ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Du brauchst nicht rot zu sehen, um rot zu denken.
Das hat ja auch niemand behauptet. Das Rot aus der Erinnerung oder das Rot der Sprache der Poesie oder welches Rot auch immer, sind unterschiedliche Vorstellungen, die im Gehirn irgendwo abgespeichert sind bzw. "gepflegt" werden. Es sind {ROT1,ROT2,...}, wobei z.B. ROT1 und ROT2 eine gemeinsame Schnittmenge haben können, vermutlich auch haben, aber nicht haben müssen. Wirklich ganz einfach!
Du kannst aber auch richtig mit „Rot“ umgehen, wenn Du farbenblind bist, indem Du Dir anhand anderer Zuschreibungen über Dinge merkst, dass sie dass man von ihnen sagen, sie seien rot, wie z.B. das obere Ampellicht.
Das klappt im Alltag prima, versagt aber in Laborsituationen, soweit der Befund.
Die Frage ist nun, ist die Fähigkeit rot sehen zu können, auch ein Wissen oder nur eine Fähigkeit oder kann man beides nicht trennen?
Wenn ich sage: „Ich weiß, wie man einen Salto macht“ (oder 8 Minuten die Luft anhält oder sich 100 willkürliche Begriffe merkt) und Du sagst „Ist ja spannend, mach mal“ und ich entgegene: „Nö, kann ich nicht, aber ich weiß, wie's geht“, dann ist die Frage, ob man sich hier nicht veräppelt fühlt.
Wir erwarten, wenn jemand sagt, „Ich weiß, wie ...“ meistens implizit, dass jemand es auch kann.
Andererseits, jemand kann über Jahrzehtne in seinem Leben 10.000e Schleifen gemacht haben und nun sind seine Hände gelähmt, kann man wirklich sagen, er wisse nicht, wie man Schleifen macht?
ujmp hat geschrieben:Im Prinzip sind Fabeln schon etwas Physisches. Es hat ja niemand behauptet, dass man sie mit Newtonscher oder Quanten-Physik berechnen kann, damit bekommt man noch nicht mal eine Wettervorhersage für nächste Woche hin.
Im Prinzip sind auch Prinzipien was Physikalisches.
Das ist physikalischer Reduktionismus, der aber nun (mindestens) zwei Äste hat:
In der metaphysischen Behauptung des Physikalismus, läuft es darauf hinaus, dass gesagt wird ausnahmslos alles sei letztlich Physik, einmal in einem schwachen Sinne, dass an allem Physisches beteiligt sein muss (und man müsste klären, was man hier unter physisch oder physikalisch versteht).
In einem starken Sinne ist damit gemeint, dass das was wirkt, ausschließlich physikalisch ist und die Welt bottom up (vom Kleinen zum Größeren) organisiert ist.
Definiert man, dass alle Erscheinungsformen von was auch immer Physik sind und das, was man noch nicht kennt, sich als solches herausstellen wird, dann ist notwendigerweise alles was es überhaupt, wie auch immer, geben kann, Physik oder physikalisch, allerdings ist diese Notwendigkeit eine definitorische.
Das ist in dem Sinne eine Glaubensfrage oder eben eine metaphysische Setzung. Da ich nicht weiß, wie man prüfen kann, ob sie stimmt, ist diese Ebene vielleicht gar nicht so spannend.
Auf einer erkenntnistheortischen Ebene ist das spannender und gehaltvoller.
Letztlich ist alles Physik hat hier den Anspruch, alles sei durch die Sichtweise der Physik erklärbar, evtl. sogar am besten erklärbar.
Wenn wir ein Rotempfinden haben, dann ist das zwar irgendwie im Bewusstsein aber sinnesphysiologisch kommt man hier weiter, reduziert man noch weiter – letztlich bis zur Physik -, erkennt man die Zusammenhänge immer klarer, so diese Ansicht.
Die Terminologie der Physik kennt aber einen großen Teil unserer Alltagsbegriffe gar nicht: Liebe, Ärger, Freude, Eifersucht, Planung des Urlaubs, die Sorge, ob man wohl dement wird und was auch immer, kommt alles im Bereich Physik nicht vor, Zahlen, grammatische Regeln, logische Schlüsse, Theorien des Empirismus auch nicht.
Dafür ist überhaupt kein Korrelat bekannt und dort, wo eines bekannt ist, bei „Rot“ z.B., deckt es längst nicht alle Assoziationen der Alltagsverwendung ab, d.h. „Rot“ und „elektromagentische Wellen von 600 bis 800 nm“ sind nicht logisch substituierbar.
Aber nehmen wir mal an, jemand würde sagen: „Das hätte ich gerne, es ist nämlich rot und Rot ist meine Lieblingsfarbe.“ Nehmen wir an, wir hätten ein physikalisches System und die Physik könnte die Aussage dieses Systems „rot ist mein Lieblingsfarbe“ irgendwie einfangen in aller Bedeutungsbreite und -tiefe.
Was genau wüssten wir denn dann mehr, als wir ohnehin schon wissen, wenn uns jemand sagt, Rot, sei seine Lieblingsfarbe?
Selbst wenn es gelänge, wäre das wahnsinnig kompliziert und wir wüssten nicht mehr als heute auch schon.
ujmp hat geschrieben:Vollbreit hat geschrieben:Bevor wir das noch x mal wenden, ein Vorschlag ist, Reden über Welt in ihrer Gesamtheit als Sprachspiel zu betrachten.
Darüber können wir gerne diskutieren. In dieser Diskussion hier ist aber "Sprachspiel" auch nicht mehr als ein Hirnzustand wie "Rot". Das konkrete Wie ist hier grad irrelevant.
Nein, ein Sprachspiel ist kein Hirnzustand, sondern anders herum.
Der Rückgriff auf die Ebene der Neurobiologie, die uns die Sprachspiele erklären will, ist ja grandios gescheitert – nicht die Einzelergebnisse, sondern auch hier die Theorie dessen, dass ja irgendwie alles Hirnzustände sind.
Der andere Ansatz wäre, das Sprachspiel – ein Austausch von Mitteilungen und Behauptungen – an die erste Stelle zu setzen.
Wenn man mal verstanden hat, wie es gemeint ist und wie es nicht gemeint ist, ist das recht gut und schlüssig, aber der Ansatz ist uns fremd.
Für naturalistisch geprägte Leute steht am Anfang das Atom (oder das Plasma oder eine subatomare Materie/Energie/Form-Einheit) und der Urknall.
Die Frage ist, kriegt die daraus abgelteitete Sprache der physikalischen Objekte Sprachspiele, Normen, innere Zustände und dergleichen theoretisch zusammengefasst, oder nicht? Bislang sieht das nicht sonderlich gut aus, warum einige vorschlagen, es zu lassen.
Am Anfang der Sprachspiele steht aber die in der Sprache verborgene Logik und immer ein erkennenwollendes Subjekt.
Im Gegensatz zu einem naturalisierten oder gar physikalisierten Objektivismus, der immer Problem hat was mit dem Subjekt anzufangen, hat der intersubjektive Ansatz der Sprachspiele kein Probleme damit die Atome und den Urknall, Gehirne und dergleichen bestehen zu lassen.
Die Aussage, dass es da einen Urknall gab wird so behandelt, wie die Aussage, das Rot meine Lieblingsfarbe ist oder ich helfen wollte, weil mir jemand leid tat und hat nicht den Anspruch der eine Ansatz, der physikalischen Beschreibung müsse komplett in dem der subjektiven Vorlieben und Einstellung (oder umgekehrt) aufgehen.
Durch öffentliche Sprachspiele bekommt man überhaupt erst Zugang zur eigenen Innerlichkeit (ein ebenso logischer, wie zunächst erstaunlicher Befund, den Wittgenstein recht klar machte) aber auch zur objektiven Welt, die auch nicht einfach fertig vorliegt (ein ebenso erstaunlicher Befund, den Sellars' – ein Naturalist - Begiff vom „Mythos des Gegebenen“ meint).
Ichsein und Welterkennen, werden also sprachlich (logisch-normativ erschlossen) und sind an der Wurzel ein intersubjektives Geschäft. Hier treffen wir mit Brandom, Habermas, Wittgenstein, Heidegger und anderen auf Hochkaräter der Philosophie. Man muss ein bisschen frickeln, aber man kriegt es hin, das zu verstehen.
ujmp hat geschrieben:Tja, aber "Sprachspiel" hilft da auch nicht viel weiter.
Doch, nur daerf es natürlich nicht einfach als Begriff hingeklatscht werden, so wie „Primzahlen, Einhörner und Autos sind letztlich irgendwas im Hirn“, sondern es muss erklärt werden, was damit gemeint sein soll.
ujmp hat geschrieben:Der Mensch denkt auch nicht nur in Sprache, sondern auch in Bildern.
Das ist vollkommen richtig.
ujmp hat geschrieben:Er urteilt auch nicht nur sprachlich - wenn überhaupt.
Das ist eher falsch.
Robert Brandom hat geschrieben:„Für die vorkantische Tradition war ausgemacht, dass die semantische Erklärung mit einer Lehre von den Begriffen oder Termini (eingeteilt in singuläre und generelle) anzufangen sei. Auf dieser Grundlage erklärt dann eine Lehre von den Urteilen die Kombination von Begriffen zu Urteilen und wie die Richtigkeit der entstandenen Urteile davon abhängt, was wie kombiniert wurde. Schließlich erklärt eine Lehre von den Konsequenzen die Kombination von Urteilen zu Folgerungen und wie die Richtigkeit der Inferenzen davon abhängt, was wie kombiniert wurde.
Kant lehnt das ab. Eine seiner tiefgreifendsten Neuerungen ist die Behauptung, dass der Gegenstand des Bewusstseins oder der Erkenntnis, das kleinste Begreifbare, das Urteil sei. „Wir können aber alle Handlungen des Verstandes auf Urteile zurückführen, so dass der Verstand überhaupt als ein Vermögen zu urteilen vorgestellt werden kann.“ Etwas als Klassifiziertes oder Klassifizierendes aufzufassen ist für ihn nur als Bemerkung zu dessen Rolle im Urteil sinnvoll. Ein Begriff ist nichts anderes als ein Prädikat eines möglichen Urteils, und deshalb gilt: „Von diesen Begriffen kann nun der Verstand keinen anderen Gebrauch machen, als dass er dadurch urteilt.“ Für Kant muss also die Diskussion des Gehalts bei den Gehalten von Urteilen anfangen, denn alles andere hat nur insofern Gehalt, als es zu den Gehalten von Urteilen beträgt. Deshalb kann seine transzendentale Logik die Voraussetzungen des Gehaltverfügens anhand der Kategorien untersuchen, d.h. der „Funktion[en] der Einheit in den Urteilen.““
(Brandom, Expressive Vernunft, 1994, dt. 2000, Suhrkamp, S.139)
Auch hier:
http://www.zeit.de/2001/29/200129_brandom_xmlujmp hat geschrieben:Kannst ja mal ein neues Thema aufmachen "Sprache-Denken-Wirklichkeit" -oder so
Ich finde es gar nicht falsch, an dieser Stelle weiter zu graben.
Viele haben verstanden, was der Kompatibilismus wirklich bedeutet und finden ihn nicht nur gut, weil sie ihn gut zu finden haben.
Nun graben wir halt tiefer. Was heißt es ein kompetenter, eigenverantwortlicher, verstehender Sprachspieler zu sein und determiniert?