Bisheriges Streben der Evolution

Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » So 11. Nov 2012, 17:27

Beides sind ordinale Aussagen.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon donquijote » So 11. Nov 2012, 17:40

Nanna hat geschrieben:Beides sind ordinale Aussagen.


Einmal mit Maßstab, einmal ohne.

Es ist etwas anderes, ob man sagt, ich trainiere täglich, um schneller laufen zu können (ordinale Aussage), oder: ich strebe danach, ein Übermensch zu werden (ebenfalls ordinale Aussage).
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » So 11. Nov 2012, 19:48

donquijote hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben: Ist denn die Evolution etwas von ihren Teilnehmern getrenntes?


Ja.


Inwiefern?

donquijote hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Besser und schlechter sind Begriffe, auf die Naturalisten gerne verzeichten.
Für sie gibt es passend und nützlich.


Wie bitte? Die gesamte evolutionsbiologische Literatur trieft vor Begriffen wie besser oder schlechter angepasst, größerer oder niedrigerer Fortpflanzungserfolg, fitter (als andere), günstigere oder weniger günstige Gene etc.

Schon wenn du passender oder nützlicher sagst, redest du von besser bzw. schlechter.


Möglich, dass Du das so siehst.
Es gibt aber eine starke Stoßrichtung innerhalb naturalistischer Bewegungen, die ganz explizit versucht, Wertungen, Moral und dergleichen zu "überwinden", Du rechnest Dich offenbar nicht dazu?

donquijote hat geschrieben:Wer glaubt, Wachstum entstehe aus dem Bestreben, besser als andere zu sein (oder andere zu übervorteilen), der wird wertendere Konsequenzen aus den "Grenzen des Wachstums" ziehen als jemand, der nur annimmt, dies alles entstehe bereits aus dem Bestreben, in der Anpassung (in der Fähigkeit, Ressourcen zu erlangen und sich zu reproduzieren) nicht zurückzufallen.


Dir scheint der Unterschied wichtig zu sein. Ich muss beim Marathon nicht in der Spitzengruppe ankommen, aber irgendwo mit dem Hauptfeld. So?
Was macht da den spezifischen Unterschied aus?
Und wenn der Grund systemisch ist, ist er doch gerade nicht individuell, oder?

donquijote hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Beschränkt man sich auf Termini wie „nützlicher“ fragt sich gleich: Für wen?
Für die Evolution schon mal nicht, die strebt ja nicht. Bleibt das Individuum.


nützlicher? Hattest du gerade nicht behauptet, Naturalisten würden kein "besser nützlich" kennen?


Ja, was ich damit meine, habe ich oben versucht zu präzisieren. Derzeit laufen auch einige Threads dazu unter anderem der, in dem wir schreiben.

donquijote hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Kommt dann raus, dass Individuen nicht nach Höherem streben, sondern sich nicht verschlechtern wollen.


Nach Höherem streben oder nicht schlechter werden zu wollen (in Relation zu anderen und der Vergangenheit in der Fähigkeit, Ressourcen zu erlangen und die eigenen Kompetenzen zu reproduzieren) sind zwei völlig unterschiedliche Dinge. Letzteres ist eine naturalistische Aussage, Ersteres nicht.


Sobald eine Aussage in die Zukunft gehängt ist, ist sie idealistisch, auch wenn sie nur besser als früher zu sein, als Ziel hat. Allerdings sehe ich in idealistischen Aussagen kein Problem, ich finde es nicht falsch bestimmte Werte und Ziele anzupeilen, selbst wenn klar sein sollte, dass man sie nie ganz erreicht. Naturalistisch zu sein, kann ich gerade im Zusammenhang damit nicht als Gütesiegel sehen, sondern eher als Hemmschuh. Darum freut es mich, wenn es Naturalisten gibt, die mit dem besser/schlechter etwas weniger verkrampft umgehen.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » So 11. Nov 2012, 20:31

Nanna hat geschrieben:Du musst dich ja regelmäßig entscheiden, was du willst, und "Was soll ich tun?" bedeutet hier erstmal (babysteps ;-)) nur "Was wäre am besten/sinnvollsten zu wollen, was ist die optimale Strategie?".

Nein, das tut es nicht. Wenn ich etwas tun will, dan frage ich mich, was ich gerade tun will. wenn jemand entscheidungsschwach ist und sich nur an anderen orientiert, fragt er sich, was von ihm erwartet wird, was er tun soll. Das ist ein gewaltiger Unterschied, erst recht auf alle anderen angewandt. Wenn das tatsächlich synonym wäre, müsste ich mich umso mehr über einen aufregen, der mir erklärt, was ich tun will (und seiner Meinung nach nicht nur soll). Die Moral und Ethik hat zumindest ein Verbrechen nicht begangen, sie hat niemals erklärt,, was zu wollen habe. Es wurde höchstens ein guter Wille definiert, meist jedoch wurde streng zwischen dem Willen und der Vernunft unterschieden (zwar unsinnig, aber immerhin wurde erkannt, dass man den Willen nicht zur Gänze durch bloße Worte unterwerfen kann.
Nanna hat geschrieben: Sobald du mehr als eine Handlungsalternative hast, musst du Prioritäten setzen und Möglichkeiten gegeneinander gewichten. Wir NENNEN einen solchen Prozess normativ
Ich muss gar nichts, ich setze Prioritäten, in der Gegenwart. Ich stelle Beobachtungen auf (in der Gegenwart), ich antizipiere (in der Gegenwart).
Damit habe ich beschrieben, was ich tue. Dabei bewerte ich, ja. Aber diese Bewertung erfolgt nach den natürlichen kriterien des Nutzens, des Schadens, des Risikos.... Das sind keine moralischen Wertungen.
Nanna hat geschrieben: vergiss doch mal für einen Augenblick deine Angst vor diesem Wort und lass mal die Moral beiseite, und mach dir klar, dass es nur darum geht, eine Unterscheidung zwischen Zustandsbeschreibungen (deskriptiv; üblicherweise auf die Gegenwart bezogen) und Entscheidungen zwischen zukünftigen Handlungsmöglichkeiten (normativ, überlicherweise auf die Zukunft bezogen) zu treffen.

Wenn das alles wäre, hätte die Moral da nichts zu suchen. Zukunftsbeschreibungen oder die Beschreibungen der zukünftigen Handlungsmöglichkeiten sind wieder deskriptiv. Jeder Wissenschaftler kann (und darf) Prognosen erstellen.
Nanna hat geschrieben: Es geht erstmal gar nicht um irgendetwas schröcklich idealistisches, sondern nur darum, diese beiden Modi zu unterscheiden. Das wirst du ja noch hinkriegen, oder?

Na, ich kann es, du auch? Du bringst diese 2 Dinge in unnötigen Zusammenhang mit Moral.
Wenn man prognostiziert, dass der Baum fällt, wenn eine Axt eingesetzt wurde, um ihn zu fällen, ist das weder idealistisch, noch moralisch.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Nanna » Mo 12. Nov 2012, 00:47

Darth Nefarius hat geschrieben:Wenn man prognostiziert, dass der Baum fällt, wenn eine Axt eingesetzt wurde, um ihn zu fällen, ist das weder idealistisch, noch moralisch.

Nö, dazu besteht keinerlei Grund (Gründe, aus denen sich der Satz "Der Baum soll gefällt werden" ableiten lassen, schließt du ja kategorisch aus). Man kann den Baum einfach umfallen lassen. Who the serious f*ck cares?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Darth Nefarius » Mo 12. Nov 2012, 18:17

Du hast den Zusammenhang also nicht verstanden?
Dir war doch dies so wichtig:
Nanna hat geschrieben:vergiss doch mal für einen Augenblick deine Angst vor diesem Wort und lass mal die Moral beiseite, und mach dir klar, dass es nur darum geht, eine Unterscheidung zwischen Zustandsbeschreibungen (deskriptiv; üblicherweise auf die Gegenwart bezogen) und Entscheidungen zwischen zukünftigen Handlungsmöglichkeiten (normativ, überlicherweise auf die Zukunft bezogen) zu treffen.

Naja und das banale Beispiel des Baumes sollte dir zeigen, dass deine Ausklammerung der Moral eben nicht zu normativen Aussagen führt (oder zu irgendwelchen, die irgendwie ein Sollen hervorrufen).
Aber mein Kommentar hat auch mehr angesprochen als das.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mo 12. Nov 2012, 23:56

Tschuldigung, wenn ich asynchron bin und alte Kamellen anspreche. Aber interessant scheinen mir die alten Kamellen schon zu sein.
Nanna hat geschrieben:Es ist egal, ob es um Erdbeereis Classic oder Supereis geht. Für mich als Person, als "Ich" ist es für das Geschmackserlebnis irrelevant, auf welche Weise der dahinterliegende Mechanismus funktioniert

Das ist nur richtig wenn Ignoranz eine Tugend ist. Wenn durch die beschreibende Biologie enthüllt wird, dass du nicht einfach Erdbeereis mochtest die ganze Zeit, sondern in Wirklichkeit jede Substanz die XY enthält, dann hat das eine große Bedeutung. Erdbeereis verliert für dich seinen besonderen Status (z.B. Lieblingsspeise) und dein Geschmackserlebnis ändert sich dadurch vermutlich auch (da dir bewusst ist, dass du nichts so besonderes mehr isst). Also: dieses Beispiel zeigt eindeutig, dass objektiv beschreibende Erkenntnisse der Wissenschaft Bedeutungen verändern und generieren können. Du bist also widerlegt.

Nanna hat geschrieben:genauso wie es mir egal ist, ob ein Film, der mich rührt, digital oder mit Zelluloid projiziert wird.

Auch das ist nicht egal, jedenfalls nicht immer. Wenn die Hirnforschung verstanden hat, was Rührung ist und wodurch genau das ausgelöst und verstärkt wird, dann könnte dabei zum Beispiel heraus kommen, dass bei besserer Filmqualität das Miterleben, das empatische Zuschauen viel intensiver ist. Dann wäre es sofort sehr wichtig, ob ein Film in schlechter analoger Qualität mit Abstand schaffenden Unzulänglichkeiten oder in digitaler Qualität ohne störende Effekte ist, so dass man besser und kompletter in den Film eintauchen kann. Die Fähigkeit, die Emotion "Rührung" objektiv zu beschreiben, wird mit einiger Wahrscheinlichkeit zu Anwendungen führen können, die dein Erleben sehr beeinflussen können. Das könnte dir, wie oben, nur dann egal sein, wenn du aus rechthaberischen Gründen auf Ignoranz beharrst.

Nanna hat geschrieben:Bestimmte Formen von Erkenntnis lassen sich eben nur über bestimmte Methoden gewinnen, das beste Beispiel war bisher das in einem anderen Thread von Vollbreit gebrachte Beispiel, dass du nie wissen wirst, wie es ist, Vollbreit zu sein

In dem anderen Thread ging es um die Frage, ob man Vollbreits Erleben objektiv beschreiben kann. Es ging nicht darum, Vollbreits Erleben selbst zu erleben. Nur objektiv und vollständig beschreiben. Muss man, um etwas über die Geschmacksnerven und die Hirnreaktionen beim Erdbeereisgenuss herauszufinden, wirklich selber das Erdbeereis genau so erleben wie du beim Essen? Nein. Genau das meint ja hier das Wort "objektiv". Man muss es eben genau nicht. Dein Denkfehler, mein Triumph.

Nanna hat geschrieben:aber all das ändert nichts, rein gar nichts, daran, dass das naturwissenschaftliche Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen kann.

Das ist erstmal eine Behauptung. Die bringst du oft. Kannst du sie eigentlich begründen? Wieso kann naturwissenschaftliches Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen? (Dogmatiker und Ideologisten haben Probleme mit Begründungen. Vielleicht zeigt sich also durch diese Frage, wer hier Fisch und wer hier Fleisch ist?)
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Di 13. Nov 2012, 00:03

Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist, wie Agent und Nanna schreiben, dass nicht klar ist, wie man mit einer deskriptiven Sprache überhaupt in eine normative Einstellung hineinkommen soll. Aus Beschreibungen von Zuständen, so genau und zutreffend sie sein mögen, folgen keine Anweisungen wie es mit diesen Zuständen weiter geht

Irgendwo muss man sozusagen mit normativen Axiomen anfangen, das stimmt. Diese Grundannahmen und Festlegungen sind sicher auch immer verhandelbar, man muss sich darauf einigen. Aber genau das muss man auch bei den Philosophen. Nichts besonderes also. Und schon mit ein paar Grundannahmen kann man folgern, dass zum Beispiel das objektiv beschreibbare Phänomen "Schmerz" im Gehirn etwas schlechtes ist. Man eicht diese Zuordnung einfach dadurch, dass man 1000 Leute fragt, ob starke Schmerzen etwas gutes oder etwas schlechtes sind. Danach hat mans. So kommt man von einer deskriptiven Sprache (der Patient hat im Gehirn starke Schmerzreaktionen) zu einer normativen Wertung: dem Patient geht es schlecht.
Es erscheint mir ein wenig albern, hier so zu tun, als wenn das prinzipiell und auch in zehntausend Jahren unmöglich sein soll. Wie soll ein vernünftiger Mensch wie ich etwas anderes annehmen, als blinde Ideologie hinter solchen martialischen Prophezeiungen?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Di 13. Nov 2012, 10:21

ganimed hat geschrieben:Wenn die Hirnforschung verstanden hat, was Rührung ist und wodurch genau das ausgelöst und verstärkt wird, dann könnte dabei zum Beispiel heraus kommen, dass bei besserer Filmqualität das Miterleben, das empatische Zuschauen viel intensiver ist.


Die Hirnforschung weiß aber nicht, was Rührung ist.
Was Hirnforscher lediglich machen können, sind etwas folgende Dinge:
Sie können bspw. Situationen per Film einspielen, in denen Leute in der Regeln gerührt sind.
Woher wissen Hirnforscher von diesen Situationen?
Nun, sie sind auch Menschen, haben Empfindungen und eine 1.Person Perspektive (Ich bin gerührt) und folgern, dass, wenn sie gerührt sind, wohl auch andere in ähnlichen Situationen gerührt sein werden.
Desweiteren können sie beim Erzählen einer Geschichte, der Einspielung eines Films, den Probanden fragen, ob er gerührt war und wie sehr, vielleicht auf einer Skala von 1 bis 10. Ist dies der Fall, können sie schauen, was – wenn man beim Einspielen oder Erzählen gleichzeitig ein fMRT oder etwas Vergleichbares gemacht hat.
Dann könnte man sehen: Immer wenn Menschen behaupten, dass sie gerührt sind, geschieht in ihrem Hirn dies und das.

Kannst Du zustimmen, dass dies ein denkbares Szenario wäre, das ungefähr beschreibt, wie Hirnforscher arbeiten könnten?

Falls ja: Nehmen wir der Einfachheit halber an, Rührung wäre eine Emotion, die in einem scharf umgrenzten Bereich verarbeitet würde, der bei jedem Menschen gleich wäre und der auch noch quantifizierbar wäre, in der Art von: Je gerührter, desto durchbluteter, desto heller leuchtet es (bzw. die gewählte Farbe leuchtet auf).

Selbst in diesem Idealfall wird m.E. erkennbar, dass die Perspektive der 3. Person: Eine Stelle im Gehirn leuchtet im Abbild des fMRT auffällig auf, nicht Rührung ist, sondern bestenfalls die objektivierte Darstellung der Rührung.
Und vor allem: Die objektivierte Darstellung ist abhängig von der vorherigen Aussage oder Empfindung des Ich: „Ja, ich bin gerührt.“ Erst wenn man diese Aussage hat, vielleicht in Feinjustierung (Skala von 1 bis 10), kann man objektivieren.

Und auch wenn man nun sagt: Okay, dieses Areal ist das Rührungsareal, das setzten wir jetzt mal so fest, nach 10.000 Messungen, kann man immer noch nicht sicher sein, dass ein Mensch bei dem es „aufleuchtet“ tatsächlich gerührt ist.
Das würde im Zweifel dazu führen, dass man sagen müsste, jemand sei (wie objektiv gemessen wurde) gerührt, würde es aber nicht bemerken und das wirkt immer komisch.

(Zusatz 1: Hier könnte man weiter diskutieren, da bspw. die Psychoanalyse genau das tut: Sie behauptet, da hätte jemand Empfindungen von denen er selbst nichts weiß. Das ist hoch gepokert, wird von der Analyse aber m.E. eingelöst, bei Interesse mehr dazu, wenn nicht, nicht.

Zusatz 2: Man müsste natürlich diskutieren, inwieweit die skizzierte Idealsituation überhaupt gegeben ist oder gegeben sein kann. Rührung kann m.E. unterschiedliche Gründe haben und es steht zu erwarten, dass daher auch ganz unterschiedliche Areale aktiviert werden.)

Nehmen wir weiter – ideal – an, aus irgendwelchen Gründen sei das Rührungsareal sicher zuzuordnen und nun könnten man die Art der Rezeptoren in dem Bereich genauer untersuchen und wüsste, dass meinetwegen Serontonin dort aktiv ist und dass es einige Bereiche freischaltet und andere hemmt, wüsste man dann tatsächlich, was Rührung ist?
Man hätte einen biochemischen Vorgang beschrieben, aber wieso ist denn ein biochemischer Vorgang ein Gefühl?

Anders formuliert, warum sollte man die durchaus interessante Erkenntnis den biochemischen Zusammenhang einer Emotion im Gehirn (es könnten andere Körperteile oder -regionen beteiligt sein) darstellen zu können, auf die Behauptung einkürzen, das und nur das sei nun Rührung. Sie die Tränen die fließen unwichtig. Ist das was der Dichter dazu sagen könnte belanglos? Können uns Psychologen oder Philosophen nichts dazu erzählen. Wäre es nicht interessant zu wissen, ob die Rührung von Helmut Kohl eine andere ist, als die bei der Hausfrau die einen Kitschfilm sieht oder beim 19-Jährigen Olympiasieger im Turnen? Ist die Aussage (gesetzt sie würde stimmen) dass das Rührungsareal leuchtet, so dass man ein TÜV Siegel auch die Aussage: „Das ist Rührung“ geben könnte nun wirklich ein Gewinn oder verlieren wir nicht sogar etwas, von der breite der möglichen Darstellung, über die wir ja verfügen?

ganimed hat geschrieben:Das könnte dir, wie oben, nur dann egal sein, wenn du aus rechthaberischen Gründen auf Ignoranz beharrst.


Warum unterstellst Du Deinen Mitdiskutanten eigentlich so oft so etwas?
Ich bin ja hier nicht selbst betroffen, aber gerade darum: Es ist für mich schwer nachvollziehbar, im Zusammenhang mit Nanna, dessen Eselsgeduld und immer wieder neuen Versuche jemanden verstehen zu wollen nicht nur mir aufgefallen sind, auf Ignoranz und Rechthaberei zu schließen.


ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:Bestimmte Formen von Erkenntnis lassen sich eben nur über bestimmte Methoden gewinnen, das beste Beispiel war bisher das in einem anderen Thread von Vollbreit gebrachte Beispiel, dass du nie wissen wirst, wie es ist, Vollbreit zu sein

In dem anderen Thread ging es um die Frage, ob man Vollbreits Erleben objektiv beschreiben kann. Es ging nicht darum, Vollbreits Erleben selbst zu erleben. Nur objektiv und vollständig beschreiben.


Ja, und ich habe zu beschreiben versucht, warum man das allenfalls näherungsweise, aber nie vollständig kann und können wird und Nanna hat es verstanden. Möglicherweise hat er es verstanden, aber es ist dennoch falsch, aber dann müsste ausgeführt werden, wo der Denkfehler liegt, da es sich um einen prinzipiellen Einwand handelte.

ganimed hat geschrieben:Muss man, um etwas über die Geschmacksnerven und die Hirnreaktionen beim Erdbeereisgenuss herauszufinden, wirklich selber das Erdbeereis genau so erleben wie du beim Essen? Nein. Genau das meint ja hier das Wort "objektiv". Man muss es eben genau nicht. Dein Denkfehler, mein Triumph.


Die Frage ist doch folgende: Geht es darum, in irgendeiner Weise beschreiben zu können, was auf einer körperlichen Ebene geschieht, wenn etwas auf einer geistig-emotionalen oder bewusstseinsmäßigen Ebene geschieht?
Die Antwort ist: Nein, denn das würde kaum jemand bestreiten wollen oder können.
Der Anspruch ist aber ein anderer, nämlich nicht, ob in irgendeiner Weise von einem Körperzustand auf eine geistig-emotionalen Zustand geschlossen werden kann, sondern ob es über die behauptete vollständige Abhängigkeit des Geistig-Emotionalen vom Körperlichen eine vollständige Darstellung der 1.Person Empfindungswelt durch die objektivierende 3.Person Perspektive geben kann. Ohne semantischen Rest, wie man so sagt. Darum geht es.

Und wenn das der Fall sein soll, dann muss man eben genau sagen können, was Nanna empfindet, assoziiert usw. wenn er Erdbeereis ist.

ganimed hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:aber all das ändert nichts, rein gar nichts, daran, dass das naturwissenschaftliche Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen kann.

Das ist erstmal eine Behauptung. Die bringst du oft. Kannst du sie eigentlich begründen? Wieso kann naturwissenschaftliches Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen? (Dogmatiker und Ideologisten haben Probleme mit Begründungen. Vielleicht zeigt sich also durch diese Frage, wer hier Fisch und wer hier Fleisch ist?)


Die Begründung ist einfach.
Die Naturwissenschaft beschreibt, wie Zusammenhänge im technischen Sinne funktionieren.
Warum sollte damit alles gesagt sein? Wenn es ein Thema gibt, was die Kulturgeschichte durchzieht und aus allen Facetten beschrieben wurde (und weiter beschrieben werden wird) dann ist das sicher die Liebe. Wird das was uns Shakespeare, Goethe und Rilke darüber zu sagen haben unwichtig, wenn man erfährt, dass es sich irgendwie um eine Opiatausschüttung handelt?
Fallen geisteswissenschaftliche Differenzierungen wie Eros, Philia, Agape dann in sich zusammen?
Ist das was Freud und seine Nachfolger herausfanden dann nur noch marginal?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Das Problem ist, wie Agent und Nanna schreiben, dass nicht klar ist, wie man mit einer deskriptiven Sprache überhaupt in eine normative Einstellung hineinkommen soll. Aus Beschreibungen von Zuständen, so genau und zutreffend sie sein mögen, folgen keine Anweisungen wie es mit diesen Zuständen weiter geht

Irgendwo muss man sozusagen mit normativen Axiomen anfangen, das stimmt. Diese Grundannahmen und Festlegungen sind sicher auch immer verhandelbar, man muss sich darauf einigen. Aber genau das muss man auch bei den Philosophen.


Ja.
Das ist doch das Ergebnis der Philosophen, bzw. von Teilen der Philosophie.
Das beschreibt genau jene Absprache, die ihrerseits – als Faktum der bloßen Absprache – jede Menge Kram voraussetzt: Ich anerkenne, nicht allein auf der Welt zu sein. Ich sehe den anderen, als ein vernünftiges Wesen an (sonst würde ich nicht mit ihm reden). Ich anerkenne, dass wir dieselbe Sprache sprechen und ähnlich denken. Ich anerkenne, dass es notwendig ist, sich zu einigen. Ich anerkenne, dass man nicht identischer Meinung über einen Sachverhalt sein muss.
Und so weiter und ich habe sicher mehr ausgelassen, als beschrieben.

Beispielsweise bist Du der Auffassung, dass der quantitative Erfolg, bspw. in der Reproduktion, der Verbreitung usw. ein Kriterium sein kann. Ich kann das als sinnvolle Aussage sofort anerkennen.
Die Frage ist nur, folgt etwas daraus und was?

Z.B. könnte man feststellen, dass Bakterien sicher verbreiteter, anpassungsfähiger und mengenmäßig zahlreicher sind, als der Mensch. Aber was heißt das nun? Sind sie damit schützenswerter? Sollten wir Antibiotikatherapien und Desinfektionsmittel verbieten, weil damit das schlechtere/erfolglosere Wesen (der Mensch) die erfolgreicheren zerstören?

Kern der normativen Überlegungen ist die Ansicht, dass das Leben geregelt werden sollte. Wenn man in der Situation ist, dass „die Natur“ nicht mehr alles von selbst regelt, weil man auf bestimmte Prozesse einen gewissen bewussten Einfluss hat, z.B. wenn man zum Klo muss, warten bis eines da ist, anstatt an Ort und Stelle des ersten Impulses zu urinieren und jedem kleinsten Anflug eines Bedürfnisses sofort nachzugeben, dann ist dieses Situation gegeben.
Nun hat man einen gewissen Einfluss auf die (eigene) Natur und heutzutage ist es so, dass wir wechselseitig voneinander erwarten, dass wir unsere Impulse (ein Stück weit) kontrollieren können.

ganimed hat geschrieben:Nichts besonderes also.


Ja, durchaus nichts Besonderes.
Der Anspruch ist damit auch nicht verbunden.
Philosophen tragen ihren Teil zum Wissen bei, mehr nicht.

ganimed hat geschrieben:Und schon mit ein paar Grundannahmen kann man folgern, dass zum Beispiel das objektiv beschreibbare Phänomen "Schmerz" im Gehirn etwas schlechtes ist.


Wo kriegst Du denn auf einmal die Kategorie schlecht her?
Und gerade „objektiv“ betrachtet ist Schmerz etwas sehr Gutes. Er zwingt zur Ruhe und Schonung.
Subjektiv ist er Mist.

ganimed hat geschrieben:Man eicht diese Zuordnung einfach dadurch, dass man 1000 Leute fragt, ob starke Schmerzen etwas gutes oder etwas schlechtes sind.


Aber gerade „gut“ und „schlecht“ sind ja jene wertenden Begriffe, auf die man verzichten möchte, die man objektivieren möchte. Nun greift man doch wieder darauf zurück.

ganimed hat geschrieben:Danach hat mans.


Und wieder wäre die objektive Position abhängig von der Subjektiven. Es soll doch aber gerade andersrum sein.

ganimed hat geschrieben: So kommt man von einer deskriptiven Sprache (der Patient hat im Gehirn starke Schmerzreaktionen) zu einer normativen Wertung: dem Patient geht es schlecht.


Nö, die subjektive Warte besteht ja schon in Deinem Beispiel.
Wenn man nun sagt, dass man Schmerzen vermeiden oder nach Möglichkeit verringern sollte, dann sagt man das nicht, weil bei der Schmerzkaskade objektiv dies und das geschieht, sondern weil Schmerzen als unangenehm und leidvoll vom Subjekt erfahren werden.
Mal blöd gefragt: Wo ist das Problem mit Schmerzen? Objektiv gesehen ist das einfach nur eine Körperreaktion. Kein Problem. Das Problem haben wir Erlebenden, das Subjekt.

ganimed hat geschrieben:Es erscheint mir ein wenig albern, hier so zu tun, als wenn das prinzipiell und auch in zehntausend Jahren unmöglich sein soll. Wie soll ein vernünftiger Mensch wie ich etwas anderes annehmen, als blinde Ideologie hinter solchen martialischen Prophezeiungen?


Was soll unmöglich sein? Schmerzen zu beschreiben? Hm, man weiß ja grob, was passiert und wie und wo man eingreifen kann, ein Hoch auf den Menschen, der die lokalen Anästhetika für die Zahnarztbehandlung gefunden hat, aber frag mal Schmerztherapeuten und Leute die sich damit beschäftigen, was letztlich entscheidet. Das subjektive Empfinden. Es gibt so gut wie keine objektiven Kriterien für Schmerzen. Dieser verblüffenden Einsicht mussten sich z.B. die Orthopäden stellen.
Es gab desaströse MRT Befunde der Wirbelsäule wo man denkt, jemand dürfe kaum noch kriechen können und die Aussagen sind: „Naja, manchmal tut’s schon etwas weh.“ Es gibt Fälle wo man so gut wie nichts findet und die Leute drehen durch vor Schmerzen.
Klar, man hat so seine (manchmal etwas hilflosen und entwertenden Erklärungen): Mittelmeersyndrom, Frauen, Morbus Mütze, alles psychosomatisch, inzwischen ist man auch hier weiter und erkennt, dass bestimmte Medikamente bei Asiaten anders wirken als bei Europäern, bei Frauen anders als bei Männern, bei Kindern anders als bei Erwachsenen, vermutlich bei Linkshändern anders als bei Rechtshändern und so weiter. Und Schmerzen eben individuell empfunden werden. Und wenn das so ist: Warum sollte bei all den verschiedenen Menschen mit all ihren verschiedenen Reaktionen überall dasselbe im Gehirn passieren? Warum sollte Karajan Musik so erlebt haben wie ich? Warum hat ein Rembrandt dieselben Augen wie ich? Nicht mal Du und ich denken doch gleich, warum sollten unsere Hirne identisch sein?

Was Du anstrebst und als Objektivität verstanden wissen möchtest, ist einfach der Durchschnittswert. Und da gilt halt, was für jede Statistik gilt. Kollektiv zutreffend, je näher man den Individuum kommen, umso unbrauchbarer.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Zappa » Di 13. Nov 2012, 19:46

Vollbreit hat geschrieben:Nun, sie sind auch Menschen, haben Empfindungen und eine 1.Person Perspektive (Ich bin gerührt) und folgern, dass, wenn sie gerührt sind, wohl auch andere in ähnlichen Situationen gerührt sein werden.


Kein Wissenschaftler wäre so naiv und wenn könnte er den Quark nicht gut publizieren. Man wird immer viele Probanden befragen, versuchen vorab "Rührungsscores" und möglichst gut definierte "Rührungsszenarien" zu definieren. Ob das jetzt mit eurem 1. und 3. Person-Streit zu tun hat weiß ich nicht.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Di 13. Nov 2012, 23:28

Vollbreit hat geschrieben:Die Hirnforschung weiß aber nicht, was Rührung ist.

Wieso weiß sie das nicht? Du beschreibst doch gerade ein paar Wege, wie sie Rührung in Form von körperlichen Reaktionen beschreiben lernen kann. Gut, und dann ist Rührung eben genau das, nämlich ein Vorgang im Gehirn, der objektiv beschrieben werden kann. Also: die Hirnforschung kann im Prinzip wissen, was Rührung ist.

Vollbreit hat geschrieben:Selbst in diesem Idealfall wird m.E. erkennbar, dass die Perspektive der 3. Person: Eine Stelle im Gehirn leuchtet im Abbild des fMRT auffällig auf, nicht Rührung ist, sondern bestenfalls die objektivierte Darstellung der Rührung.

Das ist aus meiner Sicht ein sprachliche Verdrehung ohne Sinn. Wenn ein Wissenschaftler dir beschreibt, was ein Elektromotor ist, dann könntest du diese verdrehten Gegenargumente auch bringen. "Jaaaa, sie beschreiben, wie ein Elektromotor funktioniert und woraus er besteht, aber das IST kein Elektormotor, sondern nur die Beschreibung". Toll. Auf diese wenig konstruktive Weise könntest du alle Formen von Symbolik und sprachlicher Beschreibung kritisieren. Machst du aber komischerweise nicht. Nur hier. Aber da denke ich mir: wenn dir keine besseren Argumente als dieser Allerweltswischiwaschieinwand einfällt, halte ich meine Position für bestätigt statt widerlegt.

Dein Einwand, dass man auch nach 10000 Messungen nie ganz sicher sein könnte ist ebenfalls ein Allerweltsargument gegen Wissenschaft. Ganz sicher kann man sich eben nie sein, nirgendwo. Und insbesondere nicht bei einer so abstrusen Behauptung wie: die Wissenschaft wird niemals das Gehirn und seine Vorgänge objektiv beschreiben können. Wieso also bist du dir so sicher?

Vollbreit hat geschrieben:Man hätte einen biochemischen Vorgang beschrieben, aber wieso ist denn ein biochemischer Vorgang ein Gefühl?

Weil er immer genau dann auftritt, wenn das Gefühl auftritt. Und immer genau dann nicht auftritt, wenn das Gefühl nicht auftritt. Und weil sonst nichts dieses Gefühl repräsentiert. Daher also die Gegenfrage an dich: was soll das Gefühl denn sonst sein wenn nicht ein biochemischer Vorgang?

Vollbreit hat geschrieben:Ich bin ja hier nicht selbst betroffen, aber gerade darum: Es ist für mich schwer nachvollziehbar, im Zusammenhang mit Nanna, dessen Eselsgeduld und immer wieder neuen Versuche jemanden verstehen zu wollen nicht nur mir aufgefallen sind, auf Ignoranz und Rechthaberei zu schließen.

Ja, eine große Geduld muss man ihm attestieren. Das schließt aber jetzt nicht Ignoranz völlig aus. Geduldige Menschen könnten gleichzeitig ignorant sein. Ich wollte es ihm nicht direkt unterstellen, meinte aber doch Anzeichen von Ignoranz bei der Beantwortung meiner Argumente zu sehen. Es sei ihm egal, was die Wissenschaft an Erkenntnissen über sein Erdbeereis gewinnt, sein Geschmackserlebnis würde sich deshalb nicht ändern. Nie nicht. Nicht in 10000 Jahren. So würde ich mal etwas überspitzt seine Argumente umformulieren. Und dann, finde ich, kann man schonmal das Wort Ignoranz in den Mund nehmen. In diesem Fall werden die von mir geschilderten möglichen Auswirkungen und Folgerungen aus den Erkenntnissen ignoriert.

Vollbreit hat geschrieben:Ja, und ich habe zu beschreiben versucht, warum man das allenfalls näherungsweise, aber nie vollständig kann und können wird

Dieser Versuch ist daneben gegangen. Du traust der Wissenschaft weniger zu als ich. Beispielsweise scheint dir bei Hirnforschung wirklich nur das bildgebende Verfahren einzufallen, so als würde das die einzige Methode sein. Verhaltensforschung, psychologische Tests, Versuche an Mäusen, Schnecken, Fruchtfliegen, alle diese Flut an Forschungen um Nervensysteme allgemein und das des Menschen besser zu verstehen blendest du wohlweislich aus. Insofern ist dein Jetztanalyse der Hirnforschung bereits relativ verzerrt. Aber gut, du hast eben tendenziell eine schlechte Meinung über Wissenschaft. Aber was ist eigentlich mit dem "niemals können wird"? Hast du das wirklich schon begründet, wieso die Wissenschaft niemals ihre Methoden verbessern wird, wieso sie niemals neue Methoden finden kann, die mögliche jetzige Probleme doch noch lösen? Ich kann nicht einmal einen Ansatz für eine Begründung bei dir herauslesen.

Vollbreit hat geschrieben:Der Anspruch ist aber ein anderer, nämlich ... eine vollständige Darstellung der 1.Person Empfindungswelt durch die objektivierende 3.Person Perspektive ... Ohne semantischen Rest ... Und wenn das der Fall sein soll, dann muss man eben genau sagen können, was Nanna empfindet, assoziiert usw. wenn er Erdbeereis ist.

Da stimme ich zu. Mit einer objektiven Beschreibung würde man angeben können, welche Emotionen bei Nanna durch das Erdbeereis ausgelöst werden. Genau wie oben die Rührung würden auch andere Emotionen beschrieben werden. Auch Assoziationen wären anzugeben. Aber worum es in meinem Argument ging: kein Beschreiber müsste zu Nanna werden, schon gar nicht vollständig. Niemand müsste selber das Eis essen und dieselben Emotionen durchleben. Aber genau das wurde von dir und Nanna auch im anderen Thread gefordert, dass jemand genau Vollbreit werden müsste und den Schmerz im Fuss selber in genau derselben Weise erleben müsste, um wissen zu können, wie das ist. Ich finde, ihr habt da einfach den Unterschied zwischen subjektiver Sprache und objektiver Sprache völlig außer acht gelassen. Objektiv heißt hier genau, es nicht selber erleben zu müssen.

Vollbreit hat geschrieben:
Nanna hat geschrieben:aber all das ändert nichts, rein gar nichts, daran, dass das naturwissenschaftliche Denken nicht über die Naturwissenschaft hinausführen kann.
... Die Begründung ist einfach.
Die Naturwissenschaft beschreibt, wie Zusammenhänge im technischen Sinne funktionieren.
Warum sollte damit alles gesagt sein? Wenn es ein Thema gibt, was die Kulturgeschichte durchzieht und aus allen Facetten beschrieben wurde (und weiter beschrieben werden wird) dann ist das sicher die Liebe. Wird das was uns Shakespeare, Goethe und Rilke darüber zu sagen haben unwichtig, wenn man erfährt, dass es sich irgendwie um eine Opiatausschüttung handelt?

Hä? Nanna behauptet doch, dass die Naturwissenschaft nichts über die Bedeutung oder den Sinn von beispielsweise Emotionen wie der Liebe sagen kann. Und deine Begründung für diese weitreichende Behauptung ist, das Shakespeare und Goethe doch auch etwas wichtiges über Liebe sagen? Das verstehe ich logisch nicht. Wieso würde die Fähigkeit der Wissenschaft, hier etwas zu sagen, plötzlich bedeuten, dass alles andere dazu gesagte nichtig wäre? Wer hat das behauptet?

Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Irgendwo muss man sozusagen mit normativen Axiomen anfangen ...
...
Das ist doch das Ergebnis der Philosophen, bzw. von Teilen der Philosophie.

Normen und Werte haben alle Menschen, dazu bräuchte man jetzt nicht unbedingt die Philosophie. Und außerdem war ich dir zu weit entgegen gekommen, wie ich inzwischen finde. Normative Axiome kann man verhandeln, aber alternativ auch beschreiben und finden (Gerechtigkeitssinn im Gehirn, bestimmte moralische Grundeinstellungen bei fast allen Menschen, evolutionäre Zusammenhänge, ...). Aus der Eichung des Belohnungssystems von 10000 Probanden kann ich bestimmt eine sehr genaue moralische Landkarte zeichnen und das dann als legitimen Ansatz verwenden, um meinen übrigen wisssenschaftlichen Erkenntnissen eine Relevanz, Bedeutung, Bewertung und Implikation zuzuweisen. Viel exakter und nachvollziehbarer als beim Philosophen.

Vollbreit hat geschrieben:Beispielsweise bist Du der Auffassung, dass der quantitative Erfolg, bspw. in der Reproduktion, der Verbreitung usw. ein Kriterium sein kann. Ich kann das als sinnvolle Aussage sofort anerkennen. Die Frage ist nur, folgt etwas daraus und was?

Dein letzter Satz ist nicht die Frage, nur der Versuch das letzte Wort zu haben. Nein, wenn man aus quantitativem Erfolg ein wertendes Kriterium machen kann, dann ist der Fall beendet. Nanna hat dies nämlich, soweit ich verstanden habe, für nicht möglich erklärt. Die Frage, was aus einer Bewertung folgt, war gar nicht Thema.

Vollbreit hat geschrieben:Aber gerade „gut“ und „schlecht“ sind ja jene wertenden Begriffe, auf die man verzichten möchte, die man objektivieren möchte.

Mir scheint, du verhedderst dich hier in den Begriffen "subjektiv", "objektiv" einerseits und "deskriptiv" und "normativ" andererseits. Du und Nanna behauptet (einfach so), dass Wissenschaft immer nur streng deskriptiv sein könne. Aber das glaube ich eben nicht. Man kann objektiv bewerten, allerdings (das gebe ich zu) nur unter der Angabe des Kontextes, des Ziels, der Norm. Aber all diese Dinge kann die Wissenschaft ja angeben. Für einen Menschen, dem körperlich sonst nichts fehlt (und der deshalb keine Ruhe braucht) ist Schmerz (beispielsweise dauerhafter Phantomschmerz) richtig übel. Das folgt objektiv aus einer Beobachtung des Gehirns, was Angstzentrum und Belohnungszentrum an dieser Stelle machen. Man kann also objektiv schlußfolgern, dass das im Sinne dessen was das Gehirn des Patienten selber als Norm vorgibt schlecht ist.

Vollbreit hat geschrieben:Wenn man nun sagt, dass man Schmerzen vermeiden oder nach Möglichkeit verringern sollte, dann sagt man das nicht, weil bei der Schmerzkaskade objektiv dies und das geschieht, sondern weil Schmerzen als unangenehm und leidvoll vom Subjekt erfahren werden.

Das ist kein Problem. Ich kann ja die Schmerzen, das leidvolle ebenfalls objektiv beschreiben. Schmerzen und Leid geschehen also objektiv.

Vollbreit hat geschrieben:Was Du anstrebst und als Objektivität verstanden wissen möchtest, ist einfach der Durchschnittswert. Und da gilt halt, was für jede Statistik gilt. Kollektiv zutreffend, je näher man den Individuum kommen, umso unbrauchbarer.

Das ist naive Wissenschaftskritik auf niedrigem Niveau. So in der Art wie: Studien seien alle gefälscht. Statistiker unterlägen alle dem Irrglauben, dass Korrelation = Ursache sei. Und repräsentative Umfragen seien Quark, weil man ja nicht alle gefragt hat. Und die Behauptung, dass alle Raben schwarz sind, wäre erst dann erwiesen, wenn man ausnahmnslos alle Raben auf der Welt in Augenschein genommen hätte. Solches Gerede wirkt auf mich sehr uninformiert. Der Trend geht zum billigen und schnellen Sequenzieren, zur Individualmedizin. Man weiß dann genau, welche Gene gerade da sind, aktiv geschaltet sind und wie sie wirken (vielleicht nicht heute aber zunehmend und bald) und kann dann, je näher man dem Individuum kommt, immer besser helfen oder analysieren oder einfach nur beschreiben, was den dann sicher rühren wird.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Di 13. Nov 2012, 23:43

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Die Hirnforschung weiß aber nicht, was Rührung ist.

Wieso weiß sie das nicht? Du beschreibst doch gerade ein paar Wege, wie sie Rührung in Form von körperlichen Reaktionen beschreiben lernen kann. Gut, und dann ist Rührung eben genau das, nämlich ein Vorgang im Gehirn, der objektiv beschrieben werden kann. Also: die Hirnforschung kann im Prinzip wissen, was Rührung ist.

Der philosophische Einwand gegen die Identitätstheorie (Gefühl/Meinung/Ansicht/etc. X sei identisch mit dem Gehirnvorgang Y) ist der der multiplen Realisierung.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 14. Nov 2012, 00:11

Wikipedia hat geschrieben:Hilary Putnam (1967) entwickelte erstmals das Argument der multiplen Realisierbarkeit, dass zeigen sollte, dass ein mentaler Zustand nicht mit einem Gehirnzustand identisch sein kann: Die einzelnen, konkreten mentalen Zustände (die Token) können nämlich in verschiedenen Wesen durch ganz verschiedene Gehirnzustände realisiert sein.

Das könnte bedeuten, dass ein Gehirnzustand eine sehr komplexe Beschreibung erfordert. Eine Beschreibung, die mehrere Zustände als Möglichkeit beinhaltet, oder besser gleich die Invarianzen beschreibt, das charakteristische der Vorgänge und nicht einfach einen statischen Gehirnzustand. Ich kann daher nirgendwo erkennen, wieso eine Beschreibung dadurch unmöglich sein soll, dass die Identitätstheorie nicht gilt.
Es mag also philosophische Einwände gegen die Identitätstheorie geben, aber die treffen hier nicht. Es geht auch ohne Identität.

Wikipedia hat geschrieben:Man denke etwa an die Schmerzen eines Lurches und eines Menschen. Es ist einfach unwahrscheinlich, dass in ihnen die gleichen Gehirnprozesse ablaufen, wenn sie Schmerzen spüren.

Ein auffallend blödes Argument. Wenn beim Lurch wirklich alles so ganz anders abliefe, dann hätte er eben auch ein ganz anderes Erleben. Dann wäre Lurch-Schmerz auch nicht Mensch-Schmerz. Die prinzipielle Arbeitsweise der Neuronen und Signale ist aber überraschenderweise doch sehr verbreitet und praktisch identisch zwischen Schnecken, Lurchen und Menschen. Der Mensch hat einfach nur viel mehr vom Gleichen und deshalb andere Verschaltungen usw. Aber das biochemische Spiel ist sehr ähnlich.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon AgentProvocateur » Mi 14. Nov 2012, 00:30

ganimed hat geschrieben:
Wikipedia hat geschrieben:Man denke etwa an die Schmerzen eines Lurches und eines Menschen. Es ist einfach unwahrscheinlich, dass in ihnen die gleichen Gehirnprozesse ablaufen, wenn sie Schmerzen spüren.

Ein auffallend blödes Argument. Wenn beim Lurch wirklich alles so ganz anders abliefe, dann hätte er eben auch ein ganz anderes Erleben. Dann wäre Lurch-Schmerz auch nicht Mensch-Schmerz.

Nein, das ist ein Fehlschluss. Der Punkt hier ist der, dass X auf vielfältige Weise realisiert werden, aber dennoch X sein kann, (= das, was wir unter dem Konzept "X" verstehen). Wenn wir speziell bei Schmerzen bleiben: es ist problemlos vorstellbar, dass Aliens, die ganz anders aufgebaut/realisert sind als wir, dennoch Schmerz (das, was wir unter "Schmerz" verstehen) empfinden.

Wenn wir das mal allgemeiner betrachten: z.B. ein Tisch kann auf vielfältige Weise realisiert sein, es kommt dabei nicht auf das Material an.

Oder wenn wir nicht nur das Material, sondern auch Prozesse einbeziehen: dazu muss man sich nur die Realisierung eines Algorithmus vorstellen. Ein bestimmter Algorithmus (egal, wie einfach oder kompliziert) kann auf unendlich viele Weisen realisiert werden. Sofern dabei jeweils immer dasselbe erwartete Ergebnis geliefert wird, kann man wohl gerechtfertigt sagen, dass eine korrekte Realisierung des betreffenden Algorithmus vorliegt. Das bedeutete aber: der Algorithmus kann nicht auf seine Realisierungen reduziert werden, d.h. kann nicht durch die Darlegung aller möglichen Realisierungen hinreichend beschrieben werden, (denn eine Darlegung aller möglichen Realisierungen ist unmöglich, wenn die Anzahl der möglichen Realisierungen unendlich ist).
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Nov 2012, 14:45

ganimed hat geschrieben:Gut, und dann ist Rührung eben genau das, nämlich ein Vorgang im Gehirn, der objektiv beschrieben werden kann. Also: die Hirnforschung kann im Prinzip wissen, was Rührung ist.


Wie Agent schreibt, gibt es da verschiedene Konzepte und mein Einwand war, es würde sich dabei stets um einen Durchschnittswert handeln, falls es denn klappt und die Zuordnung, dass eine Emotion oder ein Gedanke genau einer bestimmten Hirnaktivität entspricht – Tendenz, man geht davon aus, dass das nicht der Fall ist – stimmt.
Aber Durchschnittswerte, so brauchbar sie sein mögen, stellen eben allenfalls eine Annäherung an meine Gedanken usw. dar, werden aber aus prinzipiellen Gründen niemals meine Gedanken abbilden können.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Selbst in diesem Idealfall wird m.E. erkennbar, dass die Perspektive der 3. Person: Eine Stelle im Gehirn leuchtet im Abbild des fMRT auffällig auf, nicht Rührung ist, sondern bestenfalls die objektivierte Darstellung der Rührung.

Das ist aus meiner Sicht ein sprachliche Verdrehung ohne Sinn. Wenn ein Wissenschaftler dir beschreibt, was ein Elektromotor ist, dann könntest du diese verdrehten Gegenargumente auch bringen. "Jaaaa, sie beschreiben, wie ein Elektromotor funktioniert und woraus er besteht, aber das IST kein Elektormotor, sondern nur die Beschreibung".


Nein, darum geht es nicht. Den beim Motor besteht nicht mal ein Anfangsverdacht, dass es bei ihm etwas gibt, was über die reine (Beschreibung der) Funktion hinausgeht, beim Menschen sind wir sicher, dass wir eine Subjektwahrnehmung haben.

ganimed hat geschrieben:Dein Einwand, dass man auch nach 10000 Messungen nie ganz sicher sein könnte ist ebenfalls ein Allerweltsargument gegen Wissenschaft.


Das ist aber nicht mein Einwand. Mein Einwand ist, dass wir es bei 10.000 Messungen zwingend mit Durchschnittswerten zu tun haben. Damit sind Näherungen drin, mehr nicht. Durchschnittlich bist Du 182cm groß, 42 Jahre alt, Christ, verdienst 2500 Euro und hast Übergewicht. Vielleicht stimmt es, aber eher nicht und je individueller man wird, desto weniger greift es.
Natürlich kann man ach bestimmte Gruppen statistisch eingrenzen, dann sieht die Lage wieder anders aus, aber es bleibt immer eine Lücke in die die Behauptung einer umfassenden Objektivierbarkeit fällt.

ganimed hat geschrieben:Ganz sicher kann man sich eben nie sein, nirgendwo. Und insbesondere nicht bei einer so abstrusen Behauptung wie: die Wissenschaft wird niemals das Gehirn und seine Vorgänge objektiv beschreiben können. Wieso also bist du dir so sicher?


Sie wird niemals die 1.Person Perspektive in der Weise darstellen können, dass man (ein anderer oder ein Computer) diese Daten in einer vollständigen Art und Weise verstehen kann. Um das ganz zu Ende zu diskutieren kommt man in die Untiefen der Qualiadiskussion, keine Ahnung, ob wir uns das geben sollen.
Letztlich geht es dabei darum, ob man dann, wenn man ein vollständiges objektiviertes Wissen von inneren Zuständen hat alles weiß, was es zu wissen gibt oder ob, etwas fehlt, das spezifische Erleben.
Ist dieses Erleben nun selbst Wissen, oder ist es einfach „nur“ Erleben, ist dabei eine wichtige Frage.
Rein logisch könnte man sagen (und Daniel Dennett argumentiert so), dass wenn man über vollständiges Wissen verfügt, man eben auch alles weiß, was es zu wissen gibt.
Fehlt etwas, war das Wissen eben nicht vollständig. Dem ist schwer zu widersprechen.
Qualia-Vertreter argumentieren, dass das Erleben von etwas auch eine Art von Wissen ist und hier herum drehen sich dann diverse Szenarien der Art, ob man wissen kann, was blau ist, wenn man keine Farn sehen kann und was dieses Wissen beinhaltet.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Man hätte einen biochemischen Vorgang beschrieben, aber wieso ist denn ein biochemischer Vorgang ein Gefühl?

Weil er immer genau dann auftritt, wenn das Gefühl auftritt. Und immer genau dann nicht auftritt, wenn das Gefühl nicht auftritt.


Woher weißt Du das, ich dachte diese Landkarte müsste erst noch erstellt werden.
Wenn sie schon vorliegt, wer hat sie dann?

ganimed hat geschrieben:Und weil sonst nichts dieses Gefühl repräsentiert. Daher also die Gegenfrage an dich: was soll das Gefühl denn sonst sein wenn nicht ein biochemischer Vorgang?


Ein inneres Erleben. Es ist ja denkbar, dass manche Tiere ebenfalls bestimmte Ausschüttungen von Neurotransmittern erfahren, aber ein anderes (weniger komplexes) inneres Erleben dabei haben.
Kann eine Eidechse sich langweilen, haben Hummer Liebeskummer, Nashörner Mitleid und Mäuse ein schlechtes Gewissen?
Anders herum gefragt: Wann darf ich überhaupt ein inneres Empfinden zuschreiben?
Richtig sicher kann ich nur von mir selbst sagen, dass ich Empfindungen habe. Aber macht es Sinn, Dir ein Empfinden abzusprechen, nur weil ich Deine Empfindungen nicht haben kann?
Und was ist mit Affen, Meerschweinchen, Fischen und Bäumen. Wo ist die Grenze und warum dort?
Sind Felsen vielleicht bewusst? Warum (nicht)?
Immerhin machen bessere Blechdosen jeden Schachweltmeister nass. Organisches Material und Bewusstsein(???) stehen also in keiner zwingenden Korrelation.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Ja, und ich habe zu beschreiben versucht, warum man das allenfalls näherungsweise, aber nie vollständig kann und können wird

Dieser Versuch ist daneben gegangen. Du traust der Wissenschaft weniger zu als ich. Beispielsweise scheint dir bei Hirnforschung wirklich nur das bildgebende Verfahren einzufallen, so als würde das die einzige Methode sein. Verhaltensforschung, psychologische Tests, Versuche an Mäusen, Schnecken, Fruchtfliegen, alle diese Flut an Forschungen um Nervensysteme allgemein und das des Menschen besser zu verstehen blendest du wohlweislich aus.


Würde ich zum Teil in der Tat als andere Gebiete ansehen. Hirnforschung ist ja im Grunde eine Unterabteilung der Neurologie und mir ist bewusst dass dazu eine Menge anderer Verfahren gehören.
Hat aber alles nichts damit zu tun, wenn es um die Frage geht, ob man subjektives Bewusstsein (und damit diese Bezeichung überhaupt Sinn macht, muss es sich um das subjektive Bewusstsein eines Menschen drehen) in seiner Gesamtheit darstellen kann.
Und dann muss man, wenn Nanna Erdbeereis isst, auch all die Assoziationen, die ihm dabei durch den Kopf huschen darstellen können.

ganimed hat geschrieben:Insofern ist dein Jetztanalyse der Hirnforschung bereits relativ verzerrt. Aber gut, du hast eben tendenziell eine schlechte Meinung über Wissenschaft.


Nein.

ganimed hat geschrieben:Aber was ist eigentlich mit dem "niemals können wird"? Hast du das wirklich schon begründet, wieso die Wissenschaft niemals ihre Methoden verbessern wird, wieso sie niemals neue Methoden finden kann, die mögliche jetzige Probleme doch noch lösen? Ich kann nicht einmal einen Ansatz für eine Begründung bei dir herauslesen.


Meines Erachtens habe ich das dargestellt, wenn Du da gar nichts erkennst, wird es natürlich dialogtechnisch schwierig, darum mein Vorschlag, es mal andersrum zu versuchen.
Sag Du mir bitte, was eine objektivierte Darstellung, die man meinetwegen in 50 Jahren haben wird, dann können muss, um die Kriterien zu erfüllen, die ich kritisiere. Ich behaupte, dass man nicht in der Lage sein wird, die subjektiven Empfindungen von wem auch immer in der Weise zu objektivieren, dass ein anderes Subjekt oder ein Supercomputer in der Lage sein wird exakt zu wissen, was Nanna oder ganimed gerade empfinden und/oder denkt.
Selbst wenn man die objektivierte Darstellung zur Verfügung hätte (auch hier sehe ich Schwierigkeiten, weil mir nicht klar ist, wie man aus Momentaufnahmen Vergangenes rekonstruieren sollte), wer sollte die lesen, auswerten, verstehen?
Entweder ein Mensch oder ein Supercomputer. Beim Supercomputer stellt sich die Frage, inwieweit er die Empfindungen von jemandem wirklich empathisch teilen kann – und hier muss man wieder schauen, ob „verstehen“ eine Form von „kann ich berechnen“ sein kann oder ob es ein nachempfinden sein muss. Autisten können Emotionen nicht „lesen“ wie „normale“ Menschen das können. Aber sie können lernen, wie man Vokabeln lernt, dass ihr Gegenüber traurig, fröhlich oder sonst wie gestimmt ist. Wenn ein Autist Dir ansieht, dass Du traurig bist und Deine Gefühlslage richtig benennen kann, „weiß“ er dann was mit Dir los ist, auch wenn er diese Gefühle in der Weise nie empfinden kann? Im Grunde eine Variante der Qualiadiskussion – beim Menschen bleibt immer ein Übersetzungsrest – entweder Du könntest ganz ich sein, aber dann ist Dir die Erkenntnis m.E. verwährt, denn damit Du erkennst, müsstest Du im ganimed Erleben sein und nicht im Vollbreit Erleben. Bist Du aber im ganimed Erleben, gibt es Bereiche, die Du nie erfahren wirst, weil Du sie in Dein Erleben übersetzen musst und Deine Geschichte ist eben eine andere als meine und Deine weiteren Assoziationen sind ganz andere als meine.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Der Anspruch ist aber ein anderer, nämlich ... eine vollständige Darstellung der 1.Person Empfindungswelt durch die objektivierende 3.Person Perspektive ... Ohne semantischen Rest ... Und wenn das der Fall sein soll, dann muss man eben genau sagen können, was Nanna empfindet, assoziiert usw. wenn er Erdbeereis ist.

Da stimme ich zu. Mit einer objektiven Beschreibung würde man angeben können, welche Emotionen bei Nanna durch das Erdbeereis ausgelöst werden. Genau wie oben die Rührung würden auch andere Emotionen beschrieben werden. Auch Assoziationen wären anzugeben. Aber worum es in meinem Argument ging: kein Beschreiber müsste zu Nanna werden, schon gar nicht vollständig.


Okay, dann hätten wir dennoch eine Lücke, weil dann zwar eine Darstellung möglich wäre, diese aber niemand (ganz) verstehen könnte. Natürlich sind die Forscher nicht blöd und passen ihre Befunde dynamisch an. Wenn sie erkennen, dass Linkshänder bestimmte Informationen anders verarbeiten als Rechtshänder, Frauen anders als Männer und so weiter können sie darauf reagieren und das (ohnehin immer idealisierte) Standardmodell des einen Gehirns anpassen. Aber je öfter sie das tun, umso individueller wird es, umso weniger wird es für andere Menschen, deren Gehirn anders verschaltet ist, verstehbar.

Bei Orchestermusikern, bspw. einen Geiger soll es so sein, dass die Repräsentationsareale der Finger im Hirn größer sind als bei anderen Menschen. Möglicherweise (weiß ich gar nicht) ist klassische Musik mit Geigen zu hören direkt mit den Fingern verbunden. Bei Nichtmusikern vermutlich nicht.
Wie soll nun ein Nichtmusiker verstehen können, wie der Musiker denkt, selbst wenn er die objektiven Befunde hat. Der hat doch, gerade wenn es stimmt, dass organische Identitäten Bewusstseinsidentitäten entsprechen (aber das muss gar nicht stimmen) gar nicht die Möglichkeit zu wissen, was der andere empfindet. Wenn das nicht klar sein sollte, werde ich versuchen, es näher zu erläutern.

ganimed hat geschrieben:Niemand müsste selber das Eis essen und dieselben Emotionen durchleben. Aber genau das wurde von dir und Nanna auch im anderen Thread gefordert, dass jemand genau Vollbreit werden müsste und den Schmerz im Fuss selber in genau derselben Weise erleben müsste, um wissen zu können, wie das ist. Ich finde, ihr habt da einfach den Unterschied zwischen subjektiver Sprache und objektiver Sprache völlig außer acht gelassen. Objektiv heißt hier genau, es nicht selber erleben zu müssen.


Es gibt ja dieses Stoiber Zitat: „Ich weiß, wie es ist, eine Mutter von drei Kindern zu sein.“ Es wirkt deshalb komisch, weil er es nicht wissen kann, oder doch?
Weiß der Chefarzt der Gynäkologie, der schon bei 1500 Geburten dabei war, wie es ist, ein Kind zu bekommen? Oder kann das nur eine Mutter wissen? Was ist denn objektives Wissen darüber ein Kind zu bekommen? Wenn ich nun lese dass „/&$/%§“ die objektive Bezeichnung für „ein Kind bekommen ist“ was weiß ich dann? Ich weiß, dass wenn ich mal diese Symbolfolge irgendwo sehe, es sich um eine Frau handelt, die ein Kind bekommt. Was genau weiß ich dann mehr, als denn ich höre: „Frau Müller hat gestern ein Kind geboren“? Es ist dann wieder die Frage nach der vorhandenen oder nicht vorhandenen Lücke zwischen Erleben und Wissen. Qualia eben.

ganimed hat geschrieben:Hä? Nanna behauptet doch, dass die Naturwissenschaft nichts über die Bedeutung oder den Sinn von beispielsweise Emotionen wie der Liebe sagen kann. Und deine Begründung für diese weitreichende Behauptung ist, das Shakespeare und Goethe doch auch etwas wichtiges über Liebe sagen? Das verstehe ich logisch nicht. Wieso würde die Fähigkeit der Wissenschaft, hier etwas zu sagen, plötzlich bedeuten, dass alles andere dazu gesagte nichtig wäre? Wer hat das behauptet?


Die Frage ist, ob mit der biochemischen oder hirnphysiologischen Darstellung der Liebe bereits alles über Liebe gesagt ist. Wenn es etwas gibt, was der Dichter uns zusätzlich noch an Richtigem mitzuteilen hätte, wäre die Darstellung nicht komplett, da es eben Zusätzliches nicht mehr geben darf, bei einer vollständigen Übersetzung/Reduktion.
Man kann natürlich auch versuchen, die Empfindungen eines heute lebenden großen Dichters, der über die Liebe nachdenkt und schreibt, darzustellen, aber dann tritt wieder das Geigerproblem auf. Es ist ja nicht anzunehmen, dass wir alle ein Dichterhirn haben, wie sollten wir (Nichtdichter) die Darstellung deuten, lesen, verstehen können?
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Nov 2012, 14:47

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:Irgendwo muss man sozusagen mit normativen Axiomen anfangen ...
...
Das ist doch das Ergebnis der Philosophen, bzw. von Teilen der Philosophie.

Normen und Werte haben alle Menschen, dazu bräuchte man jetzt nicht unbedingt die Philosophie.


Ja, die Philosophie stellt die auch nicht auf, sondern untersucht sie nur.

ganimed hat geschrieben:Und außerdem war ich dir zu weit entgegen gekommen, wie ich inzwischen finde. Normative Axiome kann man verhandeln, aber alternativ auch beschreiben und finden (Gerechtigkeitssinn im Gehirn, bestimmte moralische Grundeinstellungen bei fast allen Menschen, evolutionäre Zusammenhänge, ...).


Die Philosophie würde z.B. fragen, was es bedeutet (=was daraus folgt), wenn wir z.B. einen angenommenen Gerechtigkeitssinn im Hirn haben. Macht das bspw. Erziehung überflüssig, müssen wir uns dann noch abstimmen und so weiter.

ganimed hat geschrieben:Aus der Eichung des Belohnungssystems von 10000 Probanden kann ich bestimmt eine sehr genaue moralische Landkarte zeichnen und das dann als legitimen Ansatz verwenden, um meinen übrigen wisssenschaftlichen Erkenntnissen eine Relevanz, Bedeutung, Bewertung und Implikation zuzuweisen. Viel exakter und nachvollziehbarer als beim Philosophen.


Kannst Du mir die Quelle nennen?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Beispielsweise bist Du der Auffassung, dass der quantitative Erfolg, bspw. in der Reproduktion, der Verbreitung usw. ein Kriterium sein kann. Ich kann das als sinnvolle Aussage sofort anerkennen. Die Frage ist nur, folgt etwas daraus und was?

Dein letzter Satz ist nicht die Frage, nur der Versuch das letzte Wort zu haben.


Warum denn nur? Die Frage ist vollkommen legitim, denn es gibt ja noch andere Ansätze.

ganimed hat geschrieben:Nein, wenn man aus quantitativem Erfolg ein wertendes Kriterium machen kann, dann ist der Fall beendet. Nanna hat dies nämlich, soweit ich verstanden habe, für nicht möglich erklärt. Die Frage, was aus einer Bewertung folgt, war gar nicht Thema.


Doch, man kann, aber es ist willkürlich.
Ich kann Ranglisten aufstellen, bzgl. der Zahl der Körperzellen, der Größe, der Geschwindigkeit, der Reproduktionsrate, der Haarmenge, der absoluten Hirngröße, der proportionalen Hirngröße oder was auch immer. Aber was folgt daraus, das Hasen mehr Haare haben als Wahlfische, Letztere aber größer sind.

Dass man Wirbeltieren ohne vernünftigen Grund keinen Schaden zuführen sollte, kannst Du den Satz unterschreiben? Aus welchem quantitativen Ansatz ist er abgeleitet?

Ob man Tiere essen sollte oder nicht, welche Rangliste verrät uns das?

Dass man Tiere artgerecht halten sollte, aus welchem quantitativen Ansatz folgt das zwingend?

Wenn wir feststellen, dass sich das Klima erwärmt, was folgt direkt aus dieser Aussage? Nichts, bzw. dass es statistisch wärmer wird, aber wie wir damit nun umgehen sollten ist damit nicht gesagt.

Mir ist nicht klar, wie man in eine normative Forderung hineinkommt, durch bloße Information.
Natürlich ist im alltäglich Sprachspiel klar, dass die Aussage: „Du, deine Hose steht auf“ mehr ist als nur die Aussage über einen Zustand, eines Kleidungsstücks und derlei versteckte normative Hinweise gibt es haufenweise, aber das ist eben die Alltagsebene (und nicht Wissenschaft oder Philosophie).

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Aber gerade „gut“ und „schlecht“ sind ja jene wertenden Begriffe, auf die man verzichten möchte, die man objektivieren möchte.

Mir scheint, du verhedderst dich hier in den Begriffen "subjektiv", "objektiv" einerseits und "deskriptiv" und "normativ" andererseits. Du und Nanna behauptet (einfach so), dass Wissenschaft immer nur streng deskriptiv sein könne.


Im Sinne der Wertung stimmt das auch.

ganimed hat geschrieben:Aber das glaube ich eben nicht. Man kann objektiv bewerten, allerdings (das gebe ich zu) nur unter der Angabe des Kontextes, des Ziels, der Norm.


Und Norm und Ziel ergeben sich nicht aus der Beobachtung der Natur.

ganimed hat geschrieben:Aber all diese Dinge kann die Wissenschaft ja angeben. Für einen Menschen, dem körperlich sonst nichts fehlt (und der deshalb keine Ruhe braucht) ist Schmerz (beispielsweise dauerhafter Phantomschmerz) richtig übel.


Das bestreitet doch auch niemand.

ganimed hat geschrieben:Das folgt objektiv aus einer Beobachtung des Gehirns, was Angstzentrum und Belohnungszentrum an dieser Stelle machen.


Rein beobachtend weißt Du nicht mal, was Angst- und Belohungszentrum sind.
Du musst ja ein Verhalten zunächst als Angst deuten, sagen, das hier ist noch Angst, das schon nicht mehr, sondern bspw. Wut oder Trauer. Damit bewertest Du aber bereits bestimmtes Verhalten normativ als Trauer, Wut, Schmerz.
Erst wenn dieser normative Akt vollzogen ist, kannst Du überhaupt mit der Forschung beginnen und fragen, was z.B. gerade im Gehirn passiert, wenn ein Mensch das Verhalten zeigt, dass man normativ als Schmerz(reaktion) bezeichnet.
Und woher weiß man überhaupt, dass Schmerzen eine leidvolle Erfahrung sind? Könnte ja auch lustig sein. Ein verzerrtest Gesicht und ein lauter Schrei könnten der Ausdruck großer Freude sein. Man weiß es, weil man es selbst kennt. Und dieses selbst kennen ist auch nur antrainiert. Da wären wir wieder bei Wittgenstein. Man lernt das Verhalten (auch das eigene) zu deuten durch die Zuschreibungen oder Bezeichnungen anderer.

ganimed hat geschrieben:Man kann also objektiv schlußfolgern, dass das im Sinne dessen was das Gehirn des Patienten selber als Norm vorgibt schlecht ist.


Nein, das ist immer schon abgeleitet.

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Wenn man nun sagt, dass man Schmerzen vermeiden oder nach Möglichkeit verringern sollte, dann sagt man das nicht, weil bei der Schmerzkaskade objektiv dies und das geschieht, sondern weil Schmerzen als unangenehm und leidvoll vom Subjekt erfahren werden.

Das ist kein Problem. Ich kann ja die Schmerzen, das leidvolle ebenfalls objektiv beschreiben. Schmerzen und Leid geschehen also objektiv.


Schmerzen ja, Leid nicht. Leid ist die Bewertung von Schmerzen.
Hier kann man streiten, ob der Begriff „Schmerz“ nicht schon immer Leiden impliziert. Was sagen wohl Masochisten dazu? Und ist unter deren Schädeldecke wohl etwas objektiv, also messbar anders? Vermutlich, aber wer oder was ist nun warum der Normale?

ganimed hat geschrieben:
Vollbreit hat geschrieben:Was Du anstrebst und als Objektivität verstanden wissen möchtest, ist einfach der Durchschnittswert. Und da gilt halt, was für jede Statistik gilt. Kollektiv zutreffend, je näher man den Individuum kommen, umso unbrauchbarer.

Das ist naive Wissenschaftskritik auf niedrigem Niveau.


Es steht Dir frei das Niveau zu erhöhen, ich werden versuchen mitzuhalten.

ganimed hat geschrieben:So in der Art wie: Studien seien alle gefälscht.


Nein, das ist nun eine vollkommen andere Aussage.

ganimed hat geschrieben:Statistiker unterlägen alle dem Irrglauben, dass Korrelation = Ursache sei.


Statistiker selbst wohl am wenigsten.

ganimed hat geschrieben:Und repräsentative Umfragen seien Quark, weil man ja nicht alle gefragt hat.


Naja.

ganimed hat geschrieben:Und die Behauptung, dass alle Raben schwarz sind, wäre erst dann erwiesen, wenn man ausnahmnslos alle Raben auf der Welt in Augenschein genommen hätte. Solches Gerede wirkt auf mich sehr uninformiert. Der Trend geht zum billigen und schnellen Sequenzieren, zur Individualmedizin. Man weiß dann genau, welche Gene gerade da sind, aktiv geschaltet sind und wie sie wirken (vielleicht nicht heute aber zunehmend und bald) und kann dann, je näher man dem Individuum kommt, immer besser helfen oder analysieren oder einfach nur beschreiben, was den dann sicher rühren wird.


Ja, der Trend geht dahin, aber das sagt noch immer nichts darüber aus, wie man in normative Einstellungen hineinkommt.
Wenn für Dich die Sache so klar ist, dann leite doch mal bitte aus irgendeiner quantitativen Aussage, eine normative ab.
Da Lebewesen unterschiedliche viele Zellen haben, folgt daraus…
Da die Hirngröße variiert, sollten wir…
Lebenwesen werden unterschiedlich alt und darum…

Oder irgendein selbstgewähltes Beispiel, völlig egal welches.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Lumen » Mi 14. Nov 2012, 16:32

Menschen sind nach dem Schlafen ausgeruhter und langfristig gesünder, sollten daher täglich schlafen gehen...?
Da Menschen auf eine Sauerstoffversorgung ihrer Zellen angewiesen sind, sollten Menschen atmen...?
Menschen haben einen unterschiedlichen Nahrungsbedarf, sollen also nicht gezwungen werden, eine einheitliche Menge zu essen :^^:
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon Vollbreit » Mi 14. Nov 2012, 18:39

Lumen hat geschrieben:Menschen sind nach dem Schlafen ausgeruhter und langfristig gesünder, sollten daher täglich schlafen gehen...?
Da Menschen auf eine Sauerstoffversorgung ihrer Zellen angewiesen sind, sollten Menschen atmen...?
Menschen haben einen unterschiedlichen Nahrungsbedarf, sollen also nicht gezwungen werden, eine einheitliche Menge zu essen :^^:


Sind aber alles keine normativen Forderungen die sich zwingend aus der Deskription ergeben.
Menschen die schlafen sind ausgeruhter und langfristig gesünder. Das ist die deskriptive Aussage (wobei gesünder und ausgeruhter auch schon normativ sind.)
Menschen schlafen unterschiedlich lange. Das ist die reine Beschreibung. Eine andere wäre, dass mehr Schlaf zu einer größeren Versorgung mit Wachstumshormonen führt, z.B. Ob man mit mehr Wachstumshormonen versorgt sein will, oder länger schlafen sollte, ist damit noch nicht gesagt.

Menschen sollten auch nicht atmen, nur, wenn sie leben wollen. Dass man aber leben sollte oder leben wollen sollte ist nicht gesagt.
Auch wenn wir einen natürlichen Trieb zum überleben haben sollten, ist damit nicht gesagt, dass wir ihm immer folgen müssten. Märtyrer, Soldaten, Bulimiekerinnen, Selbstmörder, Drogensüchtige und so weiter zeigen, auf je ihre Art, dass es auch anders geht. Ob wir dem, was uns angeboren ist, unbedingt folgen sollten, ist wieder eine andere Frage. Angeborenerweise können wir hassen, lieben, töten, durchtrieben, liebenswürdig, hilfsbereit, egoistisch, altruistisch, berechnend, kalt, umsorgend und was auch immer sein. Was wir davon fördern und unterdrücken sollten, steht auch einem anderen Blatt, im Repertoire haben wir alles.

Dass Menschen einen unterschiedlichen Nahrungsbedarf haben, ist richtig, aber auch daraus folgt nichts.
Kinder in Afrika haben mitunter einen höheren Bedarf, als sie bekommen, während viele Deutsche übergewichtig sind.
Dass man bedarfsgerecht ernährt werden sollte, ist eine vernünftige Forderung, die sich aber nicht aus der Kalorienmenge ergibt.

Richtig scheint mir aber zu sein, dass es bestimmte "Regeln" gibt, denen man sich obwohl sie nicht zwingend folgen, schlecht oder nicht entziehen kann. Hier deckt sich das, was man vernünftigerweise tun sollte, atmen, wenn man leben will, wobei man in der Mehrzahl der Fälle eben unterstellen darf, dass leben zu wollen zu den Prämissen auch der bewussten Wesen gehört.
Es ist nur wichtig, zu unterscheiden, wo diese beiden Regeln zusammenfallen, wo sie explizit nicht zusammen fallen und wo man gar nicht anders kann.

Meinen Stoffwechsel oder meine Reflexe kann ich nicht willentlich verändern.
Für meine Nahrungsmenge ist zwischen dem was die Natur und was die Vernunft gebietet nicht viel Raum.
Doch die allermeisten meiner spontanen Impulse, allesamt naturgegeben, sonst hätte ich sie nicht, kann ich kontrollieren und genau das wird von uns Kulturwesen erwartet und macht das Unbehagen in der Kultur aus.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 14. Nov 2012, 20:36

AgentProvocateur hat geschrieben:Der Punkt hier ist der, dass X auf vielfältige Weise realisiert werden, aber dennoch X sein kann

Entschuldige, aber das ist dasselbe blöde Argument. Es geht bei der Identitätstheorie darum, dass M = G ist (Mentaler Zustand = Gehirnzustand).
Jetzt nimmt man in dem Artikel an ("Es ist einfach unwahrscheinlich, dass in ihnen die gleichen Gehirnprozesse ablaufen"), dass G-Lurch != G-Mensch ist. Aber wie durch ein Wunder ist es gar nicht so unwahrscheinlich, dass M-Lurch = M-Mensch ist? Lurch fühlen mit einem ganz anderen Gehirn also trotzdem das gleiche? Bin ich der einzige, dem hier die völlig unsymmetrische Anwendung von vagen Vermutungen auffällt? Einerseits wird vage vermutet, dass die Gehirnzustände ganz bestimmt völlig anders sind. Die andere Seite der Gleichung wird aber plötzlich von ebensolchem Wagemut in die andere Richtung, nämlich Gleichheit, phantasiert. Solche Argumente kann doch niemand ernst nehmen.

AgentProvocateur hat geschrieben:Wenn wir das mal allgemeiner betrachten: z.B. ein Tisch kann auf vielfältige Weise realisiert sein, es kommt dabei nicht auf das Material an.

Tisch ist ein gutes Beispiel. Vollbreit behauptet ja, dass man durch die Beschreibung von Gehirnprozessen nicht das Gefühl Rührung beschrieben bekommt. Übertragen auf den Tisch würde das wohl heißen: durch die Beschreibung der Tischler-Tätigkeit bekommt man keinen Tisch beschrieben. Dein Multiple-Realisierungs-Argument würde hier bedeuten: Tische können auf verschiedene Weise gebaut werden, es muss nicht ein bestimmter Tischler sein, er muss nicht Holz verwenden. Gut. Das würde also zeigen: ich kann nicht alle Tische (nicht alle denkbaren, nicht mal alle real existierenden Tische) durch eine einzige minutiöse Arbeitsbeschreibung eines Tischlers in Herne/Ost beschreiben. Aber die Arbeitsbeschreibung aus Herne beschreibt einen Tisch bzw. die hundert Tische, die der Tischler auf diese Art bereits hergestellt hat. Reicht das nicht?
Was ist also eigentlich gefordert? Was ist gemeint, wenn Singer behauptet, dass subjektives Erleben objektiv beschrieben werden kann? Muss man alles denkbare und real existierende subjektive Erleben aller Menschen mit einer einzigen Beschreibung beschreiben? Oder reicht es, wenn man exemplarisch das subjektive Erleben von einem Menschen in Herne beschreibt und damit zumindest plausibel andeutet, dass man, wenn man wollte, auch das Empfinden von anderen Menschen beschreiben könnte?
Ich glaube ja, das Multiple-Realisierungs-Argument ist nicht gut. Auf beiden Seiten der Gleichung sind sehr unscharfe Begriffe, M und G. Man könnte also auch gegenargumentieren, dass wenn ein M scheinbar durch zwei verschiedene G repräsentiert wird, dann sind es in Wirklichkeit eben zwei verschiedene M. Oder anders formuliert: Schmerzen sind nicht gleich Schmerzen.

Nochmal ein Zitat: "Es klingt daher ziemlich unwahrscheinlich, dass jedem mentalen Zustand genau ein neurophysiologischer Zustand entsprechen soll."
Wer so etwas sagt, nimmt doch wohl an, so scheint mir, dass mentale Zustände nicht vollständig von neurophysiologischen Vorgängen erzeugt werden. Ich würde so eine Position jetzt spontan gleich wieder Dualismus nennen. Der Glaube an eine geistige Ebene.
Ohne diese geistige Ebene bleibt nur die Annahme, dass mentale Zustände tatsächlich von neurophysiologischen Vorgängen erzeugt werden. Und dann ist es nicht nur sehr wahrscheinlich sondern völlig zwingend logisch (aufgrund der eindeutigen ursächlichen Beziehung), dass jeder mentale Zustand von genau einem bestimmten Gehirnvorgang erzeugt wird.
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Re: Bisheriges Streben der Evolution

Beitragvon ganimed » Mi 14. Nov 2012, 20:58

Vollbreit hat geschrieben:
ganimed hat geschrieben:"Jaaaa, sie beschreiben, wie ein Elektromotor funktioniert und woraus er besteht, aber das IST kein Elektormotor, sondern nur die Beschreibung".
Nein, darum geht es nicht. Den beim Motor besteht nicht mal ein Anfangsverdacht, dass es bei ihm etwas gibt, was über die reine (Beschreibung der) Funktion hinausgeht, beim Menschen sind wir sicher, dass wir eine Subjektwahrnehmung haben.

Lustig, wie du argumentierst. Dir ist sicher klar, dass ich das anders sehe. Bei mir ist die Subjektivwahrnehmung im Prinzip eben doch genau so beschreibbar wie ein Motorteil. Die Frage an dich ist also: was kann man an einer subjektiven Wahrnehmung prinzipiell nicht beschreiben?

Ich antworte mal für dich, damit wir weiterkommen: Die Qualia, das Erleben, das wie es ist so eine Wahrnehmung zu haben, das wie es sich anfühlt.

Ich antworte mal auf diese Antwort: Genau das können wir beim Motor auch nicht beschreiben. Wie ist es ein Motor zu sein? Was bedeutet es für die Antriebswelle? Aber das macht nichts. Wir wollen den Motor nur beschreiben, wir wollen nicht er sein.

Ich antworte mal für dich: Aber dann enthält die Beschreibung ja gar nicht das Wissen, wie es ist eine subjektive Wahrnehmung zu haben?

Ich nu wieder: Das stimmt. Aber war das gefordert? Muss eine objektive Beschreibung eines Motors oder eines menschlichen Gehirnvorgangs wirklich dieses Wissen enthalten? Beim Motor jedenfalls nicht. Ich finde, dann beim Menschen auch nicht.



Vollbreit hat geschrieben:Natürlich ist im alltäglich Sprachspiel klar, dass die Aussage: „Du, deine Hose steht auf“ mehr ist als nur die Aussage über einen Zustand, eines Kleidungsstücks und derlei versteckte normative Hinweise gibt es haufenweise, aber das ist eben die Alltagsebene (und nicht Wissenschaft oder Philosophie).

Jetzt mal die Wissenschaftsebene: deine Hose steht auf und du bist ein Mensch, der wie alle Menschen an sozialem Status interessiert ist. Studien haben ergeben, dass eine offene Hose lächerlich wirkt, d.h. den Status mindern könnte. Aus deiner Perspektive ergibt sich also objektiv die normative Empfehlung: mach die Hose zu.
Aha, auf Wissenschaftsebene gilt das also auch. Na dann sind wir ja mit diesem Thema auch endlich fertig.

Noch ein Nachschlag auf Metaebene: du hast auf Lumens sehr treffende Beispiele geantwortet:
    "Sind aber alles keine normativen Forderungen die sich zwingend aus der Deskription ergeben."
Ich bin wohl heute abend ein wenig ungeduldig. An anderen Abenden wäre ich vielleicht nicht so kritisch. Aber hier fällt mir auf, wie du Gegenargumente immer nur wieder zerpflückst. Und wenn es nur das kleinste Härchen ist, du ergreifst es, wie mir scheint, for the sake of the argument. Lumen hat beispielhaft gezeigt, wie sich normative Forderungen aus Deskriptionen ergeben. Statt zu sagen: "ok, dann geht es also und ich hatte unrecht" stellst du viel lieber eine neue Forderung auf! Nun müssen sich die normativen Forderungen nicht nur ergeben, sondern sie müssen sich plötzlich zwingend ergeben. Ich könnte Lumen verstehen, wenn er so wie ich manchmal die Lust verliert, auf diese Guerillataktik einzugehen.
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