Argumente für den Naturalismus

Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Lumen » Sa 5. Feb 2011, 19:39

Grotemson hat geschrieben:Ich leugne folgende Prämissen aus folgenden Gründen:
1: Empirisch falsch. Es gibt(gab) empirisch erfolgreiche Theorien mit nichtnat. Annahmen, die empirisch erfolgreich waren.
2: Strukturell falsch. Alles, was mit dem Konditional gezeigt wird ist, dass man auch ohne supernat. Annahmen auskommen kann. Keine Aussage über Wahrheit(Realismus/Antirealismusdebatte)
4: Strukturell falsch. Selbe Gründe wie bei 3.
8: Strukturell falsch. Was rechtfertigt die Annahme dieses Konditionalsatzes?

Zusätzliche Probleme: Fehlende hinreichend klare Definition von natürlich/Naturalismus.
Vagheit durch Gleichsetzung wahr/wahrscheinlich.


1) auch falsche Annahmen können zu richtigen Ergebnissen führen. Auch lassen sich z.B. Naturgesetze durch übernatürliche Wesen „erklären“, dass heißt, es könnte einen Gravitations-Gott geben. Der empirische Teil (Auswirkungen der Gravitation) wäre dann empirisch noch immer richtig, aber die Annahme falsch.

2) Ja, aber wenn man auch ohne übernatürliche Annahmen auskommen kann (oder überhaupt zusätzliche Annahmen), dann gibt es keinen Grund, sie hinzuzufügen. Siehe auch Ockhams Rasiermesser. Davon abgesehen mangelt es bei übernatürlichen Erklärungen häufig daran, dass sie nicht zwingend (genug) sind. Wenn ein Gott beteiligt, ist, warum dann nicht mehrere? Warum überhaupt Gott und nicht sieben Geister? usw.

4) Was sind die Gründe für drei? Die Nummer fehlt bei dir.

8) Die Annahme basiert auf den vorangestellten Prämissen, soweit ich das sehe.

Kurzantworten:
Natur = den Naturgesetzen untergeordnet, teil der Natur (teil des Universums). Übernatürlich bedeutet dann, den Naturgesetzen, dem Universum etc.. übergeordnet zu sein, ihnen zu trotzen, im Widerspruch dazu zu handeln, sich außerhalb der Raumzeit zu befinden usw.
Wahr/Wahrscheinlich = Wahr können mathematische Formeln sein, oder wenn formal bestimmte Bedingungen erfüllt worden sind. Wahrscheinlich ist der zutreffende Ausdruck bezogen auf Theorien, von denen wir nicht wissen können, ob sie wahr sind.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon ujmp » Sa 5. Feb 2011, 20:27

Grotemson hat geschrieben: Worauf ich mich aber bezog ist, dass das Argument: Der Naturalismus kann die Welt besser beschreiben, mindestens komisch ist, weil der Theismus ja mit selbem Recht genau dasselbe behaupten würde.


Bei einer Theorie kommt es nicht darauf an, wie sie etwas beschreibt, sondern ob die Beschreibung stimmt, d.h. ob sich Prognosen aus ihr ableiten lassen, die stimmen. Und da macht sich der Theismus immer nur lächerlich.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Sa 5. Feb 2011, 22:19

@Lumen und ujmp: Ich möchte nicht unfreundlich rüber komen, aber ihr sprecht Punkte an, zu denen ich mich im Verlauf der Diskussion mit Myron bereits ausführlicher geäußert habe(Zb. ist der Veweis auf Occams Razor fehl am Platz, weil es sich hierbei um ein metatheoretisches Kriterium handelt, welches nicht Wahrheit impliziert.). Da ich wenig Zeit habe, möchte ich mich ungern wiederholen bzw. dieselbe Diskussion mit verschiedenen Leuten führen. Ich hoffe also, dass ihr es versteht, wenn ich auf die meisten eurer Punkte nicht weiter eingehe.
Allerdings:

Lumen hat geschrieben:4) Was sind die Gründe für drei? Die Nummer fehlt bei dir.

Verschrieben. Meinte drei. Keine ausreichende Rechtfertigungsstruktur zwischen Antzedens und Konsequens.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Sa 5. Feb 2011, 23:11

Myron hat geschrieben:x ist von y ontisch abhängig / x ist von Yen ontisch abbhängig / Xe sind von Yen ontisch abbhängig
=def
In allen möglichen Welten gilt: x existiert nur dann, wenn y existiert / x existiert nur dann, wenn mindestens ein Y existiert / Xe existieren nur dann, wenn mindestens ein Y existiert

x ist von y genetisch abhängig / x ist von Yen genetisch abbhängig / Xe sind von Yen genetisch abbhängig
=def
In allen möglichen Welten gilt: x existiert nur dann, wenn es von y produziert worden ist / x existiert nur dann, wenn es von mindestens einem Y produziert worden ist / Xe existieren nur dann, wenn mindestens ein X von mindestens einem Y produziert worden ist

(Eine ewige, unerschaffene Entität, die zu keinem Zeitpunkt in der Vergangenheit nicht existiert hat, ist logischerweise von nichts genetisch abhängig.)

Ein interessanter Versuch, aber mein ontologischer Skrupel bleibt. Was genau heißt denn hier, ontisch abhängig zu sein? Man stelle sich einen Baum vor. Die Bedingungen dafür, dass der Baum existieren kann, sind die richtigen Bodenverhältnisse, richtigen Wetterverhältnisse usw. Aber würde man deswegen sagen, dass der Baum ontisch von diesen Bedingungen abhängt? Wenn dem so ist, beginnt ein Regress, denn dann ist jedes Ding ontisch abhängig von zehn weiteren, die ihrerseits wieder ontisch von anderen abhängen.
Offensichtlich tangieren derlei Bedingungen doch nicht die Existenz eines Dinges. Sie bedingen zwar die Instanziierung selbst, aber nicht die Eigenschaft, instanziiert zu sein, was mein Existenzbegriff ist(Nach Kant und Frege. Oft genannt: Second-order-property view, weil demnach Existenz eine Eigenschaft zweiter Ordnung ist). Deine Formulierung scheint eher Instanzen mit einander in Abhängigkeit zu stellen, aber nicht die Eigenschaften, instanziiert zu sein. Die Frage ist dann aber, inwiefern Instanzen, also Entitäten existenziell abhängig sein können. Mit welcher empirischen Theorie füllt man denn dann hier die logische Form? Kausalität?
Die Formulierung mit den möglichen Welten würde ich des Weiteren einem Naturalisten nicht empfehlen, sofern er kein trivialer Naturalist ist(siehe meinen längeren Beitrag). Denn wenn ontische Abhängigkeit erst besteht, wenn sie in allen möglichen Welten gegeben ist, dann kann man sicher nicht behaupten, dass Geistiges von Materiellem(Oder Physischem? was ist der Unterschied?) ontisch abhängt. Immerhin gibt es mindestens eine mögliche Welt, in der es nur Geistiges gibt, und nichts Physisches.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » Sa 5. Feb 2011, 23:19

welche denn ? das Nirvana ?
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » Sa 5. Feb 2011, 23:24

Es gibt mögliche Welten, in denen keine Materie existiert. Dagegen spricht nichts. Darin wäre dann auch keine ontische Abhängigkeit gegeben, weil es weder Geistiges noch Physisches gäbe.
Wenn du aus naturalistischen Motiven pur geistige Welten ablehnst, dann möchte ich gerne deine Begründung hören.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon ujmp » Sa 5. Feb 2011, 23:44

Was meinst du denn mit "Wahrheit implizieren"? Es ist einfach nur dämlich, eine Entität mitzuschleifen, die überflüssig ist. Das ist keine Frage der Wahrheit, sondern der Ökonomie. Und die Tatsache, dass man auf die Entität "Gott" verzichten kann, diskreditiert diese außerdem hinreichend, genau so wie die Tatsache, dass man x-beliebige andere Entitäten genau so willkürlich erdichten kann, die den selben Beitrag zur Erklärung leisten - keinen. Man muss es aber auch aushalten können, dass die Wahrheit kinderleicht ist - das kann schwer fallen, wenn man einen gelehrten Job hat.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 00:14

Grotemson hat geschrieben:Es gibt mögliche Welten, in denen keine Materie existiert. Dagegen spricht nichts. Darin wäre dann auch keine ontische Abhängigkeit gegeben, weil es weder Geistiges noch Physisches gäbe.
Wenn du aus naturalistischen Motiven pur geistige Welten ablehnst, dann möchte ich gerne deine Begründung hören.


Ich bin doch nicht in der Beweispflicht dafür, daß es nichts gibt, was ohne Energie bestand hat. Du bist es der das Gegenteil beweisen muss, denn Du postulierst ja eine Existenz von soetwas. Also brauchst DU eine falsifizierbare Theorie, denn sonst bist Du hier im falschen Forum ;-)
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon mat-in » So 6. Feb 2011, 01:37

Grotemson hat geschrieben:Es gibt mögliche Welten, in denen keine Materie existiert. Dagegen spricht nichts. Darin wäre dann auch keine ontische Abhängigkeit gegeben, weil es weder Geistiges noch Physisches gäbe.

Es spricht überhaupt nichts dagegen, als Gedankenexperiment solche Welten zu konstruieren. Eine 2. erde auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne? World of Warcraft? Eine Welt in der es keine Materie gibt? Alles kein Problem, hat alles seinen Reiz und kann eine interessante Beschäftigung sein. Aber was sagt das über unsere Welt aus? Nicht alles was denkbar ist, muß auch real sein oder Rückschlüsse auf die Realität zulassen.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 02:23

Es ist ja eben nichteinmal als Gedankenexperiment möglich. Dazu müsste man ja wissen nach welchen angenommenen Gesetzmäßigkeiten das gehen soll..
Es ist doch zB noch längst kein valides Gedankenexperiment von einer Welt auszugehen in der es tatsächlich einen "Superman" mit all seinen Comic-bekannten Eigenschaften gibt. Dazu gehört schon mehr. Was zeichnet ein Experiment denn aus ? Ein Ablauf doch zumindestens ;-)
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon mat-in » So 6. Feb 2011, 02:45

Da war "experiment"! umgangssprachlich gemeint... tut mir leid wenn ich mich mißverständlich ausgedrückt habe. Ich meinte damit das man es sich zusammenspinnen kann und das ganz lustig ist / sein kann sowas zu tun. Aber es ist eben nichts daraus ableitbar.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 03:05

Das erinnert mich an philosophische Gespräche mit meinem Vater der der Ansicht war, alles was der menschliche Geist sich vorstellen kann ist auch wirklich möglich. Damals habe ich mich mit ihm überworfen, was eine konkrete logisch konsistente Vorstellung ist, und ob die einzig ganz genaue "Vorstellung" nicht das bauen eines funktionierenden Prototypen bedeutet..
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon mat-in » So 6. Feb 2011, 04:13

Dann definieren wir da wohl Begriffe unterschiedlich. Ich kann durchaus (versuchen) etwas unendlich großes zu denken, oder nichts. Ob es mir gelingt oder ob es gar in der realen Welt existieren kann sind dann noch mal ein anderes Paar Schuhe. =)
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 04:22

Oder anders : Vom Menschen aufgestellte Modelle haben nachweislich bisher praktisch immer Mängel und Inkonsistenzen hervorgebracht, und das wird auch in Zukunft nicht anders werden. Es kommt darauf an die Mängel auszumerzen, und wenn es dazu keine Möglichkeit gibt muss das Modell in Punkto Falsfizierbarkeit nachgebessert werden.
Manche Menschen sind aber ganz glücklich mit "perfekten" Modellen. Es frustriert sie niemals die "Wahrheit" erfahren zu können. Ich kann das nur zu gut nachvollziehen. Es gibt viele "Argumente" gegen den Naturalismus, und die sind alle äusserst menschlich. Ziel muss sein massiv zu vermitteln, daß es uns nicht an Menschlichkeit mangelt.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon mat-in » So 6. Feb 2011, 04:47

Mark hat geschrieben:Es frustriert sie niemals die "Wahrheit" erfahren zu können. Ich kann das nur zu gut nachvollziehen. Es gibt viele "Argumente" gegen den Naturalismus, und die sind alle äusserst menschlich. Ziel muss sein massiv zu vermitteln, daß es uns nicht an Menschlichkeit mangelt.

Ja, das ist ein ähnliches Dilemma wie mit der "moral". Wer keinen Gott hat, hat keine Angst vor göttlicher Strafe. Wer diese Angst nicht hat, muß sich also nicht nur unmoralisch verhalten, sondern in seinem handeln sogar amoralisch sein... das bekommt man immer wieder vorgeworfen und ich frag mich dann immer, was das für Leute sind, die sich nur an gesittete Regeln für das zusammenleben halten, weil sie Angst vor der Strafe Gottes haben. Vielleicht ganz gut so, daß sie so fest glauben, sonst hätten wir alle ein riesiges Problem. Aber solchen Leuten kann man nicht vermitteln, das auch ein atheist, naturalist, agnostiker, ... durchaus Regeln und Prinzipien haben könnte :/
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 04:52

Demonstrierte Menschlichkeit ist das beste Argument. Menschlichkeit in analytischen Diskussionen zu vermitteln ist manchmal recht schwer ;-)
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Myron » So 6. Feb 2011, 07:39

Grotemson hat geschrieben:Mir ist das immer noch unklar. So wie ich es sehe, ist diese Aussage auf zwei Arten zu lesen.
1. Trivial. Was du damit ja eigentlich nur sagst, ist, dass alles existiert. … Es gibt nichts, was außerhalb des ominösen MERZ liegen könnte. Und es gibt- außer einer Sonderposition- auch keine "Supernaturalistische" Position, die das leugnen würde. Auch die Naturgeister von Südseevölkern sind in die kausalen Zusammenhang dieses Universums eingebunden. Sie bringen Vulkane zum Ausbruch. Sie lassen die Sonne auf- und untergehen. Auch die geistigen Entitäten, die von Dualisten postuliert werden, sind in die energetischen-kausalen Zusammenhänge involviert. Sie wirken sich auf Hirn und Körper aus. Sie steuern uns durch die Welt. Sogar semantische Referenzrelationen sind kein Problem mehr, solange sie nur mit kausaler Wirksamkeit erklärt werden können, was unbestrittenerweise funktioniert.


(Wenn man "Alles existiert" als "Alles Existente existiert" liest, dann ist es tautologisch wahr; aber wenn unter "alles" auch alle intentionalen Objekte fallen, dann ist es falsch, denn nicht alle intentionalen Objekte sind existent.)

Fangen wir noch mal mit der Raumzeitwelt an. Dem Naturalismus nach ist diese die ganze Welt, außerhalb deren nichts existiert: RZ-Welt = Welt. Nun kommt es also entscheidend darauf an, was innerhalb der Raumzeitwelt vorkommt oder geschieht. Ist die materiell-energetische, physische Teilraumzeitwelt mit ihrem produktiven Potenzial und ihren aktuellen Produkten (Emergenzphänomenen) mit der ganzen Raumzeitwelt identisch oder nicht? Der (materialistische) Naturalismus sagt ja: MERZ-Welt = RZ-Welt. Insgesamt haben wir also:

Metaphysischer Naturalismus: Welt = RZ-Welt = MERZ-Welt

Das ist eine metaphysische These und keine Definition! Das heißt, aus "ist Teil der RZ-Welt" folgt nicht per definitionem "ist Teil der MERZ-Welt". Mit anderen Worten, nicht alles, was innerhalb der RZ-Welt vorkommt oder geschieht, ist allein deshalb Teil der MERZ-Welt. Ein Fisch, der im Wasser schwimmt, ist nicht Teil des Wassers. In der RZ-Welt herumspukende Geister, darin geschehende Wunder, oder darin ausgeübte übernatürliche Fähigkeiten wären nicht Teil der MERZ-Welt, und zwar auch dann nicht, wenn Übernatürliches mit Natürlichem interagieren würde.

Grotemson hat geschrieben:2. Materialistisch. Dass nur physische Entitäten zu MERZ gehören, unterstellst du in deinem Zitat einfach. Wenn aber nur physische Entitäten zu MERZ gehören können, dann behauptest du, dass letztlich alles auf Materielles reduzibel ist. Und zwar ontologisch reduzibel.


Ich habe "übernatürliche Entität" als "hyperphysische Entität" und dies wiederum als "physische Entität oder von physischen Entitäten ontisch und genetisch abhängige Entität" definiert. Wenn die MERZ-Welt imstande ist, aus sich heraus psychische oder gar abstrakte Entitäten hervorzubringen, die davon seinsabhängig sind und bleiben, dann betrachte ich diese als natürliche Entitäten. Derartige psychische Entitäten sind psychophysische Entitäten, d.i. physische Entitäten mit einer subjektiven, phänomenellen Dimension, deren Realität kein Naturalist bestreiten sollte. Ich frage mich aber, wie ein physischer oder psychophysischer Prozess irgendwelche abstrakten Entitäten produzieren könnte. Darauf habe ich noch keine verständliche Antwort gefunden, denn es erscheint metaphysisch unmöglich, dass Produkte einer fundamental, radikal anderen ontologischen Kategorie angehören als ihre Produzenten. Andererseits sehe ich gewisse Gründe, zumindest die Existenz kultureller Abstrakta anzuerkennen. Dabei geht es um linguistische oder semiotische Typen, d.h. um Zeichentypen, und Kulturprodukte wie literarische Texte, musikalische Kompositionen oder Spiele (z.B. Schach), bei denen zwischen einem abstrakten Typ und konkreten Exemplaren unterschieden werden kann.

Grotemson hat geschrieben:Der Materialismus aber, sieht sich nicht nur von philosophischer Seite mit einigen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es mittlerweile sehr plausible Ansätze in der Quantenmechanik gibt, die die Konsequenz ziehen, dass es gar keine Materie gibt.


Ich bin zwar kein Physiker, aber davon habe ich noch nicht gehört. Beispiel? (Reduktion von Materie auf abstrakte Information?)

Grotemson hat geschrieben:Vielleicht bin ich wirklich nur zu blöd, um zu verstehen, was mit Naturalismus gemeint ist. Wenn dem so ist, entschuldige ich mich. Aber ich brauche da einfach Erläuterung.


Eine allgemeinverbindliche offizielle Definition gibt es nicht. Was genau der Naturalismus ist und beinhaltet bzw. sein und beinhalten soll, ist letztlich selbst eine philosophische Frage, die wie alle philosophischen Fragen kontrovers diskutiert wird. Zusätzlich erschwert wird die Diskussion durch die Unterscheidung von ontologischen, epistemologischen und methodologischen Formen von Naturalismus.
Von daher kann ich nicht umhin, dir hier meine eigene Sicht der Dinge zu präsentieren, die ich nicht mit päpstlicher Autorität zur alleingültigen erklären kann. Es gibt gewiss auch etliche Naturalisten und Brights, denen meine Auffassung zu materialistisch ist.

Grotemson hat geschrieben:Der Antirealist leugnet den Zusammenhang zwischen empirischen Erfolg(Anwendbarkeit, große explanatorische Kraft, sowohl was Vorhersage, als auch was die Erklärung bereits existierender Phänomene betrifft) und Wahrheit der Theorie. Es stimmt auch, dass das meistens aus rein epistemologischen Gründen geschieht: Bei Theorien über Unbeobachtbares, Unbeobachtetes oder nur mittelbar zu Beobachtendes läuten skeptische Alarmglocken, wenn es darum geht, einer Theorie darüber Wahrheit zuzusprechen.


Eigentlich ist "wissenschaftlicher Skeptizismus" eine treffendere Bezeichnung als "wissenschaftlicher Antirealismus", findest du nicht?

Grotemson hat geschrieben:Ich schätze, dass dem meist gleichzeitig ein sehr realistisches Wahrheitsverständnis zugrunde liegt und eine Abneigung gegen jedwede "Epistemisierung" der Wahrheit in Form von Kohärenz, Verfikation etc. Bei mir zumindest ist das ganz klar so.


Mein Wahrheitsverständnis ist das korrespondenztheoretische. Und ich akzeptiere das Wahrmacher-Prinzip: Wenn ein Satz wahr ist, dann gibt es etwas in der Wirklichkeit, das ihn wahr macht (im nichtkausalen Sinn).

Grotemson hat geschrieben:Du hast Recht, dass der Antirealist bei Theorien über direkt Beobachtbares ins evtl. Schwitzen gerät. Es gibt ein Argument gegen den Antirealismus, das ihm Selektion vorwirft, indem es versucht, die Grenze zwischen Beobachtbarkeit und Nichtbeobachtbarkeit verwischt.


Die scheint auch nicht klar definierbar zu sein, oder?

Grotemson hat geschrieben:Ich glaube, man kann dieses Argument auch umdrehen: Gerade weil man nicht genau weiß, ab wann Etwas tatsächlich beobachtbar ist, könnte man gegenüber allen Theorien eine skeptische Haltung einnehmen, was ihren Wahrheitsgehalt betrifft.


Ein radikaler Skeptiker müsste aber eigentlich selbst die Angemessenheit wissenschaftlicher Theorien anzweifeln; denn woher will er wissen, dass sich eine angemessene Theorie nicht irgendwann im Lichte neuer Beobachtungen als unangemessen erweisen wird?

Grotemson hat geschrieben:Ich weise aber daraufhin, dass dieser Angriff gegen den Antirealismus für das Argument für den Naturalismus nichts bringt. Der Antirealismus unterminiert das Argument hier ja insofern, als er die Prämisse des empirischen Erfolgs der Theorien und den Schluss auf deren Wahrheit angreift.


Ich habe inzwischen das Gefühl, wir sind unnötigerweise schon zu tief in den Sumpf der Realismus-Antirealismus-Debatte eingesunken.
Die Ausgangsfrage kann nämlich auch ohne realistische Voraussetzungen gestellt werden:

Ist die Wahrscheinlichkeit des ontologischen Naturalismus unter der Bedingung, dass nur der methodologische Naturalismus zu angemessenen und sehr erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat, höher als dessen Wahrscheinlichkeit ohne diese Bedingung?

Ich sage ja, zumal es ja keinen methodologischen Supernaturalismus als Konkurrenten gibt, der zu gleichermaßen angemessenen und erfolgreichen Theorien geführt hat.

Grotemson hat geschrieben:Ich weiß nicht, was ich von "Wahrheitsnähe" halten soll. Ich bin in dieser Hinsicht recht konservativ und möchte mich nicht von meinem Bivalenzprinzip trennen, was, wie es mir vorkommt, die Konsequenz der Akzeptanz des Begriffes von "Wahrheitsnähe" wäre.


Zugegeben, der Begriff der Wahrheitsnähe ist schwer zu präzisieren, und der Popper'sche Ansatz hat sich wohl als fehlerhaft entpuppt. Es gibt aber neuere und bessere Ansätze. Ich finde jedenfalls nicht, dass sich dieser Begriff einem intuitiven Grundverständnis entzieht. Wenn z.B. jemand sagt, dass 2+2=5, und jemand anderer, dass 2+2=500, dann versteht doch jedermann die Aussage, dass der eine näher an der Wahrheit dran ist als der andere, obwohl beide Rechnungen falsch sind.

Siehe: http://plato.stanford.edu/entries/truthlikeness

Grotemson hat geschrieben:Das ist aber eben keine Tatsache.


Ich behaupte nicht, dass die Wahrheit des ontologischen Naturalismus eine logische Konsequenz der Tatsache ist, dass der methodologische Naturalismus mindestens zu vielen angemessenen und höchst erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat, sondern nur, dass ihn diese ceteris paribus erheblich glaubwürdiger macht als den Supernaturalismus.

Grotemson hat geschrieben:Viele der oben genannten Theorien gehen zum Beispiel sehr wohl von Annahmen aus, die du wahrscheinlich übernatürlich nennen würdest.


Beispiel?

Grotemson hat geschrieben:Außerdem argumentierst du jetzt wieder für einen rein negativ bestimmten Naturalismus, auf dessen Probleme ich bereits hingewiesen habe. Vielleicht erhöht ja der praktische Erfolg wissenschaftlicher Theorien wirklich die "Glaubwürdigkeit" eines negativ bestimmten Nat..


Denke an die Äquivalenz von "Es gibt nichts Nichtnatürliches" und "Alles, was es gibt, ist natürlich"!
Die negative Bestimmung entspricht also einer positiven Bestimmung.

Grotemson hat geschrieben:Mit der Textpassage, auf die sich dein Zitat bezieht, wollte ich den Gedankengang des Antirealisten plausibel machen, dass es im Prinzip auch keine Atome geben könnte, sondern irgendwelche anderen Entitäten oder Kräfte, mit denen man die Phänomene, die jetzt mit Atomen erklärt werden, auch anders erklären kann. Eventuell wäre es tatsächlich absurd, derartige Annahmen in Betracht zu ziehen, nur weil es nicht logisch ausgeschlossen ist.


Es gibt, wie gesagt, ja gar keinen methodologischen Supernaturalismus, der zu irgendwelchen angemessen und erfolgreichen wissenschaftlichen Theorien geführt hat. Der methodologische Naturalismus ist praktisch konkurrenzlos.

Grotemson hat geschrieben:Ich habe bereits gesagt, dass Konsistenz aufgrund des ex falso Prinzips, nicht aufgrund seiner direkten Relation zu Wahrheit als Kriterium verwendet wird.


Aus Konsistenz allein folgt natürlich nicht Wahrheit, aber aus Inkonsistenz folgt doch notwendige Falschheit.

Grotemson hat geschrieben:Einfachheit wurde ja bereits ergiebig besprochen.


Witzigerweise führen auch tonangebende theistische Philosophen wie Richard Swinburne die angebliche Einfachheit der theistischen Welterklärung als Wahrheitskriterium ins Feld.

Grotemson hat geschrieben:Und Kohärenz besteht aus Konsistenz plus X(Man füge hier wechselnd verrückte und komplexe mathematische Theorien ein, von denen ich drei Viertel nicht verstehe).


Dumm gefragt: Was ist der Unterschied zwischen Kohärenz und Konsistenz?

Grotemson hat geschrieben:There is clear formal-mathematical proof in the sense that the unterdetermination can be constructed in formal languages.


Wenn die Antirealisten von mir erwarten, dass ich nicht an die Wahrheit der darwinistischen Evolutionstheorie glaube, nur weil sich eine aus der abstrakten Luft gegriffene empirisch äquivalente formale Theorie konstruieren lässt, die ihr widerspricht, dann mache ich da schlichtweg nicht mit – dann bin ich gerne wissenschaftsgläubig.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Mark » So 6. Feb 2011, 12:25

Myron hat geschrieben:
Grotemson hat geschrieben:Der Materialismus aber, sieht sich nicht nur von philosophischer Seite mit einigen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es mittlerweile sehr plausible Ansätze in der Quantenmechanik gibt, die die Konsequenz ziehen, dass es gar keine Materie gibt.


Ich bin zwar kein Physiker, aber davon habe ich noch nicht gehört. Beispiel? (Reduktion von Materie auf abstrakte Information?)


Das kann so nicht stimmen, es gibt jedoch derlei Überlegungen betreffs der "Zeit".
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon ujmp » So 6. Feb 2011, 14:17

Grotemson hat geschrieben:Der Materialismus aber, sieht sich nicht nur von philosophischer Seite mit einigen schwerwiegenden Vorwürfen konfrontiert. Ich mache darauf aufmerksam, dass es mittlerweile sehr plausible Ansätze in der Quantenmechanik gibt, die die Konsequenz ziehen, dass es gar keine Materie gibt.


Sehr wahrscheinlich stimmt das auch. Dazu muss man m.E. nicht erst in die Quantenmechanik vorstoßen, das sagt mir schon die Art, wie wir Menschen die Welt interpretieren. Das würde aber nicht besagen, dass alle Modelle von dem was wir Materie nennen, unzulänglich sind. Es würde nichteinmal die geringste Kritik an der wissenschaftlichen Methode beinhalten. Ganz im Gegenteil, nur durch die wissenschaftliche Methode kann man sowas überhaupt herausbekommen. Und übrigens auch nur, weil es dieses Materie-Modell gibt. Allgemein kann die Widerlegung einer wissenschaftlichen Theorie die wissenschaftliche Methode nicht deskreditieren.
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Re: Argumente für den Naturalismus

Beitragvon Grotemson » So 6. Feb 2011, 17:12

ujmp hat geschrieben:Was meinst du denn mit "Wahrheit implizieren"? Es ist einfach nur dämlich, eine Entität mitzuschleifen, die überflüssig ist. Das ist keine Frage der Wahrheit, sondern der Ökonomie. Und die Tatsache, dass man auf die Entität "Gott" verzichten kann, diskreditiert diese außerdem hinreichend, genau so wie die Tatsache, dass man x-beliebige andere Entitäten genau so willkürlich erdichten kann, die den selben Beitrag zur Erklärung leisten - keinen. Man muss es aber auch aushalten können, dass die Wahrheit kinderleicht ist - das kann schwer fallen, wenn man einen gelehrten Job hat.

Richtig. Im wissenschaftlichen Kontext ist Gott als Annahme nicht unbedingt nötig. Das ist aber kein Wahrheits/Falschheits Kriterium für die Existenzannahme.

Mark hat geschrieben:Ich bin doch nicht in der Beweispflicht dafür, daß es nichts gibt, was ohne Energie bestand hat. Du bist es der das Gegenteil beweisen muss, denn Du postulierst ja eine Existenz von soetwas. Also brauchst DU eine falsifizierbare Theorie, denn sonst bist Du hier im falschen Forum.

Es geht um das philosophische Konzept der möglichen Welten.


mat-in hat geschrieben:Es spricht überhaupt nichts dagegen, als Gedankenexperiment solche Welten zu konstruieren. Eine 2. erde auf der gegenüberliegenden Seite der Sonne? World of Warcraft? Eine Welt in der es keine Materie gibt? Alles kein Problem, hat alles seinen Reiz und kann eine interessante Beschäftigung sein. Aber was sagt das über unsere Welt aus? Nicht alles was denkbar ist, muß auch real sein oder Rückschlüsse auf die Realität zulassen.

Es geht um das philosophische Konzept der möglichen Welten, das großen explanatorischen Wert für viele unterschiedliche Bereiche der Philosophie und auch außerhalb hat. Im Kontext hatte ich außerdem gar nichts über "unsere Welt" gesagt. Bitte nochmal nachlesen.

Mark hat geschrieben:Das erinnert mich an philosophische Gespräche mit meinem Vater der der Ansicht war, alles was der menschliche Geist sich vorstellen kann ist auch wirklich möglich.

Worin ihm die meisten Vertreter von mögliche Welten Theorien mit geringen Einschränkungen und Präzisierungen völlig zustimmen würden.

Mark hat geschrieben:Oder anders : Vom Menschen aufgestellte Modelle haben nachweislich bisher praktisch immer Mängel und Inkonsistenzen hervorgebracht, und das wird auch in Zukunft nicht anders werden. Es kommt darauf an die Mängel auszumerzen, und wenn es dazu keine Möglichkeit gibt muss das Modell in Punkto Falsfizierbarkeit nachgebessert werden.

Wer harte popperianische Falsifizierbarkeit als Auswahlkriterium akzeptiert, muss sich von der String-Theorie, weiten Teilen der Evolutionstheorie und überhaupt weiten Teilen der theoretischen Physik verabschieden.
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