Patientenverfügung

Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 11:43

Ich bitte um Meinungen und Korrekturen, falls ich den Sachverhalt falsch einschätze.

Es wird gegenwärtig im Bundestag über das Thema Patientenverfügung diskutiert.

Bei der Patientenverfügung geht es um die Frage, wie mit Patienten umgegangen wird, die ihren Willen nicht mehr äußern können. Interessant ist hierbei, ob medizinische Maßnahmen unterlassen und so das Leben des Patienten verkürzt werden darf.

Kann der Patient seinen Willen äußern, so steht es ihm frei, auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, selbst wenn dies unweigerlich seinen Tod herbeiführt. Die Verweigerung kann etwa die Einnahme von Medikamenten betreffen, die Verweigerung einer lebensnotwendigen Operation, das Abschalten lebensnotwendiger Maschinen und anderes.

Um ein Beispiel zu nennen: Eine schwer herzkranke bettlegrige Person setzt das Herzmedikament ab und verlangt starke Schmerzmittel und Beruhigungsmittel gegen etwaige entstehende Angstzustände, woraufhin die Person kurze Zeit später verstirbt. Ein anderes Beispiel: Verweigerung einer dringend erforderlichen Blinddarmoperation und mit anschließendem Tod.

Diese Beispiele sind rechtlich unproblematisch, obwohl derartige Unterlassungen vom Ergebnis her einer Selbsttötung gleichzusetzen sind. Bei einer versuchten Selbsttötung wären jedoch jede Beteiligte Person ohne sichere Kenntnisse über den Geisteszustand des Betroffenen gehalten, die unmittelbar zum Tod führenden Handlungen zu unterbinden, weil sich die Personen ansonsten der Tötung durch Unterlassen strafbar machen können, wenn eine Garantenstellung besteht oder ansonsten eine unterlassene Hilfeleistung begehen. Eine Garantenstellung besteht etwa gegenüber Ehegatten oder Patienten.

Bei sicherer Kenntnis des Geisteszustandes muss ein Suizid dann nicht verhindert werden, wenn die Person freiwillig und unter Ausschluss krankhafter Geisteszustände, etwa einer Depression, handelt. Ob dies der Fall ist, kann letztendlich nur ein Arzt feststellen.

Nach klassischer Rechtsprechung trat dann noch das Problem auf, ob nach begonnenem Suizid noch „Hilfe“ zu leisten sei, ob dieser also verhindert werden müsse: So gab es Stimmen in der Justiz die im Ergebnis darauf hinausliefen, dass ein Ehemann etwa seiner Frau hätte zusehen müssen, wie diese sich einen Strick knüpft, ihn an der Decke befestigt, auf einen Stuhl steigt und sich erhängt: Dies wäre insbesondere der Fall gewesen, wenn die Person freiwillig und unter Ausschluss jedes krankhaften Geisteszustandes gehandelt hätte. Die Handlung wäre sogar vom Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit gedeckt gewesen, jede Hinderung gegen den Willen der Frau möglicherweise sogar eine strafbare Nötigung.
In dem Moment aber, wo die Frau am Strick baumelt und ihren Willen nicht mehr äußern kann, wäre der Mann als Garant im Sinne des Strafrechts verpflichtet gewesen, die Frau sofort wieder vom Strick abzuschneiden und sie zu retten, soweit noch möglich (beim Strick muss nicht zwangsläufig das Genick brechen).

Einen entsprechenden Fall möchte der hamburger Politiker und als Rechtspopulist verschrieene Roger Kusch herbeiführen, um eine gerichtliche Präzedenzentscheidung herbeizuführen: Er hat eine Suizidmaschine entwickelt, in die Spritzen eingelegt werden, die nach Anschluss einer Kanüle auf Knopfdruck ein Mittel gespritzt. Hierbei soll ein Arzt ein tödliches Mittel zur Verfügung stellen und die Kanüle anschließen. Zuvor soll der Geisteszustand der betroffenen Person hinreichend geklärt werden. Sodann tötet sich die Person durch Knopfdruck selbst.
Herr Kusch möchte bei diesem Suizid selbst anwesend sein und es auf eine Gerichtsentscheidung ankommen lassen.

Nach bisheriger Rechtsprechung wäre ein solches Vorgehen nur dann strafbar, wenn der Tod etwa durch Spritzen eines Gegenmittels nach Injektion noch verhindert werden könnte. In einem solchen Fall käme unterlassene Hilfeleistung oder für einen Arzt sogar Totschlag durch Unterlassen in Frage, die Beihilfe zum Suizid selbst wäre allerdings ohnehin straflos, weil nur die Beihilfe zu Straftaten bestraft werden kann und der Suizid keine Straftat ist. Selbst wenn also die Tötung noch etwa durch Spritzen eines Gegenmittels verhindert werden könnte, kommt hier der übergesetzliche Entschuldigungsgrund einer Gewissensentscheidung in Betracht, die letztendlich den Arzt und Herrn Kusch straffrei stellen könnten.

Den Vorgang des Spritzens dürften sie wohl ebensowenig verhindern, wie das Aufhängen eines Stricks an der Decke.

Dieser etwas auf die Spitze getriebene Fall ist demjenigen der Patientenverfügung ansatzweise vergleichbar. Einziger Unterschied ist, dass beim Unterlassen der medizinischen Maßnahmen der Tod von selbst eintritt, während im anderen Fall die betroffene Person weitere Handlungen vollziehen muss. Ethisch sind jedoch Handlung und Unterlassen als völlig Gleichwertig anzusehen, wenn die Handlungsmöglichkeit und die Möglichkeit zu unterlassen ebenso geeignet sind, den Erfolg zielgerichtet herbei zu führen.

Die Problematik der Patientenverfügung tritt nun auf, wenn der Patient bewusstlos ist oder seinen Willen nicht mehr äußern kann, gleichzeitig aber nur unter Aufrechterhaltung medizinischer Hilfe am Leben bleibt. Die Fälle, in denen der Patient sich mangels physicher Fähigkeiten nicht mehr selbst töten kann, sind hingegen die Fälle mit der Kusch-Problematik und haben mit der Patientenverfügung nichts gemein.

Für vollständig gelähmte Personen, die jedoch etwa noch mangels Wimpernschlages ihren Willen äußern können (wie im Roman „Schmetterling und Taucherglocke) und die selbst bei Unterlassen medizinischer Maßnahmen nicht ums Leben kommen, nützt auch der Kusch-Fall nichts, da die Maschine gerade dazu dient, dass die Person gerade die letzte für den Tod ursächliche Handlung selbst durchführt. Das Drücken des Knopfes durch andere Personen wäre günstigstenfalls immer noch eine strafbare Tötung auf Verlangen.

Die Frage der Patientenverfügung dürfte im Wesentlichen relevant sein für diejenigen Fälle, die einerseits bei Bewusstsein sind, jedoch überhaupt nicht mehr kommunizieren können und die beim Unterlassen medizinischer Hilfe versterben würden. Derartige Fälle sind bei schweren Schlaganfällen oder aber auch bei sonstigen Hirnschäden oder besonders schweren Fällen von Lähmung vorstellbar. Dann ist der Patient jederzeit noch möglicherweise in der Lage, seinen Willen zu ändern, er wäre aber nicht in der Lage, diesen zu äußern. Es wäre also äußerst Verhängnisvoll, einer solchen Person gegen ihren Willen medizinische Hilfe zu verweigern. Andererseits wäre es gerade für einen solchen Menschen besonders schlimm, weiter leben zu müssen, obwohl er die Hilfe gar nicht will.

Rechtlich problematisch sind auch die Fälle, in denen eine Person nicht bei Bewusstsein ist: Angenommen, die Person hat in einer Verfügung geschildert, dass die lebenserhaltenden Maßnahmen unter bestimmten Umständen nicht aufrecht erhalten werden sollen, dann kann ansich nicht ohne weiteres unterstellt werden, dass dieser Wille andauert, wenn die Person dann tatsächlich das Bewusstsein verloren hat. Problematisch ist hier, dass die Person ihre Meinung jederzeit – auch in letzter Sekunde – ändern kann, wenn sie noch bei Bewusstsein ist. Diese Möglichkeit wird ihr entzogen, wenn sie im Zeitpunkt der tatsächlichen Entscheidung das Bewusstsein bereits verloren hat. Ethisch relevant ist das Leiden des Betroffenen selbst nicht, so lange die Person lebt.

Relevant ist hier allenfalls die zu Zeiten des Bewusstseins vorherrschende Maß an Selbstbestimmung, die letztendlich auch umfassen kann, dass man verhindert, dass bestimmte Maßnahmen nach dem Bewusstseinsverlust mit einem durchgeführt werden. Es geht also auch um die Achtung des Selbstbestimmungsrechts unter Lebenden, auch um die Achtung des Menschen als Person, also letztendlich um die Menschenwürde. Diese gebietet, dass der Wille des Patienten eben auch dann noch beachtet wird, wenn er sein Bewusstsein verloren hat.

Einerseits wird dem Menschen beim Unterlassen der Maßnahmen zwar die Möglichkeit genommen, in letzter Sekunden den Willen zu äußern: Eben dies kann der Patient aber gerade in seiner Verfügung aussprechen, dass er dies nicht beabsichtigt. Bei einer vollständigen Missachtung der Patientenverfügung hingegen missachtet man den Willen unter Lebenden und verhält sich letztendlich gerade so, als habe die Person ihren Willen geändert. Diese Vorgehensweise wird gerade dann dem Fall nicht gerecht, wenn eine Person eine verbindliche Regelung getroffen hat.

Alle anderen Argumente, etwa die Verwertbarkeit der Organe im Falle des Unterlassens medizinischer Hilfe oder das Leiden der Angehörigen, die mit ansehen müssen, wie ein Verwandter oder Geliebter an Beatmungsmaschinen schlimmstenfalls über Jahre bewusstlos dahinvegetiert, ohne Hoffnung, dass diese Person wieder zu Bewusstsein kommt, vielleicht bestenfalls nur unter schwerster Hirnschädigung, unter erheblicher Kostenproduktion: All diese Argumente treten letztendlich hinter die oben genannten Argumente weit zurück und sind in diesem Kontext unbeachtlich.

Gegenwärtig wird von allen Parteien im Bundestag abgesehen von CDU/CSU befürwortet, eine Bindung des Arztes an die Patientenverfügung festzuschreiben. Die CDU/CSU möchte dagegen einer bevollmächtigten Person das letzte Wort lassen, um sich letztendlich auch gegen den Willen des Patienten wenden zu können.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Klaus » Mo 9. Jun 2008, 11:58

Vor ein paar Monaten gab es dazu einen Artikel in DER ZEIT. Alles war aus der Sicht eines Arztes geschrieben, der letztlich zum Patienten kommt und entscheiden muss, wie zu verfahren ist.
Es kam ein Notarzt, anonym, zur Wort, der eindeutige Sachverhalte geschildert hat. Z. B. wurde er als Notarzt zu einem Patienten gerufen, dessen Hirntumor so groß war, dass er bereits die Schädelkammer verlassen hatte. Die Ehefrau des Patienten war völlig am Ende, der Patient selbst ebenso. Der Arzt hat dem Kranken eine Überdosis Morphium gegeben, an der der Patient verstorben ist. Ich weiß, aktive Sterbehilfe.
Worauf will ich hinaus.
Holger schildert exakt die rechtlichen Dilemma in Sachen Patientenverfügung. Eine Verfügung diesbezüglich beruhigt die Nerven, was nicht heisst, dass sie erfüllt wird.
Ich würde es einfacher gestalten, ist ein Mensch zurechnungsfähig, das wäre feststellbar, ist seinem Wunsch, hier aus dem Leben zu scheiden Rechnung zu tragen. Einer bewussten Entscheidung würde ich mich nicht in den Weg stellen wollen, als Gesetzgeber. Warum spricht unsere Gesellschaft dem Wunsch von erwachsenen Menschen die eigene Legitimität ab?
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Jun 2008, 12:11

HFRudolph hat geschrieben:Kann der Patient seinen Willen äußern, so steht es ihm frei, auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, selbst wenn dies unweigerlich seinen Tod herbeiführt. Die Verweigerung kann etwa die Einnahme von Medikamenten betreffen, die Verweigerung einer lebensnotwendigen Operation, das Abschalten lebensnotwendiger Maschinen und anderes.
Soll dies einen Ist- oder Sollzustand beschreiben?
HFRudolph hat geschrieben:Diese Beispiele sind rechtlich unproblematisch,
Ein Arzt MUSS (müsste) helfen, dazu hat er sich verpflichtet. Es ist auch (eventuell) dem Pflegepersonal nicht zumutbar, jemanden krepieren zu sehen, zu lassen etc. ohne versuchen sein bestes zu geben.


HFRudolph hat geschrieben:Bei sicherer Kenntnis des Geisteszustandes muss ein Suizid dann nicht verhindert werden, wenn die Person freiwillig und unter Ausschluss krankhafter Geisteszustände, etwa einer Depression, handelt. Ob dies der Fall ist, kann letztendlich nur ein Arzt feststellen.
Ist-/Soll-/Wunschvorstellung?
Die Problematik ist durchaus etwas vielschichtiger.
Unterhalte dich doch mal mit Krankenschwestern und Pflegern. Da gibt es durchaus genügend, die da schwer auf die Barrikaden steigen, wenn man ihnen sagt "Pflege weiter und schau zu wenn der Patient stirbt" (während der Arzt sich verzieht).

Klaus hat geschrieben:Ich würde es einfacher gestalten, ist ein Mensch zurechnungsfähig, das wäre feststellbar,

Sicher?
Immer sicher?
Nein.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:19

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
HFRudolph hat geschrieben:Kann der Patient seinen Willen äußern, so steht es ihm frei, auf medizinische Maßnahmen zu verzichten, selbst wenn dies unweigerlich seinen Tod herbeiführt. Die Verweigerung kann etwa die Einnahme von Medikamenten betreffen, die Verweigerung einer lebensnotwendigen Operation, das Abschalten lebensnotwendiger Maschinen und anderes.
Soll dies einen Ist- oder Sollzustand beschreiben?

Rechtlicher Ist-Zustand.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
HFRudolph hat geschrieben:Diese Beispiele sind rechtlich unproblematisch,

Ein Arzt MUSS (müsste) helfen, dazu hat er sich verpflichtet. Es ist auch (eventuell) dem Pflegepersonal nicht zumutbar, jemanden krepieren zu sehen, zu lassen etc. ohne versuchen sein bestes zu geben.

Wenn der Patient nicht will, ist das Nötigung, ggf. Körperverletzung am Patienten - so lange er seinen Willen äußern kann. Der Patient wäre sogar notwehrberechtigt (!). Jeder Patient hat auch einen Anspruch auf Schmerzmittel und etwa durststillende Mittel. Eine andere Frage ist, ob man seine Rechte noch durchsetzen kann, wenn man auf dem Krankenbett liegt - wäre mal ein schönes Modell, Zeuge Jehovas liegt mit Pistole im Krankenbett und der Arzt kommt, um ihm gegen seinen Willen eine Betäubungsspritze zur OP zu geben: Patient erschießt Arzt - Notwehr! Wer andere Personen zur Hilfe hat, kann das auch einfacher durchsetzen.

Einem solchen Arzt, der etwas gegen meinen Willen versucht, würde ich ohnehin sofort das Vertrauen entziehen.

1von6,5Milliarden hat geschrieben:
HFRudolph hat geschrieben:Bei sicherer Kenntnis des Geisteszustandes muss ein Suizid dann nicht verhindert werden, wenn die Person freiwillig und unter Ausschluss krankhafter Geisteszustände, etwa einer Depression, handelt. Ob dies der Fall ist, kann letztendlich nur ein Arzt feststellen.
Ist-/Soll-/Wunschvorstellung?
Die Problematik ist durchaus etwas vielschichtiger.
Unterhalte dich doch mal mit Krankenschwestern und Pflegern. Da gibt es durchaus genügend, die da schwer auf die Barrikaden steigen, wenn man ihnen sagt "Pflege weiter und schau zu wenn der Patient stirbt" (während der Arzt sich verzieht).

Ja, der Arzt oder die Schwester. Am besten lässt sich das aber nach dem Roger-Kusch-Modell durchziehen.
Zuletzt geändert von HF******* am Mo 9. Jun 2008, 12:27, insgesamt 5-mal geändert.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Klaus » Mo 9. Jun 2008, 12:20

@1v6,?Mrd. die Patientenverfügung erstickt dann im Münchhausen Trilemma. Es gibt keine letzte Begründung, es gibt einen letzten Zustand und den nennt man Tod. Müssen wir alles regulieren wollen?
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:24

Klaus schrieb:
Der Arzt hat dem Kranken eine Überdosis Morphium gegeben, an der der Patient verstorben ist. Ich weiß, aktive Sterbehilfe.

Strafbare Tötung auf Verlangen, wenn der Patient es so wollte. Hätte sich der Patient die Dosis selbst gesritzt, wäre allenfalls Tötung durch Unterlassen, wenn der Patient sich in einem Zustand der Depression befunden hätte, also einem krankhaften Zustand, der eine vernünftige Willensentscheidung ausschließt (wird wohl so unterstellt).
Zuletzt geändert von HF******* am Mo 9. Jun 2008, 12:28, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Klaus » Mo 9. Jun 2008, 12:27

Es gibt zwei Handlungsstränge, einmal den des Patienten und den des Arztes. Die im Zeitungsartikel geschilderten Fallbeispiele waren schockierend. Auch unter dem Aspekt, wie Ärzte mit solch einer Verantwortung vom Gesetzgeber allein gelassen werden.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Jun 2008, 12:29

Könntest du bitte mal die Zitateben korrigieren?
HFRudolph hat geschrieben:Ja, der Arzt oder die Schwester. Am besten lässt sich das aber nach dem Roger-Kusch-Modell durchziehen.
Nur wenn der Patient (noch) "mitmachen" kann. Zum Beispiel Komapatienten oder komplett gelähmte Personen.

Und nein, der Arzt muss (eigentlich) helfen, wenn der Patient nicht will, könnte dies auch (aus medizinischer Sicht) bedeuten, der Patient ist nicht mehr bei klartem Verstand und er wird, wie "echte suizidale Personen" gegen seinen Willen (gewaltsam) sediert und dann behandelt.
Kann dann aber natürlich auch wieder Körperverletzung sein...

Hat Klaus geschrieben, dass der Patient dies verlangt hätte?
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:33

Die Patientenverfügung befasst sich mit den Fällen, in denen der Patient seinen Willen nicht mehr äußern kann, auch nicht mehr durch Blinzeln.

Wenn also
a) der Patient bewusstlos ist
b) der Patient aus anderen Gründen keinen Willen mehr äußern kann.

Für mich persönlich ist a) relativ irrelevant, weil es mir relativ egal ist, was mit mir ist, so lange ich bewusstlos bin. Mich interessiert dann nur, was ist, wenn ich wieder aufwache und ob ich das Aufwachen dann überhaupt noch wünsche... Am schlimmsten finde ich die Fälle, wo jemand nur noch auf den Tisch sabbern kann und sterben will, aber nicht mehr sagen kann: Gebt mir Schmerzmittel und Hunger-Durststillende Mittel und hört endlich auf, mich weiter zu versorgen. Genau das ist der Punkt, den die Patientenverfügung regeln soll und auch den Fall, in dem man gar keine Entscheidung mehr treffen kann, weil das Hirn im Eimer ist.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Jun 2008, 12:36

Klaus hat geschrieben:Es gibt zwei Handlungsstränge, einmal den des Patienten und den des Arztes. Die im Zeitungsartikel geschilderten Fallbeispiele waren schockierend. Auch unter dem Aspekt, wie Ärzte mit solch einer Verantwortung vom Gesetzgeber allein gelassen werden.
Und das Pflegepersonal von dir.

Ganz im Ernst, auch wenn der Gesetzgeber sich gekonnt drückt, dann drücken sich doch auch oft die Sterbehilfe gebenden oder nicht gebenden Ärzte und überlassen den Rest dem Pflegepersonal, denn die "haben Dienst am Patienten". Diskutier mal mit ein paar Krankenschwestern.
Ein weiteres Problem ist nämlich tatsächlich, dass die Ärzte zwar mit der Entscheidung alleine gelassen werden, die Pfleger aber wiederum mit den Patienten (im Wortsinn) alleine gelassen werden. Und nicht jedem steht danach, z.B. Komapatienten zuzuschauen wenn sie verhungern oder verdursten, weil im Zuge passiver Sterbehilfe einfach die künstliche Ernährung ausgesetzt wird. (Spräche für aktive Sterbehilfe)
Aber aktive Sterbehilfe bei einem Komapatienten (der ja nicht leidet) ist auch wieder so ein Fall mit der Grenze.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:37

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Und nein, der Arzt muss (eigentlich) helfen, wenn der Patient nicht will, könnte dies auch (aus medizinischer Sicht) bedeuten, der Patient ist nicht mehr bei klartem Verstand und er wird, wie "echte suizidale Personen" gegen seinen Willen (gewaltsam) sediert und dann behandelt.

Der Arzt muss erstmal gar nichts. Er hat zunächst einfach nur einen Vertrag mit dem Patienten. In Ausnahmefällen kann er gegen den Patientenwillen handeln, wenn der Patient nicht mehr zurechnungsfähig ist. Verschätzt sich hier der Arzt, macht er sich ggf. schon strafbar.

Das wäre dann in jedem Fall schwere Körperverletzung. Für eine echte Selbstmordgefährdung müssten doch weitere erhebliche konkrete Anhaltspunkte vorliegen, als der Wunsch, nicht behandelt zu werden.
Das ist auf gar keinen Fall ein Grund, jemanden zu sedieren - das wäre ja schwerkriminell.
Zuletzt geändert von HF******* am Mo 9. Jun 2008, 12:40, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Jun 2008, 12:39

Aufwachen, was meinst du denn, was mit um sich schlagenden, suizidgefährdeten Personen gemacht wird?
Willkommen im echten Leben.
Und ja, die Grenze zur Körperverletzung ist nah, aber auf welcher Seite?
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:42

1von6,5Milliarden hat geschrieben:Aufwachen, was meinst du denn, was mit um sich schlagenden, suizidgefährdeten Personen gemacht wird?

Es ging um den Wunsch, die Behandlung abzusetzen. Warum sollte da jemand umsich schlagen? Wenn man befürchtet, dass der Arzt den eigenen Willen nicht respektieren könnte, sollte man in jedem Fall Hilfe hinzuziehen und den Arzt auswechseln lassen.

Wer spricht denn von umsich schlagenden Patienten - oder meinst Du den Notwehrfall mit dem Zeugen Jehova, wo der Arzt den Patienten angreift?
Zuletzt geändert von HF******* am Mo 9. Jun 2008, 12:45, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Klaus » Mo 9. Jun 2008, 12:44

Holger hat geschrieben:...oder meinst Du den Notwehrfall, wo der Arzt den Patienten angreift?

Schöne Frage, hab ich mir gerade bildhaft vorgestellt. Sry, wegen dieser Albernheit
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 12:48

@Klaus: Ich denke, dass soetwas tatsächlich vorkommt.

Ich habe selbst mal zum Plasmaspenden gesessen und mir war schwarz vor Augen geworden, so dass es abgebrochen werden musste. Danach habe ich mich noch ein paar Minuten hingesetzt und wollte dann gehen, als ich wieder fit war. Das Personal dort wollte mich aber nicht rauslassen, angeblich aus Haftungsgründen. Ich war in dem Moment gar nicht in der Lage, mein ganzes rechtliches Geschütz aufzufahren. Ich bin dann einfach raus, als die Tür aufging - die auch noch verschlossen war.

Das war eine eindeutige Angriff auf mich in Form einer Freiheitsberaubung und ich war ja nun nicht bettlägrig oder so. Ich wäre da notwehrberechtigt gewesen - was das heißt, brauch ich ja nicht zu erläutern, wenn man jemanden kampfunfähig macht, um den Angriff schnellstmöglich zu beenden... :lachtot:
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Klaus » Mo 9. Jun 2008, 12:54

Manchmal ist unglaublich, was einem so widerfahren kann.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon 1von6,5Milliarden » Mo 9. Jun 2008, 12:56

@ Holger: Musst einfach nur von oben nach unten lesen.
(ein bisserl schwierig wenn drei Leute gleichzeitig schreiben - drei Schreiber vier Antworten)
Ich schrieb: Arzt muss/müsste immer helfend behandeln
Du schriebst, Behandlung gegen den Patientenwillen wäre Körperverletzung
Ich habe dir ein Beispiel genannt, bei dem dies regelmäßig nicht so genannt wird.
Und du als Jurist verstehst einfach nicht, dass ein um sich schlagender Suizidpatient
1.) keine Sterbehilfe nötig hat
2.) selten im Koma liegen dürfte.
Muss man dafür Medizin studieren? :kg:

Und nein Holger, sie hätten dich aber nicht gehen lassen dürfen, da du nicht bei klarem Verstand warst. Wärest du draussen vor ein Auto getorkelt ...
können bettlägrige auch nicht so gut.
Aber eine richterliche Verfügung dauert manchmal zu lange.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 13:07

1 von 6,5Millarden schrieb:
...da du nicht bei klarem Verstand warst.

Wie bitte???
:lachtot: :lachtot: :lachtot: :lachtot: :lachtot: :lachtot:

Bei manchen Menschen muss man seinen klaren Verstand wohl erst mit klaren Argumenten in Form eines Elektroschockers unter Beweis stellen... Vielleicht wäre das ein hinreichend klares Argument gewesen. Wenn dann die Notwehrlage bestritten wird, weil ich ja nicht bei klarem Verstand wäre, kann ich mich ja auch meinen nicht klaren Verstand berufen, um als schuldunfähig nicht bestraft zu werden. :lachtot:

Ich glaub es hakt, nicht bei klarem Verstand....
Bloß, weil jemand geschwächt ist und nicht gleich den ganzen Laden zusammenbrüllt, heißt das noch lange nicht, dass der Wille nicht mehr zu respektieren ist und die Person nicht zurechnungsfähig ist.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon Ari » Mo 9. Jun 2008, 13:28

HFRudolph hat geschrieben:Bei manchen Menschen muss man seinen klaren Verstand wohl erst mit klaren Argumenten in Form eines Elektroschockers unter Beweis stellen..

Da stell ich mir die Frage was ist "klarer Verstand". Gibt es eine (jurisitische?) Definition?

Von Ärzteseite aus könnte man sagen, dass du unvernünftig gehandelt hast. Die Frage ist, muss man unvernünftige Menschen vor ihrem unvernünftigen Handeln bewahren? Und wenn ja, wer bewacht die ganzen Bewahrugnsnastalten inden großteile der Bevölkerung bald einsitzen?

Das Problem ist doch, dass man "von aussen" es anders sieht als von innen.
Anderes Beispiel, dass die indivdualität zeigt: Ich kenn Menschnen die sind nach einigen Bier noch fahrtauglicher und fahren sicherer als andere nüchtern.
Aber der Gesetzgeber hat hier strikte Grenzen in Form von Promille festgelegt.

Mir würde aber kein Maßstab einfallen den man anlegen kann um die geistige Tauglichkeit eines Menschen (schnell) zu testen. Und daran scheitert doch die Gesetzgebung. Man braucht für Gesetze feste größen und meßbare Werte. "Augenscheinliches" wird immer für Stre7t, Diskussion und Kontroverse sorgen.
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Re: Patientenverfügung

Beitragvon HF******* » Mo 9. Jun 2008, 13:59

@Ari: Grundsätzlich ist jemand zurechnungsfähig, es sei denn, ein Richter spricht etwas anderes aus.

Wenn man ansonsten irgendwelche Anhaltspunkte als Grundlage nehmen will, sich gegen den Willen der Person zu verhalten, sie zu nötigen, an der Freiheit zu berauben oder sogar eine Körperverletzung zu begehen, dann geht das allenfalls nach ganz konkreten Anhaltspunkten. Man kann hier keinen Katalog bilden. Vielleicht würde es vor Gericht durchgehen, wenn man sagt, dass die Person nicht mehr ansprechbar ist oder irgendwelchen Unsinn auf sinnvolle Fragen von sich gibt. Du kannst auch keinen Betrunkenen gegen seinen Willen festhalten, weil der vielleicht auf die Straße laufen könnte - auch die Polizei kann das nicht: Da müssten schon konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die dafür sprechen, dass die Person es alleine nicht mehr packt. Eine geschockte Person, die vor sich hin-stiert und beim Antworten nicht mehr fixieren kann und abwesend wirkt, da könnte man Zweifel haben, ob die noch zurechnungsfähig ist. Nach einem Unfall kann man das sicherlich schneller annehmen als bei sonstigen Umständen.

Wenn Du als Sani oder Arzt meinst, etwas gegen den Willen einer Person machen zu wollen, dann würde ich ausreichend Zeugen hinzuziehen, die alle meinen, dass die Person nicht mehr Herr ihrer Sinne ist - sonst stehst Du mit einem Bein schon vor Gericht. Das ist dann ein echter rechtlicher Grenzfall, den man nicht so auf die leichte Schulter nehmen sollte - das sehe ich zumindest so. Übrigens: Sanis wissen das meistens recht genau - bin ja selbst einer.

Wenn jemand auf den Hinweis auf das Risiko sagt, dass er das übernimmt und in sauberer Aussprache mitteilt, wieder fit zu sein und sonst keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die dagegen sprechen, kommt eine Vermutung auf Unzurechnungsfähigkeit doch überhaupt nicht in Frage. Das kann man sich bestenfalls noch unterzeichnen lassen. Jemanden einfach so festzuhalten, weil jemandem kurz schwarz vor Augen geworden ist, geht ohne weitere Anhaltspunkte sicherlich nicht. Man kann das vielleicht raten, aber nicht gegen den Willen einer Person durchsetzen.

Da fällt mir gerade noch so ein Fall ein: Beim Bund saßen wir im Sanbereich und es wurde jemand eingeliefert, der heulte ganz fürchterlich vor sich hin - ich weiß nicht mehr, was vorgefallen war, zumindest meinte unsere Stuffzin (Rettungssanitäzterin!) und damalige Vertretung der Sanbereichleitung allen ernstes, man müsse dem Mann jetzt eine Plastiktüte über den Kopf ziehen: Notfallmaßnahme, weil der Hyperventiliere. Das war natürlich Scheiß, der hat nicht hyperventilliert, wir mussten Sie aber mit Händen und Füßen davon abhalten... Wie kann denn jemand hyperventilieren, der noch sprechen kann...? Die Tussi hätte ihm echt eine Plastiktüte als Notfallmaßnahme über den Kopf gezogen - natürlich gegen seinen Willen, wie auch sonst - wenn wir gesagt hätten, ja ja, denn mach mal... Ich weiß da nur eine Person, die als nicht zurechnungsfähig in Betracht gekommen wäre und das war sicherlich nicht der Patient...
Das ist echt schlimm, wenn eine solche Person nicht mehr den Menschen sieht, sondern nur noch seine Notfallmaßnahme. Dem hätte man doch allenfalls (!) eine Plastiktüte anbieten können, um da mal einen Moment hineinzuathmen! Auch das war gar nicht erforderlich. Solche Leute darf man echt nur im Krieg auf andere Menschen loslassen...
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