ujmp hat geschrieben:Es ist doch kein Quatsch, es geht aber aus Kants Zitat auch nicht hervor, dass Tiere nicht urteilen.
Ich weiß auch nicht, ob Kant vorhatte, eine explizite Grenze zwischen Mensch und Tier zu ziehen, ich weiß aber, dass Brandom dies nicht vorhat.
ujmp hat geschrieben:Kant spricht nämlich
an dieser Stelle in so elementarer Weise von "Begriffen", dass man auch Hunden eine solche "Begriffswelt" zugestehen muss, denn auch ein Hund muss Vorstellungen verallgemeinern.
Das kann uns egal sein, denn es geht ja nicht darum sich von den Tieren abzusetzen, sondern positiv zu bestimmten, was unsere Freiheit (und potentiell die der Tiere, Roboter, Aliens) begründet.
Es war Dennett, der den Ansatz lieferte zwischen physikalischem und intentionalem System zu unterscheiden und er sagte auch, beides sei eine Zuschreibung:
Wenn wir in der Erklärung etwas als rein physikalisches System betrachten können: der Asteorid, der seine stille Bahn um die Sonne zieht, dann tun wir das.
Die Katze, die plötzlich innehält, weil sie irgendwo ein Rascheln hört, ist sicher irgendwie auch ein physikalisches System, aber als solches können wir ihre abrupten Bewegungsveränderungen nicht begründen und so schreiben wir – mit unserer reicheren Sprache - ihr zu Intentionen, Absichten zu haben („Die Katze könnte nach Beute suchen“) und versuchen diese Intentionen zu verstehen und zu deuten, z.B. als Haustierbesitzer oder Verhaltensforscher.
Das impliziert aber nicht, dass die Katze ihr Verhalten selbst verstehen muss.
Einer Lichtschranke die zuverlässig funktioniert würden wir nicht unterstellen, dass sie weiß, dass die treu ihre Pflicht erfüllt und selbst als der erste Schachcomputer den Weltmeister der Menschen besiegt hat, kam niemand auf die Idee, den Computer nach seiner Empfindung zu fragen, ob er sich der historischen Wende bewusst sei, sondern wir können anerkennen, dass etwas bestimmte Leistungen besser verrichtet als wir und es dennoch als im Prinzip doof und tot betrachten.
Auch eine Katze, die ein besonders guter Jäger im Vergleich zu anderen Katzen ist, muss nicht wissen, dass sie es ist.
Brandom differenziert nun, mit Kant, weiter und unterscheidet ein intentionales System/Wesen und ein diskursives System/Wesen.
Diskursive Wesen zeichnet aus, dass sie nicht nur etwas tun und sagen (auch Beos können Sätze sagen, die für uns einen Sinn ergeben - nur für den Beo eben nicht in der gleichen Weise) sondern, dass sie wissen oder verstehen, was sie tun und sagen und es im Zweifelsfall auch begründen können. Auch wenn in der Praxis diese Begründungen in den meisten Fällen nicht eingefordert werden, da die meisten Abläufe ritualisiert sind: Man weiß, wie man sich in diesem und jenem Kontext zu verhalten hat.
Diskursive Wesen sehen sich selbst in dem Raum von Gründen agierend, selbst wenn sie diese Formulierung so nie gebrauchen und statt dessen z.B. sagen würden: „Auf mich kann man sich verlassen.“
ujmp hat geschrieben:Man kann ihm deshalb in diesem allgemeinen Sinn auch so etwas wie "Diskurs" zuschreiben.
Nein, das kann man nicht, denn ein Diskurs verlangt explizit den Austausch von Argumenten.
https://de.wikipedia.org/wiki/Diskursujmp hat geschrieben:"Begriff" ist hier jedenfalls nicht an Sprache gebunden (obwohl ich nicht weiß, ob Kant dem zustimmen würde - das ist mir aber auch nicht so wichtig).
„Begriff“ ist schwierig zu bestimmen. An Sprache ist er schon gebunden, auch an Worte, sonst würde man eher von Zeichen oder Symbol sprechen.
Zum Begriff gehört die Kenntnis oder Bedeutung des Wortes und unbedingt sein(e) situationsadäquate(r) Anwendung/Gebrauch.
Nach Wittgenstein und Quine fallen Gebrauch und Bedeutung eines Begriffs zusammen und das verweist auf den holistischen Charakter der Sprache. Wittenstien drückt das so aus:
Ludwig Wittgenstein hat geschrieben:„Das Zeichen (der Satz) erhält seine Bedeutung von dem System der Zeichen, von der Sprache, zu dem es gehört. Kurz: Einen Satz verstehen, heißt, eine Sprache verstehen.“
(Wittgenstein, Das Blaue Buch, 1958, dt. Suhrkamp 1984, S. 21)
Kant ist noch nicht so weit gewesen, das zu erkennen, er hat beim holstischen (oder mindestens clusterhaften) Charakter der Sprache sozusagen auf halbem Wege halt gemacht. Ich bin der Meinung, dass man bei Kant zwar etwas was man wohlmeinend Protoholismus nennen könnte erahnen kann, aber ausgeführt hat Kant das nie.
Ihm war klar, dass die Bedeutung der Wörter von ihrer Position im Satz abhängt, dass auch Sätze in weitere größere Sinneinheiten oder Kontexte eingebunden sind und erst in ihnen/durch sie klar werden, hat er nicht gesehen, da musste z.B. ein Wittgenstein kommen.
Er hat jedoch klar erkannt, dass das Spiel der Sinngebung, also der Umang mit dem was man emprisch und semnatisch „vorfindet“, immer schon einer ordnenden Instanz bedarf, das durchzieht den ganzen Kant.
ujmp hat geschrieben:Und soweit ich mich ansonsten an Kant erinnere, meint er auch mit "Urteilen" etwa das, was ich darunter verstehe (ich hab es vermutlich von ihm übernommen), nämlich einen elementarten Prozess des Prüfens von Übereinstimmung, von Stimmigkeit, der dem Denken zugrunde liegt, aber nicht notwendig an Sprache Gebunden ist.
Ja, das ist diese synthetische, zusammenfügende Kraft des verstehenden, urteilenden Ichs, die allem Empirismus stillschweigend vorausgesetzt ist, was Empristen aber gerne vergessen. Das hat Kant klar gesehen.