ujmp hat geschrieben:Der Punkt ist, dass die heilende oder wohltuende Wirkung nur indirekt mit dem Ritual zu tun hat.
Woher weißt Du das? Wir haben doch so ein Ritual noch gar nicht und Du weißt schon, was daran wirkt und was nicht?
ujmp hat geschrieben:Man könnte sagen: "Egal, wenn's hilft!". Wenn aber die bloße Zuwendung des Therapeuten schon genug ist- bzw. überhaupt Zuwendung - dann bekämpft man mit Alternativmedizin noch viel weniger die wahren Ursachen für Krankheiten, als es die Schulmedizin tut.
Wieso, ich höre doch immer, das einzige, was die Homöopathen richtig machen, sei die ausführliche Erstanamnese und die wird als Zuwendung verstanden.
Da beim Vergleich zwischen Akupunktur und Standardtherapie vor allem zur Standardtherapie auch die Physiotherapie gehörte, sollte also zu erwarten sein, dass diese maximale Form der Zuwendung, inklusive Berührung, einen genialen Placeboeffekt hervorruft. Was aber offenbar nicht der Fall war. Überleg mal: Du bist da eine halbe Stunde in einer Kabine, es geht nur um Dich, Du liegst (kannst regredieren), jemand berührt Dich, das ist ja kurz vor Paradies.
Du willst doch immer differenzieren, dann lass uns doch mal schauen, um welchen Art der Zuwendung es geht. Geht es um Nähe und Berührung? Dann Physiotherapie oder Handauflegen oder etwas in der Art.
Geht es darum sich mal auszuquatschen? Dann vielleicht Psychotherapie oder ein Bier mit dem Kumpel oder meinetwegen, ein Behandler der zuhört.
Vielleicht geht es ja um Schmerzen, Grenzverletzungen der direkten Art beim Heilen. Spritzen wirken mehr als Tabletten, kann sein, dass die Akunadeln darum auch mehr wirken, müsste man untersuchen.
Vielleicht geht es auch um Grenzübertretungen der anderen Art. Sich verändern, ein neuer Standpunkt, ein neuer Impuls, eine neue Sichtweise.
Vielleicht geht es darum, Leid und Nöte zu teilen, das spräche für Selbsthilfegruppen.
Aber all das ist der Soziologenblick, dessen, der irgendwo hinfährt, ein Ritual sieht, sich überlegt, was das bringen kann, zu dem Ergebnis kommt, es stärkt das Gemeinschaftsgefühl und vergisst den Einzelnen zu befragen (der Soziologen auch nicht immer interessiert).
ujmp hat geschrieben:Aber ok, gestehen wir mal zu, dass die Zuwendung ja irgendeine Form haben muss, also warum nicht dieses oder jenes Ritual?
Wieso „warum nicht“? Ich bin u.a. genau dafür, dass Heilung als Ritual stattfindet.
ujmp hat geschrieben:Dann sollten wir aber betonen, dass es irgendein Ritual ist und dass die Heilung durch die Zuwendung kommt und dass dieses Ritual die Zuwendung sozusagen nur als bewährte Form transportiert. Das tun aber Alternativmediziner nicht, besonders nicht die Hersteller von diversen Mittelchen.
Sie wären auch saudumm, wenn sie das machen würden. Wie soll das denn praktisch gehen, wenn man das Ritual schon zerstört, bevor es stattfindet. Zappa sagt ja auch, der Behandler sollte sein Verfahren kritisch einschätzen. Ja und nein, es sollte nicht zum völligen Realitätsverlust führen, aber Aufklärunggespräche der Art: „Ich habe hier was, was nichts bringt, ich selbst bin auch nicht davon überzeugt, meiner Tochter würde ich nicht raten es so zu versuchen, aber vermutlich schadet es nichts und damit der Placeboeffekt auch zieht, nehme ich das doppelte Geld.“ Da will man doch gleich mehr, nicht?
Oder so. „Hallo Herr ujmp. Oh da haben sie sich ja was Böses eingefangen. Aber es gibt da die Möglichkeit es mal so mit irgendeinem Ritual zu versuchen. Im Rahmen der Transparenz kläre ich sie natürlich darüber auf: Also ich hänge ihnen gleich einen Bayern München Schal um, puste in die Trillerpfeife, dann entzünde ich Weihrauch, beschwöre eine tibetischen Heilungsgott und dann schunkeln wir gemeinsam. Ist alles Quatsch, aber irgendwie scheint Zuwendung ja was zu bringen.“
Ich würde zu niemandem gehen der mir erzählt, er sei nicht sonderlich von seinem Mittelchen überzeugt.
Da gibt es im Rahmen der diversen Placebostudien auf Untersuchungen. Zwei Gruppen mit leichten unspezifischen Beschwerden. Beide Gruppen bekommen ein unspezifischen Vitaminpräparat, die einen mit der Botschaft des Arztes: „Mh, ich weiß auch nicht so genau was sie haben, aber versuchen sie es mal hier mit.“ Die andere Gruppe mit dem Arzt der sagt: „Ach das, ja das kenn' ich. Nehmen sie hier, ist ein gutes Mittel.“ Der Unterschied in der Gesundung ist deutlich.
ujmp hat geschrieben:Mein lieber Vollbright, du bist gerade dabei zu erkennen, dass dies ein argumentum ad ignorantiam ist, also ein Denkfehler. Denn nur, weil wir an vielen Stellen mit unserem Latein am Ende sind, müssen wir ja unsere nicht Hoffnung auf IRGENDWAS setzen.
Hä? Ich weiß ja nicht, was mit Dir los ist, aber wenn Du immer dann aussteigst und die Flügel hängen lässt, wenn es für andere überhaupt erst mal beginnt interessant zu werden...
Das Problem ist aus meiner Sicht, ironischerweise,
Deine Undifferenziertheit. Das meine ich nicht als billige „Bäh, selbst doof“-Retourkutsche, sondern ernst.
Das ist ja an mehreren Punkten so. Spiritualität ist einfach irgendwas, Hauptsache beliebig, dann entfällt auch jede weitere mögliche Aussage.
Dasselbe bei Zuwendung. Du sagst einfach Zuwendung, ist bestimmt was dran, aber das war's dann für Dich und alle Arten der Zuwendung scheinen immer gleich gut zu sein.
Nächster Punkt, Heilungsrituale. Alles völlig egal, wer das macht, wie das abläuft, ist ja eh alles gleich. Echt? Lass Dich doch mal vom dem netten Freimaurer hier beraten, der kennt Rituale und ihren Wert. Was ließe sich alles darüber sagen. Ein Baustein des Rituals ist das Symbol, bei diesen könnte man, im Sinne Jungs, auch archetypischen Stimmigkeit achten – gute Werbung macht nichts anderes – und Du könntest nebenbei viel über die Psyche lernen. Hier könnte, der jeder religiösen und spirituellen Regung unverdächtige, Lumen Dein Ansprechpartner sein. Die antiken Tragödienaufführungen sollen dies ein wenig bedient haben, die extrem handlungs- und spannungsarm aufgeführt wurden.
Der nächste Punkt, ich weiß nicht, ob es auch Deiner ist, der ärgerlich undifferenziert abhandelt wird, ist die Psychosomatik. Reicht den meisten ein Satz: „Ein bisschen Entspannung ist nie verkehrt.“
Man müsste schauen, was die wenigen Superheiler richtig machen, um von ihnen zu lernen.
Die gesamte Einstellung dessen der krank ist, fällt völlig flach, was sollte einen im Falle einer Krankheit auch ausgerechnet der Kranke interessieren, die Experten sitzen ja auf der anderen Seite. Hier könnte man viel verbessern.
Das wirklich Ärgerliche ist, dass wir gar nicht am Ende sind und die Zutaten für viele Bereiche schon ganz gut bekannt sind.
Und um Dir entgegenzukommen. Selbst in der von Dir dargestellten, wie ich finde, nicht sehr differenzierten Art, liegt viel Wahres. Du bist, mit vielen anderen, durchaus auf der richtigen Spur. Die fast trotzige Reaktion vieler Mediziner auf den Zulauf den Alternativmedizin durchaus hat, lautet schon seit 20 Jahren: Ja, die nehmen sich auch viel mehr Zeit für ihre Patienten. Warum es dann nicht auch macht, ist eine Frage der Abrechnung. Es gibt kein Geld für Beratungsgespräche. Also es gibt schon was, aber wenig.
Rituale, ja man hat sie längst. Jetzt wo der Arzt mehr Kumpel und Partner wird, geht das ein wenig zurück. Beides hat Vor- und Nachteile und man müsste hier genauer hinschauen.
Man könnte und sollte auch den Blick weiten. Als Stichworte seien genannt Umweltmedizin, systemische Ansätze (nicht selten ist einer in einer Familie dazu auserkoren „der Kranke“ zu sein), die Situation am Arbeitsplatz, wenn man „Rücken“ hat, weil man gemobbt wird oder seine Arbeit zum Kotzen findet, bringen Schmerzmittel auch nichts.
Und, vielleicht der wichtigste Punkt: Das Thema Krankheit/Gesundheit ist sicher bedeutend, man sollte sich aber davor hüten, es zum Lebensthema zu machen.
Das wäre so ein Gebiet, in dem Psychosomatik seine Stärken hat, relativ genau Symptome in Leben übersetzen zu können – mit dem Patienten –, damit man sich nicht Aufmerksamkeit und Zuwendung auf diesem leichten und gesellschaftlich etablierten, aber im wahrsten Sinne ungesunden Weg erkauft. Je nach Definition von Krankheit und Gesundheit ist Gesundheit auch etwas, um sich das Leben sinnvoll und bedeutsam zu gestalten, nicht unbedingt ein Selbstzweck, bei dem dann alles nur noch um Vermeidung von Krankheiten geht.
Also, kein Ende, ein Anfang und eigentlich nur noch ein Sortieren.
Was daran zuweilen so „unrealistisch“ erscheint, ist, dass unsere Medizinsystem vollkommen anders aufgezogen ist, aber auch hier ist man nicht machtlos. Monsanto hat sich gerade vom europäischen Markt zurückgezogen, anhaltende Kritik und drohende Imageverluste werden auch in der Lage sein, das, was scheinbar unmöglich erscheint, zu verändern. Schon die pragmatische Öffnung der Medizin, die wir heute erleben ist eine Revolution von unten gewesen und so kann man auch hier viel tun, jeder einzelne, man hat die freie Arztwahl.