Markus hat geschrieben:Hallo, ich bin Markus, habe Ethnologie studiert und stehe der britischen Schule der Anthropologie (social anthropology) nahe. Religion interessiert mich als eingefleischter Materialist nur am Rande, quasi als epiphänomen. Worüber redet ihr? Nach meiner Ansicht hat dieser ganze religiöse Schwachsinn im wesentlichen eine soziologische Ursache, nämlich Machtausüben. Angst und Furcht sind ja immer gute Möglichkeiten, ideologisches oder soziales oder monetäres Kapital anzuhäufen.
Hi Markus, ein entfernter Kollege, wie ich sehe. :-)
Für mich ist das auch primär eine Machtfrage vielleicht auch eine der Täuschung. Evolutionär gesehen sind das immer die gleichen Verhaltensmuster. Eigenschaften die sich evolutionär bewährt haben, werden kopiert, Formen der Mimikry gibt es auch auf der Verhaltensebene. Ist eben auch eine evolutionäre Strategie. Die einen haben bestimmte Fähigkeiten mit denen die angekommen, andere tricksen, ich kann das zwar als Strategie anerkennen, was mich wundert, ist allein, dass heute noch immer so viele Menschen auf diese leicht zu durchschauenden Strategien reinfallen.
Markus hat geschrieben:Im Ernst, es ist doch wohl absurd von Gott, gar von einem "lieben" Gott zu sprechen. Wo soll der denn sein?
Eben, ein Gott der außerhalb sitzt, nimmt nun mal keinen Einfluss auf die Welt und wenn er Einfluss nimmt, muss er auch in der Welt zu finden sein. Da wir bisher weder in Mikroskopen noch Teleskopen eine Spur von ihm gefunden haben, ist für mich die Sache klar. Ich würde übrigens sofort meine Meinung ändern, wenn man Gott morgen bei CERN beweisen könnte, aber nichts sieht auch nur im Ansatz danach aus. Das ist schon alles. Ich bin da weder wütend noch verbittert, ich verstehe einfach nicht, wie sich intelligente Menschen derart eine Bären aufbinden lassen.
Markus hat geschrieben:Und selbst wenn: Wir brauchen ihn nicht, um es uns in der Welt gemütlich einrichten zu können. Ja, gut, es ist nicht alles planbar. ja und? Zufall eben. Aber ich verstehe als Sozialwissenschaftler natürlich, warum die Religion immer noch so eine grosse Rolle spielt. Weil die Gehirne der Kinder von religiösen Eltern systematisch verblödet werden. Und diese Indoktrination wird man echt nur schwer wieder los. Sehe ich an ehemaligen SchulfreundInnen.
Die Evolution ist gut ohne Religion ausgekommen, bis zum Menschen. Das sind für mich einfach alte biologische Muster, die sich da in Religionen ausdrücken, aber Fairness und Inzesttabu und dergleichen, gibt es alles schon im Tierreich. Es ist ja ganz okay sich da Gedanken zu machen, aber ehrlich gesagt, entscheiden nicht wir über unser Schicksal und ganz sicher kein Gott. Wir können hier und da minimal was drehen, aber die Evolution macht mit uns, was sie will, das war früher so, so ist es heute und so wird es auch in Zukunft bleiben. Ich weiß natürlich nicht wo die Reise hingeht, aber ich weiß, wer den Karren lenkt, Gott nicht, wir nicht, es sind die alten Prinzipien den Evolution, die immer und für alles Leben gelten. Wer sich am besten anpasst gewinnt, der Rest verkümmert. Man muss ja nicht begeistert davon sein, aber ich wüsste nicht, wo ein Gebet je einen Krieg oder ein Hochwasser verhindert haben und irgendwann muss man sich ja mal trauen, das anzuschauen.
Mein ganzes Leben darauf aufzubauen, dass nicht ganz sicher auszuschließen ist, dass nicht in der letzten Ecke einer Galaxie sich ein Gott versteckt? Das ist einfach Angst und Unsicherheit, irgendwann muss man den Sprung von „ist sehr sehr sehr sehr unwahrscheinlich“ zu „gibt es nicht und interessiert mich auch nicht“ mal machen. Ich habe oft mit meiner Ex darüber geredet, das Komische war, dass sie keine Argumente hatte und irgendwie merkte, dass sie keine Argumente hatte und mehr als ein „aber trotzdem“ von ihr nicht kam. Kann ich ja noch anerkennen, wenn das für jemanden eine Mischung aus Halt und Gewohnheit ist, Modelleisenbahnen zu bauen ist auch sinnlos, aber man macht es einfach immer weiter und hat seinen Spaß daran, aber die meisten Gläubigen die ich kenne, haben ja gerade keinen Spaß. Die lassen sich etwas vorschreiben, von jemandem, den es nicht gibt. Gleichzeitig würden sie aber keine Versicherung abschließen, die ihnen zusagen würde, eventuell in 0,1% der Schadensfälle zu helfen, so ganz sicher kann man sich dabei aber auch nicht sein, aber dafür verlangt diese Versicherung einen extrem hohen Preis.
Das habe ich mit den Eltern meiner Ex auch besprochen und sie haben mir sogar zugestimmt – und ich glaube kurz nachgedacht – dann aber gesagt, so würden sie das nicht sehen. Da ist dann irgendwann das Ende der Rationalität erreicht, wenn man kein Argumente hat und sich auf „aber trotzdem“ beruft.
Markus hat geschrieben:Nein, wenn schon, dann muss man sich diesem kulturellem Phänomen wissenschaftlich nähern. @Alex, kannst du was zum Ursprung der Religion sagen? Gibt es so etwas wie Proto-Religion, wie es ja auch eine Proto-Kultur bei bestimmten Menschenaffen gibt?
Wie gesagt, es gibt evolutionäre Strategien in Hülle und Fülle, die Natur ist ungeheuer kreativ. Bestimmte stabile Muster setzen sich in verschiedenen biologischen Stämmen und Klassen durch, z.B. Flügel, bei Insekten, Vögeln und Säugetieren.
So ist es auch mit Verhaltensmustern, ein Rudel von Caniden folgt immer bestimmten Ordnungen und die findet man unter Primaten auch und der Mensch ist ein Primat.
Man kann sich sogar ernsthaft darüber Gedanken machen, ob da, wo der Menschen an dieser natürlichen Ordnung herumdreht überhaupt je etwas Sinnvolles rausgekommen ist. Die Natur „weiß schon, was sie tut“, d.h. ihre Gleichgewichte und Anpassungen pendeln sich optimal ein, selbst unsere sozialen Netze finde ich da eher fragwürdig.
Aus biologischer Sicht kultiviert man dadurch Mangelerscheinungen. Klar, mein Vater hat auch Diabetes und ich bin froh, dass man ihm helfen kann – übrigens macht das die Biotechnologie, durch die „ach so böse Gentechnik“, nicht der liebe Gott – aber wenn man ehrlich ist, versaut man sich auf diese Art nur den Genpool. Wem ist gedient, wenn wir immer mehr Typ I Diabetes, in den Genpool schleppen, unseren Kindern bestimmt nicht? Aber das ist ein anderes Thema. Ich sehe das vielleicht etwas hart, aber ich bin Realist und solange mir niemand das Gegenteil beweist, glaube ich lieber was ich sehe.
Und, wie gesagt, soziale Muster vererben sich auch, im Wolfsrudel hat auch niemand die Schule besucht, da erwirbt man alles was man zum Leben braucht, ganz natürlich. Da schimpfen zwar viele drüber, aber ich frage sie dann immer, ob sie denn noch sicher sind, drei Wochen in der Wildnis überleben zu können.
Markus hat geschrieben:In der Ethnologie kennen wir das mehr oder minder spontane Entstehen von Kulten, bsp. beim Cargo-Kult in Melanesien. Religionen sind dynamische Grössen, sie ändern sich ständig. Und dass sich Religionen pausenlos wandeln, spricht nicht gerade dafür, dass sie Stabilität vermitteln.
Ja, jede Religion erzählt was anderes, ein Gott, viele Götter, mal soll man dies nicht, mal das nicht. Wenn die sich noch nicht mal untereinander einig werden...
Es ist ja fast grotesk zu sehen, wie man sich über die „richtige Auffassung“ von etwas streiten kann, was es nicht gibt.
Das ist so wie sich über die Frage zu streiten, ob Pegasus wirklich fliegen kann und welches Futter er dafür braucht.
Die groben Muster, die wir benötigen, sind uns alle mitgegeben. Gesunde Konkurrenz, Sozialverhalten und Fairness gibt es überall, da brauchen wir keine große Nachhilfe und nebenbei könnte das nun wirklich jeder anerkennen. Außer in der Weigerung von Leuten, die meistens keine Argumente haben, kann ich da keinen Grund sehen. Alles was wir brauchen finden wir im Tierreich und können obendrein auch noch aus Ideologie verzichten.
Markus hat geschrieben:Trotzdem glauben die Gläubigen an diese Stabilität, vermutlich, weil sie einfach nicht wissen, wie stark sich Religionen im Lauf der Zeit ändern können. Ist ja auch klar: warum sollen sich religiöse Vorstellungen nicht wandeln können? Wie genau das geschieht auf kultureller Ebene wissen wir noch nicht, aber das dieser Wandel geschieht, steht ausser Frage.
Biologische Muster sind durchaus stabil, aber das hat nichts mit Religion zu tun, es ist eine Frage der Anpassung. Wer sich durch die Luft bewegen will braucht Flügel, so ist das nun mal, wer zusammenleben will braucht Regeln, aber wer man ein Wolfsrudel gesehen hat, der weiß wie natürliche Regeln funktionieren und die funktionieren ja gut. Da soll mir mal jemand sagen, wo unsere Regeln wirklich besser sind, als die natürlichen, ich finde da keine einzige und wenn man eine findet die gut ist, dann ist das eine Regel aus der Natur. Ich hoffe das wirkt nicht arrogant, aber ich habe diese Diskussion einfach schon zig mal geführt.
Markus hat geschrieben:Alex hat geschrieben:Wo soll das denn überhaupt sein, das Paradies, das hat mir auch noch niemand erklären können.
lol und rofl, mir auch nicht. Aber wir können ja mal zur Kenntnis nehmen, dass es Menschen gibt, die an etwas glauben, was sie nicht erklären können. Irrationalität des Alltags.
Ja, irgendwann war das als Strategie mal nützlich. Wer gehinkt hat und nicht gut jagen konnte, der fing an Geschichten zu erzählen und kriegte dafür einen Teil von der Nahrung, mehr, als er bekommen hätte, wenn er einfach nur rumgesessen hätte. Ist doch eigentlich leicht zu verstehen und sozusagen eine Urform des Entertainment, aber im Zeitalter der Überversorgung unnötig, darum gehen Religionen ja auch zurück. Die Entertainer merkten irgendwann, dass sie mehr Macht und Einfluss hatten, wenn die Geschichten, die sie erzählten gruselig waren, auch dieses evolutionäre Muster finden wir bis heute: „bad news are good news“.- Was wollen die Leute sehen? Tatort und Dramen, positive Geschichten langweilen, das war vor 4000 Jahren nicht anders und wenn man dann behauptet man sehe riesige Unglücke kommen, stünde aber selbst in gutem Kontakt zu den Geistern, dann wird der Teil vom Kuchen den man bekommt noch mal größer und abrackern müssen sich die anderen.
Und selbst wenn es nicht klappt ist vorgesorgt: Die anderen haben sich nicht genau genug an die Anweisungen aus der Geisterwelt gehalten. So bekommt der Underdog von einst noch eine herausragende Stellung. Da sind wir wieder bei der Machtfrage von oben. Eine geniale Strategie, aber doch heute nicht mehr. Wir Biologen sehen zwar etwas mehr als die anderen, weil wir einfach einen geschulten Blick für solche Strategien haben, aber im Zeitalter von Wikipedia sollte das Allgemeingut sein.