Die sieben Todsünden

Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Fr 9. Dez 2011, 08:07

Die 10 Angebote des Humanismus unterschreibe ich - mit ein paar kleinen kosmetischen Korrekturen - sofort. Ich denke, daß diese Punkte auch von einem Gläubigen unterschrieben werden können, sofern es sich nicht um einen dogmatisch verblendeten Menschen handelt.

Daß ich diese "Angebote" unterschreiben kann, liegt nicht daran, daß jedes einzelne so toll und neu und von der theologischen Betrachtung so verschieden wäre. Ich finde darin z.B. schon die Kardinaltugenden, das Gegenteil der 7 Untugenden, z.B. Geduld, geistige Beweglichkeit, Demut. Zum Begriff der Demut eine kleine Anmerkung: verstanden als "sich nicht so wichtig nehmen, sich nicht immer in den Mittelpunkt stellen".

Ich sehe allerdings nicht, warum diese Angebote aus dem Naturalismus folgen sollen.

Ferner: es wird mir lediglich nahegelegt, was ich tun soll: zuhören, entspannen, nachdenken, sich für den Humanismus einsetzen, usw, alles richtig, alles gut. Warum sollte ich das alles tun? Warum sollte ich nicht ihr Gegenteil anstreben? Warum sollte ich nicht Unmenschlichkeit vermehren?

Dazu fehlt mir die schlüssige Begründung. Das gleiche Problem stellt sich natürlich allen Geboten, auch bei den 10. Man könnte sich jetzt aus der Affäre ziehen und darauf hinweisen, daß es sich ja nur um "Angebote" handle. Dennoch sind diese Angebote appellativ verfasst.

Ich kann jedes der hier aufgelisteten ethischen Ziele verneinen. Wie kommst Du da heraus?
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Vollbreit » Fr 9. Dez 2011, 09:46

ganimed hat geschrieben:@Vollbreit: gute Antwort von dir. Danke für die Infos über diese Studien zu Narzissmus und Ähnlichem. Ich zögere noch etwas, das mit einem Niedergang der Moral gleichzusetzen, aber natürlich verändern sich die Moralvorstellungen der Gesellschaft. Kein Wunder bei dem Tempo in dem sich die Gesellschaft ändert. Einige kommen nicht klar und werden krank. Und insgesamt ändern sich Werte, verschieben sich Prioritäten, mehr Ich und weniger Nächstenhilfe, das könnte ich mir schon vorstellen. Aber wieso sprechen wir von einem Niedergang der Moral, von einer Regression?
Könnte es nicht auch neutraler formuliert eine Progression, ein Fortschritt, eine Veränderung sein?


Ja, das könnte so sein. Ist es aber nicht und es gibt einen Grund dafür.
Narzissmus ist ein ausgesprochen schwammiger Begriff in der Psychologie, weil er sehr umfassend benutzt wird. Wenn wir die narzisstische Persönlichkeitsstörung nehmen, dann ist die allerdings scharf definiert und wenn man sie stellvertretend für alle schweren Persönlichkeiten nimmt, die in den Punkten, um die es hier geht alle eine ähnliche Struktur haben, dann sieht diese Struktur so aus, dass diese Pathologie alle Lebensbereiche durchzieht, d.h. alle Beziehungen beeinflusst und verzerrt.
Liebesbeziehungen, Arbeitsbeziehungen, Freundschaften, auch Ansichten über die Welt, Poilitik, etc.
Typisch ist hier das Vorherrschen eines moralischen Schwarz/Weiß Weltbildes, an Hang zu sadistischen, messianischen, hart leistungsorientierten Weltbildern auf dem Niveau von und gut/böse, richtig/falsch, ja/nein ohne Graustufen die dazwischengeschaltet sind.

D.h. Menschen, die daran leiden, beziehen alles auf sich und haben kein gutes Ohr für Zwischentöne, die eine Grundbegingung für eine entwickelte Moral sind, die einen sowohl/als auch Kompromiss sucht, Ambivalenzen in den Motiven anderer und des Selbst sehen und tolerieren kann und keine ganz oder gar nicht Einstellung ist.

ganimed hat geschrieben:Der Naturalist, so wie ich ihn mir vorstelle, erkennt die Naturwissenschaften als wichtigste Quelle für halbwegs gesicherte Erkenntnisse an und denkt sich nicht unabhängig von ihnen übernatürlichen Krimskrams aus. Aber das bedeutet nicht, dass er selbst ein Wissenschaftler ist, oder ein Tüftler, der das Wissen in alltagstaugliche Geräte gießt, die zu seinem Vorteil arbeiten. Naturalismus hat für mich nichts mit Technikaffinität oder Ingenieurwesen zu tun. Und Naturwissenschaften beinhalten ja auch nicht nur Technik, sondern auch Naturbeobachtungen aller Art.


Okay, diese Differenzierung kann ich anerkennen.
Meine Idee ging in die Richtung, dass die meisten Tüftler ein implizit naturalistisches Weltbild anwenden, wenn sie arbeiten. Es ist natürlich ein tiefreligiöser Uhrmacher denkbar, der verwendet dann beides und die Diskussionen ob das etwas schizo oder bereichernd ist, kann man führen.


ganimed hat geschrieben:Da fällt mir spontan zugegebenermaßen nur Michael Schmidt-Salomon ein, zum Beispiel mit dem Buch, dass ich ganz gut fand : Jenseits von Gut und Böse

Und hier gleich mal, weil der Platz nichts kostet, die 10 humanistischen Angebote aus Wikipedia zitiert:
Die Zehn Angebote des evolutionären Humanismus

Die Zehn Angebote des evolutionären Humanismus erschienen zuerst im Buch Manifest des evolutionären Humanismus welches von Michael Schmidt-Salomon im Auftrag der Giordano-Bruno-Stiftung geschrieben wurde. In der zugehörigen Vorbemerkung heißt es:
[…]



Ächz. Ich hab schon ein wenig ein schlechtes Gewissen, darum fange ich mit dem Positiven an:
Ich mag den Humanismus, sehr sogar und noch besser gefällt mir die wiki Kurzbeschreibung:

1. Das Glück und Wohlergehen des einzelnen Menschen und der Gesellschaft bilden den höchsten Wert, an dem sich jedes Handeln orientieren soll.
2. Die Würde des Menschen, seine Persönlichkeit und sein Leben müssen respektiert werden.
3. Der Mensch hat die Fähigkeit, sich zu bilden und weiterzuentwickeln.
4. Die schöpferischen Kräfte des Menschen sollen sich entfalten können.
5. Die menschliche Gesellschaft soll in einer fortschreitenden Höherentwicklung die Würde und Freiheit des einzelnen Menschen gewährleisten.
(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Humanismus )

Das unterschreibe ich blind.
Das ist neutraler gefasst und verzichtet in der Formulierung auf das Bedienen anitreligiöser Affekte.
Die „zehn Angebote“ sind nette Versatzstücke aus der Bergpredigt, Kants Schrift über Aufklärung und ein bisschen allgemeiner Lebensweisheit, warum die explizit aus dem Naturalismus folgen bleibt im Dunkeln.

Dann Schmidt-Salomon: Die knappste und beste Einschätzung haben ich von jemandem, aus „euren“ Reihen gelesen, der dem Humanismus anhing, Religionen nicht mochte und die G-Bruno-Stiftung schätzte und Schmidt-Salomons Absichten an sich auch. Er sagte schlicht, er sei ein philosophisches Leichtgewicht und das trifft es.

Das Buch von ihm habe ich nicht gelesen, wohl aber weite Teile seiner Klärungen und Ergänzungen zum Buch, auf seiner Website und ich kenne auch die zentrale These, eines allumfassenden Determinismus.
Diese ist in viererlei Hinsicht problematisch:
Erstens, so wie von Schmidt-Salomon dargestellt und (auf der Website) ausgebreitet, strotzt es nur so von Selbstwidersprüchen. Wenn Du Belege brauchst, wühle ich noch mal nach, irgendwo werde ich die finden.
Zweitens, in der Form ausgebreitet, ist das ein schlichter Glaubenssatz in der Form einer petitio principii. Wie würde die These eines allumfassenden Determinismus denn falsifiziert werden können, wenn behauptet wird, alles hätte immer eine Ursache? Das rekurriert auf Erfahrungswerte und läuft Hume ins offene Messer.
Drittens, ist die Ansicht, die besagt, dass ein allumfassender Determinismus die Freiheit des Willens unmöglich macht, philosophisch unhaltbar, bei Bedarf führe ich das aus, verweise an dieser Stelle der Einfachheit halber auf den Kompatibilismus.
Viertens, macht die These eines allumfassenden Determinismus, ebenfalls in zweierlei Hinsicht keinen Sinn. a) Unterstellt es gäbe ihn, so könnten wir doch sicher sein, niemals alle Ursachen erkennen zu können, dafür gibt es prinzipielle Gründe die Du hier einsehen kannst: http://de.wikipedia.org/wiki/Laplacescher_D%C3%A4mon
Aber das zeigt nur die Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit auf.
b) und wichtiger in dem Zusammenhang: Die Idee des Determinismus, der auf verborgenen Variablen beruht, die seit Anbeginn der Welt die Bewegung aller Teilchen festlegen, ist sehr wahrscheinlich unhaltbar, da das Verhalten einzelner Teilchen und schon ihre Lokalisierung nicht möglich ist, auch wenn man das Verhalten der Summen von Teilchen statistisch berechnen kann.

Das Thema hier war aber, der Naturalismus und moralisch/ethische Positionsbestimmungen oder Forderungen und meine Behauptung war, dass aus dem Naturalismus selbst einfach keine abzuleiten sind, denn sowohl Metamoral, als auch Metaethik sind eben keine Moral oder Ethik, auch wenn auf Umwegen die Ergebnisse derselben natürlich in ethische Betrachtungen einfließen sollten oder könnten.

Ehrlich gesagt finde ich das aber auch gar nicht schlimm, man kann ja einfach anerkennen, dass der Naturalismus als Methode oder Philosophie für den Erwerb von funktionalistischem Wissen hervorragend ist, im Bezug auf andere Bereiche aber nichts zu sagen hat.
Hier brauchen wir einfach andere Ansätze, die m.E. gar kein Fundament in Glauben oder Wissenschaft benötigen.
Die Rolle der Moral und der Ethik ist unser Miteinander zu regeln, das möglichst so fair und allgemeingültig wie es geht und die Ausgangspunkte von Moral können immer nur aus den Lebensbedingungen diverser Clans, Ethnien usw. kommen und das Allgemeingültige daran kann ja reflektiert und herausgearbeitet werden, so wie es ja im Großen und Ganzen auch gemacht wird.
Dass die „zehn Angebote“ vermutlich gar keine naturalistischen Wurzeln haben (können) und die „zehn Gebote“ vermutlich nicht von Gott verkündet wurden, braucht uns eigentlich alles nicht zu kratzen, wichtig ist, ob und in welcher Weise wir ihnen zustimmen können oder eben nicht.

Und ehrlich gesagt finde ich die Grundintentionen im Humanismus und den großen Religionen da nicht groß verschieden, bestimmte Aspekte vor allem der Sexualmoral mal ausgeblendet.
Nicht Lügen, Stehlen, Töten usw. wie stine ja auch schreibt, mit all den Ergänzungen der Situationsbezogenheit, die Du, völlig richtig in meinen Augen, erwähnst.

Meine Grundidee hierbei ist, nicht ständig und immer zu betonen, was trennt, sondern die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und im Bewusstsein einer breiten Übereinstimmung, die es in meinen Augen gibt, weiter zu diskutieren und zu streiten.
So wie sich Demokraten der verschiedenen Parteien streiten, im stets vereinten Bewusstsein Demokraten zu sein.
Und die verbindenden Grundideen findest Du im Buddhismus, bei den Yogis, im Deutschen Grundgesetz, im Humanismus, Christentum und noch an zig anderen Stellen.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon ganimed » Fr 9. Dez 2011, 11:14

laie hat geschrieben:Warum sollte ich das alles tun? Warum sollte ich nicht ihr Gegenteil anstreben? Warum sollte ich nicht Unmenschlichkeit vermehren? Dazu fehlt mir die schlüssige Begründung.

Die von mir zitierten Stellen beinhalten tatsächlich keine Begründung. Zumindest Begründungsansätze spezielle zum Evolutionären Humanismus finden sich in den genannten Bücher von Schmidt-Salomon. Ich könnte mir vorstellen, dass es allgemein zum Humanismus auch noch Myriaden von Quellen gibt, ich kenne mich da nicht aus.

Ein paar vage Ansätze von Begründung meine ich aber auch so aus dem Stehgreif erahnen zu können. Zum Beispiel:
Befreie dich von der Unart des Moralisierens! Trage dazu bei, dass die katastrophalen Bedingungen aufgehoben werden, unter denen Menschen heute verkümmern, und du wirst erstaunt sein, von welch freundlicher, kreativer und liebenswerter Seite sich die vermeintliche „Bestie“ Homo sapiens zeigen kann.

Wenn man sich die Ergebnisse der Hirnforschung und Erziehungswissenschaften und bestimmter soziologischer Studien anschaut, lassen sich viele Ursachen von Aggression, Destruktion und anderer menschlicher Probleme auf soziale Probleme und den Mangel an Fürsorge und Bildung zurückführen. Wird jemand liebevoll und altersgerecht, gerade in der Frühphase, erzogen, wird auch ein freundlicher Mensch draus. Eine grundsätzlich menschenfeindliche, fatalistische Haltung erscheint vor diesem Hintergrund deshalb falsch.

Genieße dein Leben, denn dir ist höchstwahrscheinlich nur dieses eine gegeben!

Auch hier dürfte die Begründung relativ offensichtlich sein. Wer mangels irgendwelcher Hinweise nicht an ein mysteriöses Leben nach dem Tod glaubt, dessen Fokus sollte sich auf das Diesseits richten. Und gemäß unserem Belohnungsmechanismus im Gehirn (mein Lieblingsargument zum Hedonismus) bietet es sich an, diese einzige Existenz nach Möglichkeit zu genießen.

Stelle dein Leben in den Dienst einer „größeren Sache“...

Auch dazu gibt es Ergebnisse aus der Glücksforschung. Wenn ich mich recht erinnere, werden die auch in dem Buch "Jenseits von Gut und Böse" ausführlich thematisiert. Ist wohl so, dass sozial aktivere Menschen auch glücklicher sind, seltener erkranken und länger leben. Wenn man also einen großen Freundeskreis unterhält oder sich in sozialen Netzwerken für größere Zusammenhänge engagiert, dann ist das sehr positiv zu bewerten.

Verhalte dich fair gegenüber deinem Nächsten und deinem Fernsten!

Dazu fallen mir oft zitierte psychologischen Experimente ein, wo dem einen Versuchsteilnehmer ein Geldbetrag gegeben wird und es ihm frei steht, wie viel davon er abgeben möchte an einen zweiten Versuchsteilnehmer. Letzterer darf dann aber bestimmen, ob der Deal zustande kommt oder beide leer ausgehen. Rational wäre es vom zweiten, jeden Betrag > 0 zu akzeptieren, denn besser wenig als gar nichts. Aber unser Hirn scheint da ein starkes Gerechtigkeitsempfinden zu haben und so lautet das Motto der meisten: wenn nicht fair dann eben nicht.

Vollbreit hat geschrieben:Die „zehn Angebote“ sind nette Versatzstücke aus der Bergpredigt, Kants Schrift über Aufklärung und ein bisschen allgemeiner Lebensweisheit

Natürlich waren die Menschen auch früher nicht dumm und haben intuitiv schon vieles richtig eingeschätzt. Aber ein bisschen herumraten auf welcher verstiegenen Basis auch immer erscheint mir insgesamt auch einige sehr destruktive Regeln des Zusammenlebens im Lauf der Geschichte zutage gefördert zu haben. Nach der Ethik von Kants 18. Jahrhundert möchte ich heute lieber nicht mehr leben. Ich fühle mich deutlich wohler, wenn dieses Regel-Raten aufhört und man das ein wenig systematischer auf die Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen stellt.

Das Thema Determinismus und was man jemals daran aussetzen könnte ist mein Lieblingsthema. Ich selber finde es sehr schlüssig, aus dem Determinismus einen unfreien Willen herzuleiten.

Vollbreit hat geschrieben:Erstens, so wie von Schmidt-Salomon dargestellt und (auf der Website) ausgebreitet, strotzt es nur so von Selbstwidersprüchen. Wenn Du Belege brauchst, wühle ich noch mal nach, irgendwo werde ich die finden.

Ich wäre sehr interessiert an Belegen. Schon gute Argumente würde ich spannend finden.

Vollbreit hat geschrieben:Drittens, ist die Ansicht, die besagt, dass ein allumfassender Determinismus die Freiheit des Willens unmöglich macht, philosophisch unhaltbar, bei Bedarf führe ich das aus, verweise an dieser Stelle der Einfachheit halber auf den Kompatibilismus.

Ein wenig Erfahrung habe ich in diesem Thema schon durch eine wunderschöne Diskussion hier im Forum mit AgentProvocateur gesammelt. Ich bin ja ansonsten blutiger Laie. Mir erscheint aber der Kompatibilismus unhaltbar, oder sagen wir zumindest einfach nur eine Ausweichstrategie zu sein, ein billiger Trick, um nicht alle Konsequenzen des Determinismus anerkennen zu müssen. Mir ist dagegen sehr unklar, wieso die Position des Inkompatibilismus unhaltbar sein soll.

Vollbreit hat geschrieben:Viertens, macht die These eines allumfassenden Determinismus, ebenfalls in zweierlei Hinsicht keinen Sinn. a) Unterstellt es gäbe ihn, so könnten wir doch sicher sein, niemals alle Ursachen erkennen zu können...
b) und wichtiger in dem Zusammenhang: Die Idee des Determinismus, der auf verborgenen Variablen beruht, die seit Anbeginn der Welt die Bewegung aller Teilchen festlegen, ist sehr wahrscheinlich unhaltbar, da das Verhalten einzelner Teilchen und schon ihre Lokalisierung nicht möglich ist, auch wenn man das Verhalten der Summen von Teilchen statistisch berechnen kann.

Der Determinusmus behauptet lediglich, dass es für alles Ursachen gibt und dass alle Teilchen sich aufgrund von Ursachen dort befinden wo sie sich befinden. Es ist aber nicht von Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit oder Messbarkeit die Rede. Deine Gegenargumente laufen also am Ziel vorbei. Nur weil man niemals alle Ursachen kennen kann, heißt das noch lange nicht, dass es diese Ursachen auch nicht gibt.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Vollbreit » Fr 9. Dez 2011, 11:31

Ich denke wir sollten uns den Kompatibilismus vorknöpfen, weil diese Diskussion viele Probleme löst, die dranhängen.
Habe aber in den nächsten Tagen weitaus weniger Zeit, ich kann nicht genau sagen, wann Antworten von meiner Seite kommen, tun sie aber.
Sollen/dürfen wir das hier bereden, oder ist ein anderer Thread oder ein neues Thema besser geeignet?

Damit wir nicht lange um den heißen Brei tanzen, schlage ich folgendes vor:
Wir unterstellen, dass die Welt total determiniert ist, wie MSS das will. Wir gehen, damit kein Rest bleibt ins äußerste Extrem. Alles was ich hier schreibe und was Du antwortest, dass wir uns hier treffen und über den Kompatibilismus reden, all das ist seit Anbeginn der Zeit determiniert. Es musste genau so kommen. Wir verstehen das nicht, kennen die Bedingungen nicht - und müssen es nicht - aber in diesem Gedankenexpermient ist all unser Tun auf dem Boden der Naturgesetze, die die Welt determinieren und die überall gelten, festgelegt.

Das ist der erste Punkt. Nun die einfache Frage: Was verstehst Du unter freiem Willen?
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 9. Dez 2011, 11:43

Drei kurze Anregungen, darüber noch mal anders nachzudenken:

1. Wenn man bei strengen Begriffsdefinitionen bleibt schließt ein allumfassender Determinismus einen freien Willen aus. Kompatibilisten sind Anwälte und keine Philosophen, weil sie versuchen, Begriffe so zu drehen, dass sie in ein bestimmtes Weltbild passen.

2. Die Angebote haben deshalb Ähnlichkeit mit religiösen Konzepten, weil auch diese einen Ursprung haben, der einfach nur im „common sense“ liegt. Religionen haben eine Pseudoletztbegründung dafür, der keine weiteren Fragen mehr zulässt während der Naturalismus die Chance hat, der Sache nachzugehen, warum der gesunde Menschenverstand immer wieder ähnliche ethische Handlungen hervorbringt. Das heißt die naturalistische Begründung ist nicht unmöglich, sondern nur noch nicht gefunden, was den Naturalismus hier weitaus edler als die Religionen macht.

3. Dinge sind erst in dem Moment determiniert, in dem die Entscheidung ausgesprochen (Sprache als performativer Akt) oder in eine Handlung umgesetzt wird. Vorher gibt es nur Tendenzen, im Nachhinein war es schon immer so. Die Gegenwart ist in dem Sinne also nicht scharf, sondern ein ständiges Futur 2 und Entscheidungen verändern nicht nur die Zukunft, sondern auch die Vergangenheit (dazu kann jemand, der sich mit Quantenphysik auskennt vielleicht auch nähere Naturwissenschaftliche Daten liefern, philosophisch ist diese Idee nicht mehr ganz neu, ich selbst kam darauf, als ich zum Gott wurde – das heißt eine Welt erschaffen habe). Wie lässt sich auf dieser Basis ein fester Moral/Ethik-Katalog noch halten? Wie wäre eine Ethik die auf Abwägen der Konsequenzen basiert überhaupt möglich?

Kant ist hier meines Erachtens gar nicht so verkehrt gewesen, als er seine Ethik auf die „Leere“ aufgebaut hat. Kant war übrigens auch Naturwissenschaftler und hat wesentliche Teile der Evolutionstheorie, Relativitätstheorie und Quantenmechanik selbst schon geahnt, wie man in seinen naturwissenschaftlichen Werken nachlesen kann (selbstverständlich aber nicht mit der wissenschaftlichen Präzision, die heute in diesen Theorien steckt). Man sollte also bedenken, dass seine Ethik nicht auf einem atomistischen aber auch nicht auf einem religiösen Weltbild beruht.

Schmidt-Salomon sehe ich auch als philosophisches Leichtgewicht an. Für philosophische Einsteiger aber durchaus empfehlenswert, wenn man erstmal einen nicht so überfordernden Überblick bekommen möchte aber schon etwas mehr haben will als in „Sofies Welt“. Man sollte aber dann nicht dabei bleiben, sondern auch ans Eingemachte übergehen.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Fr 9. Dez 2011, 16:01

Teh Asphyx hat geschrieben:Religionen haben eine Pseudoletztbegründung dafür, der keine weiteren Fragen mehr zulässt


Keineswegs. Gottes Gebote können keine Begründung von Handlungen liefern. Habe ich bereits weiter oben ausgeführt. Die Begründung seiner Handlungen muss von jedem Menschen selber kommen.. Jeder ernsthafte Theologe wäre entsetzt, wenn jemand zu ihm käme und sagte, er habe seinen Nachbarn erschlagen, weil Gott das so gewollt habe. Man würde diesem Menschen einen Arzt empfehlen.

Quantenphysik, Futur2, Determinierung

Teh Asphyx hat geschrieben:Wie lässt sich auf dieser Basis ein fester Moral/Ethik-Katalog noch halten?


Wer sagt denn, daß es so einen Katalog jemals gegeben hat? Im AT ist zwar die Rede von recht rigorosen Gesetzen und Vorschriften, aber das ganze AT handelt von der Übertretung dieser Gesetze, von Schuld, Strafe, Rettung, alles menschliche Auseinandersetzungen.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Teh Asphyx » Fr 9. Dez 2011, 16:55

laie hat geschrieben:Keineswegs. Gottes Gebote können keine Begründung von Handlungen liefern. Habe ich bereits weiter oben ausgeführt. Die Begründung seiner Handlungen muss von jedem Menschen selber kommen.. Jeder ernsthafte Theologe wäre entsetzt, wenn jemand zu ihm käme und sagte, er habe seinen Nachbarn erschlagen, weil Gott das so gewollt habe. Man würde diesem Menschen einen Arzt empfehlen.


Tut mir leid, aber das Argument zieht nicht. Es wurden oft genug mit religiöser Legitimation solche Handlungen begangen. Du kannst nicht einfach die Theologen nehmen, die das anders sehen und alle anderen als nicht „ernsthaft“ bezeichnen und somit die Religion immunisieren.
Was ist mit den Kreuzzügen? Was ist mit Abraham und Isaak, wo Gott direkt verlangt, den Sohn zu töten?

laie hat geschrieben:Wer sagt denn, daß es so einen Katalog jemals gegeben hat? Im AT ist zwar die Rede von recht rigorosen Gesetzen und Vorschriften, aber das ganze AT handelt von der Übertretung dieser Gesetze, von Schuld, Strafe, Rettung, alles menschliche Auseinandersetzungen.


Und inwiefern widerspricht das der Tatsache, dass es einen solchen Katalog im AT gibt? Ich brauche keinen, der es mir sagt (vielleicht bin ich deswegen auch nicht religiös), wenn ich es direkt vor Augen habe.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon mat-in » Fr 9. Dez 2011, 18:03

laie hat geschrieben:Die 10 Angebote des Humanismus unterschreibe ich - mit ein paar kleinen kosmetischen Korrekturen - sofort. Ich denke, daß diese Punkte auch von einem Gläubigen unterschrieben werden können, sofern es sich nicht um einen dogmatisch verblendeten Menschen handelt.

Da muß man sehr vorsichtig sein, was man abwertend als dogmatisch verblendet bezeichnet. Wir leben auf einer kleinen Insel der aufgeklärten Glückseeligkeit und zahmen Religion, in vielen anderen Ländern - die uns gar nicht so fern sind - wirst du schon für den Vorschlag sozial geächtet oder mit Steinen beworfen werden.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Fr 9. Dez 2011, 18:36

Da hast du leider Recht. Wie überhaupt jede Ideologie oder Diktatur so ist. In der UdSSR Stalins gabs keine Religion, jedenfalls nicht im öffentlichen Leben. Alle waren so was von aufgeklärt, trotzdem ist man für ein kritisches Wort gleich im Gulag gelandet.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Sa 10. Dez 2011, 13:20

Teh Asphyx hat geschrieben:Was ist mit Abraham und Isaak, wo Gott direkt verlangt, den Sohn zu töten?


Und wie geht diese Geschichte aus? Sag mal.

Natürlich wimmelt das AT von Grausamkeiten, vielen, die Gott selbst anordnet, ausführt, dann wieder welchen, die von Menschen begangen werden (wofür sie dann wieder bestraft werden). Ich meine, der Grundtenor ist wichtig. Vieles im AT ist blosser Hintergrund, davor findet die eigentliche Auseinandersetzung statt. Die Hauptthemen sind (ohne Anspruch auf historische Wahrheit)

a) Ich habe euch aus dem Sklavenhaus Ägypten geführt (exodus)
b) Ihr müsst euch nur an ein paar Gesetze halten, das wichtigste darunter: Habt keine Götter neben mir, keine Pfähle im Gurkenfeld, denen ihr kleine Kinder opfert (sic!, vgl. das Ende der Abram, Isaak Geschichte) (deuteronomium)
c) Ihr übertretet dauernd mein Gesetz, ich vernichte euch (propheten)
d) Tut mir leid, wegen c) ich mach einen neuen Bund mit euch. Irgendwann später
(propheten)

Ok. Das sind natürlich alles Ergebnisse menschlicher Auseinandersetzungen mit der Gottesvorstellung. Hier steht im Vordergrund: "Unser Gott lässt sogar uns selbst "auflaufen". Aber es besteht Hoffnung (d)." Soweit das AT.

Der Ton im NT ist wieder ein anderer. Jetzt gilt auf einmal der einzelne Mensch etwas ("was ihr anderen antut, das tut ihr mir an", "Gott dienen und dem Menschen" usw.). Im AT galt der einzelne nichts (wenigstens kommt es mir so vor), das wichtigste sind "Nachkommen". Die schlimmste Strafe die der Gott im AT verhängt, ist nicht, daß einer durch seinen Zorn stirbt. Sterben müssen wir alle. Die schlimmste Strafe im AT ist, daß man kinderlos bleibt. Davon ist im NT nicht mehr so die Rede. Jetzt geht es mehr um die eigenen Gewissensnöte, die dann wie ein Mühlstein an einen hängen, so daß es besser wäre (was eben keiner tut), sich "eine Hand abzuhacken" oder "ein Auge auszustechen".
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 10. Dez 2011, 14:38

Mir geht es vor allem um die Frage ob die Religion „notwendig“ ist, um Werte und Ordnung zu transportieren oder nicht. Ich vertrete den Standpunkt, dass es nicht so ist. Bisher kam für mich folgendes raus:

Möglichkeit 1: Die Religion hat feste Werte. In diesem Fall muss jeder, der sich zu den Werten der Religion bekennt, auch zu dem schrecklichen Teil davon bekennen. Dann gehören zu den christlichen Werten eben auch Kreuzzüge und Inquisition.

Möglichkeit 2: Die Religionen haben höchstens flexible Werte und verhalten sich meistens eher opportunistisch zu der jeweiligen Herrschaft (soweit vorhanden).

Die zweite Variante scheint mir plausibler (zumal die erste Variante kein bekennender Christ wirklich in aller Konsequenz bis zuende denken möchte), ich finde man sieht es auch gerade wunderbar am Judentum. Zur Zeit der Diaspora war das Judentum äußerst friedlich und vielleicht auch gerade, weil es in vielen Teilen Europas so verhasst war, hat es eine solch friedliche Position eingenommen. Sobald aber durch den Zionismus wieder eine Herrschaft ins Judentum hineinkam, konnten auf einmal Kriegsverbrechen mit religiösen Texten begründet werden.

Das Problem ist nämlich gerade, dass wenn ich versuche, jemanden, der von festen Werten in der Religion überzeugt ist, in Widersprüche zu verwickeln, dann jemand kommt, der mich überzeugen will, dass die Religion keine festen Werte hat und wenn ich dem sage, dass Religion dann auch nicht notwendig oder sogar gefährlich ist, weil sie dennoch als vermeintliche Begründung grausamer Taten dienen kann, die anderen wieder ankommen und meinen, die Religion hätte aber feste Werte.

Und was die UdSSR angeht:

Bild :cower:
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Darth Nefarius » Sa 10. Dez 2011, 17:36

Ich pflichte dir bei, die Religion ist so opportunistisch, wie der jeweilige Religiöse. Das Christentum war am Anfang auch nur eine Endzeitsekte, also hat es sie nicht gestört, dass sie verfolgt und getötet wurden, aber die Macht vedirbt jede Ideologie, weil Ideologien meist von Menschen befürwortet werden, die die Macht anstreben und mit ihr nicht umgehen können. Aber trotzdem ist der Gedanke an Moral und Ethik nicht von der Metaphysik wegzukriegen, letztlich hat sogar Kant (den ich kein bisschen schätze, der aber wenigstens am ehesten versucht hat, seine Moral/Ethik von der Religion zu trennen) es nicht geschafft, seine Imperative nicht ohne den "guten Willen" und das "Ding an sich" zu begründen (ein Aphorismus für Gott). Ich denke, dass man deswegen endlich mal von dieser Verklärung der Moral und Ethik wegkommen muss, jeder Fanatiker hatte seine subjektiv (oder religiös-intersubjektiv) logische Ethik/Moral. Die harmlosen Gesellen sagen doch alle, dass man "das, was da steht nicht wörtlich nehmen muss", was wieder diesen opportunistischen Ansatz hat. Es ist nicht falsch, sich jeder Situation anzupassen, und zu überlegen, was den geringsten Schaden/den maximalen Nutzen verursacht, anstatt etwas mit "gut" oder "böse" zu rechtfertigen. Ich denke, du solltest es aufgeben, den religiösen Menschen erklären zu wollen, dass die Religion gefährlich ist- sie werden es niemals einsehen, dass das, woran sie am meisten festhalten eine widerliche, perverse und gefährliche Lüge ist. Du musst dich damit zufrieden geben, dass "sie alles nicht so wörtlich" nehmen, und den Rest meiden.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Teh Asphyx » Sa 10. Dez 2011, 19:20

Du hast recht und ich würde mich darüber auch nicht streiten, aber es ging ja um die Frage inwieweit sich eine Ethik/Moral auf Naturalismus begründen lässt und ich wollte versuchen zu zeigen, dass momentan die Religion ebenso wenig eine Begründung für Ethik/Moral hat und beim Naturalismus zumindest die Chance besteht, dass man eine finden könnte. Ich denke dieser Punkt ist schon wichtig, wenn man als Naturalist in ethischen Fragen mitsprechen möchte.
Ich möchte um ehrlich zu sein nicht mehr sehen, dass einem Fernsehsender wie ARTE zum Thema „Altruismus“ nur einfällt einen Buddhisten aus der Gefolgschaft des Dalai Lama zu Wort kommen zu lassen, wenn die Sendung „Philosophie“ heißt (in einer Sendung über Religion oder Spiritualität schon eher). Zu dem Thema hat Peter Sloterdijk (ein Nietzsche-Kenner und -Bewunderer) zum Beispiel viel interessantere konkrete Gedanken, die auch tatsächlich die Gesellschaft hier betrifft und er begründet sie auf einem aufklärerisch-demokratischen Weltbild.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Darth Nefarius » So 11. Dez 2011, 14:01

ja, die Sendung kenne ich auch und mich hat das auch sehr gestört, aber ehrlich gesagt habe ich nicht den Anspruch eine Ethik oder Moral zu begründen, ich habe deutlich gemacht, warum ich nicht denke, dass man das tun sollte/ könnte (es fehlt die Legitimation), aber ich würde mich auch nicht Naturalist nennen (tue ich auch nicht), wenn es impliziert, dass man eine Ethik verfolgt. Wenn überhaupt, dann muss man nicht neu formen, sondern darüber nachdenken, wie der Mensch funktioniert: Egoistisch, teilweise berechnend, emotianal. Mir hilft die Biologie, um den Menschen zu verstehen: Es ist unerlässlich, um zu überleben, seinen eigenen Vorteil zu verfolgen (beim sozialen Wesen Mensch ist der eigene auch mit der der eigenen Gruppe verbunden). Abhängig von dem Verstand und der Fähigkeit zur Reflexion kann der Mensch kooperativ sein, also "Win-Win" Situationen ermöglichen, die Kurz- oder Langfristigkeit spielt auch eine Rolle. Natürlich muss man sein Gegenüber kennen und wissen, wie viel davon man ihm zutrauen kann. Wenn überhaupt fällt mir nur der Egoismus mit rationaler Reflexion und Weitsichtigkeit als ausreichend legitimierbare Basis für eine Ethik ein (der Egoismus ist per se schon vorhanden, die Selbstreflexion und die Einschätzung der Lage und der Fähigkeiten des Gegenübers könnte erzogen werden).
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Mo 12. Dez 2011, 07:53

Das war jetzt Hobbes. Dazu braucht es keine Biologie, um das alles zu sagen. Und: Muss ich so handeln, wie die Biologie sagt, dass der Mensch handelt? Tut mir leid, mich überzeugt das alles nicht.

Der Punkt ist doch: Eine Ethik, die auf Verboten gründet, ist vernunftsmäßig nicht zu begründen.
Die Begründung für ethisches Handeln muss folglich aus der Natur des Menschen selbst folgen. Wobei "Natur" soviel bedeutet wie "Wesen". Jetzt haben wir dazu Hobbes gehört:

der Mensch ist grundsätzlich egoistisch und ausschließlich auf seinen eigenen Vorteil bedacht (1)
wenn jeder Mensch seinen Egoismen nachgeht, erreicht keiner seine Ziele(2)
daher geben Menschen die Macht an eine Zentralgewalt ab (3)
gut ist dann ein Handeln, wenn es (3) bestätigt oder damit konform ist. Schlecht nennt sich ein Handeln, wenn es wieder auf 2 zurückfällt.

Das waren spekulative Überlegungen von Hobbes. Die Biologie hat das ganze unterfüttert mit der Behauptung, es ginge jedem Menschen darum, sein biologisches Erbgut weiterzugeben.

Wenn die Weitergabe des biologischen Erbguts das eigentliche Ziel ist, dann kann man für den einzelnen zunächst sagen: "gut ist, was diesem Streben entspricht". Dieser Satz findet sich auch irgendwo bei Platon und Thomas von Aquin. Gut ist, was der Weitergabe des biologischen Erbguts entspricht. Und dann darauf aufbauend die restlichen Thesen von Hobbes.

Für Deutschland scheint dafür schon die Voraussetzung zu fehlen. Für mich muss Ethik aus dem folgen, was der einzelne Mensch als bewusste Persönlichkeit anstrebt. Und nicht aus dem, was eine Theorie sagt, was ich eigentlich wollen sollte.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 12. Dez 2011, 10:21

Das Konstrukt "Vernunft" ist logisch nicht zu begründen. Die Biologie beschränkt sich nicht auf Verboten, sondern sie beschreibt die grundlegende Programmierung des Menschen. Und du wirst so handeln, wie es dir deine Triebe vorschreiben, es ist nicht so, dass man eine Wahl hätte, da alle Handlungen und Gedanken aus unseren Motiven resultieren, diese wiederum aus unseren Trieben. Und Hobbes liegt in dem Punkt falsch, dass man seinem Egoismus nicht folgen sollte. Die logische Konsequenz einer egoistischen Verhaltensweise ist die Kooperation: Maximaler Nutzen für mich kann am ehesten durch kooperatives Verhalten erzeugt werden (es erhöht die Chancen, dass ,mir geholfen wird, wenn ich zuvor geholfen habe). Die Menschen geben ihre Macht ab, weil sie dies nicht erkennen und es einfacher ist, jemanden anderes für sich entscheiden zu lassen. Und in Deutschland fehlt der grundsätzliche Selbsterhaltungstrieb nicht, der Trieb möglichst ungebunden zu sein führt zu der Verweigerung, eine Familie zu gründen (in einigen Fällen), aber die Triebe ans ich funktionieren noch ganz gut. :up:
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon laie » Mo 12. Dez 2011, 13:18

Das Konstrukt "Vernunft" ist logisch nicht zu begründen


Was meinst du damit? Ich vermute, Du meinst, daß man Appelle der Art "Mach das doch nicht, das ist doch nicht vernünftig" usw. nicht logisch begründen kann.

Aber das ist auch nicht so wichtig. Ich fasse jedenfalls zusammen:

jeder von uns, du und ich und alle, sind von ihren Trieben beherrscht (1)
grundlegende Programmierung des Menschen


gegen seine Triebe kann man sich nicht entscheiden (2)
es ist nicht so, dass man eine Wahl hätte


Moral oder Ethik (wenn man dieses Wort überhaupt verwenden möchte) gibt es nur als Kooperation.
Die logische Konsequenz einer egoistischen Verhaltensweise ist die Kooperation


Ich frage mich: hat man zu einer Kooperation eine Wahl? Kann ich eine Kooperation ablehnen?

Oder meinst Du, daß Menschen darauf determiniert sind, Kooperationen einzugehen, der einzelne also im Hinblick auf eine Kooperation keine Wahl hätte?
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 12. Dez 2011, 15:47

Der Mensch hat keine Wahl, was seinen Egoismus betrifft, aber eine, was die Kooperation betrifft. Das kann man auch beobachten: Dir hat man sicher auch einreden wollen, dass der Egoismus eine schlechte Verhaltensweise ist- vielleicht aber auch nicht, es ist jedenfalls als eher schlecht definiert, wie Ketzer oder Ungläubiger. das liegt eben daran, dass manche Egoisten nicht clever genug sind zu erkennen, dass ihre Erfolgsaussichten durch Kooperation mit anderen Menschen steigen, da würde ich auch ansetzen: 1.Die negative Assoziation von Egoismus abschaffen, indem man erklärt, was das ist. 2.Die nun bewussten Egoisten zu kooperativen Menschen erziehen, die das tun werden, weil sie erkennen (ob nun von selbst oder auch durch Bildung im Philosophieunterricht, der den Religionsunterricht vollständig streichen sollte, damit man nicht erst mal das Gift aus den Hirnen vertreiben muss), dass sie so am erfolgreichsten sind, egal, worum es geht. Es ist nicht viel, was gemacht werden müsste, aber ich denke, es wäre notwendig, da die wenigen, die sich eingestehen, dass sie Egoisten sind, sich dafür schämen, weil es gesellschaftlich verpöhnt ist, oder nicht erkennen, dass sie am erfolgreichsten sind, wenn sie kooperieren. Auf dieser Basis wird nicht mit vordergründigen begründungen argumentiert (so, wie "Gott will es", anstatt ich will das Gold und Land), so wird schneller ein Kompromiss gefunden werden können, wenn überhaupt und niemand beansprucht das Recht auf seiner Seite.
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon stine » Mo 12. Dez 2011, 16:06

Darth Nefarius hat geschrieben:Die nun bewussten Egoisten zu kooperativen Menschen erziehen, die das tun werden, weil sie erkennen (...), dass sie so am erfolgreichsten sind, egal, worum es geht. (...) es wäre notwendig, da die wenigen, die sich eingestehen, dass sie Egoisten sind, sich dafür schämen, weil es gesellschaftlich verpöhnt ist, oder nicht erkennen, dass sie am erfolgreichsten sind, wenn sie kooperieren.

Ich versteh jetzt nicht den Unterschied zu dem, was wir bereits haben. Der gesellschaftliche Konsens ist ja genau die, von dir beschriebene Verhaltensweise. Man nennt das kulturelle Errungenschaft. Aber es ist immer wieder schön zu sehen, dass viele Wege nach Rom führen!

:mg: stine
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Re: Die sieben Todsünden

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 12. Dez 2011, 16:41

Also sitne, ich habe in den letzten Kommentaren (außer meinen und denen, die mich zittiert haben) nichts vom Egoismus als Lösung zum gesellschaftlichem Leben gelesen, sondern nur ein riesiges Bild von Genosse Megaschnautzbart gesehen und Diskussionen um das Thema Diktatur. Es ist leider nicht der offizielle gesellschaftliche Konsens: Die einen argumentieren immer noch mit:"Gott will es!", die anderen mit:"Das Recht/das Gute/das Richtige verlangt es!" aber kaum einer sagt: "Ich will und das ist die einzige Legitimation!"
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