Szientismus oder die böse Wissenschaft

Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Di 20. Aug 2013, 06:32

Vollbreit hat geschrieben:1) Auch Quantenphysiker wissen nicht, wovon sie reden.
Die Quantenwelt ist vollkommen kontraintuitiv, so dass die betreffenden Fachleute zwar statistisch mit diesen Ereignissen rechnen können, aber sie verstehen auch nicht mehr als wir.

Sie wissen wie sich die Quantenwelt statistisch verhält - wovon du keine blasse Ahnung hast. Du bekommst dein iPhone vermutlich nicht einmal auseinander geschraubt, geschweige denn weißt du, was die Elektronen in dem Ding so treiben.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Gandalf » Di 20. Aug 2013, 06:34

Vollbreit hat geschrieben:Was soll das denn heißen, dass das Turing-Prinzip universell angewendet werden kann?


http://www.hausarbeiten.de/faecher/vorschau/113190.html
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Di 20. Aug 2013, 11:45

AgentProvocateur hat geschrieben:Nö, finde ich nicht, meiner Ansicht nach ist die Willensfreiheiheit vs. Determinismus-Diskussion eine rein hypothetische, eine, die die Frage behandelt "was wäre, was bedeutete es für Willensfreiheit, wenn die Welt (in welchem Sinne auch immer) determiniert wäre?"
Das sehe ich auch so, dennoch gibt es ja auch einen Ist-Zustand.

AgentProvocateur hat geschrieben:Dabei geht es - zumindest mir - darum, die jeweilige Konzepte von Willensfreiheit zu eruieren und falls das hinreichend gelingt und es auch gelingt, ein gemeinsames Verständnis von "Determinismus" herzustellen, (wobei es mir ziemlich egal ist, was für eines das ist, zumindest solange es keine petitio principii enthält) - was aber leider meist nicht gelingt, an diesen notwendigen einleitenden Schritten als Grundlage für die Diskussion scheitert diese meist schon - die unterschiedlichen Konzepte zu vergleichen, gegeneinander zu stellen, Argumente für und wieder abzuwägen und dann zu sehen, welche Auffassung plausibler erscheint.
Was als empirisch verifiziert gelten darf.

AgentProvocateur hat geschrieben:Umgekehrt bedeutet das aber auch, dass es in der Willensfreiheits-Diskussion kein Stück weiterhilft, wenn man zeigen kann, dass unsere Welt in einem bestimmten Sinne - wie auch immer - indeterminiert ist. Erst mal müssen in der Diskussion die zugrundegelegten Konzepte geklärt werden.
Wundert mich jetzt ehrlich gesagt, denn, wenn klar ist, dass das was wir als Willensfreiheit bezeichnen ein mindestens mal weitgehend determiniertes Universum benötigt, dann ist da ja schon mal eine Folgerung, die man ziehen darf.

AgentProvocateur hat geschrieben:Mal ganz grob gesagt: nach Ansicht der Anhänger der Regularitätstheorie der Kausalität (und somit auch meiner) ergibt es schlicht keinen Sinn, zu fragen, ob die beobachtbaren Gesetzmäßigkeiten in unserer Welt auf dahinterliegenden jedoch unerkennbaren Prinzipien beruhen; ob Geschehnisse (modal) notwendig verlaufen oder nicht. Das ergibt deswegen keinen Sinn, weil wir das prinzipiell nicht feststellen können. D.h.: eine Welt A, die determiniert wäre und in der Geschehnisse notwendigerweise ablaufen, wäre prinzipiell nicht von einer Welt B unterscheidbar, in der alles völlig identisch wie in A abläuft, aber nicht notwendigerweise. Was wiederum bedeutet: die Annahme einer Notwendigkeit ist in dem Falle a) eine rein metaphysische, die b) zusätzlichen keinerlei Nutzen hat, weil es keinerlei feststellbaren Unterschied gibt.
Interessant, weil ich die Diskussion aus Brandoms Buch „Expressive Vernunft“ kenne.
Er unterscheidet da den Regulismus: die Ansicht, man folge als Mensch stets expliziten Regeln und den Regularismus: die Ansicht man folge regelmäßigen Mustern.
Der Regulismus hat seine erkennbare Grenze, weil er in einen Regress führt: Die Regel, die die Anwendung der ersten Regel genauer expliziert und so weiter.
Knackig und richtig eingedampft auf den Satz: Eine Regel wendet sich nicht selbst an.
Gegen den Regularismus gibt es den Einwand, dass es alle andere als klar ist, welchen Regeln man folgt und man die Selektionskriterien nicht darstellen kann, ohne dass man sagt, es verhalte sich eben so. Dieser vermeintlich deskriptive Blick ist dann spätestens bei den Werten, aber eigentlich schon viel früher problematisch. Kripke hat immer wieder gezeigt, dass Regularitäten zu folgen alles andere als aus sich heraus klar ist.
Ist nur die Frage ob das der richtige Thread für diese Diskussion ist.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Di 20. Aug 2013, 13:41

@ Gandalf:

Vielen Dank für den link, jetzt weiß ich wenigstens etwas mehr darüber.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Mi 21. Aug 2013, 17:27

@ AgentProvocateur:

Ich habe den sehr interessanten Text über die „Laws of Nature“ aufmerksam gelesen und möchte dazu ein paar textnahe und später ein paar textfernere Bemerkungen machen, zu nächste die textnahen:

So wie ich den Text verstanden habe differenziert er zwischen zwischen „Gesetzen der Natur“ und wissenschaftlichen Gesetzen oder Naturgesetzen.
Die Beziehung zwischen den letzteren zu den „Gesetzen der Natur“ ist die, einer beschreibenden Annäherung der Letzteren an die „Laws of Nature“, das Wesen der „Gesetze der Natur“ ist, dass sie einfach da sind.

Hier gibt es zwei grundsätzlich verschiedene Lager (die einige Überzeugungen teilen):

Die Regularisten behaupten, dass die „Gesetze der Natur“ zufällig sind, wie sie sind. Die Welt hat sich irgendwie so ergeben oder eingespielt, daraus erwachsen auch bestimmte wiederkehrende Abläufe, eine Art kosmischer Gewohnheiten, die aber auch anders hätten sein können. Dass sie sind, wie sie nun mal sind, ist purer Zufall.

Die „Necessitarians“ (ich weiß nicht ob es einen deutschen Begriff für sie gibt, vermutlich Regulisten, aber wegen der Verwechselungsgefahr bleibe ich beim englischen Ausdruck) sind – auf unterschiedliche Weise, aber dennoch im Kern übereinstimmend - der Auffassung, die „Gesetze der Natur“ würde bestimmten Notwendigkeiten ergeben, so dass einige Grundparameter genau so und nicht anders sein müssen und nicht zufällig sind, wie sie sind.

Zwar gibt es auch hier Kontingenzen, das älteste Lebewesen einer Gattung hätte durchaus noch älter werden können, aber es gibt eine rote Linie von Notwendigkeiten, die das Universum zu dem machen, was es ist.

Wenn ich es richtig verstehe, sagen Regularisten, dass die Welt zwar geordnet ist, sich diese Ordnung aber zufällig ergeben hat, es aber nun mal so ist, wie es ist und man sich anpassen oder das Beste draus machen muss.

Die Unterscheidung zwischen „mere failor“ (etwas hat aus irgendwelchen, aber nicht prinzipiellen, Gründen nicht geklappt) und „doom“ (etwas hat nicht geklappt, weil es prinzipiell nicht klappen konnte), finde ich ganz gelungen und wichtig.
David Foster Wallace, der große Schriftsteller, der auch Philosophie unterrichtete, machte in einer frühen Arbeit über Taylors Fatalismus, eine m.E. auch für diese Zwecke hilfreiche Differenzierung. Zunächst:
James Ryerson hat geschrieben:Was physikalisch unmöglich ist, kann in der realen oder aktualen Welt, in der wir leben, zu keinem Zeitpunkt an irgendeinem Ort der Fall sein der Fall sein.
(James Ryerson, Herzrasen im Kopf – David Foster Wallace als Philosoph, 2011, in D.F. Wallace, Schicksal, Zeit und Sprache – Über Willensfreiheit, Suhrkamp 2012, S.22)
Das ist einfach der Standpunkt der Necessitarians. Dann:
James Ryerson hat geschrieben:[W]as logisch unmöglich ist, kann in der Vielzahl denkbarer Welten, die wir uns vorzustellen vermögen, zu keinem Zeitpunkt an irgendeinem Ort der Fall sein.
So weit das Übliche. Wallace fragte sich: Was bedeutet es, wenn ich um 9:59 Uhr an meinem Schreibtisch in Brooklyn sage: „Es ist mir unmöglich, um 10 Uhr den Eiffelturm zu berühren.“? Offensichtlich soll damit nicht gesagt werden, dass diese Handlung logisch unmöglich wäre (denn ist ist ohne weiteres vorstellbar). Es soll aber auch nicht heißen, dass sie gegen die Naturgesetze verstieße (dass jemand um 10 Uhr den Eiffelturm berührt, ist durchaus ein alltäglicher physikalischer Vorgang. Statt dessen scheint die Aussage eher zu bedeuten, dass es mir angesichts der bestehenden Umstände physikalisch unmöglich ist, um 10 Uhr den Eiffelturm zu berühren. Wallace bezeichnete die neuartige Modalität als „situative physikalische Modalität“.
(ebd., S.22f)

Die „situative physikalische Modalität“ scheint mir dem „mere failor“ zu entsprechen, bzw. ihn zu implizieren, während „doom“ die klassische Unmöglichkeit meint.

Den Punkt 5.d. (die Darstellung der Konsenstheorie oder semantischer Wahrheitsheorien) finde ich etwas unambitioniert bis tendenziös erläutert. Es ist glaube ich grob verzerrend zu behaupten, dass semantische Theorien besagten, Wahrheit sei im simplen Sinne das, was in Aussagen behauptet wird. Umso mehr wundert es mich, da weiter unten, in 5.f. Folgendes steht:
Norman Swartz hat geschrieben:On the Regularists’ view, there simply is no problem of free will. We make choices – some trivial, such as to buy a newspaper; others, rather more consequential, such as to buy a home, or to get married, or to go to university, etc. – but these choices are not forced upon us by the laws of nature. Indeed, it is the other way round. Laws of nature are (a subclass of the) true descriptions of the world.
Das könnte von einem semantischen Wahrheitstheoretiker stammen, der nur statt „wahrer Beschreibungen“ „wahre Aussagen“ sagen würde.
In ein semantisches Konzept von Behauptungen sind verschiedene Wahrmacher (truth-maker) eingebaut, die teils logischer, teils empirisch-experimenteller Natur und teils Handlungen des Alltags sind. Die Rolle von Deskriptionen, darüber, wie die Dinge sind, sind logisch aber immer nachgeordnet, da sie Beherrschung diverser nichtemprischer Fähigkeiten implizit voraussetzen. Das Vergleichen von Dingen oder die Fähigkeit logische Einzeldinge zu erkennen, mag uns angeboren sein oder nicht, sie erkennen zu können, die die logische Fähigkeit, über die man (gleich wie man sie erworben hat) verfügen muss, will man in das Spiel des Empirismus überhaupt hineinkommen.

Ich finde, dass allgemein zuweilen mehr und tiefere Gräben beschworen werden, als eigentlich da sind.
Zuletzt geändert von Vollbreit am Mi 21. Aug 2013, 17:29, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Mi 21. Aug 2013, 17:28

Textfernere Bermekungen:

Ich bin da wohl eher agnostisch, was die beiden Postionen angeht, mit einer leichten Tendenz (aus Sympathie) zu den Necessitarians, aber ich kann mir beides und auch anderes denken. In aller Regel bin ich pragmatisch eingestellt und mache bei den möglichen Modellen am Ende den „Was würde es für mein Leben bedeuten, wenn x der Fall, bzw. Theorie x richtig wäre?“- Realitätstest und wenn sich für mich keine praktische Notwendigkeit zur Lebensänderung ergibt, läuft das bei mir eher unter Denksport.

Zum Thema „Alle leben mit verschiedenen subjektiven Einstellungen in ein und derselben Welt“ vs. „Eine andere Einstellung ist eher eine andere Welt, als nur eine subjektiv andere Sicht“ würde ich noch immer sagen, dass zur zweiten Ansicht tendiere, weil sich Einstellungen (die nicht nur Wortgeplänkel sind) ja in mehr als nur Gedanken über die Welt manifestieren und auch auf den handelnden Umgang mit Welt verweisen.
Tun das mehrere, dann ist die Welt eine andere, insofern kann ich nicht einsehen wie und warum da etwas rein innerlich verborgen sein und bleiben soll. Du kannst mit Recht entgegnen: „Welche Welt ändert sich denn dann? Die eine, an der wir alle teilnehmen?“, und ich müsste „Ja“ sagen und dennoch finde ich den „andere Welten“ Standpunkt nicht absurd.

In seltener Geduld argumentierst Du ja immer wieder zu Fragen der Willensfreiheit, in denen ich Dir (inzwischen) vermutlich in allen Punkten zu stimmen würde. Für mich hat sich das so dargestellt, dass man mit den konsistenter Argumentierenden relativ schnell an einen Punkt gelangt, bei denen die Intuition und die Argumente sich widersprechen, was sich zu der Bemerkung, dass man etwas schlecht Freiheit nennen kann, was schon vor einer etwaigen Entscheidung feststeht, zuspitzt.
Der Rest ist eigentlich Fisselarbeit, aber wer vor dieser Hürde steht, muss über den eigenen Schatten springen und von der eigenen Gewohnheit ablassen. Der Lohn (oder die Strafe?) ist m.E., dass er einen Raum (von Gründen) mit einem Abstraktionsniveau betritt, der nicht sehr bevölkert ist.
Das kann man, wie alles, ins Lächerliche ziehen und fragen, ob der Raum auch Fenster hat und ob er tapeziert ist, aber wer sich hier befindet, für den ist Welt nicht mehr das, was sie vorher war. Vielleicht nicht in allen Fällen, aber in einigen.
Man mag es nennen wie man will: Räume, Sphären, Nischen, Perspektiven, aber ich glaube, es ist eine Erfahrung die man durchaus machen kann, zu sehen, dass die Zahl derer, die sich in diesen Räumen befinden und geschickt bewegen, mit der Komplexität abnimmt.
Manche dieser Räume sind allen zugänglich, der Raum des Gebens und Verlangens von Gründen, ist glaube ich zentral definierend für das, was den Menschen von anderen Wesen unterscheidet. Werden die Begründungen komplexer, werden die Räume leerer, siehe Willensfreiheitsdiskussion.
Manche dieser Räume sind für alle sichtbar, z.B. eine Bergetappe bei der tour de france. 170 kommen an den Berg und dann lassen mehr und mehr abreißen.
Manche sind zum Teil sichtbar. Jeder kann hören wie ein bestimmter Dirigent und ein Orchester eine Sinfonie interpretieren, aber Wenige könne die Qualität unterschieden.
Das macht solche Welten wie Kunst, Psychologie, Philosophie, Spiritualität und dergleichen suspekt. Beim Sport ist klar, wer der Sieger ist.
Doch die Feinheiten des Sports sind auch nur für den Sportler selbst zu erfahren. Er merkt minimale Veränderungen an seinem Sportgerät sehr genau, der Laie würde die Unterschiede nie bemerken.

Und Demokraten und Menschen aus eine totalitären Regime, Gläubige und Atheisten leben die wirklich in einer Welt?
Klar, könnte man sagen, wir können alle nebeneinander stellen und durchzählen und alle gehören zu dieser Welt, alles Menschen.
Wir könnten aber auch alles was lebt in die Reihe stellen und bemerken: Allesamt Bewohner dieser Welt.
Für die Zecke, die glaube ich nur die Sinne Buttersäure und Wärme hat, sind wir Menschen vermutlich recht unterschiedlos zum Reh, eine Nahrungsquelle.
Manches kommt in ihrer Welt wohl gar nicht vor, die Unterscheidung Mensch und Tier sicher nicht, ob sie über Konzepte von Leben verfügt ist fraglich.

Möglicherweise hat auch tote Materie eine Form von Innerlichkeit, so dass Massen andere Massen irgendwie (primitiv) erkennen. Ein 70 kg schwerer Mensch wäre dann nichts anderes als ein 70 kg Stück andere Materie von entsprechender Form und Volumen. Und dennoch wäre es noch immer eine Welt, in der das alles vorkommt.
Man kann das so sehen, ja, es wird ja getan. Aber: Ist das nicht am Ende jene Sichtweise, die sagt, dass wir letztlich doch nur Materieklumpen in Bewegung sind, die physikalisch wechselwirken, also genau jene Sichtweise, der Du mit dem Realismus eine Absage erteilen willst?

Literatur kommt doch in der Welt der Physik gar nicht vor. Wo kommt sie denn vor? In den Köpfen einiger Erdbewohner? Oder in Büchern, im Internet, auf Datenträgern?
Hat Logik einen Ort in der Welt und wenn ja, wo ist der?

Das nur als Anregung, warum ich glaube, dass man Welt(en) auch als inklusive und exklusive Räume beschreiben kann.
Inwieweit das dieselbe ist, liegt an den Kriterien. Was befindet sich denn in der „einen Welt“? Alles, was Lyrik liest? Alles, was Kohlenhydrate verstoffwechselt? Alles, was der Schwerkraft unterliegt?

Konvergieren tut das m.E., hier wieder ganz pragmatisch, im Hinblick auf das Finden der für das Individuum passenden, optimalen Nische. Die Mischung aus Anpassung an und Gestaltung von bestimmten Räumen oder Bereichen des Lebens, die für ein optimales Wohlbehagen sorgen. Ein gelungenes Leben (für uns ein gigantischer Wert, für die Physik und wohl auch den Naturalismus in weiten Teilen etwas, was überhaupt nicht existiert) ist vermutlich etwas, was wir so beschreiben würden, dass man seine Nische, seine Rolle, seinen Platz, sich selbst, seine Bestimmung oder wie man es auch nennt, gefunden hat. So unterschiedlich das sein mag, Hausfrau und Mutter, Lebenskünstler, Extrembergsteiger, Sammler von Aschenbechern, Zen-Mönch oder Profizocker, ich denke man merkt, ob man angekommen ist und ebenfalls, wenn etwas ganz quer zu den eigenen Lebensidealen läuft (wo auch immer diese Ideale herkommen). Falls Ziele etwas sind, wofür man sich erwärmen kann. Für Regularisten sind Ziele vermutlich eher kontingent.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon dasMeme » Sa 24. Aug 2013, 16:33

Hallo zusammen,

Also ich finde den Artikel von Steven Pinker doch recht enttäuschend: Sein Artikel strotzt nur so von undifferenzierter Rhetorik und Stereotypen gegenüber den "Arts & Humanities". Da ist man von ihm eigentlich besseres gewohnt. Natürlich wird der Begriff Szientismus manchmal Missbräuchlich verwendet und hat auch mehrere Bedeutungen (wie das nun mal so ist mit Wörtern in natürlichen Sprachen, ergibt sich die Bedeutung aus dem Kontext und Zusammenhang). Das heißt nicht, dass es nicht auch durchaus gesellschaftliche Phänomene, imho irrationale Einstellungen und Anschauungen gibt, worauf dieser Begriff durchaus treffend angewendet werden kann und die auch kritisiert werden können. Überhaupt hatte ich beim Lesen den Eindruck als wolle er jede Kritik, legitim oder nicht, von vornherein abwürgen: Er tut so, als sei Kritik an der ideologischen Überhöhung oder der Überstrapazierung naturwissenschaftlicher Methodik, Kategorien und Anschauungen dasselbe wie Wissenschaftfeindlichkeit. Das finde ich schon ziemlich daneben.

Wenn ich den Szientismus kritisiere, dann betrifft das vor allem folgende Phänomene, die in bestimmten Kreisen durchaus weit verbreitet zu sein scheinen:

Zum einen ein ideologisches (oder psychologiches?) Phänomen: Eine Art autistische technisch-funktionale Überfokusierung auf falsifizierbare Aspekte: Es wird z.B. von manchen behauptet, Musik gibt’s ‚in Wirklichkeit gar nicht‘ sondern nur schwingenden Luftwellen, Liebe gibt’s auch nicht ‚in Wirklichkeit‘ sind da nur Hormone. Auch Bewusstsein und Geist ist eine Illusion, weil ja nur Gehirnaktivität objektiv feststellbar ist. Manche scheinen also dabei die Ansicht zu vertreten, nur objektiv feststellbares, quantifizierbares und mit Wahrheitswerten versehbares sei ‚die eigentliche Realität‘. Dinge und Phänomene so wie sie erscheinen gibt’s entweder nicht oder sind irrelevant. Und solche Ansichten gibts auch tatsächlich, und deren Anhänger berufen sich nicht selten auf ‚die Wissenschaft‘. Doch das ist keine Wissenschaft sondern konfuse Epistemologie und ideologischer Wissenschaftsmissbrauch -> also Szientismus.

Ein weiteres Phänomen ist die naive Idealisierung wissenschaftlicher Methodik ohne diese auch zu verstehen. Da dazu schon jemand was im Blog von Jean Carol geschrieben hat was mit meinen eigenen Ansichten und Erfahrungen deckt (und ich auch schreibfaul bin) verlinke ich einfach mal auf diesen Kommentar der es recht gut trifft: http://www.preposterousuniverse.com/blo ... 2604267583
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Sa 24. Aug 2013, 17:34

dasMeme hat geschrieben: Ein weiteres Phänomen ist die naive Idealisierung wissenschaftlicher Methodik ohne diese auch zu verstehen.

Das Problem ist schon für sich alleine genommen das mangelnde Verständnis wissenschaftlicher Methodik . Eine naives Verständnis führt letztlich zu beidem, zu Idealisierung oder Verteufelung. Pinker wendet sich gegen letzteres. Man darf nicht zulassen, dass die verschiedenen Wissenschaftszweige gegeneinander ausgespielt werden. Das wollen Leute, die nicht daran interessiert sind, dass die Menschen eine echte Bildung bekommen, weil sie ihnen ihre Ideologie verklickern wollen : "Die einen Sagen so, die anderen so, da kannst du doch lieber meine Märchen glauben, sie hören sich schöner an!" Es ist notwendig, zu differenzieren, was man unter "wissenschaftlicher Methodik" versteht und was nicht. Ein richtiges Verständnis davon, was Wissenschaftler machen, führt nicht zu Wissenschaftsgläubigkeit, sondern ganz im Gegenteil, zu einer kritischen Haltung, aber auch zu einer Wertschätzung von begründeten Theorien die auf intelligenter und mühevoller Forschungsarbeit beruhen. Damit sage ich übrigens nicht, dass alles, was dem "Wissenschaftsbetrieb" entspringt, Wertschätzung verdient, es geht um Methodik bzw. um ein Abgrenzungskriterium. So ein Abgrenzungskriterium kann man nicht in drei Sätzen angeben, sicher. Das heißt aber auch nicht, dass man deswegen Fünfe grade sein lassen muss!
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Aug 2013, 08:49

Ich bin an anderer Stelle auf das Buch Technik und Wissenschaft als "Ideologie" von Habermas aufmerksam gemacht worden, das ich selbst nicht kenne, das aber in der Zeit von und in thematischer Nähe zu Erkenntnis und Interesse entstanden ist.

Von diesem Buch gibt es eine weitaus reichere Darstellung bei wiki, die viele der Probleme des Szientismus und was ihm möglicherweise ursächlich vorangeht oder ihn verstärkt, bespricht. Wenn man die Einschätzungen aus dem Jahre 1968 liest, finde ich zumindest, dass sie Punkte beleuchten, die gerade heute von hoher Aktualität sind:
https://de.wikipedia.org/wiki/Technik_u ... e%E2%80%9C
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Mo 26. Aug 2013, 19:51

Das hört sich alles eher nach Ideologie als nach Analyse an. Er kann ja seine Ideale vertreten, aber grad wenn einer von Marx herkommt wie er, sollte er seine Empfehlungen für eine "bessere Gesellschaft" etwas klarer begründen.

"Während früher die Technik wissenschaftliche Forschungsergebnisse eher zufällig übernahm, gebe es in der Gegenwart in der Industrie selbst Forschungsabteilungen und vergäben die Industrie sowie der Staat Forschungsgelder (Drittmittel) an Forschungseinrichtungen (u. a. Universitäten)"

Das stimmt nicht. Die Herstellung eines Faustkeils war bereits Wissenschaft und Technik. Die Art und Weise, wie Menschen für ihren Lebensunterhalt sorgen, ist nie etwas anderes gewesen, als Wissenschaft und Technik. Wenn du einem Steinzeitliche Jäger "zu viel Wissenschaft" vorgeworfen hättest, weil er dir versucht hat zu erklären, wie man ein Wildschwein erfolgreich jagt, hätte er ziemlich dumm geguckt, weil sein ganzer Stolz dieses Wissen war!

Vollbreit hat geschrieben:finde ich zumindest, dass sie Punkte beleuchten, die gerade heute von hoher Aktualität sind:

Sag mal einen Punkt.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Mo 26. Aug 2013, 20:27

Z.B. die Zweckrationalität.

Ich kann aber schon der Interpretation des von Dir ausgewählten Textstückes überhaupt nicht folgen, insofern scheint mir eine weitergehende Diskussion nicht sinnvoll.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Mo 26. Aug 2013, 22:24

Dann erklär ich es noch mal.
ujmp hat geschrieben:"Während früher die Technik wissenschaftliche Forschungsergebnisse eher zufällig übernahm, gebe es in der Gegenwart in der Industrie selbst Forschungsabteilungen und vergäben die Industrie sowie der Staat Forschungsgelder (Drittmittel) an Forschungseinrichtungen (u. a. Universitäten)"

Das stimmt nicht. Die Herstellung eines Faustkeils war bereits Wissenschaft und Technik. Die Art und Weise, wie Menschen für ihren Lebensunterhalt sorgen, ist nie etwas anderes gewesen, als Wissenschaft und Technik. Wenn du einem Steinzeitliche Jäger "zu viel Wissenschaft" vorgeworfen hättest, weil er dir versucht hat zu erklären, wie man ein Wildschwein erfolgreich jagt, hätte er ziemlich dumm geguckt, weil sein ganzer Stolz dieses Wissen war!


Habermas - falls er so was wirklich geschrieben hat - konstruiert eine Trennung von Wissenschaft und Produktion, die es nie gegeben hat. Die Begriffe "Wissenschaft" und "Industrie" nur in der Bedeutung unserer fernsehsprachlichen Gegenwart zu verstehen, ist ziemlich oberflächlich (das hatte Marx aber besser drauf!). Außer der äußeren Form hat sich nichts geändert. Produktion erforderte schon immer Know-how, also Wissen. Wie schlägt man einen Faustkeil? Wie spannt man einen Bogen? Was kann man an einer Spur ablesen, an den Wolken, an den Bäumen, was kann man essen und was lieber nicht? Wissen war schon immer von Nichtwissen und Irrtum unterschieden. Und weil Wissen spätestens seit Menschen sprechen schon immer von Mensch zu Mensch vermittelt wurde, ist auch die Wissenschaft schon so alt, wie die menschliche Sprache - mindestens so alt. Wissenschaft ist daher kein neuzeitlich modernes Zeug, das den Menschen von der Natur entfremdet, weil nämlich der Mensch mit seinem Wissen über die Natur nichts anders tut, als irgend ein Tier, das um sein Überleben kämpft - natürlich richtiges Wissen und kein Theologenkram! Es war auch schon immer Wissenschaft, wie sich Mitmenschen verhalten, wie sie fühlen, wie sie denken. Ein Mensch zu biblischen Zeiten hat bestimmt nicht gesagt "erzähl mir mal ein paar Märchen von Engeln und Dämonen, ich kann all das rationale Zeug nicht mehr hören" - Nein, für ihn waren diese Geschichten rational, das war für ihn Information, Wissenschaft (siehe z.B. die ersten Verse der Sprüche Salomos). Seit Menschen denken, betreiben sie Wissenschaft: Rausfinden, wie es geht.

Wenn den Menschen überhaupt etwas von der Natur - inkl. seiner eigenen - entfremdet, dann ist es die Behauptung, dass der Wahrheitsgehalt seiner Überzeugung irrelevant sei, dass er nur glauben müsse. Auf diese Idee wäre bis vor ein paar Hundert Jahren auch niemand gekommen. Aber heute, wo der allgemeine Bildungstand so hoch ist, dass man schon verdammt gut lügen können müsste, um mit erfundenen Geschichten durchzukommen, versucht man Wissen und Wissenschaft überhaupt verächtlich zu machen. Das rationale, kritische, reflektierende Denken soll sich gar nicht erst entfalten. Wer so was anstrebt, zieht dann früher oder später auch eine Ideologie oder eine Religion aus dem Rucksack!
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Vollbreit » Di 27. Aug 2013, 12:05

Ich habe zwar jetzt eine Ahnung, was Du über Habermas denkst, aber ich glaube, dass das in so vielen entscheidenden Punkten von meiner Interpretation abweicht - und auch nicht das trifft, was bei wiki steht - dass sich der Versuch einer Angleichung nicht lohnt.

Thema ist ja eh der Szientismus, nicht Habermas.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Di 27. Aug 2013, 21:38

Habermas hat m.W. die böse Rede von den "Laberfächern" mitinspiriert, in sofern passt er schon ganz gut hier her. Ich tippe, dass sich die Geisteswissenschaften keinen großen Gefallen tun, sich auf ihn zu berufen.

Der Punkt ist einfach, was Wissenschaft eigentlich ausmacht. Ich meine, dass es sich dabei um etwas sehr Elementares handelt, dass es schon sehr lange gibt. Es gehört zu den fundamentalen Verhaltensweisen des Menschen, herausfinden zu wollen, wie die Dinge funktionieren, wie sie zustande kommen, wie man sie manipulieren und berechnen kann. Und dieses Wissen hatte schon immer einen hohen Wert. Ich behaupte mal, dass dieses Verhalten angeboren ist. Das rechtfertigt es zwar nicht, aber darum geht es ja auch nicht. Es geht darum, was es bedeutet, wenn jemand sagt, dass er etwas weiß. Und dieses Verhalten führt dann dazu, dass man sagt, der Mond bewirkt die Gezeiten, Kant war ein einflussreicher Philosoph und Wünschelruten funktionieren nicht. Viele Wissenschaftsverächter stört doch einfach nur, dass sie nicht mitkommen und Gelaber keine Anerkennung mehr findet.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Myron » Di 27. Aug 2013, 21:56

AgentProvocateur hat geschrieben:Die Konzepte "Welle", "Teilchen", "Substanz" und "Satz vom augeschlossenen Dritten" mögen zwar auf Quantenebene nicht sinnvoll anwendbar sein, aber das macht sie nicht auch für den Mesokosmos untauglich. Das wäre so, als wie wenn man sagen würde: Quantenmechanik und die Allgemeine Relativitätstheorie sind miteinander unvereinbar, also müssen wir die aufgeben, das ist deren Ende.


Es gibt nur einen allumfassenden Kosmos und nur eine Seins- oder Wirklichkeitsebene. Komplexe Dinge wie Tiere existieren nicht auf einer höheren Seinsebene als ihre grundlegenden Bestandteile. Wie denn auch, da ein Tier nichts weiter als eine spezielle Konfiguration von Elementarteilchen ist.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Mi 28. Aug 2013, 07:16

Außerdem ist der Satz von ausgeschlossenen Dritten immer anwendbar. Man muss endlich einsehen, dass Logik und Wahrheit keine Eigenschaften von Materie sind, sondern Eigenschaften unserer Vorstellungen. Es gibt für Materie keine logischen Konsequenzen! Das Muster des Satzes "A oder nicht A, aber nicht beides zugleich" enthält ja mit "A" nur die theoretische Annahme, dass A mit A identisch ist. Wenn ich dann für A z.B. eine Beobachtungsaussage einsetze, die diesem Grundsatz zu widersprechen scheint, dann gibt es drei Möglichkeiten: 1) Die Beobachtung stimmt nicht, 2) die Begriffe, die die Beobachtung konstituieren, stimmen nicht, c) der Grundsatz stimmt nicht. Es verwundert etwas, wie schnell manche Leute bereit sind, ausgerechnet c) anzunehmen. Es liegt doch viel näher, das physikalische Modelle wie "Teilchen", "Welle", "Strom", "Kraft" usw., Vorstellungen, die ja alle von Alltagserfahrungen abgeleitet wurden, an den Grenzen unseres Mesokosmos ihre Unzulänglichkeit offenbaren. Gerade weil man eben den Satz von ausgeschlossenen Dritten nicht aufgibt, überdenkt man ja diese Begriffe - und das ist nichtsweiter als das, was Menschen seit sie Denken machen: Lernen.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Myron » Mi 28. Aug 2013, 16:26

ujmp hat geschrieben:Man muss endlich einsehen, dass Logik und Wahrheit keine Eigenschaften von Materie sind, sondern Eigenschaften unserer Vorstellungen. Es gibt für Materie keine logischen Konsequenzen!


Was logisch unmöglich ist, ist in der Wirklichkeit unmöglich. Logische Unmöglichkeit impliziert physikalische Unmöglichkeit.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Mi 28. Aug 2013, 19:50

Myron hat geschrieben:Was logisch unmöglich ist, ist in der Wirklichkeit unmöglich. Logische Unmöglichkeit impliziert physikalische Unmöglichkeit.


Da bin ich nicht so optimistisch, weil die Prämissen, auf denen der Schluss auf eine Unmöglichkeit beruht, falsch sein können. Dann hat man zwar evtl. logisch korrekt geschlossen, die Vorstellung ist aber trotzdem falsch. Z.B. "Da die Erde eine Scheibe ist, kann man Indien von Europa aus nicht erreichen, indem man immer nach Westen segelt". Es gibt keine Logik ohne Prämissen und keine Prämissen über die Wirklichkeit, ohne Vorstellungen über die Wirklichkeit- und die können halt falsch sein.

Das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten ist kein Naturgesetz, es ist vielleicht sogar nur eine vernünftige Festsetzung, nützlich, die eigenen Gedanken zu sortieren. Ich vermute aber, dass es eine hardcodierte Hirnfunktion ist. Säuglinge scheinen schon mit erhöhter Aufmerksamkeit zu reagieren, wenn man mit optischen Tricks Gegenstände vor ihnen hin- oder wegzaubert. Unser Gehirn scheint evolutionär schon an bestimmte Strukturen gewöhnt zu sein. Das gibt Anlass zu der Annahme, dass unser Vorstellungen von der Welt nicht ganz falsch sein müssen. Aber aus unseren Hirnfunktionen folgt doch nichts Zwingendes für die Wirklichkeit!
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon Myron » Mi 28. Aug 2013, 21:22

ujmp hat geschrieben:Das Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten ist kein Naturgesetz, es ist vielleicht sogar nur eine vernünftige Festsetzung, nützlich, die eigenen Gedanken zu sortieren. Ich vermute aber, dass es eine hardcodierte Hirnfunktion ist. Säuglinge scheinen schon mit erhöhter Aufmerksamkeit zu reagieren, wenn man mit optischen Tricks Gegenstände vor ihnen hin- oder wegzaubert. Unser Gehirn scheint evolutionär schon an bestimmte Strukturen gewöhnt zu sein. Das gibt Anlass zu der Annahme, dass unser Vorstellungen von der Welt nicht ganz falsch sein müssen. Aber aus unseren Hirnfunktionen folgt doch nichts Zwingendes für die Wirklichkeit!


Wie Gottlob Frege stets betonte, die Logik ist kein Teilgebiet der Psychologie oder der Neurophysiologie. Es geht darin nicht um Denk- oder Hirnfunktionen.

"Tautologie und Kontradiktion sind nicht Bilder der Wirklichkeit. Sie stellen keine mögliche Sachlage dar. Denn jene lässt jede mögliche Sachlage zu, diese keine. ... Die Tautologie lässt der Wirklichkeit den ganzen – unendlichen – logischen Raum; die Kontradiktion erfüllt den ganzen logischen Raum und lässt der Wirklichkeit keinen Punkt. Keine von beiden kann daher die Wirklichkeit irgendwie bestimmen. Die Wahrheit der Tautologie ist gewiss, des Satzes möglich, der Kontradiktion unmöglich."

(Wittgenstein, Ludwig. Tractatus Logico-Philosophicus. 1921. 4.462-4)

Wenn ein Naturwissenschaftler behauptet, in der Natur einen wirklichen Widerspruch entdeckt zu haben, dann muss er sich irren.
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Re: Szientismus oder die böse Wissenschaft

Beitragvon ujmp » Do 29. Aug 2013, 07:29

Myron hat geschrieben:Wie Gottlob Frege stets betonte, die Logik ist kein Teilgebiet der Psychologie oder der Neurophysiologie. Es geht darin nicht um Denk- oder Hirnfunktionen.

Das ist ein Postulat, dem man nicht zustimmen muss. Man kann m.E. nicht von der Wirklichkeit mit Morgen- und Abendsternen sprechen, aber die Wirklichkeit des Gehirnes ausklammern.

Myron hat geschrieben:Wenn ein Naturwissenschaftler behauptet, in der Natur einen wirklichen Widerspruch entdeckt zu haben, dann muss er sich irren.

Dieser Naturwissenschaftler begeht dann aber m.E. einen simplen Kategoriefehler. Dieser Kategoriefehler führte m.W. zu dem problematischen Begriff der "Dialektik", so wie Marx und - ich glaub - schon Hegel ihn verstanden haben*. "Wahr" und "falsch" und damit auch "Widerspruch", sind Eigenschaften von Sätzen, und nicht von sonstigen Gegenständen der Natur. Tatsachen können sich daher per Definition nicht widersprechen.

*) Siehe "Handlexikon zur Wissenschaftstheorie", Seiffert/Radnitzky
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