositional knowledge consists in believing true propositions on the basis of fallible evidence which ensures that one has not accidentally believed the truth."


(Sturgeon, Scott. "Knowledge." In Philosophy: A Guide through the Subject, edited by A. C. Grayling, 10-26. Oxford: Oxford University Press, 1995. p. 17)


Okay, wenn man berücksichtigt, dass Theorien niemals völlig wahr, sondern nur partiell wahr sind, kann man das so sehen. Allerdings gibt es dann nach Deiner Definition bestenfalls nur ein Teilwissen. Wenn man mal von trivialen Beispielen wie "Es gibt weiße und schwarze Schwäne" oder "Wasser entsteht aus Wasserstoff und Sauerstoff" absieht.


Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Dann einigen wir uns doch darauf, dass es nur relatives Wissen gibt, das sich in einem anderen Kontext auch als falsch erweisen kann. Das Wissen, dass morgens die Sonne aufgeht, ist wahres Wissen im Kontext naiver empirischer Wahrnehmung und falsches Wissen vor dem Hintergrund des kopernikanischen Weltmodells.


Wie du bereits bemerkt haben dürftest, finde ich die kontextualistische Epistemologie attraktiv, der zufolge Wissenszuschreibungen kontextrelativ sind. Im Kontext der lebensweltlichen Erfahrungen, der keine strikten epistemologisch-methodologischen Standards voraussetzt, darf den Leuten das Wissen zugeschrieben werden, dass die Sonne morgens im Osten aufgeht. Im wissenschaftlichen Kontext ist dieses "Volkswissen" jedoch als Scheinwissen zu betrachten.


Wie hältst Du es dann mit den Newtonschen und den Keplergesetzen? Die können beispielsweise, im Gegensatz zur ART, die Perihelbewegung des Merkur nicht erklären; handelt es sich dann hier auch nur um Scheinwissen?

Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Du solltest Dir unsere erkenntnistheoretische Situation vor Augen halten: A erkennt x als y.
Wir erkennen nur y, aber nicht x, und folglich ist alles Wissen, das wir erlangen können, Wissen über y. Tatsächlich aber existiert nicht y, sondern x. Das falsifiziert Deine Position, es sei denn, Du räumst ein, dass es überhaupt kein Wissen gibt. Damit wären wir wieder bei der Frage, ob Dein Wissensbegriff nicht eher ein Unbegriff ist.


Ich kann dir, wie gesagt, hier leider nicht folgen.


El Schwalmo hat es Dir oben schon erklärt, so dass ich mich hier kurz fassen kann.

Wenn ein Ding x nur als Ding y erkannt wird, häufen wir streng genommen Wissen über y an. Z. B. "weiß" nach Deiner Definition niemand, ob Neutrinos existieren, die Wirklichkeit "präsentiert" sich uns nur so, als gäbe es Neutrinos. Neutrinos sind sozusagen "Konstrukte", also mathematische Behelfslösungen, mit der wir die Wirklichkeit erklären. Wir können also durchaus Wissen über Neutrinos anhäufen, obwohl es sie möglicherweise gar nicht gibt. Jemand, der den ontologischen Realismus ablehnt (z. B. ein "Erlanger Konstruktivist"), wird sogar bestreiten, dass es sie gibt! Und trotzdem räumt er ein, dass die Theorie der Neutrinos "Wissen" liefere. Damit wäre bewiesen, dass "Wissen" nicht notwendigerweise "Existenz" voraussetzt. Statt "Neutrino" kannst Du auch "Schwarze Löcher", Higgs-Bosonen oder sonst was sagen.


Myron hat geschrieben:
Darwin upheaval hat geschrieben:Beide Theorien sind approximativ wahr, und die eine enthält die andere als Spezialfall.


Gibt es eigentlich eine präzise Definition des Begriffs der approximativen Wahrheit?


Eine Theorie, die in bestimmter Hinsicht mit einigen realen Faktum korrespondiert, mit anderen dagegen nicht, die Realität also immer nur approximativ erklärt, ist partiell wahr (nachzulesen insb. in Mahner/Bunge 2000, Philosophische Grundlagen der Biologie, Berlin, p. 127f). Aber das sollte eigentlich trivial sein.
Zuletzt geändert von darwin upheaval am Mi 9. Jun 2010, 10:06, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 9. Jun 2010, 10:04

darwin upheaval hat geschrieben:
Myron hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nein, ich bleibe dabei: Wenn man den Wahrheitsbegriff in den Wissenbegriff hinein nimmt, dann kann es so etwas wie Poppers "hypothetisches Wissen" oder "fehlbares Wissen" (Fallibilismus) nicht geben, sondern nur Scheinwissen.


Ohne die Wahrheit der geglaubten Aussagen gibt es weder fehlbares noch unfehlbares Wissen. Nichts für ungut, aber du scheinst, was diesen Punkt betrifft, einen Knoten im Kopf zu haben.


Nix Knoten, im Bungeschen System ist alles konsistent.

Du bist in diesem System, Myron außerhalb. Aus seiner Sicht ist das Bungesche System eins von vielen.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Mi 9. Jun 2010, 10:12

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nix Knoten, im Bungeschen System ist alles konsistent.

Du bist in diesem System, Myron außerhalb. Aus seiner Sicht ist das Bungesche System eins von vielen.


Genau das stand in dem Satz, der direkt auf den von Dir zitierten Satz folgt. Dort stand auch, dass man die Diskussion nicht "per default" erzwingen kann (ein Punkt, der Dir sicher einleuchten wird.) Ein Erlanger Konstruktivist beispielsweise hat mit einer Wissensdefinition, die Wahrheit und Existenz voraussetzt, noch weniger am Hut als Bunge.

Nicht, dass ich für die Position etwas übrig hätte, aber sie beweist, dass die Materie doch etwas kontroverser diskutiert wird, als es Myron darstellt.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon El Schwalmo » Mi 9. Jun 2010, 10:20

darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nix Knoten, im Bungeschen System ist alles konsistent.

Du bist in diesem System, Myron außerhalb. Aus seiner Sicht ist das Bungesche System eins von vielen.


Genau das stand in dem Satz, der direkt auf den von Dir zitierten Satz folgt.

ich vermute, dass Dir das Problem viel deutlicher wird, wenn Du einsiehst, dass das eben nicht dort stand.

darwin upheaval hat geschrieben:Nicht, dass ich für die Position besonders viel übrig hätte, aber sie beweist doch, dass die Materie doch etwas kontroverser diskutiert wird, als es Myron darstellt.

Myron stellt eine Kontroverse anhand konkreter Autoren und Positionen dar. Du stellst das Weltbild von Bunge und seinen Schülern dar. Ich habe hier in Thread schon mehrfach geschrieben, warum eine Diskussion zwischen Euch sehr problematisch ist.
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Re: Der interne "Naturalismusstreit"

Beitragvon darwin upheaval » Mi 9. Jun 2010, 13:35

El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:
El Schwalmo hat geschrieben:Du bist in diesem System, Myron außerhalb. Aus seiner Sicht ist das Bungesche System eins von vielen.


Genau das stand in dem Satz, der direkt auf den von Dir zitierten Satz folgt.

ich vermute, dass Dir das Problem viel deutlicher wird, wenn Du einsiehst, dass das eben nicht dort stand.


Mehr als festzustellen, dass Myron sich außerhalb meiner Definition bewegt, kann ich nicht.


El Schwalmo hat geschrieben:
darwin upheaval hat geschrieben:Nicht, dass ich für die Position besonders viel übrig hätte, aber sie beweist doch, dass die Materie doch etwas kontroverser diskutiert wird, als es Myron darstellt.

Myron stellt eine Kontroverse anhand konkreter Autoren und Positionen dar.


Er stellt keine Kontroverse dar, er beharrt "per default" auf seiner Definition.

Ich vermute, Du solltest nur still mitlesen einstatt ständig "einzuhaken". Damit würdest Du nicht nur mir einen Gefallen tun, sondern eventuell auch Dir selbst. Vielleicht wird Dir, wenn Du meine Argumente einfach sine ira et studio analysierst, irgendwann klar, was mein Punkt ist.
Zuletzt geändert von darwin upheaval am Mi 9. Jun 2010, 13:41, insgesamt 1-mal geändert.
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