Nike hat geschrieben:@Schoramyr+Klaus:
Ich habe eine Frage, die mich eigentlich immer mehr interessiert hat als die Frage, warum Menschen überhaupt glauben-
(Entschuldigung, wenn das eigentlich das falsche Forum dafür ist, aber die Gelegenheit ist gerade so günstig)
Warum glaubt ihr ausgerechnet an
den Gott, an den ihr glaubt, und nicht beispielsweise an die altgriechischen Götter? Oder an die altägyptischen? Die germanischen?
Wenn ihr jetzt einen Grund nennt, warum ihr an ihn glaubt, dann nennt/habt ihr damit auch einen Grund, warum ihr nicht an die anderen Gottheiten glaubt und warum diese eurer Meinung nach nicht existieren. Und ich bin sicher, dass dieser Gegengrund genauso auch auf euren Glauben angewendet werden könnte.
Und wenn ihr keinen Grund nennt, ist die Auswahl dann nicht Zufall?
Ich habe in jedem Fall Schwierigkeiten damit, einen Glauben zu pflegen, der entweder zufällig oder irrational ist...Aber vielleicht ist mein Gehirn da auch in irgendeiner Hinsicht zu eingeschränkt, das kann man nie wissen.
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wenn ja, dann helfe mir doch bitte jemand weiter...!
![keine ahnung :ka:](./images/smilies/icon_nixweiss.gif)
Ja okay, ich versuch's.
Du sprichst oben von Gottes
vorstellungen - dh von ägyptischen, germanischen, etc. An die glaube zumindest ich schon mal überhaupt nicht, auch wenn ich mich selbst als gläubigern Christen einstufe.
Es geht ja nicht darum (wie viele Nichtgläubige fälschlicherweise denken), sich irgendeine Vorstellung zusammenzureimen um sich dann vor ihr niederzuwerfen und sich so aus der Selbstverantwortung zu drücken. Das wäre albern und kindisch.
Echter religiöser Glaube beruht auf einer anderen Dimension der Wirklichkeitserfahrung. (Die Terminologie habe ich von
Kurt Hübner übernommen)
Religiöser Glaube unterscheidet nicht zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, zwischen Subjekt und (dem nur hypothetisch anzunehmenden) Objekt. Dh, es ist nicht so, dass ich
etwas zu erkennen meine, dem ich aufgrund persönlicher oder irgendwie allgemeiner Kriterien die Eigenschaft "göttlich" zuweise - dann wäre ja ich der Schöpfer dieses Göttlichen -, sondern dass sich Gott oder das Göttliche in mir ereignet: "So spricht der HErr" - dh ich "höre" sein Wort, das sich
in mir etabliert hat.
Das ist schwer zu begreifen für einen wissenschaftlichen Menschen, der seine Erfahrungmöglichkeiten so sehr auf eine saubere Subjekt-Objekt-Trennung getrimmt hat - man kann allenfalls mit voll entbrannter sexueller Lust vergleichen, bei der bekanntlich gewisse analytische Hirnfunktionen außer Kraft gesetzt sind, weil sie alles kaputt machen würden.
Die Unterschiede zwischen religiös-mythologischer Wahrnehmungsdimension und der wissenschaftlichen gehen aber noch tiefer. Nehmen wir zB den Zeitaspekt. Im wissenschaftlichen Denken herrscht trotz Einstein immer noch die newtonsche/kantische Vorstellung einer absoluten Zeit vor, in der sich alles abspielt.
Ganz anders im mythologisch-religiösen Rahmen. Im Buch Kohelet 3 heisst es zB: Alles hat
seine Zeit. Das ist ganz wörtlich zu nehmen. Zeit ist nicht eine absolut vorhandene Bühne des Welttheaters, sondern eine Gestalt des handelnden Subjekts, analog zur Körpergestalt. Genauso wie der Körper endlich und begrenzt ist, ist es auch die (profane) Lebenszeit.
Irgendwann ist bei dieser Schluss mit lustig, und so kann man es entweder mit Brian halten ("always look on the bright side of death"), sich diese trostlose Perspektive so angenehm wie möglich zu gestalten (Paulus: "Lasset uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot") oder aber die Sinne öffnen dafür, dass diese profane, begrenzte Zeitgestalt eines Lebewesen bei weitem nicht alles ist - denn sie wird überschnitten und durchkreuzt von anderen Zeitgestalten, die die Ödnis der eigenen armseligen Lebenszeit bereichern und sogar auflösen können: Das ist die göttliche Zeit, die Ewigkeit, die die profane Zeit rhythmisch zu gliedern vermag, in Zeiten der Maloche, in Feierzeiten, in Zeiten von Nüchternheit und Ekstase, in Jahres- und Tageszeiten, deren mythologische Begründung auf die fremde Zeitgestalt hinweist, die meine profane Frist veredelt und verwandelt, sofern ich bereit bin, mich auf diese göttliche Zeit einzulassen.
Die christlichen Sakramente - nehmen wir mal das Abendmahl - sind gute Beispiele für diese Überschneidung und Verschmelzung von Subjekt und Wirklichkeit, von profaner und göttlicher Zeit: In Brot und Wein geht Jesus, dh der "Gott-mit-uns", in mich ein und verschmilzt als Teil von mir. Zugleich bin ich als Glied der Gemeinde ein Glied/Teil des Leibes Christi. Gottes Zeit, sein "Reich" etabliert sich in meiner Zeit und entschränkt sie.
Der steile Anspruch der Christen sagt somit, dass diejenigen, die getauft sind und glauben, schon obwohl ihre profane Zeit noch läuft, auf ein ganz anderes Surfbrett gestiegen sind, das sie aus den Grenzen ihrer Armseligkeit heraustragen wird. - Und dieser Anspruch wird durch gewisse Glaubenserfahrungen gestützt, die sozusagen als Vorschuss (Paulus) schon jetzt, im Profanen, ausgeschüttet wurden.
Dies - und nicht irgendwelche Vorstellungen von käfer- oder nudelförmigen Gottheiten ist die Wurzel des Glaubens. Klar versuchen nun Menschen sich vorzustellen (weil sie gar nicht anders können als Vorstellungen zu entwickeln), was das für eine Gottheit ist, die da dahintersteckt - ob eine, wie im Judentum und Islam, ob mehrere, wie in den östlichen Religionen und im alten Heidentum, oder ob man sich für ein Mittelding entscheidet wie die Christen - das alles ist völlig sekundär. Ein Mensch entwickelt ja in seinem Leben ganz verschiedene Gottesvorstellungen. Das Gottesbild eines Kindes verändert sich (hoffentlich), und allein die Einsicht bleibt, dass keine Vorstellung hinreicht, den eigenen Schöpfer irgendwie zu fassen zu kriegen, denn der spielt in einer ganz anderen Liga als seine Geschöpfe.
Zum Schluss:
Ist Glaube zufällig?
Für den, der nur die Dimension des Profanen wahrnimmt, muss es zwanglsäufig so scheinen.
Für einen religiösen Menschen ist Glaube alles andere als zufällig, sondern ein Ruf, den man hört, eine Gnade, eine Rettung.
Ist Glaube irrational?
Ich finde, dass Glaube rationaler ist als eine agnostische Rationalität, denn diese muss das Denken irgendwann einstellen, weil sie ihre eigenen Wurzeln nicht erkennen kann und zugleich nicht bereit ist, den Versuch zu unternehmen, diese auf andere als auf empirisch-rationale Weise zu ergründen.
Das ist für mich Irrationalität par excellence: Ich halte krampfhaft an meiner Methode fest, weil ich sie für den Stein der Weisen halte, obwohl es ganz offensichtlich ist, dass sie bestimmte Fragen nicht beantworten kann: Lieber suche ich ergebnislos dreitausend Tage im Tal, als dass ich einmal auf den Berg steige.
Glaube dagegen ist nicht rational in dem Sinn, dass er naturwissenschaftliche Methoden anwendet, aber er besitzt seine eigene Rationalität und eine sehr strenge Logik.
Ich hoffe, ich konnte Deine Fragen wenigstens ansatzweise beantworten,
FF