Naturalismus und die Gentechnik

Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Fr 2. Okt 2009, 10:43

Nanna hat geschrieben:Schauen wir uns das alte Rom an, so stellen wir fest, dass die Leute dort während der Hochblüte der Kaiserzeit, als Rom eine Millionenstadt war, eine Lebenserwartung von weniger als 30 Jahren hatten.
Und man schaue sich die (geschätzte) Lebenserwartung zu noch länger vergangen Zeiten in bestimmten Gebieten an.
Stabile Ernährung, nicht "übertrieben hohe" Bevölkerungsdichte (keine Verstädterung), keine Kriege, keine großen Reise-/Wanderbewegungen
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon Zappa » Fr 2. Okt 2009, 19:25

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Durch was wurde denn die mittelalterliche Pest besiegt?


Wie kommst Du auf die irrige Annahme, dass die mittelalterliche Pest besiegt wurde (ich nehme an Du meinst im Mittelalter?).

Die Seuche war einfach selbst limitierend, irgendwann gingen den Bakterien die Wirte aus (zunächst die Ratten und dann die Menschen) und es war wieder ein paar Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte Ruhe. Die letzten großen Ausbrüche wurden Endes des 19. und Anfang des 20. Jahrhundert beobachtet (vor allem, aber nicht nur, in Asien). Zu dieser Zeit wurde auch der Erreger entdeckt, die Infektionskette erkannt, eine Behandlung und später ein Impfstoff entwickelt. Seitdem treten nur noch wenige, kleine und lokal begrenzte Ausbrüche der Krankheit auf, was nun ziemlich genau durch medizinischen Erkenntnisfortschritt bedingt ist.

Wir haben aber keinen prinzipiellen Dissens, das allgemeine Hygienemaßnahmen sehr wichtig sind und auch ohne genaue Kenntnisse des Zusammenhanges funktionieren (würden). Allerdings wurden die Hygienemaßnahmen nur teilweise "einfach so" - weil es nicht so stank und hübscher war und die Gesellschaften schlicht das Geld dazu hatten - eingeführt. Im alten Rom (die Römer waren ja bekanntlich was die Hygiene anging schon recht weit), gab es durchaus Ärzte, die die Maßnahmen unterstützen und förderten. Und obwohl Sie Erreger nicht wirklich kannten, ahnten Sie, dass es sowas geben müsse (http://de.wikipedia.org/wiki/Marcus_Terentius_Varro). Natürlich gab es auch im Mittelalter entsprechende Beobachtungen und z.B. wurden die Leichen richtigerweise rasch fortgebracht und verbrannt. Ich nenne sowas systematische Empirie und würde das durchaus als medizinische Erkenntnis bezeichnen.

Selbst im 19 Jahrhundert tobten übrigens noch erhebliche Richtungskämpfe unter Sozialpolitikern und der Einsatz von Medizinern mit Kenntnissen in Infektiologie und Epidemiologie hat wesentlich zu den modernen Kanalisationssystemen, Kläranlagen und der Schädlingsbekämpfung geführt.
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon Nanna » Fr 2. Okt 2009, 20:02

stine hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Prognosen ergeben, dass 50% der heute geborenen Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit 100 Jahre alt werden.
Auch die Ernährung spielt eine Rolle für's älter werden. Prognosen ergeben sogar das Gegenteil, nämlich dass die jetzt fehlernährten Kinder und Jugendlichen (Fettleibigkeit / Magersucht) eine weitaus geringere Lebenserwartung haben werden, als wir in der Vorgängergeneration.

LG stine


Ok, zeig mir deine Prognose, ich zeig dir meine. ;-) Ich beziehe mich auf eine Studie dänischer Forscher, die im Journal Lancet letzten Freitag publizierten. Darüber titelte heute auch die Süddeutsche Zeitung. Ich kannte diese Ergebnisse allerdings schon vorher, weiß allerdings nicht mehr so genau, woher, aber auf irgendeine Weise muss das schon in der Welt gewesen sein.

Sollten die Dänen Fettleibigkeit und Co. miteinbezogen haben, was ich schwer hoffe, dann wäre es sogar noch beachtlicher, dass diese Prognose zustandekommt. Ich hoffe mal, dass die Fachwelt die Studie auf Herz und Nieren prüft.
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon Mark » Mo 5. Okt 2009, 11:32

Nanna hat geschrieben:Schauen wir uns das alte Rom an, so stellen wir fest, dass die Leute dort während der Hochblüte der Kaiserzeit, als Rom eine Millionenstadt war, eine Lebenserwartung von weniger als 30 Jahren hatten.


bei 20 Jahren Militärdienst wird man halt idR nicht sehr alt ;-)
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon platon » Sa 10. Okt 2009, 17:51

Nanna hat geschrieben:Schauen wir uns das alte Rom an, so stellen wir fest, dass die Leute dort während der Hochblüte der Kaiserzeit, als Rom eine Millionenstadt war, eine Lebenserwartung von weniger als 30 Jahren hatten.

Die durchschnittliche Lebenserwartung lag bei 30 Jahren und das lag an der sehr hohen Kindersterblichkeit. War man erst mal Jugendlicher, war die Wahrscheinlichkeit ca. 50 zu werden schon sehr hoch (unnatürliche Todesarten mal ausgenommen).
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon Nanna » Mi 14. Okt 2009, 21:15

Das gebe ich zu.

Allerdings stellt sich die Frage, ob das meine These nicht sogar untermauert. Denn die hohe Kindersterblichkeit dürfte höchstwahrscheinlich wegen unzureichender hygienischer Bedingungen entstanden sein. Da im alten Rom, wie schon ausgeführt, für die damalige Zeit aber ungewöhnlich gute hygienische Einrichtungen bestanden, wie öffentliche dauergepülte Toiletten, Kanalisation, flächendeckende Frischwasserversorgung und kostenlose Getreiderationen für Arme, stellt sich die Frage, ob man mit den Mitteln der Antike wirklich diese gute Hygiene bereitstellen konnte, wie man sie nach 1von6,5Milliardens Vermutung bereitzustellen vermocht hatte/hätte, was meine These untermauert, dass man sehr viel Wissen über die Welt braucht, um solchen Problemen zu begegnen.
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon PW_ » Do 15. Okt 2009, 17:54

Spaceman_Spiff hat geschrieben:Oft hoert man religioes/Esoterisch angehauchte Kritiken mit welchen ich nichts anfangen kann, aber sind da auch Naturalisische Einwaende vorhanden welche sich Prinzipiell gegen solche Entwicklungen stellen?


Ich denke ja, dass sich all unser Handeln auf die nachfolgenden Generationen auswirkt. Aber prinzipiell bin ich der Meinung, dass man das Risiko von nahezu irreversiblen Schäden wo es nur geht, minimieren sollte. Eingriffe ins Genom von freilebenden Lebewesen hat irreversible Folgen, die nicht abzusehen sind. (Allerdings evtl. bei Baktierien noch mehr als bei Menschen? Und man könnte ja mal spekulieren, dass es sicher eine gute Sache wäre, Multiresistente Stämme mittels Gentechnik auszurotten...)

Ich hätte vermutlich nichts dagegen, Krankheiten - also alles, was Menschen oder Tiere zwangsläufig unter allen Umständen leiden lässt - mittels Gentechnik zu heilen. Es gibt aber sehr vieles, wo das Leiden nur dadurch entsteht, dass betroffene Menschen von der Norm abweichen und die Gesellschaft dementsprechend nicht für solche Menschen gemacht ist. Farbenblindheit fällt für mich darunter. Mein eigenes Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom auch. Ich bin strikte Beführworterin von Medikamenten bei entsprechend ausgeprägtem ADS - und habe ohne Medikamente (und Diagnose damals natürlich auch) wirklich schwer gelitten. Allerdings würde ich trotzdem eine Gentherapie höchstens in absoluten und seltenen Ausnahmefällen befürworten können. Das Aufmerksamkeitsdefizit bewirkt viel zu oft Dinge, die an den richtigen Stellen wirklich positiv für die Gesellschaft und das Leben als Ganzes sind: Z.B. durch die vielen Gedanken im Kopf eine meist sehr hohe Kreativität und Fähigkeit zu Spontanität und Improvisation, Ehrlichkeit und Direktheit und Empfindlichkeit für Gefühlsbelange, usw. usw. usw.

Die Wirkung von Medikamenten ist hier reversibel bzw. beeinflusst sogar meistens die Stärken gar nicht. Eine Gentherapie würde, so sie die Keimzellen und nicht nur die Körperzellen im Gehirn betrifft, die ganze "Krankheit" bei einem selbst und allen nachfolgenden Generationen beseitigen. Leider auch bei denjenigen, die nur geringgradiges ADS bekommen würden - was sich normalerweise dann mehr vor- als nachteilhaft auf die Biographie auswirkt.

Und ich selbst würde wohl auch nicht gar kein ADS mehr haben wollen. Denn... keine Ahnung, wie meine Wahrnehmung dann wäre... Ich habe mich bisher nur einmal mit jemandem unterhalten, der von Geburt an blind war. Der war sich aber ganz sicher, dass er - gäbe es eine Therapie die ihn sehen lassen würde - diese nicht machen würde, weil er und sein Gehirn gar nicht gewohnt sind, zu sehen und sich sehend zu orientieren.

Deshalb halte ich auch Gentherapie gegen Farbenblindheit nicht nur für sinnlos, sondern für falsch. Warum sollte es auch dauerhaft gut sein, die Vielfalt im Genpool zu beseitigen? Farbenblindheit ist in dieser Gesellschaft - im Gegensatz zu ADS - normalerweise nicht mal gefährlich oder lebensgefährlich.
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon Zappa » Do 15. Okt 2009, 19:00

PW_ hat geschrieben: Ich bin strikte Beführworterin von Medikamenten bei entsprechend ausgeprägtem ADS - und habe ohne Medikamente (und Diagnose damals natürlich auch) wirklich schwer gelitten. Allerdings würde ich trotzdem eine Gentherapie höchstens in absoluten und seltenen Ausnahmefällen befürworten können.


... zumal das ADS oder ADHS ja das Paradebeispiel eines problematischen Krankheitsbegriffes darstellt. Was ist psychisch normal, was ein bisschen verrückt und was ernsthaft krank? Müssen wir mittlerweile halbe Schulklassen unter Psychopharmka setzen (ich frag jetzt mal nicht den Aufsichtsrat von Pharmafirmen, deren Bedienstete oder von Ihnen bezahlte Experten)? Neben den harten Kriterien der Eigen- und Selbstgefährdung gibt es für mich noch das Kriterium des persönlichen Krankheitsempfindens. Ab da wird es heftig schwammig.

Für Gentherapie taugt sowas schon mal überhaupt und gar nicht.
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon PW_ » Do 15. Okt 2009, 19:59

PW_ hat geschrieben:Neben den harten Kriterien der Eigen- und Selbstgefährdung gibt es für mich noch das Kriterium des persönlichen KrankhNeben den harten Kriterien der Eigen- und Selbstgefährdung gibt es für mich noch das Kriterium des persönlichen Krankheitsempfindens.
.

Also bei mir ist es eindeutig: Ohne Medikamente bin ich so verpeilt, dass ernsthaft sowohl Eigen- als auch Fremdgefährdung vorhanden ist. Ansonsten finde ich aber die Definition, bei der es darum geht, dass man das eigene Potential ausschöpfen kann und nicht stattdessen das Gefühl hat, ständig gegen unsichtbare Windmühlen zu anzulaufen, schon richtig.

Wenn jemand z.B. die grosse Motivation hat, pünktlich zu kommen, es aber selten schafft und sich selbst nicht erklären kann, wieso er es z.B. zum 1000 mal nicht geschafft hat, vom Solfa hochzukommen, obwohl es ihm wirklich wichtig gewesen wäre und ihn sein schlechtes Gewissen incl. diverser Ängste ihn jetzt heftig quälen, dann gehe ich mittlerweile nicht mehr davon aus, dass der Mensch einfach nur lügt, sondern dass mit seinem Hirnstoffwechsel vielleicht etwas nicht ganz in Ordnung ist. Und wenn jemand ständig Handys, Ausweise, Geld, Rucksäcke und wichtige Unterlagen verliert oder verlegt obwohl er schon diverse Ordnungsstrategien mit Mühe und trotzdem vergeblich versucht hat anzuwenden, dann auch.

Und ebenso, wenn ansonsten intelligente Menschen trotz größter Anstrengung und egal um was es geht, in etwa das Arbeitstempo einer sogenannten "Schnecke" noch unterschreiten.
Aber das nur am Rande ;-)
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Re: Naturalismus und die Gentechnik

Beitragvon platon » Do 15. Okt 2009, 20:02

PW_ hat geschrieben:Farbenblindheit ist in dieser Gesellschaft - im Gegensatz zu ADS - normalerweise nicht mal gefährlich oder lebensgefährlich.

naja, wie man's nimmt. Farbenblindheit ist schon ein handicap, wenn auch im allgemeinen kein Lebensgefährliches. Wäre sie es nicht, wären Farbenblinde und nicht Farbenblinde etwa gleichmäßig verteilt. Aber Das Argument, durch die Beseitigung der Farbenblindheit der Genpool zu verarmen ist schon etwas abenteuerlich. Würdest Du das auch von Mucoviszidose, Chorea Huntington, Galaktosämie oder Zöliakie behaupten? Das sind prinzipiell auch nur Variationen des Genpools, der ohne diese Variationen "ärmer" würde.
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